Analyse
Erscheinungsdatum: 04. November 2024

Zukunft der Grünen: Habecks Mission Impossible

Es ist die Woche der Entscheidungen: nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. Bei den Grünen könnte eine wichtige Entscheidung offiziell werden. Robert Habeck macht sich wohl bereit für den Kampf um die Kanzlerschaft.

In dieser Woche werden zentrale Fragen entschieden. In den USA wird gewählt; in Deutschland wird sich entscheiden, ob die Ampel noch die Kurve kriegt. Und bei den Grünen will Robert Habeck seine Kanzlerkandidatur offiziell erklären. Damit beginnt für den Vizekanzler endgültig ein Weg, den man angesichts der Lage als Mission Impossible bezeichnen kann. Die Umfragen für die Grünen sind schlecht; Partei und Fraktion sind nach drei Jahren Ampel aufgerieben; die alte Flügellogik ist wieder dominant, wie der quälende Streit um die Personalien für den Parteivorstand zeigt. Das bedeutet auch, dass alle zusammen noch weit davon entfernt sind, wieder zu einem Team und Kurs zusammenzufinden. Doch mitten hinein soll Habeck es nun richten. Nicht wenige in den grünen Reihen halten das aktuell für nahezu unmöglich.

Dem Vernehmen nach will Habeck am Donnerstag das erklären, was seit dem Verzicht von Annalena Baerbock sowieso schon klar ist: Er will Kanzlerkandidat der Grünen werden. Es ist ein schwieriges Timing. Die US-Wahl wird den größten Teil der öffentlichen Aufmerksamkeit binden. Und in Berlin ist auch so schon einiges los: Koalitionsausschuss am Mittwoch; zudem muss bis zur Bereinigungssitzung am 14. November der Haushalt stehen, wenn die Ampel überhaupt noch eine Chance haben will. Da könnte Habecks Botschaft leicht untergehen.

Andererseits kommt Habeck der Halbschatten vielleicht sogar zu Pass. Bei Umfragen zwischen neun und elf Prozent würde wohl niemand eine ähnliche Inszenierung empfehlen, wie sie Baerbock im Frühjahr 2021 hingelegt hatte. Außerdem könnte ihm der Ausgang der US-Wahl das passende Narrativ liefern. Und zwar egal bei welchem Ausgang. Gewinnt Trump, dann kann er erklären, dass jetzt die Demokratie erst recht verteidigt werden müsse. Gewinnt Harris, kann er sagen, dass der Harris-Moment beweise, wie ein Erfolg der progressiven Kräfte gegen alle Wahrscheinlichkeit möglich bleibe. Eine echte Ausweichmöglichkeit hat er ohnehin nicht. Ende nächster Woche treffen sich die Grünen in Wiesbaden zum Parteitag; dort muss Habeck bestätigt werden.

Geklärt ist, dass Habeck möchte. Noch offen ist, ob die Grünen von ihm auch geführt werden wollen. Das fällt der Partei, die sich viel auf ihre Streitkultur einbildet, traditionell schwer. Und bei Habeck besonders. Vor allem die Linken unter den Grünen hegen schnell Misstrauen, wenn Politiker in der Breite der Gesellschaft gut ankommen, das haben auch Winfried Kretschmann und Cem Özdemir schon erlebt. Es ist ein Misstrauen, getragen von dem (Vor-)Urteil, dass ein Grüner bei zu viel Beliebtheit zu viele Zugeständnisse gemacht haben könnte, sich nicht hinreichend ans Parteiprogramm gebunden fühlt. Bei Habeck kommt hinzu, dass er zwar Beinfreiheit von seiner Partei verlangt, aber – anders als Kretschmann – im entscheidenden Moment Hemmungen hat, auch mal hart durchzugreifen, wenn es sein müsste. Selbst dann, wenn interne Kritiker Habecks Bemühen um einen Kurs der Mitte durch Dogmatismus und Besserwisserei offen untergraben. Nur so konnte es zu dem Chaos um die Besetzung des Parteivorstands kommen. Wochenlang herrschte Unklarheit, nun steht ein Personaltableau, das sich strikt an der Flügelarithmetik orientiert, mit dem aber kaum jemand glücklich sein kann. Insbesondere Habeck. Es gibt künftig mehr Grüne mit Spitzenämtern, obwohl das die Entscheidungsfindung erschwert.

Auch Habecks programmatische Festlegungen wurden von Grünen lange nicht allzu ernst genommen. Als Familienministerin Lisa Paus das Wachstumschancengesetz blockieren wollte, haute er mal auf den Tisch. Aber danach ist es immer wieder passiert: Habeck einigt sich mit Scholz und Lindner – und am nächsten Morgen hört man Grüne im Radio sagen, dass man sich das noch mal ganz genau anschauen werde. Auch die Abstimmung über die Anträge, die auf dem Parteitag diskutiert werden, kann Habeck nicht als Unterstützung seines Kurses werten: Über die Vermögenssteuer wollten Grüne diskutieren, über Humanität in der Flüchtlingspolitik.

Es sind die Parteilinken, die hier den Ton angeben. In Habecks Umfeld hofft man, dass sich nach dem Parteitag alle einreihen. Aber sicher kann und sollte sich da niemand sein.

Habeck hängen seine eigenen Fehler noch an; vor allem das Heizungsgesetz hängt wie ein Mühlstein um seinen Hals. Im Sommer ist er durch Deutschland getourt, um das Thema positiv aufzuladen. Aber die Stimmung verbessert sich, wenn überhaupt, langsam. In der Ampel hatte er lange zwischen Scholz und Lindner zu vermitteln versucht, bis deren Verhältnis auf einem Tiefpunkt angekommen war. Am Montagnachmittag erinnerte er die Koalitionspartner in einem kurzfristig angesetzten Pressestatement mit Verweis auf die US-Wahlen und die Entwicklungen im Ukraine-Krieg an ihre geopolitische Verantwortung: „Wir regieren nicht im luftleeren Raum.“ Doch die Brückenbauer-Erzählung verfängt immer weniger; zu viele Grüne können den Nutzen nicht mehr erkennen. Also geht Habeck häufiger seinen eigenen Weg, verfolgt seine eigenen Interessen. Nicht ganz zu Unrecht ist aus SPD und FDP der Vorwurf zu hören, der Wirtschaftsminister habe mit den unabgestimmten Vorschlägen angefangen, der Deutschlandfonds, und dann auch noch in der Bild-Zeitung. In der Ampel kann Habeck nichts mehr gewinnen, das ist richtig analysiert. Nun muss er alleine kämpfen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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