In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts erlebte ich, wie McKinsey den globalen War for Talents ausrief. In dessen Gefolge biederten sich deutsche Unternehmen hektisch am internationalen Talentmarkt an, ohne dass sie in irgendeiner Art und Weise strategisch und kulturell den Boden dafür vorbereitet hatten. Viele der angeheuerten extrem-performanten Hochleister waren tief enttäuscht, flüchteten nach kurzer Verweilzeit aus Deutschland und suchten sich andere internationale Arbeitgeber, wenige passten sich der deutschen Mittelmaß-Kultur an.
Eine Prise Kulturkampf gefällig? Jetzt, 30 Jahre später, entbrennt – angefeuert durch Donald Trumps massive Interventionen in das US-Wissenschaftssystem – die gleiche aufgeregte Debatte in Deutschlands Forschungswelt. Auch hier sind die Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen überwiegend strategielos, einige davon bar jeglicher international offener Organisationskultur, so wie die deutschen Unternehmen vor Jahrzehnten.
Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier schwadroniert gar von einer „historischen Umkehr“ in Deutschland, angelehnt an den Aufstieg der USA zur Wissenschaftsmacht in den 1930er Jahren, begründet durch die massenhafte Flucht von Wissenschaftlern vor den Nazis. Welch unglücklicher Vergleich! Und Max Planck-Präsident Patrick Cramer überhöht zu „historischer Verantwortung“.
Zwischen Anti-USA-Sorgen und Moralpathos. Warum sich die Allianz der Wissenschaftsorganisationen unter Moderation von Noch-Forschungsminister Cem Özdemir gezwungen sah, „die Vielfalt an Tonlagen“ auf eine zu vereinheitlichen, erschließt sich mir nicht. Außer man wollte einem blamablen Anti-USA-Kulturkampf aus dem Wege gehen, zumal sich die deutschen Universitäten beim Kampf gegen antisemitische Umtriebe nicht mit Ruhm bekleckert haben. Schon das „1000-Köpfe-Programm“ zur Anwerbung von Wissenschaftlern im Koalitionsvertrag atmet den hypermoralischen Geist, dass Deutschland die Fronleichnamsprozession für die Wissenschaftsfreiheit anführt.
Strategisch ist das Pressen in eine Schablone dumm. Wenn man die Ratio des Ringens um wissenschaftliches Spitzentalent anlegt, dann wäre strategisch begründete Differenzierung angesagt gewesen. Die Ausgangslage einer Max-Planck-Gesellschaft ist doch komplett anders als die einer regionalen Hochschule mit profilierter Anwendungsforschung für die regionale Wirtschaft. Oder die einer Fraunhofer-Gesellschaft mit unterdurchschnittlichem Anteil internationaler Forscher (12,2 Prozent gegenüber Leibniz mit 27,8 Prozent, Helmholtz mit 29,8 Prozent, und Max Planck mit 52,5 Prozent). Die eine will künftige Nobelpreisträger/-innen und Spitzennachwuchs auch und gerade von US-Spitzenuniversitäten gewinnen, die zweite sucht den einen transferorientierten Forscher, beispielsweise auf dem Feld der Produktionssysteme oder Werkstoffe. Und die dritte tut sich seit vielen Jahren mit durchgängig internationaler Kultur schwer.
Es braucht strategische Diskretion und transatlantische Vernunft. Die Erstere hat jahrzehntelang erfolgserprobte, global wirksame Routinen, die zweite hat nur ein eher enges Silo internationaler Kooperationen, aus dem sie glaubt, auswählen zu können. Die Fraunhofer-Gesellschaft muss sich grundsätzlich die Karten legen, ob sie auf Dauer deutschtümelnd erfolgreich sein kann. Mir erschließt sich deswegen nicht, wieso sich Max-Planck-Präsident Patrick Cramer an die Spitze der krisengewinnlerischen Abwerbe-Fraktion gesellt. Soll er doch wie bisher „Windows of opportunity“ diskret nutzen, um noch gezielter Forschende anzusprechen, statt lauthals eine Kampagne ausrufen. Und der kluge Gedanke transatlantischer Max Planck-Zentren muss ja nicht gleich eingebettet sein in eine moralisierende Einmischung in die Innenpolitik der USA. Grüngefärbte Außenpolitik muss ein Ende haben.
Die renommierte regionale Hochschule dagegen könnte echt Hilfe benötigen, um Transparenz über den Markt der Forschenden auf diesem Feld zu gewinnen. Dann allerdings nicht nur mit Blick „aus den USA heraus“, sondern mit Blick auf die vielen internationalen Wanderungsbewegungen von Forschern „in die USA“, die sich derzeit umorientieren. So läuft sie nicht Gefahr, nur unter ihrer „family and friends“-community zu suchen.
Und Fraunhofer bräuchte Hilfe bei der Internationalisierung der Organisation. Und da sie Hilfe nicht annimmt, bräuchte sie den Druck professioneller Politik. Doch die ist weit und breit nicht zu sehen.
Brain Gain. Nicht wegen Trump, sondern wegen Demografie und Brain-Drain. Mein allererster Bundestagsantrag aus dem Jahr 2018 „Spitzenforscherinnen und Spitzenforscher für Deutschland als führenden Standort internationaler Wissenschaft, Forschung und Innovation gewinnen und halten“ hatte unter anderem den Aufbau einer Serviceagentur für die Suche und Gewinnung internationaler Wissenschaftstalente zum Inhalt: insbesondere für Wissenschaftsorganisationen, die sich keine eigene Rekrutierungsabteilung leisten können.
Ein Rekrutierungsservice natürlich auf Kostenbasis. Damals unter der großen Koalition von Christ- und Sozialdemokraten belächelt und abgelehnt, heute überfällig. Aber nicht wegen Trump. Der nahende Pensionseintritt der geburtenstarken Jahrgänge bedeutet einen personellen Umbruch für das deutsche Hochschul- und Forschungssystem. „In den kommenden zehn Jahren müssen in Deutschland aufgrund des demographischen Wandels mehr als 40 Prozent der Professuren neu besetzt werden“, sagt CHE-Geschäftsführer Frank Ziegele. Dazu kommt der Brain-Drain in ausgewählten Forschungsfeldern, insbesondere auf dem Feld der künstlichen Intelligenz.
Viele KI-Top-Wissenschaftler verlassen Deutschland. Im Forschungsgipfel 2024 mit dem Schwerpunkt KI wird dies dokumentiert : „Hochschulabsolventen und -absolventinnen mit Doktortitel in einem Kl-Anwendungsbereich sind die Top-Talente für Wirtschaft und Wissenschaft in Deutschland. Doch ein Drittel dieser Gruppe verlässt Deutschland nach der Promotion. Den stärksten Kompetenzexport gibt es in Richtung USA. Aber auch die Schweiz und Großbritannien sind attraktive Ziele für unsere KI-Spezialisten und Spezialistinnen“.
Und der sozialdemokratische Forschungspolitiker Ruppert Stüwe weist zurecht darauf hin, dass wir bei der Gewinnung internationaler Spitzenwissenschaftler für Professuren massiv Nachholbedarf haben.
Laut „Wissenschaft weltoffen“ (2024) sind gerade einmal 4.144 Professorinnen und Professoren mit ausländischer Staatsbürgerschaft an deutschen Hochschulen berufen, das sind nur 8 Prozent. Die USA gehören dabei nicht zu den häufigsten Herkunftsländern, allein aus Österreich und der Schweiz (insgesamt 1109) sind es viermal mehr Lehrstuhlinhaber (sic!) als aus den USA (insgesamt 277).
Keine gepackten Koffer. Der Präsident der Humboldt-Stiftung, Robert Schlögl, erklärt zurecht, dass es ja nicht so sei, als würden die Spitzenforscher in den USA zu Tausenden auf gepackten Koffern sitzen. Und nicht umsonst suchen renommierte Emigranten wie der renommierte Faschismusforscher von Yale, Jason Stanley, ihr Asyl zuerst in Kanada. Warum?
It’s culture, stupid. Es sind eben nicht nur die Sprachbarrieren, die das Leben und die Arbeit von internationalen Forscherinnen und Forschern in Deutschland (mit Ausnahme von Max-Planck) schwieriger machen. Freigabe kulturell bedingter Barrieren erschweren die Situation ganz besonders: