heute tritt der europäische Gas-Notfallplan in Kraft. Mindestens 15 Prozent Gas wollen die EU-Staaten von August bis März kommenden Jahres einsparen – zunächst freiwillig und bei einem unionsweiten Alarm auch verpflichtend. Es ist ein Signal an den Kreml, auch wenn die Mehrheit der Mitgliedstaaten Ausnahmen durchgesetzt hat. Deutschland müsste etwa 10 Milliarden Kubikmeter Gas weniger verbrauchen, um das 15-Prozent-Ziel zu erreichen.
Doch trotz der starken Abhängigkeit der Bundesrepublik von russischem Gas lasse sich eine Gasnotlage in Deutschland vermeiden – zu diesem Schluss kommt die Bundesnetzagentur in einer aktuellen Modellrechnung. Das gelte selbst dann, wenn kein russisches Erdgas mehr nach Deutschland fließt. Mehr dazu lesen Sie in den News.
Wer wird Klaus Welles Nachfolgerin oder Nachfolger? Für das kommende Jahr hat Welle seinen Rückzug vom Posten des Generalsekretärs des Europaparlaments angekündigt – nach 13 Jahren in dieser Position. Um die Neubesetzung wird mit harten Bandagen gekämpft. Fünf Bewerbungen gibt es, vor allem ein Kandidat ist aussichtsreich, allerdings nicht unumstritten, wie Markus Grabitz berichtet.
Landwirte sollen ihre Böden so bewirtschaften, dass sie mehr CO2 speichern – das ist die Idee hinter Carbon Farming. Im Gegenzug könnten auf Grundlage eines Zertifikatehandels finanzielle Anreize für die Bäuerinnen und Bauern entstehen. Ist das sinnvoller Klimaschutz oder doch nur Greenwashing? Und wie lässt sich die CO2-Senkleistung im Boden überhaupt messen? Darüber hat Timo Landenberger mit Georg Goeres gesprochen, dem Europa-Geschäftsführer von Indigo Agriculture. Das US-Unternehmen hat in den USA bereits erste Zertifikate auf dem wachsenden Voluntary Carbon Market verkauft, nun will es in Europa starten.
Die Gelbwesten als mahnendes Beispiel: Eine zeitgemäße Klimapolitik dürfe nicht nur das Klima und die Wirtschaft im Blick haben, sondern müsse auch die sozialen Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen, schreiben Avram Alpert und Dennis J. Snower im Standpunkt. Genau das kann in ihren Augen mit dem von Bundeskanzler Olaf Scholz vorgeschlagenen Klimaclub gelingen – wenn er denn richtig umgesetzt wird.
Nach 13 Jahren bekommt das Europaparlament im kommenden Jahr einen neuen Generalsekretär. Amtsinhaber Klaus Welle, ein gebürtiger Westfale mit CDU-Parteibuch, dem Beobachter unabhängig von der Parteizugehörigkeit große Verdienste um das Parlament bescheinigen, hat seinen Rückzug für Anfang 2023 angekündigt. Im laufenden Verfahren zur Besetzung seines Postens, das mit harten Bandagen ausgetragen wird, drohen Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (Europe.Table berichtete) sowie das Europaparlament Schaden zu nehmen.
Bewerbungsschluss für den Posten des Verwaltungschefs, der auf der EU-internen Besoldungsstufe bei AD 15 angesiedelt ist und eine Grundvergütung von 19.958 Euro monatlich erhält, war der 1. August. Nach Informationen von Europe.Table haben fünf Bewerber ihre Unterlagen eingereicht. Darunter ist dem Vernehmen nach eine externe Bewerbung, bei der noch geklärt wird, ob sie zulässig ist. Die Ausschreibung hatte sich an “interessierte Beamte” gewendet.
Vier Kandidaten sind aber auf alle Fälle im Rennen. Darunter sind drei Generaldirektoren aus der EU-Parlamentsverwaltung: die Polin Agnieszka Walter-Drop, die für die Konferenzdienstleistungen (DG LINC) zuständig ist, die Finnin Leena Maria Linnus, für die Immobilien des Parlamentes (DG INLO) zuständig, sowie der Spanier Jaume Duch Guillot, der die Kommunikationsabteilung (DG COMM) leitet. Daneben hat sich auch der Italiener Alessandro Chiocchetti beworben, der der Büroleiter von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola ist und in der Parlaments-Hierarchie als Direktor eine Stufe unter den Generaldirektoren eingruppiert ist.
Der Stellvertreter von Welle, Markus Winkler – ein ehemals enger Mitarbeiter von Martin Schulz (SPD) – hat keine Bewerbung abgegeben. Von wem die externe Bewerbung kommt, ist nicht bekannt.
Die Kandidaten haben sich mit einem Motivationsschreiben und ihrem Lebenslauf für die Stelle beworben, auf der man über 8.100 Mitarbeiter koordiniert. Das Verfahren: Eigentlich würde nun ein Gremium von fünf Generaldirektoren Interviews mit den Bewerbern führen und die drei am besten bewerteten Kandidaten anschließend dem Parlamentspräsidium zur finalen Entscheidung vorschlagen. Doch in Parlamentskreisen wird vermutet, dass es zu den Interviews auf Generaldirektoren-Ebene gar nicht kommt. Es sei seltsam, wenn Generaldirektoren unter sich die Entscheidung vorbereiten würden, wer künftig ihr Chef wird, heißt es.
Stattdessen gehe man davon aus, dass Parlamentspräsidentin Metsola und ihre 14 Stellvertreter in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause eine Liste der zulässigen Bewerbungen bekommen. Im Oktober, entweder in der ersten oder zweiten Sitzungswoche, soll dann die Entscheidung im Präsidium fallen. Daran beteiligt sind Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und die 14 Vize-Präsidenten.
Die vier Kandidaten, die bekannt sind, gelten allesamt als geeignet. Sie seien verhandlungssicher in mindestens drei Verkehrssprachen der EU, heißt es. Die drei Generaldirektoren haben zudem bereits bewiesen, dass sie große Stäbe leiten können.
Als aussichtsreichster Kandidat gilt jedoch Alessandro Chiocchetti. Metsola würde ihren Büroleiter und engsten Mitarbeiter gern auf den Posten hieven. Ob sie ihren Wunsch durchsetzt, ist offen. Wie zu hören ist, habe sich die Malteserin, die der christdemokratischen Parteienfamilie angehört, noch nicht endgültig entschieden.
Personalentscheidungen dieser Bedeutung auf EU-Ebene sind häufig kompliziert. Üblicherweise werden Pakete “geschnürt”, die neben dem Posten, um den es eigentlich geht, weitere Entscheidungen enthalten. Diesmal ist eine Entscheidung über eine Immobilie im Umfeld des Straßburger Europaparlaments zumindest mittelbar auch noch im Spiel. Mit einer Paketlösung wird üblicherweise die notwendige Unterstützung von anderen Parteienfamilien organisiert.
Im Fall der Welle-Nachfolge könnte das Paket vorsehen, dass die christdemokratische EVP Chiocchetti als Generalsekretär durchbringt und auf der Ebene der Generaldirektoren eine Rochade stattfindet, von der auch die Fraktion der Linken (GUE) sowie die der Konservativen (ECR) profitieren würden. Dazu soll eine weitere Generaldirektion neu gegründet werden – es wäre die 13. Organisationseinheit im Organigramm des Parlaments.
Die Liberalen (Renew) sollen über die Immobilie eingebunden sein. Die französische Regierung im Élysée-Palast hat starken Einfluss auf die Renew-Fraktion. Und so kommt es, dass Renew im Zuge der Personalentscheidung vor allem den Standort Straßburg als Hauptsitz des Europa-Parlaments stärken will. Unklar ist, ob die Sozialdemokraten (S&D) bei dem Paket mitmachen und was sie sich davon erhoffen.
Nun gibt es nicht nur Kritik daran, dass es ein “Paket” geben könnte. Auch die Integrität von Chiocchetti wird angezweifelt. Der 53-Jährige habe vor knapp 20 Jahren als Assistent im EU-Parlament für den Abgeordneten und Berlusconi-Intimus Marcello Dell’ Utri gearbeitet, heißt es. Dell’ Utri saß mehrere Jahre wegen Mafia-Kontakten im Gefängnis. In einem spektakulären weiteren Verfahren, bei dem ihm vorgeworfen wurde, für Berlusconi mit der Mafia verhandelt zu haben, wurde er vergangenes Jahr freigesprochen.
Dass Chiocchetti noch nicht Generaldirektor sei, disqualifiziere ihn nicht als Bewerber für den Posten als Verwaltungschef, heißt es aus Parlamentskreisen. Es sei bereits in der Vergangenheit vorgekommen, dass ein Direktor umgehend auf den Posten des Generalsekretärs aufsteige. Um hier Kritik vorzubeugen, wurde die Welle-Nachfolge auch nicht als AD-16-Stelle ausgeschrieben, wie sie der Deutsche hat, sondern eine Stufe niedriger auf der Besoldungsstufe AD 15.
Beobachter berichten, dass Paketlösungen im Parlament schon seit vielen Jahren üblich sind. Kritisch dabei sei, dass damit immer auch andere Faktoren eine Rolle bei der Stellenbesetzung spielten als die reine Qualifikation des Bewerbers. Zudem hätten Paketlösungen dazu beigetragen, dass über die Jahre ein enormer Zuwachs an Top-Stellen im EU-Parlament zu verzeichnen sei.
Durch die Umstellung auf Carbon-Farming-Praktiken soll die Landwirtschaft die CO2-Speicherung im Boden erhöhen (Europe.Table berichtete) und so stärker zu den Klimazielen beitragen. Im Gegenzug könnten die Landwirte mittels Zertifikatehandel eine neue Einnahmequelle erschließen. Zumindest, wenn es nach Unternehmen wie Indigo Agriculture geht, das in den USA bereits erste Zertifikate auf dem wachsenden Voluntary Carbon Market veräußert hat. Nun steht Indigo auch in Europa in den Startlöchern, wo noch am passenden Rechtsrahmen getüftelt wird.
Herr Goeres, Kritiker sagen, Carbon Farming sei in erster Linie eine neue Möglichkeit des Greenwashing für CO2-intensive Industrien. Was sagen Sie?
Carbon Farming ist in erster Linie eine Sequestrierung von CO2 im Boden und die Vermeidung anderer Gase im Anbau und damit etwas Gutes für die Umwelt und ein Beitrag, um die Klimaziele zu erreichen. Wir wollen, dass die Landwirtschaft Teil der Lösung in der Klimapolitik wird und auch, dass der private Sektor das mitfinanziert und nicht nur der Steuerzahler dafür aufkommt. Die meisten der großen Unternehmen haben mittlerweile Nachhaltigkeitsstrategien. Und viele wollen bereits in hochqualitative Carbon Credits investieren, die zertifiziert sind und bei denen sie wissen, dass die Klimaleistung auch erbracht wurde. Das sehe ich nicht als Greenwashing an. Das nimmt die Unternehmen schließlich nicht aus der Pflicht, ihre eigenen Emissionen zu senken.
Dabei gehört die Landwirtschaft selbst zu den größten Emittenten. Allein in Deutschland ist der Sektor für über 60 Millionen Tonnen Treibhausgase pro Jahr verantwortlich, den Energieverbrauch nicht einberechnet. Demgegenüber stehen Schätzungen von fünf bis 15 Millionen Tonnen, die durch Carbon Farming wieder eingefangen werden können. Dieses Ungleichgewicht macht deutlich, dass die Senken in einer klimaneutralen Zukunft in erster Linie für den Ausgleich unvermeidlicher landwirtschaftlicher Restemissionen benötigt werden.
Landwirte können CO2 binden. Das sollte honoriert werden. Wir brauchen den Landsektor als Senke. Ohne ihn ist der Klimawandel nicht zu bekämpfen und die Neutralitätsziele nicht zu erreichen, das sagt auch das IPCC. Deshalb glaube ich, dass wir besser unterwegs sind, wenn wir Anreize schaffen, die möglichst schnell möglichst viele Landwirte dazu bewegen, die Klimaleistung zu verbessern. Und da ist eine zusätzliche Einnahmequelle, beispielsweise durch Zertifikate oder den Anbau von kohlenstoffarmem Getreide, die bessere Antwort, als ein Pflichtsystem daraus zu machen. Sonst muss die Landwirtschaft am Ende selbst dafür aufkommen.
Es gibt ein großes Regelwerk, das genau dafür da ist, mit Milliarden an öffentlichen Fördergeldern unter anderem den Klimaschutz in der Landwirtschaft voranzutreiben und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit und Ernährungssicherung zu erhalten: die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). In den vergangenen Jahren sind die Gelder für Klimaschutz mehr oder weniger wirkungslos verpufft. Was spricht dagegen, einen größeren Teil davon für Carbon Farming bereitzuhalten?
Ein Beispiel: In Deutschland soll es 30 Euro pro Hektar für den erweiterten Fruchtwechsel geben. Das ist gut, aber dennoch nicht ausreichend. Ergänzt mit einem privaten Carbon-Farming-Programm sieht das schon anders aus. Das bringt, komplementär zu den Eco-Schemes, auch private Gelder, weil eben auch GAP-Budgets begrenzt sind. Das Zusammenspiel zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Hand muss hier gefördert werden. Das Gesamtpaket muss für den Landwirt attraktiv genug sein, seinen Betrieb umzustellen und die notwendigen Investitionen zu tätigen.
Wie könnten die Maßnahmen aussehen, den Betrieb umzustellen und die CO2-Speicherfähigkeit der Böden zu erhöhen?
Eine Möglichkeit ist der Anbau von Zwischenfrüchten. Wer hochwertige Leguminosen einsetzt, kann die Speicherfähigkeit durch den Humusaufbau deutlich erhöhen. Teilweise können diese Zwischenfrüchte auch geerntet und als Tierfutter verwendet werden. Wichtig ist außerdem, möglichst wenig zu pflügen, denn dabei wird CO2 wieder freigesetzt. Dritter Punkt wäre die optimale Abstimmung der Fruchtfolgen, um die Qualität der Böden zu erhalten oder zu verbessern. Dazu gehört grundsätzlich auch Flächenbeweidung mit Vieh. Das hilft den Böden, ist aber schwer umsetzbar. Allein schon, da es in Deutschland beispielsweise keine Zäune um die Felder gibt. Und ebenfalls wichtig: die Reduktion von synthetischen Düngemitteln.
Worin liegt der Nachteil für die Landwirte? Anders gefragt: Warum bedarf es so hoher Anreize aus Eco-Schemes und Zertifikatehandel, um Maßnahmen zu ergreifen, die zu einem besseren Boden führen?
Zunächst einmal ist ein landwirtschaftlicher Betrieb natürlich ein Unternehmen, das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt wird. Für die Umstellung, etwa auf Direktsaat, wird anderes Equipment benötigt. Diese Investitionen müssen finanziert werden. Und wenn ein Betrieb über Jahre oder Jahrzehnte hinweg auf eine bestimmte Art erfolgreich geführt wurde, ist eine solche Umstellung nicht sofort naheliegend. Da gibt es Risiken, Unsicherheiten und Fragen. Wir merken: Viele Landwirte sind grundsätzlich offen dafür. Aber das ist ein Prozess, der Moderation braucht. Auch wird die Reduktion von chemischen Düngemitteln oft mit einer Reduktion des Ertrags gleichgesetzt. Kurzfristig kann das vorkommen, denn die Umstellung geht nicht von jetzt auf gleich. Genau da setzen die Carbon-Farming-Programme an. Hier kann die GAP bei der Umstellung finanzielle Unterstützung leisten und der Zertifikatehandel später zusätzliche Einnahmen ermöglichen.
Dafür muss die CO2-Senkleistung im Boden messbar sein. Wie funktioniert das?
Dafür gibt es verschiedene Modelle. Ein Instrument ist die Auswertung von Daten auf Basis wissenschaftlicher Studien. Also: Wie wirken sich bestimmte Aktivitäten, beispielsweise ein spezieller Zwischenfruchtanbau, bei bestimmten klimatischen Bedingungen und Bodenbeschaffenheiten auf die CO2-Sequestrierung aus? Die andere Möglichkeit ist, vor Ort zu messen. Die Beprobung von allen Feldern ist nicht umsetzbar, da es enorme Kosten verursachen würde. Eine reine Modellierung reicht aber auch nicht aus, um sicher sein zu können, dass der Effekt auch wirklich eintritt. Deswegen nutzen wir in unserem Konzept eine Mischform zwischen Modellierung und Beprobung von statistisch ausgewählten Feldern, wodurch über die Jahre auch die Fehleranfälligkeit der Modelle sinkt.
Bleiben da nicht trotzdem einige Schlupflöcher offen?
Landwirte sorgen sich um die Gesundheit ihrer Böden und wollen das Richtige tun. Die suchen nicht nach Schlupflöchern. Und durch die vielen bestehenden Auflagen müssen Landwirte heute schon praktisch alles, was sie tun, in Karteien vermerken. Die ganze Dokumentation ist vor allem in Europa schon sehr umfassend gegeben. Trotzdem sind zur Sicherheit Kontrollmechanismen vorgesehen. Heute kann man über Satellitenbilder sehr gut sehen, ob tatsächlich Zwischenfrüchte angebaut oder ob ein Feld gepflügt wurde. Wenn das nicht mit den Angaben übereinstimmt, sagt das System sofort: Da stimmt etwas nicht.
Nun hat eine Senkleistung nur dann einen klimarelevanten Effekt, wenn sie möglichst dauerhaft ist. Wenn das Feld auch erst nach ein paar Jahrzehnten wieder umgepflügt wird, dann wird CO2 wieder freigesetzt und der Effekt verpufft. Wie kann das vermieden werden?
MRV – Monitoring, Reporting, Verification. Alle eingeschriebenen Felder unterliegen einer strengen Qualitätskontrolle. Veränderungen auf dem Feld werden erkannt und berichtet. Und nicht jedes Zertifikat wird auf den Markt gebracht. Rund 20 Prozent werden vom Register – eine unabhängige Organisation, die alle Zertifikate listet – als Sicherheits-Puffer einbehalten, um Risiken auszugleichen und Langfristigkeit zu gewährleisten. So wird eine Rücklage gebildet, und wenn ein Landwirt irgendwann wieder pflügen sollte, gleicht die Gemeinschaft das aus. Außerdem erfolgt die Auszahlung der Zertifikate nicht auf einmal, sondern über einige Jahre gestreckt. Und wir glauben grundsätzlich, dass die gesünderen Böden den Landwirten langfristig zugutekommen und sich die Vorteile durchsetzen, sodass die Betriebe gar nicht mehr zurückgehen möchten.
Das System basiert auf dem Prinzip der Additionalität, honoriert werden also Zusatzleistungen. Vereinfacht gesagt: Wenn ein Boden bislang besonders schlecht war, ist das Potenzial für Verbesserung und damit der finanzielle Anreiz umso höher. Im Umkehrschluss kann ein Landwirt, der bereits gesunden Boden mit viel Humus hat, kaum profitieren. Klingt ziemlich unfair für Ökobauern, die bereits aktiven Umweltschutz betreiben.
Innovationen und finanzielle Anreize auf dem Weg zu einer kohlenstoffarmen Landwirtschaft sind vielseitig und nicht alleine auf Carbon Credits begrenzt. Was wir erreichen wollen, ist eine möglichst hohe CO2-Senkleistung im Boden. Und das wird nicht funktionieren, ohne dass wir die konventionelle Landwirtschaft mit einbinden. Die müssen wir mobilisieren. Die Förderung der Biolandwirtschaft sollte natürlich nicht zu kurz kommen: staatlich oder privat. In unserem Programm zur Reduktion von Scope-3-Emissionen investieren unter anderem Lebensmittelunternehmen, die CO2 und weitere Treibhausgase in ihrer Wertschöpfungskette minimieren möchten. Diese Programme sind auch für Bio-Landwirte offen und sie können davon profitieren.
Die Nachfrage ist hoch. Nun geht es darum, das Angebot zu erweitern. Auf welchem Markt spielt sich das ab und wie funktioniert er?
Es gibt den staatlich regulierten Carbon Market und den Voluntary Carbon Market. Wir konzentrieren uns auf Letzteren. Unternehmen brauchen in ihren Klimaneutralitätsbestrebungen belastbare und bilanzfähige Lösungen zur Kompensation von unvermeidlichen Emissionen. Reduktion alleine reicht nicht. Wichtig ist, dass die hohe Nachfrage mit Qualität beantwortet wird und einheitliche Standards für Carbon Credits gelten, wie zum Beispiel Echtheit, Additionalität und Langfristigkeit. Das muss sich entsprechend im Preis und der angemessenen Honorierung der Landwirte widerspiegeln.
Welche Rolle spielt Indigo Agriculture dabei?
Wir bringen die verschiedenen Teilnehmer zusammen und schaffen den Landwirten Zugang zum wachsenden Voluntary Carbon Market. Mit der unabhängigen Organisation Verra haben wir einen Methoden-Standard entwickelt, der erstmalig die bodenbezogene THG-Reduktion und Kohlenstoffbindung quantifiziert und nachweisbar macht. Landwirte im Programm unterstützen wir bei der Umstellung, teilweise mit spezialisierten Partnerfirmen. Dann geht es um die Aufnahme der Daten, Qualitätssicherung, Modellierung sowie die externe Verifizierung und Zertifizierung durch unabhängige Instanzen. In Europa wäre das Verra. In den USA arbeiten wir mit der Climate Action Reserve. Die geben uns die Zertifikate und wir veräußern diese an die Industrie und geben den Landwirten der Ertrag zurück.
In Brüssel ist Carbon Farming inzwischen ein viel diskutierter Ansatz. Die EU-Kommission arbeitet an einem regulatorischen Rahmen für die Zertifizierung von Senkleistungen. Was sind Ihre Erwartungen daran?
Wir begrüßen es, dass sich die Kommission damit beschäftigt. Damit der Markt funktioniert, brauchen wir regulatorische Klarheit, Vertrauen und einheitliche Qualitätsstandards. Wichtig dabei ist, das Zusammenspiel zwischen staatlichem und privatem Sektor zu organisieren und den Innovationssprung des internationalen Carbon Market für europäische Klimaziele nutzbar zu machen. Dem Ziel, Ernährungssicherung mit Klimaschutz zu verheiraten, kommen wir dann auch einen bedeutenden Schritt näher.
10.08.2022 – 09:00-10:00 Uhr, online
ASEW, Seminar Das Kommunale Frühstück 2.0 – Bürger:innen zur Energiewende motivieren
Bei dieser Seminarreihe der Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) berichten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Stadt und Stadtwerken von Synergien und Herausforderungen der Zusammenarbeit auf dem Weg zur Energiewende. INFOS & ANMELDUNG
10.08.2022 – 18:00-19:00 Uhr, online
FNS, Panel Discussion War in Europe: Russian Imperalism for Dummies
The panel, hosted by the Friedrich Naumann Foundation (FNS), will discuss Germany’s failures in foreign policy regarding Russia as well as lessons that can be learned from them. INFOS & REGISTRATION
11.08.2022 – 10:00-11:00 Uhr, online
Bitkom, Seminar Sustainability for Future
Dieses Seminar soll Möglichkeiten aufzeigen, wie Software dazu beitragen kann, den Energieverbrauch zu senken und so die Nachhaltigkeit von Unternehmen zu steigern. INFOS & ANMELDUNG
11.08.2022 – 12:00-18:00 Uhr, Köln
Deutsche Medienakademie, Konferenz Ist Glasfaser ausdiskutiert oder war da doch noch etwas?
Die Kernthemen dieser Konferenz sind zum einen die Nachfrage an hohen Glasfaser-Kapazitäten sowie die politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen und Strategien in diesem Bereich. INFOS & ANMELDUNG
15.08.2022 – 09:00-11:00 Uhr, Kempen
BVMW, Seminar Endlich digital! Vom Buzzwort in die gelebte Unternehmenspraxis
Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser Veranstaltung des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) sollen anhand von Praxisbeispielen Möglichkeiten für eine digitale Zukunft in Unternehmen nahegebracht werden. INFOS & ANMELDUNG
16.08.-19.08.2022, Lichtenfels
BPB, Seminar Corona, Klima & Co. – Die Krisen unserer Zeit
Die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise, der sogenannten “Flüchtlingskrise”, der Coronakrise, der Klimakrise und außenpolitischer Krisen wie dem russischen Angriff auf die Ukraine werden von der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) diskutiert. INFOS & ANMELDUNG
16.08.2022 – 11:00-15:30 Uhr, Hagen/online
Fernuniversität Hagen, Konferenz Vernetzte Versorgung – Die Zukunft ist digital: Jetzt austauschen, vernetzen und voneinander lernen
Das Zentrum für Telematik und Telemedizin und das Virtuelle Krankenhaus NRW laden ein zu einer Diskussion über Digitalisierung in den Bereichen Telemedizin/Telekonsile. INFOS & ANMELDUNG
16.08.2022 – 17:00-18:00 Uhr, online
VDE, Seminar Trends und Themen aus der Medizintechnik – Potenziale der KI in der Gesundheitsversorgung
Der Referent des Verbandes der Elektrotechnik (VDE) wird neben einem technischen Blick auf Künstliche Intelligenz (KI) die Möglichkeiten der Nutzung von KI bei Gesundheitsfragen sowie klinische Einsatzfelder thematisieren. INFOS & ANMELDUNG
Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis hat jede Verantwortung für das monatelange Abhören des Handys eines Oppositionspolitikers durch den griechischen Geheimdienst (EYP) zurückgewiesen. “Das, was passiert ist, mag gesetzmäßig gewesen sein, aber es war falsch. Ich wusste davon nichts, und offensichtlich hätte ich so etwas auch nie genehmigt”, sagte der Regierungschef am Montag in einer Ansprache, die vom Staatssender ERT übertragen wurde.
Zuvor hatte der EU-Parlamentarier und Chef der griechischen sozialdemokratischen Partei Pasok, Nikos Androulakis, Anzeige gegen Unbekannt erstattet mit dem Verdacht, dass sein Handy abgehört werde. Die Ermittlungen brachten zutage, dass das Handy tatsächlich monatelang vom griechischen Geheimdienst abgehört worden war. Im Zuge der Enthüllungen traten am Freitag der Chef des Nachrichtendienstes (EYP), Panagiotis Kontoleon, sowie der Generalsekretär des Regierungsbüros, Grigoris Dimitriadis, zurück.
Regierungschef Mitsotakis erklärte, der Geheimdienst habe die politische Dimension seines Vorgehens nicht erkannt, auch wenn er sich dabei an geltendes Recht gehalten habe. Er kündigte eine strengere Kontrolle des EYP an.
Die Opposition verlangt eine gründliche Untersuchung und spricht von Mitsotakis’ persönlichem Watergate. Noch vernichtender fiel das Urteil des Abhör-Opfers selbst aus: “Mit seiner heutigen Erklärung zeigte sich der Ministerpräsident erneut schuldlos, indem er das Narrativ eines ‘Rechtsfehlers’ bemüht, um eine Straftat zu rechtfertigen”, ließ Androulakis mitteilen.
Wer die Abhöraktion beauftragt hat und warum, blieb damit weiter offen. Der nun zurückgetretene Geheimdienstchef Kontoleon soll zu Protokoll gegeben haben, er habe auf Wunsch ukrainischer und armenischer Behörden gehandelt, die sich für Androulakis als EU-Parlamentarier interessiert hätten. Das wiesen Vertreter beider Länder umgehend zurück. dpa/rtr
Allein im Verkehrssektor kann Europa bis 2030 ein Drittel seines Ölbedarfs einsparen, was ausreicht, um die Abhängigkeit von Öl aus Russland vollkommen zu beenden. Dies ergibt eine gestern veröffentlichte Studie von Transport & Environment (T&E), in der die Umweltorganisation auch verschiedene Maßnahmen für die Reduzierung des Erdölverbrauchs im Verkehrssektor empfiehlt.
Zwei Drittel des Erdölbedarfs der EU entfallen laut T&E auf den Verkehr. Die Europäische Kommission hat aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine einen Importstopp vor Jahresende und ein Verbot für EU-Schiffe, die russisches Öl transportieren, beschlossen. Die T&E-Studie bewertet, wie und in welchem Umfang die EU die Ölnachfrage senken kann. Dabei stützt sie sich auf die wichtigsten Verkehrsempfehlungen aus der im Mai vorgelegten REpowerEU-Strategie der EU (Europe.Table berichtete).
Zu den kurzfristigen Maßnahmen, die in diesem Jahr erreichbar und leicht umsetzbar sind, gehören die Senkung der Mineralölsteuer, aerodynamische Ausstattungen von Lkw, die Reduzierung von Geschäftsflügen und eine verringerte Pkw-Nutzung. Dadurch könnte die Ölnachfrage um 38,8 Millionen Tonnen Rohöleinheiten gesenkt werden, was der Hälfte der russischen Importe der EU entspricht.
Mit mittel- und langfristigen Maßnahmen wie der Elektrifizierung von Fahrzeugen oder der Treibstoffeffizienz von Schiffen kann die EU laut der Studie die Nachfrage bis 2030 um 111,5 Millionen Tonnen Rohöleinheiten senken. Insgesamt können die Maßnahmen bis 2030 insgesamt 34 Prozent des Ölbedarfs in der EU einsparen. leo
Die Bundesnetzagentur hält es unter bestimmten Bedingungen für möglich, dass eine Gasnotlage im kommenden Winter vermieden werden kann. Dies geht aus dem neuesten Szenarienkatalog der Behörde hervor, der am Montag veröffentlicht wurde.
Eine Variante beschreibt die aus Sicht der Behörde nötigen Maßnahmen unter der Annahme, dass die Ostseepipeline Nord Stream 1 bis Juni 2023 weiterhin dauerhaft nur zu 20 Prozent der Maximalkapazität ausgelastet ist, wie es aktuell der Fall ist (Europe.Table berichtete). Um im kommenden Winter eine Gasmangellage zu verhindern, sei dann neben einer Verbrauchsreduktion um 20 Prozent auch eine Reduktion der Transitmengen in Nachbarländer um 20 Prozent nötig.
Sollen die deutschen Gasspeicher zudem am 1. Februar zu 40 Prozent gefüllt sein und soll die Versorgung auch im nächsten Winter gesichert sein, müssen dem Modell zufolge zusätzlich noch die Importkapazitäten etwa für Flüssigerdgas erhöht werden. Die ersten LNG-Terminals sollen laut Bundesregierung schon im kommenden Winter in Betrieb gehen (Europe.Table berichtete).
Selbst unter der Annahme, dass kein russisches Gas mehr nach Deutschland fließt, ist laut Bundesnetzagentur eine Mangellage im kommenden Winter noch vermeidbar. Die Transitmengen müssten dann jedoch noch weiter reduziert werden, sollte es keine Importerhöhung geben. In allen Null-Prozent-Szenarien werde es aber dann im nächsten Winter 23/24 ohne zusätzliche Gegenmaßnahmen wie etwa höhere Verbrauchsreduktionen zu Versorgungsproblemen kommen.
Eine gemeinsame Untersuchung der Universität Bonn und der Universität Köln kam zu dem Schluss, dass Deutschland bis zum Frühjahr den Gasverbrauch um etwa 25 Prozent reduzieren müsste, sollte Russland seine Gaslieferungen in den kommenden Wochen komplett einstellen (Europe.Table berichtete). dpa/sas
Der Chemiekonzern Evonik will an seinen deutschen Standorten Erdgas teilweise durch andere Stoffe ersetzen. Insgesamt könnten bis zu 40 Prozent des deutschen Evonik-Erdgasbezugs ohne nennenswerte Einschränkung der Chemieproduktion ersetzt werden, berichtete das Unternehmen am Montag in Essen.
Evonik bezieht nach eigenen Angaben insgesamt rund 15 Terawattstunden (TWh) Erdgas pro Jahr. Es wird zum überwiegenden Teil zur Energie- und Dampferzeugung genutzt. Gut ein Drittel davon entfällt auf Deutschland, also rund 5 TWh. Die Menge entspricht rund 0,5 Prozent des gesamten Erdgasverbrauchs in Deutschland im vergangenen Jahr.
Die bedeutendste Maßnahme werde am Standort in Marl realisiert, hieß es. Im dortigen Gaskraftwerk will Evonik Liquefied Petroleum Gas (LPG) anstatt Erdgas zur Energieerzeugung nutzen. Im Unterschied zu vor allem aus Methan bestehenden Erdgas besteht LPG vor allem aus Butangas, das in dem Chemiewerk als Nebenprodukt anfällt. Bislang wurde es von der Gelsenkirchener Raffinerie des Mineralölkonzerns BP abgenommen. BP und Evonik wollen jetzt gemeinsam “eine ausreichende LPG-Versorgung in Marl sicherstellen”.
Einen weiteren Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung soll der Weiterbetrieb des Evonik-Kohlekraftwerks Marl leisten. Dessen Stilllegung war ursprünglich für dieses Jahr geplant. An anderen Standorten will Evonik Erdgas teilweise durch Heizöl ersetzen. Entsprechende Investitionen seien bereits eingeleitet worden, sagte ein Sprecher. dpa
Lettland will etwa eine Milliarde Euro in den Bau von Windparks investieren, um die lokale Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu erhöhen und die Energiesicherheit zu stärken. Ministerpräsident Krišjānis Kariņš sprach am Montag in Riga von einer der größten Investitionen in der Geschichte des Landes. “Das ist eine mittelfristige Lösung, die es uns ermöglichen wird, bei der Energieversorgung völlig unabhängig zu werden und weniger fossile Ressourcen verbrauchen zu müssen”, sagte Kariņš der lettischen Nachrichtenagentur Leta zufolge.
Nach Umsetzung des Projekts könnte der an Russland grenzende kleine Ostseestaat von einem Stromimporteur zu einem -exporteur werden, sagte Karins. Demnach produziere Lettland gegenwärtig 40 Prozent seines benötigten Stroms selbst, 60 Prozent werden mittels Importen gedeckt. Wenn Russland bisher die Hauptimportquelle gewesen sei, müsse die Quelle jetzt vergessen werden, sagte der Regierungschef.
Nach Angaben von Wirtschaftsministerin Ilze Indriksone sollen die geplanten Windparks eine Kapazität von 800 Megawatt haben. Damit könnten 2,4 Terawattstunden Strom pro Jahr produziert werden – dies entspreche umgerechnet rund 30 Prozent des gesamten Stromverbrauchs Lettlands im vergangenen Jahr. Zuständig für die Errichtung und den Betrieb der Windparks mit insgesamt 100 bis 120 Windrädern ist eine neugegründete Gemeinschaftsfirma des lettischen Stromversorgers und der staatlichen Forstverwaltung.
Lettland hatte vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine im Mai den Import von Strom aus Russland eingestellt. Noch ist es aber – wie auch Estland und Litauen – weiter Teil eines gemeinsamen, synchron geschalteten Stromnetzes mit Russland und Belarus – des aus Sowjetzeiten stammenden sogenannten BRELL-Ringsystems. Damit hängen die Baltenstaaten quasi mit am Netz der beiden Nachbarländer im Osten. Russland liefert dem Lettland mittlerweile kein Gas mehr (Europe.Table berichtete). dpa/sas
Der Klimawandel verstärkt einer Studie zufolge die Ausbreitung vieler Krankheitserreger. Ein Forscherteam der Universität Hawaii kommt in einer Übersichtsarbeit zu dem Schluss, dass 58 Prozent der von Krankheitserregern ausgelösten Leiden durch den Klimawandel verschlimmert werden können. Das geschehe durch die Erwärmung an sich, aber auch durch extreme Wetterphänomene wie Dürren, Überschwemmungen oder Hitzewellen. Der Studie im Fachjournal “Nature Climate Change” lag eine Liste von 375 Krankheiten weltweit zugrunde, die von Erregern wie Viren, Bakterien, aber auch Pflanzenpollen oder Pilzen ausgelöst werden.
Die Forscher fanden bei ihrer Literaturrecherche über 1000 einzelne Übertragungspfade, auf denen jeweils ein Krankheitserreger durch den Klimawandel gefördert wurde. So könnten etwa Wärme (160 einzelne Krankheiten) oder Überschwemmungen (121) die Verbreitung von Erregern wie Bakterien oder die von Mücken, Zecken und anderen Krankheitsüberträgern fördern.
Dazu kommen indirekte Faktoren. Beispielsweise drängen Dürren Wildtiere näher an Wohngebiete, wodurch das Risiko von Zoonosen steigt. Überschwemmungen zwingen Menschen, in andere Gegenden zu ziehen, wo sie stärker bestimmten Keimen ausgesetzt sein könnten. Wetterextreme können darüber hinaus über Stress oder Mangelernährung das menschliche Immunsystem schwächen und die Anfälligkeit für Infektionen erhöhen. Die Forschenden nennen über 1000 mögliche Zusammenhänge zwischen klimawandelbedingten Ereignissen und der Ausbreitung von Krankheiten.
Mitautor Tristan McKenzie von der Universität Hawaii hebt Krankheiten, die von Vektoren (wie Stechmücken oder Zecken) übertragen werden, hervor. “Wir haben über 100 Krankheiten gefunden, die durch diesen Übertragungsweg verstärkt wurden”, teilte McKenzie auf Anfrage mit. Es sei laut den Forschenden jedoch unmöglich, die stärkere Ausbreitung von Krankheiten durch den Klimawandel zu verhindern oder sich daran anzupassen. Dafür seien die Erreger und Übertragungswege zu zahlreich.
Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, hatte zuvor bereits dazu aufgerufen, exotische Krankheiten hierzulande in den Blick zu nehmen. “Der Klimawandel führt in Deutschland zu einer Ausdehnung der Lebensräume für Mücken und Zecken“, sagte Wieler den Zeitungen der Funke Mediengruppe. “Viele Mücken- und Zeckenarten können virale, bakterielle und parasitäre Infektionserreger übertragen”, so Wieler. Das könnten etwa Zika- oder Dengue-Viren sein. “Auch ist eine Rückkehr der Malaria möglich, die durch Plasmodien hervorgerufen wird.” Ein wichtiges Anliegen des RKI sei es daher, die Ärzteschaft für diese Krankheiten zu sensibilisieren.
Renke Lühken, Ökologe beim Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg, sieht die Entwicklung ebenfalls mit Sorge. “Exotische Stechmückenarten wie die Asiatische Tigermücke etablieren sich in weiten Teilen Europas.” Die Mücke ist für Ausbrüche des Chikungunya-Virus und Dengue-Virus im Mittelmeerraum verantwortlich.
Das Forschungsteam der Universität Hawaii sieht die Notwendigkeit für “aggressive Maßnahmen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen”, angesichts der drohenden Risiken durch die vom Klimawandel befeuerten Krankheiten. Lühken teilt diese Einschätzung. Es müssten Überwachungssysteme etabliert werden, um Änderungen in der Prävalenz der Krankheitserreger frühzeitig erfassen zu können.
“Außerdem müssen schon jetzt Szenarien zur Prävention entwickelt werden – beispielsweise zur Stechmückenbekämpfung.” In Zentraleuropa könne man dabei insbesondere von den Ländern im Mittelmeerraum oder des globalen Südens lernen, die schon viele Jahre mit den sich aktuell ausbreitenden Krankheitserregern konfrontiert sind, so Lühken. dpa/luk
Bis Ende 2022 will die G7 einen “offenen, kooperativen internationalen Klimaclub” ins Leben rufen, um koordinierte Maßnahmen zu fördern, mit denen das im Pariser Klimaabkommen festgelegte Ziel einer maximalen Erwärmung von 1,5 Grad erreicht werden kann, ohne dass jemand einen Wettbewerbsnachteil erleidet. Obwohl der Ruf nach internationalen Klimaschutzmaßnahmen schon seit Jahrzehnten zu hören ist, gibt es guten Grund zu der Annahme, dass es dieses Mal anders sein wird.
Der Klimaclub ist eine Idee des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (Europe.Table berichtete), dessen Vorschlag auf vier Prämissen beruht. Erstens müssen die internationalen Klimamaßnahmen breit angelegt und konsistent sein, wobei alle Clubmitglieder die gleichen Ziele anstreben sollten. Zweitens sollte es den Ländern erlaubt sein, diese gemeinsamen Ziele auf ihre eigene Art und Weise zu verfolgen, solange sich alle an “eine einheitliche Messung des CO2-Gehalts von Produkten und Materialien” halten. Drittens sollten die Entwicklungsländer Unterstützung erhalten, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Und schließlich sollten “klimapolitische Vorreiter” auf dem Weltmarkt nicht durch den Wettbewerb mit billigeren, kohlenstoffintensiveren Methoden benachteiligt werden.
Dieser Vorschlag mag wie ein Aufguss vergangener klimapolitischer Strategien klingen, jedoch verlagert er grundlegend den Schwerpunkt der Politikgestaltung. In der Vergangenheit haben wir die Klimapolitik nur in zwei Dimensionen betrachtet: das Klima und die Wirtschaft. Dies hat dazu geführt, dass man sich auf Ideen wie die globale Kohlenstoffbepreisung konzentriert hat, die aus rein wirtschaftlicher Sicht sehr sinnvoll ist. Die Verursacher emittieren übermäßige Mengen an CO2 in die Atmosphäre, weil die Kosten der Gesellschaft auferlegt werden. Die Lösung besteht also darin, dafür zu sorgen, dass die Verursacher zahlen.
Das Problem ist, dass sich die Bürger oft gegen solche Maßnahmen wehren, insbesondere wenn es keinen Mechanismus gibt, um diejenigen zu entschädigen, die durch die höheren Kosten benachteiligt werden (z. B. einkommensschwache Haushalte, die sich grundlegende Güter nicht zu umweltfreundlichen Preisen leisten können, oder Menschen, die in kohlenstoffintensiven Sektoren arbeiten).
Außerdem sind die mit der Kohlenstoffbepreisung verbundenen Kosten nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch sozialer Natur. Selbst wenn die Einnahmen aus einer Kohlenstoffsteuer für die Armen und Vertriebenen ausgegeben werden, können Gemeinschaften, die von fossilen Brennstoffen abhängig sind, zusammenbrechen, und manche könnten das Gefühl haben, dass sie ihre Zukunft nicht mehr selbst gestalten können.
Dies waren einige der Lehren aus den Protesten der Gelbwesten in Frankreich 2018/19, die als Reaktion auf eine geringfügige Erhöhung der Steuer auf Dieselkraftstoff ausgebrochen waren. Und ein ähnliches Problem plagt seit langem die globale klimapolitische Debatte. Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen nehmen es übel, wenn sie von den reichen Industrieländern – den größten Emittenten der Geschichte – aufgefordert werden, mehr für die Energie zu zahlen, die sie für ihre Entwicklung benötigen. Diese potenziellen Auswirkungen anzuerkennen bedeutet, sich von einer abstrakten zweidimensionalen Welt in eine dreidimensionale Welt zu begeben, die näher an der Realität ist, in der wir leben.
Während die zweidimensionale Welt der Wirtschaftsmodelle anhand des BIP und der Kohlenstoffpreise gemessen werden kann, erfordert die reale Welt andere Maßstäbe, um die volle Bedeutung jeder Politik zu erfassen. Zu diesem Zweck haben einer von uns (Snower) und Katharina Lima de Miranda eine Metrik mit dem Akronym SAGE vorgeschlagen: solidarity, agency, gain, environment (Solidarität, Handlungsfreiheit, Gewinn, Umwelt).
Dabei bezieht sich Solidarität auf das Ausmaß der sozialen Eingliederung und des sozialen Zusammenhalts, Handlungsfreiheit auf die Fähigkeit der Menschen, ihr Leben selbst zu gestalten, und Gewinn und Umwelt beziehen sich auf die traditionellen Maßstäbe der Wirtschaftsleistung bzw. der ökologischen Nachhaltigkeit.
Ein Solidaritätswert steigt, wenn es mehr soziales Vertrauen, Großzügigkeit usw. gibt; der Grad der Handlungsfreiheit steigt, wenn die Menschen mehr Vertrauen in ihre Fähigkeit haben, lohnende Ziele zu erreichen. Durch die Ausweitung des Geltungsbereichs über das BIP-Wachstum hinaus ermöglicht das SAGE-Modell, die Verbindungen zwischen Wirtschaftspolitik und sozialem Wohlergehen neu zu koppeln.
Als neue Methode zur Diskussion und Bewertung von klimapolitischen Strategien kann das SAGE-Modell uns helfen zu verstehen, warum einige Strategien in der Vergangenheit nicht funktioniert haben. Die herkömmliche Kohlenstoffbepreisung hat zum Beispiel oft den Solidaritätstest nicht bestanden, da sie Gewinner und Verlierer (sowohl wirtschaftlich als auch sozial) hervorgebracht hat, und auch den Handlungsfreiheitstest nicht bestanden, da sie die Stimmen der Menschen in diesem Prozess ignoriert hat.
Die Gelbwesten beklagten beispielsweise, dass die Unbezahlbarkeit des städtischen Lebens in Frankreich viele Arbeiter dazu zwang, außerhalb der Städte zu leben, wo sie aufgrund der begrenzten Möglichkeiten des öffentlichen Nahverkehrs gezwungen waren, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Die Demonstranten hatten das Gefühl, dass es ihnen an Solidarität und Handlungsfähigkeit mangelte (weil sie bei der Suche nach Wohnraum, geeigneten Verkehrsmitteln und Mobilität kaum eine Wahl hatten).
Nur wenn wir die sozialen Bedürfnisse der Menschen (neben den wirtschaftlichen und ökologischen Bedürfnissen) berücksichtigen, können wir tragfähige politische Reformen vorantreiben. Das bringt uns zurück zu dem von der G7 vorgeschlagenen Clubmodell. Wenn es richtig umgesetzt wird, kann es neben wirtschaftlichen und ökologischen Faktoren auch soziale Faktoren berücksichtigen und damit dort erfolgreich sein, wo ähnliche Bemühungen in der Vergangenheit gescheitert sind.
Laut Olaf Scholz wird der Klimaclub “die Zusammenarbeit zwischen Ländern fördern, die den für die Bewältigung des Klimawandels erforderlichen sozialen und wirtschaftlichen Wandel vorantreiben wollen”. Das Ergebnis wäre in der Praxis eine Partnerschaft, in der sich die Teilnehmer zu ehrgeizigen, klar definierten Klimazielen sowie zu den spezifischen nationalen Maßnahmen verpflichten, die zum Erreichen dieser Ziele erforderlich sind.
Scholz’ Team räumt ein, dass reiche Länder, die in der Vergangenheit am meisten Kohlenstoff emittiert haben, in einer anderen Position sind als andere. Es verweist auf die “gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten” – eines der Kernprinzipien des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen von 1992. Der Klimaclub ist sich daher der unterschiedlichen Anforderungen bewusst, die ein gemeinsames Ziel an verschiedene Länder stellt, und ist der Ansicht, dass dies eine “intensive Zusammenarbeit bei der industriellen Transformation und dem Aufbau von Kapazitäten” erfordert.
Indem er die Länder dazu ermutigt, ihre Klimapolitik im Einklang mit ihren sozioökonomischen Gegebenheiten zu gestalten, ist der Klimaclub gut aufgestellt, um einige der Probleme zu vermeiden, die zu den Protesten der Gelbwesten geführt haben. Aber um erfolgreich zu sein, muss er maximal ehrgeizig sein (mit dem Ziel von 1,5 Grad), maximal integrativ und maximal kreativ in den politischen Wegen, die er eröffnet. Es ist diese Flexibilität, die Industrie- und Entwicklungsländern helfen wird, zusammenzuarbeiten, auf die Perspektiven der anderen zu hören und daraus zu lernen. Wenn dies gelingt, könnte der Club einen weltweiten Dominoeffekt auslösen und die dringend benötigte Hoffnung wecken, dass der Kampf gegen den Klimawandel gewonnen werden kann.
In Zusammenarbeit mit Project Syndicate, aus dem Englischen von Andreas Hubig.
heute tritt der europäische Gas-Notfallplan in Kraft. Mindestens 15 Prozent Gas wollen die EU-Staaten von August bis März kommenden Jahres einsparen – zunächst freiwillig und bei einem unionsweiten Alarm auch verpflichtend. Es ist ein Signal an den Kreml, auch wenn die Mehrheit der Mitgliedstaaten Ausnahmen durchgesetzt hat. Deutschland müsste etwa 10 Milliarden Kubikmeter Gas weniger verbrauchen, um das 15-Prozent-Ziel zu erreichen.
Doch trotz der starken Abhängigkeit der Bundesrepublik von russischem Gas lasse sich eine Gasnotlage in Deutschland vermeiden – zu diesem Schluss kommt die Bundesnetzagentur in einer aktuellen Modellrechnung. Das gelte selbst dann, wenn kein russisches Erdgas mehr nach Deutschland fließt. Mehr dazu lesen Sie in den News.
Wer wird Klaus Welles Nachfolgerin oder Nachfolger? Für das kommende Jahr hat Welle seinen Rückzug vom Posten des Generalsekretärs des Europaparlaments angekündigt – nach 13 Jahren in dieser Position. Um die Neubesetzung wird mit harten Bandagen gekämpft. Fünf Bewerbungen gibt es, vor allem ein Kandidat ist aussichtsreich, allerdings nicht unumstritten, wie Markus Grabitz berichtet.
Landwirte sollen ihre Böden so bewirtschaften, dass sie mehr CO2 speichern – das ist die Idee hinter Carbon Farming. Im Gegenzug könnten auf Grundlage eines Zertifikatehandels finanzielle Anreize für die Bäuerinnen und Bauern entstehen. Ist das sinnvoller Klimaschutz oder doch nur Greenwashing? Und wie lässt sich die CO2-Senkleistung im Boden überhaupt messen? Darüber hat Timo Landenberger mit Georg Goeres gesprochen, dem Europa-Geschäftsführer von Indigo Agriculture. Das US-Unternehmen hat in den USA bereits erste Zertifikate auf dem wachsenden Voluntary Carbon Market verkauft, nun will es in Europa starten.
Die Gelbwesten als mahnendes Beispiel: Eine zeitgemäße Klimapolitik dürfe nicht nur das Klima und die Wirtschaft im Blick haben, sondern müsse auch die sozialen Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen, schreiben Avram Alpert und Dennis J. Snower im Standpunkt. Genau das kann in ihren Augen mit dem von Bundeskanzler Olaf Scholz vorgeschlagenen Klimaclub gelingen – wenn er denn richtig umgesetzt wird.
Nach 13 Jahren bekommt das Europaparlament im kommenden Jahr einen neuen Generalsekretär. Amtsinhaber Klaus Welle, ein gebürtiger Westfale mit CDU-Parteibuch, dem Beobachter unabhängig von der Parteizugehörigkeit große Verdienste um das Parlament bescheinigen, hat seinen Rückzug für Anfang 2023 angekündigt. Im laufenden Verfahren zur Besetzung seines Postens, das mit harten Bandagen ausgetragen wird, drohen Parlamentspräsidentin Roberta Metsola (Europe.Table berichtete) sowie das Europaparlament Schaden zu nehmen.
Bewerbungsschluss für den Posten des Verwaltungschefs, der auf der EU-internen Besoldungsstufe bei AD 15 angesiedelt ist und eine Grundvergütung von 19.958 Euro monatlich erhält, war der 1. August. Nach Informationen von Europe.Table haben fünf Bewerber ihre Unterlagen eingereicht. Darunter ist dem Vernehmen nach eine externe Bewerbung, bei der noch geklärt wird, ob sie zulässig ist. Die Ausschreibung hatte sich an “interessierte Beamte” gewendet.
Vier Kandidaten sind aber auf alle Fälle im Rennen. Darunter sind drei Generaldirektoren aus der EU-Parlamentsverwaltung: die Polin Agnieszka Walter-Drop, die für die Konferenzdienstleistungen (DG LINC) zuständig ist, die Finnin Leena Maria Linnus, für die Immobilien des Parlamentes (DG INLO) zuständig, sowie der Spanier Jaume Duch Guillot, der die Kommunikationsabteilung (DG COMM) leitet. Daneben hat sich auch der Italiener Alessandro Chiocchetti beworben, der der Büroleiter von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola ist und in der Parlaments-Hierarchie als Direktor eine Stufe unter den Generaldirektoren eingruppiert ist.
Der Stellvertreter von Welle, Markus Winkler – ein ehemals enger Mitarbeiter von Martin Schulz (SPD) – hat keine Bewerbung abgegeben. Von wem die externe Bewerbung kommt, ist nicht bekannt.
Die Kandidaten haben sich mit einem Motivationsschreiben und ihrem Lebenslauf für die Stelle beworben, auf der man über 8.100 Mitarbeiter koordiniert. Das Verfahren: Eigentlich würde nun ein Gremium von fünf Generaldirektoren Interviews mit den Bewerbern führen und die drei am besten bewerteten Kandidaten anschließend dem Parlamentspräsidium zur finalen Entscheidung vorschlagen. Doch in Parlamentskreisen wird vermutet, dass es zu den Interviews auf Generaldirektoren-Ebene gar nicht kommt. Es sei seltsam, wenn Generaldirektoren unter sich die Entscheidung vorbereiten würden, wer künftig ihr Chef wird, heißt es.
Stattdessen gehe man davon aus, dass Parlamentspräsidentin Metsola und ihre 14 Stellvertreter in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause eine Liste der zulässigen Bewerbungen bekommen. Im Oktober, entweder in der ersten oder zweiten Sitzungswoche, soll dann die Entscheidung im Präsidium fallen. Daran beteiligt sind Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und die 14 Vize-Präsidenten.
Die vier Kandidaten, die bekannt sind, gelten allesamt als geeignet. Sie seien verhandlungssicher in mindestens drei Verkehrssprachen der EU, heißt es. Die drei Generaldirektoren haben zudem bereits bewiesen, dass sie große Stäbe leiten können.
Als aussichtsreichster Kandidat gilt jedoch Alessandro Chiocchetti. Metsola würde ihren Büroleiter und engsten Mitarbeiter gern auf den Posten hieven. Ob sie ihren Wunsch durchsetzt, ist offen. Wie zu hören ist, habe sich die Malteserin, die der christdemokratischen Parteienfamilie angehört, noch nicht endgültig entschieden.
Personalentscheidungen dieser Bedeutung auf EU-Ebene sind häufig kompliziert. Üblicherweise werden Pakete “geschnürt”, die neben dem Posten, um den es eigentlich geht, weitere Entscheidungen enthalten. Diesmal ist eine Entscheidung über eine Immobilie im Umfeld des Straßburger Europaparlaments zumindest mittelbar auch noch im Spiel. Mit einer Paketlösung wird üblicherweise die notwendige Unterstützung von anderen Parteienfamilien organisiert.
Im Fall der Welle-Nachfolge könnte das Paket vorsehen, dass die christdemokratische EVP Chiocchetti als Generalsekretär durchbringt und auf der Ebene der Generaldirektoren eine Rochade stattfindet, von der auch die Fraktion der Linken (GUE) sowie die der Konservativen (ECR) profitieren würden. Dazu soll eine weitere Generaldirektion neu gegründet werden – es wäre die 13. Organisationseinheit im Organigramm des Parlaments.
Die Liberalen (Renew) sollen über die Immobilie eingebunden sein. Die französische Regierung im Élysée-Palast hat starken Einfluss auf die Renew-Fraktion. Und so kommt es, dass Renew im Zuge der Personalentscheidung vor allem den Standort Straßburg als Hauptsitz des Europa-Parlaments stärken will. Unklar ist, ob die Sozialdemokraten (S&D) bei dem Paket mitmachen und was sie sich davon erhoffen.
Nun gibt es nicht nur Kritik daran, dass es ein “Paket” geben könnte. Auch die Integrität von Chiocchetti wird angezweifelt. Der 53-Jährige habe vor knapp 20 Jahren als Assistent im EU-Parlament für den Abgeordneten und Berlusconi-Intimus Marcello Dell’ Utri gearbeitet, heißt es. Dell’ Utri saß mehrere Jahre wegen Mafia-Kontakten im Gefängnis. In einem spektakulären weiteren Verfahren, bei dem ihm vorgeworfen wurde, für Berlusconi mit der Mafia verhandelt zu haben, wurde er vergangenes Jahr freigesprochen.
Dass Chiocchetti noch nicht Generaldirektor sei, disqualifiziere ihn nicht als Bewerber für den Posten als Verwaltungschef, heißt es aus Parlamentskreisen. Es sei bereits in der Vergangenheit vorgekommen, dass ein Direktor umgehend auf den Posten des Generalsekretärs aufsteige. Um hier Kritik vorzubeugen, wurde die Welle-Nachfolge auch nicht als AD-16-Stelle ausgeschrieben, wie sie der Deutsche hat, sondern eine Stufe niedriger auf der Besoldungsstufe AD 15.
Beobachter berichten, dass Paketlösungen im Parlament schon seit vielen Jahren üblich sind. Kritisch dabei sei, dass damit immer auch andere Faktoren eine Rolle bei der Stellenbesetzung spielten als die reine Qualifikation des Bewerbers. Zudem hätten Paketlösungen dazu beigetragen, dass über die Jahre ein enormer Zuwachs an Top-Stellen im EU-Parlament zu verzeichnen sei.
Durch die Umstellung auf Carbon-Farming-Praktiken soll die Landwirtschaft die CO2-Speicherung im Boden erhöhen (Europe.Table berichtete) und so stärker zu den Klimazielen beitragen. Im Gegenzug könnten die Landwirte mittels Zertifikatehandel eine neue Einnahmequelle erschließen. Zumindest, wenn es nach Unternehmen wie Indigo Agriculture geht, das in den USA bereits erste Zertifikate auf dem wachsenden Voluntary Carbon Market veräußert hat. Nun steht Indigo auch in Europa in den Startlöchern, wo noch am passenden Rechtsrahmen getüftelt wird.
Herr Goeres, Kritiker sagen, Carbon Farming sei in erster Linie eine neue Möglichkeit des Greenwashing für CO2-intensive Industrien. Was sagen Sie?
Carbon Farming ist in erster Linie eine Sequestrierung von CO2 im Boden und die Vermeidung anderer Gase im Anbau und damit etwas Gutes für die Umwelt und ein Beitrag, um die Klimaziele zu erreichen. Wir wollen, dass die Landwirtschaft Teil der Lösung in der Klimapolitik wird und auch, dass der private Sektor das mitfinanziert und nicht nur der Steuerzahler dafür aufkommt. Die meisten der großen Unternehmen haben mittlerweile Nachhaltigkeitsstrategien. Und viele wollen bereits in hochqualitative Carbon Credits investieren, die zertifiziert sind und bei denen sie wissen, dass die Klimaleistung auch erbracht wurde. Das sehe ich nicht als Greenwashing an. Das nimmt die Unternehmen schließlich nicht aus der Pflicht, ihre eigenen Emissionen zu senken.
Dabei gehört die Landwirtschaft selbst zu den größten Emittenten. Allein in Deutschland ist der Sektor für über 60 Millionen Tonnen Treibhausgase pro Jahr verantwortlich, den Energieverbrauch nicht einberechnet. Demgegenüber stehen Schätzungen von fünf bis 15 Millionen Tonnen, die durch Carbon Farming wieder eingefangen werden können. Dieses Ungleichgewicht macht deutlich, dass die Senken in einer klimaneutralen Zukunft in erster Linie für den Ausgleich unvermeidlicher landwirtschaftlicher Restemissionen benötigt werden.
Landwirte können CO2 binden. Das sollte honoriert werden. Wir brauchen den Landsektor als Senke. Ohne ihn ist der Klimawandel nicht zu bekämpfen und die Neutralitätsziele nicht zu erreichen, das sagt auch das IPCC. Deshalb glaube ich, dass wir besser unterwegs sind, wenn wir Anreize schaffen, die möglichst schnell möglichst viele Landwirte dazu bewegen, die Klimaleistung zu verbessern. Und da ist eine zusätzliche Einnahmequelle, beispielsweise durch Zertifikate oder den Anbau von kohlenstoffarmem Getreide, die bessere Antwort, als ein Pflichtsystem daraus zu machen. Sonst muss die Landwirtschaft am Ende selbst dafür aufkommen.
Es gibt ein großes Regelwerk, das genau dafür da ist, mit Milliarden an öffentlichen Fördergeldern unter anderem den Klimaschutz in der Landwirtschaft voranzutreiben und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit und Ernährungssicherung zu erhalten: die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). In den vergangenen Jahren sind die Gelder für Klimaschutz mehr oder weniger wirkungslos verpufft. Was spricht dagegen, einen größeren Teil davon für Carbon Farming bereitzuhalten?
Ein Beispiel: In Deutschland soll es 30 Euro pro Hektar für den erweiterten Fruchtwechsel geben. Das ist gut, aber dennoch nicht ausreichend. Ergänzt mit einem privaten Carbon-Farming-Programm sieht das schon anders aus. Das bringt, komplementär zu den Eco-Schemes, auch private Gelder, weil eben auch GAP-Budgets begrenzt sind. Das Zusammenspiel zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Hand muss hier gefördert werden. Das Gesamtpaket muss für den Landwirt attraktiv genug sein, seinen Betrieb umzustellen und die notwendigen Investitionen zu tätigen.
Wie könnten die Maßnahmen aussehen, den Betrieb umzustellen und die CO2-Speicherfähigkeit der Böden zu erhöhen?
Eine Möglichkeit ist der Anbau von Zwischenfrüchten. Wer hochwertige Leguminosen einsetzt, kann die Speicherfähigkeit durch den Humusaufbau deutlich erhöhen. Teilweise können diese Zwischenfrüchte auch geerntet und als Tierfutter verwendet werden. Wichtig ist außerdem, möglichst wenig zu pflügen, denn dabei wird CO2 wieder freigesetzt. Dritter Punkt wäre die optimale Abstimmung der Fruchtfolgen, um die Qualität der Böden zu erhalten oder zu verbessern. Dazu gehört grundsätzlich auch Flächenbeweidung mit Vieh. Das hilft den Böden, ist aber schwer umsetzbar. Allein schon, da es in Deutschland beispielsweise keine Zäune um die Felder gibt. Und ebenfalls wichtig: die Reduktion von synthetischen Düngemitteln.
Worin liegt der Nachteil für die Landwirte? Anders gefragt: Warum bedarf es so hoher Anreize aus Eco-Schemes und Zertifikatehandel, um Maßnahmen zu ergreifen, die zu einem besseren Boden führen?
Zunächst einmal ist ein landwirtschaftlicher Betrieb natürlich ein Unternehmen, das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt wird. Für die Umstellung, etwa auf Direktsaat, wird anderes Equipment benötigt. Diese Investitionen müssen finanziert werden. Und wenn ein Betrieb über Jahre oder Jahrzehnte hinweg auf eine bestimmte Art erfolgreich geführt wurde, ist eine solche Umstellung nicht sofort naheliegend. Da gibt es Risiken, Unsicherheiten und Fragen. Wir merken: Viele Landwirte sind grundsätzlich offen dafür. Aber das ist ein Prozess, der Moderation braucht. Auch wird die Reduktion von chemischen Düngemitteln oft mit einer Reduktion des Ertrags gleichgesetzt. Kurzfristig kann das vorkommen, denn die Umstellung geht nicht von jetzt auf gleich. Genau da setzen die Carbon-Farming-Programme an. Hier kann die GAP bei der Umstellung finanzielle Unterstützung leisten und der Zertifikatehandel später zusätzliche Einnahmen ermöglichen.
Dafür muss die CO2-Senkleistung im Boden messbar sein. Wie funktioniert das?
Dafür gibt es verschiedene Modelle. Ein Instrument ist die Auswertung von Daten auf Basis wissenschaftlicher Studien. Also: Wie wirken sich bestimmte Aktivitäten, beispielsweise ein spezieller Zwischenfruchtanbau, bei bestimmten klimatischen Bedingungen und Bodenbeschaffenheiten auf die CO2-Sequestrierung aus? Die andere Möglichkeit ist, vor Ort zu messen. Die Beprobung von allen Feldern ist nicht umsetzbar, da es enorme Kosten verursachen würde. Eine reine Modellierung reicht aber auch nicht aus, um sicher sein zu können, dass der Effekt auch wirklich eintritt. Deswegen nutzen wir in unserem Konzept eine Mischform zwischen Modellierung und Beprobung von statistisch ausgewählten Feldern, wodurch über die Jahre auch die Fehleranfälligkeit der Modelle sinkt.
Bleiben da nicht trotzdem einige Schlupflöcher offen?
Landwirte sorgen sich um die Gesundheit ihrer Böden und wollen das Richtige tun. Die suchen nicht nach Schlupflöchern. Und durch die vielen bestehenden Auflagen müssen Landwirte heute schon praktisch alles, was sie tun, in Karteien vermerken. Die ganze Dokumentation ist vor allem in Europa schon sehr umfassend gegeben. Trotzdem sind zur Sicherheit Kontrollmechanismen vorgesehen. Heute kann man über Satellitenbilder sehr gut sehen, ob tatsächlich Zwischenfrüchte angebaut oder ob ein Feld gepflügt wurde. Wenn das nicht mit den Angaben übereinstimmt, sagt das System sofort: Da stimmt etwas nicht.
Nun hat eine Senkleistung nur dann einen klimarelevanten Effekt, wenn sie möglichst dauerhaft ist. Wenn das Feld auch erst nach ein paar Jahrzehnten wieder umgepflügt wird, dann wird CO2 wieder freigesetzt und der Effekt verpufft. Wie kann das vermieden werden?
MRV – Monitoring, Reporting, Verification. Alle eingeschriebenen Felder unterliegen einer strengen Qualitätskontrolle. Veränderungen auf dem Feld werden erkannt und berichtet. Und nicht jedes Zertifikat wird auf den Markt gebracht. Rund 20 Prozent werden vom Register – eine unabhängige Organisation, die alle Zertifikate listet – als Sicherheits-Puffer einbehalten, um Risiken auszugleichen und Langfristigkeit zu gewährleisten. So wird eine Rücklage gebildet, und wenn ein Landwirt irgendwann wieder pflügen sollte, gleicht die Gemeinschaft das aus. Außerdem erfolgt die Auszahlung der Zertifikate nicht auf einmal, sondern über einige Jahre gestreckt. Und wir glauben grundsätzlich, dass die gesünderen Böden den Landwirten langfristig zugutekommen und sich die Vorteile durchsetzen, sodass die Betriebe gar nicht mehr zurückgehen möchten.
Das System basiert auf dem Prinzip der Additionalität, honoriert werden also Zusatzleistungen. Vereinfacht gesagt: Wenn ein Boden bislang besonders schlecht war, ist das Potenzial für Verbesserung und damit der finanzielle Anreiz umso höher. Im Umkehrschluss kann ein Landwirt, der bereits gesunden Boden mit viel Humus hat, kaum profitieren. Klingt ziemlich unfair für Ökobauern, die bereits aktiven Umweltschutz betreiben.
Innovationen und finanzielle Anreize auf dem Weg zu einer kohlenstoffarmen Landwirtschaft sind vielseitig und nicht alleine auf Carbon Credits begrenzt. Was wir erreichen wollen, ist eine möglichst hohe CO2-Senkleistung im Boden. Und das wird nicht funktionieren, ohne dass wir die konventionelle Landwirtschaft mit einbinden. Die müssen wir mobilisieren. Die Förderung der Biolandwirtschaft sollte natürlich nicht zu kurz kommen: staatlich oder privat. In unserem Programm zur Reduktion von Scope-3-Emissionen investieren unter anderem Lebensmittelunternehmen, die CO2 und weitere Treibhausgase in ihrer Wertschöpfungskette minimieren möchten. Diese Programme sind auch für Bio-Landwirte offen und sie können davon profitieren.
Die Nachfrage ist hoch. Nun geht es darum, das Angebot zu erweitern. Auf welchem Markt spielt sich das ab und wie funktioniert er?
Es gibt den staatlich regulierten Carbon Market und den Voluntary Carbon Market. Wir konzentrieren uns auf Letzteren. Unternehmen brauchen in ihren Klimaneutralitätsbestrebungen belastbare und bilanzfähige Lösungen zur Kompensation von unvermeidlichen Emissionen. Reduktion alleine reicht nicht. Wichtig ist, dass die hohe Nachfrage mit Qualität beantwortet wird und einheitliche Standards für Carbon Credits gelten, wie zum Beispiel Echtheit, Additionalität und Langfristigkeit. Das muss sich entsprechend im Preis und der angemessenen Honorierung der Landwirte widerspiegeln.
Welche Rolle spielt Indigo Agriculture dabei?
Wir bringen die verschiedenen Teilnehmer zusammen und schaffen den Landwirten Zugang zum wachsenden Voluntary Carbon Market. Mit der unabhängigen Organisation Verra haben wir einen Methoden-Standard entwickelt, der erstmalig die bodenbezogene THG-Reduktion und Kohlenstoffbindung quantifiziert und nachweisbar macht. Landwirte im Programm unterstützen wir bei der Umstellung, teilweise mit spezialisierten Partnerfirmen. Dann geht es um die Aufnahme der Daten, Qualitätssicherung, Modellierung sowie die externe Verifizierung und Zertifizierung durch unabhängige Instanzen. In Europa wäre das Verra. In den USA arbeiten wir mit der Climate Action Reserve. Die geben uns die Zertifikate und wir veräußern diese an die Industrie und geben den Landwirten der Ertrag zurück.
In Brüssel ist Carbon Farming inzwischen ein viel diskutierter Ansatz. Die EU-Kommission arbeitet an einem regulatorischen Rahmen für die Zertifizierung von Senkleistungen. Was sind Ihre Erwartungen daran?
Wir begrüßen es, dass sich die Kommission damit beschäftigt. Damit der Markt funktioniert, brauchen wir regulatorische Klarheit, Vertrauen und einheitliche Qualitätsstandards. Wichtig dabei ist, das Zusammenspiel zwischen staatlichem und privatem Sektor zu organisieren und den Innovationssprung des internationalen Carbon Market für europäische Klimaziele nutzbar zu machen. Dem Ziel, Ernährungssicherung mit Klimaschutz zu verheiraten, kommen wir dann auch einen bedeutenden Schritt näher.
10.08.2022 – 09:00-10:00 Uhr, online
ASEW, Seminar Das Kommunale Frühstück 2.0 – Bürger:innen zur Energiewende motivieren
Bei dieser Seminarreihe der Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) berichten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Stadt und Stadtwerken von Synergien und Herausforderungen der Zusammenarbeit auf dem Weg zur Energiewende. INFOS & ANMELDUNG
10.08.2022 – 18:00-19:00 Uhr, online
FNS, Panel Discussion War in Europe: Russian Imperalism for Dummies
The panel, hosted by the Friedrich Naumann Foundation (FNS), will discuss Germany’s failures in foreign policy regarding Russia as well as lessons that can be learned from them. INFOS & REGISTRATION
11.08.2022 – 10:00-11:00 Uhr, online
Bitkom, Seminar Sustainability for Future
Dieses Seminar soll Möglichkeiten aufzeigen, wie Software dazu beitragen kann, den Energieverbrauch zu senken und so die Nachhaltigkeit von Unternehmen zu steigern. INFOS & ANMELDUNG
11.08.2022 – 12:00-18:00 Uhr, Köln
Deutsche Medienakademie, Konferenz Ist Glasfaser ausdiskutiert oder war da doch noch etwas?
Die Kernthemen dieser Konferenz sind zum einen die Nachfrage an hohen Glasfaser-Kapazitäten sowie die politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen und Strategien in diesem Bereich. INFOS & ANMELDUNG
15.08.2022 – 09:00-11:00 Uhr, Kempen
BVMW, Seminar Endlich digital! Vom Buzzwort in die gelebte Unternehmenspraxis
Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser Veranstaltung des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) sollen anhand von Praxisbeispielen Möglichkeiten für eine digitale Zukunft in Unternehmen nahegebracht werden. INFOS & ANMELDUNG
16.08.-19.08.2022, Lichtenfels
BPB, Seminar Corona, Klima & Co. – Die Krisen unserer Zeit
Die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise, der sogenannten “Flüchtlingskrise”, der Coronakrise, der Klimakrise und außenpolitischer Krisen wie dem russischen Angriff auf die Ukraine werden von der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) diskutiert. INFOS & ANMELDUNG
16.08.2022 – 11:00-15:30 Uhr, Hagen/online
Fernuniversität Hagen, Konferenz Vernetzte Versorgung – Die Zukunft ist digital: Jetzt austauschen, vernetzen und voneinander lernen
Das Zentrum für Telematik und Telemedizin und das Virtuelle Krankenhaus NRW laden ein zu einer Diskussion über Digitalisierung in den Bereichen Telemedizin/Telekonsile. INFOS & ANMELDUNG
16.08.2022 – 17:00-18:00 Uhr, online
VDE, Seminar Trends und Themen aus der Medizintechnik – Potenziale der KI in der Gesundheitsversorgung
Der Referent des Verbandes der Elektrotechnik (VDE) wird neben einem technischen Blick auf Künstliche Intelligenz (KI) die Möglichkeiten der Nutzung von KI bei Gesundheitsfragen sowie klinische Einsatzfelder thematisieren. INFOS & ANMELDUNG
Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis hat jede Verantwortung für das monatelange Abhören des Handys eines Oppositionspolitikers durch den griechischen Geheimdienst (EYP) zurückgewiesen. “Das, was passiert ist, mag gesetzmäßig gewesen sein, aber es war falsch. Ich wusste davon nichts, und offensichtlich hätte ich so etwas auch nie genehmigt”, sagte der Regierungschef am Montag in einer Ansprache, die vom Staatssender ERT übertragen wurde.
Zuvor hatte der EU-Parlamentarier und Chef der griechischen sozialdemokratischen Partei Pasok, Nikos Androulakis, Anzeige gegen Unbekannt erstattet mit dem Verdacht, dass sein Handy abgehört werde. Die Ermittlungen brachten zutage, dass das Handy tatsächlich monatelang vom griechischen Geheimdienst abgehört worden war. Im Zuge der Enthüllungen traten am Freitag der Chef des Nachrichtendienstes (EYP), Panagiotis Kontoleon, sowie der Generalsekretär des Regierungsbüros, Grigoris Dimitriadis, zurück.
Regierungschef Mitsotakis erklärte, der Geheimdienst habe die politische Dimension seines Vorgehens nicht erkannt, auch wenn er sich dabei an geltendes Recht gehalten habe. Er kündigte eine strengere Kontrolle des EYP an.
Die Opposition verlangt eine gründliche Untersuchung und spricht von Mitsotakis’ persönlichem Watergate. Noch vernichtender fiel das Urteil des Abhör-Opfers selbst aus: “Mit seiner heutigen Erklärung zeigte sich der Ministerpräsident erneut schuldlos, indem er das Narrativ eines ‘Rechtsfehlers’ bemüht, um eine Straftat zu rechtfertigen”, ließ Androulakis mitteilen.
Wer die Abhöraktion beauftragt hat und warum, blieb damit weiter offen. Der nun zurückgetretene Geheimdienstchef Kontoleon soll zu Protokoll gegeben haben, er habe auf Wunsch ukrainischer und armenischer Behörden gehandelt, die sich für Androulakis als EU-Parlamentarier interessiert hätten. Das wiesen Vertreter beider Länder umgehend zurück. dpa/rtr
Allein im Verkehrssektor kann Europa bis 2030 ein Drittel seines Ölbedarfs einsparen, was ausreicht, um die Abhängigkeit von Öl aus Russland vollkommen zu beenden. Dies ergibt eine gestern veröffentlichte Studie von Transport & Environment (T&E), in der die Umweltorganisation auch verschiedene Maßnahmen für die Reduzierung des Erdölverbrauchs im Verkehrssektor empfiehlt.
Zwei Drittel des Erdölbedarfs der EU entfallen laut T&E auf den Verkehr. Die Europäische Kommission hat aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine einen Importstopp vor Jahresende und ein Verbot für EU-Schiffe, die russisches Öl transportieren, beschlossen. Die T&E-Studie bewertet, wie und in welchem Umfang die EU die Ölnachfrage senken kann. Dabei stützt sie sich auf die wichtigsten Verkehrsempfehlungen aus der im Mai vorgelegten REpowerEU-Strategie der EU (Europe.Table berichtete).
Zu den kurzfristigen Maßnahmen, die in diesem Jahr erreichbar und leicht umsetzbar sind, gehören die Senkung der Mineralölsteuer, aerodynamische Ausstattungen von Lkw, die Reduzierung von Geschäftsflügen und eine verringerte Pkw-Nutzung. Dadurch könnte die Ölnachfrage um 38,8 Millionen Tonnen Rohöleinheiten gesenkt werden, was der Hälfte der russischen Importe der EU entspricht.
Mit mittel- und langfristigen Maßnahmen wie der Elektrifizierung von Fahrzeugen oder der Treibstoffeffizienz von Schiffen kann die EU laut der Studie die Nachfrage bis 2030 um 111,5 Millionen Tonnen Rohöleinheiten senken. Insgesamt können die Maßnahmen bis 2030 insgesamt 34 Prozent des Ölbedarfs in der EU einsparen. leo
Die Bundesnetzagentur hält es unter bestimmten Bedingungen für möglich, dass eine Gasnotlage im kommenden Winter vermieden werden kann. Dies geht aus dem neuesten Szenarienkatalog der Behörde hervor, der am Montag veröffentlicht wurde.
Eine Variante beschreibt die aus Sicht der Behörde nötigen Maßnahmen unter der Annahme, dass die Ostseepipeline Nord Stream 1 bis Juni 2023 weiterhin dauerhaft nur zu 20 Prozent der Maximalkapazität ausgelastet ist, wie es aktuell der Fall ist (Europe.Table berichtete). Um im kommenden Winter eine Gasmangellage zu verhindern, sei dann neben einer Verbrauchsreduktion um 20 Prozent auch eine Reduktion der Transitmengen in Nachbarländer um 20 Prozent nötig.
Sollen die deutschen Gasspeicher zudem am 1. Februar zu 40 Prozent gefüllt sein und soll die Versorgung auch im nächsten Winter gesichert sein, müssen dem Modell zufolge zusätzlich noch die Importkapazitäten etwa für Flüssigerdgas erhöht werden. Die ersten LNG-Terminals sollen laut Bundesregierung schon im kommenden Winter in Betrieb gehen (Europe.Table berichtete).
Selbst unter der Annahme, dass kein russisches Gas mehr nach Deutschland fließt, ist laut Bundesnetzagentur eine Mangellage im kommenden Winter noch vermeidbar. Die Transitmengen müssten dann jedoch noch weiter reduziert werden, sollte es keine Importerhöhung geben. In allen Null-Prozent-Szenarien werde es aber dann im nächsten Winter 23/24 ohne zusätzliche Gegenmaßnahmen wie etwa höhere Verbrauchsreduktionen zu Versorgungsproblemen kommen.
Eine gemeinsame Untersuchung der Universität Bonn und der Universität Köln kam zu dem Schluss, dass Deutschland bis zum Frühjahr den Gasverbrauch um etwa 25 Prozent reduzieren müsste, sollte Russland seine Gaslieferungen in den kommenden Wochen komplett einstellen (Europe.Table berichtete). dpa/sas
Der Chemiekonzern Evonik will an seinen deutschen Standorten Erdgas teilweise durch andere Stoffe ersetzen. Insgesamt könnten bis zu 40 Prozent des deutschen Evonik-Erdgasbezugs ohne nennenswerte Einschränkung der Chemieproduktion ersetzt werden, berichtete das Unternehmen am Montag in Essen.
Evonik bezieht nach eigenen Angaben insgesamt rund 15 Terawattstunden (TWh) Erdgas pro Jahr. Es wird zum überwiegenden Teil zur Energie- und Dampferzeugung genutzt. Gut ein Drittel davon entfällt auf Deutschland, also rund 5 TWh. Die Menge entspricht rund 0,5 Prozent des gesamten Erdgasverbrauchs in Deutschland im vergangenen Jahr.
Die bedeutendste Maßnahme werde am Standort in Marl realisiert, hieß es. Im dortigen Gaskraftwerk will Evonik Liquefied Petroleum Gas (LPG) anstatt Erdgas zur Energieerzeugung nutzen. Im Unterschied zu vor allem aus Methan bestehenden Erdgas besteht LPG vor allem aus Butangas, das in dem Chemiewerk als Nebenprodukt anfällt. Bislang wurde es von der Gelsenkirchener Raffinerie des Mineralölkonzerns BP abgenommen. BP und Evonik wollen jetzt gemeinsam “eine ausreichende LPG-Versorgung in Marl sicherstellen”.
Einen weiteren Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung soll der Weiterbetrieb des Evonik-Kohlekraftwerks Marl leisten. Dessen Stilllegung war ursprünglich für dieses Jahr geplant. An anderen Standorten will Evonik Erdgas teilweise durch Heizöl ersetzen. Entsprechende Investitionen seien bereits eingeleitet worden, sagte ein Sprecher. dpa
Lettland will etwa eine Milliarde Euro in den Bau von Windparks investieren, um die lokale Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu erhöhen und die Energiesicherheit zu stärken. Ministerpräsident Krišjānis Kariņš sprach am Montag in Riga von einer der größten Investitionen in der Geschichte des Landes. “Das ist eine mittelfristige Lösung, die es uns ermöglichen wird, bei der Energieversorgung völlig unabhängig zu werden und weniger fossile Ressourcen verbrauchen zu müssen”, sagte Kariņš der lettischen Nachrichtenagentur Leta zufolge.
Nach Umsetzung des Projekts könnte der an Russland grenzende kleine Ostseestaat von einem Stromimporteur zu einem -exporteur werden, sagte Karins. Demnach produziere Lettland gegenwärtig 40 Prozent seines benötigten Stroms selbst, 60 Prozent werden mittels Importen gedeckt. Wenn Russland bisher die Hauptimportquelle gewesen sei, müsse die Quelle jetzt vergessen werden, sagte der Regierungschef.
Nach Angaben von Wirtschaftsministerin Ilze Indriksone sollen die geplanten Windparks eine Kapazität von 800 Megawatt haben. Damit könnten 2,4 Terawattstunden Strom pro Jahr produziert werden – dies entspreche umgerechnet rund 30 Prozent des gesamten Stromverbrauchs Lettlands im vergangenen Jahr. Zuständig für die Errichtung und den Betrieb der Windparks mit insgesamt 100 bis 120 Windrädern ist eine neugegründete Gemeinschaftsfirma des lettischen Stromversorgers und der staatlichen Forstverwaltung.
Lettland hatte vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine im Mai den Import von Strom aus Russland eingestellt. Noch ist es aber – wie auch Estland und Litauen – weiter Teil eines gemeinsamen, synchron geschalteten Stromnetzes mit Russland und Belarus – des aus Sowjetzeiten stammenden sogenannten BRELL-Ringsystems. Damit hängen die Baltenstaaten quasi mit am Netz der beiden Nachbarländer im Osten. Russland liefert dem Lettland mittlerweile kein Gas mehr (Europe.Table berichtete). dpa/sas
Der Klimawandel verstärkt einer Studie zufolge die Ausbreitung vieler Krankheitserreger. Ein Forscherteam der Universität Hawaii kommt in einer Übersichtsarbeit zu dem Schluss, dass 58 Prozent der von Krankheitserregern ausgelösten Leiden durch den Klimawandel verschlimmert werden können. Das geschehe durch die Erwärmung an sich, aber auch durch extreme Wetterphänomene wie Dürren, Überschwemmungen oder Hitzewellen. Der Studie im Fachjournal “Nature Climate Change” lag eine Liste von 375 Krankheiten weltweit zugrunde, die von Erregern wie Viren, Bakterien, aber auch Pflanzenpollen oder Pilzen ausgelöst werden.
Die Forscher fanden bei ihrer Literaturrecherche über 1000 einzelne Übertragungspfade, auf denen jeweils ein Krankheitserreger durch den Klimawandel gefördert wurde. So könnten etwa Wärme (160 einzelne Krankheiten) oder Überschwemmungen (121) die Verbreitung von Erregern wie Bakterien oder die von Mücken, Zecken und anderen Krankheitsüberträgern fördern.
Dazu kommen indirekte Faktoren. Beispielsweise drängen Dürren Wildtiere näher an Wohngebiete, wodurch das Risiko von Zoonosen steigt. Überschwemmungen zwingen Menschen, in andere Gegenden zu ziehen, wo sie stärker bestimmten Keimen ausgesetzt sein könnten. Wetterextreme können darüber hinaus über Stress oder Mangelernährung das menschliche Immunsystem schwächen und die Anfälligkeit für Infektionen erhöhen. Die Forschenden nennen über 1000 mögliche Zusammenhänge zwischen klimawandelbedingten Ereignissen und der Ausbreitung von Krankheiten.
Mitautor Tristan McKenzie von der Universität Hawaii hebt Krankheiten, die von Vektoren (wie Stechmücken oder Zecken) übertragen werden, hervor. “Wir haben über 100 Krankheiten gefunden, die durch diesen Übertragungsweg verstärkt wurden”, teilte McKenzie auf Anfrage mit. Es sei laut den Forschenden jedoch unmöglich, die stärkere Ausbreitung von Krankheiten durch den Klimawandel zu verhindern oder sich daran anzupassen. Dafür seien die Erreger und Übertragungswege zu zahlreich.
Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, hatte zuvor bereits dazu aufgerufen, exotische Krankheiten hierzulande in den Blick zu nehmen. “Der Klimawandel führt in Deutschland zu einer Ausdehnung der Lebensräume für Mücken und Zecken“, sagte Wieler den Zeitungen der Funke Mediengruppe. “Viele Mücken- und Zeckenarten können virale, bakterielle und parasitäre Infektionserreger übertragen”, so Wieler. Das könnten etwa Zika- oder Dengue-Viren sein. “Auch ist eine Rückkehr der Malaria möglich, die durch Plasmodien hervorgerufen wird.” Ein wichtiges Anliegen des RKI sei es daher, die Ärzteschaft für diese Krankheiten zu sensibilisieren.
Renke Lühken, Ökologe beim Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg, sieht die Entwicklung ebenfalls mit Sorge. “Exotische Stechmückenarten wie die Asiatische Tigermücke etablieren sich in weiten Teilen Europas.” Die Mücke ist für Ausbrüche des Chikungunya-Virus und Dengue-Virus im Mittelmeerraum verantwortlich.
Das Forschungsteam der Universität Hawaii sieht die Notwendigkeit für “aggressive Maßnahmen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen”, angesichts der drohenden Risiken durch die vom Klimawandel befeuerten Krankheiten. Lühken teilt diese Einschätzung. Es müssten Überwachungssysteme etabliert werden, um Änderungen in der Prävalenz der Krankheitserreger frühzeitig erfassen zu können.
“Außerdem müssen schon jetzt Szenarien zur Prävention entwickelt werden – beispielsweise zur Stechmückenbekämpfung.” In Zentraleuropa könne man dabei insbesondere von den Ländern im Mittelmeerraum oder des globalen Südens lernen, die schon viele Jahre mit den sich aktuell ausbreitenden Krankheitserregern konfrontiert sind, so Lühken. dpa/luk
Bis Ende 2022 will die G7 einen “offenen, kooperativen internationalen Klimaclub” ins Leben rufen, um koordinierte Maßnahmen zu fördern, mit denen das im Pariser Klimaabkommen festgelegte Ziel einer maximalen Erwärmung von 1,5 Grad erreicht werden kann, ohne dass jemand einen Wettbewerbsnachteil erleidet. Obwohl der Ruf nach internationalen Klimaschutzmaßnahmen schon seit Jahrzehnten zu hören ist, gibt es guten Grund zu der Annahme, dass es dieses Mal anders sein wird.
Der Klimaclub ist eine Idee des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (Europe.Table berichtete), dessen Vorschlag auf vier Prämissen beruht. Erstens müssen die internationalen Klimamaßnahmen breit angelegt und konsistent sein, wobei alle Clubmitglieder die gleichen Ziele anstreben sollten. Zweitens sollte es den Ländern erlaubt sein, diese gemeinsamen Ziele auf ihre eigene Art und Weise zu verfolgen, solange sich alle an “eine einheitliche Messung des CO2-Gehalts von Produkten und Materialien” halten. Drittens sollten die Entwicklungsländer Unterstützung erhalten, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Und schließlich sollten “klimapolitische Vorreiter” auf dem Weltmarkt nicht durch den Wettbewerb mit billigeren, kohlenstoffintensiveren Methoden benachteiligt werden.
Dieser Vorschlag mag wie ein Aufguss vergangener klimapolitischer Strategien klingen, jedoch verlagert er grundlegend den Schwerpunkt der Politikgestaltung. In der Vergangenheit haben wir die Klimapolitik nur in zwei Dimensionen betrachtet: das Klima und die Wirtschaft. Dies hat dazu geführt, dass man sich auf Ideen wie die globale Kohlenstoffbepreisung konzentriert hat, die aus rein wirtschaftlicher Sicht sehr sinnvoll ist. Die Verursacher emittieren übermäßige Mengen an CO2 in die Atmosphäre, weil die Kosten der Gesellschaft auferlegt werden. Die Lösung besteht also darin, dafür zu sorgen, dass die Verursacher zahlen.
Das Problem ist, dass sich die Bürger oft gegen solche Maßnahmen wehren, insbesondere wenn es keinen Mechanismus gibt, um diejenigen zu entschädigen, die durch die höheren Kosten benachteiligt werden (z. B. einkommensschwache Haushalte, die sich grundlegende Güter nicht zu umweltfreundlichen Preisen leisten können, oder Menschen, die in kohlenstoffintensiven Sektoren arbeiten).
Außerdem sind die mit der Kohlenstoffbepreisung verbundenen Kosten nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch sozialer Natur. Selbst wenn die Einnahmen aus einer Kohlenstoffsteuer für die Armen und Vertriebenen ausgegeben werden, können Gemeinschaften, die von fossilen Brennstoffen abhängig sind, zusammenbrechen, und manche könnten das Gefühl haben, dass sie ihre Zukunft nicht mehr selbst gestalten können.
Dies waren einige der Lehren aus den Protesten der Gelbwesten in Frankreich 2018/19, die als Reaktion auf eine geringfügige Erhöhung der Steuer auf Dieselkraftstoff ausgebrochen waren. Und ein ähnliches Problem plagt seit langem die globale klimapolitische Debatte. Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen nehmen es übel, wenn sie von den reichen Industrieländern – den größten Emittenten der Geschichte – aufgefordert werden, mehr für die Energie zu zahlen, die sie für ihre Entwicklung benötigen. Diese potenziellen Auswirkungen anzuerkennen bedeutet, sich von einer abstrakten zweidimensionalen Welt in eine dreidimensionale Welt zu begeben, die näher an der Realität ist, in der wir leben.
Während die zweidimensionale Welt der Wirtschaftsmodelle anhand des BIP und der Kohlenstoffpreise gemessen werden kann, erfordert die reale Welt andere Maßstäbe, um die volle Bedeutung jeder Politik zu erfassen. Zu diesem Zweck haben einer von uns (Snower) und Katharina Lima de Miranda eine Metrik mit dem Akronym SAGE vorgeschlagen: solidarity, agency, gain, environment (Solidarität, Handlungsfreiheit, Gewinn, Umwelt).
Dabei bezieht sich Solidarität auf das Ausmaß der sozialen Eingliederung und des sozialen Zusammenhalts, Handlungsfreiheit auf die Fähigkeit der Menschen, ihr Leben selbst zu gestalten, und Gewinn und Umwelt beziehen sich auf die traditionellen Maßstäbe der Wirtschaftsleistung bzw. der ökologischen Nachhaltigkeit.
Ein Solidaritätswert steigt, wenn es mehr soziales Vertrauen, Großzügigkeit usw. gibt; der Grad der Handlungsfreiheit steigt, wenn die Menschen mehr Vertrauen in ihre Fähigkeit haben, lohnende Ziele zu erreichen. Durch die Ausweitung des Geltungsbereichs über das BIP-Wachstum hinaus ermöglicht das SAGE-Modell, die Verbindungen zwischen Wirtschaftspolitik und sozialem Wohlergehen neu zu koppeln.
Als neue Methode zur Diskussion und Bewertung von klimapolitischen Strategien kann das SAGE-Modell uns helfen zu verstehen, warum einige Strategien in der Vergangenheit nicht funktioniert haben. Die herkömmliche Kohlenstoffbepreisung hat zum Beispiel oft den Solidaritätstest nicht bestanden, da sie Gewinner und Verlierer (sowohl wirtschaftlich als auch sozial) hervorgebracht hat, und auch den Handlungsfreiheitstest nicht bestanden, da sie die Stimmen der Menschen in diesem Prozess ignoriert hat.
Die Gelbwesten beklagten beispielsweise, dass die Unbezahlbarkeit des städtischen Lebens in Frankreich viele Arbeiter dazu zwang, außerhalb der Städte zu leben, wo sie aufgrund der begrenzten Möglichkeiten des öffentlichen Nahverkehrs gezwungen waren, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Die Demonstranten hatten das Gefühl, dass es ihnen an Solidarität und Handlungsfähigkeit mangelte (weil sie bei der Suche nach Wohnraum, geeigneten Verkehrsmitteln und Mobilität kaum eine Wahl hatten).
Nur wenn wir die sozialen Bedürfnisse der Menschen (neben den wirtschaftlichen und ökologischen Bedürfnissen) berücksichtigen, können wir tragfähige politische Reformen vorantreiben. Das bringt uns zurück zu dem von der G7 vorgeschlagenen Clubmodell. Wenn es richtig umgesetzt wird, kann es neben wirtschaftlichen und ökologischen Faktoren auch soziale Faktoren berücksichtigen und damit dort erfolgreich sein, wo ähnliche Bemühungen in der Vergangenheit gescheitert sind.
Laut Olaf Scholz wird der Klimaclub “die Zusammenarbeit zwischen Ländern fördern, die den für die Bewältigung des Klimawandels erforderlichen sozialen und wirtschaftlichen Wandel vorantreiben wollen”. Das Ergebnis wäre in der Praxis eine Partnerschaft, in der sich die Teilnehmer zu ehrgeizigen, klar definierten Klimazielen sowie zu den spezifischen nationalen Maßnahmen verpflichten, die zum Erreichen dieser Ziele erforderlich sind.
Scholz’ Team räumt ein, dass reiche Länder, die in der Vergangenheit am meisten Kohlenstoff emittiert haben, in einer anderen Position sind als andere. Es verweist auf die “gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und jeweiligen Fähigkeiten” – eines der Kernprinzipien des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen von 1992. Der Klimaclub ist sich daher der unterschiedlichen Anforderungen bewusst, die ein gemeinsames Ziel an verschiedene Länder stellt, und ist der Ansicht, dass dies eine “intensive Zusammenarbeit bei der industriellen Transformation und dem Aufbau von Kapazitäten” erfordert.
Indem er die Länder dazu ermutigt, ihre Klimapolitik im Einklang mit ihren sozioökonomischen Gegebenheiten zu gestalten, ist der Klimaclub gut aufgestellt, um einige der Probleme zu vermeiden, die zu den Protesten der Gelbwesten geführt haben. Aber um erfolgreich zu sein, muss er maximal ehrgeizig sein (mit dem Ziel von 1,5 Grad), maximal integrativ und maximal kreativ in den politischen Wegen, die er eröffnet. Es ist diese Flexibilität, die Industrie- und Entwicklungsländern helfen wird, zusammenzuarbeiten, auf die Perspektiven der anderen zu hören und daraus zu lernen. Wenn dies gelingt, könnte der Club einen weltweiten Dominoeffekt auslösen und die dringend benötigte Hoffnung wecken, dass der Kampf gegen den Klimawandel gewonnen werden kann.
In Zusammenarbeit mit Project Syndicate, aus dem Englischen von Andreas Hubig.