Table.Briefing: Europe

Ungarn fordert Milliarden + TTC findet seine Rolle + Inflation

  • Streit um Ölembargo: Ungarn fordert Milliarden
  • Der Trade and Technology Council findet seine Rolle
  • Termine
  • Kommission: Inflation lässt nur langsam nach
  • EU-Leitfaden: Unternehmen sollen weiter Gas in Euro oder Dollar zahlen
  • Mitgliedstaaten billigen Regeln zur Förderung von Energie-Infrastruktur
  • Manuel Höferlin – Digitalpolitik mit technischem Fachwissen
Liebe Leserin, lieber Leser,

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat gestern die bisherige Arbeitsministerin Élisabeth Borne zur neuen Premierministerin ernannt. Damit erhält Frankreich erstmals seit 30 Jahren wieder eine Frau an der Spitze der Regierung. Borne folgt auf Premier Jean Castex, der mit seiner Regierung zuvor den Rücktritt eingereicht hatte. Der Schritt gilt in Frankreich als Formalie nach einer Präsidentenwahl. Wir stellen die 61-Jährige in der morgigen Ausgabe des Europe.Table Decision Briefs vor.

Beim gestrigen Treffen der EU-Außenminister ist es zu keiner Einigung bezüglich des geplanten Ölembargos gegen Russland gekommen. Ungarn blockiert und fordert Milliarden für die Modernisierung seiner Energie-Infrastruktur. Eine weitreichende Entscheidung fiel dagegen beim Thema Waffenlieferung. Eric Bonse berichtet aus Brüssel.

Geschlossenheit herrschte beim zweiten Treffen des Trade and Technology Council (TTC) in Paris. Keine Selbstverständlichkeit, wurde doch das erste Forum zwischen den USA und der EU im September noch überschattet von dem geplatzten französischen U-Boot-Deal. Vizepräsidentin der EU-Kommission Margrethe Vestager zeigte sich gestern fast euphorisch ob der erzielten Resultate bei den Standards für künstliche Intelligenz und Cybersicherheit. Auch das Problem der Lieferengpässe soll angegangen werden, schreibt Stephan Israel.

Manuel Höferlin, Innen- und Digitalpolitiker der FDP, war bereits Anfang der 1990er im Internet unterwegs. Aber erst spät, mit 32 Jahren, fand er den Weg in die Politik. Heute ist er ein “Kämpfer für die Digitalisierung”. Warum, lesen Sie im Portrait.

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Lisa-Martina Klein
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Analyse

Streit um Ölembargo: Ungarn fordert Milliarden 

Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó sprach in einer Videobotschaft auf Facebook von Investitionen in Höhe von 15 bis 18 Milliarden Euro, die nötig wären, damit sein Land doch noch auf russisches Öl verzichtet. Nötig sei eine “vollständige Modernisierung der ungarischen Energie-Infrastruktur”, betonte Szijjártó. Es sei deshalb “legitim”, dass sein Land dazu einen Vorschlag der EU-Kommission erwarte. 

Die Brüsseler Behörde verhandelt seit einer Woche mit der Regierung in Budapest. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte sich sogar eigenes mit Ministerpräsident Viktor Orbán getroffen, jedoch keine Einigung erzielt. Bei den Außenministern stieß das ungarische Vorgehen auf Unverständnis. “Die ganze Union wird von einem Mitgliedstaat als Geisel genommen”, kritisierte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis. 

Sein italienischer Amtskollege Luigi Di Maio forderte eine Abkehr vom Prinzip der Einstimmigkeit in der Außenpolitik. “Das ermöglicht es einem Land, Entscheidungen aller anderen zu blockieren”, beklagte er in Brüssel. Eine schnelle Einigung sei nicht zu erwarten, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Rande des Treffens. Die Positionen seien “ziemlich stark”, deshalb brauche der Beschluss noch Zeit. 

Optimistischer äußerte sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. Sie sei “sehr zuversichtlich”, dass es “in den nächsten Tagen” zu einer Einigung kommen werde. Dabei müsse man auch Ungarn mitnehmen. “Es ist wichtig, dass alle Länder den Weg des Ausstiegs gemeinsam gehen können”, sagte die Grünen-Politikerin. Man dürfe sich “keinen Millimeter” spalten lassen, sondern müsse gemeinsam vorangehen. 

Ungarn fordert Hilfen bei Einfuhrstopp von Gas aus Russland

Zuletzt hatten sich die Fronten verhärtet. Ungarn drohte mit einem Veto gegen das sechste Sanktionspaket, wenn das Ölembargo unverändert kommen sollte. Ungarn bezieht mehr als 60 Prozent seines Öls aus Russland sowie 85 Prozent seines Gases. Neben Ungarn fordern auch die Slowakei, Tschechien und Bulgarien längere Übergangsfristen zur Umsetzung des Einfuhrstopps für russisches Öl sowie Milliardenhilfen zum Bau neuer Pipelines. 

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba rief die EU in Brüssel auf, nicht nur den Ölstreit zu beenden, sondern schnellstmöglich auch einen Einfuhrstopp für russisches Gas auf den Weg zu bringen. Andernfalls würden die Europäer doppelt zahlen, so Kuleba: Für die Energielieferungen und “für die Zerstörung, die russische Waffen auf ukrainischem Boden anrichten”. 

Keine Mehrheit für Gasembargo

Für ein Gasembargo zeichnet sich jedoch erst recht keine Mehrheit ab. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gibt sich zwar optimistisch, dass Deutschland seine Abhängigkeit von russischem Gas verringern könne. Man habe alle notwendigen Maßnahmen eingeleitet und werde, wenn alles nach Plan läuft, im nächsten Jahr nicht mehr erpressbar sein, heißt es in Berlin. Allerdings hat Russland bereits begonnen, die Gaslieferungen in die EU und nach Deutschland zu drosseln. Dies könnte Habecks Pläne durchkreuzen; die Unsicherheit ist groß. 

Ein weiteres Thema bei den Außenministern waren die Waffenlieferungen an die Ukraine. Am Montagabend beschlossen die Außenminister eine Aufstockung der EU-Mittel um 500 Millionen Euro auf insgesamt zwei Milliarden Euro. Davon sollen vor allem schwere Waffen beschafft werden, betonte Borrell. Wenn EU-Länder Waffen an die Ukraine liefern, können sie einen Zuschuss aus der sogenannten Europäischen Friedensfazilität (EFF) beantragen. Die EU hatte den Fonds zur Konfliktlösung und Stabilisierung im Frühjahr 2021 eingerichtet. 

Er umfasst bis zu 5,7 Milliarden Euro bis zum Jahr 2027. Die Mitgliedstaaten finanzieren ihn über Beiträge außerhalb des EU-Haushaltes. Das Europaparlament hat keine Kontrolle über die Verwendung der Mittel. Ursprünglich waren sie vor allem für Friedensmissionen in Afrika bestimmt. Nun dient die Friedensfazilität als Kriegskasse. 

  • Energie
  • Erdgas
  • Ungarn

Der Trade and Technology Council findet seine Rolle

Der Kontrast zur ersten Runde des Trade and Technology Council (TTC) hätte nicht größer sein können. Die Vertreter der USA und der EU demonstrierten am Montag nach dem Treffen in Paris große Geschlossenheit. Der Auftakt des neuen Forums vergangenen September war noch davon überschattet, dass Washington in den Monaten davor hinter dem Rücken der EU mit Großbritannien und Australien einen neuen Sicherheitspakt für den Indopazifik-Raum ausgehandelt hatte, wobei ein französischer U-Boot-Deal platzte.

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Atmosphäre komplett verändert und die transatlantischen Partner zusammenrücken lassen. “Wir haben sehr gute Resultate erzielt”, zeigte sich Margrethe Vestager fast euphorisch. Konkret nannte die Vizepräsidentin der EU-Kommission eine enge Zusammenarbeit, wenn es darum geht, Standards für künstliche Intelligenz und Cybersicherheit auf internationaler Ebene durchzusetzen. Die USA und die EU wollen hier in den einschlägigen Gremien Front gegenüber China machen.

Vestager erwähnte bei den konkreten Ergebnissen auch ein Pilotprojekt für ein Frühwarnsystem, um künftig rechtzeitig Lieferengpässe wie derzeit bei den Halbleitern zu entdecken. Die aktuelle Knappheit könne damit zwar nicht behoben werden, sagte die Vizepräsidentin. Die Analyse der Erkenntnisse werde aber helfen, künftige Lieferengpässe zu vermeiden. Ein weiteres Frühwarnsystem soll zudem dafür sorgen, dass es bei der Förderung von Chips nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Sowohl die USA als auch die EU wollen mit Milliardensubventionen die Abhängigkeit von China reduzieren. Man will sich gegenseitig über Zweck, Form und Betrag der geplanten Subventionen informieren, solange dies keine vertraulichen Informationen betreffe.

Exportkontrollen direktes Ergebnis der Zusammenarbeit

In weniger als einem Jahr sei der TTC zu einem Pfeiler der transatlantischen Kooperation geworden, schreiben EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und US-Präsident Joe Biden in einem gemeinsamen Statement. Es gehe darum, den bilateralen Handel auszubauen, bestehende Handelsbarrieren aufzulösen und neue zu vermeiden. Gemeinsam will man sich gegen handelsverzerrende Praktiken wehren und gegen nichtmarktwirtschaftliche Länder wie China abgrenzen. Erwähnt wird in der Mitteilung auch die geschlossene Antwort auf “Russlands Aggression in der Ukraine”.

US-Handelsministerin Gina Raimondo lobte ebenfalls die “konkreten Ergebnisse”. Die Vorarbeiten des TTC hätten es zudem möglich gemacht, rasch auf das “schreckliche Verhalten” der Führung in Moskau zu reagieren. Die schnellen Exportkontrollen gegenüber Russland seien ein direktes Ergebnis dieser Zusammenarbeit. Die EU und die USA hätten es gemeinsam geschafft, Russland von Spitzentechnologie abzuschneiden, die das Land für seine militärischen Operationen brauche. Eine Arbeitsgruppe des TTC habe diese Exportkontrollen koordiniert.

Beim Bundesverband der Deutschen Industrie zeigte man sich über das zweite Treffen des TTC erfreut: Der EU-US-Handels- und Technologierat sende das dringend benötigte starke Signal für einen transatlantischen Schulterschluss, äußerte sich Siegfried Russwurm, BDI-Präsident und Vorsitzender der Transatlantic Business Initiative (TBI). Es sei aus der Sicht der Wirtschaft erfreulich, dass Amerikaner und Europäer nicht zuletzt angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine so eng zusammenarbeiteten, etwa in der gemeinsamen Sanktionspolitik.

Gefährliche Abhängigkeiten reduzieren

Der russische Angriff habe den Blick auf gefährliche Abhängigkeiten in den Lieferketten noch einmal geschärft, hebt der BDI-Präsident weiter hervor. Die EU und die USA müssten ihre Abhängigkeiten von einzelnen Ländern beispielsweise bei Seltenerdmagneten und in der Solar-Lieferkette dringend reduzieren. Begrüsst wird auch, dass beide Seiten einen Subventionswettlauf in der Halbleiterproduktion vermeiden wollen. Die geplante Einrichtung eines Frühwarnsystems müsse genau geprüft werden. Für ein realistisches Bild brauche es die enge Einbindung von Experten aus der Industrie. Begrüßt wird auch die engere Zusammenarbeit im Bereich der Standardisierung, um die Resilienz gegenüber systemischen Wettbewerbern zu erhöhen.

Der TTC habe sich seit dem Start im September 2021 als äußerst nützliche Plattform für Dialog und Informationsaustausch erwiesen, schreibt Bernd Lange (SPD/S&D), Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament. Lange begrüßt insbesondere die Fortschritte bei der Bewältigung von Unterbrechungen in der Halbleiterlieferkette durch den gemeinsamen Frühwarn- und Überwachungsmechanismus sowie die Verpflichtung zum Austausch über Anreize für den Sektor. Dies werde dazu beitragen, einen Subventionswettlauf zu vermeiden. 

Dennoch sollten die USA und die EU nicht zu einem merkantilistischen Ansatz zurückkehren und nicht versuchen, alles im eigenen Land oder im Verbund von Ländern zu produzieren. Das sei nicht nur unrealistisch, sondern liegt auch nicht im Interesse der EU, die auf einen offenen und fairen Handel angewiesen sei.

Einigkeit von EU und USA im Umgang mit China nötig

Auch Reinhard Bütikofer (Grüne/EFA) lobt die große Geschlossenheit und begrüßt insbesondere den Frühwarnmechanismus sowie das gemeinsame Vorgehen bei der Standardisierung. Es gebe Fortschritte im Einzelnen, wobei Reibungen nicht zu übersehen seien. Dass beim zweiten Treffen der Fokus auf der russischen Aggression liege, sei klar, so Bütikofer. Die strategische Herausforderung sei aber China, und im Umgang damit werde sich der Erfolg des TTC messen lassen.

Die EU und die USA müssten erst noch eine gemeinsame Antwort auf die Bedrohung der multilateralen Ordnung durch China finden. Die USA und die EU seien da noch nicht auf dem gleichen Pfad. Auch müsse man die Bereitschaft der USA, die WTO zu reformieren, noch mit der Lupe suchen. Die andere große Herausforderung sei die grüne Transformation beziehungsweise unterschiedliche Vorstellungen in den USA und Europa. Auf den TTC wartet noch viel Arbeit.

  • China
  • Europapolitik
  • Handel
  • Handelspolitik

Termine

17.05.2022 – 12:00-13:15 Uhr, online
Microsoft, Diskussion Schlüsselwege zur Klimaneutralität
Microsoft lädt zu einer Diskussion mit Brad Smith über Herausforderungen und Lösungsansätze für Regierungen und Organisationen auf ihrem Weg zur Treibhausgasneutralität ein. INFOS & ANMELDUNG

18.05.-19.05.2022, Friedrichshafen
VDA, Konferenz Forum Automobillogistik: Heiter bis wolkig – Clouds & Co. für Transparenz und Resilienz
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) lädt zum jährlichen Netzwerktreffen der Automobilindustrie. INFOS & ANMELDUNG

18.05.2022 – 09:00-16:00 Uhr, online
EEN, Konferenz Med to Meet
Das Enterprise Europe Network (EEN) bietet die Möglichkeit zum Austausch über die neuesten Markttrends in der Medizintechnikbranche. INFOS & ANMELDUNG

18.05.2022 – 10:00-12:30 Uhr, online
Europe.Table, Konferenz Putins Krieg – Europas Optionen für Politik, Wirtschaft & Wissenschaft
Putins Ukraine-Überfall und das Zusammenrücken freiheitlicher Länder markieren eine “Zeitenwende”. Welche Entscheidungen stehen in Europa jetzt an, wie sollen sie getroffen werden? Auf welche Entwicklungen und Maßnahmen der EU müssen sich Entscheiderinnen und Entscheider in  Politik, Wirtschaft und Wissenschaft einstellen? In einem innovativen Konferenzformat – 30 high level Speaker in 150 Minuten – werden alle wichtigen aktuellen Herausforderungen und Fragen kompakt adressiert. Seien Sie live dabei, stellen Sie Ihre Fragen und profitieren Sie von dem konzentrierten Wissen. INFOS & ANMELDUNG

18.05.2022 – 12:00-18:00 Uhr, Köln/online
Deutsche Medienakademie, Konferenz Ziel 1.000Gbps, 0,1msec und überall KI: 6G ist kein No-Brainer
Die Deutsche Medienakademie beschäftigt sich mit den Handlungsoptionen und Möglichkeiten von 6G. INFOS & ANMELDUNG

18.05.2022 – 15:00-18:00 Uhr, Berlin/online
Der Tagesspiegel Fachforum Gesundheitswirtschaft 2022
Der Tagesspiegel blickt auf die Herausforderungen der kommenden Monate und dringlichen Fragen der aktuellen Stunde, sowie die Chancen und möglichen Hürden für die Gesundheitsregion Berlin-Brandenburg.  INFOS & ANMELDUNG

18.05.2022 – 18:30 Uhr, Brüssel
ZIA, Panel Discussion New European Bauhaus
Der Zentrale Immobilien Aussschuss (ZIA) beleuchtet das Potential des New European Bauhaus im Hinblick auf eine umfassende Stadtentwicklungspolitik. INFOS & ANMELDUNG

19.05.2022 – 10:00 Uhr, online
MDZ, Seminar Einführung in Virtual und Augmented Reality für KMU
Das Mittelstand-Digital Zentrum (MDZ) stellt die Chancen und Anwendungsgebiete von Technologien wie Virtual und Augmented Reality für den Mittelstand vor. INFOS & ANMELDUNG

19.05.2022 – 13:00-21:00 Uhr, Köln
Eco, Konferenz Interaction Day 2022
Der Verband der Internetwirtschaft (Eco) lädt alle Interessierten zum persönlichen Networken ein. INFOS & ANMELDUNG

19.05.2022 – 13:00-15:00 Uhr, online
EEN, Presentation Digital Europe Programme: Information session on Data Spaces calls
The Enterprise Europe Network (EEN) gives a general overview of the Digital Europe Programme and presents the framework conditions for the data spaces calls. INFOS & REGISTRATION

News

Kommission: Inflation lässt nur langsam nach

Die EU-Kommission hat ihre Wachstumsprognose für die europäische Wirtschaft wegen des Krieges in der Ukraine drastisch nach unten korrigiert. Die Wirtschaft der Europäischen Union sowie der Euro-Länder werde in diesem Jahr nur um 2,7 Prozent wachsen statt wie bisher erwartet um 4 Prozent, heißt es in der Frühjahrsprognose der Behörde. Für Deutschland wird nur noch ein Wachstum von 1,6 statt 3,6 Prozent erwartet.

Zugleich geht die Kommission davon aus, dass die Inflationsrate noch länger hoch bleiben dürfte. In den Euro-Ländern werde sich die Teuerungsrate in diesem Jahr auf 6,1 Prozent fast verdoppeln. Die Teuerungsrate werde voraussichtlich im zweiten Quartal mit 6,9 Prozent den Höhepunkt erreichen und dann langsam sinken. Mit einem erwarteten Jahresdurchschnitt von 2,7 Prozent für 2023 läge sie immer noch oberhalb der von der Europäischen Zentralbank angestrebten Zielmarke.

Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte, es handele sich um eine der deutlichsten Korrekturen einer solchen Prognose. Das weiterhin positive Wachstum sei vor allem wegen eines Polsters durch die Erholung von der Coronavirus-Pandemie im vergangenen Jahr möglich.

Schon in ihrer Winterprognose im Februar, noch vor dem Einmarsch Russlands in der Ukraine, hatte die Brüsseler Behörde ihre Vorhersagen unter anderem wegen der hohen Energiepreise und der Omikron-Welle der Corona-Pandemie anpassen müssen. Der Krieg in der Ukraine und vor allem die weiterhin hohen Preise für Energie und andere Rohstoffe übten weiter Druck aus, so die Kommission. Dazu kämen kriegsbedingte Störungen der Lieferketten. Für kommendes Jahr geht die EU-Kommission von 2,3 Prozent Wachstum in der EU und im Euroraum aus. In der Februar-Prognose hatte sie noch 2,8 Prozent für die EU und 2,7 Prozent für die Euro-Länder im Jahr 2023 vorhergesagt.

Gas-Lieferstopp hätte erhebliche Folgen für die Wirtschaft der Europäischen Union

Die deutlich nach unten korrigierte Prognose für die deutsche Wirtschaft begründete Gentiloni auch mit den Auswirkungen des coronabedingten Lockdowns in Industriezentren Chinas. Nach verhaltenem Wachstum Anfang des Jahres werde das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal voraussichtlich leicht schrumpfen. Ab Juli werde die deutsche Wirtschaft wieder zulegen, sagte Gentiloni. Im nächsten Jahr wird Europas größte Volkswirtschaft der Prognose zufolge um 2,4 Prozent wachsen. Die Inflation soll dieses Jahr im Durchschnitt 6,5 Prozent und im nächsten 3,1 Prozent erreichen.

Gentiloni warnte, dass die wirtschaftlichen Aussichten vor allem von der Dauer des Kriegs in der Ukraine abhingen. “Unsere Prognose ist mit sehr großer Unsicherheit und Risiken behaftet“, sagte er. Andere Szenarien seien denkbar, bei denen das Wachstum niedriger und die Inflation höher ausfallen könne.

Besonders ein russischer Gas-Lieferstopp hätte demnach erhebliche Folgen für die Wirtschaft der Europäischen Union. In dem Fall könnte das Wachstum dieses Jahr um ganze 2,5 Prozentpunkte niedriger ausfallen und im nächsten um einen. Gentiloni sagte, zwischenzeitlich könnte das BIP schrumpfen. Auch die Inflation wäre bei einem Lieferstopp voraussichtlich deutlich höher: drei Punkte mehr in diesem und ein Punkt höher im nächsten Jahr.

Positiv bewertete die EU-Kommission die Entwicklung der staatlichen Haushalte. Die durchschnittliche Schuldenquote werde dieses Jahr auf 87 Prozent sinken, im Vergleich zu 90 Prozent im vergangenen Jahr. Die durchschnittlichen Defizite sollen voraussichtlich von 4,7 Prozent auf 3,6 Prozent der Wirtschaftsleistung sinken.

Die strengen EU-Schuldenregeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes schreiben vor, dass EU-Länder nicht mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung an Schulden aufnehmen und Haushaltsdefizite bei 3 Prozent gedeckelt werden. Sie sind wegen der Corona-Pandemie bis 2023 ausgesetzt. Nächste Woche will die Kommission ankündigen, ob die Regeln ein weiteres Jahr ausgesetzt bleiben. dpa/tho

  • Europapolitik
  • Eurozone
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EU-Leitfaden: Unternehmen sollen weiter Gas in Euro oder Dollar zahlen

Auch Wochen nach der Ankündigung Russlands, dass als unfreundlich eingestufte Länder wie Deutschland Gaslieferungen künftig in Rubel bezahlen müssen, sind die Details noch unklar. Die Versorger halten sich mit konkreten Äußerungen zurück, für einige läuft aber noch im Mai die Zeit für die nächste Rate ab.

Abwicklung über die Zentralbank Russlands umgehen

Die EU-Kommission bleibt in dem am Freitag an die Länder übergebenen, aktualisierten Leitfaden bei ihrer bisherigen Empfehlung für Unternehmen. Danach würden die Versorger nicht gegen Sanktionen des Westens verstoßen, wenn sie die Zahlungen in Euro leisten und die Transaktion im Moment des Transfers als abgeschlossen gilt. Auf diese Weise umgingen sie eine Abwicklung über die russische Zentralbank, die vom Westen mit Sanktionen belegt ist. Nach dem Dekret des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, muss die Zentralbank die Euro in Rubel tauschen, ehe die Transaktion als abgeschlossen eingestuft wird.

Ein ranghoher Vertreter eines EU-Mitgliedstaates sagte, es werde von der Kommission wohl kein weiteres Update geben. Schlüsselfrage bleibe, wann die Transaktion abgeschlossen ist. Die EU-Kommission hatte die Unternehmen gewarnt, die Umwandlung in Rubel selbst vorzunehmen. Dies könne ein Bruch der Sanktionen sein.

Nahezu alle Lieferverträge, die EU-Unternehmen mit dem russischen Gasriesen Gazprom abgeschlossen haben, lauten auf Euro oder Dollar. Die Unternehmen sollten eine “klare Erklärung” abgeben, die besagt, dass sie ihre Verpflichtungen aus bestehenden Verträgen als erfüllt betrachten, wenn sie in Euro oder Dollar zahlen, heißt es in den Leitlinien.

Es sollte klar sein, dass “solche Zahlungen in dieser Währung den Wirtschaftsteilnehmer endgültig von seinen Zahlungsverpflichtungen im Rahmen dieser Verträge befreien, ohne dass er weitere Schritte in Bezug auf die Zahlung unternehmen muss”, heißt es. Durch die Beendigung der Verpflichtungen nach der Einzahlung von Euro oder Dollar könnte ein Unternehmen vermeiden, mit der russischen Zentralbank zu verhandeln, die mit Sanktionen belegt ist und an der Konvertierung der Euro in Rubel beteiligt sein könnte.

Die Kommission reagierte nicht umgehend auf eine Bitte um Stellungnahme. rtr

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  • Finanzen

Mitgliedstaaten billigen Regeln zur Förderung von Energie-Infrastruktur

Neue EU-Regeln für den Ausbau von grenzüberschreitenden Energienetzen können in Kraft treten. Am Montag stimmten die EU-Länder formell für eine Reform der sogenannten TEN-E-Verordnung. Sie legt fest, welche Projekte besonders gefördert werden sollen, um die Klimaziele der EU zu erreichen – etwa Leitungen zu Offshore-Windparks und Infrastruktur für klimafreundlichen Wasserstoff. Neue Projekte ausschließlich mit Öl oder Gas dürfen künftig keine EU-Unterstützung mehr erhalten.

Die Förderung erfolgt vor allem durch sogenannte Vorhaben von gemeinsamem Interesse (PCIs), die schneller genehmigt und mit EU-Geldern unterstützt werden können. Gas- oder Öl-Pipelines dürfen in Zukunft nicht mehr auf der Liste stehen. Allerdings gibt es einige Ausnahmen – etwa schon geplante Gaspipelines nach Malta oder Zypern, da die Länder bislang nicht mit dem Gasnetzwerk des Festlands verbunden sind. Diese Projekte standen noch auf der letzten PCI-Liste, die die EU-Kommission im Winter vorstellte.

Die TEN-E-Verordnung soll 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft treten. Die EU hat es sich zum Ziel gesetzt, den Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlendioxid bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu senken. Bis 2050 soll die EU klimaneutral werden, also alle Treibhausgase entweder vermeiden oder speichern. dpa

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Presseschau

Waffen für die Ukraine: EU-Außenminister bewilligen 500-Millionen-Euro-Paket RND
Ungarn fordert EU-Milliarden für Ja zu Ölembargo T-ONLINE
Italien: Uneinigkeit über Waffenlieferungen an die Ukraine HEISE
Spaniens Außenminister: “Nichts von dem, was EU oder Nato tun, zielt auf Eskalation ab” WELT
Früherer österreichischer Generalstabschef Robert Brieger übernimmt Leitung des EU-Militärausschusses DER STANDARD
Ukraine: In Rekordzeit zum Beitrittskandidaten? HANDELSBLATT
Boris Johnson droht EU mit Aussetzen des Nordirland-Protokolls ZEIT
EU senkt Konjunkturprognose deutlich TAGESSCHAU
EU und USA wollen Wettrennen um Mikrochip-Subventionen verhindern DER STANDARD
Elisabeth Borne wird Macrons neue Premierministerin SÜDDEUTSCHE
Weil Grenoble die Erlaubnis gibt, streitet Frankreich wieder über Burkinis RND
Künftige slowenische Regierung baut Grenzzaun zu Kroatien ab ORF
Treibhausgasemissionen in der EU wieder höher als vor der Corona-Pandemie WATSON
EU will Vorabkaufvertrag mit Valneva kündigen ZDF
Frontex: Zahl der illegalen Grenzübertritte deutlich gestiegen T-ONLINE

Portrait

Manuel Höferlin – Digitalpolitik mit technischem Fachwissen

Manuel Höferlin, MdB, FDP
Manuel Höferlin ist Innen- und Digitalpolitiker der Freien Demokraten im Bundestag.

Die ersten digitalen Spuren hinterließ Manuel Höferlin bereits 1993 in den Anfängen des WWW. Damals trieb sich der heute 49-Jährige als Jura-Student in Usenet-Gruppen herum, wo er sich mit Gleichgesinnten über technische Details des Internets austauschte. Höferlin hatte damals einen der ersten juristischen Webserver an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz aufgebaut, “das hatten die einem Juristen damals gar nicht zugetraut”, sagt er.

Höferlin faszinierte das Gefühl, mittels Internet direkt und schnell an der Quelle von neuen Informationen zu sein. Bei der NASA lud er sich damals Bilder herunter, ohne zu wissen, was diese zeigen würden. “Dank des Internets schnell an Informationen zu kommen, finde ich heute noch unglaublich spannend.” Damals seien ihm die riesigen Chancen deutlich bewusst geworden, die mit der Digitalisierung zusammenhingen.

Noch als Student macht der Rheinhesse sich selbstständig, gründet eine IT-Beratungsgesellschaft, deren Geschäfte er bis 2009 leitete. Als normaler Jurist zu arbeiten, kam für ihn bald nicht mehr infrage. “Mir hat es damals einen Höllenspaß gemacht, mich selber in alles Technische reinzufuchsen”, sagt er.

Sprint durch die Politik

Zur Politik kam er erst relativ spät, als 32-Jähriger im Jahr 2005. Damals, als die Rot-Grüne Koalition scheiterte, sah er den Moment gekommen, um politisch Farbe zu bekennen. Er trat der FDP bei. “Ich hatte die Nase voll von der Regierung und wollte in eine Partei, die auf der Seite der Wirtschaft steht und für Bürgerrechte einsteht – auch im digitalen Raum.” Die zweite rot-grüne Schröder-Regierung mit Innenminister Otto Schily hatte da in Folge der 9/11-Attentate massive Überwachungsgesetzgebung auf den Weg gebracht.

Nach einem Sprint durch die rheinland-pfälzische Lokal- und Landespolitik wurde Höferlin im Jahr 2009 erstmals in den Bundestag gewählt. Bis 2013 wirkte er als Teil eines digitalpolitischen Abgeordneten-Trios, das die Themen in der FDP-Fraktion vorantrieb. Mit dem Scheitern der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde war er im 18. Bundestag nicht vertreten, 2017 zog er wieder dort ein. Ab 2019 übernahm er dort den Vorsitz des Ausschusses Digitale Agenda, nachdem Höferlins langjähriger Weggefährte Jimmy Schulz nach langem Kampf gegen den Krebs verstorben war. Bei der vergangenen Bundestagswahl musste Höferlin, der aus dem gleichen Landesverband wie Digitalminister Volker Wissing kommt, zittern: Dass der digitalpolitisch Profilierte wirklich auch dem 20. Bundestag angehört, stand in der Wahlnacht lange noch nicht fest.

In dieser Wahlperiode ist er ordentliches Mitglied im Innenausschuss sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Digitales. An Themenüberschneidungen mangelt es dabei nicht: Von Datensharing und Verwaltungsdienstleistungen im öffentlichen Sektor über Cybersicherheit bis Datenschutz sind beide Ausschüsse auch genau für solche Themen relevant, die ihn lange umtreiben. Dass Manuel Höferlin kein parlamentarischer Staatssekretär im Digitalministerium wurde, bedauern Branchenvertreter. Doch ein rheinland-pfälzischer Minister mit rheinland-pfälzischen Staatssekretären, das ist im politischen Berlin kaum möglich.

Digitale Politik als Innenpolitik

Manuel Höferlin bezeichnet sich selbst als “Kämpfer für die Digitalisierung”. Eines seiner Herzensthemen ist die sichere digitale Kommunikation und ein freies Internet ohne staatliche Überwachung. “Ich wünsche mir, dass Bürgerinnen und Bürger auch in der digitalen Welt selbstbestimmt unterwegs sein können”, sagt er. Digitale Politik versteht er daher auch als Innenpolitik, und anders als der Digitalminister kommt Innenministerin Nancy Faeser nicht aus der eigenen Partei.

Vor allem beschäftigt Manuel Höferlin derzeit die Frage, wie stark Bürger:innen im digitalen Raum staatlich überwacht werden. Es würde zwar immer wieder über Einzelmaßnahmen diskutiert, Vorratsdatenspeicherung oder die Quellen-Telekommunikationsüberwachung. Doch das Gesamtbild der staatlichen Überwachung im Internet sei noch immer diffus. “Hier möchten wir als FDP mit der Überwachungsgesamtrechnung erstmals eine Bilanz ziehen”, sagt Höferlin, “denn die gibt es derzeit nicht”. Den Auftrag dazu haben die Ampel-Verhandler in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Höferlin gehört zu jenen, die eine Vorratsdatenspeicherungs-Neuregelung auf europäischer Ebene grundsätzlich skeptisch sehen.

Den technologischen Blick auf die politischen Inhalte hat er nicht verloren, noch immer will er zuerst alles bis ins Detail durchdenken und verstehen, wenn er etwas politisch verhandeln muss. “Dieses Fachwissen hat mir politisch immer geholfen“, sagt er. Als Ausgleich zu den abstrakten Themen voller Nullen und Einsen imkert Höferlin in seiner Freizeit. “Das erdet mich”, sagt er. Seine andere Leidenschaft sei das Fliegen: Diesen alten Kindheitstraum hat er sich vor einigen Jahren mit dem Privatpilotenschein endlich erfüllen können. Adrian Meyer

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Beim gestrigen Treffen der EU-Außenminister ist es zu keiner Einigung bezüglich des geplanten Ölembargos gegen Russland gekommen. Ungarn blockiert und fordert Milliarden für die Modernisierung seiner Energie-Infrastruktur. Eine weitreichende Entscheidung fiel dagegen beim Thema Waffenlieferung. Eric Bonse berichtet aus Brüssel.

    Geschlossenheit herrschte beim zweiten Treffen des Trade and Technology Council (TTC) in Paris. Keine Selbstverständlichkeit, wurde doch das erste Forum zwischen den USA und der EU im September noch überschattet von dem geplatzten französischen U-Boot-Deal. Vizepräsidentin der EU-Kommission Margrethe Vestager zeigte sich gestern fast euphorisch ob der erzielten Resultate bei den Standards für künstliche Intelligenz und Cybersicherheit. Auch das Problem der Lieferengpässe soll angegangen werden, schreibt Stephan Israel.

    Manuel Höferlin, Innen- und Digitalpolitiker der FDP, war bereits Anfang der 1990er im Internet unterwegs. Aber erst spät, mit 32 Jahren, fand er den Weg in die Politik. Heute ist er ein “Kämpfer für die Digitalisierung”. Warum, lesen Sie im Portrait.

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    Streit um Ölembargo: Ungarn fordert Milliarden 

    Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó sprach in einer Videobotschaft auf Facebook von Investitionen in Höhe von 15 bis 18 Milliarden Euro, die nötig wären, damit sein Land doch noch auf russisches Öl verzichtet. Nötig sei eine “vollständige Modernisierung der ungarischen Energie-Infrastruktur”, betonte Szijjártó. Es sei deshalb “legitim”, dass sein Land dazu einen Vorschlag der EU-Kommission erwarte. 

    Die Brüsseler Behörde verhandelt seit einer Woche mit der Regierung in Budapest. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte sich sogar eigenes mit Ministerpräsident Viktor Orbán getroffen, jedoch keine Einigung erzielt. Bei den Außenministern stieß das ungarische Vorgehen auf Unverständnis. “Die ganze Union wird von einem Mitgliedstaat als Geisel genommen”, kritisierte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis. 

    Sein italienischer Amtskollege Luigi Di Maio forderte eine Abkehr vom Prinzip der Einstimmigkeit in der Außenpolitik. “Das ermöglicht es einem Land, Entscheidungen aller anderen zu blockieren”, beklagte er in Brüssel. Eine schnelle Einigung sei nicht zu erwarten, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Rande des Treffens. Die Positionen seien “ziemlich stark”, deshalb brauche der Beschluss noch Zeit. 

    Optimistischer äußerte sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. Sie sei “sehr zuversichtlich”, dass es “in den nächsten Tagen” zu einer Einigung kommen werde. Dabei müsse man auch Ungarn mitnehmen. “Es ist wichtig, dass alle Länder den Weg des Ausstiegs gemeinsam gehen können”, sagte die Grünen-Politikerin. Man dürfe sich “keinen Millimeter” spalten lassen, sondern müsse gemeinsam vorangehen. 

    Ungarn fordert Hilfen bei Einfuhrstopp von Gas aus Russland

    Zuletzt hatten sich die Fronten verhärtet. Ungarn drohte mit einem Veto gegen das sechste Sanktionspaket, wenn das Ölembargo unverändert kommen sollte. Ungarn bezieht mehr als 60 Prozent seines Öls aus Russland sowie 85 Prozent seines Gases. Neben Ungarn fordern auch die Slowakei, Tschechien und Bulgarien längere Übergangsfristen zur Umsetzung des Einfuhrstopps für russisches Öl sowie Milliardenhilfen zum Bau neuer Pipelines. 

    Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba rief die EU in Brüssel auf, nicht nur den Ölstreit zu beenden, sondern schnellstmöglich auch einen Einfuhrstopp für russisches Gas auf den Weg zu bringen. Andernfalls würden die Europäer doppelt zahlen, so Kuleba: Für die Energielieferungen und “für die Zerstörung, die russische Waffen auf ukrainischem Boden anrichten”. 

    Keine Mehrheit für Gasembargo

    Für ein Gasembargo zeichnet sich jedoch erst recht keine Mehrheit ab. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gibt sich zwar optimistisch, dass Deutschland seine Abhängigkeit von russischem Gas verringern könne. Man habe alle notwendigen Maßnahmen eingeleitet und werde, wenn alles nach Plan läuft, im nächsten Jahr nicht mehr erpressbar sein, heißt es in Berlin. Allerdings hat Russland bereits begonnen, die Gaslieferungen in die EU und nach Deutschland zu drosseln. Dies könnte Habecks Pläne durchkreuzen; die Unsicherheit ist groß. 

    Ein weiteres Thema bei den Außenministern waren die Waffenlieferungen an die Ukraine. Am Montagabend beschlossen die Außenminister eine Aufstockung der EU-Mittel um 500 Millionen Euro auf insgesamt zwei Milliarden Euro. Davon sollen vor allem schwere Waffen beschafft werden, betonte Borrell. Wenn EU-Länder Waffen an die Ukraine liefern, können sie einen Zuschuss aus der sogenannten Europäischen Friedensfazilität (EFF) beantragen. Die EU hatte den Fonds zur Konfliktlösung und Stabilisierung im Frühjahr 2021 eingerichtet. 

    Er umfasst bis zu 5,7 Milliarden Euro bis zum Jahr 2027. Die Mitgliedstaaten finanzieren ihn über Beiträge außerhalb des EU-Haushaltes. Das Europaparlament hat keine Kontrolle über die Verwendung der Mittel. Ursprünglich waren sie vor allem für Friedensmissionen in Afrika bestimmt. Nun dient die Friedensfazilität als Kriegskasse. 

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    Der Trade and Technology Council findet seine Rolle

    Der Kontrast zur ersten Runde des Trade and Technology Council (TTC) hätte nicht größer sein können. Die Vertreter der USA und der EU demonstrierten am Montag nach dem Treffen in Paris große Geschlossenheit. Der Auftakt des neuen Forums vergangenen September war noch davon überschattet, dass Washington in den Monaten davor hinter dem Rücken der EU mit Großbritannien und Australien einen neuen Sicherheitspakt für den Indopazifik-Raum ausgehandelt hatte, wobei ein französischer U-Boot-Deal platzte.

    Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Atmosphäre komplett verändert und die transatlantischen Partner zusammenrücken lassen. “Wir haben sehr gute Resultate erzielt”, zeigte sich Margrethe Vestager fast euphorisch. Konkret nannte die Vizepräsidentin der EU-Kommission eine enge Zusammenarbeit, wenn es darum geht, Standards für künstliche Intelligenz und Cybersicherheit auf internationaler Ebene durchzusetzen. Die USA und die EU wollen hier in den einschlägigen Gremien Front gegenüber China machen.

    Vestager erwähnte bei den konkreten Ergebnissen auch ein Pilotprojekt für ein Frühwarnsystem, um künftig rechtzeitig Lieferengpässe wie derzeit bei den Halbleitern zu entdecken. Die aktuelle Knappheit könne damit zwar nicht behoben werden, sagte die Vizepräsidentin. Die Analyse der Erkenntnisse werde aber helfen, künftige Lieferengpässe zu vermeiden. Ein weiteres Frühwarnsystem soll zudem dafür sorgen, dass es bei der Förderung von Chips nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Sowohl die USA als auch die EU wollen mit Milliardensubventionen die Abhängigkeit von China reduzieren. Man will sich gegenseitig über Zweck, Form und Betrag der geplanten Subventionen informieren, solange dies keine vertraulichen Informationen betreffe.

    Exportkontrollen direktes Ergebnis der Zusammenarbeit

    In weniger als einem Jahr sei der TTC zu einem Pfeiler der transatlantischen Kooperation geworden, schreiben EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und US-Präsident Joe Biden in einem gemeinsamen Statement. Es gehe darum, den bilateralen Handel auszubauen, bestehende Handelsbarrieren aufzulösen und neue zu vermeiden. Gemeinsam will man sich gegen handelsverzerrende Praktiken wehren und gegen nichtmarktwirtschaftliche Länder wie China abgrenzen. Erwähnt wird in der Mitteilung auch die geschlossene Antwort auf “Russlands Aggression in der Ukraine”.

    US-Handelsministerin Gina Raimondo lobte ebenfalls die “konkreten Ergebnisse”. Die Vorarbeiten des TTC hätten es zudem möglich gemacht, rasch auf das “schreckliche Verhalten” der Führung in Moskau zu reagieren. Die schnellen Exportkontrollen gegenüber Russland seien ein direktes Ergebnis dieser Zusammenarbeit. Die EU und die USA hätten es gemeinsam geschafft, Russland von Spitzentechnologie abzuschneiden, die das Land für seine militärischen Operationen brauche. Eine Arbeitsgruppe des TTC habe diese Exportkontrollen koordiniert.

    Beim Bundesverband der Deutschen Industrie zeigte man sich über das zweite Treffen des TTC erfreut: Der EU-US-Handels- und Technologierat sende das dringend benötigte starke Signal für einen transatlantischen Schulterschluss, äußerte sich Siegfried Russwurm, BDI-Präsident und Vorsitzender der Transatlantic Business Initiative (TBI). Es sei aus der Sicht der Wirtschaft erfreulich, dass Amerikaner und Europäer nicht zuletzt angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine so eng zusammenarbeiteten, etwa in der gemeinsamen Sanktionspolitik.

    Gefährliche Abhängigkeiten reduzieren

    Der russische Angriff habe den Blick auf gefährliche Abhängigkeiten in den Lieferketten noch einmal geschärft, hebt der BDI-Präsident weiter hervor. Die EU und die USA müssten ihre Abhängigkeiten von einzelnen Ländern beispielsweise bei Seltenerdmagneten und in der Solar-Lieferkette dringend reduzieren. Begrüsst wird auch, dass beide Seiten einen Subventionswettlauf in der Halbleiterproduktion vermeiden wollen. Die geplante Einrichtung eines Frühwarnsystems müsse genau geprüft werden. Für ein realistisches Bild brauche es die enge Einbindung von Experten aus der Industrie. Begrüßt wird auch die engere Zusammenarbeit im Bereich der Standardisierung, um die Resilienz gegenüber systemischen Wettbewerbern zu erhöhen.

    Der TTC habe sich seit dem Start im September 2021 als äußerst nützliche Plattform für Dialog und Informationsaustausch erwiesen, schreibt Bernd Lange (SPD/S&D), Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament. Lange begrüßt insbesondere die Fortschritte bei der Bewältigung von Unterbrechungen in der Halbleiterlieferkette durch den gemeinsamen Frühwarn- und Überwachungsmechanismus sowie die Verpflichtung zum Austausch über Anreize für den Sektor. Dies werde dazu beitragen, einen Subventionswettlauf zu vermeiden. 

    Dennoch sollten die USA und die EU nicht zu einem merkantilistischen Ansatz zurückkehren und nicht versuchen, alles im eigenen Land oder im Verbund von Ländern zu produzieren. Das sei nicht nur unrealistisch, sondern liegt auch nicht im Interesse der EU, die auf einen offenen und fairen Handel angewiesen sei.

    Einigkeit von EU und USA im Umgang mit China nötig

    Auch Reinhard Bütikofer (Grüne/EFA) lobt die große Geschlossenheit und begrüßt insbesondere den Frühwarnmechanismus sowie das gemeinsame Vorgehen bei der Standardisierung. Es gebe Fortschritte im Einzelnen, wobei Reibungen nicht zu übersehen seien. Dass beim zweiten Treffen der Fokus auf der russischen Aggression liege, sei klar, so Bütikofer. Die strategische Herausforderung sei aber China, und im Umgang damit werde sich der Erfolg des TTC messen lassen.

    Die EU und die USA müssten erst noch eine gemeinsame Antwort auf die Bedrohung der multilateralen Ordnung durch China finden. Die USA und die EU seien da noch nicht auf dem gleichen Pfad. Auch müsse man die Bereitschaft der USA, die WTO zu reformieren, noch mit der Lupe suchen. Die andere große Herausforderung sei die grüne Transformation beziehungsweise unterschiedliche Vorstellungen in den USA und Europa. Auf den TTC wartet noch viel Arbeit.

    • China
    • Europapolitik
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    Termine

    17.05.2022 – 12:00-13:15 Uhr, online
    Microsoft, Diskussion Schlüsselwege zur Klimaneutralität
    Microsoft lädt zu einer Diskussion mit Brad Smith über Herausforderungen und Lösungsansätze für Regierungen und Organisationen auf ihrem Weg zur Treibhausgasneutralität ein. INFOS & ANMELDUNG

    18.05.-19.05.2022, Friedrichshafen
    VDA, Konferenz Forum Automobillogistik: Heiter bis wolkig – Clouds & Co. für Transparenz und Resilienz
    Der Verband der Automobilindustrie (VDA) lädt zum jährlichen Netzwerktreffen der Automobilindustrie. INFOS & ANMELDUNG

    18.05.2022 – 09:00-16:00 Uhr, online
    EEN, Konferenz Med to Meet
    Das Enterprise Europe Network (EEN) bietet die Möglichkeit zum Austausch über die neuesten Markttrends in der Medizintechnikbranche. INFOS & ANMELDUNG

    18.05.2022 – 10:00-12:30 Uhr, online
    Europe.Table, Konferenz Putins Krieg – Europas Optionen für Politik, Wirtschaft & Wissenschaft
    Putins Ukraine-Überfall und das Zusammenrücken freiheitlicher Länder markieren eine “Zeitenwende”. Welche Entscheidungen stehen in Europa jetzt an, wie sollen sie getroffen werden? Auf welche Entwicklungen und Maßnahmen der EU müssen sich Entscheiderinnen und Entscheider in  Politik, Wirtschaft und Wissenschaft einstellen? In einem innovativen Konferenzformat – 30 high level Speaker in 150 Minuten – werden alle wichtigen aktuellen Herausforderungen und Fragen kompakt adressiert. Seien Sie live dabei, stellen Sie Ihre Fragen und profitieren Sie von dem konzentrierten Wissen. INFOS & ANMELDUNG

    18.05.2022 – 12:00-18:00 Uhr, Köln/online
    Deutsche Medienakademie, Konferenz Ziel 1.000Gbps, 0,1msec und überall KI: 6G ist kein No-Brainer
    Die Deutsche Medienakademie beschäftigt sich mit den Handlungsoptionen und Möglichkeiten von 6G. INFOS & ANMELDUNG

    18.05.2022 – 15:00-18:00 Uhr, Berlin/online
    Der Tagesspiegel Fachforum Gesundheitswirtschaft 2022
    Der Tagesspiegel blickt auf die Herausforderungen der kommenden Monate und dringlichen Fragen der aktuellen Stunde, sowie die Chancen und möglichen Hürden für die Gesundheitsregion Berlin-Brandenburg.  INFOS & ANMELDUNG

    18.05.2022 – 18:30 Uhr, Brüssel
    ZIA, Panel Discussion New European Bauhaus
    Der Zentrale Immobilien Aussschuss (ZIA) beleuchtet das Potential des New European Bauhaus im Hinblick auf eine umfassende Stadtentwicklungspolitik. INFOS & ANMELDUNG

    19.05.2022 – 10:00 Uhr, online
    MDZ, Seminar Einführung in Virtual und Augmented Reality für KMU
    Das Mittelstand-Digital Zentrum (MDZ) stellt die Chancen und Anwendungsgebiete von Technologien wie Virtual und Augmented Reality für den Mittelstand vor. INFOS & ANMELDUNG

    19.05.2022 – 13:00-21:00 Uhr, Köln
    Eco, Konferenz Interaction Day 2022
    Der Verband der Internetwirtschaft (Eco) lädt alle Interessierten zum persönlichen Networken ein. INFOS & ANMELDUNG

    19.05.2022 – 13:00-15:00 Uhr, online
    EEN, Presentation Digital Europe Programme: Information session on Data Spaces calls
    The Enterprise Europe Network (EEN) gives a general overview of the Digital Europe Programme and presents the framework conditions for the data spaces calls. INFOS & REGISTRATION

    News

    Kommission: Inflation lässt nur langsam nach

    Die EU-Kommission hat ihre Wachstumsprognose für die europäische Wirtschaft wegen des Krieges in der Ukraine drastisch nach unten korrigiert. Die Wirtschaft der Europäischen Union sowie der Euro-Länder werde in diesem Jahr nur um 2,7 Prozent wachsen statt wie bisher erwartet um 4 Prozent, heißt es in der Frühjahrsprognose der Behörde. Für Deutschland wird nur noch ein Wachstum von 1,6 statt 3,6 Prozent erwartet.

    Zugleich geht die Kommission davon aus, dass die Inflationsrate noch länger hoch bleiben dürfte. In den Euro-Ländern werde sich die Teuerungsrate in diesem Jahr auf 6,1 Prozent fast verdoppeln. Die Teuerungsrate werde voraussichtlich im zweiten Quartal mit 6,9 Prozent den Höhepunkt erreichen und dann langsam sinken. Mit einem erwarteten Jahresdurchschnitt von 2,7 Prozent für 2023 läge sie immer noch oberhalb der von der Europäischen Zentralbank angestrebten Zielmarke.

    Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte, es handele sich um eine der deutlichsten Korrekturen einer solchen Prognose. Das weiterhin positive Wachstum sei vor allem wegen eines Polsters durch die Erholung von der Coronavirus-Pandemie im vergangenen Jahr möglich.

    Schon in ihrer Winterprognose im Februar, noch vor dem Einmarsch Russlands in der Ukraine, hatte die Brüsseler Behörde ihre Vorhersagen unter anderem wegen der hohen Energiepreise und der Omikron-Welle der Corona-Pandemie anpassen müssen. Der Krieg in der Ukraine und vor allem die weiterhin hohen Preise für Energie und andere Rohstoffe übten weiter Druck aus, so die Kommission. Dazu kämen kriegsbedingte Störungen der Lieferketten. Für kommendes Jahr geht die EU-Kommission von 2,3 Prozent Wachstum in der EU und im Euroraum aus. In der Februar-Prognose hatte sie noch 2,8 Prozent für die EU und 2,7 Prozent für die Euro-Länder im Jahr 2023 vorhergesagt.

    Gas-Lieferstopp hätte erhebliche Folgen für die Wirtschaft der Europäischen Union

    Die deutlich nach unten korrigierte Prognose für die deutsche Wirtschaft begründete Gentiloni auch mit den Auswirkungen des coronabedingten Lockdowns in Industriezentren Chinas. Nach verhaltenem Wachstum Anfang des Jahres werde das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal voraussichtlich leicht schrumpfen. Ab Juli werde die deutsche Wirtschaft wieder zulegen, sagte Gentiloni. Im nächsten Jahr wird Europas größte Volkswirtschaft der Prognose zufolge um 2,4 Prozent wachsen. Die Inflation soll dieses Jahr im Durchschnitt 6,5 Prozent und im nächsten 3,1 Prozent erreichen.

    Gentiloni warnte, dass die wirtschaftlichen Aussichten vor allem von der Dauer des Kriegs in der Ukraine abhingen. “Unsere Prognose ist mit sehr großer Unsicherheit und Risiken behaftet“, sagte er. Andere Szenarien seien denkbar, bei denen das Wachstum niedriger und die Inflation höher ausfallen könne.

    Besonders ein russischer Gas-Lieferstopp hätte demnach erhebliche Folgen für die Wirtschaft der Europäischen Union. In dem Fall könnte das Wachstum dieses Jahr um ganze 2,5 Prozentpunkte niedriger ausfallen und im nächsten um einen. Gentiloni sagte, zwischenzeitlich könnte das BIP schrumpfen. Auch die Inflation wäre bei einem Lieferstopp voraussichtlich deutlich höher: drei Punkte mehr in diesem und ein Punkt höher im nächsten Jahr.

    Positiv bewertete die EU-Kommission die Entwicklung der staatlichen Haushalte. Die durchschnittliche Schuldenquote werde dieses Jahr auf 87 Prozent sinken, im Vergleich zu 90 Prozent im vergangenen Jahr. Die durchschnittlichen Defizite sollen voraussichtlich von 4,7 Prozent auf 3,6 Prozent der Wirtschaftsleistung sinken.

    Die strengen EU-Schuldenregeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes schreiben vor, dass EU-Länder nicht mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung an Schulden aufnehmen und Haushaltsdefizite bei 3 Prozent gedeckelt werden. Sie sind wegen der Corona-Pandemie bis 2023 ausgesetzt. Nächste Woche will die Kommission ankündigen, ob die Regeln ein weiteres Jahr ausgesetzt bleiben. dpa/tho

    • Europapolitik
    • Eurozone
    • Finanzen
    • Inflation

    EU-Leitfaden: Unternehmen sollen weiter Gas in Euro oder Dollar zahlen

    Auch Wochen nach der Ankündigung Russlands, dass als unfreundlich eingestufte Länder wie Deutschland Gaslieferungen künftig in Rubel bezahlen müssen, sind die Details noch unklar. Die Versorger halten sich mit konkreten Äußerungen zurück, für einige läuft aber noch im Mai die Zeit für die nächste Rate ab.

    Abwicklung über die Zentralbank Russlands umgehen

    Die EU-Kommission bleibt in dem am Freitag an die Länder übergebenen, aktualisierten Leitfaden bei ihrer bisherigen Empfehlung für Unternehmen. Danach würden die Versorger nicht gegen Sanktionen des Westens verstoßen, wenn sie die Zahlungen in Euro leisten und die Transaktion im Moment des Transfers als abgeschlossen gilt. Auf diese Weise umgingen sie eine Abwicklung über die russische Zentralbank, die vom Westen mit Sanktionen belegt ist. Nach dem Dekret des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, muss die Zentralbank die Euro in Rubel tauschen, ehe die Transaktion als abgeschlossen eingestuft wird.

    Ein ranghoher Vertreter eines EU-Mitgliedstaates sagte, es werde von der Kommission wohl kein weiteres Update geben. Schlüsselfrage bleibe, wann die Transaktion abgeschlossen ist. Die EU-Kommission hatte die Unternehmen gewarnt, die Umwandlung in Rubel selbst vorzunehmen. Dies könne ein Bruch der Sanktionen sein.

    Nahezu alle Lieferverträge, die EU-Unternehmen mit dem russischen Gasriesen Gazprom abgeschlossen haben, lauten auf Euro oder Dollar. Die Unternehmen sollten eine “klare Erklärung” abgeben, die besagt, dass sie ihre Verpflichtungen aus bestehenden Verträgen als erfüllt betrachten, wenn sie in Euro oder Dollar zahlen, heißt es in den Leitlinien.

    Es sollte klar sein, dass “solche Zahlungen in dieser Währung den Wirtschaftsteilnehmer endgültig von seinen Zahlungsverpflichtungen im Rahmen dieser Verträge befreien, ohne dass er weitere Schritte in Bezug auf die Zahlung unternehmen muss”, heißt es. Durch die Beendigung der Verpflichtungen nach der Einzahlung von Euro oder Dollar könnte ein Unternehmen vermeiden, mit der russischen Zentralbank zu verhandeln, die mit Sanktionen belegt ist und an der Konvertierung der Euro in Rubel beteiligt sein könnte.

    Die Kommission reagierte nicht umgehend auf eine Bitte um Stellungnahme. rtr

    • Energie
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    • Finanzen

    Mitgliedstaaten billigen Regeln zur Förderung von Energie-Infrastruktur

    Neue EU-Regeln für den Ausbau von grenzüberschreitenden Energienetzen können in Kraft treten. Am Montag stimmten die EU-Länder formell für eine Reform der sogenannten TEN-E-Verordnung. Sie legt fest, welche Projekte besonders gefördert werden sollen, um die Klimaziele der EU zu erreichen – etwa Leitungen zu Offshore-Windparks und Infrastruktur für klimafreundlichen Wasserstoff. Neue Projekte ausschließlich mit Öl oder Gas dürfen künftig keine EU-Unterstützung mehr erhalten.

    Die Förderung erfolgt vor allem durch sogenannte Vorhaben von gemeinsamem Interesse (PCIs), die schneller genehmigt und mit EU-Geldern unterstützt werden können. Gas- oder Öl-Pipelines dürfen in Zukunft nicht mehr auf der Liste stehen. Allerdings gibt es einige Ausnahmen – etwa schon geplante Gaspipelines nach Malta oder Zypern, da die Länder bislang nicht mit dem Gasnetzwerk des Festlands verbunden sind. Diese Projekte standen noch auf der letzten PCI-Liste, die die EU-Kommission im Winter vorstellte.

    Die TEN-E-Verordnung soll 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft treten. Die EU hat es sich zum Ziel gesetzt, den Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlendioxid bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu senken. Bis 2050 soll die EU klimaneutral werden, also alle Treibhausgase entweder vermeiden oder speichern. dpa

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    Presseschau

    Waffen für die Ukraine: EU-Außenminister bewilligen 500-Millionen-Euro-Paket RND
    Ungarn fordert EU-Milliarden für Ja zu Ölembargo T-ONLINE
    Italien: Uneinigkeit über Waffenlieferungen an die Ukraine HEISE
    Spaniens Außenminister: “Nichts von dem, was EU oder Nato tun, zielt auf Eskalation ab” WELT
    Früherer österreichischer Generalstabschef Robert Brieger übernimmt Leitung des EU-Militärausschusses DER STANDARD
    Ukraine: In Rekordzeit zum Beitrittskandidaten? HANDELSBLATT
    Boris Johnson droht EU mit Aussetzen des Nordirland-Protokolls ZEIT
    EU senkt Konjunkturprognose deutlich TAGESSCHAU
    EU und USA wollen Wettrennen um Mikrochip-Subventionen verhindern DER STANDARD
    Elisabeth Borne wird Macrons neue Premierministerin SÜDDEUTSCHE
    Weil Grenoble die Erlaubnis gibt, streitet Frankreich wieder über Burkinis RND
    Künftige slowenische Regierung baut Grenzzaun zu Kroatien ab ORF
    Treibhausgasemissionen in der EU wieder höher als vor der Corona-Pandemie WATSON
    EU will Vorabkaufvertrag mit Valneva kündigen ZDF
    Frontex: Zahl der illegalen Grenzübertritte deutlich gestiegen T-ONLINE

    Portrait

    Manuel Höferlin – Digitalpolitik mit technischem Fachwissen

    Manuel Höferlin, MdB, FDP
    Manuel Höferlin ist Innen- und Digitalpolitiker der Freien Demokraten im Bundestag.

    Die ersten digitalen Spuren hinterließ Manuel Höferlin bereits 1993 in den Anfängen des WWW. Damals trieb sich der heute 49-Jährige als Jura-Student in Usenet-Gruppen herum, wo er sich mit Gleichgesinnten über technische Details des Internets austauschte. Höferlin hatte damals einen der ersten juristischen Webserver an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz aufgebaut, “das hatten die einem Juristen damals gar nicht zugetraut”, sagt er.

    Höferlin faszinierte das Gefühl, mittels Internet direkt und schnell an der Quelle von neuen Informationen zu sein. Bei der NASA lud er sich damals Bilder herunter, ohne zu wissen, was diese zeigen würden. “Dank des Internets schnell an Informationen zu kommen, finde ich heute noch unglaublich spannend.” Damals seien ihm die riesigen Chancen deutlich bewusst geworden, die mit der Digitalisierung zusammenhingen.

    Noch als Student macht der Rheinhesse sich selbstständig, gründet eine IT-Beratungsgesellschaft, deren Geschäfte er bis 2009 leitete. Als normaler Jurist zu arbeiten, kam für ihn bald nicht mehr infrage. “Mir hat es damals einen Höllenspaß gemacht, mich selber in alles Technische reinzufuchsen”, sagt er.

    Sprint durch die Politik

    Zur Politik kam er erst relativ spät, als 32-Jähriger im Jahr 2005. Damals, als die Rot-Grüne Koalition scheiterte, sah er den Moment gekommen, um politisch Farbe zu bekennen. Er trat der FDP bei. “Ich hatte die Nase voll von der Regierung und wollte in eine Partei, die auf der Seite der Wirtschaft steht und für Bürgerrechte einsteht – auch im digitalen Raum.” Die zweite rot-grüne Schröder-Regierung mit Innenminister Otto Schily hatte da in Folge der 9/11-Attentate massive Überwachungsgesetzgebung auf den Weg gebracht.

    Nach einem Sprint durch die rheinland-pfälzische Lokal- und Landespolitik wurde Höferlin im Jahr 2009 erstmals in den Bundestag gewählt. Bis 2013 wirkte er als Teil eines digitalpolitischen Abgeordneten-Trios, das die Themen in der FDP-Fraktion vorantrieb. Mit dem Scheitern der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde war er im 18. Bundestag nicht vertreten, 2017 zog er wieder dort ein. Ab 2019 übernahm er dort den Vorsitz des Ausschusses Digitale Agenda, nachdem Höferlins langjähriger Weggefährte Jimmy Schulz nach langem Kampf gegen den Krebs verstorben war. Bei der vergangenen Bundestagswahl musste Höferlin, der aus dem gleichen Landesverband wie Digitalminister Volker Wissing kommt, zittern: Dass der digitalpolitisch Profilierte wirklich auch dem 20. Bundestag angehört, stand in der Wahlnacht lange noch nicht fest.

    In dieser Wahlperiode ist er ordentliches Mitglied im Innenausschuss sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Digitales. An Themenüberschneidungen mangelt es dabei nicht: Von Datensharing und Verwaltungsdienstleistungen im öffentlichen Sektor über Cybersicherheit bis Datenschutz sind beide Ausschüsse auch genau für solche Themen relevant, die ihn lange umtreiben. Dass Manuel Höferlin kein parlamentarischer Staatssekretär im Digitalministerium wurde, bedauern Branchenvertreter. Doch ein rheinland-pfälzischer Minister mit rheinland-pfälzischen Staatssekretären, das ist im politischen Berlin kaum möglich.

    Digitale Politik als Innenpolitik

    Manuel Höferlin bezeichnet sich selbst als “Kämpfer für die Digitalisierung”. Eines seiner Herzensthemen ist die sichere digitale Kommunikation und ein freies Internet ohne staatliche Überwachung. “Ich wünsche mir, dass Bürgerinnen und Bürger auch in der digitalen Welt selbstbestimmt unterwegs sein können”, sagt er. Digitale Politik versteht er daher auch als Innenpolitik, und anders als der Digitalminister kommt Innenministerin Nancy Faeser nicht aus der eigenen Partei.

    Vor allem beschäftigt Manuel Höferlin derzeit die Frage, wie stark Bürger:innen im digitalen Raum staatlich überwacht werden. Es würde zwar immer wieder über Einzelmaßnahmen diskutiert, Vorratsdatenspeicherung oder die Quellen-Telekommunikationsüberwachung. Doch das Gesamtbild der staatlichen Überwachung im Internet sei noch immer diffus. “Hier möchten wir als FDP mit der Überwachungsgesamtrechnung erstmals eine Bilanz ziehen”, sagt Höferlin, “denn die gibt es derzeit nicht”. Den Auftrag dazu haben die Ampel-Verhandler in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Höferlin gehört zu jenen, die eine Vorratsdatenspeicherungs-Neuregelung auf europäischer Ebene grundsätzlich skeptisch sehen.

    Den technologischen Blick auf die politischen Inhalte hat er nicht verloren, noch immer will er zuerst alles bis ins Detail durchdenken und verstehen, wenn er etwas politisch verhandeln muss. “Dieses Fachwissen hat mir politisch immer geholfen“, sagt er. Als Ausgleich zu den abstrakten Themen voller Nullen und Einsen imkert Höferlin in seiner Freizeit. “Das erdet mich”, sagt er. Seine andere Leidenschaft sei das Fliegen: Diesen alten Kindheitstraum hat er sich vor einigen Jahren mit dem Privatpilotenschein endlich erfüllen können. Adrian Meyer

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    Europe.Table Redaktion

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