dass die Einigung auf den EU-Gas-Notfallplan im Rat tatsächlich gelingen würde – dessen sei sich die tschechische Ratspräsidentschaft im Vorfeld gar nicht mal so sicher gewesen, sagt Tschechiens Europaminister Mikuláš Bek im Gespräch mit Europe.Table. Doch der Plan sei nur der erste Schritt, vom Verhalten Russlands bei den Gaslieferungen müsse man das weitere Vorgehen abhängig machen und im Zweifel den Notfallplan anpassen. Im Interview mit Hans-Peter Siebenhaar spricht Bek außerdem über den Zustand der Visegrád-Gruppe, die Rolle der Atomenergie für die Versorgungssicherheit in Europa und Tschechiens Verhältnis zu China.
Strategische Souveränität – das ist ein zentrales Ziel der Secure Connectivity Initiative, die EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton Anfang des Jahres auf den Weg gebracht hat. Geplant ist eine eigene Kommunikationsinfrastruktur aus dem All, ein Kommunikationsnetzwerk von Hunderten, gar Tausenden Satelliten, das Europa und Teile Afrikas abdeckt. Ein Megaprojekt, an dem auch junge und innovative Unternehmen mitwirken wollen. Doch es gibt Zweifel, wie ernst die Kommission es damit meint, Start-ups und KMU an der Initiative zu beteiligen. Newcomer hätten keine Chance, so die Befürchtung. Corinna Visser hat sich in der Branche umgehört.
Patrick Plötz forscht nicht nur zu Elektro-PKW und -LKW – seit Kurzem fährt er auch selbst ein Elektroauto. Von der EU-Kommission wünscht er sich ein ambitioniertes Vorgehen in Sachen Klimaschutz. Mehr über den Leiter des Geschäftsfelds Energiewirtschaft beim Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung erfahren Sie im Porträt von Janna Degener-Storr.
Mikuláš Bek gehört der liberalen Mitte-Rechts-Bewegung “Bürgermeister und Unabhängige” (Starostové a nezávislí – STAN) an. Der Musikwissenschaftler war von 2011 bis 2019 Direktor der Masaryk-Universität in Brünn. Bek spricht fließend Deutsch, als Doktorand hatte er 1990 an der Berliner Humboldt-Universität studiert. Seit 2018 ist der 58-Jährige Mitglied des tschechischen Senats.
Herr Bek, früher waren tschechische EU-Ratspräsidentschaften mehr Pflicht als Leidenschaft. Wie begreift die Regierung in Prag den jetzigen Ratsvorsitz?
Es gibt in Tschechien viele Pro-Europäer. Doch sie waren in den vergangenen acht Jahren nicht an der Macht. Unsere seit Dezember regierende Koalition hat ihre Verankerung in der Europäischen Volkspartei (EVP) und der Piratenpartei, die im Europaparlament zu den Grünen gehört. Diese Veränderung in Tschechien wurde in Europa positiv aufgenommen. Die befürchtete Kluft zwischen West- und Osteuropa findet nicht statt. Die tschechische und die slowakische Regierung sind eine Versicherung, dass dies nicht der Fall sein wird. Auch Polen zeigte sich in den vergangenen Monaten europapolitisch milder. Es gibt Hoffnung, dass es zu keiner Polarisierung kommt wie im Fall Ungarns.
Wie geht es weiter mit der Visegrád-Gruppe? Die Slowakei hat Anfang Juli den Vorsitz für ein Jahr übernommen und tritt ein schweres Erbe an. Vor allem, da die Länder in Zeiten des Krieges sehr unterschiedliche Interessen vertreten. Zerfällt der Viererblock?
Die Visegrád-Gruppe ist im Moment eingefroren. Es ist völlig klar, dass sie von den Spannungen zwischen Ungarn und der EU betroffen ist. Die Gruppe wurde einst mit dem Ziel gegründet, sich in die NATO und die EU zu integrieren. Es gab später immer wieder Höhen und Tiefen und den Zerfall in 2+2 oder 3+1. Visegrád war aber nie eine homogene Gruppe im Vergleich zu Benelux.
Ist die Visegrád-Gruppe heute nicht vielmehr ein 2+1+1 – also Tschechien mit der Slowakei und Ungarn sowie Polen als Einzelkämpfer?
Stimmt, doch ich gebe zu bedenken, dass unsere Beziehungen mit Warschau viel besser sind als unser Verhältnis nach Budapest. Außenpolitisch pflegen Tschechien und Polen sehr enge Beziehungen, zum Beispiel im Energiesektor. Zudem haben wir mit Polen eine gemeinsame Grenze – mit Ungarn bekanntlich nicht.
Ein zentrales Ziel der tschechischen Ratspräsidentschaft ist die Energiesicherheit in der EU. Die Staaten haben sich auf einen Gas-Notfallplan für diesen Winter geeinigt (Europe.Table berichtete). War die tschechische Ratspräsidentschaft sicher, dass man sich im Rat auch wirklich einig wird?
Wir waren nicht so sicher. Aber es gibt trotz vieler Ausnahmen eine gemeinsame Verantwortung in fast allen Mitgliedsländern. Was mich persönlich freut: dass es in den Energiefragen eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Tschechien, Deutschland und Polen gibt. Zudem gab es in den vergangenen Monaten einen sehr intensiven Austausch zwischen Prag, Berlin und Wien. Denn wir haben die gleichen Herausforderungen. Der Gas-Notfallplan der EU ist nur ein erster Schritt und nicht die finale Lösung unseres Gasproblems. Das weitere Verhalten Russlands bei den Gaslieferungen wird für die Zukunft entscheidend sein.
Wie verlässlich ist Russland noch?
Russland ist sehr unzuverlässig. Wir müssen uns auf alle Möglichkeiten vorbereiten – selbst auf den Totalausfall russischer Gaslieferungen. Dementsprechend müssen wir unseren Gas-Notfallplan auch rasch anpassen.
Welche Rolle soll die Atomenergie in der europäischen Versorgungssicherheit spielen?
Ich persönlich bin kein großer Unterstützer der Kernenergie. Doch in unserer jetzigen Situation ist es ein Faktor der Stabilität für die Stromnetze – auch für Deutschland und Österreich, die von uns Atomstrom beziehen. Wir haben keine Pläne, unsere Kapazitäten in der Kernenergie auszubauen. Die Lage ist auch nicht unkompliziert, denn das Uran für unsere Kernkraftwerke kommt aus Russland. Wir haben derzeit also auch eine Abhängigkeit in der Kernenergie. Und neue Lieferanten auszumachen, ist technisch langwierig.
Was ist mit Strom aus Kohlekraftwerken?
Wir brauchen beim Strom keine Angst vor dem nächsten Winter zu haben. In Tschechien haben wir große Kohlekraftwerkskapazitäten. Schwieriger ist die Situation unserer Industrie, die von Gas abhängig ist. Etliche Branchen sind nicht kurzfristig in der Lage, auf eine Alternative umzusteigen. Die gute Nachricht ist, dass unsere Gasspeicher mittlerweile zu über 80 Prozent gefüllt sind.
Hat Tschechien Solar- und Windenergie in der Vergangenheit zu sehr vernachlässigt?
Wir prüfen derzeit, ob wir Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds für den Ausbau der erneuerbaren Energien verwenden können. Unsere Regierung will eine Systemänderung im Energiesektor erreichen und seit Ausbruch des Krieges werden Erneuerbare pragmatischer diskutiert. Wir müssen in den nächsten Jahren aufholen.
Sollte dafür auch der tschechische Energiekonzern CEZ wieder verstaatlicht werden?
CEZ gehört schon heute mehrheitlich dem Staat. Wir diskutieren eine Möglichkeit, den Energiekonzern zu zerschlagen.
… wie das in Frankreich mit dem Stromriesen EDF geschehen soll.
Ein Teil des neuen, zweigeteilten Unternehmens könnte dann verstaatlicht werden. Doch die Debatte darüber ist in unserem Land noch nicht abgeschlossen und wird voraussichtlich noch bis Herbst dauern. Ich persönlich habe mir noch keine abschließende Meinung gebildet. Ich warte noch auf verlässliche Analysen zu den Folgen.
Seit der Annexion der Krim hat Russland seine Beziehungen zu China intensiviert. Und auch nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine profitieren Russland und das Reich der Mitte politisch sowie wirtschaftlich voneinander. Was heißt das für die EU im Umgang mit China?
Wir müssen mit der Koalition zwischen Russland und China weiterhin rechnen. Bei diesem Bündnis agieren aber keineswegs gleichberechtigte Partner. China ist viel stärker. Es wird in Russland zu einer größeren Abhängigkeit von China führen. Wir in der EU mit Gleichgesinnten im Westen müssen deshalb noch enger kooperieren. Das gilt auch für die NATO.
Wie groß ist das Vertrauen der Regierung in Prag zu China? Früher wurde China in Tschechien stets der rote Teppich ausgerollt.
Wir müssen das Bild unseres Landes mit China korrigieren. Durch die Bemühungen des tschechischen Präsidenten Zeman ist der Eindruck entstanden, dass China sehr aktiv ist in Tschechien. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Wirtschaftlich ist der Einfluss chinesischer Unternehmen gering geblieben. Für uns ist Taiwan ökonomisch der viel wichtigere Partner als China.
Vor über anderthalb Jahren schlossen China und die EU ein Investitionsschutzabkommen. Doch schon sehr bald kehrte Ernüchterung ein, weil China Sanktionen gegen eine Reihe von EU-Abgeordneten aufrecht hält. Verhandeln die EU und China noch auf Augenhöhe?
Wir müssen sehr aufpassen, dass wir die Fehler im Umgang mit Russland nicht im Fall Chinas wiederholen. Die Beziehungen sind kompliziert. Es ist unrealistisch zu glauben, dass China für Europa ein verlässlicher Partner werden kann.
Wie soll Europas Antwort auf Chinas “Neue Seidenstraße” bei chinafreundlichen EU-Beitrittskandidaten wie Serbien aussehen?
In absehbarer Zeit müssen wir unser Verhältnis mit Serbien vor diesem Hintergrund klären. Wir müssen unseren serbischen Freunden die einfache Frage stellen, ob sie wirklich eine europäische Zukunft suchen. Das ist meine persönliche Meinung. Wenn sich Serbien für Europa entscheidet, müssen wir dem Beitrittskandidaten auch etwas bieten. Deshalb plädiere ich dafür, neue Zwischenstadien zwischen Kandidatenstatus und einer Vollmitgliedschaft zu etablieren, um Beitrittskandidaten zu ermutigen. Das gilt auch für andere Länder Ost- und Südosteuropas. Wir brauchen eine neue Dynamik im Erweiterungsprozess, um den chinesischen Einfluss in der Region einzudämmen.
Werden alle Beitrittskandidaten zum gleichen Zeitpunkt in die EU gehen?
Es wird verschiedene Geschwindigkeiten im Beitrittsprozess geben müssen. Für die Ukraine wird ein EU-Beitritt sicher länger dauern als im Fall einiger Länder des Westbalkans, die sich seit vielen Jahren auf eine Mitgliedschaft vorbereiten.
Der russische Angriff auf die Ukraine begann nicht mit Bomben und Raketen, er startete mit einer Cyberattacke im All. Ziel war das Sattelitennetzwerk KA-SAT, mit dem der US-Anbieter Viasat Hochgeschwindigkeitsinternet über Satelliten in Europa und den Mittelmeerländern anbietet. Durch die Cyberattacke kam es zu Ausfällen und Störungen bei der Kommunikation staatlicher Behörden, Unternehmen und anderen Nutzern – nicht nur in der Ukraine. Auch kritische Infrastrukturen mehrerer EU-Mitgliedstaaten waren betroffen. So konnten Versorger in Zentraleuropa tausende Windkraftanlagen nicht mehr ansteuern. Der US-Unternehmer Elon Musk sprang mit seinem Satellitendienst Starlink ein und brachte die Ukraine so wieder ans Netz.
Die Situation hat nach Meinung vieler Experten einmal mehr gezeigt, dass Europa nicht nur eine sichere, sondern vor allem auch eine eigene Kommunikationsinfrastruktur aus dem All braucht. Eine, die nicht nur in Kriegs- und Krisenfällen (Europe.Table berichtete), sondern auch bei Katastrophen wie im Ahrtal zuverlässig funktioniert. Strategische Souveränität ist daher ein zentrales Ziel der Secure Connectivity Initiative, mit der die EU nicht nur die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft voranbringen, sondern auch den wachsenden geopolitischen Cybersicherheitsbedrohungen (Europe.Table berichtete) begegnen will. Sie ergänzt die europäischen Weltraumprojekte Galileo und Copernicus.
Auf den Weg gebracht hat die Secure Connectivity Initiative im Februar 2022 EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Der Rat hat Ende Juni seine Position festgelegt. Der nächste Schritt sind die Trilogverhandlungen zwischen Mitgliedstaaten und EU-Parlament. Diese werden voraussichtlich im Herbst stattfinden. Berichterstatter für das EU-Parlament ist Christophe Grudler (Renew). Bei den Verhandlungen geht es nicht nur um die Frage, wie das europäische Satellitennetz genau aussehen soll, sondern auch, wer es baut und betreibt.
Brüssel plant, was in der Raumfahrt als Megakonstellation bezeichnet wird: Ein Kommunikationsnetzwerk von Hunderten, gar Tausenden Satelliten, das aus dem erdnahen Orbit Europa und Teile Afrikas abdeckt. Immerhin hat das Public-Private-Partnership-Vorhaben ein Volumen von sechs Milliarden Euro. Ein Drittel davon will die EU finanzieren, ein Drittel sollen die Mitgliedstaaten tragen und ein Drittel die Privatwirtschaft übernehmen. Denn es ist parallel auch eine kommerzielle Nutzung vorgesehen.
Geplant ist ein schrittweiser Aufbau des Systems mit dem Ziel, die ersten Dienste im Jahr 2024 bereitzustellen (Europe.Table berichtete) und bis 2027 die volle Betriebsfähigkeit zu erreichen. “Internet aus dem All wird strategisch und wirtschaftlich ungeheuer wichtig werden”, ist Matthias Wachter überzeugt. Er ist Geschäftsführer der Initiative New Space beim Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). “Space Connectivity ist die Basis für viele künftige Anwendungen aus den Bereichen autonomes Fahren, Industrie 4.0 oder dem Internet der Dinge (IoT).”
Es sei richtig, dass Europa dabei auf eine eigene Konstellation setze, sagt Wachter. “Die Frage ist nur, welche Features wird das System haben, wer baut es und wie wird das Setup sein: Wird es ein staatlich dominiertes Projekt oder beauftragt die EU ein privates Konsortium und fungiert als Ankerkunde?” Es ist wohl kein Zufall, dass es mit Thierry Breton ein Franzose war, der die Secure Connectivity Initiative auf den Weg gebracht hat. In Deutschland sei das Projekt anfänglich deutlich zurückhaltender und kritischer beurteilt worden, sagt Wachter.
In Frankreich sitzt mit Eutelsat nicht nur Europas größter Satellitenbetreiber, sondern auch Europas größter Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus. Doch während Frankreich die großen und teils staatlichen Player pushe, solle Deutschland sich dafür starkmachen, dass kleine und mittlere Unternehmen (KMU) – vor allem auch innovative Start-ups – ebenfalls an dem Projekt beteiligt werden, fordert Wachter vom BDI.
Bereits im vergangenen Jahr hatten verschiedene New-Space-Unternehmen zusammen mit dem BDI ein Schreiben an Breton gesandt. Um die europäische New-Space-Industrie (die Verzahnung von kommerzieller Raumfahrt und klassischer Wirtschaft) zu stärken und eine innovative und wettbewerbsfähige industrielle Basis in Europa zu gewährleisten, müsse die EU das gesamte Ökosystem berücksichtigen. Dies reiche von großen Systemintegratoren (LSI) über KMU, Zulieferer und Dienstleister bis hin zu aufstrebenden Start-ups.
“Europäische Start-ups im New-Space-Umfeld entwickeln bahnbrechende Geschäftsmodelle und hochinnovative Technologien wie Kommunikation per Laser, Deorbiting Drag Sails für eine saubere Weltraumumgebung, Mikroantriebe oder auch modernste Mikrosatellitenbusse.” Sie alle seien klar auf kommerzielle Kundenbedürfnisse ausgerichtet, heißt es in dem Schreiben weiter.
Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat gemeinsam mit Italiens Innovationsminister Vittorio Colao an Breton geschrieben. Beide kritisierten mangelnde Informationen und äußerten Bedenken zum Fortschritt des Projekts:
Dennoch zeigten sich beide Minister zuversichtlich, dass eine Lösung in Reichweite sei.
In ihrem Vorschlag hatte die Kommission zuvor betont, dass auch KMU und Start-ups an der Initiative beteiligt werden sollen. Der Anteil soll bei 30 Prozent liegen – aber werden sie nur Zulieferer sein oder auch Gestalter? Um auch die Ideen der KMU und Start-ups einzusammeln, hatte die Kommission nachträglich zwei weitere Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben. “Sie haben der Kommission interessante und innovative Architektur- und Dienstleistungsmodelle geliefert”, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission. Die Ergebnisse würden nun geprüft.
Eines der beiden Konsortien führte Reflex Aerospace an, ein junger Satellitenbauer aus Berlin und München. Noch befindet sich das Unternehmen in der Entwicklungsphase. Ziel sei es jedoch, die Projekte deutlich schneller umzusetzen als die etablierten Hersteller – statt drei bis vier Jahre für Entwicklung des ersten Satelliten einer Kleinserie kalkuliert Reflex Aerospace mit neun Monaten und entsprechend geringeren Kosten.
Hintergrund ist der neue Produktionsansatz von Reflex, bei dem auch Algorithmen und Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. “Wir verkürzen auch die Iterationszyklen“, sagt Gründer und CEO Walter Ballheimer. “Denn wir denken, dass sich die Raumfahrttechnik stärker an den Konsumentenmarkt annähern muss.” Schneller bauen, schneller erneuern – so will Reflex Aerospace mit den technischen Innovationszyklen etwa bei der Entwicklung neuer Kameras mithalten.
Tempo rauf, Kosten runter – eigentlich klingt das attraktiv, dennoch rechnet sich Reflex Aerospace nur begrenzte Chancen bei der Umsetzung der Secure Connectivity Initiative der EU aus. “Wir sehen in Europa eine mangelnde Risikobereitschaft. Die USA hingegen nutzen staatliche Aufträge dazu, eine neue Industrie zu unterstützen und Newcomer zu motivieren, sich in diesem Feld zu betätigen”, sagt der Reflex-CEO. Erst durch solche Aufträge an die Industrie sei ein Unternehmen wie SpaceX in dieser Größenordnung überhaupt möglich geworden. Anders etwa als in Europa, wo die Voraussetzung für die Teilnahme an der Ausschreibung oft die jahrelange Erfahrung mit einem System sei, was Newcomer automatisch ausschließe. “Das ist ein Problem”, meint Ballheimer. Kommerzielle Kunden hingegen seien da risikobereiter. “Sie sehen den Zeit- und Kostenvorteil.”
So hatten Reflex und seine Konsortialpartner von vorneherein das Gefühl, dass die beiden Machbarkeitsstudien von KMU und Start-ups lediglich Alibi-Charakter hatten. “Aber wir haben versucht, das Beste daraus zu machen und auch öffentlich zu zeigen, dass wir ein vernünftiges Konzept aufstellen können”, sagt Ballheimer. “Ein Konzept, das durchaus berücksichtigt werden muss.”
Im Gegensatz zum Newcomer Reflex Aerospace ist OHB aus Bremen ein etablierter Player am Markt. “Wir könnten das gesamte System im All realisieren”, sagt OHB-Vorstandsmitglied Sabine von der Recke. Vor allem kann OHB ein Feature liefern, auf das auch die Kommission Wert legt und für das es in Europa nur wenige Anbieter gibt: Quantenschlüsselverteilung. Hierbei werden quantenmechanische Effekte als Bestandteil des kryptografischen Verfahrens genutzt, um ein besonders hohes Sicherheitsniveau zu erreichen.
“Wir haben in den Service viel investiert und sind technisch in Deutschland sehr weit”, sagt von der Recke. “Wenn wir in Europa ein zukunftssicheres, resilientes Kommunikationsnetz aufbauen wollen, dann brauchen wir Quantenschlüsselverteilung.” Europa sei mit der Entwicklung eines souveränen Kommunikationsnetzes im All spät dran, aber nicht zu spät. Es gehe jetzt darum, europäische Assets im All zu sichern, “denn die Frequenzen für die Datenübertragung sind endlich.”
Der Ölpreis ist am Dienstag offenbar wegen eines Zahlungsproblems zwischen der Ukraine und Russland gestiegen. Die Ukraine habe Anfang August russische Öllieferungen nach Ungarn, Tschechien und in die Slowakei durch die sogenannte Druschba-Pipeline eingestellt, weil sie keine Transitgebühren von Moskau erhalte, teilte die russische Pipeline-Firma Transneft am Dienstag mit.
Als Grund gab Transneft an, dass der ukrainische Pipelinebetreiber UkrTransNafta die Zahlungen aus Russland wegen westlicher Sanktionen nicht habe abwickeln können. Das Geld sei zurücküberwiesen worden und die Ukraine habe die Durchleitung durch die Druschba-Pipeline gestoppt. Der Preis für die internationale Referenzsorte Brent-Rohöl stieg am Dienstag daraufhin um zwei Dollar pro Barrel und wurde bei 98 Dollar gehandelt. Als Begründung nannten Händler Furcht vor Versorgungsproblemen.
Die Slowakei bestätigte, dass kein Öl mehr aus der Druschba-Pipeline ankomme. Die einzige Ölraffinerie des Landes bot der Ukraine und Russland an, Transitgebühren zu übernehmen, damit die Lieferungen wieder möglich werden.
Die EU will bis Ende des Jahres aus dem Import russischen Öls aussteigen (Europe.Table berichtete). Seit März dieses Jahres haben sich Ungarn, die Slowakei und die Tschechische Republik weitgehend auf Lieferungen von russischem Ural-Rohöl über die Druschba-Pipeline verlassen und ihre Käufe von Rohöl durch Schiffe reduziert. rtr/dpa
Die Türkei hat erneut ein Gas-Bohrschiff in das östliche Mittelmeer entsandt. Das Schiff “Abdülhamid Han” werde so lange “weitersuchen, bis es etwas findet”, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Dienstag im südtürkischen Mersin. 2020 hatten türkische Erdgaserkundungen in zwischen Griechenland und der Türkei umstrittenen Gewässern die beiden Nachbarn an den Rand eines militärischen Konflikts geführt.
Das Schiff nun werde zuerst in die Region Iskenderun aufbrechen, sagte Erdoğan. Die liegt zunächst nicht in umstrittenen Gewässern. Erdoğan fügte aber hinzu: “Wenn unser Schiff mit seinen Bohrarbeiten dort fertig ist, wird es nicht aufhören. Es wird zu anderen Bohrlöchern übergehen.” Die “Forschungs- und Bohrarbeiten” fielen in den “eigenen Machtbereich”. “Dafür müssen wir von niemandem eine Erlaubnis oder Genehmigung einholen.” Man werde sich holen, “was uns gehört”.
Hinter dem Konflikt stehen territoriale Uneinigkeiten. Griechenland bezichtigte die Türkei 2020, die Vorkommen illegal zu erkunden. Die Regierung in Ankara vertrat den Standpunkt, dass die Gewässer zum türkischen Festlandsockel gehörten. dpa/rtr
Sollte Brüssel Polens Anteil an den Pandemie-Hilfsgeldern nicht auszahlen, könnte Warschau zum Gegenschlag ausholen – das sagten Politiker der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), nachdem die Kommission signalisiert hatte, dass sie mit den jüngsten Justizreformen Warschaus nicht zufrieden sei.
Mehr als 35 Milliarden Euro an Corona-Zuschüssen und -Darlehen waren wegen eines Streits über die Justizreformen in Polen (Europe.Table berichtete), die nach Ansicht der EU-Exekutive demokratische Standards untergraben, auf Eis gelegt worden.
Im Juni hatte die Kommission die Corona-Hilfen für Polen genehmigt. Doch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte während eines Besuchs, es müsse noch mehr für die Rechtsstaatlichkeit getan werden (Europe.Table berichtete).
PiS erklärte jedoch, dass ihre wichtigsten Reformen darauf abzielen, das System effizienter zu machen, und lehnte eine Einmischung in die Gerichte zu politischen Zwecken ab. “Wenn es einen Versuch gibt, die Zahlung zu blockieren … und die Europäische Kommission versucht, uns unter Druck zu setzen, dann haben wir keine andere Wahl, als alle Kanonen aus unserem Arsenal zu ziehen und mit Sperrfeuer zu antworten”, sagte PiS-Generalsekretär Krzysztof Sobolewski dem polnischen Rundfunk. Konkretere Angaben zu möglichen Maßnahmen machte er nicht.
Polen hat im Mai ein Gesetz verabschiedet, das die umstrittene Disziplinarkammer für Richter durch ein neues Gremium ersetzt. Am Dienstag hat der Oberste Gerichtshof aus den Reihen seiner Richter Kandidaten für die neue Kammer ausgewählt.
Von der Leyen sagte jedoch Ende Juli in einem Interview, dass das neue Gesetz den Richtern nicht das Recht gebe, richterliche Ernennungen infrage zu stellen, ohne sich einem Disziplinarverfahren stellen zu müssen – ein Problem, das gelöst werden müsse, um die EU-Mittel zu erhalten. Dies bestätigte auch Kommissionssprecherin Arianna Podesta. “Dieses Problem muss angegangen werden, damit die Verpflichtungen des Konjunkturprogramms erfüllt werden können. Es wurde noch keine offizielle Bewertung vorgenommen, da Polen bisher keine Zahlungsaufforderung gestellt hat”, sagte Podesta während eines Briefings.
PiS-Generalsekretär Sobolewski kündigte zudem einen konfrontativen Kurs bei EU-Entscheidungen an. Das Ziel seiner Partei sei kein Austritt aus der EU, sagte er im polnischen Rundfunk. Es müsse allerdings Veränderungen der EU geben, in der er zu starken deutschen Einfluss kritisierte. Polen werde alle Möglichkeiten ausnutzen, etwa durch eine breite Anwendung des Veto-Rechts. “Wir werden eine ‘Zahn um Zahn’-Taktik anwenden”, sagte er.
Ähnlich äußerte sich Parteichef Jarosław Kaczyński. In einem Interview mit der rechtskonservativen Wochenzeitschrift “W Sieci” sagte er, bei einem Sieg seiner Partei bei der in diesem Jahr anstehenden Parlamentswahl in Polen müssten die Beziehungen zur EU neu geordnet werden. “Es kann nicht sein – und es wird nicht sein – dass die EU Traktate, Vereinbarungen, Verträge mit uns nicht anerkennt”, sagte er.
Der ehemalige EU-Ratspräsident und polnische Oppositionsführer Donald Tusk warf Kaczyński daraufhin vor, Polen aus der EU zu ziehen. Dies geschehe “konsequent und mit der Hartnäckigkeit eines Wahnsinnigen”, schrieb Tusk am Dienstag auf Twitter. “Alle Anhänger der Union müssen das endlich begreifen.” rtr/dpa
Im Konflikt zwischen London und Edinburgh spricht sich die britische Regierung deutlich gegen ein neues Unabhängigkeitsreferendum der Schotten aus. Die Anwältin der Regierung reichte am Dienstag die schriftliche Position Londons beim obersten britischen Gericht – dem Supreme Court – ein, wie eine Sprecherin bestätigte.
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon will ihre Landsleute im Herbst des kommenden Jahres erneut darüber abstimmen lassen, ob Schottland ein unabhängiger Staat werden soll. Bei einem Referendum im Jahr 2014 hatte eine Mehrheit der Schotten (55 Prozent) noch für den Verbleib im Vereinigten Königreich gestimmt. Das war allerdings vor dem Brexit, den der nördlichste britische Landesteil mit klarer Mehrheit (62 Prozent) abgelehnt hatte. Daher hoffen die Unabhängigkeitsbefürworter, dass sich bei einer erneuten Abstimmung die Verhältnisse ändern.
Eigentlich ist für eine solche Abstimmung die Zustimmung der britischen Regierung notwendig. Schottlands Regierungschefin Sturgeon will das Referendum jedoch notfalls auch ohne diese Zustimmung auf rechtmäßige Weise abhalten. Daher hat ihre Regierung den Supreme Court eingeschaltet, um prüfen zu lassen, ob eine “beratende Abstimmung” auch ohne grünes Licht aus London möglich wäre. Mit “beratend” ist gemeint, dass Schottland durch einen Sieg der Unabhängigkeitsbefürworter nicht automatisch aus dem Vereinigten Königreich ausscheiden würde.
London ist überzeugt, dass dies unrechtmäßig wäre. “Es bleibt die klare Ansicht der britischen Regierung, dass ein Unabhängigkeitsreferendum außerhalb der Gesetzgebungskompetenz des schottischen Parlaments liegen würde”, sagte eine Sprecherin. Der Fall soll vor Gericht im Oktober verhandelt werden (Europe.Table berichtete). dpa
Seit diesem Jahr hat Patrick Plötz ein eigenes Elektroauto. “Wir brauchten einen neuen Wagen und ich habe gesagt, im Jahr 2022 möchte ich nichts mehr mit Auspuff“, erzählt der 41-Jährige. Die Kaufentscheidung, die ersten Wochen mit dem neuen Fahrzeug, die Planungen für die ersten Urlaubsreisen waren für den Familienvater eine spannende Erfahrung. Denn nun erlebte er selbst, worüber er im Beruf bereits seit Jahren forscht.
“Wir haben uns für eine kleine Batterie entschieden, weil wir mit unseren Kindern sowieso alle zwei bis drei Stunden Pausen machen.” In den ersten Wochen habe er noch den Impuls gehabt, das Auto jeden Tag an der heimischen Steckdose aufzuladen. “Aber dann wurde mir auch emotional bewusst, dass das überhaupt nicht nötig ist, weil ich natürlich nicht jeden Tag 300 Kilometer Auto fahre.”
Dass die Anschaffung eines Elektroautos mit der Umstellung von Gewohnheiten einhergeht, weiß der promovierte Physiker schon lange – aus Nutzerbefragungen, die er selbst umgesetzt hat. Patrick Plötz leitet das Geschäftsfeld Energiewirtschaft beim Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe. Hier setzt er gemeinsam mit seinem Team empirische Untersuchungen um, nicht nur zu Elektro-PKW, sondern auch zu Elektro-LKW und Brennstoffzellenfahrzeugen. Dabei nimmt er unterschiedlichste Technologien in den Blick – so vorurteilsfrei wie möglich.
“Wir verkaufen keine Elektroautos, keine Plug-in-Hybride, keine Brennstoffzellen, keine Batterien”, betont der Forscher. Wichtig sei ihm allerdings, dass effizient mit Steuermitteln umgegangen wird. “Es ist immer leicht, nach Förderung zu rufen. Aber es gibt auch Möglichkeiten des Ordnungsrechts, Dinge schnell in den Markt zu bringen.”
Darüber hinaus beobachtet Patrick Plötz auch politische Maßnahmen zur Reduzierung der CO₂-Emissionen – und er fordert ein ambitioniertes Vorgehen, gerade von der Europäischen Kommission, die die Rahmenbedingungen schafft. Kürzlich hat er beispielsweise untersucht, wie viel CO2 der europäische Verkehr für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels noch ausstoßen darf. Das Ergebnis: 2035 ist für ein Verbrenner-Verbot eigentlich schon zu spät, es müsste eigentlich noch früher kommen. Plötz spricht sich auch dafür aus, dass alternative Antriebe eine hohe Marktdurchdringung erreichen – und dass Menschen mehr Rad oder Bahn fahren.
Für eine wissenschaftliche Position mit gesellschaftlicher Relevanz hat sich Patrick Plötz nach seinem Studium und seiner Promotion in der Physik sehr bewusst entschieden. “Mich haben die großen Fragen über das Universum und die Atome immer sehr interessiert und ich finde die Quantenphysik unglaublich faszinierend. Aber ich habe mich während meiner Doktorarbeit immer wieder gefragt: Wäre es nicht schön, wenn viele von diesen schlauen Physikern auch etwas zu den drängenden Problemen unserer Zeit beitragen würden?”
Nebenbei hat Patrick Plötz aus Interesse auch Philosophie und Wissenschaftsgeschichte studiert. Bis heute nimmt er sich in seiner Freizeit gerne mal ein philosophisches Buch in die Hand und im Urlaub schaut er sich antike Städte an. Während er mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt und für berufliche Reisen gerne den Nachtzug nimmt, nutzt der Forscher im Privatleben teilweise auch das Flugzeug oder den PKW. “Früher sind meine Frau und ich oft nach Süditalien geflogen. Jetzt bleiben wir in den Ferien gerne in Elektroauto-Reichweite“. Denn mit zwei kleinen Kindern wolle ja sowieso keiner länger als nötig im Auto sitzen. Janna Degener-Storr
dass die Einigung auf den EU-Gas-Notfallplan im Rat tatsächlich gelingen würde – dessen sei sich die tschechische Ratspräsidentschaft im Vorfeld gar nicht mal so sicher gewesen, sagt Tschechiens Europaminister Mikuláš Bek im Gespräch mit Europe.Table. Doch der Plan sei nur der erste Schritt, vom Verhalten Russlands bei den Gaslieferungen müsse man das weitere Vorgehen abhängig machen und im Zweifel den Notfallplan anpassen. Im Interview mit Hans-Peter Siebenhaar spricht Bek außerdem über den Zustand der Visegrád-Gruppe, die Rolle der Atomenergie für die Versorgungssicherheit in Europa und Tschechiens Verhältnis zu China.
Strategische Souveränität – das ist ein zentrales Ziel der Secure Connectivity Initiative, die EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton Anfang des Jahres auf den Weg gebracht hat. Geplant ist eine eigene Kommunikationsinfrastruktur aus dem All, ein Kommunikationsnetzwerk von Hunderten, gar Tausenden Satelliten, das Europa und Teile Afrikas abdeckt. Ein Megaprojekt, an dem auch junge und innovative Unternehmen mitwirken wollen. Doch es gibt Zweifel, wie ernst die Kommission es damit meint, Start-ups und KMU an der Initiative zu beteiligen. Newcomer hätten keine Chance, so die Befürchtung. Corinna Visser hat sich in der Branche umgehört.
Patrick Plötz forscht nicht nur zu Elektro-PKW und -LKW – seit Kurzem fährt er auch selbst ein Elektroauto. Von der EU-Kommission wünscht er sich ein ambitioniertes Vorgehen in Sachen Klimaschutz. Mehr über den Leiter des Geschäftsfelds Energiewirtschaft beim Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung erfahren Sie im Porträt von Janna Degener-Storr.
Mikuláš Bek gehört der liberalen Mitte-Rechts-Bewegung “Bürgermeister und Unabhängige” (Starostové a nezávislí – STAN) an. Der Musikwissenschaftler war von 2011 bis 2019 Direktor der Masaryk-Universität in Brünn. Bek spricht fließend Deutsch, als Doktorand hatte er 1990 an der Berliner Humboldt-Universität studiert. Seit 2018 ist der 58-Jährige Mitglied des tschechischen Senats.
Herr Bek, früher waren tschechische EU-Ratspräsidentschaften mehr Pflicht als Leidenschaft. Wie begreift die Regierung in Prag den jetzigen Ratsvorsitz?
Es gibt in Tschechien viele Pro-Europäer. Doch sie waren in den vergangenen acht Jahren nicht an der Macht. Unsere seit Dezember regierende Koalition hat ihre Verankerung in der Europäischen Volkspartei (EVP) und der Piratenpartei, die im Europaparlament zu den Grünen gehört. Diese Veränderung in Tschechien wurde in Europa positiv aufgenommen. Die befürchtete Kluft zwischen West- und Osteuropa findet nicht statt. Die tschechische und die slowakische Regierung sind eine Versicherung, dass dies nicht der Fall sein wird. Auch Polen zeigte sich in den vergangenen Monaten europapolitisch milder. Es gibt Hoffnung, dass es zu keiner Polarisierung kommt wie im Fall Ungarns.
Wie geht es weiter mit der Visegrád-Gruppe? Die Slowakei hat Anfang Juli den Vorsitz für ein Jahr übernommen und tritt ein schweres Erbe an. Vor allem, da die Länder in Zeiten des Krieges sehr unterschiedliche Interessen vertreten. Zerfällt der Viererblock?
Die Visegrád-Gruppe ist im Moment eingefroren. Es ist völlig klar, dass sie von den Spannungen zwischen Ungarn und der EU betroffen ist. Die Gruppe wurde einst mit dem Ziel gegründet, sich in die NATO und die EU zu integrieren. Es gab später immer wieder Höhen und Tiefen und den Zerfall in 2+2 oder 3+1. Visegrád war aber nie eine homogene Gruppe im Vergleich zu Benelux.
Ist die Visegrád-Gruppe heute nicht vielmehr ein 2+1+1 – also Tschechien mit der Slowakei und Ungarn sowie Polen als Einzelkämpfer?
Stimmt, doch ich gebe zu bedenken, dass unsere Beziehungen mit Warschau viel besser sind als unser Verhältnis nach Budapest. Außenpolitisch pflegen Tschechien und Polen sehr enge Beziehungen, zum Beispiel im Energiesektor. Zudem haben wir mit Polen eine gemeinsame Grenze – mit Ungarn bekanntlich nicht.
Ein zentrales Ziel der tschechischen Ratspräsidentschaft ist die Energiesicherheit in der EU. Die Staaten haben sich auf einen Gas-Notfallplan für diesen Winter geeinigt (Europe.Table berichtete). War die tschechische Ratspräsidentschaft sicher, dass man sich im Rat auch wirklich einig wird?
Wir waren nicht so sicher. Aber es gibt trotz vieler Ausnahmen eine gemeinsame Verantwortung in fast allen Mitgliedsländern. Was mich persönlich freut: dass es in den Energiefragen eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Tschechien, Deutschland und Polen gibt. Zudem gab es in den vergangenen Monaten einen sehr intensiven Austausch zwischen Prag, Berlin und Wien. Denn wir haben die gleichen Herausforderungen. Der Gas-Notfallplan der EU ist nur ein erster Schritt und nicht die finale Lösung unseres Gasproblems. Das weitere Verhalten Russlands bei den Gaslieferungen wird für die Zukunft entscheidend sein.
Wie verlässlich ist Russland noch?
Russland ist sehr unzuverlässig. Wir müssen uns auf alle Möglichkeiten vorbereiten – selbst auf den Totalausfall russischer Gaslieferungen. Dementsprechend müssen wir unseren Gas-Notfallplan auch rasch anpassen.
Welche Rolle soll die Atomenergie in der europäischen Versorgungssicherheit spielen?
Ich persönlich bin kein großer Unterstützer der Kernenergie. Doch in unserer jetzigen Situation ist es ein Faktor der Stabilität für die Stromnetze – auch für Deutschland und Österreich, die von uns Atomstrom beziehen. Wir haben keine Pläne, unsere Kapazitäten in der Kernenergie auszubauen. Die Lage ist auch nicht unkompliziert, denn das Uran für unsere Kernkraftwerke kommt aus Russland. Wir haben derzeit also auch eine Abhängigkeit in der Kernenergie. Und neue Lieferanten auszumachen, ist technisch langwierig.
Was ist mit Strom aus Kohlekraftwerken?
Wir brauchen beim Strom keine Angst vor dem nächsten Winter zu haben. In Tschechien haben wir große Kohlekraftwerkskapazitäten. Schwieriger ist die Situation unserer Industrie, die von Gas abhängig ist. Etliche Branchen sind nicht kurzfristig in der Lage, auf eine Alternative umzusteigen. Die gute Nachricht ist, dass unsere Gasspeicher mittlerweile zu über 80 Prozent gefüllt sind.
Hat Tschechien Solar- und Windenergie in der Vergangenheit zu sehr vernachlässigt?
Wir prüfen derzeit, ob wir Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds für den Ausbau der erneuerbaren Energien verwenden können. Unsere Regierung will eine Systemänderung im Energiesektor erreichen und seit Ausbruch des Krieges werden Erneuerbare pragmatischer diskutiert. Wir müssen in den nächsten Jahren aufholen.
Sollte dafür auch der tschechische Energiekonzern CEZ wieder verstaatlicht werden?
CEZ gehört schon heute mehrheitlich dem Staat. Wir diskutieren eine Möglichkeit, den Energiekonzern zu zerschlagen.
… wie das in Frankreich mit dem Stromriesen EDF geschehen soll.
Ein Teil des neuen, zweigeteilten Unternehmens könnte dann verstaatlicht werden. Doch die Debatte darüber ist in unserem Land noch nicht abgeschlossen und wird voraussichtlich noch bis Herbst dauern. Ich persönlich habe mir noch keine abschließende Meinung gebildet. Ich warte noch auf verlässliche Analysen zu den Folgen.
Seit der Annexion der Krim hat Russland seine Beziehungen zu China intensiviert. Und auch nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine profitieren Russland und das Reich der Mitte politisch sowie wirtschaftlich voneinander. Was heißt das für die EU im Umgang mit China?
Wir müssen mit der Koalition zwischen Russland und China weiterhin rechnen. Bei diesem Bündnis agieren aber keineswegs gleichberechtigte Partner. China ist viel stärker. Es wird in Russland zu einer größeren Abhängigkeit von China führen. Wir in der EU mit Gleichgesinnten im Westen müssen deshalb noch enger kooperieren. Das gilt auch für die NATO.
Wie groß ist das Vertrauen der Regierung in Prag zu China? Früher wurde China in Tschechien stets der rote Teppich ausgerollt.
Wir müssen das Bild unseres Landes mit China korrigieren. Durch die Bemühungen des tschechischen Präsidenten Zeman ist der Eindruck entstanden, dass China sehr aktiv ist in Tschechien. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Wirtschaftlich ist der Einfluss chinesischer Unternehmen gering geblieben. Für uns ist Taiwan ökonomisch der viel wichtigere Partner als China.
Vor über anderthalb Jahren schlossen China und die EU ein Investitionsschutzabkommen. Doch schon sehr bald kehrte Ernüchterung ein, weil China Sanktionen gegen eine Reihe von EU-Abgeordneten aufrecht hält. Verhandeln die EU und China noch auf Augenhöhe?
Wir müssen sehr aufpassen, dass wir die Fehler im Umgang mit Russland nicht im Fall Chinas wiederholen. Die Beziehungen sind kompliziert. Es ist unrealistisch zu glauben, dass China für Europa ein verlässlicher Partner werden kann.
Wie soll Europas Antwort auf Chinas “Neue Seidenstraße” bei chinafreundlichen EU-Beitrittskandidaten wie Serbien aussehen?
In absehbarer Zeit müssen wir unser Verhältnis mit Serbien vor diesem Hintergrund klären. Wir müssen unseren serbischen Freunden die einfache Frage stellen, ob sie wirklich eine europäische Zukunft suchen. Das ist meine persönliche Meinung. Wenn sich Serbien für Europa entscheidet, müssen wir dem Beitrittskandidaten auch etwas bieten. Deshalb plädiere ich dafür, neue Zwischenstadien zwischen Kandidatenstatus und einer Vollmitgliedschaft zu etablieren, um Beitrittskandidaten zu ermutigen. Das gilt auch für andere Länder Ost- und Südosteuropas. Wir brauchen eine neue Dynamik im Erweiterungsprozess, um den chinesischen Einfluss in der Region einzudämmen.
Werden alle Beitrittskandidaten zum gleichen Zeitpunkt in die EU gehen?
Es wird verschiedene Geschwindigkeiten im Beitrittsprozess geben müssen. Für die Ukraine wird ein EU-Beitritt sicher länger dauern als im Fall einiger Länder des Westbalkans, die sich seit vielen Jahren auf eine Mitgliedschaft vorbereiten.
Der russische Angriff auf die Ukraine begann nicht mit Bomben und Raketen, er startete mit einer Cyberattacke im All. Ziel war das Sattelitennetzwerk KA-SAT, mit dem der US-Anbieter Viasat Hochgeschwindigkeitsinternet über Satelliten in Europa und den Mittelmeerländern anbietet. Durch die Cyberattacke kam es zu Ausfällen und Störungen bei der Kommunikation staatlicher Behörden, Unternehmen und anderen Nutzern – nicht nur in der Ukraine. Auch kritische Infrastrukturen mehrerer EU-Mitgliedstaaten waren betroffen. So konnten Versorger in Zentraleuropa tausende Windkraftanlagen nicht mehr ansteuern. Der US-Unternehmer Elon Musk sprang mit seinem Satellitendienst Starlink ein und brachte die Ukraine so wieder ans Netz.
Die Situation hat nach Meinung vieler Experten einmal mehr gezeigt, dass Europa nicht nur eine sichere, sondern vor allem auch eine eigene Kommunikationsinfrastruktur aus dem All braucht. Eine, die nicht nur in Kriegs- und Krisenfällen (Europe.Table berichtete), sondern auch bei Katastrophen wie im Ahrtal zuverlässig funktioniert. Strategische Souveränität ist daher ein zentrales Ziel der Secure Connectivity Initiative, mit der die EU nicht nur die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft voranbringen, sondern auch den wachsenden geopolitischen Cybersicherheitsbedrohungen (Europe.Table berichtete) begegnen will. Sie ergänzt die europäischen Weltraumprojekte Galileo und Copernicus.
Auf den Weg gebracht hat die Secure Connectivity Initiative im Februar 2022 EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Der Rat hat Ende Juni seine Position festgelegt. Der nächste Schritt sind die Trilogverhandlungen zwischen Mitgliedstaaten und EU-Parlament. Diese werden voraussichtlich im Herbst stattfinden. Berichterstatter für das EU-Parlament ist Christophe Grudler (Renew). Bei den Verhandlungen geht es nicht nur um die Frage, wie das europäische Satellitennetz genau aussehen soll, sondern auch, wer es baut und betreibt.
Brüssel plant, was in der Raumfahrt als Megakonstellation bezeichnet wird: Ein Kommunikationsnetzwerk von Hunderten, gar Tausenden Satelliten, das aus dem erdnahen Orbit Europa und Teile Afrikas abdeckt. Immerhin hat das Public-Private-Partnership-Vorhaben ein Volumen von sechs Milliarden Euro. Ein Drittel davon will die EU finanzieren, ein Drittel sollen die Mitgliedstaaten tragen und ein Drittel die Privatwirtschaft übernehmen. Denn es ist parallel auch eine kommerzielle Nutzung vorgesehen.
Geplant ist ein schrittweiser Aufbau des Systems mit dem Ziel, die ersten Dienste im Jahr 2024 bereitzustellen (Europe.Table berichtete) und bis 2027 die volle Betriebsfähigkeit zu erreichen. “Internet aus dem All wird strategisch und wirtschaftlich ungeheuer wichtig werden”, ist Matthias Wachter überzeugt. Er ist Geschäftsführer der Initiative New Space beim Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). “Space Connectivity ist die Basis für viele künftige Anwendungen aus den Bereichen autonomes Fahren, Industrie 4.0 oder dem Internet der Dinge (IoT).”
Es sei richtig, dass Europa dabei auf eine eigene Konstellation setze, sagt Wachter. “Die Frage ist nur, welche Features wird das System haben, wer baut es und wie wird das Setup sein: Wird es ein staatlich dominiertes Projekt oder beauftragt die EU ein privates Konsortium und fungiert als Ankerkunde?” Es ist wohl kein Zufall, dass es mit Thierry Breton ein Franzose war, der die Secure Connectivity Initiative auf den Weg gebracht hat. In Deutschland sei das Projekt anfänglich deutlich zurückhaltender und kritischer beurteilt worden, sagt Wachter.
In Frankreich sitzt mit Eutelsat nicht nur Europas größter Satellitenbetreiber, sondern auch Europas größter Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus. Doch während Frankreich die großen und teils staatlichen Player pushe, solle Deutschland sich dafür starkmachen, dass kleine und mittlere Unternehmen (KMU) – vor allem auch innovative Start-ups – ebenfalls an dem Projekt beteiligt werden, fordert Wachter vom BDI.
Bereits im vergangenen Jahr hatten verschiedene New-Space-Unternehmen zusammen mit dem BDI ein Schreiben an Breton gesandt. Um die europäische New-Space-Industrie (die Verzahnung von kommerzieller Raumfahrt und klassischer Wirtschaft) zu stärken und eine innovative und wettbewerbsfähige industrielle Basis in Europa zu gewährleisten, müsse die EU das gesamte Ökosystem berücksichtigen. Dies reiche von großen Systemintegratoren (LSI) über KMU, Zulieferer und Dienstleister bis hin zu aufstrebenden Start-ups.
“Europäische Start-ups im New-Space-Umfeld entwickeln bahnbrechende Geschäftsmodelle und hochinnovative Technologien wie Kommunikation per Laser, Deorbiting Drag Sails für eine saubere Weltraumumgebung, Mikroantriebe oder auch modernste Mikrosatellitenbusse.” Sie alle seien klar auf kommerzielle Kundenbedürfnisse ausgerichtet, heißt es in dem Schreiben weiter.
Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat gemeinsam mit Italiens Innovationsminister Vittorio Colao an Breton geschrieben. Beide kritisierten mangelnde Informationen und äußerten Bedenken zum Fortschritt des Projekts:
Dennoch zeigten sich beide Minister zuversichtlich, dass eine Lösung in Reichweite sei.
In ihrem Vorschlag hatte die Kommission zuvor betont, dass auch KMU und Start-ups an der Initiative beteiligt werden sollen. Der Anteil soll bei 30 Prozent liegen – aber werden sie nur Zulieferer sein oder auch Gestalter? Um auch die Ideen der KMU und Start-ups einzusammeln, hatte die Kommission nachträglich zwei weitere Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben. “Sie haben der Kommission interessante und innovative Architektur- und Dienstleistungsmodelle geliefert”, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission. Die Ergebnisse würden nun geprüft.
Eines der beiden Konsortien führte Reflex Aerospace an, ein junger Satellitenbauer aus Berlin und München. Noch befindet sich das Unternehmen in der Entwicklungsphase. Ziel sei es jedoch, die Projekte deutlich schneller umzusetzen als die etablierten Hersteller – statt drei bis vier Jahre für Entwicklung des ersten Satelliten einer Kleinserie kalkuliert Reflex Aerospace mit neun Monaten und entsprechend geringeren Kosten.
Hintergrund ist der neue Produktionsansatz von Reflex, bei dem auch Algorithmen und Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. “Wir verkürzen auch die Iterationszyklen“, sagt Gründer und CEO Walter Ballheimer. “Denn wir denken, dass sich die Raumfahrttechnik stärker an den Konsumentenmarkt annähern muss.” Schneller bauen, schneller erneuern – so will Reflex Aerospace mit den technischen Innovationszyklen etwa bei der Entwicklung neuer Kameras mithalten.
Tempo rauf, Kosten runter – eigentlich klingt das attraktiv, dennoch rechnet sich Reflex Aerospace nur begrenzte Chancen bei der Umsetzung der Secure Connectivity Initiative der EU aus. “Wir sehen in Europa eine mangelnde Risikobereitschaft. Die USA hingegen nutzen staatliche Aufträge dazu, eine neue Industrie zu unterstützen und Newcomer zu motivieren, sich in diesem Feld zu betätigen”, sagt der Reflex-CEO. Erst durch solche Aufträge an die Industrie sei ein Unternehmen wie SpaceX in dieser Größenordnung überhaupt möglich geworden. Anders etwa als in Europa, wo die Voraussetzung für die Teilnahme an der Ausschreibung oft die jahrelange Erfahrung mit einem System sei, was Newcomer automatisch ausschließe. “Das ist ein Problem”, meint Ballheimer. Kommerzielle Kunden hingegen seien da risikobereiter. “Sie sehen den Zeit- und Kostenvorteil.”
So hatten Reflex und seine Konsortialpartner von vorneherein das Gefühl, dass die beiden Machbarkeitsstudien von KMU und Start-ups lediglich Alibi-Charakter hatten. “Aber wir haben versucht, das Beste daraus zu machen und auch öffentlich zu zeigen, dass wir ein vernünftiges Konzept aufstellen können”, sagt Ballheimer. “Ein Konzept, das durchaus berücksichtigt werden muss.”
Im Gegensatz zum Newcomer Reflex Aerospace ist OHB aus Bremen ein etablierter Player am Markt. “Wir könnten das gesamte System im All realisieren”, sagt OHB-Vorstandsmitglied Sabine von der Recke. Vor allem kann OHB ein Feature liefern, auf das auch die Kommission Wert legt und für das es in Europa nur wenige Anbieter gibt: Quantenschlüsselverteilung. Hierbei werden quantenmechanische Effekte als Bestandteil des kryptografischen Verfahrens genutzt, um ein besonders hohes Sicherheitsniveau zu erreichen.
“Wir haben in den Service viel investiert und sind technisch in Deutschland sehr weit”, sagt von der Recke. “Wenn wir in Europa ein zukunftssicheres, resilientes Kommunikationsnetz aufbauen wollen, dann brauchen wir Quantenschlüsselverteilung.” Europa sei mit der Entwicklung eines souveränen Kommunikationsnetzes im All spät dran, aber nicht zu spät. Es gehe jetzt darum, europäische Assets im All zu sichern, “denn die Frequenzen für die Datenübertragung sind endlich.”
Der Ölpreis ist am Dienstag offenbar wegen eines Zahlungsproblems zwischen der Ukraine und Russland gestiegen. Die Ukraine habe Anfang August russische Öllieferungen nach Ungarn, Tschechien und in die Slowakei durch die sogenannte Druschba-Pipeline eingestellt, weil sie keine Transitgebühren von Moskau erhalte, teilte die russische Pipeline-Firma Transneft am Dienstag mit.
Als Grund gab Transneft an, dass der ukrainische Pipelinebetreiber UkrTransNafta die Zahlungen aus Russland wegen westlicher Sanktionen nicht habe abwickeln können. Das Geld sei zurücküberwiesen worden und die Ukraine habe die Durchleitung durch die Druschba-Pipeline gestoppt. Der Preis für die internationale Referenzsorte Brent-Rohöl stieg am Dienstag daraufhin um zwei Dollar pro Barrel und wurde bei 98 Dollar gehandelt. Als Begründung nannten Händler Furcht vor Versorgungsproblemen.
Die Slowakei bestätigte, dass kein Öl mehr aus der Druschba-Pipeline ankomme. Die einzige Ölraffinerie des Landes bot der Ukraine und Russland an, Transitgebühren zu übernehmen, damit die Lieferungen wieder möglich werden.
Die EU will bis Ende des Jahres aus dem Import russischen Öls aussteigen (Europe.Table berichtete). Seit März dieses Jahres haben sich Ungarn, die Slowakei und die Tschechische Republik weitgehend auf Lieferungen von russischem Ural-Rohöl über die Druschba-Pipeline verlassen und ihre Käufe von Rohöl durch Schiffe reduziert. rtr/dpa
Die Türkei hat erneut ein Gas-Bohrschiff in das östliche Mittelmeer entsandt. Das Schiff “Abdülhamid Han” werde so lange “weitersuchen, bis es etwas findet”, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Dienstag im südtürkischen Mersin. 2020 hatten türkische Erdgaserkundungen in zwischen Griechenland und der Türkei umstrittenen Gewässern die beiden Nachbarn an den Rand eines militärischen Konflikts geführt.
Das Schiff nun werde zuerst in die Region Iskenderun aufbrechen, sagte Erdoğan. Die liegt zunächst nicht in umstrittenen Gewässern. Erdoğan fügte aber hinzu: “Wenn unser Schiff mit seinen Bohrarbeiten dort fertig ist, wird es nicht aufhören. Es wird zu anderen Bohrlöchern übergehen.” Die “Forschungs- und Bohrarbeiten” fielen in den “eigenen Machtbereich”. “Dafür müssen wir von niemandem eine Erlaubnis oder Genehmigung einholen.” Man werde sich holen, “was uns gehört”.
Hinter dem Konflikt stehen territoriale Uneinigkeiten. Griechenland bezichtigte die Türkei 2020, die Vorkommen illegal zu erkunden. Die Regierung in Ankara vertrat den Standpunkt, dass die Gewässer zum türkischen Festlandsockel gehörten. dpa/rtr
Sollte Brüssel Polens Anteil an den Pandemie-Hilfsgeldern nicht auszahlen, könnte Warschau zum Gegenschlag ausholen – das sagten Politiker der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), nachdem die Kommission signalisiert hatte, dass sie mit den jüngsten Justizreformen Warschaus nicht zufrieden sei.
Mehr als 35 Milliarden Euro an Corona-Zuschüssen und -Darlehen waren wegen eines Streits über die Justizreformen in Polen (Europe.Table berichtete), die nach Ansicht der EU-Exekutive demokratische Standards untergraben, auf Eis gelegt worden.
Im Juni hatte die Kommission die Corona-Hilfen für Polen genehmigt. Doch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte während eines Besuchs, es müsse noch mehr für die Rechtsstaatlichkeit getan werden (Europe.Table berichtete).
PiS erklärte jedoch, dass ihre wichtigsten Reformen darauf abzielen, das System effizienter zu machen, und lehnte eine Einmischung in die Gerichte zu politischen Zwecken ab. “Wenn es einen Versuch gibt, die Zahlung zu blockieren … und die Europäische Kommission versucht, uns unter Druck zu setzen, dann haben wir keine andere Wahl, als alle Kanonen aus unserem Arsenal zu ziehen und mit Sperrfeuer zu antworten”, sagte PiS-Generalsekretär Krzysztof Sobolewski dem polnischen Rundfunk. Konkretere Angaben zu möglichen Maßnahmen machte er nicht.
Polen hat im Mai ein Gesetz verabschiedet, das die umstrittene Disziplinarkammer für Richter durch ein neues Gremium ersetzt. Am Dienstag hat der Oberste Gerichtshof aus den Reihen seiner Richter Kandidaten für die neue Kammer ausgewählt.
Von der Leyen sagte jedoch Ende Juli in einem Interview, dass das neue Gesetz den Richtern nicht das Recht gebe, richterliche Ernennungen infrage zu stellen, ohne sich einem Disziplinarverfahren stellen zu müssen – ein Problem, das gelöst werden müsse, um die EU-Mittel zu erhalten. Dies bestätigte auch Kommissionssprecherin Arianna Podesta. “Dieses Problem muss angegangen werden, damit die Verpflichtungen des Konjunkturprogramms erfüllt werden können. Es wurde noch keine offizielle Bewertung vorgenommen, da Polen bisher keine Zahlungsaufforderung gestellt hat”, sagte Podesta während eines Briefings.
PiS-Generalsekretär Sobolewski kündigte zudem einen konfrontativen Kurs bei EU-Entscheidungen an. Das Ziel seiner Partei sei kein Austritt aus der EU, sagte er im polnischen Rundfunk. Es müsse allerdings Veränderungen der EU geben, in der er zu starken deutschen Einfluss kritisierte. Polen werde alle Möglichkeiten ausnutzen, etwa durch eine breite Anwendung des Veto-Rechts. “Wir werden eine ‘Zahn um Zahn’-Taktik anwenden”, sagte er.
Ähnlich äußerte sich Parteichef Jarosław Kaczyński. In einem Interview mit der rechtskonservativen Wochenzeitschrift “W Sieci” sagte er, bei einem Sieg seiner Partei bei der in diesem Jahr anstehenden Parlamentswahl in Polen müssten die Beziehungen zur EU neu geordnet werden. “Es kann nicht sein – und es wird nicht sein – dass die EU Traktate, Vereinbarungen, Verträge mit uns nicht anerkennt”, sagte er.
Der ehemalige EU-Ratspräsident und polnische Oppositionsführer Donald Tusk warf Kaczyński daraufhin vor, Polen aus der EU zu ziehen. Dies geschehe “konsequent und mit der Hartnäckigkeit eines Wahnsinnigen”, schrieb Tusk am Dienstag auf Twitter. “Alle Anhänger der Union müssen das endlich begreifen.” rtr/dpa
Im Konflikt zwischen London und Edinburgh spricht sich die britische Regierung deutlich gegen ein neues Unabhängigkeitsreferendum der Schotten aus. Die Anwältin der Regierung reichte am Dienstag die schriftliche Position Londons beim obersten britischen Gericht – dem Supreme Court – ein, wie eine Sprecherin bestätigte.
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon will ihre Landsleute im Herbst des kommenden Jahres erneut darüber abstimmen lassen, ob Schottland ein unabhängiger Staat werden soll. Bei einem Referendum im Jahr 2014 hatte eine Mehrheit der Schotten (55 Prozent) noch für den Verbleib im Vereinigten Königreich gestimmt. Das war allerdings vor dem Brexit, den der nördlichste britische Landesteil mit klarer Mehrheit (62 Prozent) abgelehnt hatte. Daher hoffen die Unabhängigkeitsbefürworter, dass sich bei einer erneuten Abstimmung die Verhältnisse ändern.
Eigentlich ist für eine solche Abstimmung die Zustimmung der britischen Regierung notwendig. Schottlands Regierungschefin Sturgeon will das Referendum jedoch notfalls auch ohne diese Zustimmung auf rechtmäßige Weise abhalten. Daher hat ihre Regierung den Supreme Court eingeschaltet, um prüfen zu lassen, ob eine “beratende Abstimmung” auch ohne grünes Licht aus London möglich wäre. Mit “beratend” ist gemeint, dass Schottland durch einen Sieg der Unabhängigkeitsbefürworter nicht automatisch aus dem Vereinigten Königreich ausscheiden würde.
London ist überzeugt, dass dies unrechtmäßig wäre. “Es bleibt die klare Ansicht der britischen Regierung, dass ein Unabhängigkeitsreferendum außerhalb der Gesetzgebungskompetenz des schottischen Parlaments liegen würde”, sagte eine Sprecherin. Der Fall soll vor Gericht im Oktober verhandelt werden (Europe.Table berichtete). dpa
Seit diesem Jahr hat Patrick Plötz ein eigenes Elektroauto. “Wir brauchten einen neuen Wagen und ich habe gesagt, im Jahr 2022 möchte ich nichts mehr mit Auspuff“, erzählt der 41-Jährige. Die Kaufentscheidung, die ersten Wochen mit dem neuen Fahrzeug, die Planungen für die ersten Urlaubsreisen waren für den Familienvater eine spannende Erfahrung. Denn nun erlebte er selbst, worüber er im Beruf bereits seit Jahren forscht.
“Wir haben uns für eine kleine Batterie entschieden, weil wir mit unseren Kindern sowieso alle zwei bis drei Stunden Pausen machen.” In den ersten Wochen habe er noch den Impuls gehabt, das Auto jeden Tag an der heimischen Steckdose aufzuladen. “Aber dann wurde mir auch emotional bewusst, dass das überhaupt nicht nötig ist, weil ich natürlich nicht jeden Tag 300 Kilometer Auto fahre.”
Dass die Anschaffung eines Elektroautos mit der Umstellung von Gewohnheiten einhergeht, weiß der promovierte Physiker schon lange – aus Nutzerbefragungen, die er selbst umgesetzt hat. Patrick Plötz leitet das Geschäftsfeld Energiewirtschaft beim Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe. Hier setzt er gemeinsam mit seinem Team empirische Untersuchungen um, nicht nur zu Elektro-PKW, sondern auch zu Elektro-LKW und Brennstoffzellenfahrzeugen. Dabei nimmt er unterschiedlichste Technologien in den Blick – so vorurteilsfrei wie möglich.
“Wir verkaufen keine Elektroautos, keine Plug-in-Hybride, keine Brennstoffzellen, keine Batterien”, betont der Forscher. Wichtig sei ihm allerdings, dass effizient mit Steuermitteln umgegangen wird. “Es ist immer leicht, nach Förderung zu rufen. Aber es gibt auch Möglichkeiten des Ordnungsrechts, Dinge schnell in den Markt zu bringen.”
Darüber hinaus beobachtet Patrick Plötz auch politische Maßnahmen zur Reduzierung der CO₂-Emissionen – und er fordert ein ambitioniertes Vorgehen, gerade von der Europäischen Kommission, die die Rahmenbedingungen schafft. Kürzlich hat er beispielsweise untersucht, wie viel CO2 der europäische Verkehr für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels noch ausstoßen darf. Das Ergebnis: 2035 ist für ein Verbrenner-Verbot eigentlich schon zu spät, es müsste eigentlich noch früher kommen. Plötz spricht sich auch dafür aus, dass alternative Antriebe eine hohe Marktdurchdringung erreichen – und dass Menschen mehr Rad oder Bahn fahren.
Für eine wissenschaftliche Position mit gesellschaftlicher Relevanz hat sich Patrick Plötz nach seinem Studium und seiner Promotion in der Physik sehr bewusst entschieden. “Mich haben die großen Fragen über das Universum und die Atome immer sehr interessiert und ich finde die Quantenphysik unglaublich faszinierend. Aber ich habe mich während meiner Doktorarbeit immer wieder gefragt: Wäre es nicht schön, wenn viele von diesen schlauen Physikern auch etwas zu den drängenden Problemen unserer Zeit beitragen würden?”
Nebenbei hat Patrick Plötz aus Interesse auch Philosophie und Wissenschaftsgeschichte studiert. Bis heute nimmt er sich in seiner Freizeit gerne mal ein philosophisches Buch in die Hand und im Urlaub schaut er sich antike Städte an. Während er mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt und für berufliche Reisen gerne den Nachtzug nimmt, nutzt der Forscher im Privatleben teilweise auch das Flugzeug oder den PKW. “Früher sind meine Frau und ich oft nach Süditalien geflogen. Jetzt bleiben wir in den Ferien gerne in Elektroauto-Reichweite“. Denn mit zwei kleinen Kindern wolle ja sowieso keiner länger als nötig im Auto sitzen. Janna Degener-Storr