Table.Briefing: Europe

Sophie Pornschlegel (EPC) im Interview + Solar-Industrie + ETS-Reform

  • Sophie Pornschlegel (EPC): “Weitermachen wie bisher kann keine Lösung sein”
  • Termine
  • Solar-Industrie: Ende der Lieferengpässe in Sicht
  • ETS-Reform soll direkt ins Plenum
  • Umweltrat soll Klimagesetze billigen
  • Wasserstoff-Speicher: Branche sieht Milliardenbedarf
  • Britische Regierung will Nordirland-Protokoll einseitig ändern
  • DSA: Weg frei für IMCO-Abstimmung
  • Kommission will Facebook und Co Kampf gegen Fake-Konten vorschreiben
  • Amazon bietet mehr Transparenz an
  • Google erlaubt Rivalen Anzeigen auf Youtube
  • Carlo Piltz: Der Datenschutz-Berater
Liebe Leserin, lieber Leser,

eine Verfassungsänderung sei notwendig, “um sicherzustellen, dass die Union auf künftige Krisen wirksamer reagieren kann” – so heißt es in einer Entschließung, die das Europäische Parlament kürzlich mit deutlicher Mehrheit verabschiedet hat. Doch für echte Reformen der EU fehle den Regierungen der Wille, sagt Sophie Pornschlegel, Senior Policy Analyst am European Policy Center. Im Interview mit Till Hoppe spricht sie über ihre Kritik an den Strukturen der EU und die Strategie, mit der die Ampel-Koalition pro-europäisch wirken möchte. 

Bei Solarmodulen ist die EU auf Importe angewiesen – und 63 Prozent dieser Importe stammen nach Angaben der Kommission aus China. Doch dabei hakt es, die weltweiten Lieferverzögerungen zeigen sich auch in Europa: Inzwischen stauen sich Containerschiffe sogar in der Nordsee. Experten gehen davon aus, dass sich die Lage bis Ende des Jahres entspannt. Einen Engpass erwarten sie allerdings bei der Produktion von Polysilizium, wie Manuel Berkel und Nico Beckert berichten. 

Nachdem die ETS-Reform in der ersten Lesung im EU-Parlament gescheitert ist, steht nun die nächste Runde an, und zwar direkt im Plenum. Die ENVI-Koordinatoren wollen empfehlen, die Änderungsanträge schon bei der nächsten Plenartagung am 22. und 23. Juni wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Über die Empfehlung soll der Umweltausschuss heute abstimmen. Die Grünen warnen vor Chaos. Mehr lesen Sie in den News. 

Ihre
Sarah Schaefer
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Analyse

“Weitermachen wie bisher kann keine Lösung sein”

Sophie Pornschlegel, Senior Policy Analyst am European Policy Center und Leiterin des Projekts Connecting Europe, im Interview über die Reform der EU-Verträge.
Sophie Pornschlegel ist Senior Policy Analyst am European Policy Center und Leiterin des Projekts Connecting Europe.

Frau Pornschlegel, das Europaparlament hat sich für einen Konvent zur Änderung der EU-Verträge ausgesprochen. Wie geht es nun weiter?

Ein Konvent wäre ein erster Schritt. Das bedeutet aber noch nicht, dass es zu einer EU-Vertragsreform kommt. Zunächst einmal muss der Rat für die Aufnahme der Arbeit durch einen Konvent stimmen. Sofern ein solcher Konvent einberufen wird, fangen die Verhandlungen an: erst einmal zur Besetzung dieses Gremiums, zum Prozess sowie schließlich zur inhaltlichen Arbeit. Wir sind also noch weit von EU-Vertragsreformen entfernt. Es wäre aber ein erster Schritt, um sich vom veralteten Lissabonner Vertrag zu verabschieden und um eine wichtige Debatte zu starten, wie man die EU in Zukunft handlungsfähiger machen kann.

Sophie Pornschlegel: EU-Reform unrealistisch

Emmanuel Macron will bis zum EU-Gipfel am 23. und 24. Juni unter den Mitgliedstaaten für eine Reform werben. Halten Sie es für realistisch, dass der Rat tatsächlich den Weg für eine Vertragsänderung bereitet?

13 Mitgliedsländer haben sich bereits klar gegen EU-Vertragsreformen ausgesprochen, darunter alle baltischen und skandinavischen Länder sowie viele ost- und zentraleuropäischen Länder. Sechs andere, vor allem westeuropäische Länder, darunter Deutschland und Italien, haben sich hingegen für eine EU-Vertragsreform ausgesprochen, auch wenn in einem milden Ton. Bis zum 1. Juli hat Frankreich noch die Ratspräsidentschaft inne, sodass sich mit dem Rat Ende Juni eine Chance bietet: Präsident Macron möchte das Thema priorisieren, sodass wir erwarten können, dass es zumindest von den EU-EntscheidungsträgerInnen diskutiert wird.

Was konkret kritisieren Sie an den vorhandenen Strukturen in der EU?

Momentan ist die EU hauptsächlich eine intergouvernementale Union. Es ist meist der Rat, der bremst, und dort ist oft das Einstimmigkeitsprinzip das Problem. Häufig fehlt es am politischen Willen der Staats- und Regierungschefs. Die EU könnte zwar die Passerelle-Klausel des Lissabonner Vertrags nutzen und viel öfter mit qualifizierter Mehrheit abstimmen. Die Entscheidungsträger machen es aber nicht, weil die Regierungen de facto somit ihre Veto-Macht verlieren würden – das wollen sie schlicht und einfach nicht. Das werden auch Vertragsreformen nicht ändern.

Denken Sie vor allem an bestimmte Staaten?

Ich denke zum einen an die autokratischen Regierungen in Polen und Ungarn, die die Arbeit der EU zunehmend erschweren. Aber nicht nur: Deutschland und andere Mitgliedstaaten verstehen sich zwar als pro-europäisch, lassen aber die Ambition vermissen, die EU voranzubringen. Das ist ebenfalls problematisch.

Die Ampel-Koalition zeigt sich offen für eine Vertragsreform, insbesondere Grüne und FDP.

Die Bundesregierung fordert, in der Außen- und Sicherheitspolitik mit Mehrheit abzustimmen (Europe.Table berichtete). Dabei weiß sie genau, dass es dafür zunächst Einstimmigkeit bedarf. Sie versteckt sich hinter solchen Forderungen, um pro-europäisch zu wirken – wobei diese Reform in der Realität kaum umsetzbar ist.

“Differenzierte Integration oder Vertragsreformen”

Gilt das auch für Emmanuel Macron und Mario Draghi, die sich deutlich für Vertragsreformen ausgesprochen haben?

Macron hat eine klare Vision für die Weiterentwicklung der EU – viele der Konzepte der Sorbonne-Rede bestimmen in der EU nun den Diskurs. Aus Deutschland kam in den letzten Jahren hingegen wenig. Wie ambitioniert sich allerdings Macron für Vertragsreformen einsetzt, ist noch offen. In seiner Rede am 9. Mai schien er sich eher für ein Kerneuropa auszusprechen (Europe.Table berichtete).

Was wiederum Deutschland kritisch sieht.

Die Bundesregierung verfolgt seit Jahren die Strategie Inklusion statt Ambition. Das bedeutet aber, dass die EU in vielen Politikbereichen nicht vorankommt. Wir brauchen aber angesichts der Lage eine handlungsfähige EU, und das geht zu 27 nur sehr schwer. Wir brauchen also entweder differenzierte Integration oder Vertragsreformen – so weitermachen wie bisher kann keine dauerhafte Lösung sein.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, Forderungen der Zukunftskonferenz in eigenen Vorschlägen zu übernehmen. Was erwarten Sie hier?

Ich hoffe sehr, dass der Abschlussbericht mit den Empfehlungen der Bürger und Bürgerinnen politisch aufgegriffen wird. Was von der Leyen konkret umsetzen will, werden wir wohl im September bei ihrer Rede zur Lage der EU erfahren. Ich hoffe jedenfalls, dass die EU-Kommission die Vorschläge nicht nur als Kommunikationsinstrument einsetzt und sich weiter für deliberative Demokratie in der EU einsetzen wird.

  • Demokratie
  • Emmanuel Macron
  • Europapolitik

Termine

15.06.-16.06.2022, Belgien (Brüssel)
Eurelectric, Conference Power Summit 2022
Eurelectric gathers leaders of the European power sector and top decision-makers to exchange ideas and discuss the game-changing solutions needed for policy, technology, finance, and people. INFOS & REGISTRATION

15.06.2022 – 10:00-11:30 Uhr, online
ASEW, Seminar THG-Quotenhandel mit eQuota
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) stellt die THG-Quote als ein marktbasiertes Klimaschutzinstrument vor. INFOS & ANMELDUNG

15.06.2022 – 10:00 Uhr, online
BVMW, Seminar Ressourcen smart nutzen – Kreislaufwirtschaft für kleine und mittlere Unternehmen
Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) beschäftigt sich damit, wie KMU sich dem Thema Kreislaufwirtschaft nähern können. INFOS & ANMELDUNG

15.06.2022 – 16:00-17:30 Uhr, online
FNF, Vortrag Der Klimawandel als sicherheits- und entwicklungspolitisches Problem
Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) widmet sich der sicherheits- und entwicklungspolitischen Dimension des Klimawandels. INFOS & ANMELDUNG

15.06.2022 – 17:00-18:30 Uhr, online
HBS, Diskussion Der CO2-Preis: Leitinstrument der Klimapolitik?
Die Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) setzt sich kritisch mit einem einheitlichen CO2-Preis als zentrales Leitinstrument der Klimapolitik auseinander. INFOS & ANMELDUNG

15.06.2022 – 17:30-19:00 Uhr, online
Aspen Institute, Diskussion Auf dem Weg zum 28. Mitglied? Die Kandidatur der Ukraine für die EU-Mitgliedschaft
Das Aspen Institute nimmt die Perspektive eines möglichen EU-Beitritts der Ukraine in den Blick. INFOS

15.06.2022 – 18:30-20:00 Uhr, Berlin
KAS, Diskussion Deutsche Sicherheit im Weltraum – Bedrohungen und Potenziale
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) setzt sich mit den nationalen und verteidigungspolitischen Interessen im Hinblick auf den Weltraum auseinander. INFOS & ANMELDUNG

15.06.2022 – 21:30-22:30 Uhr, online
HBS, Discussion Protection of data rights for citizens and users
The Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) addresses the balance between data rights of users and the rights for enterprises and states to make use of data in AI. INFOS & REGISTRATION

Solar-Industrie: Ende der Lieferengpässe in Sicht

Noch immer zeigen die Lieferverzögerungen im weltweiten Warenverkehr ihre Wirkung. Auch bei der Solar-Energie machen sie sich bemerkbar. Wie andere Güter sind auch Solarmodule von den coronabedingten Schließungen chinesischer Häfen betroffen, bestätigt eine Sprecherin des Bundesverbands Solarwirtschaft. Bei der Solar-Energie ist die EU stark auf Lieferungen aus Drittstaaten angewiesen – besonders aus China.

Die Importabhängigkeit der EU beträgt bei Solarmodulen 65 bis 80 Prozent. 63 Prozent der Importe stammten aus China, wie ein Bericht der Kommission zu strategischen Abhängigkeiten im Februar bemerkte. Auch mehr als zwei Jahre nach Beginn der Coronavirus-Pandemie hakt es noch immer bei den Importen aus der Volksrepublik. In Shanghai und der angrenzenden Provinz Zhejiang stieg der Anteil der wartenden Schiffe an der globalen Kapazität im Mai erneut, wie der Kiel Trade Indicator des IfW vom 7. Juni zeigt.

EU-Abhängigkeit von China: Der Anteil chinesischer Unternehmen an der weltweiten Produktion von Solar-Anlagen

Inzwischen zeigen sich die Verzögerungen auch auf dem Importmarkt Europas. “Erstmals seit Ausbruch der Pandemie stauen sich Containerschiffe auch in der Nordsee vor den Häfen Deutschlands, der Niederlande und Belgiens. Hier stecken gegenwärtig knapp zwei Prozent der globalen Frachtkapazität fest und können weder be- noch entladen werden”, schreibt das IfW.

Hohe Ziele für Solar in EU und China

Aber gefährden die Lieferverzögerungen auch das Erreichen der hohen Ziele der europäischen Solarstrategie? Bis 2025 will die Kommission die installierte PV-Kapazität im Vergleich zu 2020 auf über 320 Gigawatt (GW) mehr als verdoppeln, bis 2030 sollen es schon 600 GW sein.

Auch China hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Im Jahr 2021 hat China fast 55 GW an neuen Solar-Kraftwerken gebaut. Die Behörden gehen davon aus, dass sich die Zahl dieses Jahr fast verdoppelt und 108 GW zugebaut werden. Bis zum Jahr 2025 sollen über 550 Gigawatt an Wind- und Solarkraftwerken entstehen – viele davon als gigantische Kraftwerke in den Wüsten.

Bleiben da überhaupt genug Solarmodule für den Export in die EU und nach Deutschland übrig? Eine Weile dürften die hohen Preise für Module noch anhalten, erwartet der Dachverband SolarPower Europe. “Lieferverzögerungen sind in der hohen Nachfrage und hohen Frachtkosten begründet”, sagt Analyst Christophe Lits. Der Bundesverband Solarwirtschaft rechnet nach den Worten einer Sprecherin aber damit, dass der Containerstau bis Ende des Jahres abgebaut sein wird.

Investoren warten auf sinkende Preise

Der Großhandelspreis für monokristalline Module ist in Europa innerhalb eines Jahres von 240 auf 280 US-Dollar pro Kilowatt gestiegen, wie Daten des Beratungsunternehmens InfoLink zeigen. Laut SolarPower Europe stellen einige gewerbliche Solar-Investoren ihre Projekte zurück, um auf sinkende Preise zu warten.

Im vergangenen Jahr seien 20 bis 25 Prozent aller PV-Projekte in der EU auf Eis gelegt oder abgesagt worden, heißt es in dem Bericht der Kommission. Neben den hohen Frachtkosten spielten auch gestiegene Rohstoffkosten und Schließungen chinesischer Fabriken eine Rolle. Ein bedeutender Faktor sei außerdem der Mangel an Installateuren, sagt Branchenvertreter Lits.

Zumindest bei den Produktionskapazitäten glauben Experten aber noch nicht an Engpässe. “Die weltweiten – und von China dominierten – Produktionskapazitäten für Wafer, Solarzellen und Module übersteigen selbst die hohe Nachfrage deutlich“, sagt Johannes Bernreuter, Lieferketten-Experte von Bernreuter Research, zu Table.Media.

Polysilizium als Engpass

Derzeit bestehe allerdings ein Flaschenhals bei der Produktion von Polysilizium. “Der Ausbau der Kapazitäten kommt der rasch wachsenden Nachfrage nicht schnell genug hinterher”, so Bernreuter. Doch China verfolge “gigantische Expansionspläne”. Innerhalb der nächsten zwei Jahre werde sich die Situation entspannen, prognostiziert der Experte. Lits rechnet sogar schon bis Anfang 2023 mit neuen Produktionskapazitäten.

Langfristig streben allerdings auch die Kommission und die europäische Solar-Industrie den Aufbau neuer Kapazitäten in der EU an. Für Polysilizium will die Branche die heimische Produktion auf genug Material für Module mit 54 GW nahezu verdoppeln. Die Modulfertigung selbst soll von neun auf 35,6 GW vervierfacht werden.

Derzeit herrscht innerhalb des Kontinents allerdings noch ein harter Wettbewerb um Solarkomponenten. In der Slowakei zum Beispiel gebe es einen Mangel an Modulen, weil die Käufer in anderen EU-Staaten höhere Preise zahlen könnten, berichten europäische Verbraucherschutzorganisationen. Mit Nico Beckert

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News

ETS-Reform soll direkt ins Plenum

Das Ringen um die Zukunft des EU-Emissionshandels (ETS) geht in eine neue Runde. Nachdem sich das Plenum in der vergangenen Woche nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnte (Europe.Table berichtete), wollen die ENVI-Koordinatoren der Fraktionen empfehlen, die Änderungsanträge schon bei der nächsten Plenartagung vom 22. bis 23. Juni wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Der Umweltausschuss solle heute zwischen 11 und 12 Uhr über die Empfehlung der Koordinatoren abstimmen, erklärte das Sekretariat gestern Abend in einer Pressemitteilung.

Die Grünen fürchten ohne vorherige Ausschussbefassung ein Chaos bei den Abstimmungen im Plenum. Gegen den Willen von Sozialdemokraten und Grünen werde sich der Umweltausschuss nicht noch mal mit dem CO2-Handel beschäftigen, schrieb der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss auf Twitter. Allerdings ist natürlich mit informellen Verhandlungen zu rechnen.

Wie der Umweltausschuss weiter erläuterte, streben die Koordinatoren in der nächsten Plenarsitzung auch finale Abstimmungen für den Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) und den Klimasozialfonds an. Bis dahin könnten noch neue Änderungsanträge gestellt werden. ber

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Umweltrat soll Klimagesetze billigen

Für das nächste Treffen der EU-Umweltminister am 28. Juni (Europe.Table berichtete) strebt die französische Ratspräsidentschaft die Einigung zu mehreren Rechtsakten aus dem Fit-for-55-Paket an. Wie “Contexte” berichtet, könnte es möglicherweise allgemeine Ausrichtungen zu mehreren Klimadossiers geben: der Emissionshandels-Richtlinie (ETS) inklusive der Regeln für den Luftfahrtsektor, der Marktstabilitätsreserve und des Klimasozialfonds, der Klimaschutzverordnung (ESR) zur Lastenteilung in den Sektoren Gebäude und Verkehr, zur LULUCF-Verordnung zu natürlichen Kohlenstoffsenken und zur umstrittenen Verordnung zu Flottengrenzwerten für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge.

Besonders bei letzterem Punkt wird spannend, wie die Umweltminister für ihre nationalen Regierungen abstimmen werden. Innerhalb der Bundesregierung ist ein Streit zwischen Grünen (Umwelt) und FDP (Verkehr) über das Verbrenner-Aus 2035 ausgebrochen (Europe.Table berichtete), welches das Parlament beschlossen hatte.

Zur Beratung stehen weitere Dossiers an: die Industrieemissions-Richtlinie, die Verordnung über fluorierte Treibhausgase, die Ökodesign-Richtlinie und möglicherweise das Renaturierungsgesetz. ber

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Wasserstoff-Speicher: Branche sieht Milliardenbedarf

Für die Klimaneutralität muss Deutschland bis zu 12,8 Milliarden Euro in Untergrundspeicher für Wasserstoff investieren. Bis zu 40 Kavernenspeicher müssten zusätzlich gebaut werden, heißt es in einer am Montag vorgestellten Branchenstudie. Auftraggeber war unter anderem der Verband INES, in dem die Betreiber bestehender Erdgasspeicher zusammengeschlossen sind. Deutschland verfügt mit 91,2 Milliarden Kubikmetern (bcm) über das größte Speichervolumen für Erdgas in der EU mit insgesamt 399,6 bcm.

Die Studienautoren gehen davon aus, dass nur vier der zwölf deutschen Porenspeicher für den Betrieb mit Wasserstoff umgerüstet werden können. Damit würde bezogen auf den Energiewert ein Drittel der deutschen Kapazitäten wertlos oder die Speicher könnten nur noch für Methan genutzt werden, das synthetisch aus Ökostrom erzeugt wird. Die 31 deutschen Kavernenspeicher ließen sich dagegen laut Studie auf Wasserstoff umrüsten.

Grundlage für die Branchenstudie seien die Langfristszenarien des Bundeswirtschaftsministeriums zur Klimaneutralität 2050 gewesen. Demnach müssten langfristig 47 bis 72,8 Terrawattstunden (TWh) Wasserstoff gespeichert werden. Bei höherer Elektrifizierung steigt der Gasbranche zufolge das benötigte Speichervolumen, weil mehr Wasserstoff für die Rückverstromung in Gaskraftwerken benötigt werde. ber

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Britische Regierung will Nordirland-Protokoll einseitig ändern

Die britische Regierung will die mit Brüssel vereinbarte Brexit-Regelung für Nordirland im Alleingang ändern. Ein dazu am Montag vorgelegter Gesetzentwurf sei notwendig, um Stabilität und den Frieden in der früheren Unruheprovinz zu sichern, sagte Außenministerin Liz Truss im Unterhaus in London. Sie fügte hinzu: “Wir sind weiterhin offen für Gespräche mit der EU.” Fortschritte könne es aber nur geben, wenn Brüssel Änderungen an der als Nordirland-Protokoll bezeichneten Vereinbarung akzeptiere. Bisher sei das nicht der Fall.

“Eine Neuverhandlung des Protokolls ist unrealistisch”, sagte EU-Kommissionsvize Maroš Šefčovič am Montag in einem Statement. Die Europäische Union werde das Protokoll nicht neu verhandeln. Die Kommission werde die Einleitung neuer Vertragsverletzungsverfahren in Erwägung ziehen, so Šefčovič weiter.

London droht Regelungen im Nordirland-Protokoll zu missachten

London droht nun, die in dem Protokoll vereinbarten Warenkontrollen zum Schutz des EU-Binnenmarkts zu stoppen und durch eine freiwillige Regelung zu ersetzen. Zudem soll die Rolle des Europäischen Gerichtshofs drastisch beschränkt werden. London will sich auch freie Hand bei Regelungen zur Mehrwertsteuer geben. Nach Ansicht einer großen Zahl von Experten wäre das ein klarer Bruch internationalen Rechts. Die Regierung in London bestreitet das jedoch.

Aus der EU kam bereits im Vorfeld scharfe Kritik. Der Alleingang schade dem gegenseitigen Vertrauen und sorge für Unsicherheit, hatte Šefčovič bereits am Morgen mitgeteilt. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlaments, David McAllister, bezeichnete einseitige Maßnahmen im dpa-Gespräch ebenfalls als “nicht akzeptabel”.

Das Nordirland-Protokoll ist Teil des 2019 geschlossenen Brexit-Abkommens. Es sieht vor, dass die zum Vereinigten Königreich gehörende Provinz weiter den Regeln des EU-Binnenmarkts und der Europäischen Zollunion folgt. dpa/sas

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DSA: Weg frei für IMCO-Abstimmung

Das Durcheinander war groß, der Zorn bei einigen der Beteiligten auch. Doch nach den letzten Irrungen und Wirrungen (Europe.Table berichtete) steht der Digital Services Act (DSA) der EU nun doch im federführenden Binnenmarkt-Ausschuss IMCO für Donnerstag zur Abstimmung auf der Tagesordnung.

Die zuletzt vor dem Wochenende aufgetretenen Irritationen wurden mit einer am Montagvormittag versandten, nun noch finaleren Version der Ratspräsidentschaft ausgeräumt. Die Ausnahme für Wett- und Glückspielplattformen wurde herausgenommen. Auch das Wording bei Stay-Down-Obligations wurde angepasst: Weder de jure noch de facto sollten automatisierte Filter per DSA verpflichtend werden, betont der Text nun ausdrücklich. Allerdings bleibt die Tür für derartige Verpflichtungen aufgrund anderer nationaler oder europäischer Gesetze im Rahmen des vom Europäischen Gerichtshof Erlaubten ebenso ausdrücklich offen.

Damit dürfte – sofern keine weiteren Überraschungen auftreten – der Digital Services Act Anfang Juli vom EU-Parlament beschlossen werden. fst

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Kommission will Facebook und Co Kampf gegen Fake-Konten vorschreiben

Internet-Konzerne wie Google, Facebook und Twitter sollen Insidern zufolge nach dem Willen der EU gegen gefälschte Nutzerkonten und sogenannte Deepfakes vorgehen müssen. Die EU-Kommission werde am Donnerstag entsprechende Ergänzungen zum Verhaltenskodex gegen Desinformation vorstellen, wie die Nachrichtenagentur Reuters am Montag von mit der Sache vertrauten Personen erfuhr. Der Kodex solle zudem mit dem Digital Services Act (DSA) verknüpft werden (Europe.Table berichtete). Damit drohten den Konzernen bei einer Nichteinhaltung hohe Geldstrafen, hieß es weiter.

Facebook und Co unterzeichneten Verhaltenskodex gegen Desinformation

Der EU-Kommissar für den Binnenmarkt, Thierry Breton, erklärte, “bekannte soziale Netzwerke” hätten in den vergangenen Jahren zugelassen, dass sich Desinformationen und Destabilisierungsstrategien hemmungslos verbreiten konnten – “und damit sogar Geld verdient”. Desinformation dürfe jedoch keine Einnahmequelle bleiben, hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme an Reuters. “Die Plattformen sollten keinen einzigen Euro mehr für die Verbreitung von Desinformation erhalten.”

Der Verhaltenskodex gegen Desinformation wurde 2018 auf freiwilliger Basis eingeführt. Zu den Unterzeichnern des Verhaltenskodex gegen Desinformation gehören Google, Facebook und Twitter wie auch Microsoft und TikTok. Bei Deepfakes handelt es sich um äußerst realistische, computergenerierte Fälschungen etwa von Videos, die besonders im politischen Kontext Besorgnis ausgelöst haben. rtr

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Amazon bietet mehr Transparenz an

Amazon bietet Insidern zufolge im Kartellstreit mit der EU Zugeständnisse an. Daten der firmeneigenen Händlerplattform Marketplace sollten mit Verkäufern geteilt werden, zudem solle die Sichtbarkeit der Angebote von Konkurrenten auf der Plattform verbessert werden, sagten mit dem Vorgang vertraute Personen. Der weltweit größte Online-Händler hofft so, um eine mögliche Kartellstrafe der Europäischen Union herumzukommen, die bei bis zu zehn Prozent des Umsatzes liegen könnte.

Die EU-Kommission hatte das Verfahren gegen Amazon 2020 eröffnet und wirft dem Online-Riesen vor, seine Größe und Marktmacht zu missbrauchen, um eigene Produkte zu begünstigen und sich gegenüber Konkurrenten einen Vorteil zu verschaffen, die auf der Amazon-Plattform ebenfalls aktiv sind. Die Ermittlungen drehen sich zudem um die Frage, ob Amazon den Händlern Vorzüge einräumt, die beim Versenden die Amazon-Logistik nutzen (Europe.Table berichtete).

Den Insidern zufolge holen die EU-Kartellwächter in den kommenden Wochen Einschätzungen von Amazon-Nutzern und Konkurrenten ein. Mit einer Entscheidung werde zum Jahresende gerechnet. Die EU-Kommission und Amazon lehnten eine Stellungnahme ab. Das Unternehmen hatte in der Vergangenheit erklärt, es stehe für weniger als ein Prozent des weltweiten Einzelhandelsmarktes und stimme nicht mit der Einschätzung der EU-Kommission überein. rtr

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Google erlaubt Rivalen Anzeigen auf Youtube

Die Google-Muttergesellschaft Alphabet bietet Insidern zufolge im Kartellstreit mit der EU Zugeständnisse an. Konkret gehe es darum, Rivalen zu ermöglichen, selbst Anzeigen auf der Videoplattform Youtube zu schalten, sagten mit dem Vorgang vertraute Personen.

Die EU-Kommission hatte im vergangenen Jahr Ermittlungen dazu eingeleitet, ob der Suchmaschinenbetreiber sich selbst einen unfairen Wettbewerbsvorteil auf dem Anzeigenmarkt verschafft, indem er den Zugang zu Nutzerdaten für Konkurrenten und Anzeigenkunden erschwert. rtr

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Presseschau

Boris Johnson will Brexit-Vertrag einseitig ändern TAGESSPIEGEL
Endspiel um Atom und Gas – Krieg könnte Öko-Siegel der EU doch noch kippen WELT
Spanisches Gas für Nordeuropa? Deutschland wirbt um Pyrenäen-Pipeline NTV
Olaf Scholz will Ostdeutschland im Energiebereich unterstützen ZEIT
Bundeskanzler Scholz sieht “durchaus teilweise Wirkung” des Tankrabatts WELT
Europäische Einlagensicherung scheitert an deutschem Widerstand HANDELSBLATT
Corona-Grenzkontrollen in der EU unzureichend geprüft WELT
Illegale Einreise in EU über Balkan-Route hat sich fast verdreifacht WELT

Portrait

Carlo Piltz: Der Datenschutz-Berater

Carlo Piltz, Partner bei Piltz Rechtsanwälte & Datenschutzexperte, im Potrait über den Datenschutz der Europäischen Union
Carlo Piltz, Partner bei Piltz Rechtsanwälte & Datenschutzexperte.

Ursprünglich wollte Carlo Piltz Wirtschaftsinformatik studieren. Begeistert von Computern und vom Programmieren, warf er zu Schulzeiten einen Blick in die Studienführer. “Da habe ich gesehen, dass Wirtschaftsinformatik viel Mathe hatte. Naja, doch nicht so toll. Dann mache ich doch Jura”, erinnert er sich an seine Entscheidung. Während des Jurastudiums in Göttingen legte Piltz frühzeitig den Schwerpunkt auf IT- und Medienrecht. Mittlerweile gehört er zu den führenden Datenschutzexperten hierzulande, fungiert als Sachverständiger in Parlamenten und berät viele große Klienten.

Europäische Union als Vorreiter in Sachen Datenschutz

“Ich habe angefangen und dann kam die DSGVO. Das ist am Ende auch Glück gewesen, aber es war auch der Mut, in diese Nische zu gehen”, sagt Piltz. Die Datenschutz-Grundverordnung, die 2012 von der EU-Kommission vorgestellt wurde, war eine Art Zäsur in der europäischen Datenschutzpolitik. Mittlerweile ist die Europäische Union Vorreiter in Sachen Datenschutz. “Data Act, Digital Services Act, Digital Markets Act (Europe.Table berichtete). Man kommt kaum noch hinterher, was da alles in Brüssel rausgefeuert wird”, sagt er.

Für ihn als Juristen und Sachverständigen sind das geradezu paradiesische Zustände, weil viele Unternehmen hinsichtlich der Verordnungen und Regularien mit immer neuen Fragen an ihn herantreten. “Auch für uns Juristen, die wir uns tagtäglich damit befassen, ist es nicht so, dass wir sagen: ‘Ach ja, das ist total eingängig und verständlich, wer da welche Rechte und Pflichten hat und wie das zusammenspielt.’ Diese Instrumente sind echt komplex.” Dementsprechend groß seien die Herausforderungen für Unternehmen.

Seine Kanzlei biete einen Rundumservice. Von der Beratung zur Einhaltung der geltenden Datenschutzrichtlinien bei der Erstellung einer neuen App über mögliche Gefahren bei der Zusammenarbeit mit einem Dienstleister aus einem Drittstaat bis hin zum Mitarbeiterdatenschutz, der laut Piltz nicht von jedem Unternehmen stets ernst genommen werde. Darüber hinaus wird Piltz auch aktiv, wenn bereits Beschwerden oder mögliche Verletzungen vorliegen und dem Klienten Ungemach droht. “Der Datenschutz legt sich über alles drüber. Wenn man will, können wir im Datenschutzrecht überall Probleme aufmachen.”

Zwischen Aufklärung und Privatsphäre

Mit Blick auf die Datenschutzpolitik etwa im europäischen Rahmen ergibt sich insbesondere bei der Verfolgung möglicher Straftaten ein Konflikt zwischen Aufklärungswillen und dem Eingriff in die Privatsphäre. Deutlich wird dies aktuell etwa am Vorstoß der Europäischen Kommission hinsichtlich der Verbreitung von Kindesmissbrauchsdarstellung. Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson sieht dafür in einem kürzlich vorgestellten Gesetzesentwurf eine Pflicht für bestimmte Internetanbieter vor, ihre Inhalte auf Darstellungen von Kindesmissbrauch und auf sogenanntes “Grooming” hin zu prüfen. “Das ist so das typische Spannungsverhältnis, in dem wir uns, gerade wenn es das Internet betrifft, im Datenschutzrecht bewegen”, sagt Piltz.

Für ihn käme die Einführung der Chat-Überwachung einer “Zeitenwende” gleich, weil die Überwachung sehr weitgehend wäre. “Wenn jetzt die Vorgabe kommen sollte, dass alles gescannt wird, was ich gesehen habe, dann könnte man auch mal die Frage stellen, wie wir uns vom US-amerikanischen Recht unterscheiden, das doch so extrem für Überwachung steht”, sagt Piltz. Sei allerdings die Überwachung politisch gewollt, so müsse er es akzeptieren. Auf ihn als Anwalt und Datenschutzspezialist käme dann wieder ein neuer Berg Arbeit zu. Beschweren wird er sich darüber nicht. Constantin Eckner

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    • Wasserstoff-Speicher: Branche sieht Milliardenbedarf
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    • Google erlaubt Rivalen Anzeigen auf Youtube
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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    eine Verfassungsänderung sei notwendig, “um sicherzustellen, dass die Union auf künftige Krisen wirksamer reagieren kann” – so heißt es in einer Entschließung, die das Europäische Parlament kürzlich mit deutlicher Mehrheit verabschiedet hat. Doch für echte Reformen der EU fehle den Regierungen der Wille, sagt Sophie Pornschlegel, Senior Policy Analyst am European Policy Center. Im Interview mit Till Hoppe spricht sie über ihre Kritik an den Strukturen der EU und die Strategie, mit der die Ampel-Koalition pro-europäisch wirken möchte. 

    Bei Solarmodulen ist die EU auf Importe angewiesen – und 63 Prozent dieser Importe stammen nach Angaben der Kommission aus China. Doch dabei hakt es, die weltweiten Lieferverzögerungen zeigen sich auch in Europa: Inzwischen stauen sich Containerschiffe sogar in der Nordsee. Experten gehen davon aus, dass sich die Lage bis Ende des Jahres entspannt. Einen Engpass erwarten sie allerdings bei der Produktion von Polysilizium, wie Manuel Berkel und Nico Beckert berichten. 

    Nachdem die ETS-Reform in der ersten Lesung im EU-Parlament gescheitert ist, steht nun die nächste Runde an, und zwar direkt im Plenum. Die ENVI-Koordinatoren wollen empfehlen, die Änderungsanträge schon bei der nächsten Plenartagung am 22. und 23. Juni wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Über die Empfehlung soll der Umweltausschuss heute abstimmen. Die Grünen warnen vor Chaos. Mehr lesen Sie in den News. 

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    Sophie Pornschlegel, Senior Policy Analyst am European Policy Center und Leiterin des Projekts Connecting Europe, im Interview über die Reform der EU-Verträge.
    Sophie Pornschlegel ist Senior Policy Analyst am European Policy Center und Leiterin des Projekts Connecting Europe.

    Frau Pornschlegel, das Europaparlament hat sich für einen Konvent zur Änderung der EU-Verträge ausgesprochen. Wie geht es nun weiter?

    Ein Konvent wäre ein erster Schritt. Das bedeutet aber noch nicht, dass es zu einer EU-Vertragsreform kommt. Zunächst einmal muss der Rat für die Aufnahme der Arbeit durch einen Konvent stimmen. Sofern ein solcher Konvent einberufen wird, fangen die Verhandlungen an: erst einmal zur Besetzung dieses Gremiums, zum Prozess sowie schließlich zur inhaltlichen Arbeit. Wir sind also noch weit von EU-Vertragsreformen entfernt. Es wäre aber ein erster Schritt, um sich vom veralteten Lissabonner Vertrag zu verabschieden und um eine wichtige Debatte zu starten, wie man die EU in Zukunft handlungsfähiger machen kann.

    Sophie Pornschlegel: EU-Reform unrealistisch

    Emmanuel Macron will bis zum EU-Gipfel am 23. und 24. Juni unter den Mitgliedstaaten für eine Reform werben. Halten Sie es für realistisch, dass der Rat tatsächlich den Weg für eine Vertragsänderung bereitet?

    13 Mitgliedsländer haben sich bereits klar gegen EU-Vertragsreformen ausgesprochen, darunter alle baltischen und skandinavischen Länder sowie viele ost- und zentraleuropäischen Länder. Sechs andere, vor allem westeuropäische Länder, darunter Deutschland und Italien, haben sich hingegen für eine EU-Vertragsreform ausgesprochen, auch wenn in einem milden Ton. Bis zum 1. Juli hat Frankreich noch die Ratspräsidentschaft inne, sodass sich mit dem Rat Ende Juni eine Chance bietet: Präsident Macron möchte das Thema priorisieren, sodass wir erwarten können, dass es zumindest von den EU-EntscheidungsträgerInnen diskutiert wird.

    Was konkret kritisieren Sie an den vorhandenen Strukturen in der EU?

    Momentan ist die EU hauptsächlich eine intergouvernementale Union. Es ist meist der Rat, der bremst, und dort ist oft das Einstimmigkeitsprinzip das Problem. Häufig fehlt es am politischen Willen der Staats- und Regierungschefs. Die EU könnte zwar die Passerelle-Klausel des Lissabonner Vertrags nutzen und viel öfter mit qualifizierter Mehrheit abstimmen. Die Entscheidungsträger machen es aber nicht, weil die Regierungen de facto somit ihre Veto-Macht verlieren würden – das wollen sie schlicht und einfach nicht. Das werden auch Vertragsreformen nicht ändern.

    Denken Sie vor allem an bestimmte Staaten?

    Ich denke zum einen an die autokratischen Regierungen in Polen und Ungarn, die die Arbeit der EU zunehmend erschweren. Aber nicht nur: Deutschland und andere Mitgliedstaaten verstehen sich zwar als pro-europäisch, lassen aber die Ambition vermissen, die EU voranzubringen. Das ist ebenfalls problematisch.

    Die Ampel-Koalition zeigt sich offen für eine Vertragsreform, insbesondere Grüne und FDP.

    Die Bundesregierung fordert, in der Außen- und Sicherheitspolitik mit Mehrheit abzustimmen (Europe.Table berichtete). Dabei weiß sie genau, dass es dafür zunächst Einstimmigkeit bedarf. Sie versteckt sich hinter solchen Forderungen, um pro-europäisch zu wirken – wobei diese Reform in der Realität kaum umsetzbar ist.

    “Differenzierte Integration oder Vertragsreformen”

    Gilt das auch für Emmanuel Macron und Mario Draghi, die sich deutlich für Vertragsreformen ausgesprochen haben?

    Macron hat eine klare Vision für die Weiterentwicklung der EU – viele der Konzepte der Sorbonne-Rede bestimmen in der EU nun den Diskurs. Aus Deutschland kam in den letzten Jahren hingegen wenig. Wie ambitioniert sich allerdings Macron für Vertragsreformen einsetzt, ist noch offen. In seiner Rede am 9. Mai schien er sich eher für ein Kerneuropa auszusprechen (Europe.Table berichtete).

    Was wiederum Deutschland kritisch sieht.

    Die Bundesregierung verfolgt seit Jahren die Strategie Inklusion statt Ambition. Das bedeutet aber, dass die EU in vielen Politikbereichen nicht vorankommt. Wir brauchen aber angesichts der Lage eine handlungsfähige EU, und das geht zu 27 nur sehr schwer. Wir brauchen also entweder differenzierte Integration oder Vertragsreformen – so weitermachen wie bisher kann keine dauerhafte Lösung sein.

    Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, Forderungen der Zukunftskonferenz in eigenen Vorschlägen zu übernehmen. Was erwarten Sie hier?

    Ich hoffe sehr, dass der Abschlussbericht mit den Empfehlungen der Bürger und Bürgerinnen politisch aufgegriffen wird. Was von der Leyen konkret umsetzen will, werden wir wohl im September bei ihrer Rede zur Lage der EU erfahren. Ich hoffe jedenfalls, dass die EU-Kommission die Vorschläge nicht nur als Kommunikationsinstrument einsetzt und sich weiter für deliberative Demokratie in der EU einsetzen wird.

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    Termine

    15.06.-16.06.2022, Belgien (Brüssel)
    Eurelectric, Conference Power Summit 2022
    Eurelectric gathers leaders of the European power sector and top decision-makers to exchange ideas and discuss the game-changing solutions needed for policy, technology, finance, and people. INFOS & REGISTRATION

    15.06.2022 – 10:00-11:30 Uhr, online
    ASEW, Seminar THG-Quotenhandel mit eQuota
    Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) stellt die THG-Quote als ein marktbasiertes Klimaschutzinstrument vor. INFOS & ANMELDUNG

    15.06.2022 – 10:00 Uhr, online
    BVMW, Seminar Ressourcen smart nutzen – Kreislaufwirtschaft für kleine und mittlere Unternehmen
    Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) beschäftigt sich damit, wie KMU sich dem Thema Kreislaufwirtschaft nähern können. INFOS & ANMELDUNG

    15.06.2022 – 16:00-17:30 Uhr, online
    FNF, Vortrag Der Klimawandel als sicherheits- und entwicklungspolitisches Problem
    Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (FNF) widmet sich der sicherheits- und entwicklungspolitischen Dimension des Klimawandels. INFOS & ANMELDUNG

    15.06.2022 – 17:00-18:30 Uhr, online
    HBS, Diskussion Der CO2-Preis: Leitinstrument der Klimapolitik?
    Die Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) setzt sich kritisch mit einem einheitlichen CO2-Preis als zentrales Leitinstrument der Klimapolitik auseinander. INFOS & ANMELDUNG

    15.06.2022 – 17:30-19:00 Uhr, online
    Aspen Institute, Diskussion Auf dem Weg zum 28. Mitglied? Die Kandidatur der Ukraine für die EU-Mitgliedschaft
    Das Aspen Institute nimmt die Perspektive eines möglichen EU-Beitritts der Ukraine in den Blick. INFOS

    15.06.2022 – 18:30-20:00 Uhr, Berlin
    KAS, Diskussion Deutsche Sicherheit im Weltraum – Bedrohungen und Potenziale
    Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) setzt sich mit den nationalen und verteidigungspolitischen Interessen im Hinblick auf den Weltraum auseinander. INFOS & ANMELDUNG

    15.06.2022 – 21:30-22:30 Uhr, online
    HBS, Discussion Protection of data rights for citizens and users
    The Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) addresses the balance between data rights of users and the rights for enterprises and states to make use of data in AI. INFOS & REGISTRATION

    Solar-Industrie: Ende der Lieferengpässe in Sicht

    Noch immer zeigen die Lieferverzögerungen im weltweiten Warenverkehr ihre Wirkung. Auch bei der Solar-Energie machen sie sich bemerkbar. Wie andere Güter sind auch Solarmodule von den coronabedingten Schließungen chinesischer Häfen betroffen, bestätigt eine Sprecherin des Bundesverbands Solarwirtschaft. Bei der Solar-Energie ist die EU stark auf Lieferungen aus Drittstaaten angewiesen – besonders aus China.

    Die Importabhängigkeit der EU beträgt bei Solarmodulen 65 bis 80 Prozent. 63 Prozent der Importe stammten aus China, wie ein Bericht der Kommission zu strategischen Abhängigkeiten im Februar bemerkte. Auch mehr als zwei Jahre nach Beginn der Coronavirus-Pandemie hakt es noch immer bei den Importen aus der Volksrepublik. In Shanghai und der angrenzenden Provinz Zhejiang stieg der Anteil der wartenden Schiffe an der globalen Kapazität im Mai erneut, wie der Kiel Trade Indicator des IfW vom 7. Juni zeigt.

    EU-Abhängigkeit von China: Der Anteil chinesischer Unternehmen an der weltweiten Produktion von Solar-Anlagen

    Inzwischen zeigen sich die Verzögerungen auch auf dem Importmarkt Europas. “Erstmals seit Ausbruch der Pandemie stauen sich Containerschiffe auch in der Nordsee vor den Häfen Deutschlands, der Niederlande und Belgiens. Hier stecken gegenwärtig knapp zwei Prozent der globalen Frachtkapazität fest und können weder be- noch entladen werden”, schreibt das IfW.

    Hohe Ziele für Solar in EU und China

    Aber gefährden die Lieferverzögerungen auch das Erreichen der hohen Ziele der europäischen Solarstrategie? Bis 2025 will die Kommission die installierte PV-Kapazität im Vergleich zu 2020 auf über 320 Gigawatt (GW) mehr als verdoppeln, bis 2030 sollen es schon 600 GW sein.

    Auch China hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Im Jahr 2021 hat China fast 55 GW an neuen Solar-Kraftwerken gebaut. Die Behörden gehen davon aus, dass sich die Zahl dieses Jahr fast verdoppelt und 108 GW zugebaut werden. Bis zum Jahr 2025 sollen über 550 Gigawatt an Wind- und Solarkraftwerken entstehen – viele davon als gigantische Kraftwerke in den Wüsten.

    Bleiben da überhaupt genug Solarmodule für den Export in die EU und nach Deutschland übrig? Eine Weile dürften die hohen Preise für Module noch anhalten, erwartet der Dachverband SolarPower Europe. “Lieferverzögerungen sind in der hohen Nachfrage und hohen Frachtkosten begründet”, sagt Analyst Christophe Lits. Der Bundesverband Solarwirtschaft rechnet nach den Worten einer Sprecherin aber damit, dass der Containerstau bis Ende des Jahres abgebaut sein wird.

    Investoren warten auf sinkende Preise

    Der Großhandelspreis für monokristalline Module ist in Europa innerhalb eines Jahres von 240 auf 280 US-Dollar pro Kilowatt gestiegen, wie Daten des Beratungsunternehmens InfoLink zeigen. Laut SolarPower Europe stellen einige gewerbliche Solar-Investoren ihre Projekte zurück, um auf sinkende Preise zu warten.

    Im vergangenen Jahr seien 20 bis 25 Prozent aller PV-Projekte in der EU auf Eis gelegt oder abgesagt worden, heißt es in dem Bericht der Kommission. Neben den hohen Frachtkosten spielten auch gestiegene Rohstoffkosten und Schließungen chinesischer Fabriken eine Rolle. Ein bedeutender Faktor sei außerdem der Mangel an Installateuren, sagt Branchenvertreter Lits.

    Zumindest bei den Produktionskapazitäten glauben Experten aber noch nicht an Engpässe. “Die weltweiten – und von China dominierten – Produktionskapazitäten für Wafer, Solarzellen und Module übersteigen selbst die hohe Nachfrage deutlich“, sagt Johannes Bernreuter, Lieferketten-Experte von Bernreuter Research, zu Table.Media.

    Polysilizium als Engpass

    Derzeit bestehe allerdings ein Flaschenhals bei der Produktion von Polysilizium. “Der Ausbau der Kapazitäten kommt der rasch wachsenden Nachfrage nicht schnell genug hinterher”, so Bernreuter. Doch China verfolge “gigantische Expansionspläne”. Innerhalb der nächsten zwei Jahre werde sich die Situation entspannen, prognostiziert der Experte. Lits rechnet sogar schon bis Anfang 2023 mit neuen Produktionskapazitäten.

    Langfristig streben allerdings auch die Kommission und die europäische Solar-Industrie den Aufbau neuer Kapazitäten in der EU an. Für Polysilizium will die Branche die heimische Produktion auf genug Material für Module mit 54 GW nahezu verdoppeln. Die Modulfertigung selbst soll von neun auf 35,6 GW vervierfacht werden.

    Derzeit herrscht innerhalb des Kontinents allerdings noch ein harter Wettbewerb um Solarkomponenten. In der Slowakei zum Beispiel gebe es einen Mangel an Modulen, weil die Käufer in anderen EU-Staaten höhere Preise zahlen könnten, berichten europäische Verbraucherschutzorganisationen. Mit Nico Beckert

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    ETS-Reform soll direkt ins Plenum

    Das Ringen um die Zukunft des EU-Emissionshandels (ETS) geht in eine neue Runde. Nachdem sich das Plenum in der vergangenen Woche nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnte (Europe.Table berichtete), wollen die ENVI-Koordinatoren der Fraktionen empfehlen, die Änderungsanträge schon bei der nächsten Plenartagung vom 22. bis 23. Juni wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Der Umweltausschuss solle heute zwischen 11 und 12 Uhr über die Empfehlung der Koordinatoren abstimmen, erklärte das Sekretariat gestern Abend in einer Pressemitteilung.

    Die Grünen fürchten ohne vorherige Ausschussbefassung ein Chaos bei den Abstimmungen im Plenum. Gegen den Willen von Sozialdemokraten und Grünen werde sich der Umweltausschuss nicht noch mal mit dem CO2-Handel beschäftigen, schrieb der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss auf Twitter. Allerdings ist natürlich mit informellen Verhandlungen zu rechnen.

    Wie der Umweltausschuss weiter erläuterte, streben die Koordinatoren in der nächsten Plenarsitzung auch finale Abstimmungen für den Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) und den Klimasozialfonds an. Bis dahin könnten noch neue Änderungsanträge gestellt werden. ber

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    Umweltrat soll Klimagesetze billigen

    Für das nächste Treffen der EU-Umweltminister am 28. Juni (Europe.Table berichtete) strebt die französische Ratspräsidentschaft die Einigung zu mehreren Rechtsakten aus dem Fit-for-55-Paket an. Wie “Contexte” berichtet, könnte es möglicherweise allgemeine Ausrichtungen zu mehreren Klimadossiers geben: der Emissionshandels-Richtlinie (ETS) inklusive der Regeln für den Luftfahrtsektor, der Marktstabilitätsreserve und des Klimasozialfonds, der Klimaschutzverordnung (ESR) zur Lastenteilung in den Sektoren Gebäude und Verkehr, zur LULUCF-Verordnung zu natürlichen Kohlenstoffsenken und zur umstrittenen Verordnung zu Flottengrenzwerten für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge.

    Besonders bei letzterem Punkt wird spannend, wie die Umweltminister für ihre nationalen Regierungen abstimmen werden. Innerhalb der Bundesregierung ist ein Streit zwischen Grünen (Umwelt) und FDP (Verkehr) über das Verbrenner-Aus 2035 ausgebrochen (Europe.Table berichtete), welches das Parlament beschlossen hatte.

    Zur Beratung stehen weitere Dossiers an: die Industrieemissions-Richtlinie, die Verordnung über fluorierte Treibhausgase, die Ökodesign-Richtlinie und möglicherweise das Renaturierungsgesetz. ber

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    Wasserstoff-Speicher: Branche sieht Milliardenbedarf

    Für die Klimaneutralität muss Deutschland bis zu 12,8 Milliarden Euro in Untergrundspeicher für Wasserstoff investieren. Bis zu 40 Kavernenspeicher müssten zusätzlich gebaut werden, heißt es in einer am Montag vorgestellten Branchenstudie. Auftraggeber war unter anderem der Verband INES, in dem die Betreiber bestehender Erdgasspeicher zusammengeschlossen sind. Deutschland verfügt mit 91,2 Milliarden Kubikmetern (bcm) über das größte Speichervolumen für Erdgas in der EU mit insgesamt 399,6 bcm.

    Die Studienautoren gehen davon aus, dass nur vier der zwölf deutschen Porenspeicher für den Betrieb mit Wasserstoff umgerüstet werden können. Damit würde bezogen auf den Energiewert ein Drittel der deutschen Kapazitäten wertlos oder die Speicher könnten nur noch für Methan genutzt werden, das synthetisch aus Ökostrom erzeugt wird. Die 31 deutschen Kavernenspeicher ließen sich dagegen laut Studie auf Wasserstoff umrüsten.

    Grundlage für die Branchenstudie seien die Langfristszenarien des Bundeswirtschaftsministeriums zur Klimaneutralität 2050 gewesen. Demnach müssten langfristig 47 bis 72,8 Terrawattstunden (TWh) Wasserstoff gespeichert werden. Bei höherer Elektrifizierung steigt der Gasbranche zufolge das benötigte Speichervolumen, weil mehr Wasserstoff für die Rückverstromung in Gaskraftwerken benötigt werde. ber

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    Britische Regierung will Nordirland-Protokoll einseitig ändern

    Die britische Regierung will die mit Brüssel vereinbarte Brexit-Regelung für Nordirland im Alleingang ändern. Ein dazu am Montag vorgelegter Gesetzentwurf sei notwendig, um Stabilität und den Frieden in der früheren Unruheprovinz zu sichern, sagte Außenministerin Liz Truss im Unterhaus in London. Sie fügte hinzu: “Wir sind weiterhin offen für Gespräche mit der EU.” Fortschritte könne es aber nur geben, wenn Brüssel Änderungen an der als Nordirland-Protokoll bezeichneten Vereinbarung akzeptiere. Bisher sei das nicht der Fall.

    “Eine Neuverhandlung des Protokolls ist unrealistisch”, sagte EU-Kommissionsvize Maroš Šefčovič am Montag in einem Statement. Die Europäische Union werde das Protokoll nicht neu verhandeln. Die Kommission werde die Einleitung neuer Vertragsverletzungsverfahren in Erwägung ziehen, so Šefčovič weiter.

    London droht Regelungen im Nordirland-Protokoll zu missachten

    London droht nun, die in dem Protokoll vereinbarten Warenkontrollen zum Schutz des EU-Binnenmarkts zu stoppen und durch eine freiwillige Regelung zu ersetzen. Zudem soll die Rolle des Europäischen Gerichtshofs drastisch beschränkt werden. London will sich auch freie Hand bei Regelungen zur Mehrwertsteuer geben. Nach Ansicht einer großen Zahl von Experten wäre das ein klarer Bruch internationalen Rechts. Die Regierung in London bestreitet das jedoch.

    Aus der EU kam bereits im Vorfeld scharfe Kritik. Der Alleingang schade dem gegenseitigen Vertrauen und sorge für Unsicherheit, hatte Šefčovič bereits am Morgen mitgeteilt. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlaments, David McAllister, bezeichnete einseitige Maßnahmen im dpa-Gespräch ebenfalls als “nicht akzeptabel”.

    Das Nordirland-Protokoll ist Teil des 2019 geschlossenen Brexit-Abkommens. Es sieht vor, dass die zum Vereinigten Königreich gehörende Provinz weiter den Regeln des EU-Binnenmarkts und der Europäischen Zollunion folgt. dpa/sas

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    DSA: Weg frei für IMCO-Abstimmung

    Das Durcheinander war groß, der Zorn bei einigen der Beteiligten auch. Doch nach den letzten Irrungen und Wirrungen (Europe.Table berichtete) steht der Digital Services Act (DSA) der EU nun doch im federführenden Binnenmarkt-Ausschuss IMCO für Donnerstag zur Abstimmung auf der Tagesordnung.

    Die zuletzt vor dem Wochenende aufgetretenen Irritationen wurden mit einer am Montagvormittag versandten, nun noch finaleren Version der Ratspräsidentschaft ausgeräumt. Die Ausnahme für Wett- und Glückspielplattformen wurde herausgenommen. Auch das Wording bei Stay-Down-Obligations wurde angepasst: Weder de jure noch de facto sollten automatisierte Filter per DSA verpflichtend werden, betont der Text nun ausdrücklich. Allerdings bleibt die Tür für derartige Verpflichtungen aufgrund anderer nationaler oder europäischer Gesetze im Rahmen des vom Europäischen Gerichtshof Erlaubten ebenso ausdrücklich offen.

    Damit dürfte – sofern keine weiteren Überraschungen auftreten – der Digital Services Act Anfang Juli vom EU-Parlament beschlossen werden. fst

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    Kommission will Facebook und Co Kampf gegen Fake-Konten vorschreiben

    Internet-Konzerne wie Google, Facebook und Twitter sollen Insidern zufolge nach dem Willen der EU gegen gefälschte Nutzerkonten und sogenannte Deepfakes vorgehen müssen. Die EU-Kommission werde am Donnerstag entsprechende Ergänzungen zum Verhaltenskodex gegen Desinformation vorstellen, wie die Nachrichtenagentur Reuters am Montag von mit der Sache vertrauten Personen erfuhr. Der Kodex solle zudem mit dem Digital Services Act (DSA) verknüpft werden (Europe.Table berichtete). Damit drohten den Konzernen bei einer Nichteinhaltung hohe Geldstrafen, hieß es weiter.

    Facebook und Co unterzeichneten Verhaltenskodex gegen Desinformation

    Der EU-Kommissar für den Binnenmarkt, Thierry Breton, erklärte, “bekannte soziale Netzwerke” hätten in den vergangenen Jahren zugelassen, dass sich Desinformationen und Destabilisierungsstrategien hemmungslos verbreiten konnten – “und damit sogar Geld verdient”. Desinformation dürfe jedoch keine Einnahmequelle bleiben, hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme an Reuters. “Die Plattformen sollten keinen einzigen Euro mehr für die Verbreitung von Desinformation erhalten.”

    Der Verhaltenskodex gegen Desinformation wurde 2018 auf freiwilliger Basis eingeführt. Zu den Unterzeichnern des Verhaltenskodex gegen Desinformation gehören Google, Facebook und Twitter wie auch Microsoft und TikTok. Bei Deepfakes handelt es sich um äußerst realistische, computergenerierte Fälschungen etwa von Videos, die besonders im politischen Kontext Besorgnis ausgelöst haben. rtr

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    Amazon bietet mehr Transparenz an

    Amazon bietet Insidern zufolge im Kartellstreit mit der EU Zugeständnisse an. Daten der firmeneigenen Händlerplattform Marketplace sollten mit Verkäufern geteilt werden, zudem solle die Sichtbarkeit der Angebote von Konkurrenten auf der Plattform verbessert werden, sagten mit dem Vorgang vertraute Personen. Der weltweit größte Online-Händler hofft so, um eine mögliche Kartellstrafe der Europäischen Union herumzukommen, die bei bis zu zehn Prozent des Umsatzes liegen könnte.

    Die EU-Kommission hatte das Verfahren gegen Amazon 2020 eröffnet und wirft dem Online-Riesen vor, seine Größe und Marktmacht zu missbrauchen, um eigene Produkte zu begünstigen und sich gegenüber Konkurrenten einen Vorteil zu verschaffen, die auf der Amazon-Plattform ebenfalls aktiv sind. Die Ermittlungen drehen sich zudem um die Frage, ob Amazon den Händlern Vorzüge einräumt, die beim Versenden die Amazon-Logistik nutzen (Europe.Table berichtete).

    Den Insidern zufolge holen die EU-Kartellwächter in den kommenden Wochen Einschätzungen von Amazon-Nutzern und Konkurrenten ein. Mit einer Entscheidung werde zum Jahresende gerechnet. Die EU-Kommission und Amazon lehnten eine Stellungnahme ab. Das Unternehmen hatte in der Vergangenheit erklärt, es stehe für weniger als ein Prozent des weltweiten Einzelhandelsmarktes und stimme nicht mit der Einschätzung der EU-Kommission überein. rtr

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    Google erlaubt Rivalen Anzeigen auf Youtube

    Die Google-Muttergesellschaft Alphabet bietet Insidern zufolge im Kartellstreit mit der EU Zugeständnisse an. Konkret gehe es darum, Rivalen zu ermöglichen, selbst Anzeigen auf der Videoplattform Youtube zu schalten, sagten mit dem Vorgang vertraute Personen.

    Die EU-Kommission hatte im vergangenen Jahr Ermittlungen dazu eingeleitet, ob der Suchmaschinenbetreiber sich selbst einen unfairen Wettbewerbsvorteil auf dem Anzeigenmarkt verschafft, indem er den Zugang zu Nutzerdaten für Konkurrenten und Anzeigenkunden erschwert. rtr

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    Presseschau

    Boris Johnson will Brexit-Vertrag einseitig ändern TAGESSPIEGEL
    Endspiel um Atom und Gas – Krieg könnte Öko-Siegel der EU doch noch kippen WELT
    Spanisches Gas für Nordeuropa? Deutschland wirbt um Pyrenäen-Pipeline NTV
    Olaf Scholz will Ostdeutschland im Energiebereich unterstützen ZEIT
    Bundeskanzler Scholz sieht “durchaus teilweise Wirkung” des Tankrabatts WELT
    Europäische Einlagensicherung scheitert an deutschem Widerstand HANDELSBLATT
    Corona-Grenzkontrollen in der EU unzureichend geprüft WELT
    Illegale Einreise in EU über Balkan-Route hat sich fast verdreifacht WELT

    Portrait

    Carlo Piltz: Der Datenschutz-Berater

    Carlo Piltz, Partner bei Piltz Rechtsanwälte & Datenschutzexperte, im Potrait über den Datenschutz der Europäischen Union
    Carlo Piltz, Partner bei Piltz Rechtsanwälte & Datenschutzexperte.

    Ursprünglich wollte Carlo Piltz Wirtschaftsinformatik studieren. Begeistert von Computern und vom Programmieren, warf er zu Schulzeiten einen Blick in die Studienführer. “Da habe ich gesehen, dass Wirtschaftsinformatik viel Mathe hatte. Naja, doch nicht so toll. Dann mache ich doch Jura”, erinnert er sich an seine Entscheidung. Während des Jurastudiums in Göttingen legte Piltz frühzeitig den Schwerpunkt auf IT- und Medienrecht. Mittlerweile gehört er zu den führenden Datenschutzexperten hierzulande, fungiert als Sachverständiger in Parlamenten und berät viele große Klienten.

    Europäische Union als Vorreiter in Sachen Datenschutz

    “Ich habe angefangen und dann kam die DSGVO. Das ist am Ende auch Glück gewesen, aber es war auch der Mut, in diese Nische zu gehen”, sagt Piltz. Die Datenschutz-Grundverordnung, die 2012 von der EU-Kommission vorgestellt wurde, war eine Art Zäsur in der europäischen Datenschutzpolitik. Mittlerweile ist die Europäische Union Vorreiter in Sachen Datenschutz. “Data Act, Digital Services Act, Digital Markets Act (Europe.Table berichtete). Man kommt kaum noch hinterher, was da alles in Brüssel rausgefeuert wird”, sagt er.

    Für ihn als Juristen und Sachverständigen sind das geradezu paradiesische Zustände, weil viele Unternehmen hinsichtlich der Verordnungen und Regularien mit immer neuen Fragen an ihn herantreten. “Auch für uns Juristen, die wir uns tagtäglich damit befassen, ist es nicht so, dass wir sagen: ‘Ach ja, das ist total eingängig und verständlich, wer da welche Rechte und Pflichten hat und wie das zusammenspielt.’ Diese Instrumente sind echt komplex.” Dementsprechend groß seien die Herausforderungen für Unternehmen.

    Seine Kanzlei biete einen Rundumservice. Von der Beratung zur Einhaltung der geltenden Datenschutzrichtlinien bei der Erstellung einer neuen App über mögliche Gefahren bei der Zusammenarbeit mit einem Dienstleister aus einem Drittstaat bis hin zum Mitarbeiterdatenschutz, der laut Piltz nicht von jedem Unternehmen stets ernst genommen werde. Darüber hinaus wird Piltz auch aktiv, wenn bereits Beschwerden oder mögliche Verletzungen vorliegen und dem Klienten Ungemach droht. “Der Datenschutz legt sich über alles drüber. Wenn man will, können wir im Datenschutzrecht überall Probleme aufmachen.”

    Zwischen Aufklärung und Privatsphäre

    Mit Blick auf die Datenschutzpolitik etwa im europäischen Rahmen ergibt sich insbesondere bei der Verfolgung möglicher Straftaten ein Konflikt zwischen Aufklärungswillen und dem Eingriff in die Privatsphäre. Deutlich wird dies aktuell etwa am Vorstoß der Europäischen Kommission hinsichtlich der Verbreitung von Kindesmissbrauchsdarstellung. Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson sieht dafür in einem kürzlich vorgestellten Gesetzesentwurf eine Pflicht für bestimmte Internetanbieter vor, ihre Inhalte auf Darstellungen von Kindesmissbrauch und auf sogenanntes “Grooming” hin zu prüfen. “Das ist so das typische Spannungsverhältnis, in dem wir uns, gerade wenn es das Internet betrifft, im Datenschutzrecht bewegen”, sagt Piltz.

    Für ihn käme die Einführung der Chat-Überwachung einer “Zeitenwende” gleich, weil die Überwachung sehr weitgehend wäre. “Wenn jetzt die Vorgabe kommen sollte, dass alles gescannt wird, was ich gesehen habe, dann könnte man auch mal die Frage stellen, wie wir uns vom US-amerikanischen Recht unterscheiden, das doch so extrem für Überwachung steht”, sagt Piltz. Sei allerdings die Überwachung politisch gewollt, so müsse er es akzeptieren. Auf ihn als Anwalt und Datenschutzspezialist käme dann wieder ein neuer Berg Arbeit zu. Beschweren wird er sich darüber nicht. Constantin Eckner

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