Frankreichs Präsident Emmanuel Macron rief Europa gestern in Paris zum Zusammenhalt auf. “Die Aufspaltung Europas ist eins der Kriegsziele von Russland. Deshalb ist es unsere Verantwortung, die Europäische Union und ihre Stärke in diesem Kontext zu wahren.” Gleichzeitig verteidigte er seine Bereitschaft, Kontakt zu Wladimir Putin zu halten: Frankreich werde auf der Suche nach einer Friedenslösung mit Russland im Gespräch bleiben, natürlich in Absprache mit den NATO-Verbündeten.
Spaltungsgefahr birgt in Europa zurzeit wohl besonders die Sorge um Energiekosten. Experten der Europäischen Kommission schlagen nun als Notfall-Maßnahme gegen hohe Strompreise einen neuen, mehrteiligen Ansatz vor. Manuel Berkel hat sich für seine Analyse ein Dokument der zuständigen Generaldirektion Energie angesehen, das Europe.Table vorliegt.
Es dauert noch eine Weile, bis 2024 die nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament stattfinden. Doch schon jetzt stellen sich für die europäischen Parteien Fragen wie jene nach den Spitzenkandidatinnen. Vor allem die EVP-Personalie wird interessant, schreiben Markus Grabitz und Till Hoppe: Es könnte zwei sehr prominente Konkurrentinnen geben.
Mein Kollege Lukas Scheid fasst außerdem für Sie zusammen, was in diesem Herbst in der EU-Klimapolitik ansteht: Nicht nur die Triloge zur ETS-Reform und zur Einführung des CBAM gehen in die entscheidende Runde (und bieten viel Konfliktpotenzial). Anfang November findet zudem die UN-Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el Sheikh statt. Die am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder blicken vor allem nach Europa – denn die Industriestaaten werden ihrem Versprechen der Klimafinanzierung nicht gerecht.
In der kulinarisch-politischen Kolumne von Claire Stam geht es heute um französischen Weichkäse – und um die Zukunft des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA), der um sein Budget bangen muss. Bon appétit!
Die Energieexperten der EU-Kommission sprechen sich dafür aus, die Preise für aus Atomkraft, Braunkohle und erneuerbare Energien gewonnene Elektrizität zu deckeln. Dadurch würden diese günstigeren Energieträger vom Börsen-Strompreis entkoppelt, der meist von teureren Gaskraftwerken gesetzt wird, heißt es in einem Non-Paper der zuständigen Generaldirektion Energie, das Europe.Table vorliegt. Dies gebe den Mitgliedstaaten finanziellen Spielraum, um besonders verletzliche Haushalte zu entlasten.
Das 23-seitige Papier dient als Diskussionsgrundlage in der Kommission. Die Behörde arbeitet derzeit unter Hochdruck an Vorschlägen, wie die EU die jüngsten Turbulenzen an den Strommärkten kurzfristig bewältigen kann. Parallel dazu bereitet sie bis Anfang 2023 einen Legislativvorschlag für ein neues Strommarktdesign vor. Details zum Strommarktdesign soll es nach Ursula von der Leyens Rede im Europaparlament am 14. September geben. Die EU-Energieminister werden sich auf einer außerordentlichen Ratssitzung am 9. September mit diesen Themen befassen.
Die enormen Preisausschläge hatten die politische Diskussion um Eingriffe in das Marktgeschehen zuletzt stark angeheizt. Die Ideen reichen von einem allgemeinen Strompreisdeckel über das iberische Modell bis hin zum griechischen Vorschlag, den Markt in Erzeuger erneuerbarer Energien und fossiler Brennstoffe aufzuteilen.
Die Energieexperten der Kommission schlagen nun einen modifizierten Weg vor. Dieser soll verhindern, dass ein Preisrückgang zu einem kontraproduktiven Anstieg der Strom- und Gasnachfrage führt und ein Risiko für die Versorgungssicherheit darstellt. Der Vorschlag besteht aus drei Elementen:
Der Energieökonom Lion Hirth lobt die Ansätze: Diese seien “ein großer Schritt nach vorn in der Debatte”, so der Experte der Hertie School, auch wenn viele Einzelheiten noch offen seien. Diskutiert wird in dem Papier auch die rechtliche Umsetzung. Die Autoren halten es für machbar, die Notfallmaßnahmen für den Strommarkt wieder als verpflichtende Verordnung des Rates umzusetzen, wie es bereits beim Plan zum Gassparen geschah.
Die extremen Ausschläge an den Strombörsen haben die durch die Gaskrise ausgelösten Sorgen in Politik und Industrie noch verschärft. Eine Kommissionsvertreterin deutete gestern im Industrieausschuss des Europaparlaments an, man könne einzelnen Industriebranchen im Fall einer Mangellage einen bevorzugten Zugang zu Gas einräumen.
“Wir schauen uns das Thema der kritischen Industrien an, die derzeit nicht von der SoS-Verordnung abgedeckt werden”, sagte die stellvertretende Generaldirektorin der GD Energie, Mechthild Wörsdörfer, als sie im Industrieausschuss den Plan zum Gassparen erläuterte. Im Fall eines Gasmangels müssen die Mitgliedstaaten bisher geschützte Kunden bevorzugt behandeln. Dazu können neben Haushaltskunden lediglich grundlegende soziale Dienste wie der Gesundheitssektor und kleine und mittlere Unternehmen zählen.
Wörsdörfer sagte, Aluminium- und Düngemittelhersteller seien neben vielen weiteren Industriezweigen bereits stark von der Energiekrise betroffen. “Wir schauen uns an, was für diese kritischen Verbraucher nötig ist, weil unsere SoS-Verordnung nicht für Krisen wie diese geeignet ist”, so die deutsche Spitzenbeamtin.
Die stellvertretende Generaldirektorin drängte aber auch auf weiteres Gassparen. Von August bis März sollen die EU-Staaten ihren Gasverbrauch um 15 Prozent reduzieren. Die ersten Berichte der Mitgliedstaaten über ihre Fortschritte erwartet die Kommission laut Wörsdörfer im Oktober.
Der Vorsitzende des Industrieausschusses, Christian Bușoi, bemängelte unzureichende Informationen und meldete Zweifel an der Kooperationsbereitschaft der Mitgliedstaaten an. “Uns ist noch nicht klar geworden, wie viele Mitgliedstaaten diesen freiwilligen Plan umsetzen wollen”, sagte er. Für jene Staaten, die den Gasverbrauch bis zum Ende des Jahres nicht gedrosselt haben, werde es schwierig, das 15-Prozent-Ziel noch zu erreichen – selbst wenn die Gaseinsparungen zum Ende des Jahres verpflichtend würden.
Die Mahnungen, am Gassparen festzuhalten, kommen kurz nach positiven Nachrichten zu den Gasspeichern. Am Mittwoch hatten die Speicher in der EU einen durchschnittlichen Füllstand von 80 Prozent erreicht. Der Abgeordnete Jerzy Buzek (EVP) erinnerte allerdings daran, dass sich das Europaparlament ursprünglich für ein Speicherziel von 90 Prozent eingesetzt hatte. Auch das Gassparziel von 15 Prozent sei vielleicht zu konservativ, sagte Buzek.
Weiter aufs Gassparen drängt auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Er stellte gestern die Pläne für ein fünftes schwimmendes LNG-Terminal vor, das der Bund gechartert hat. Es soll im vierten Quartal 2023 in Wilhelmshaven mit einer Kapazität von fünf Milliarden Kubikmetern (bcm) pro Jahr in Betrieb gehen. mit Till Hoppe, Claire Stam
Wer in der Politik ein hohes Amt bekleiden will, der sollte sich bekanntlich nicht zu früh aus der Deckung wagen. Es wundert daher nicht, dass sich Ursula von der Leyen bislang bedeckt hält, ob sie eine zweite Amtszeit nach der Europawahl 2024 anstrebt. Doch kaum jemand bezweifelt, dass die amtierende Kommissionspräsidentin gerne ein zweites Mal gewählt würde.
Allerdings ist nicht ausgemacht, dass die christdemokratische Parteienfamilie EVP sie tatsächlich fragt. Und das, obwohl von der Leyens politische Heimat die Union ist. Ihr Verhältnis zu Manfred Weber ist getrübt. Der CSU-Politiker, der der größten Fraktion im Parlament vorsitzt und seit Mai auch die Partei auf EU-Ebene führt, überlegt, EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola die Spitzenkandidatur anzutragen. Dies wurde Europe.Table von mehreren Quellen aus der EVP bestätigt. Weber wollte sich dazu nicht äußern.
Der Frust von 2019 sitzt bei den europäischen Parteien noch immer tief. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte die Uneinigkeit von EVP, SPE und Grünen ausgenutzt und von der Leyen als Kommissionspräsidentin durchgesetzt, obwohl sie gar nicht für das Straßburger Parlament kandidiert hatte. Spitzenkandidat Weber beanspruchte als Wahlsieger zwar das wichtigste Amt in Brüssel, doch es gelang ihm nicht, eine Mehrheit im Europaparlament und im Rat hinter sich zu bringen. Nicht nur Macron sprach Weber das nötige Format ab.
Über Jahrzehnte hatten die Staats- und Regierungschefs weitgehend unter sich ausgemacht, wer an die Spitze der Kommission rückt. Doch dann erstritt sich das Europaparlament ein Mitspracherecht. CDU-Strippenzieher Elmar Brok sorgte überdies dafür, dass in der EVP-Satzung die “Wahl eines Spitzenkandidaten” verankert wurde.
Noch ist offen, ob die Parteienfamilien wie 2014 und 2019 erneut europaweite Spitzenkandidaten aufstellen. Die EVP hält daran fest, sieht aber zunächst die anderen Parteienfamilien am Zug. Sozialdemokraten, Liberale und Grüne bekennen sich ebenfalls zu dem Modell, das dem Kommissionspräsidenten demokratische Legitimität geben soll. “Wir haben uns in der Zukunftskonferenz dafür starkgemacht, das Spitzenkandidatenmodell und transnationale Listen über den Weg eines Konvents institutionell zu verankern”, sagt Nicola Beer, Vize-Präsidentin des Europaparlaments von der FDP. Jetzt sei es an von der Leyen, sich dazu zu verhalten.
Auch Reinhard Bütikofer, von 2012 bis 2019 Parteichef der europäischen Grünen, hält an dem Modell fest: “Das Spitzenkandidaten-Modell hat das Potenzial, die Europa-Wahlen interessanter zu machen und demokratischer und europäischer. Die parteipolitisch unterschiedlichen Perspektiven für Europa bekommen damit einprägsame Gesichter.” Damit das Prinzip funktioniere, müssten sich die proeuropäischen Parteienfamilien aber vor den Wahlen verständigen, an einem Strang zu ziehen. Der Chef der deutschen Sozialdemokraten im Europaparlament, Jens Geier, betont: “Der Schlüssel zum Erfolg liegt bei den Parteienfamilien. Sie müssen zu ihrem Spitzenkandidaten stehen.”
Ihre Kandidaten für die Wahl 2024 werden die Parteien nach der Sommerpause 2023 küren. In wenigen Wochen veranstalten die europäischen Sozialisten in Berlin ihren Parteitag und wählen eine neue Führung. Danach könnte es erste Hinweise geben. Frans Timmermans, der Spitzenkandidat von 2019, soll nach dem Scheitern kein Interesse mehr haben. Ihm wird nachgesagt, wieder in die niederländische Politik wechseln zu wollen. Dort gründet sich gerade eine Sammlungsbewegung, an deren Spitze er in den nationalen Wahlkampf ziehen könnte. Bei den Sozialisten gelten Portugals Ministerpräsident Antonio Costa sowie der ehemalige schwedische Regierungschef Stefan Löfven als mögliche Kandidaten.
Bei den Christdemokraten sind von der Leyen und Metsola wohl die aussichtsreichsten Kandidatinnen. Weber weiß, dass er selbst keine Chance hat, in die oberste Etage des Berlaymont-Gebäudes einzuziehen. Nach der Deutschen von der Leyen wäre ein anderes Mitgliedsland dran, den Kommissionspräsidenten zu stellen.
Weber würde dem Vernehmen nach Metsola bevorzugen. Sie gilt nicht nur in der EVP als charismatisch und kompetent, die 43-Jährige würde den Konservativen überdies ein jüngeres, moderneres Gesicht geben. Die Malteserin nutzt die neue Rolle bereits recht geschickt: So besuchte sie schon Anfang April öffentlichkeitswirksam Wolodymyr Selenskyj in Kiew – und kam damit von der Leyen zuvor, was diese geärgert haben soll. Ein sicheres Zeichen, dass die Deutsche die Parlamentarierin als Konkurrentin sieht.
Doch Metsolas Schwäche ist die fehlende Regierungserfahrung. Daher ist fraglich, ob sie die nötige Unterstützung aus dem Kreis der Staats- und Regierungschefs bekäme. Malta ist überdies einer der kleinsten Mitgliedstaaten und hat massive Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit.
Von der Leyen hingegen genieße unter den konservativen Regierungschefs viel Rückhalt, heißt es in der EVP. CDU-Chef Friedrich Merz unterstütze die Parteifreundin ebenfalls, auch wenn er wenig Sympathie für sie hege. In der EVP-Fraktion hingegen sei von der Leyen “nicht beliebt”, sagt einer, der sich auskennt. Schon gar nicht in der Gruppe der deutschen CDU/CSU-Abgeordneten. Sie werfen ihr vor, zu sehr eine grüne Agenda zu verfolgen.
Was muss passieren, damit 2024 das Spitzenkandidaten-Modell funktioniert? Der einflussreiche Europa-Abgeordnete Andreas Schwab (CDU) sagt: “Damit es beim nächsten Mal klappt, müssen die Parteienfamilien vor der Wahl gemeinsam darüber nachdenken, welcher Spitzenkandidat nach der Wahl ausreichend Unterstützung im Parlament mobilisieren kann.”
Bütikofer sieht es ähnlich: “Die proeuropäischen Parteienfamilien müssen sich vor den Wahlen verständigen, dass sie an einem Strang ziehen wollen, um eine Spitzenkandidatin oder einen Spitzenkandidaten zum Kommissionspräsidenten zu wählen.” Markus Grabitz und Till Hoppe
Die Trilogverhandlungen zur Reform des europäischen Emissionshandelssystems (ETS) nehmen mit dem Wiederbeginn des politischen Betriebs in Brüssel wieder Fahrt auf. Offizieller Verhandlungsbeginn war zwar schon vor der Sommerpause, doch beim ersten Treffen haben die Co-Gesetzgeber lediglich ihre Standpunkte noch einmal dargelegt (Europe.Table berichtete).
Es wird darum gehen, welchen Beitrag der ETS zur CO2-Reduktion in der EU leisten soll. Diskutiert wird noch über die Höhe und den Zeitpunkt des sogenannten Rebasing, also der Löschung ungenutzter Zertifikate vom Markt. Dadurch entfaltet sich die Lenkungswirkung des ETS, da der Preis steigt und der Dekarbonisierungsanreiz verstärkt wird.
Das Parlament will 2024 zunächst 70 Millionen CO2-Zertifikate vom Markt nehmen und 2026 noch einmal 50 Millionen. Den sogenannten linearen Reduktionsfaktor für die CO2-Obergrenze (CAP) will das meist ambitioniertere Parlament bis 2026 auf 4,4 Prozent jährlich anheben, ab 2029 auf 4,5 Prozent und schließlich ab 2029 auf 4,6 Prozent. Damit würde das CAP des ETS bis 2030 um insgesamt 63 Prozent sinken.
Kommission und Rat hatten vorgeschlagen, den linearen Reduktionsfaktor ab 2024 von 2,2 Prozent auf 4,2 Prozent anzuheben und durch eine einmalige Löschung das CAP um 61 Prozent zu reduzieren (ca. 117 Millionen Zertifikate). Zwar liegen die Positionen nicht weit auseinander, doch im Parlament ist eine Einigung bereits einmal an ebendieser Frage des Rebasing gescheitert, weshalb auch im Trilog keine Geschenke gemacht werden dürften.
Die schärfsten Debatten zur Reform des Emissionshandelssystem könnten jedoch um den zweiten ETS für den Straßenverkehr und das Heizen von Gebäuden geführt werden. Im Parlament lag der Kompromiss in einer Trennung zwischen kommerzieller und privater Nutzung von Brenn- und Kraftstoffen. Privathaushalte sollten vom CO2-Preis befreit bleiben, für die kommerzielle Nutzung fiele er jedoch an.
Kommission und Rat sehen eine solche Trennung im ETS 2 nicht vor und halten sie auch nicht für sinnvoll. Auch die Bundesregierung ist der Auffassung, dass alle fossilen Brennstoffe mit einem Aufpreis versehen werden sollen – ähnlich wie es in Deutschland bereits mit dem nationalen Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) gehandhabt wird.
Auch das Einführungsdatum des ETS 2 sowie der soziale Ausgleich für die steigenden Preise dürfte für Diskussionen sorgen. Die Kommission hatte 2026 für die Einführung vorgeschlagen und einen Klimasozialfonds über 72 Milliarden Euro für die Entlastung von besonders stark betroffenen Verbraucherinnen und Verbrauchern auf dem Weg gebracht. Die Mitgliedsländer wollen die Einführung um ein Jahr nach hinten verschieben und den Umfang des Fonds auf 59 Milliarden verkleinern. Das Parlament will den abgespeckten ETS 2 nur für kommerzielle Nutzung sogar erst 2029 einführen, sodass auch der soziale Ausgleich unnötig wäre.
Zeitplan: Die ersten Technical Meetings haben bereits stattgefunden. In der zweiten Oktoberwoche steht die nächste Trilogrunde auf höchster Ebene an. Bis zur COP27 im November sollten die Verhandlungen zu ETS und CBAM (und auch zum Klimasozialfonds) abgeschlossen sein. Dieser Zeitplan dürfte angesichts der dicken Bretter, die noch gebohrt werden müssen, kaum einzuhalten sein.
Akteure: Peter Liese (Berichterstatter des Parlaments), Pascal Canfin (Umweltausschussvorsitzender), Frans Timmermans (EU-Kommission), tschechische Ratspräsidentschaft.
Eng verknüpft mit der Reform des ETS ist die Einführung eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), der langfristig die kostenlosen CO2-Emissionszertifikate für die Industrie als Schutz vor Carbon Leakage ersetzen soll.
Die zentralen Fragen, die noch zu klären sind, betreffen die Industriesektoren, auf die der CBAM angewendet werden soll, sowie die Geschwindigkeit, mit der der CBAM die Freizuteilungen ersetzt. Zusätzlich zu den von der Kommission vorgeschlagenen Sektoren (Eisen und Stahl, Raffinerien, Zement, organische Grundchemikalien und Düngemittel) fordert das Parlament, dass der CBAM auch organische Chemikalien, Kunststoffe, Wasserstoff und Ammoniak abdeckt.
Vertreter der deutschen Industrie fordern, dass die Branchen selbst entscheiden, ob sie den CBAM oder weiterhin die Freizuteilungen als Carbon-Leakage-Schutz haben wollen. Die Befürchtung ist, dass das neue Instrument seine angedachte Wirkung ohne ausgiebige Testphase nicht entfalten kann.
Die Kommission hatte vorgeschlagen, dass die Freizuteilungen ab 2026 linear über zehn Jahre hinweg jährlich um zehn Prozentpunkte heruntergefahren werden, während der CBAM im selben Umfang zunimmt. Parlament und Rat wollen Einführungs-Pfade des CBAM, in denen die Freizuteilungen zu Beginn langsamer und später umso schneller abgeschmolzen werden.
Zeitplan: Die ersten Technical Meetings haben bereits stattgefunden. In der zweiten Oktoberwoche steht die nächste Trilogrunde auf höchster Ebene an. Auch die CBAM-Verhandlungen sollen bis zur COP27 im November abgeschlossen sein.
Akteure: Peter Liese (Berichterstatter des Parlaments), Pascal Canfin (Umweltausschussvorsitzender), Frans Timmermans (EU-Kommission), tschechische Ratspräsidentschaft.
Apropos COP27. Der diesjährigen UN-Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el Sheikh wird zwar nicht dieselbe Relevanz zugesprochen, wie der vergangenen in Glasgow. Doch gilt diese Einschätzung so nicht für Schwellen- und Entwicklungsländer. Und die Forderungen der am meisten vom Klimawandel betroffenen Länder sollten auch die Industriestaaten aufhorchen lassen. Denn die Welt verlässt sich auch auf Europa – beispielsweise bei der Klimafinanzierung.
Das 100-Milliarden-Dollar-Versprechen der reichsten Industriestaaten wird noch immer nicht erfüllt. Seit 2020 müsste diese Summe jedes Jahr aus öffentlichen und privaten Quellen für Klimaadaption und -mitigation in Entwicklungsländer fließen. 2020 flossen nur 83,3 Milliarden Dollar. Allerdings ist hier weniger die EU als Block gefragt als die Mitgliedstaaten. Zwar gehen diese bereits mit gutem Beispiel voran – Deutschland zum Beispiel zahlte 2020 laut BMZ 7,83 Milliarden Euro aus öffentlicher und privater Hand. Doch die Frage ist, ob Europa seinen Beitrag noch erhöhen kann, wenn die USA und insbesondere China den Verpflichtungen nicht nachkommen, die sie 2009 bei der COP in Kopenhagen eingegangen sind.
“Die Menschen in den ärmsten Ländern haben fast nichts beigetragen zum CO2-Ausstoß, aber sie tragen die größte Last des Klimawandels“, sagte Entwicklungsministerin Svenja Schulze kürzlich. Es sei höchste Zeit, dass Industrieländer anerkennen, “dass es Klimaschäden gibt und gerade die verwundbarsten Länder unsere Solidarität brauchen, um damit umzugehen”.
Gemeinsam mit den “besonders verwundbaren Entwicklungsländern” soll auf der COP27 laut Schulze ein Klimarisiko-Schutzschirm ausgearbeitet werden. Dazu gehörten soziale Sicherungssysteme. Im Fall einer Dürre stünde das Geld dann schon bereit.
Auch die Fortführung sogenannter Just Energy Transition Partnerships (JETPs) wird eines der entscheidenden Themen auf der diesjährigen COP sein. Wie können Industrieländer dabei unterstützen, dass Ägypten, Indonesien oder Südafrika gar nicht erst in Versuchung kommen, ihre Energiesysteme auf fossilen Brennstoffen aufzubauen, und diese frühzeitig durch erneuerbare Alternativen ersetzen? Europa und allen voran Deutschland betonen stets die Bereitschaft zum Handeln. Auf der COP27 könnten sie diese Bereitschaft dann auch unter Beweis stellen.
Zeitplan: Die COP findet vom 7. bis 18. November in Sharm el Sheikh auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel statt – eine Verlängerung ist möglich. Die Vorbereitungen für die Verhandlungen laufen bereits seit Monaten und sind spätestens seit der Bonn Climate Change Conference Mitte Juni in vollem Gange.
Akteure: Delegationen der Mitgliedsländer. Für die EU-Kommission leitet Green Deal-Kommissar Frans Timmermans die Verhandlungen, aber auch das Parlament entsendet eine Delegation. Deutsche Delegationsleiterin ist Jennifer Morgan, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Designierter Präsident der COP27 ist der ägyptische Außenminister Sameh Shoukry.
Assoziationsrat EU-Ukraine
05.09.2022 12:15 Uhr
Themen: Bilaterale Agenda EU-Ukraine, Unterstützung der EU seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs, Antrag auf EU-Mitgliedschaft der Ukraine.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE)
05.09.2022 14:30-18:30 Uhr
Themen: Erläuterungen des Tschechischen Vorsitzes im Rat der EU, Berichtsentwurf zur Verordnungsänderung im Hinblick auf den digitalen Informationsaustausch in Terrorismusfällen, Berichtsentwurf zur Resilienz kritischer Einrichtungen.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Haushaltskontrolle (CONT)
05.09.2022 15:00-18:30 Uhr
Themen: Entlastung des Gesamthaushaltsplans der EU 2020, Verstärkung des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Haushaltsausschusses (BUDG)
05.09.2022 15:00-15:15 Uhr
Themen: Berichtsentwurf zur Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der EU.
Vorläufige Tagesordnung
Informelle Ministertagung Gesundheit
06.09.-07.09.2022
Themen: Die Gesundheitsminister kommen zu einer informellen Tagung zusammen.
Vorläufige Tagesordnung
Wöchentliche Kommissionssitzung
07.09.2022
Themen: Paket zur Europäischen Strategie für Pflege und Betreuung (Europäische Strategie für Pflege und Betreuung, Entwurf einer Ratsempfehlung für langfristige Pflege und Betreuung, Entwurf einer Ratsempfehlung zur Überarbeitung der Barcelona-Ziele).
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL)
08.09.2022 09:00-12:30 Uhr
Themen: Abstimmung zum Gesamthaushaltsplan der EU für das Haushaltsjahr 2023, Aussprache mit Dubravka Šuica (Vizepräsidentin der Kommission).
Vorläufige Tagesordnung
Informelle Ministertagung Wirtschaft und Finanzen
09.09.-10.09.2022
Themen: Treffen der Wirtschafts- und Finanzminister.
Vorläufige Tagesordnung
Euro-Gruppe
09.09.2022
Themen: Die Wirtschafts- und Finanzminister kommen zur Euro-Gruppe zusammen.
Vorläufige Tagesordnung
Rat der EU: Verkehr, Telekommunikation und Energie
09.09.2022
Themen: Treffen der Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieminister.
Vorläufige Tagesordnung
Wichtige Institutionen der EU haben dem Europäischen Rechnungshof zufolge erstaunlich gut auf die Corona-Pandemie reagiert. Die Organe hätten schnell und flexibel gehandelt und von früheren Investitionen in Digitalisierung profitiert, heißt es in einem am Donnerstag in Luxemburg veröffentlichten Bericht des Rechnungshofs.
Geprüft wurden das Europaparlament, die Vertretung der Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission sowie der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Zeitraum zwischen Februar 2020 bis Juli 2021. “Trotz ungleichem Vorbereitungsstand ist es den geprüften EU-Institutionen gelungen, ihr gesamtes Personal innerhalb von sechs Wochen mit Homeoffice-Lösungen auszustatten”, teilte der Rechnungshof mit.
Bestehende Notfallpläne für Krisensituationen hätten gegriffen, allerdings seien sie zunächst nicht für eine so lang anhaltende Krise wie die Corona-Pandemie ausgelegt gewesen. Zudem seien einheitliche Reaktionen nicht immer möglich gewesen. Eine weitere Schwachstelle sieht der Bericht darin, dass noch nicht alle Bereiche der Verwaltung vollständig digitalisiert sind. Es werde noch geprüft, wie etwa Homeoffice auch nach der Krise weiter beibehalten werden könne, da dies erhebliches Potenzial für Einsparungen berge, so der Rechnungshof. dpa
EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis befürchtet, die neue Steuergutschrift in den USA für den Kauf von Elektrofahrzeugen könnte Hersteller in der Europäischen Union benachteiligen. Das Instrument könnte sich als Fehlschlag erweisen und die Auswahl für die US-amerikanischen Verbraucher einschränken, sagte Dombrovskis am Donnerstag bei einem virtuellen Treffen mit seiner amerikanischen Amtskollegin Katherine Tai.
Die Demokraten hatten die Steuergutschrift in das im vergangenen Monat verabschiedete Gesetz zur Klima- und Gesundheitspolitik aufgenommen, um Anreize für die heimische Produktion von Batterien und Elektrofahrzeugen zu schaffen. Hersteller in Europa und Südkorea, die Millionen von Fahrzeugen in den USA verkaufen, haben jedoch damit gedroht, bei der Welthandelsorganisation Klage einzureichen.
Das Gesetz sieht eine Steuergutschrift von bis zu 7.500 Dollar vor, die zur Deckung der Kosten für den Kauf eines Elektrofahrzeugs verwendet werden kann. Um die volle Steuergutschrift in Anspruch nehmen zu können, muss das Elektrofahrzeug jedoch eine in Nordamerika hergestellte Batterie enthalten, deren Metalle zu 40 Prozent auf dem Kontinent abgebaut oder recycelt wurden.
Die Europäische Kommission erklärte, dass Teile des Gesetzes zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen können, indem sie die Abkehr von fossilen Brennstoffen beschleunigen. Sie zeigte sich jedoch besorgt über den “möglicherweise diskriminierenden Charakter der Steuergutschrift für Elektrofahrzeuge”. Die EU strebe zwar eine enge Zusammenarbeit mit den USA bei der Bekämpfung des Klimawandels an, doch sollten “grüne Maßnahmen nicht auf diskriminierende, WTO-widrige Weise gestaltet werden”, hieß es.
Dombrovskis erinnerte in dem Telefonat daran, dass “eine Diskriminierung von EU-Herstellern es ihnen sehr viel schwerer macht, zur Elektrifizierung von Fahrzeugen in den USA beizutragen, und die Wahlmöglichkeiten der US-Verbraucher einschränkt, wenn sie Elektrofahrzeuge kaufen wollen.”
Die EU-Kommission erklärte, beide Seiten seien übereingekommen, die Gespräche zu diesem Thema fortzusetzen. leo/ ap
Polen will nach Angaben des Vorsitzenden der Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński, Reparationsforderungen in Billionenhöhe an Deutschland stellen. Die Schäden und Verluste im Zweiten Weltkrieg würden auf 6,2 Billionen Złoty (1,32 Billionen Euro) geschätzt, teilte der Chef der national-konservativen PiS am Donnerstag mit. Seine Partei hat seit der Übernahme der Regierungsverantwortung 2015 mehrmals Entschädigungen gefordert. Bislang wurden allerdings keine offiziellen Reparationsforderungen auf Regierungsebene an Deutschland gerichtet.
Das Auswärtige Amt wies die Forderung in einer ersten Reaktion zurück. “Die Position der Bundesregierung ist unverändert, die Reparationsfrage ist abgeschlossen”, erklärte ein Sprecher des Ministeriums in Berlin. “Polen hat schon vor langer Zeit, im Jahr 1953, auf weitere Reparationen verzichtet und diesen Verzicht mehrfach bestätigt.” Dies sei “eine wesentliche Grundlage für die heutige Ordnung Europas”, erklärte er weiter, betonte zugleich aber: “Deutschland steht politisch und moralisch zu seiner Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg.” Auch Kanzler Olaf Scholz hatte bei seinem Antrittsbesuch in Warschau im Dezember die Forderungen unter Verweis auf frühere Verträge zurückgewiesen.
“Die jetzt vorgestellte Summe hat sich unter Einhaltung äußerst limitierender, konservativer Methoden ergeben”, sagte Kaczyński. “Es kann sein, dass sie sich noch erhöht.” 1953 verzichtete die damalige kommunistische Regierung Polens auf Druck der Sowjetunion auf alle Reparationsforderungen. Die Regierung in Moskau wollte damit ähnliche Forderungen an die damalige DDR verhindern. Die PiS hält diese Vereinbarung für ungültig.
Der Chef der größten Oppositionspartei Bürgerplattform, Donald Tusk, warf Kaczyński vor, es gehe ihm nicht wirklich um Entschädigungen für die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg. “Es geht ihm um eine innenpolitische Kampagne, um die Unterstützung für seine Partei zu stärken”, sagte der ehemalige EU-Ratspräsident. Zwar führt PiS in Umfragen vor der Bürgerplattform, aber der Vorsprung ist geschrumpft angesichts steigernder Inflation und eines wirtschaftlichen Abschwungs.
Scholz hatte im Dezember die Reparationsforderungen mit einem Hinweis auf die hohen deutschen EU-Finanzzahlungen gekontert. Davon fließe ein Großteil in EU-Länder im Süden und Osten der Union. Während der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg wurden rund sechs Millionen Polen getötet, darunter drei Millionen Juden. Die Hauptstadt Warschau wurde nach einem Aufstand 1944 in großen Teilen dem Erdboden gleichgemacht. rtr
Die Situation um Taiwan und das eigene Verhältnis zu China und der Indo-Pazifik-Region beschäftigt Brüssel in den ersten Tagen nach der Sommerpause. Die EU spreche in dieser Woche noch mit thailändischen Vertretern über ein Abkommen, um Lieferketten in Asien diverser gestalten zu können, teilte Gunnar Wiegand vom Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) am Donnerstag bei einer Sitzung des Handelsausschusses des EU-Parlaments mit. Ähnliche Gespräche und die Unterzeichnung eines Abkommens sind demnach auch mit Malaysia am Rande des Asean-Gipfels im November geplant. Nähere Details dazu nannte Wiegand zunächst nicht.
Taiwan sei ein Schlüssel-Partner für die EU im Indo-Pazifik-Raum, sagte Dominic Porter, der innerhalb des EEAS für China, Hongkong und Taiwan zuständig ist, vor dem Ausschuss für Außenpolitik des Europaparlaments, ebenfalls am Donnerstag. Porter machte klar: “Die Ein-China-Politik wird bleiben.” Diese sei die Grundlage für das Verhältnis zwischen Brüssel und Peking. Spannungen oder ein zugespitzter Konflikt in der Taiwan-Straße sei in niemandes Interesse, so Porter. Bedenken über Chinas Verhalten seien chinesischen Vertretern direkt mitgeteilt worden.
Spannend für das EU-China-Verhältnis wird in diesem Monat auch die Gesetzesvorlage der EU-Kommission für ein Einfuhrverbot von Produkten aus Zwangsarbeit. Sie soll am 13. September vorgestellt werden. Das Importverbot wird wahrscheinlich auf einem Vermarktungsverbot innerhalb der EU basieren. Zudem wird EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am 14. September ihre Rede zur Lage der Europäischen Union in Straßburg halten. Im vergangenen Jahr hatte sie das Einfuhrverbot für Waren aus Zwangsarbeit angekündigt. ari
Der Niederländer Gerard de Graaf ist seit dem 1. September Leiter des neu eröffneten Büros der Europäischen Union in San Francisco. Das Büro soll die Zusammenarbeit der EU mit den Vereinigten Staaten im Bereich der digitalen Diplomatie verstärken. Die Einrichtung ist das Ergebnis der gemeinsamen Verpflichtung des EU-US-Gipfeltreffens im Juni 2021, die transatlantische technologische Zusammenarbeit zu stärken. Und sie ist ein zentraler Bestandteil der Schlussfolgerungen zur digitalen Diplomatie, die der EU-Rat für Auswärtige Angelegenheiten im Juli dieses Jahres angenommen hat.
Das Büro wird sich um die Förderung von EU-Standards und -Technologien, digitalen Strategien und Regulierungen sowie Governance-Modellen bemühen. Außerdem soll es den Austausch mit US-Akteuren im Bereich der digitalen Technologie stärken – einschließlich der politischen Entscheidungsträger, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. Außerdem soll es die Zusammenarbeit im Rahmen des Handels- und Technologierats (TTC) stärken. Das Büro untersteht der EU-Delegation in Washington und arbeitet in enger Abstimmung mit der Zentrale in Brüssel und in Partnerschaft mit den Konsulaten der EU-Mitgliedstaaten in der San Francisco Bay Area.
Der Leiter Gerard de Graaf ist seit mehr als dreißig Jahren in der Europäischen Kommission in einer Vielzahl von Politikbereichen tätig. Bis zu seiner jüngsten Ernennung war er Direktor in der Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien (GD CNECT), wo er unter anderem für die Rechtsakte über digitale Dienste und digitale Märkte (DSA/DMA) zuständig war. Zuvor war de Graaf zum Beispiel für die EU-Politik in den Bereichen Telekommunikation und audiovisuelle Medien (einschließlich Urheberrecht), Cybersicherheit, IKT-Normung, Start-up Europe, IKT und Umwelt sowie internationale Beziehungen zuständig. Er war Ko-Vorsitzender von zwei Arbeitsgruppen des TTC, die sich mit GreenTech, Data Governance und Technologieplattformen befassen. vis
Die “Laune der Götter” – oder “caprice des dieux” in der Originalsprache – ist ein Käse, der durch seine ovale Form in einem Universum aus traditionell runden (wie dem Camembert) oder eckigen Produkten auffällt. Es ist auch der Name, der dem Gebäude des Europäischen Parlaments gegeben wurde, in einer Anspielung auf den vermeintlich privilegierten Status seiner Insassen, aber auch auf seine Form, die an die Schachtel des berühmten Käses erinnert.
Dort, im Parlament, stimmt am 26. September der Haushaltskontrollausschuss über den Haushalt des EWSA ab, der sich für 2021 auf 150 Millionen Euro beläuft. Der Bericht, den die spanische Europaabgeordnete Isabel García Muñoz nächste Woche vorlegen wird, soll die Sitzung vorbereiten.
Die Abgeordneten hatten sich zuvor schon geweigert, den Haushalt für 2020 abzusegnen und taten dies auch Anfang dieses Jahres wieder. Der Grund dafür? Sie forderten eine externe Untersuchung mehrerer Belästigungsbeschwerden durch den EWSA, die bereits 2018 und 2019 zu Untersuchungen durch die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde (OLAF) führten.
Mehr brauchte es nicht, um eine seit Jahren andauernde Debatte in der Brüsseler “Bubble” neu zu entfachen: jene über die Legitimität und den Nutzen des EWSA. Neben den Fällen von Belästigungen stellen die Kritiker auch die Gültigkeit der Stellungnahmen des EWSA, die Effizienz seiner Verwaltung und sein Budget infrage. Einige sind sogar der Meinung, dass der EWSA abgeschafft werden sollte.
Um die Debatte richtig einzuordnen, ist ein kurzer historischer Rückblick notwendig: Der EWSA wurde 1957 durch den Vertrag von Rom gegründet und ist neben dem Ausschuss der Regionen eine der beiden offiziellen beratenden Einrichtungen der EU. Sie ist dem französischen Modell nachempfunden, das 1946 im Zuge der großen Sozialreformen ins Leben gerufen wurde. Wie sein französisches Pendant wurde der EWSA eingerichtet, damit Akteure der europäischen Zivilgesellschaft sich offiziell zu den Legislativvorschlägen der EU äußern können. Der Ausschuss vertritt unter anderem die Interessen von Verbrauchern, Gewerkschaften, Arbeitgebern und Landwirten.
“Der Ausschuss ist weder eine Lobbygruppe noch eine Vertretung von Partikularinteressen. Unsere Stellungnahmen beruhen in der Regel auf Konsens und bringen als gemeinsamen Nenner die Anliegen der europäischen Zivilgesellschaft insgesamt zum Ausdruck”, fasst Christa Schweng, seit 2020 Präsidentin der EWSA, für Europe.Table zusammen. “Der EWSA ist ein Netzwerk von Netzwerken: Unsere Mitglieder kommen zusammen, um wichtige EU-Themen mitzuerörtern, und so zur Gestaltung und Verbesserung der EU-Rechtsvorschriften beizutragen”.
Somit hat der EWSA eine privilegierte Position, um Stellungnahmen zu den Legislativvorschlägen der Kommission abzugeben. Obwohl diese Stellungnahmen nicht verbindlich sind, können die darin enthaltenen Ideen leicht in die Überlegungen der Kommission, des Rates und/oder des Parlaments einfließen. “Ein konkretes Beispiel hierfür ist, dass der EWSA als Erster eine echte europäische Gesundheitsunion gefordert hat”, sagt Schweng.
Und was sagt sie zu den Vorwürfen? “In meiner Eigenschaft als Präsidentin habe ich jedem der von OLAF ermittelten Opfer von Belästigung oder schwerem Fehlverhalten aufmerksam zugehört, um faire Lösungen zu erzielen. Die Dienststellen des EWSA haben diesen Prozess dann weiterverfolgt und sind in allen Fällen zu einer Einigung mit den Betroffenen gelangt. Am 13. April 2022 habe ich mich in einer öffentlichen Erklärung auf dem Internetportal des EWSA erneut im Namen des Ausschusses offiziell bei allen Opfern des vorliegenden Falls entschuldigt”.
Schweng erklärt, der Beschluss des Europäischen Parlaments, die Entlastung des EWSA für 2020 aufzuschieben, sei mit der verzögerten Umsetzung der Vergleichsvereinbarung mit einem Mobbing-Opfer und Verzögerungen beim Abschluss solcher Vereinbarungen mit zwei weiteren Opfern schweren Fehlverhaltens begründet worden. “Das Verfahren hat sich tatsächlich länger hingezogen, dies aber aus dem wesentlichen Grund, dass wir über rein rechtliche Verpflichtungen hinaus an den besten Lösungen für die Opfer gearbeitet haben”.
Der EWSA hält die Berichterstatterin des EP und die Schattenberichterstatter für die Entlastung 2020 nun monatlich auf dem neuesten Stand.
Wir können die Frage nach der Legitimität aber auch tiefer ergründen und das Problem andersherum stellen: Wenn man den EWSA abschafft, wird man dann auch den Ausschuss der Regionen abschaffen? Und wer könnte dann die Stimme der Zivilgesellschaft in einer Stadt vertreten, in der schätzungsweise 48.000 Lobbyisten arbeiten, die meisten davon aus der Industrie?
Es ist daher kein Zufall, dass die Konferenz über die Zukunft Europas in ihren am 9. Mai vorgestellten Abschlussempfehlungen eine Stärkung der institutionellen Rolle des EWSA fordert. Die Konferenz erkennt an, dass “eine lebendige Zivilgesellschaft für das demokratische Leben in der Europäischen Union von entscheidender Bedeutung ist” und schlägt vor, den EWSA als “Vermittler und Garant für Aktivitäten der partizipativen Demokratie wie den strukturierten Dialog mit Organisationen der Zivilgesellschaft und Bürgerpanels” zu ermächtigen.
In Zeiten, in denen die politische Debatte sehr schnell in Faustkämpfen und Shitstorms ausarten kann, erscheint es mehr als notwendig, alles bewahren zu können, was den “strukturierten Dialog” fördert und politisch beruhigt, da er auf der Kultur des Kompromisses – der bei weitem nicht immer ein Schimpfwort ist – zwischen den Bürgern und ihren Institutionen beruht.
Damit möchte man meinen: Ja zu einer Neugestaltung der Governance des EWSA, aber nicht zu seiner Abschaffung. So würde sich die “Laune der Götter” sicherlich verbessern.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron rief Europa gestern in Paris zum Zusammenhalt auf. “Die Aufspaltung Europas ist eins der Kriegsziele von Russland. Deshalb ist es unsere Verantwortung, die Europäische Union und ihre Stärke in diesem Kontext zu wahren.” Gleichzeitig verteidigte er seine Bereitschaft, Kontakt zu Wladimir Putin zu halten: Frankreich werde auf der Suche nach einer Friedenslösung mit Russland im Gespräch bleiben, natürlich in Absprache mit den NATO-Verbündeten.
Spaltungsgefahr birgt in Europa zurzeit wohl besonders die Sorge um Energiekosten. Experten der Europäischen Kommission schlagen nun als Notfall-Maßnahme gegen hohe Strompreise einen neuen, mehrteiligen Ansatz vor. Manuel Berkel hat sich für seine Analyse ein Dokument der zuständigen Generaldirektion Energie angesehen, das Europe.Table vorliegt.
Es dauert noch eine Weile, bis 2024 die nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament stattfinden. Doch schon jetzt stellen sich für die europäischen Parteien Fragen wie jene nach den Spitzenkandidatinnen. Vor allem die EVP-Personalie wird interessant, schreiben Markus Grabitz und Till Hoppe: Es könnte zwei sehr prominente Konkurrentinnen geben.
Mein Kollege Lukas Scheid fasst außerdem für Sie zusammen, was in diesem Herbst in der EU-Klimapolitik ansteht: Nicht nur die Triloge zur ETS-Reform und zur Einführung des CBAM gehen in die entscheidende Runde (und bieten viel Konfliktpotenzial). Anfang November findet zudem die UN-Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el Sheikh statt. Die am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder blicken vor allem nach Europa – denn die Industriestaaten werden ihrem Versprechen der Klimafinanzierung nicht gerecht.
In der kulinarisch-politischen Kolumne von Claire Stam geht es heute um französischen Weichkäse – und um die Zukunft des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA), der um sein Budget bangen muss. Bon appétit!
Die Energieexperten der EU-Kommission sprechen sich dafür aus, die Preise für aus Atomkraft, Braunkohle und erneuerbare Energien gewonnene Elektrizität zu deckeln. Dadurch würden diese günstigeren Energieträger vom Börsen-Strompreis entkoppelt, der meist von teureren Gaskraftwerken gesetzt wird, heißt es in einem Non-Paper der zuständigen Generaldirektion Energie, das Europe.Table vorliegt. Dies gebe den Mitgliedstaaten finanziellen Spielraum, um besonders verletzliche Haushalte zu entlasten.
Das 23-seitige Papier dient als Diskussionsgrundlage in der Kommission. Die Behörde arbeitet derzeit unter Hochdruck an Vorschlägen, wie die EU die jüngsten Turbulenzen an den Strommärkten kurzfristig bewältigen kann. Parallel dazu bereitet sie bis Anfang 2023 einen Legislativvorschlag für ein neues Strommarktdesign vor. Details zum Strommarktdesign soll es nach Ursula von der Leyens Rede im Europaparlament am 14. September geben. Die EU-Energieminister werden sich auf einer außerordentlichen Ratssitzung am 9. September mit diesen Themen befassen.
Die enormen Preisausschläge hatten die politische Diskussion um Eingriffe in das Marktgeschehen zuletzt stark angeheizt. Die Ideen reichen von einem allgemeinen Strompreisdeckel über das iberische Modell bis hin zum griechischen Vorschlag, den Markt in Erzeuger erneuerbarer Energien und fossiler Brennstoffe aufzuteilen.
Die Energieexperten der Kommission schlagen nun einen modifizierten Weg vor. Dieser soll verhindern, dass ein Preisrückgang zu einem kontraproduktiven Anstieg der Strom- und Gasnachfrage führt und ein Risiko für die Versorgungssicherheit darstellt. Der Vorschlag besteht aus drei Elementen:
Der Energieökonom Lion Hirth lobt die Ansätze: Diese seien “ein großer Schritt nach vorn in der Debatte”, so der Experte der Hertie School, auch wenn viele Einzelheiten noch offen seien. Diskutiert wird in dem Papier auch die rechtliche Umsetzung. Die Autoren halten es für machbar, die Notfallmaßnahmen für den Strommarkt wieder als verpflichtende Verordnung des Rates umzusetzen, wie es bereits beim Plan zum Gassparen geschah.
Die extremen Ausschläge an den Strombörsen haben die durch die Gaskrise ausgelösten Sorgen in Politik und Industrie noch verschärft. Eine Kommissionsvertreterin deutete gestern im Industrieausschuss des Europaparlaments an, man könne einzelnen Industriebranchen im Fall einer Mangellage einen bevorzugten Zugang zu Gas einräumen.
“Wir schauen uns das Thema der kritischen Industrien an, die derzeit nicht von der SoS-Verordnung abgedeckt werden”, sagte die stellvertretende Generaldirektorin der GD Energie, Mechthild Wörsdörfer, als sie im Industrieausschuss den Plan zum Gassparen erläuterte. Im Fall eines Gasmangels müssen die Mitgliedstaaten bisher geschützte Kunden bevorzugt behandeln. Dazu können neben Haushaltskunden lediglich grundlegende soziale Dienste wie der Gesundheitssektor und kleine und mittlere Unternehmen zählen.
Wörsdörfer sagte, Aluminium- und Düngemittelhersteller seien neben vielen weiteren Industriezweigen bereits stark von der Energiekrise betroffen. “Wir schauen uns an, was für diese kritischen Verbraucher nötig ist, weil unsere SoS-Verordnung nicht für Krisen wie diese geeignet ist”, so die deutsche Spitzenbeamtin.
Die stellvertretende Generaldirektorin drängte aber auch auf weiteres Gassparen. Von August bis März sollen die EU-Staaten ihren Gasverbrauch um 15 Prozent reduzieren. Die ersten Berichte der Mitgliedstaaten über ihre Fortschritte erwartet die Kommission laut Wörsdörfer im Oktober.
Der Vorsitzende des Industrieausschusses, Christian Bușoi, bemängelte unzureichende Informationen und meldete Zweifel an der Kooperationsbereitschaft der Mitgliedstaaten an. “Uns ist noch nicht klar geworden, wie viele Mitgliedstaaten diesen freiwilligen Plan umsetzen wollen”, sagte er. Für jene Staaten, die den Gasverbrauch bis zum Ende des Jahres nicht gedrosselt haben, werde es schwierig, das 15-Prozent-Ziel noch zu erreichen – selbst wenn die Gaseinsparungen zum Ende des Jahres verpflichtend würden.
Die Mahnungen, am Gassparen festzuhalten, kommen kurz nach positiven Nachrichten zu den Gasspeichern. Am Mittwoch hatten die Speicher in der EU einen durchschnittlichen Füllstand von 80 Prozent erreicht. Der Abgeordnete Jerzy Buzek (EVP) erinnerte allerdings daran, dass sich das Europaparlament ursprünglich für ein Speicherziel von 90 Prozent eingesetzt hatte. Auch das Gassparziel von 15 Prozent sei vielleicht zu konservativ, sagte Buzek.
Weiter aufs Gassparen drängt auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Er stellte gestern die Pläne für ein fünftes schwimmendes LNG-Terminal vor, das der Bund gechartert hat. Es soll im vierten Quartal 2023 in Wilhelmshaven mit einer Kapazität von fünf Milliarden Kubikmetern (bcm) pro Jahr in Betrieb gehen. mit Till Hoppe, Claire Stam
Wer in der Politik ein hohes Amt bekleiden will, der sollte sich bekanntlich nicht zu früh aus der Deckung wagen. Es wundert daher nicht, dass sich Ursula von der Leyen bislang bedeckt hält, ob sie eine zweite Amtszeit nach der Europawahl 2024 anstrebt. Doch kaum jemand bezweifelt, dass die amtierende Kommissionspräsidentin gerne ein zweites Mal gewählt würde.
Allerdings ist nicht ausgemacht, dass die christdemokratische Parteienfamilie EVP sie tatsächlich fragt. Und das, obwohl von der Leyens politische Heimat die Union ist. Ihr Verhältnis zu Manfred Weber ist getrübt. Der CSU-Politiker, der der größten Fraktion im Parlament vorsitzt und seit Mai auch die Partei auf EU-Ebene führt, überlegt, EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola die Spitzenkandidatur anzutragen. Dies wurde Europe.Table von mehreren Quellen aus der EVP bestätigt. Weber wollte sich dazu nicht äußern.
Der Frust von 2019 sitzt bei den europäischen Parteien noch immer tief. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte die Uneinigkeit von EVP, SPE und Grünen ausgenutzt und von der Leyen als Kommissionspräsidentin durchgesetzt, obwohl sie gar nicht für das Straßburger Parlament kandidiert hatte. Spitzenkandidat Weber beanspruchte als Wahlsieger zwar das wichtigste Amt in Brüssel, doch es gelang ihm nicht, eine Mehrheit im Europaparlament und im Rat hinter sich zu bringen. Nicht nur Macron sprach Weber das nötige Format ab.
Über Jahrzehnte hatten die Staats- und Regierungschefs weitgehend unter sich ausgemacht, wer an die Spitze der Kommission rückt. Doch dann erstritt sich das Europaparlament ein Mitspracherecht. CDU-Strippenzieher Elmar Brok sorgte überdies dafür, dass in der EVP-Satzung die “Wahl eines Spitzenkandidaten” verankert wurde.
Noch ist offen, ob die Parteienfamilien wie 2014 und 2019 erneut europaweite Spitzenkandidaten aufstellen. Die EVP hält daran fest, sieht aber zunächst die anderen Parteienfamilien am Zug. Sozialdemokraten, Liberale und Grüne bekennen sich ebenfalls zu dem Modell, das dem Kommissionspräsidenten demokratische Legitimität geben soll. “Wir haben uns in der Zukunftskonferenz dafür starkgemacht, das Spitzenkandidatenmodell und transnationale Listen über den Weg eines Konvents institutionell zu verankern”, sagt Nicola Beer, Vize-Präsidentin des Europaparlaments von der FDP. Jetzt sei es an von der Leyen, sich dazu zu verhalten.
Auch Reinhard Bütikofer, von 2012 bis 2019 Parteichef der europäischen Grünen, hält an dem Modell fest: “Das Spitzenkandidaten-Modell hat das Potenzial, die Europa-Wahlen interessanter zu machen und demokratischer und europäischer. Die parteipolitisch unterschiedlichen Perspektiven für Europa bekommen damit einprägsame Gesichter.” Damit das Prinzip funktioniere, müssten sich die proeuropäischen Parteienfamilien aber vor den Wahlen verständigen, an einem Strang zu ziehen. Der Chef der deutschen Sozialdemokraten im Europaparlament, Jens Geier, betont: “Der Schlüssel zum Erfolg liegt bei den Parteienfamilien. Sie müssen zu ihrem Spitzenkandidaten stehen.”
Ihre Kandidaten für die Wahl 2024 werden die Parteien nach der Sommerpause 2023 küren. In wenigen Wochen veranstalten die europäischen Sozialisten in Berlin ihren Parteitag und wählen eine neue Führung. Danach könnte es erste Hinweise geben. Frans Timmermans, der Spitzenkandidat von 2019, soll nach dem Scheitern kein Interesse mehr haben. Ihm wird nachgesagt, wieder in die niederländische Politik wechseln zu wollen. Dort gründet sich gerade eine Sammlungsbewegung, an deren Spitze er in den nationalen Wahlkampf ziehen könnte. Bei den Sozialisten gelten Portugals Ministerpräsident Antonio Costa sowie der ehemalige schwedische Regierungschef Stefan Löfven als mögliche Kandidaten.
Bei den Christdemokraten sind von der Leyen und Metsola wohl die aussichtsreichsten Kandidatinnen. Weber weiß, dass er selbst keine Chance hat, in die oberste Etage des Berlaymont-Gebäudes einzuziehen. Nach der Deutschen von der Leyen wäre ein anderes Mitgliedsland dran, den Kommissionspräsidenten zu stellen.
Weber würde dem Vernehmen nach Metsola bevorzugen. Sie gilt nicht nur in der EVP als charismatisch und kompetent, die 43-Jährige würde den Konservativen überdies ein jüngeres, moderneres Gesicht geben. Die Malteserin nutzt die neue Rolle bereits recht geschickt: So besuchte sie schon Anfang April öffentlichkeitswirksam Wolodymyr Selenskyj in Kiew – und kam damit von der Leyen zuvor, was diese geärgert haben soll. Ein sicheres Zeichen, dass die Deutsche die Parlamentarierin als Konkurrentin sieht.
Doch Metsolas Schwäche ist die fehlende Regierungserfahrung. Daher ist fraglich, ob sie die nötige Unterstützung aus dem Kreis der Staats- und Regierungschefs bekäme. Malta ist überdies einer der kleinsten Mitgliedstaaten und hat massive Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit.
Von der Leyen hingegen genieße unter den konservativen Regierungschefs viel Rückhalt, heißt es in der EVP. CDU-Chef Friedrich Merz unterstütze die Parteifreundin ebenfalls, auch wenn er wenig Sympathie für sie hege. In der EVP-Fraktion hingegen sei von der Leyen “nicht beliebt”, sagt einer, der sich auskennt. Schon gar nicht in der Gruppe der deutschen CDU/CSU-Abgeordneten. Sie werfen ihr vor, zu sehr eine grüne Agenda zu verfolgen.
Was muss passieren, damit 2024 das Spitzenkandidaten-Modell funktioniert? Der einflussreiche Europa-Abgeordnete Andreas Schwab (CDU) sagt: “Damit es beim nächsten Mal klappt, müssen die Parteienfamilien vor der Wahl gemeinsam darüber nachdenken, welcher Spitzenkandidat nach der Wahl ausreichend Unterstützung im Parlament mobilisieren kann.”
Bütikofer sieht es ähnlich: “Die proeuropäischen Parteienfamilien müssen sich vor den Wahlen verständigen, dass sie an einem Strang ziehen wollen, um eine Spitzenkandidatin oder einen Spitzenkandidaten zum Kommissionspräsidenten zu wählen.” Markus Grabitz und Till Hoppe
Die Trilogverhandlungen zur Reform des europäischen Emissionshandelssystems (ETS) nehmen mit dem Wiederbeginn des politischen Betriebs in Brüssel wieder Fahrt auf. Offizieller Verhandlungsbeginn war zwar schon vor der Sommerpause, doch beim ersten Treffen haben die Co-Gesetzgeber lediglich ihre Standpunkte noch einmal dargelegt (Europe.Table berichtete).
Es wird darum gehen, welchen Beitrag der ETS zur CO2-Reduktion in der EU leisten soll. Diskutiert wird noch über die Höhe und den Zeitpunkt des sogenannten Rebasing, also der Löschung ungenutzter Zertifikate vom Markt. Dadurch entfaltet sich die Lenkungswirkung des ETS, da der Preis steigt und der Dekarbonisierungsanreiz verstärkt wird.
Das Parlament will 2024 zunächst 70 Millionen CO2-Zertifikate vom Markt nehmen und 2026 noch einmal 50 Millionen. Den sogenannten linearen Reduktionsfaktor für die CO2-Obergrenze (CAP) will das meist ambitioniertere Parlament bis 2026 auf 4,4 Prozent jährlich anheben, ab 2029 auf 4,5 Prozent und schließlich ab 2029 auf 4,6 Prozent. Damit würde das CAP des ETS bis 2030 um insgesamt 63 Prozent sinken.
Kommission und Rat hatten vorgeschlagen, den linearen Reduktionsfaktor ab 2024 von 2,2 Prozent auf 4,2 Prozent anzuheben und durch eine einmalige Löschung das CAP um 61 Prozent zu reduzieren (ca. 117 Millionen Zertifikate). Zwar liegen die Positionen nicht weit auseinander, doch im Parlament ist eine Einigung bereits einmal an ebendieser Frage des Rebasing gescheitert, weshalb auch im Trilog keine Geschenke gemacht werden dürften.
Die schärfsten Debatten zur Reform des Emissionshandelssystem könnten jedoch um den zweiten ETS für den Straßenverkehr und das Heizen von Gebäuden geführt werden. Im Parlament lag der Kompromiss in einer Trennung zwischen kommerzieller und privater Nutzung von Brenn- und Kraftstoffen. Privathaushalte sollten vom CO2-Preis befreit bleiben, für die kommerzielle Nutzung fiele er jedoch an.
Kommission und Rat sehen eine solche Trennung im ETS 2 nicht vor und halten sie auch nicht für sinnvoll. Auch die Bundesregierung ist der Auffassung, dass alle fossilen Brennstoffe mit einem Aufpreis versehen werden sollen – ähnlich wie es in Deutschland bereits mit dem nationalen Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) gehandhabt wird.
Auch das Einführungsdatum des ETS 2 sowie der soziale Ausgleich für die steigenden Preise dürfte für Diskussionen sorgen. Die Kommission hatte 2026 für die Einführung vorgeschlagen und einen Klimasozialfonds über 72 Milliarden Euro für die Entlastung von besonders stark betroffenen Verbraucherinnen und Verbrauchern auf dem Weg gebracht. Die Mitgliedsländer wollen die Einführung um ein Jahr nach hinten verschieben und den Umfang des Fonds auf 59 Milliarden verkleinern. Das Parlament will den abgespeckten ETS 2 nur für kommerzielle Nutzung sogar erst 2029 einführen, sodass auch der soziale Ausgleich unnötig wäre.
Zeitplan: Die ersten Technical Meetings haben bereits stattgefunden. In der zweiten Oktoberwoche steht die nächste Trilogrunde auf höchster Ebene an. Bis zur COP27 im November sollten die Verhandlungen zu ETS und CBAM (und auch zum Klimasozialfonds) abgeschlossen sein. Dieser Zeitplan dürfte angesichts der dicken Bretter, die noch gebohrt werden müssen, kaum einzuhalten sein.
Akteure: Peter Liese (Berichterstatter des Parlaments), Pascal Canfin (Umweltausschussvorsitzender), Frans Timmermans (EU-Kommission), tschechische Ratspräsidentschaft.
Eng verknüpft mit der Reform des ETS ist die Einführung eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), der langfristig die kostenlosen CO2-Emissionszertifikate für die Industrie als Schutz vor Carbon Leakage ersetzen soll.
Die zentralen Fragen, die noch zu klären sind, betreffen die Industriesektoren, auf die der CBAM angewendet werden soll, sowie die Geschwindigkeit, mit der der CBAM die Freizuteilungen ersetzt. Zusätzlich zu den von der Kommission vorgeschlagenen Sektoren (Eisen und Stahl, Raffinerien, Zement, organische Grundchemikalien und Düngemittel) fordert das Parlament, dass der CBAM auch organische Chemikalien, Kunststoffe, Wasserstoff und Ammoniak abdeckt.
Vertreter der deutschen Industrie fordern, dass die Branchen selbst entscheiden, ob sie den CBAM oder weiterhin die Freizuteilungen als Carbon-Leakage-Schutz haben wollen. Die Befürchtung ist, dass das neue Instrument seine angedachte Wirkung ohne ausgiebige Testphase nicht entfalten kann.
Die Kommission hatte vorgeschlagen, dass die Freizuteilungen ab 2026 linear über zehn Jahre hinweg jährlich um zehn Prozentpunkte heruntergefahren werden, während der CBAM im selben Umfang zunimmt. Parlament und Rat wollen Einführungs-Pfade des CBAM, in denen die Freizuteilungen zu Beginn langsamer und später umso schneller abgeschmolzen werden.
Zeitplan: Die ersten Technical Meetings haben bereits stattgefunden. In der zweiten Oktoberwoche steht die nächste Trilogrunde auf höchster Ebene an. Auch die CBAM-Verhandlungen sollen bis zur COP27 im November abgeschlossen sein.
Akteure: Peter Liese (Berichterstatter des Parlaments), Pascal Canfin (Umweltausschussvorsitzender), Frans Timmermans (EU-Kommission), tschechische Ratspräsidentschaft.
Apropos COP27. Der diesjährigen UN-Klimakonferenz im ägyptischen Sharm el Sheikh wird zwar nicht dieselbe Relevanz zugesprochen, wie der vergangenen in Glasgow. Doch gilt diese Einschätzung so nicht für Schwellen- und Entwicklungsländer. Und die Forderungen der am meisten vom Klimawandel betroffenen Länder sollten auch die Industriestaaten aufhorchen lassen. Denn die Welt verlässt sich auch auf Europa – beispielsweise bei der Klimafinanzierung.
Das 100-Milliarden-Dollar-Versprechen der reichsten Industriestaaten wird noch immer nicht erfüllt. Seit 2020 müsste diese Summe jedes Jahr aus öffentlichen und privaten Quellen für Klimaadaption und -mitigation in Entwicklungsländer fließen. 2020 flossen nur 83,3 Milliarden Dollar. Allerdings ist hier weniger die EU als Block gefragt als die Mitgliedstaaten. Zwar gehen diese bereits mit gutem Beispiel voran – Deutschland zum Beispiel zahlte 2020 laut BMZ 7,83 Milliarden Euro aus öffentlicher und privater Hand. Doch die Frage ist, ob Europa seinen Beitrag noch erhöhen kann, wenn die USA und insbesondere China den Verpflichtungen nicht nachkommen, die sie 2009 bei der COP in Kopenhagen eingegangen sind.
“Die Menschen in den ärmsten Ländern haben fast nichts beigetragen zum CO2-Ausstoß, aber sie tragen die größte Last des Klimawandels“, sagte Entwicklungsministerin Svenja Schulze kürzlich. Es sei höchste Zeit, dass Industrieländer anerkennen, “dass es Klimaschäden gibt und gerade die verwundbarsten Länder unsere Solidarität brauchen, um damit umzugehen”.
Gemeinsam mit den “besonders verwundbaren Entwicklungsländern” soll auf der COP27 laut Schulze ein Klimarisiko-Schutzschirm ausgearbeitet werden. Dazu gehörten soziale Sicherungssysteme. Im Fall einer Dürre stünde das Geld dann schon bereit.
Auch die Fortführung sogenannter Just Energy Transition Partnerships (JETPs) wird eines der entscheidenden Themen auf der diesjährigen COP sein. Wie können Industrieländer dabei unterstützen, dass Ägypten, Indonesien oder Südafrika gar nicht erst in Versuchung kommen, ihre Energiesysteme auf fossilen Brennstoffen aufzubauen, und diese frühzeitig durch erneuerbare Alternativen ersetzen? Europa und allen voran Deutschland betonen stets die Bereitschaft zum Handeln. Auf der COP27 könnten sie diese Bereitschaft dann auch unter Beweis stellen.
Zeitplan: Die COP findet vom 7. bis 18. November in Sharm el Sheikh auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel statt – eine Verlängerung ist möglich. Die Vorbereitungen für die Verhandlungen laufen bereits seit Monaten und sind spätestens seit der Bonn Climate Change Conference Mitte Juni in vollem Gange.
Akteure: Delegationen der Mitgliedsländer. Für die EU-Kommission leitet Green Deal-Kommissar Frans Timmermans die Verhandlungen, aber auch das Parlament entsendet eine Delegation. Deutsche Delegationsleiterin ist Jennifer Morgan, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Designierter Präsident der COP27 ist der ägyptische Außenminister Sameh Shoukry.
Assoziationsrat EU-Ukraine
05.09.2022 12:15 Uhr
Themen: Bilaterale Agenda EU-Ukraine, Unterstützung der EU seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs, Antrag auf EU-Mitgliedschaft der Ukraine.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE)
05.09.2022 14:30-18:30 Uhr
Themen: Erläuterungen des Tschechischen Vorsitzes im Rat der EU, Berichtsentwurf zur Verordnungsänderung im Hinblick auf den digitalen Informationsaustausch in Terrorismusfällen, Berichtsentwurf zur Resilienz kritischer Einrichtungen.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Haushaltskontrolle (CONT)
05.09.2022 15:00-18:30 Uhr
Themen: Entlastung des Gesamthaushaltsplans der EU 2020, Verstärkung des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Haushaltsausschusses (BUDG)
05.09.2022 15:00-15:15 Uhr
Themen: Berichtsentwurf zur Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der EU.
Vorläufige Tagesordnung
Informelle Ministertagung Gesundheit
06.09.-07.09.2022
Themen: Die Gesundheitsminister kommen zu einer informellen Tagung zusammen.
Vorläufige Tagesordnung
Wöchentliche Kommissionssitzung
07.09.2022
Themen: Paket zur Europäischen Strategie für Pflege und Betreuung (Europäische Strategie für Pflege und Betreuung, Entwurf einer Ratsempfehlung für langfristige Pflege und Betreuung, Entwurf einer Ratsempfehlung zur Überarbeitung der Barcelona-Ziele).
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL)
08.09.2022 09:00-12:30 Uhr
Themen: Abstimmung zum Gesamthaushaltsplan der EU für das Haushaltsjahr 2023, Aussprache mit Dubravka Šuica (Vizepräsidentin der Kommission).
Vorläufige Tagesordnung
Informelle Ministertagung Wirtschaft und Finanzen
09.09.-10.09.2022
Themen: Treffen der Wirtschafts- und Finanzminister.
Vorläufige Tagesordnung
Euro-Gruppe
09.09.2022
Themen: Die Wirtschafts- und Finanzminister kommen zur Euro-Gruppe zusammen.
Vorläufige Tagesordnung
Rat der EU: Verkehr, Telekommunikation und Energie
09.09.2022
Themen: Treffen der Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieminister.
Vorläufige Tagesordnung
Wichtige Institutionen der EU haben dem Europäischen Rechnungshof zufolge erstaunlich gut auf die Corona-Pandemie reagiert. Die Organe hätten schnell und flexibel gehandelt und von früheren Investitionen in Digitalisierung profitiert, heißt es in einem am Donnerstag in Luxemburg veröffentlichten Bericht des Rechnungshofs.
Geprüft wurden das Europaparlament, die Vertretung der Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission sowie der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Zeitraum zwischen Februar 2020 bis Juli 2021. “Trotz ungleichem Vorbereitungsstand ist es den geprüften EU-Institutionen gelungen, ihr gesamtes Personal innerhalb von sechs Wochen mit Homeoffice-Lösungen auszustatten”, teilte der Rechnungshof mit.
Bestehende Notfallpläne für Krisensituationen hätten gegriffen, allerdings seien sie zunächst nicht für eine so lang anhaltende Krise wie die Corona-Pandemie ausgelegt gewesen. Zudem seien einheitliche Reaktionen nicht immer möglich gewesen. Eine weitere Schwachstelle sieht der Bericht darin, dass noch nicht alle Bereiche der Verwaltung vollständig digitalisiert sind. Es werde noch geprüft, wie etwa Homeoffice auch nach der Krise weiter beibehalten werden könne, da dies erhebliches Potenzial für Einsparungen berge, so der Rechnungshof. dpa
EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis befürchtet, die neue Steuergutschrift in den USA für den Kauf von Elektrofahrzeugen könnte Hersteller in der Europäischen Union benachteiligen. Das Instrument könnte sich als Fehlschlag erweisen und die Auswahl für die US-amerikanischen Verbraucher einschränken, sagte Dombrovskis am Donnerstag bei einem virtuellen Treffen mit seiner amerikanischen Amtskollegin Katherine Tai.
Die Demokraten hatten die Steuergutschrift in das im vergangenen Monat verabschiedete Gesetz zur Klima- und Gesundheitspolitik aufgenommen, um Anreize für die heimische Produktion von Batterien und Elektrofahrzeugen zu schaffen. Hersteller in Europa und Südkorea, die Millionen von Fahrzeugen in den USA verkaufen, haben jedoch damit gedroht, bei der Welthandelsorganisation Klage einzureichen.
Das Gesetz sieht eine Steuergutschrift von bis zu 7.500 Dollar vor, die zur Deckung der Kosten für den Kauf eines Elektrofahrzeugs verwendet werden kann. Um die volle Steuergutschrift in Anspruch nehmen zu können, muss das Elektrofahrzeug jedoch eine in Nordamerika hergestellte Batterie enthalten, deren Metalle zu 40 Prozent auf dem Kontinent abgebaut oder recycelt wurden.
Die Europäische Kommission erklärte, dass Teile des Gesetzes zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen können, indem sie die Abkehr von fossilen Brennstoffen beschleunigen. Sie zeigte sich jedoch besorgt über den “möglicherweise diskriminierenden Charakter der Steuergutschrift für Elektrofahrzeuge”. Die EU strebe zwar eine enge Zusammenarbeit mit den USA bei der Bekämpfung des Klimawandels an, doch sollten “grüne Maßnahmen nicht auf diskriminierende, WTO-widrige Weise gestaltet werden”, hieß es.
Dombrovskis erinnerte in dem Telefonat daran, dass “eine Diskriminierung von EU-Herstellern es ihnen sehr viel schwerer macht, zur Elektrifizierung von Fahrzeugen in den USA beizutragen, und die Wahlmöglichkeiten der US-Verbraucher einschränkt, wenn sie Elektrofahrzeuge kaufen wollen.”
Die EU-Kommission erklärte, beide Seiten seien übereingekommen, die Gespräche zu diesem Thema fortzusetzen. leo/ ap
Polen will nach Angaben des Vorsitzenden der Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński, Reparationsforderungen in Billionenhöhe an Deutschland stellen. Die Schäden und Verluste im Zweiten Weltkrieg würden auf 6,2 Billionen Złoty (1,32 Billionen Euro) geschätzt, teilte der Chef der national-konservativen PiS am Donnerstag mit. Seine Partei hat seit der Übernahme der Regierungsverantwortung 2015 mehrmals Entschädigungen gefordert. Bislang wurden allerdings keine offiziellen Reparationsforderungen auf Regierungsebene an Deutschland gerichtet.
Das Auswärtige Amt wies die Forderung in einer ersten Reaktion zurück. “Die Position der Bundesregierung ist unverändert, die Reparationsfrage ist abgeschlossen”, erklärte ein Sprecher des Ministeriums in Berlin. “Polen hat schon vor langer Zeit, im Jahr 1953, auf weitere Reparationen verzichtet und diesen Verzicht mehrfach bestätigt.” Dies sei “eine wesentliche Grundlage für die heutige Ordnung Europas”, erklärte er weiter, betonte zugleich aber: “Deutschland steht politisch und moralisch zu seiner Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg.” Auch Kanzler Olaf Scholz hatte bei seinem Antrittsbesuch in Warschau im Dezember die Forderungen unter Verweis auf frühere Verträge zurückgewiesen.
“Die jetzt vorgestellte Summe hat sich unter Einhaltung äußerst limitierender, konservativer Methoden ergeben”, sagte Kaczyński. “Es kann sein, dass sie sich noch erhöht.” 1953 verzichtete die damalige kommunistische Regierung Polens auf Druck der Sowjetunion auf alle Reparationsforderungen. Die Regierung in Moskau wollte damit ähnliche Forderungen an die damalige DDR verhindern. Die PiS hält diese Vereinbarung für ungültig.
Der Chef der größten Oppositionspartei Bürgerplattform, Donald Tusk, warf Kaczyński vor, es gehe ihm nicht wirklich um Entschädigungen für die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg. “Es geht ihm um eine innenpolitische Kampagne, um die Unterstützung für seine Partei zu stärken”, sagte der ehemalige EU-Ratspräsident. Zwar führt PiS in Umfragen vor der Bürgerplattform, aber der Vorsprung ist geschrumpft angesichts steigernder Inflation und eines wirtschaftlichen Abschwungs.
Scholz hatte im Dezember die Reparationsforderungen mit einem Hinweis auf die hohen deutschen EU-Finanzzahlungen gekontert. Davon fließe ein Großteil in EU-Länder im Süden und Osten der Union. Während der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg wurden rund sechs Millionen Polen getötet, darunter drei Millionen Juden. Die Hauptstadt Warschau wurde nach einem Aufstand 1944 in großen Teilen dem Erdboden gleichgemacht. rtr
Die Situation um Taiwan und das eigene Verhältnis zu China und der Indo-Pazifik-Region beschäftigt Brüssel in den ersten Tagen nach der Sommerpause. Die EU spreche in dieser Woche noch mit thailändischen Vertretern über ein Abkommen, um Lieferketten in Asien diverser gestalten zu können, teilte Gunnar Wiegand vom Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) am Donnerstag bei einer Sitzung des Handelsausschusses des EU-Parlaments mit. Ähnliche Gespräche und die Unterzeichnung eines Abkommens sind demnach auch mit Malaysia am Rande des Asean-Gipfels im November geplant. Nähere Details dazu nannte Wiegand zunächst nicht.
Taiwan sei ein Schlüssel-Partner für die EU im Indo-Pazifik-Raum, sagte Dominic Porter, der innerhalb des EEAS für China, Hongkong und Taiwan zuständig ist, vor dem Ausschuss für Außenpolitik des Europaparlaments, ebenfalls am Donnerstag. Porter machte klar: “Die Ein-China-Politik wird bleiben.” Diese sei die Grundlage für das Verhältnis zwischen Brüssel und Peking. Spannungen oder ein zugespitzter Konflikt in der Taiwan-Straße sei in niemandes Interesse, so Porter. Bedenken über Chinas Verhalten seien chinesischen Vertretern direkt mitgeteilt worden.
Spannend für das EU-China-Verhältnis wird in diesem Monat auch die Gesetzesvorlage der EU-Kommission für ein Einfuhrverbot von Produkten aus Zwangsarbeit. Sie soll am 13. September vorgestellt werden. Das Importverbot wird wahrscheinlich auf einem Vermarktungsverbot innerhalb der EU basieren. Zudem wird EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am 14. September ihre Rede zur Lage der Europäischen Union in Straßburg halten. Im vergangenen Jahr hatte sie das Einfuhrverbot für Waren aus Zwangsarbeit angekündigt. ari
Der Niederländer Gerard de Graaf ist seit dem 1. September Leiter des neu eröffneten Büros der Europäischen Union in San Francisco. Das Büro soll die Zusammenarbeit der EU mit den Vereinigten Staaten im Bereich der digitalen Diplomatie verstärken. Die Einrichtung ist das Ergebnis der gemeinsamen Verpflichtung des EU-US-Gipfeltreffens im Juni 2021, die transatlantische technologische Zusammenarbeit zu stärken. Und sie ist ein zentraler Bestandteil der Schlussfolgerungen zur digitalen Diplomatie, die der EU-Rat für Auswärtige Angelegenheiten im Juli dieses Jahres angenommen hat.
Das Büro wird sich um die Förderung von EU-Standards und -Technologien, digitalen Strategien und Regulierungen sowie Governance-Modellen bemühen. Außerdem soll es den Austausch mit US-Akteuren im Bereich der digitalen Technologie stärken – einschließlich der politischen Entscheidungsträger, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. Außerdem soll es die Zusammenarbeit im Rahmen des Handels- und Technologierats (TTC) stärken. Das Büro untersteht der EU-Delegation in Washington und arbeitet in enger Abstimmung mit der Zentrale in Brüssel und in Partnerschaft mit den Konsulaten der EU-Mitgliedstaaten in der San Francisco Bay Area.
Der Leiter Gerard de Graaf ist seit mehr als dreißig Jahren in der Europäischen Kommission in einer Vielzahl von Politikbereichen tätig. Bis zu seiner jüngsten Ernennung war er Direktor in der Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien (GD CNECT), wo er unter anderem für die Rechtsakte über digitale Dienste und digitale Märkte (DSA/DMA) zuständig war. Zuvor war de Graaf zum Beispiel für die EU-Politik in den Bereichen Telekommunikation und audiovisuelle Medien (einschließlich Urheberrecht), Cybersicherheit, IKT-Normung, Start-up Europe, IKT und Umwelt sowie internationale Beziehungen zuständig. Er war Ko-Vorsitzender von zwei Arbeitsgruppen des TTC, die sich mit GreenTech, Data Governance und Technologieplattformen befassen. vis
Die “Laune der Götter” – oder “caprice des dieux” in der Originalsprache – ist ein Käse, der durch seine ovale Form in einem Universum aus traditionell runden (wie dem Camembert) oder eckigen Produkten auffällt. Es ist auch der Name, der dem Gebäude des Europäischen Parlaments gegeben wurde, in einer Anspielung auf den vermeintlich privilegierten Status seiner Insassen, aber auch auf seine Form, die an die Schachtel des berühmten Käses erinnert.
Dort, im Parlament, stimmt am 26. September der Haushaltskontrollausschuss über den Haushalt des EWSA ab, der sich für 2021 auf 150 Millionen Euro beläuft. Der Bericht, den die spanische Europaabgeordnete Isabel García Muñoz nächste Woche vorlegen wird, soll die Sitzung vorbereiten.
Die Abgeordneten hatten sich zuvor schon geweigert, den Haushalt für 2020 abzusegnen und taten dies auch Anfang dieses Jahres wieder. Der Grund dafür? Sie forderten eine externe Untersuchung mehrerer Belästigungsbeschwerden durch den EWSA, die bereits 2018 und 2019 zu Untersuchungen durch die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde (OLAF) führten.
Mehr brauchte es nicht, um eine seit Jahren andauernde Debatte in der Brüsseler “Bubble” neu zu entfachen: jene über die Legitimität und den Nutzen des EWSA. Neben den Fällen von Belästigungen stellen die Kritiker auch die Gültigkeit der Stellungnahmen des EWSA, die Effizienz seiner Verwaltung und sein Budget infrage. Einige sind sogar der Meinung, dass der EWSA abgeschafft werden sollte.
Um die Debatte richtig einzuordnen, ist ein kurzer historischer Rückblick notwendig: Der EWSA wurde 1957 durch den Vertrag von Rom gegründet und ist neben dem Ausschuss der Regionen eine der beiden offiziellen beratenden Einrichtungen der EU. Sie ist dem französischen Modell nachempfunden, das 1946 im Zuge der großen Sozialreformen ins Leben gerufen wurde. Wie sein französisches Pendant wurde der EWSA eingerichtet, damit Akteure der europäischen Zivilgesellschaft sich offiziell zu den Legislativvorschlägen der EU äußern können. Der Ausschuss vertritt unter anderem die Interessen von Verbrauchern, Gewerkschaften, Arbeitgebern und Landwirten.
“Der Ausschuss ist weder eine Lobbygruppe noch eine Vertretung von Partikularinteressen. Unsere Stellungnahmen beruhen in der Regel auf Konsens und bringen als gemeinsamen Nenner die Anliegen der europäischen Zivilgesellschaft insgesamt zum Ausdruck”, fasst Christa Schweng, seit 2020 Präsidentin der EWSA, für Europe.Table zusammen. “Der EWSA ist ein Netzwerk von Netzwerken: Unsere Mitglieder kommen zusammen, um wichtige EU-Themen mitzuerörtern, und so zur Gestaltung und Verbesserung der EU-Rechtsvorschriften beizutragen”.
Somit hat der EWSA eine privilegierte Position, um Stellungnahmen zu den Legislativvorschlägen der Kommission abzugeben. Obwohl diese Stellungnahmen nicht verbindlich sind, können die darin enthaltenen Ideen leicht in die Überlegungen der Kommission, des Rates und/oder des Parlaments einfließen. “Ein konkretes Beispiel hierfür ist, dass der EWSA als Erster eine echte europäische Gesundheitsunion gefordert hat”, sagt Schweng.
Und was sagt sie zu den Vorwürfen? “In meiner Eigenschaft als Präsidentin habe ich jedem der von OLAF ermittelten Opfer von Belästigung oder schwerem Fehlverhalten aufmerksam zugehört, um faire Lösungen zu erzielen. Die Dienststellen des EWSA haben diesen Prozess dann weiterverfolgt und sind in allen Fällen zu einer Einigung mit den Betroffenen gelangt. Am 13. April 2022 habe ich mich in einer öffentlichen Erklärung auf dem Internetportal des EWSA erneut im Namen des Ausschusses offiziell bei allen Opfern des vorliegenden Falls entschuldigt”.
Schweng erklärt, der Beschluss des Europäischen Parlaments, die Entlastung des EWSA für 2020 aufzuschieben, sei mit der verzögerten Umsetzung der Vergleichsvereinbarung mit einem Mobbing-Opfer und Verzögerungen beim Abschluss solcher Vereinbarungen mit zwei weiteren Opfern schweren Fehlverhaltens begründet worden. “Das Verfahren hat sich tatsächlich länger hingezogen, dies aber aus dem wesentlichen Grund, dass wir über rein rechtliche Verpflichtungen hinaus an den besten Lösungen für die Opfer gearbeitet haben”.
Der EWSA hält die Berichterstatterin des EP und die Schattenberichterstatter für die Entlastung 2020 nun monatlich auf dem neuesten Stand.
Wir können die Frage nach der Legitimität aber auch tiefer ergründen und das Problem andersherum stellen: Wenn man den EWSA abschafft, wird man dann auch den Ausschuss der Regionen abschaffen? Und wer könnte dann die Stimme der Zivilgesellschaft in einer Stadt vertreten, in der schätzungsweise 48.000 Lobbyisten arbeiten, die meisten davon aus der Industrie?
Es ist daher kein Zufall, dass die Konferenz über die Zukunft Europas in ihren am 9. Mai vorgestellten Abschlussempfehlungen eine Stärkung der institutionellen Rolle des EWSA fordert. Die Konferenz erkennt an, dass “eine lebendige Zivilgesellschaft für das demokratische Leben in der Europäischen Union von entscheidender Bedeutung ist” und schlägt vor, den EWSA als “Vermittler und Garant für Aktivitäten der partizipativen Demokratie wie den strukturierten Dialog mit Organisationen der Zivilgesellschaft und Bürgerpanels” zu ermächtigen.
In Zeiten, in denen die politische Debatte sehr schnell in Faustkämpfen und Shitstorms ausarten kann, erscheint es mehr als notwendig, alles bewahren zu können, was den “strukturierten Dialog” fördert und politisch beruhigt, da er auf der Kultur des Kompromisses – der bei weitem nicht immer ein Schimpfwort ist – zwischen den Bürgern und ihren Institutionen beruht.
Damit möchte man meinen: Ja zu einer Neugestaltung der Governance des EWSA, aber nicht zu seiner Abschaffung. So würde sich die “Laune der Götter” sicherlich verbessern.