seit Jahren will Emmanuel Macron das französische Rentensystem reformieren, von Anfang an von starken Protesten begleitet. Nicht nur die Opposition und alle Gewerkschaften lehnen Macrons Pläne ab, sondern laut Umfragen auch nahezu 75 Prozent der Bevölkerung. Morgen soll Premierministerin Élisabeth Borne die Reform vorstellen. Unter anderem soll das Rentenalter auf 64 oder 65 Jahre angehoben werden. Dies könnte Unruhen wie zur Zeit der Gelbwesten-Proteste 2018 auslösen. Tanja Kuchenbecker berichtet aus Paris.
2022 drehte sich die gesamte Energiepolitik ums Gas. Und in diesem Jahr? Der Strommarkt wird nun stärker in den Vordergrund rücken, schreibt Manuel Berkel. Allerdings wird es wohl auch weiterhin Updates zu den Füllständen der Gasspeicher geben. Welche Schwerpunkte die schwedische Ratspräsidentschaft setzen will und was 2023 in der Energiepolitik ebenfalls wichtig wird, lesen Sie in unserem Ausblick.
Außerdem in unseren News: Die EU-Kommission will Engpässe in der Versorgung mit Medizinprodukten verhindern und hat deshalb vorgeschlagen, die Übergangsfristen für die Medizinprodukteverordnung zu verlängern. Die Türkei steht dem Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands weiterhin im Weg. Und die erneut gescheiterte Regierungsbildung in Bulgarien könnte die Pläne des Landes gefährden, im kommenden Jahr der Eurozone beizutreten.
Die Spitze der SPD-Bundestagsfraktion legt in einem außenpolitischen Positionspapier ein besonderes Augenmerk auf Südosteuropa. Zentraler Baustein einer souveränen EU solle “der Beitritt der Staaten des Westlichen Balkans” sein. Mehr dazu lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Berlin.Table.
Starten Sie gut in die Woche!
In seiner Silvesteransprache stimmte Emmanuel Macron auf 2023 als “Jahr der Rentenreform” ein. Am morgigen Dienstag soll die schon lang geplante Reform vorgestellt werden. Mehrmals wurde dieser Termin verschoben, zuletzt im Dezember wegen der Fußballweltmeisterschaft: Der Präsident wollte die Fußballbegeisterung nicht stören. Die von vielen Franzosen befürchtete Rentenform ist nämlich ein Sprengstoff-Thema.
Experten schließen Unruhen wie zur Zeit der Gelbwesten 2018 nicht aus. Die Rentenreform könnte den durch die Inflation und steigenden Energiepreise sowieso bestehenden Ärger der Franzosen noch verstärken. Frédéric Dabi, Direktor des Meinungsforschungsinstitutes Ifop, sieht eine große Zustimmung für eine soziale Protestbewegung und warnte vor einer “intensiven Konfliktsituation im Land”.
Seit Tagen verhandelt die Regierung mit den Gewerkschaften, ohne die geringste Einigung. Diese planen währenddessen Streiks und Demonstrationen. Jean-Luc Mélenchon, Chef der Linkspartei LFI (La France Insoumise), kündigte an: “Im Januar wird es heiß.” Philippe Martinez, Chef der linken Gewerkschaft CGT, sagte: “Wir sind alle geeint, damit dieses Gesetz nicht durchkommt.” Das sei eine große Leistung, merkte er ironisch an. Denn seit zwölf Jahren seien die Gewerkschaften nicht mehr gemeinsam im Kampf gegen eine Reform angetreten.
Selbst die gemäßigte Gewerkschaft CFDT, der größte französische Gewerkschaftsbund, konnte die Regierung nicht auf ihre Seite ziehen. Die Gewerkschaften sperren sich gegen die Erhöhung des Alters und der Einzahlungszeit. Sie wollen stattdessen Abgaben für Unternehmen erhöhen. Das lehnt Macron ab, denn diese Abgaben sind in Frankreich ohnehin hoch und eine Bremse für die Wettbewerbsfähigkeit.
Verschiedene Umfragen ergaben, dass bis zu 75 Prozent der Franzosen die Reform ablehnen. Zu den geeinten Gewerkschaften kommt zudem die Opposition aus linken Parteien und dem rechtsextremen Rassemblement National von Marine Le Pen.
Am Samstag hatten Gelbwesten über Facebook zu Protesten im ganzen Land aufgerufen, bisher noch ohne viel Erfolg. Knapp 5000 Menschen waren in Frankreich auf den Straßen, davon laut Innenministerium rund 2000 in Paris, um gegen die Rentenreform und die Maßnahmen der Regierung gegen die Inflation zu protestieren. Die Organisatoren schätzten die Zahl höher, nannten aber keine Zahlen.
Für Macron steht viel auf dem Spiel. Nachdem er 2022 zum zweiten Mal gewählt wurde und kurz darauf nur eine knappe Mehrheit im Parlament erlangte, muss er beweisen, dass er noch die Zügel in der Hand hält und seine Vorhaben durchsetzen kann.
Angedacht ist die schrittweise Anhebung des offiziellen Rentenalters auf 64 oder 65 Jahre oder eine Verlängerung der Einzahlungszeit. Derzeit liegt das Rentenalter bei 62 Jahren. Wer nicht lang genug eingezahlt hat, erhält die volle Rente erst mit 67 Jahren. Die Reform soll ab dem zweiten Halbjahr des Geburtsjahrgangs 1961 gelten, pro Jahrgang soll das Rentenalter um vier Monate steigen. Damit könnte sie sogar Franzosen treffen, die gerade in Rente gehen wollen.
Macron schickt am Dienstag Premierministerin Élisabeth Borne vor, um Details vorzustellen. Im Frühjahr soll im Parlament debattiert, bis zum Sommer die Reform umgesetzt werden. Borne versuchte vorher, die Stimmung zu besänftigten. Sie sagte, die 65 Jahre seien nicht in Stein gemeißelt. Die Gewerkschaften rechnen deshalb mit einer Anhebung auf 64 Jahre und einer Verlängerung der Einzahlungszeit – ein Schachzug, mit dem die Regierung Verhandlungswillen zur Schau stellen würde.
Die Rentenreform war schon in Macrons erster Amtszeit sein Prestigeprojekt. Im Jahr 2019 wollte er bereits durchsetzen, die mehr als vierzig bestehenden Rentensysteme der verschiedenen Berufe in ein System zu überführen. Die Proteste dauerten fast zwei Monate, dann begann die Pandemie und Macron vertagte sein Projekt. Die Angleichung der Systeme ist beim neuen Anlauf nicht mehr Thema, die Kritik an einer Reform bleibt aber bestehen.
Auch im Parlament dürfte es schwierig werden, die Reform durchzudrücken. Macron ist auf Stimmen der konservativen Republikaner angewiesen, weil seine Partei nicht mehr die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung hat. Die Republikaner hatten im Präsidentschaftswahlkampf eine ähnliche Reform angekündigt und sprechen sich schon seit Jahren dafür aus. Unter dem konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy wurde 2010 das offizielle Rentenalter schon von 60 auf 62 Jahre angehoben.
Doch nun bezeichnen die Konservativen Macrons Pläne als zu radikal. Sollte er keine Mehrheit erhalten, kann die Regierung die Reform mit dem Ausnahme-Paragraphen 49.3 der Verfassung ohne Abstimmung durchboxen. Zu der Maßnahme hat er in letzter Zeit schon mehrmals gegriffen. Der Paragraph wurde in Frankreich auch früher schon häufig benutzt, doch dabei bleibt nach Ansicht der Kritiker die Demokratie auf der Strecke. Sarkozy etwa nannte einen Zugriff darauf ein “Zeichen der Schwäche” und glaubt, dass dies die Proteste und die Gewalt auf der Straße nur anstachele.
Drehte sich im vergangenen Jahr die gesamte Energiepolitik ums Gas, wird in diesem Jahr der Strommarkt stärker in den Vordergrund rücken. Doch ganz verschwinden werden die Updates zu den Speicherfüllständen sicher nicht. Was 2023 sonst noch wichtig wird, zeigt unsere Vorschau.
Die Wettbewerbsfähigkeit der EU will die schwedische Ratspräsidentschaft auch durch eine stärkere Energieunabhängigkeit lösen. “Es geht nicht nur darum, von Russland unabhängig zu werden, sondern auch von anderen Staaten“, sagte Energieministerin Ebba Busch beim Rat am 13. Dezember. Die Vorsitzende der schwedischen Christdemokraten und stellvertretende Ministerpräsidentin, deren Minderheitsregierung von Klimawandel-Leugnern geduldet wird, wird in den nächsten Monaten das Gesicht der europäischen Energiepolitik.
An den Märkten ist die Lage derzeit allerdings entspannter als noch vor wenigen Monaten. Der Preis für Erdgas liegt bis Ende des Jahres sogar deutlich unter jenen 100 Euro, die selbst die hartnäckigsten Verfechter des berüchtigten Gaspreisdeckels durchsetzen wollten. Im ersten Halbjahr dürfte also mehr Zeit bleiben, um den Green Deal weiter zu verhandeln, das neue Ausbauziel für Erneuerbare Energien festzuzurren und sich auf das letzte große Krisenthema zu konzentrieren: die Reform des Strommarktes.
Der Vorschlag der Kommission zur Strommarktreform ist für März angekündigt – “to be confirmed”. Die Gesetzgebung könnte sich diesmal noch länger hinziehen als beim Gaspreisdeckel, die Kommission will das Parlament beteiligen und sich nicht länger auf den Notfallartikel 122 berufen. Ein erstes Non-Paper zur Strommarktreform aus der Generaldirektion Energie skizzierte eine vierteilige Strategie:
Für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gehört der schnellere Ausbau der Erneuerbaren zu ihren drei Prioritäten für 2023. In einer Umfrage von Politico war auffällig, wie viele Kommissare grüne Energietechnologien als das “nächste knappe Gut” nach Gas nannten.
In diesem Jahr wird es darauf ankommen, wie die zuletzt beschlossenen Werkzeuge zur Planungsbeschleunigung umgesetzt werden. Am 10. Januar startet die Kommission mit einem hochkarätig besetzten Investors Dialogue, der gute Stimmung machen soll angesichts des amerikanischen Inflation Reduction Acts (IRA). Bei der Strommarktreform wird die EU darauf achten müssen, nicht ins Hintertreffen gegenüber den USA zu geraten, warnte Eurelectric-Generalsekretär Kristian Ruby im Interview mit Europe.Table.
Zu der Aufbruchsstimmung will nicht so recht passen, dass sich der Rat Ende des Jahres einmal mehr kleinlich beim Erneuerbaren-Ziel für 2030 zeigte. Kommission und Parlament wollen die Zielmarke von 32 auf 45 Prozent erhöhen, die Mitgliedstaaten nur auf 40 Prozent. Im Trilog zur Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) werden deshalb einige zeigen müssen, ob sie einen schnellen Kohleausstieg mittragen.
Damit Investitionen in grüne Technologien nicht in die USA abfließen, herrscht politischer Druck, zusätzliche Hilfen bereitzustellen – etwa zusätzliche Mittel für REPowerEU und eine erneute Erweiterung des Befristeten Krisenrahmens (TCF), die für den 1. Februar angekündigt ist. Zum Beihilferahmen konsultierte die Kommission im Dezember bereits die Mitgliedstaaten. In einem Fragebogen, den Contexte veröffentlichte, wurde zum Beispiel die Frage aufgeworfen, ob die Beihilferegelungen ausgedehnt werden sollten auf Meeresenergie, Wasserkraft, Biomasse und Methan aus Deponien und Kläranlagen. Sogar die Notwendigkeit zu Ausschreibungen stellt die Kommission in Frage und auch Erleichterungen bei den Beihilfen für die Industrie bringt sie ins Spiel.
Der Einfallsreichtum der Mitgliedstaaten für neue Beihilfen dürfte groß sein. Die Bundesregierung etwa lotet nach einem Bericht des Handelsblatt die Möglichkeit für einen Industriestrompreis aus. Der Staat solle dabei als “Market-Maker” das Stromangebot mit der Nachfrage aus der Industrie zusammenbringen und Ausfallrisiken tragen.
Der reguläre Energieministerrat steht erst für den 19. Juni in Luxemburg an. Schon am 21. und 22. Februar wird es aber ein informelles Treffen in Stockholm geben.
Bislang waren Herbst und Winter mild, doch der nächste Winter könnte laut der Internationalen Energieagentur (IEA) der entscheidende werden. Bis zum Sommer soll deshalb der gemeinsame Einkauf von Erdgas funktionieren, damit die EU ihre Speicher koordiniert befüllen kann und es nicht wieder zu Preisspitzen wie 2022 kommt.
Die Notverordnungen sollen Ende des Jahres auslaufen. Falls sie nicht verlängert werden, könnten Elemente daraus in das Gasbinnenmarktpaket einfließen. Rat und Parlament haben allerdings noch nicht einmal ihre Positionen für den Trilog festgelegt. Am 12. Dezember hat der Rat zumindest einen Fortschrittsbericht veröffentlicht.
Für Wasserstoff und E-Fuels stehen immer noch die für den Hochlauf entscheidenden delegierten Rechtsakte der Kommission aus. Vielleicht liegen sie bis zum 17. Mai vor, dann will die Kommission ihren Gesetzesvorschlag zur Europäischen Wasserstoffbank vorstellen. Drei Milliarden Euro will sie zunächst in das Market Making investieren, Vorbild könnte der deutsche Mechanismus H2Global werden.
Neben dem schon erwähnten Gasmarktpaket wird die Ratspräsidentschaft noch mehrere Richtlinien und Verordnungen vorantreiben. Am weitesten fortgeschritten:
Zu zwei weiteren Energiedossiers konnten unter tschechischer Ratspräsidentschaft allgemeine Ausrichtungen erzielt werden:
Noch keine allgemeine Ausrichtung gibt es zur Energiebesteuerungsrichtlinie. Sie legt unter anderem Mindeststeuersätze fest und spielt dadurch eine Rolle für den Markterfolg von Technologien. Verhandelt wird sie im Rat für Wirtschaft und Finanzen (Ecofin).
Um Lieferengpässe für Medizinprodukte zu vermeiden, will die Europäische Kommission längere Übergangsfristen für die Umstellung auf die neuen Vorgaben der Medizinprodukteverordnung ermöglichen. Dazu legte sie am Freitag einen Vorschlag vor. Für Produkte mit hohem Risiko von Engpässen (etwa Herzschrittmacher und Hüftimplantate) soll die Übergangsfrist um drei Jahre auf Ende 2027, für Produkte mit mittlerem und geringem Risiko (zum Beispiel Spritzen) auf Ende 2028 verlängert werden.
EU-Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas sagte: “Wir werden auf keinen Fall zulassen, dass schwerwiegende Störungen der Versorgung mit verschiedenen Medizinprodukten auf dem Markt drohen, was die Gesundheitssysteme und ihre Fähigkeit zur Versorgung der Patientinnen und Patienten in Europa in Mitleidenschaft ziehen würde.”
“Mehrere Umstände haben dazu geführt, dass den Gesundheitssystemen in der gesamten EU Engpässe bei lebensrettenden Medizinprodukten für die Patientinnen und Patienten drohen”, erklärte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. “Heute schlagen wir einen neuen zeitlichen Ablauf vor, um den Herstellern Sicherheit zu bieten, damit unverzichtbare Medizinprodukte weiter hergestellt werden können, kurzfristig jegliches Risiko von Engpässen verringert und der Zugang für die am meisten auf diese Produkte angewiesenen Patientinnen und Patienten gewährleistet wird”.
Die Verlängerung der Fristen soll an bestimmte Bedingungen geknüpft werden, sodass nur für Produkte mehr Zeit gewährt wird, die sicher sind und für die die Hersteller bereits Schritte im Hinblick auf den Übergang zu den Regelungen der Verordnung über Medizinprodukte eingeleitet haben. Auch die Abverkaufsfrist soll wegfallen, damit Medizinprodukte, die nach dem geltenden Rechtsrahmen in Verkehr gebracht wurden und jetzt noch erhältlich sind, auf dem Markt bleiben können.
Für Medizinprodukte vom Heftpflaster bis zum Hüftgelenk gelten seit Mai 2021 in der Europäischen Union neue Sicherheitsvorschriften. Die Reform ist die Konsequenz des Brustimplantate-Skandals vor mehr als zehn Jahren. Hochrisiko-Produkte wie Implantate müssen seitdem etwa vor der Markteinführung von EU-Experten begutachtet werden. Bewertungen, Prüfungen und die Stellen, die Bescheinigungen für Medizinprodukte ausstellen dürfen, werden genauer überwacht. Hersteller und auch Nutzer wie Krankenhäuser hatten die Reform wegen des zusätzlichen Aufwands für die Zertifizierung kritisiert und vor Engpässen gewarnt.
Der Vorschlag muss nun vom Europäischen Parlament und vom Rat in einem beschleunigten Mitentscheidungsverfahren angenommen werden. leo/ dpa
Dem Nato-Beitritt Schwedens stehen nach Darstellung von Regierungschef Ulf Kristersson weiterhin die Forderungen der Türkei an sein Land entgegen. “Die Türkei hat bestätigt, dass wir getan haben, was wir ihnen versprochen haben”, sagte Kristersson am Sonntag bei einer Sicherheits- und Verteidigungskonferenz im westschwedischen Sälen. “Aber sie sagen auch, dass sie Forderungen haben, die wir nicht erfüllen können und wollen. Und jetzt liegt die Entscheidung bei der Türkei.” Er sei weiterhin davon überzeugt, dass die Türkei einem Beitritt Schwedens zustimmen werde. “Wir wissen nur nicht wann.”
Als Mitglied des Verteidigungsbündnisses sei Schweden unter anderem bereit, sich an der gemeinsamen Raketenabwehr der Nato sowie an Luftpatrouillen über dem Baltikum, dem Schwarzen Meer und Island zu beteiligen, sagte Kristersson in seiner Rede.
Schweden und Finnland hatten im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Mai 2022 Anträge auf eine Nato-Mitgliedschaft gestellt. Finnlands Außenminister Pekka Haavisto sagte bei der Sicherheitskonferenz in Sälen, man werde auf Schweden warten. “Wir haben die Nato-Bewerbung gemeinsam eingereicht, wir werden das Verfahren auch gemeinsam zum Abschluss bringen”, erklärte Haavisto. “Schweden ist unser bester Freund und Partner. Es wäre auch nicht in Finnlands Interesse, sich ohne Schweden anzuschließen.”
Das Nato-Mitglied Türkei blockiert den Beitritt der nordischen Länder und begründet das unter anderem mit einer angeblichen Unterstützung Schwedens von “Terrororganisationen” wie der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Als Bedingung für die Ratifizierung der sogenannten Beitrittsprotokolle hatte das Land eine Reihe von Forderungen gestellt. Unter anderem fordert die Türkei einen stärkeren Kampf gegen “Terrorismus” und die Auslieferung von Dutzenden Menschen.
Kurz vor Weihnachten hatte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu gesagt, bei der Umsetzung der Absprachen sei man “noch nicht bei der Hälfte angelangt”. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte dagegen bei der Konferenz in Schweden am Sonntag: “Ich bin sicher, dass die Türkei die Mitgliedschaft von Schweden und Finnland ratifizieren wird und ich finde, dass das so schnell wie möglich passieren sollte. Aber ich will nicht darüber spekulieren, wann genau die Türkei das macht.” Die beiden nordischen Länder nähmen bereits jetzt an fast allen Nato-Treffen teil und seien sicherer als vor ihren Bewerbungen, betonte Stoltenberg. Neben der Zustimmung der Türkei zur Nato-Norderweiterung steht auch noch die von Ungarn aus. dpa
Shou Zi Chew, CEO der chinesischen Online-Plattform TikTok, trifft am morgigen Dienstag vier EU-Kommissare in Brüssel, um über die Datenschutzverpflichtungen durch neue EU-Verordnungen zu sprechen. Termine sind mit Margrethe Vestager (Wettbewerb), Věra Jourová (Werte), Ylva Johansson (Inneres) und Didier Reynders (Justiz) vereinbart. Ein Treffen mit Kommissar Thierry Breton (Binnenmarkt) ist ebenfalls noch im Januar geplant.
In den USA kämpft TikTok aufgrund von Zensurvorwürfen, Sicherheits- und Datenschutzproblemen bereits um sein Überleben. Mitarbeitende mehrerer US-Bundesstaaten dürfen die chinesische Video-App nicht mehr auf ihr Diensthandy laden. Auch ein vollständiges Verbot wird diskutiert.
“Wir sind uns der Bedenken im Zusammenhang mit der Nutzung von TikTok bewusst”, sagte ein Sprecher der Kommission zu der Frage nach den geplanten Inhalten der Gespräche. “Was die Datenverarbeitungspraktiken von TikTok betrifft, so erwarten wir natürlich von allen in der EU tätigen Unternehmen, dass sie die EU-Datenschutzvorschriften vollständig einhalten.”
Für die Durchsetzung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sind dabei die nationalen Datenschutzbehörden und Gerichte zuständig. So hat etwa die irische Datenschutzbehörde im September 2021 zwei Untersuchungen gegen TikTok eingeleitet, die sich auf die Einhaltung der Anforderungen der DSGVO bei der Verarbeitung personenbezogener Daten von Kindern und auf die Datenübermittlung nach China beziehen.
Gesprächsbedarf gibt es auch bei der Umsetzung des Data Services Acts (DSA), der vor kurzem in Kraft getreten ist. “Was den DSA betrifft, so muss TikTok alle für Online-Plattformen geltenden Regeln einhalten“, sagte der Sprecher.
Aus dem Kabinett der Exekutiv-Vizepräsidentin Vestager hieß es, zum jetzigen Zeitpunkt treffe sich die Kommission mit mehreren Plattform- und Technologieunternehmen. Ziel des Treffens von Vestager mit dem TikTok-CEO sei es, zu überprüfen, “wie sich das Unternehmen auf die Einhaltung seiner (möglichen) Verpflichtungen im Rahmen unserer neuen Verordnungen, nämlich des Digital Services Act (DSA) und des Digital Markets Act (DMA), vorbereitet”. vis
Tabakprodukte, bei denen der Tabak nicht verbrannt, sondern nur erhitzt wird, dürfen ab dem 23. Juli in Deutschland keine charakteristischen Aromastoffe wie Menthol enthalten. Dies sieht ein Gesetzentwurf vor, den das Kabinett am 15. Februar beschließen soll und der Europe.Table vorliegt. Mit dem Gesetz soll eine entsprechende EU-Richtlinie umgesetzt werden. Ab dem 23. Juli dürfen die Produkte mit charakteristischen Aromastoffen in Deutschland nicht mehr hergestellt werden. Bis zum 23. Oktober dürfen Produkte, die noch auf Lager sind, abverkauft werden.
Es geht um sogenannte “heat-not-burn”-Produkte. Um das Krebsrisiko des Tabakgenusses zu reduzieren, haben Hersteller wie Philip Morris und British American Tobacco (BAT) “heat-not-burn”-Produkte entwickelt. Hintergrund ist, dass die Krebsgefahr in erster Linie nicht von dem Nikotin ausgeht, sondern von den Giftstoffen, die bei der Verbrennung einer Filterzigarette freigesetzt werden. “Heat-not-burn”-Produkte werden auch als “less harmful cigarettes” eingestuft.
Das Verbot von charakteristischen Aromastoffen galt bereits für Zigaretten (Mentholzigarette), nun wird es auch auf die “heat-not-burn”-Produkte ausgeweitet. Die EU-Kommission hat dazu eine Delegierte Richtlinie erlassen, die jetzt in nationales Recht umgesetzt wird. Die Kommission begründet die Ausweitung des Aromaverbotes mit der wachsenden Verbreitung der “heat-not-burn”-Produkte.
Die Kommission hat zudem beschlossen, dass Packungen bestimmter “erhitzter Tabakerzeugnisse” künftig neben dem Warnhinweis auch Schockerbilder haben müssen, die bildlich auf die Gefahren hinweisen wie Lungenkrebs, Impotenz oder Raucherbein. Dies gilt aber nicht für die “heat-not-burn”-Produkte, die in Deutschland auf dem Markt sind. Sie werden vom Gesetzgeber als “rauchloses Tabakerzeugnis” eingestuft und müssen nur den vereinfachten Warnhinweis enthalten. mgr
In Bulgarien hat die Anti-Korruptions-Partei “Wir setzen den Wandel fort” (PP), am Freitag ihre Pläne zur Regierungsbildung aufgegeben, nachdem sie im Parlament keine Unterstützung erhalten hatte. Dies verlängert den politischen Stillstand im Land und könnte zu einer weiteren vorgezogenen Wahl im Frühjahr führen.
Bulgarien befindet sich seit 2020 in einer politischen Krise. Damals protestierten Tausende Bulgarinnen und Bulgaren gegen die Korruption. Eine vorgezogene Wahl im vergangenen Oktober, die vierte in weniger als zwei Jahren, verlief ergebnislos. Nachdem die Mitte-Rechts-Partei GERB des ehemaligen langjährigen Ministerpräsidenten Bojko Borissow im vergangenen Monat keine Unterstützung für ein Technokratenkabinett erhalten hatte, gab auch die PP am Freitag auf.
In einer Abstimmung mit 114 zu 63 Stimmen lehnten die Abgeordneten eine Liste nationaler Prioritäten ab, die die PP in dem Versuch aufgestellt hatte, Unterstützung für ein Minderheitskabinett zusammen mit ihrem Juniorpartner, dem Demokratischen Bulgarien, zu erhalten.
Präsident Rumen Radev muss nun eine andere politische Partei auswählen und diese mit der Regierungsbildung beauftragen. “Wir werden das Mandat (zur Bildung einer Regierung) am Montag unerfüllt an den Präsidenten zurückgeben”, sagte ein Sprecher der PP. Sollte auch dieser letzte Versuch scheitern, würde Radev das Parlament auflösen und innerhalb von zwei Monaten Neuwahlen ansetzen.
Sollte es nicht gelingen, eine reguläre Regierung innerhalb des derzeit gewählten Parlaments zu bilden, könnte dies die Pläne Bulgariens gefährden, der Eurozone im Jahr 2024 beizutreten. Es würde auch dringend benötigte Reformen zur Bekämpfung der Bestechung auf höchster Ebene verzögern und könnte die effiziente Nutzung von Milliarden Euro an EU-Rettungsgeldern behindern. leo/rtr
Vor wenigen Wochen ist sein aktuelles Buch “Wir und die Flüchtlinge” erschienen. Wenige Stunden vor diesem Interview saß er noch in einer Konferenz im Bundesinnenministerium, um deutsche Politiker für seine Ideen zu gewinnen. Und zwei Tage später sollte er zu einer Reise nach Schweden aufbrechen, in das Land also, das am 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. Im Leben von Gerald Knaus dreht sich derzeit alles um die Frage, wie sich das politische Weltgeschehen auf Migrationsprozesse auswirkt. Als Mitbegründer und Vorsitzender der Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative (ESI), versucht er Regierungen von Lösungsvorschlägen zu überzeugen, unter anderem in den Bereichen Migration und Flucht.
Aktuell wirbt der 52-jährige beispielsweise für seine Idee einer Dankespauschale von 500 Euro für Familien, die trotz der gestiegenen Energiekosten Ukrainerinnen und Ukrainer bei sich zu Hause aufnehmen. “Es hängt vom Engagement der Zivilgesellschaft ab, ob es in diesem Winter gelingt, die ohnehin schon historisch hohen Zahlen von Geflüchteten unterzubringen”, sagt Knaus. Er hofft darauf, dass diese Entlastungszahlung in Deutschland noch vor Weihnachten komme – und dass andere europäische Länder nachziehen.
Auch für eine schnelle EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine setzt sich der Migrationsforscher ein: “Die Verhandlungen dürfen nicht so enden wie auf dem Balkan, wo Länder wie Montenegro dem Beitritt seit zehn Jahren nicht näherkommen”. Sein konkreter Vorschlag für ein erstes Zwischenziel: Die Europäische Union soll der Ukraine noch im nächsten halben Jahr einen Beitritt zum gemeinsamen europäischen Binnenmarkt in Aussicht stellen, sofern das Land die Bedingungen dafür erfüllt. Das wäre ein konkretes, erreichbares und realistisches Ziel.
Gerald Knaus hat Philosophie, Politik und Internationale Beziehungen in Oxford, Brüssel und Bologna studiert. Und in der Vergangenheit hatte er mit seinen Ideen schon großen Erfolg: Der sogenannte Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei aus dem März 2016 etwa wurde schon im September 2015 von ihm vorgeschlagen. Sein Buch “Welche Grenzen brauchen wir?” war ein Beststeller.
Der gebürtige Österreicher hat drei erwachsene Töchter, lebt in Berlin und reist regelmäßig in die Länder, über die er spricht. Auf dem Balkan arbeitete er viele Jahre lang für NGOs und erlebte Kriege teils hautnah. “Kriege in Europa undenkbar zu machen, das war die Hauptmotivation für mich und meine Kollegen, als wir die Denkfabrik ESI gründeten”, erzählt er.
Was eine Hyperinflation für eine Gesellschaft bedeuten kann, weiß er aus seiner einjährigen Erfahrung als Gastdozent in der ukrainischen Grenzstadt Czernowitz. Damals, Anfang der 1990er-Jahre, war das Land noch in einer ganz anderen Situation als heute; er selbst habe von Erspartem gelebt. Das Geld, das er von der Hochschule erhalten habe, sei schon nach wenigen Tagen nichts mehr wert gewesen. Wie in der großen Politik habe er hier auch im Privaten konkrete Lösungen gefunden – und in Schokoladenriegel investiert, die aus dem Westen importiert worden waren, erzählt er augenzwinkernd: “Wenn ich dann spätnachts meine Vorlesungen vorbereitet habe, halfen sie mir beim Wachbleiben.” Janna Degener-Storr
seit Jahren will Emmanuel Macron das französische Rentensystem reformieren, von Anfang an von starken Protesten begleitet. Nicht nur die Opposition und alle Gewerkschaften lehnen Macrons Pläne ab, sondern laut Umfragen auch nahezu 75 Prozent der Bevölkerung. Morgen soll Premierministerin Élisabeth Borne die Reform vorstellen. Unter anderem soll das Rentenalter auf 64 oder 65 Jahre angehoben werden. Dies könnte Unruhen wie zur Zeit der Gelbwesten-Proteste 2018 auslösen. Tanja Kuchenbecker berichtet aus Paris.
2022 drehte sich die gesamte Energiepolitik ums Gas. Und in diesem Jahr? Der Strommarkt wird nun stärker in den Vordergrund rücken, schreibt Manuel Berkel. Allerdings wird es wohl auch weiterhin Updates zu den Füllständen der Gasspeicher geben. Welche Schwerpunkte die schwedische Ratspräsidentschaft setzen will und was 2023 in der Energiepolitik ebenfalls wichtig wird, lesen Sie in unserem Ausblick.
Außerdem in unseren News: Die EU-Kommission will Engpässe in der Versorgung mit Medizinprodukten verhindern und hat deshalb vorgeschlagen, die Übergangsfristen für die Medizinprodukteverordnung zu verlängern. Die Türkei steht dem Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands weiterhin im Weg. Und die erneut gescheiterte Regierungsbildung in Bulgarien könnte die Pläne des Landes gefährden, im kommenden Jahr der Eurozone beizutreten.
Die Spitze der SPD-Bundestagsfraktion legt in einem außenpolitischen Positionspapier ein besonderes Augenmerk auf Südosteuropa. Zentraler Baustein einer souveränen EU solle “der Beitritt der Staaten des Westlichen Balkans” sein. Mehr dazu lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Berlin.Table.
Starten Sie gut in die Woche!
In seiner Silvesteransprache stimmte Emmanuel Macron auf 2023 als “Jahr der Rentenreform” ein. Am morgigen Dienstag soll die schon lang geplante Reform vorgestellt werden. Mehrmals wurde dieser Termin verschoben, zuletzt im Dezember wegen der Fußballweltmeisterschaft: Der Präsident wollte die Fußballbegeisterung nicht stören. Die von vielen Franzosen befürchtete Rentenform ist nämlich ein Sprengstoff-Thema.
Experten schließen Unruhen wie zur Zeit der Gelbwesten 2018 nicht aus. Die Rentenreform könnte den durch die Inflation und steigenden Energiepreise sowieso bestehenden Ärger der Franzosen noch verstärken. Frédéric Dabi, Direktor des Meinungsforschungsinstitutes Ifop, sieht eine große Zustimmung für eine soziale Protestbewegung und warnte vor einer “intensiven Konfliktsituation im Land”.
Seit Tagen verhandelt die Regierung mit den Gewerkschaften, ohne die geringste Einigung. Diese planen währenddessen Streiks und Demonstrationen. Jean-Luc Mélenchon, Chef der Linkspartei LFI (La France Insoumise), kündigte an: “Im Januar wird es heiß.” Philippe Martinez, Chef der linken Gewerkschaft CGT, sagte: “Wir sind alle geeint, damit dieses Gesetz nicht durchkommt.” Das sei eine große Leistung, merkte er ironisch an. Denn seit zwölf Jahren seien die Gewerkschaften nicht mehr gemeinsam im Kampf gegen eine Reform angetreten.
Selbst die gemäßigte Gewerkschaft CFDT, der größte französische Gewerkschaftsbund, konnte die Regierung nicht auf ihre Seite ziehen. Die Gewerkschaften sperren sich gegen die Erhöhung des Alters und der Einzahlungszeit. Sie wollen stattdessen Abgaben für Unternehmen erhöhen. Das lehnt Macron ab, denn diese Abgaben sind in Frankreich ohnehin hoch und eine Bremse für die Wettbewerbsfähigkeit.
Verschiedene Umfragen ergaben, dass bis zu 75 Prozent der Franzosen die Reform ablehnen. Zu den geeinten Gewerkschaften kommt zudem die Opposition aus linken Parteien und dem rechtsextremen Rassemblement National von Marine Le Pen.
Am Samstag hatten Gelbwesten über Facebook zu Protesten im ganzen Land aufgerufen, bisher noch ohne viel Erfolg. Knapp 5000 Menschen waren in Frankreich auf den Straßen, davon laut Innenministerium rund 2000 in Paris, um gegen die Rentenreform und die Maßnahmen der Regierung gegen die Inflation zu protestieren. Die Organisatoren schätzten die Zahl höher, nannten aber keine Zahlen.
Für Macron steht viel auf dem Spiel. Nachdem er 2022 zum zweiten Mal gewählt wurde und kurz darauf nur eine knappe Mehrheit im Parlament erlangte, muss er beweisen, dass er noch die Zügel in der Hand hält und seine Vorhaben durchsetzen kann.
Angedacht ist die schrittweise Anhebung des offiziellen Rentenalters auf 64 oder 65 Jahre oder eine Verlängerung der Einzahlungszeit. Derzeit liegt das Rentenalter bei 62 Jahren. Wer nicht lang genug eingezahlt hat, erhält die volle Rente erst mit 67 Jahren. Die Reform soll ab dem zweiten Halbjahr des Geburtsjahrgangs 1961 gelten, pro Jahrgang soll das Rentenalter um vier Monate steigen. Damit könnte sie sogar Franzosen treffen, die gerade in Rente gehen wollen.
Macron schickt am Dienstag Premierministerin Élisabeth Borne vor, um Details vorzustellen. Im Frühjahr soll im Parlament debattiert, bis zum Sommer die Reform umgesetzt werden. Borne versuchte vorher, die Stimmung zu besänftigten. Sie sagte, die 65 Jahre seien nicht in Stein gemeißelt. Die Gewerkschaften rechnen deshalb mit einer Anhebung auf 64 Jahre und einer Verlängerung der Einzahlungszeit – ein Schachzug, mit dem die Regierung Verhandlungswillen zur Schau stellen würde.
Die Rentenreform war schon in Macrons erster Amtszeit sein Prestigeprojekt. Im Jahr 2019 wollte er bereits durchsetzen, die mehr als vierzig bestehenden Rentensysteme der verschiedenen Berufe in ein System zu überführen. Die Proteste dauerten fast zwei Monate, dann begann die Pandemie und Macron vertagte sein Projekt. Die Angleichung der Systeme ist beim neuen Anlauf nicht mehr Thema, die Kritik an einer Reform bleibt aber bestehen.
Auch im Parlament dürfte es schwierig werden, die Reform durchzudrücken. Macron ist auf Stimmen der konservativen Republikaner angewiesen, weil seine Partei nicht mehr die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung hat. Die Republikaner hatten im Präsidentschaftswahlkampf eine ähnliche Reform angekündigt und sprechen sich schon seit Jahren dafür aus. Unter dem konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy wurde 2010 das offizielle Rentenalter schon von 60 auf 62 Jahre angehoben.
Doch nun bezeichnen die Konservativen Macrons Pläne als zu radikal. Sollte er keine Mehrheit erhalten, kann die Regierung die Reform mit dem Ausnahme-Paragraphen 49.3 der Verfassung ohne Abstimmung durchboxen. Zu der Maßnahme hat er in letzter Zeit schon mehrmals gegriffen. Der Paragraph wurde in Frankreich auch früher schon häufig benutzt, doch dabei bleibt nach Ansicht der Kritiker die Demokratie auf der Strecke. Sarkozy etwa nannte einen Zugriff darauf ein “Zeichen der Schwäche” und glaubt, dass dies die Proteste und die Gewalt auf der Straße nur anstachele.
Drehte sich im vergangenen Jahr die gesamte Energiepolitik ums Gas, wird in diesem Jahr der Strommarkt stärker in den Vordergrund rücken. Doch ganz verschwinden werden die Updates zu den Speicherfüllständen sicher nicht. Was 2023 sonst noch wichtig wird, zeigt unsere Vorschau.
Die Wettbewerbsfähigkeit der EU will die schwedische Ratspräsidentschaft auch durch eine stärkere Energieunabhängigkeit lösen. “Es geht nicht nur darum, von Russland unabhängig zu werden, sondern auch von anderen Staaten“, sagte Energieministerin Ebba Busch beim Rat am 13. Dezember. Die Vorsitzende der schwedischen Christdemokraten und stellvertretende Ministerpräsidentin, deren Minderheitsregierung von Klimawandel-Leugnern geduldet wird, wird in den nächsten Monaten das Gesicht der europäischen Energiepolitik.
An den Märkten ist die Lage derzeit allerdings entspannter als noch vor wenigen Monaten. Der Preis für Erdgas liegt bis Ende des Jahres sogar deutlich unter jenen 100 Euro, die selbst die hartnäckigsten Verfechter des berüchtigten Gaspreisdeckels durchsetzen wollten. Im ersten Halbjahr dürfte also mehr Zeit bleiben, um den Green Deal weiter zu verhandeln, das neue Ausbauziel für Erneuerbare Energien festzuzurren und sich auf das letzte große Krisenthema zu konzentrieren: die Reform des Strommarktes.
Der Vorschlag der Kommission zur Strommarktreform ist für März angekündigt – “to be confirmed”. Die Gesetzgebung könnte sich diesmal noch länger hinziehen als beim Gaspreisdeckel, die Kommission will das Parlament beteiligen und sich nicht länger auf den Notfallartikel 122 berufen. Ein erstes Non-Paper zur Strommarktreform aus der Generaldirektion Energie skizzierte eine vierteilige Strategie:
Für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gehört der schnellere Ausbau der Erneuerbaren zu ihren drei Prioritäten für 2023. In einer Umfrage von Politico war auffällig, wie viele Kommissare grüne Energietechnologien als das “nächste knappe Gut” nach Gas nannten.
In diesem Jahr wird es darauf ankommen, wie die zuletzt beschlossenen Werkzeuge zur Planungsbeschleunigung umgesetzt werden. Am 10. Januar startet die Kommission mit einem hochkarätig besetzten Investors Dialogue, der gute Stimmung machen soll angesichts des amerikanischen Inflation Reduction Acts (IRA). Bei der Strommarktreform wird die EU darauf achten müssen, nicht ins Hintertreffen gegenüber den USA zu geraten, warnte Eurelectric-Generalsekretär Kristian Ruby im Interview mit Europe.Table.
Zu der Aufbruchsstimmung will nicht so recht passen, dass sich der Rat Ende des Jahres einmal mehr kleinlich beim Erneuerbaren-Ziel für 2030 zeigte. Kommission und Parlament wollen die Zielmarke von 32 auf 45 Prozent erhöhen, die Mitgliedstaaten nur auf 40 Prozent. Im Trilog zur Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) werden deshalb einige zeigen müssen, ob sie einen schnellen Kohleausstieg mittragen.
Damit Investitionen in grüne Technologien nicht in die USA abfließen, herrscht politischer Druck, zusätzliche Hilfen bereitzustellen – etwa zusätzliche Mittel für REPowerEU und eine erneute Erweiterung des Befristeten Krisenrahmens (TCF), die für den 1. Februar angekündigt ist. Zum Beihilferahmen konsultierte die Kommission im Dezember bereits die Mitgliedstaaten. In einem Fragebogen, den Contexte veröffentlichte, wurde zum Beispiel die Frage aufgeworfen, ob die Beihilferegelungen ausgedehnt werden sollten auf Meeresenergie, Wasserkraft, Biomasse und Methan aus Deponien und Kläranlagen. Sogar die Notwendigkeit zu Ausschreibungen stellt die Kommission in Frage und auch Erleichterungen bei den Beihilfen für die Industrie bringt sie ins Spiel.
Der Einfallsreichtum der Mitgliedstaaten für neue Beihilfen dürfte groß sein. Die Bundesregierung etwa lotet nach einem Bericht des Handelsblatt die Möglichkeit für einen Industriestrompreis aus. Der Staat solle dabei als “Market-Maker” das Stromangebot mit der Nachfrage aus der Industrie zusammenbringen und Ausfallrisiken tragen.
Der reguläre Energieministerrat steht erst für den 19. Juni in Luxemburg an. Schon am 21. und 22. Februar wird es aber ein informelles Treffen in Stockholm geben.
Bislang waren Herbst und Winter mild, doch der nächste Winter könnte laut der Internationalen Energieagentur (IEA) der entscheidende werden. Bis zum Sommer soll deshalb der gemeinsame Einkauf von Erdgas funktionieren, damit die EU ihre Speicher koordiniert befüllen kann und es nicht wieder zu Preisspitzen wie 2022 kommt.
Die Notverordnungen sollen Ende des Jahres auslaufen. Falls sie nicht verlängert werden, könnten Elemente daraus in das Gasbinnenmarktpaket einfließen. Rat und Parlament haben allerdings noch nicht einmal ihre Positionen für den Trilog festgelegt. Am 12. Dezember hat der Rat zumindest einen Fortschrittsbericht veröffentlicht.
Für Wasserstoff und E-Fuels stehen immer noch die für den Hochlauf entscheidenden delegierten Rechtsakte der Kommission aus. Vielleicht liegen sie bis zum 17. Mai vor, dann will die Kommission ihren Gesetzesvorschlag zur Europäischen Wasserstoffbank vorstellen. Drei Milliarden Euro will sie zunächst in das Market Making investieren, Vorbild könnte der deutsche Mechanismus H2Global werden.
Neben dem schon erwähnten Gasmarktpaket wird die Ratspräsidentschaft noch mehrere Richtlinien und Verordnungen vorantreiben. Am weitesten fortgeschritten:
Zu zwei weiteren Energiedossiers konnten unter tschechischer Ratspräsidentschaft allgemeine Ausrichtungen erzielt werden:
Noch keine allgemeine Ausrichtung gibt es zur Energiebesteuerungsrichtlinie. Sie legt unter anderem Mindeststeuersätze fest und spielt dadurch eine Rolle für den Markterfolg von Technologien. Verhandelt wird sie im Rat für Wirtschaft und Finanzen (Ecofin).
Um Lieferengpässe für Medizinprodukte zu vermeiden, will die Europäische Kommission längere Übergangsfristen für die Umstellung auf die neuen Vorgaben der Medizinprodukteverordnung ermöglichen. Dazu legte sie am Freitag einen Vorschlag vor. Für Produkte mit hohem Risiko von Engpässen (etwa Herzschrittmacher und Hüftimplantate) soll die Übergangsfrist um drei Jahre auf Ende 2027, für Produkte mit mittlerem und geringem Risiko (zum Beispiel Spritzen) auf Ende 2028 verlängert werden.
EU-Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas sagte: “Wir werden auf keinen Fall zulassen, dass schwerwiegende Störungen der Versorgung mit verschiedenen Medizinprodukten auf dem Markt drohen, was die Gesundheitssysteme und ihre Fähigkeit zur Versorgung der Patientinnen und Patienten in Europa in Mitleidenschaft ziehen würde.”
“Mehrere Umstände haben dazu geführt, dass den Gesundheitssystemen in der gesamten EU Engpässe bei lebensrettenden Medizinprodukten für die Patientinnen und Patienten drohen”, erklärte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. “Heute schlagen wir einen neuen zeitlichen Ablauf vor, um den Herstellern Sicherheit zu bieten, damit unverzichtbare Medizinprodukte weiter hergestellt werden können, kurzfristig jegliches Risiko von Engpässen verringert und der Zugang für die am meisten auf diese Produkte angewiesenen Patientinnen und Patienten gewährleistet wird”.
Die Verlängerung der Fristen soll an bestimmte Bedingungen geknüpft werden, sodass nur für Produkte mehr Zeit gewährt wird, die sicher sind und für die die Hersteller bereits Schritte im Hinblick auf den Übergang zu den Regelungen der Verordnung über Medizinprodukte eingeleitet haben. Auch die Abverkaufsfrist soll wegfallen, damit Medizinprodukte, die nach dem geltenden Rechtsrahmen in Verkehr gebracht wurden und jetzt noch erhältlich sind, auf dem Markt bleiben können.
Für Medizinprodukte vom Heftpflaster bis zum Hüftgelenk gelten seit Mai 2021 in der Europäischen Union neue Sicherheitsvorschriften. Die Reform ist die Konsequenz des Brustimplantate-Skandals vor mehr als zehn Jahren. Hochrisiko-Produkte wie Implantate müssen seitdem etwa vor der Markteinführung von EU-Experten begutachtet werden. Bewertungen, Prüfungen und die Stellen, die Bescheinigungen für Medizinprodukte ausstellen dürfen, werden genauer überwacht. Hersteller und auch Nutzer wie Krankenhäuser hatten die Reform wegen des zusätzlichen Aufwands für die Zertifizierung kritisiert und vor Engpässen gewarnt.
Der Vorschlag muss nun vom Europäischen Parlament und vom Rat in einem beschleunigten Mitentscheidungsverfahren angenommen werden. leo/ dpa
Dem Nato-Beitritt Schwedens stehen nach Darstellung von Regierungschef Ulf Kristersson weiterhin die Forderungen der Türkei an sein Land entgegen. “Die Türkei hat bestätigt, dass wir getan haben, was wir ihnen versprochen haben”, sagte Kristersson am Sonntag bei einer Sicherheits- und Verteidigungskonferenz im westschwedischen Sälen. “Aber sie sagen auch, dass sie Forderungen haben, die wir nicht erfüllen können und wollen. Und jetzt liegt die Entscheidung bei der Türkei.” Er sei weiterhin davon überzeugt, dass die Türkei einem Beitritt Schwedens zustimmen werde. “Wir wissen nur nicht wann.”
Als Mitglied des Verteidigungsbündnisses sei Schweden unter anderem bereit, sich an der gemeinsamen Raketenabwehr der Nato sowie an Luftpatrouillen über dem Baltikum, dem Schwarzen Meer und Island zu beteiligen, sagte Kristersson in seiner Rede.
Schweden und Finnland hatten im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Mai 2022 Anträge auf eine Nato-Mitgliedschaft gestellt. Finnlands Außenminister Pekka Haavisto sagte bei der Sicherheitskonferenz in Sälen, man werde auf Schweden warten. “Wir haben die Nato-Bewerbung gemeinsam eingereicht, wir werden das Verfahren auch gemeinsam zum Abschluss bringen”, erklärte Haavisto. “Schweden ist unser bester Freund und Partner. Es wäre auch nicht in Finnlands Interesse, sich ohne Schweden anzuschließen.”
Das Nato-Mitglied Türkei blockiert den Beitritt der nordischen Länder und begründet das unter anderem mit einer angeblichen Unterstützung Schwedens von “Terrororganisationen” wie der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Als Bedingung für die Ratifizierung der sogenannten Beitrittsprotokolle hatte das Land eine Reihe von Forderungen gestellt. Unter anderem fordert die Türkei einen stärkeren Kampf gegen “Terrorismus” und die Auslieferung von Dutzenden Menschen.
Kurz vor Weihnachten hatte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu gesagt, bei der Umsetzung der Absprachen sei man “noch nicht bei der Hälfte angelangt”. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte dagegen bei der Konferenz in Schweden am Sonntag: “Ich bin sicher, dass die Türkei die Mitgliedschaft von Schweden und Finnland ratifizieren wird und ich finde, dass das so schnell wie möglich passieren sollte. Aber ich will nicht darüber spekulieren, wann genau die Türkei das macht.” Die beiden nordischen Länder nähmen bereits jetzt an fast allen Nato-Treffen teil und seien sicherer als vor ihren Bewerbungen, betonte Stoltenberg. Neben der Zustimmung der Türkei zur Nato-Norderweiterung steht auch noch die von Ungarn aus. dpa
Shou Zi Chew, CEO der chinesischen Online-Plattform TikTok, trifft am morgigen Dienstag vier EU-Kommissare in Brüssel, um über die Datenschutzverpflichtungen durch neue EU-Verordnungen zu sprechen. Termine sind mit Margrethe Vestager (Wettbewerb), Věra Jourová (Werte), Ylva Johansson (Inneres) und Didier Reynders (Justiz) vereinbart. Ein Treffen mit Kommissar Thierry Breton (Binnenmarkt) ist ebenfalls noch im Januar geplant.
In den USA kämpft TikTok aufgrund von Zensurvorwürfen, Sicherheits- und Datenschutzproblemen bereits um sein Überleben. Mitarbeitende mehrerer US-Bundesstaaten dürfen die chinesische Video-App nicht mehr auf ihr Diensthandy laden. Auch ein vollständiges Verbot wird diskutiert.
“Wir sind uns der Bedenken im Zusammenhang mit der Nutzung von TikTok bewusst”, sagte ein Sprecher der Kommission zu der Frage nach den geplanten Inhalten der Gespräche. “Was die Datenverarbeitungspraktiken von TikTok betrifft, so erwarten wir natürlich von allen in der EU tätigen Unternehmen, dass sie die EU-Datenschutzvorschriften vollständig einhalten.”
Für die Durchsetzung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sind dabei die nationalen Datenschutzbehörden und Gerichte zuständig. So hat etwa die irische Datenschutzbehörde im September 2021 zwei Untersuchungen gegen TikTok eingeleitet, die sich auf die Einhaltung der Anforderungen der DSGVO bei der Verarbeitung personenbezogener Daten von Kindern und auf die Datenübermittlung nach China beziehen.
Gesprächsbedarf gibt es auch bei der Umsetzung des Data Services Acts (DSA), der vor kurzem in Kraft getreten ist. “Was den DSA betrifft, so muss TikTok alle für Online-Plattformen geltenden Regeln einhalten“, sagte der Sprecher.
Aus dem Kabinett der Exekutiv-Vizepräsidentin Vestager hieß es, zum jetzigen Zeitpunkt treffe sich die Kommission mit mehreren Plattform- und Technologieunternehmen. Ziel des Treffens von Vestager mit dem TikTok-CEO sei es, zu überprüfen, “wie sich das Unternehmen auf die Einhaltung seiner (möglichen) Verpflichtungen im Rahmen unserer neuen Verordnungen, nämlich des Digital Services Act (DSA) und des Digital Markets Act (DMA), vorbereitet”. vis
Tabakprodukte, bei denen der Tabak nicht verbrannt, sondern nur erhitzt wird, dürfen ab dem 23. Juli in Deutschland keine charakteristischen Aromastoffe wie Menthol enthalten. Dies sieht ein Gesetzentwurf vor, den das Kabinett am 15. Februar beschließen soll und der Europe.Table vorliegt. Mit dem Gesetz soll eine entsprechende EU-Richtlinie umgesetzt werden. Ab dem 23. Juli dürfen die Produkte mit charakteristischen Aromastoffen in Deutschland nicht mehr hergestellt werden. Bis zum 23. Oktober dürfen Produkte, die noch auf Lager sind, abverkauft werden.
Es geht um sogenannte “heat-not-burn”-Produkte. Um das Krebsrisiko des Tabakgenusses zu reduzieren, haben Hersteller wie Philip Morris und British American Tobacco (BAT) “heat-not-burn”-Produkte entwickelt. Hintergrund ist, dass die Krebsgefahr in erster Linie nicht von dem Nikotin ausgeht, sondern von den Giftstoffen, die bei der Verbrennung einer Filterzigarette freigesetzt werden. “Heat-not-burn”-Produkte werden auch als “less harmful cigarettes” eingestuft.
Das Verbot von charakteristischen Aromastoffen galt bereits für Zigaretten (Mentholzigarette), nun wird es auch auf die “heat-not-burn”-Produkte ausgeweitet. Die EU-Kommission hat dazu eine Delegierte Richtlinie erlassen, die jetzt in nationales Recht umgesetzt wird. Die Kommission begründet die Ausweitung des Aromaverbotes mit der wachsenden Verbreitung der “heat-not-burn”-Produkte.
Die Kommission hat zudem beschlossen, dass Packungen bestimmter “erhitzter Tabakerzeugnisse” künftig neben dem Warnhinweis auch Schockerbilder haben müssen, die bildlich auf die Gefahren hinweisen wie Lungenkrebs, Impotenz oder Raucherbein. Dies gilt aber nicht für die “heat-not-burn”-Produkte, die in Deutschland auf dem Markt sind. Sie werden vom Gesetzgeber als “rauchloses Tabakerzeugnis” eingestuft und müssen nur den vereinfachten Warnhinweis enthalten. mgr
In Bulgarien hat die Anti-Korruptions-Partei “Wir setzen den Wandel fort” (PP), am Freitag ihre Pläne zur Regierungsbildung aufgegeben, nachdem sie im Parlament keine Unterstützung erhalten hatte. Dies verlängert den politischen Stillstand im Land und könnte zu einer weiteren vorgezogenen Wahl im Frühjahr führen.
Bulgarien befindet sich seit 2020 in einer politischen Krise. Damals protestierten Tausende Bulgarinnen und Bulgaren gegen die Korruption. Eine vorgezogene Wahl im vergangenen Oktober, die vierte in weniger als zwei Jahren, verlief ergebnislos. Nachdem die Mitte-Rechts-Partei GERB des ehemaligen langjährigen Ministerpräsidenten Bojko Borissow im vergangenen Monat keine Unterstützung für ein Technokratenkabinett erhalten hatte, gab auch die PP am Freitag auf.
In einer Abstimmung mit 114 zu 63 Stimmen lehnten die Abgeordneten eine Liste nationaler Prioritäten ab, die die PP in dem Versuch aufgestellt hatte, Unterstützung für ein Minderheitskabinett zusammen mit ihrem Juniorpartner, dem Demokratischen Bulgarien, zu erhalten.
Präsident Rumen Radev muss nun eine andere politische Partei auswählen und diese mit der Regierungsbildung beauftragen. “Wir werden das Mandat (zur Bildung einer Regierung) am Montag unerfüllt an den Präsidenten zurückgeben”, sagte ein Sprecher der PP. Sollte auch dieser letzte Versuch scheitern, würde Radev das Parlament auflösen und innerhalb von zwei Monaten Neuwahlen ansetzen.
Sollte es nicht gelingen, eine reguläre Regierung innerhalb des derzeit gewählten Parlaments zu bilden, könnte dies die Pläne Bulgariens gefährden, der Eurozone im Jahr 2024 beizutreten. Es würde auch dringend benötigte Reformen zur Bekämpfung der Bestechung auf höchster Ebene verzögern und könnte die effiziente Nutzung von Milliarden Euro an EU-Rettungsgeldern behindern. leo/rtr
Vor wenigen Wochen ist sein aktuelles Buch “Wir und die Flüchtlinge” erschienen. Wenige Stunden vor diesem Interview saß er noch in einer Konferenz im Bundesinnenministerium, um deutsche Politiker für seine Ideen zu gewinnen. Und zwei Tage später sollte er zu einer Reise nach Schweden aufbrechen, in das Land also, das am 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. Im Leben von Gerald Knaus dreht sich derzeit alles um die Frage, wie sich das politische Weltgeschehen auf Migrationsprozesse auswirkt. Als Mitbegründer und Vorsitzender der Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative (ESI), versucht er Regierungen von Lösungsvorschlägen zu überzeugen, unter anderem in den Bereichen Migration und Flucht.
Aktuell wirbt der 52-jährige beispielsweise für seine Idee einer Dankespauschale von 500 Euro für Familien, die trotz der gestiegenen Energiekosten Ukrainerinnen und Ukrainer bei sich zu Hause aufnehmen. “Es hängt vom Engagement der Zivilgesellschaft ab, ob es in diesem Winter gelingt, die ohnehin schon historisch hohen Zahlen von Geflüchteten unterzubringen”, sagt Knaus. Er hofft darauf, dass diese Entlastungszahlung in Deutschland noch vor Weihnachten komme – und dass andere europäische Länder nachziehen.
Auch für eine schnelle EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine setzt sich der Migrationsforscher ein: “Die Verhandlungen dürfen nicht so enden wie auf dem Balkan, wo Länder wie Montenegro dem Beitritt seit zehn Jahren nicht näherkommen”. Sein konkreter Vorschlag für ein erstes Zwischenziel: Die Europäische Union soll der Ukraine noch im nächsten halben Jahr einen Beitritt zum gemeinsamen europäischen Binnenmarkt in Aussicht stellen, sofern das Land die Bedingungen dafür erfüllt. Das wäre ein konkretes, erreichbares und realistisches Ziel.
Gerald Knaus hat Philosophie, Politik und Internationale Beziehungen in Oxford, Brüssel und Bologna studiert. Und in der Vergangenheit hatte er mit seinen Ideen schon großen Erfolg: Der sogenannte Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei aus dem März 2016 etwa wurde schon im September 2015 von ihm vorgeschlagen. Sein Buch “Welche Grenzen brauchen wir?” war ein Beststeller.
Der gebürtige Österreicher hat drei erwachsene Töchter, lebt in Berlin und reist regelmäßig in die Länder, über die er spricht. Auf dem Balkan arbeitete er viele Jahre lang für NGOs und erlebte Kriege teils hautnah. “Kriege in Europa undenkbar zu machen, das war die Hauptmotivation für mich und meine Kollegen, als wir die Denkfabrik ESI gründeten”, erzählt er.
Was eine Hyperinflation für eine Gesellschaft bedeuten kann, weiß er aus seiner einjährigen Erfahrung als Gastdozent in der ukrainischen Grenzstadt Czernowitz. Damals, Anfang der 1990er-Jahre, war das Land noch in einer ganz anderen Situation als heute; er selbst habe von Erspartem gelebt. Das Geld, das er von der Hochschule erhalten habe, sei schon nach wenigen Tagen nichts mehr wert gewesen. Wie in der großen Politik habe er hier auch im Privaten konkrete Lösungen gefunden – und in Schokoladenriegel investiert, die aus dem Westen importiert worden waren, erzählt er augenzwinkernd: “Wenn ich dann spätnachts meine Vorlesungen vorbereitet habe, halfen sie mir beim Wachbleiben.” Janna Degener-Storr