
Manuel Berkel: Die Industrie möchte Milliarden in klimafreundliche Anlagen investieren und ihre Produktion auf grünen Wasserstoff umstellen. Wann wird das erste grüne Gas über H2Global nach Europa kommen?
Kirsten Westphal: Im ersten Förderfenster reden wir noch nicht über reinen Wasserstoff, sondern über Derivate – also grünen Ammoniak, Methanol und Treibstoff für Flugzeuge. Die Ausschreibungen für diese drei Lose bereitet unsere Tochtergesellschaft HINT.CO gerade vor. Im Sommer wollen wir die Auktionsverfahren starten und bis Ende des Jahres die Verträge unterzeichnen. Mit den ersten Schiffsladungen wäre dann zwischen Ende 2024 und Anfang 2025 zu rechnen.
Grüner Wasserstoff und seine Derivate spielen auch eine wichtige Rolle im REPowerEU-Plan, mit dem die Kommission Europa unabhängiger von russischen Energielieferungen machen möchte (Europe.Table berichtete). Welche Bedeutung hat H2Global als deutsches Förderinstrument für die europäischen Pläne?
Die Initiative wurde zwar von der Bundesregierung aufgesetzt, aber H2Global versteht sich nicht als rein deutsches Instrument. Als Lieferpunkt ist die Region zwischen den Häfen Antwerpen, Zeebrugge, Rotterdam und Hamburg bis nach Rostock und Duisburg als großem Binnenhafen definiert. Diese nordwesteuropäische Industrieregion ist prädestiniert. Auch die H2Global Stiftung wird immer europäischer, wenn Sie schauen, wer sich bei uns engagiert. H2Global kann ein Wegbereiter für einen europäischen Wasserstoff-Accelerator werden, wie ihn REPowerEU beschreibt.
Welche Mengen an Wasserstoff-Derivaten wird H2Global denn beschaffen können? Die Kommission will die Ziele für grünes H2 bis 2030 vervierfachen – auf 20 Millionen Tonnen pro Jahr.
Im ersten Förderfenster haben wir 900 Millionen Euro bis 2033 zur Verfügung. Damit kaufen wir die Derivate und damit ist auch die erwartbare Differenz zwischen den Gebotspreisen für die Lieferung und für die Abnahme gedeckt. Welche Mengen wir dafür bekommen können, lässt sich derzeit schwer abzuschätzen. Weltweit gibt es bisher praktisch keine Preissignale, was grünes Ammoniak kostet. H2Global kann Transparenz über die Preise von Wasserstoff-Derivaten herstellen, für die Industrie wird das ein wichtiger Mehrwert sein. Die Frage ist aber berechtigt. Große Mengen wird H2Global in der ersten Förderrunde nicht beschaffen können. Es ist zunächst ein wichtiger Pilot. Entscheidend ist, dass wir mal loslegen und Wasserstoffprojekte finden, die sich skalieren lassen. Und H2Global wird europaweit das erste Instrument sein, um die gesamte Liefer- und Wertschöpfungskette für grünen Wasserstoff zu erproben.
Was meinen Sie damit?
Bisher schaut man sehr stark auf die Produktion und die Abnehmer von grünem Wasserstoff und glaubt, das dazwischen wird schon irgendwie werden. Aber auch die Lieferketten sind hochkomplex: Transportmittel, Transportwege, Speicher. Die Logistik von Wasserstoff-Importen ist wegen des Krieges gegen die Ukraine noch dringlicher geworden. Wir werden eine größere Zahl unterschiedlicher Derivate schneller benötigen. H2Global schafft ein schützendes Dach, damit sich Lieferketten etablieren und Unternehmen entsprechend aufstellen können. Die Bieter müssen sich darum kümmern, dass die Logistik funktioniert. Das wird in die Gebote einfließen, deshalb werden die Ausschreibungen auch Transparenz über die Transportkosten schaffen. Ein anderer großer Faktor, der noch fehlt, ist die Regulatorik. Erst wenn der regulatorische Rahmen geklärt ist, können Unternehmen grünen Wasserstoff und seine Folgeprodukte wirklich in Wert setzen – Stichwort delegierter Rechtsakt zur RED II.
Verhandelt werden in Brüssel auch noch die Novelle der gesamten Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED II und das Gaspaket (Europe.Table berichtete). Muss das alles beschlossen sein, damit Sie Ihre Wasserstoff-Derivate als „grün“ zertifizieren können?
Bei den Fragen der Zertifizierung und der Anrechenbarkeit ist tatsächlich noch viel offen. Die Standards für unser erstes Förderfenster wird das Bundeswirtschaftsministerium bis zum Beginn der Auktionen definieren. Die Herausforderung wird sein, die Standards für H2Global so hoch zu setzen, dass die angekauften Produkte während der gesamten Vertragslaufzeit als grün gelten. Das gehört schon zu unseren Lessons Learned: Europas erster klimaneutraler Wasserstoff muss auch in zehn Jahren noch als grün verkauft werden können. Für H2-Pilotprojekte bräuchte es ein Grandfathering in der europäischen Regulierung.
Der Umstieg von Erdgas auf Wasserstoff wird als Chance gesehen, gefährliche Abhängigkeiten aufzubrechen. Wie lässt sich die Diversifizierung der Lieferanten sicherstellen?
Der Aufbau einer Wasserstoffwelt wird eine Generationenaufgabe. Um den Markt anzureizen, werden wir übergangsweise vielleicht ähnliche Strukturen erleben wie in der Erdgaswirtschaft – große Leitungen, an deren Ende Produzenten und Abnehmer skalieren. Aber langfristig wollen wir ja nicht wieder in ähnliche Fallen tappen. Deshalb ist H2Global von Anfang an flexibel ausgelegt. Das Instrument erlaubt es, neue Förderfenster an politische Ziele anzupassen. Man schaut jetzt viel in den Mittleren Osten, nach Australien und Chile. Dort gibt es Front-Runner, die über Kapital verfügen und in den Projekten schon recht weit sind. Aber in der zweiten oder dritten Runde von Förderfenstern könnten wir zum Beispiel Europas Partnerschaft mit weiteren afrikanischen Staaten ausbauen und so diversifizieren. Ich denke sehr an Interkonnektoren nach Ägypten, von wo aus man weitere Infrastrukturverbindungen in den Kontinent schaffen könnte. Diese ließen sich mit H2Global unterlegen.
Wird H2Global so lange bestehen bleiben oder wird es schon bald in einer europäischen Plattform aufgehen (Europe.Table berichtete)?
Im Koalitionsvertrag steht bereits, dass die Bundesregierung H2Global europäisch weiterentwickeln und finanziell entsprechend ausstatten möchte. Das ist auch gut, damit sich Investoren nicht immer wieder auf unterschiedliche nationale Regeln einstellen müssen und sich die Projekte untereinander keine Konkurrenz machen. H2Global kann der EU dabei helfen, mit einem Gesicht zur Welt zu sprechen – was in der Erdgaswelt lange gefehlt hat. Wenn ich weiter vorausdenke, können wir mehrere regional definierte Lieferregionen identifizieren. Wasserstoff könnte über Triest, Barcelona, Marseille oder andere Mittelmeerhäfen nach Europa gelangen.
Vor dem Krieg galt auch die Ukraine als aussichtsreicher Partner für Wasserstoffpartnerschaften. Besteht diese Vision weiterhin?
Angesichts der erschreckenden Bilder aus der Ukraine ist es nun leider noch viel zu früh für solche Pläne. Akteure in der EU haben die Ukraine aber zurecht immer schon mitgedacht beim Aufbau einer europäischen Wasserstoffwirtschaft, so wie beim European Hydrogen Backbone und der 2×40-Gigawatt-Strategie. Langfristig bleibt es sehr sinnvoll, die Ukraine in die Wasserstoffpläne der EU einzubeziehen. Bei den Strom- und Gasnetzen sehen wir bereits, wie wichtig die Zusammenarbeit von europäischen Betreibern mit ihren ukrainischen Partnern ist. Wenn es um den Wiederaufbau geht, werden die Interkonnektoren sowohl beim Strom als auch bei Wasserstoff eine wesentliche Rolle spielen.