die neue Bundesregierung sammelt sich noch, das neue Bundesbauministerium hat noch kein Haus (hat da jemand gelacht?), die Vereinbarungen über die Umzüge der einzelnen Einheiten zwischen den einzelnen Häusern sind noch in Arbeit. Zumindest zu Letzterem können wir Ihnen voraussichtlich in der kommenden Ausgabe mehr berichten. Aber zum Zurechtruckeln gehört auch das Ankommen in den neuen Dossiers.
Die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser, der neue Justizminister Marco Buschmann und die Landesinnenminister in Deutschland streiten über die Frage, ob man nicht doch irgendwie gegen Telegram vorgehen könne. Der bei Hasspropagandisten beliebte Anbieter aus Russland mit Firmensitz in Dubai soll nach BMJ-Lesart auch eine Plattform nach Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sein. Allerdings scheitert es bislang schon an der Zustellung eines Anhörungsbogens in den Emiraten. Könnte das nicht ein Fall für den Digital Services Act werden?
Der soll viele alte Regelungen ablösen, womöglich auch in Teilen das NetzDG. Die Ratsposition ist nun auch offiziell final beschlossen, gestern Abend hat nun der Binnenmarktausschuss des EP die Kompromissvorschläge des Schaldemose-Berichts formell für gut befunden. Und auf dem allerletzten Verhandlungsmillimeter erhielt ein weiterer Antrag eine Ausschussmehrheit. Bis zur Abstimmung des EP-Plenums, die wohl erst im Januar kommt, könnten jedoch einige weitere Alternativvorschläge vorliegen, berichtet Jasmin Kohl.
Fit for 55, Teil 2 – die Kommissionsvorschläge in dieser Woche sollen nun doch Dienstag und Mittwoch kommen. Seit Monaten wird bereits um die Frage gestritten, was wirklich nachhaltig, also Grün im Sinne des Green Deal ist. Nicht so grün sind sich Europaparlamentarier und Kommission beim Grünen Wasserstoff, der in der Gasrichtlinie Regulierungsgegenstand ist. Der soll eigentlich wesentlich für die Energiewende werden, doch der Teufel steckt nicht nur im Detail, sondern auch in ganz grundlegenden Fragestellungen, analysiert Timo Landenberger: Das drohende Regelungschaos könnte dem Markt jene dringend benötigte Energie nehmen, die grüner Wasserstoff braucht, wenn der Abschied von Kohle und Gas gelingen soll.
Noch ist die Gesundheitspolitik weitgehend von Nationalstaaten dominiert. Aber auch hier wächst über den Binnenmarkt langsam einiges enger zusammen – die neue HTA-Verordnung für Gesundheitstechnologien ist dafür ein stellvertretendes Beispiel. Eugenie Ankowitsch analysiert die Einzelheiten.
In diesem Sinne: kommen Sie gesund durch den Tag!
Nach der Vorstellung des Fit-for-55-Pakets im vergangenen Juli wird die Europäische Kommission in dieser Woche ihr zweites großes Maßnahmen-Bündel zur Umsetzung des Green Deals präsentieren. Heute bereits will die Brüsseler Behörde mehrere Vorhaben im Verkehrsbereich vorstellen, am Mittwoch sollen dann die Vorschläge zur Gebäudeeffizienz, zu Methanreduktionen und zum Gasmarkt folgen.
Die Neufassungen der Gasmarktrichtlinie sowie der Netzzugangsverordnung sollen den Weg zu klimafreundlicheren Gasen ebnen (Europe.Table berichtete) – allen voran Wasserstoff. Dieser gilt als der Energieträger der Zukunft insbesondere für jene Sektoren, die nicht oder nur schwer elektrifiziert werden können, da bei der Verbrennung nur Wasserdampf entsteht. Entscheidend sind deshalb die Produktionsbedingungen.
Insbesondere für die Übergangszeit wird sogenannter blauer Wasserstoff eine tragende Rolle spielen. Bei der Herstellung wird Erdgas verwendet, das entstehende CO₂ wird aus der Luft abgeschieden und gespeichert (Carbon Capture and Storage, CCS). Langfristig setzt die EU jedoch auf den flächendeckenden Einsatz des grünen Pendants auf Basis Erneuerbarer Energien und verankert dieses Ziel in mehreren Gesetzgebungen. So sieht die Revision der Richtlinie zum Ausbau der Erneuerbaren Energien beispielsweise vor, dass der in der Industrie verwendete Wasserstoff im Jahr 2030 zu mindestens 50 Prozent grün sein muss.
Doch die dafür notwendige Technologie der Elektrolyse steckt noch in den Startlöchern. Die EU setzt deshalb alles daran, den Markthochlauf zu beschleunigen. Das damit verbundene Regelchaos führe jedoch eher zum Gegenteil, sagen Kritiker.
Die Kriterien für die Herstellung von grünem Wasserstoff definiert die EU-Kommission in einem sogenannten delegierten Rechtsakt, der noch in diesem Jahr vorgelegt werden soll. Doch bereits das Vorgehen sorgt unter Beobachtern für Unverständnis. Delegierten Rechtsakten geht kein ordentliches Gesetzgebungsverfahren voraus, in dem Parlament und Rat beteiligt werden. Die Regelwerke dienen gemäß EU-Recht vielmehr der “Ergänzung von nicht wesentlichen Vorschriften” und werden von der Kommission direkt erlassen. Das EU-Parlament kann lediglich zustimmen oder ablehnen.
Experten sehen in den Gesetzespaketen rund um kohlenstoffarme und erneuerbare Energien allerdings durchaus wesentliche Vorschriften. “Die Kriterien für die Produktion von grünem Wasserstoff sollten politisch verhandelt werden”, sagt etwa Markus Pieper, Berichterstatter des EU-Parlaments für die Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Der energiepolitische Sprecher der CDU/CSU-Gruppe befürchtet, dass durch den delegierten Rechtsakt der Markthochlauf von Wasserstoff eher verhindert als beschleunigt wird. In einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der Europe.Table vorliegt, bringt Pieper seine Bedenken zum Ausdruck und fordert Nachbesserungen.
Hauptkritikpunkt: Die sogenannte “Zusätzlichkeit”. Laut einem Entwurf des Regelwerks muss der Strom zur Herstellung von grünem Wasserstoff aus neu gebauten Erneuerbare-Energien-Anlagen, insbesondere Windparks stammen. Konkret: die Anlage muss im selben Jahr in Betrieb genommen werden, wie der Elektrolyseur. Damit will die Kommission sicherstellen, dass die massive Produktion von grünem Wasserstoff dem Ziel der Elektrifizierung nicht im Weg steht, sondern vielmehr für zusätzliche Kapazitäten im Bereich der Erneuerbaren sorgt.
Die Anforderungen seien jedoch “unerklärlich streng” und würden “die Energiewende unnötig erschweren”, so Pieper in dem Brief. Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft betont: Die Herstellung von erneuerbarem Wasserstoff und die damit verbundene steigende Nachfrage werde automatisch ein zusätzliches Angebot von Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien auslösen. Eine strenge anlagenbezogene “Zusätzlichkeit” sei nicht erforderlich.
Außerdem betrage die durchschnittliche Entwicklungszeit von Windparks an Land vier bis fünf Jahre, für Offshore-Anlagen sogar sieben bis zehn. Somit könnte kein Elektrolyseur vor Mitte oder Ende der 2020er Jahre in Betrieb gehen. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert, die Produktion nicht auf die Nutzung von Neuanlagen zu begrenzen, sondern vielmehr die langwierigen Genehmigungsverfahren zu verkürzen und den Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv zu beschleunigen.
Zudem schreibt der Kommissionsentwurf vor, dass Elektrolyseur und Windpark eine “physische Einheit” bilden müssen. Energieerzeugung und Verbrauch sollen sogar innerhalb einer Stunde erfolgen. Anders als im Strommarkt, wo grüner Strom mittels Zertifikatehandel an einem Ort gekauft werden kann und vom Produzenten an einem anderen Ort ins Stromnetz eingespeist wird. Und das auch dann, wenn der vom Käufer tatsächlich genutzte Strom gar nicht aus erneuerbaren Energien stammt.
“Dadurch steigt der Anteil Erneuerbarer Energien am Gesamtmix”, so Pieper. Der Abgeordnete fordert die Kommission auf, ein vergleichbares System auch für Wasserstoff zu ermöglichen. Denn um wirtschaftlich rentabel zu sein, müsse ein Elektrolyseur dauerhaft Wasserstoff produzieren können. Durch die strengen Zeitvorgaben werde jedoch ein ständiges Hoch- und Runterfahren erforderlich. Zumal die Regionen mit hohem Potenzial für Erneuerbare Energien und jene mit hoher Nachfrage sehr ungleich über die EU verteilt seien.
Auch der BDI fordert, die Kriterien für die Herstellung von grünem Wasserstoff “so eng wie möglich an die Grundprinzipien des europäischen Strombinnenmarktes zu knüpfen”. So wäre der Nachweis des Grünstrombezugs über marktbasierte Mechanismen wie Herkunftsnachweise erfolgt und gäbe es keine Begrenzung auf nationale Gebotszonen, sagt der stellvertretende BDI-Geschäftsführer Holger Lösch zu Europe.Table
Dabei hat Pieper neben der großen Industrie auch insbesondere kleinere Start-Ups im Blick, die in Erwartung eines Markthochlaufs innovative Elektrolyse-Technologien entwickeln, die in der EU dringend benötigt werden. Doch durch die strengen Vorgaben des geplanten Rechtsaktes sei dies praktisch unmöglich. “In Europa steht die Elektrolyseur-Industrie noch in den Startlöchern. Sollte es uns nicht gelingen, einen heimischen Markt für unsere Technologie zu schaffen bliebe nur die Möglichkeit, chinesische oder amerikanische Elektrolyseure zu kaufen, da die Quoten für grüne Wasserkraft erfüllt werden müssen und Europa sich zum Ziel gesetzt hat, im Jahr 2024 eine Elektrolyseurkapazität von 6 GW zu erreichen”, schreibt Pieper in seinem Brief an die Kommission.
“Ein großer Gewinn für Mädchen und Frauen heute“, twitterte Alexandra Geese, IMCO-Schattenberichterstatterin für die Fraktion Grüne/EFA, gestern Abend im Anschluss an die Abstimmung der Kompromissvorschläge zum Digital Services Act. Ihr Vorschlag, Plattformen mit überwiegend nutzergenerierten pornografischen Inhalten besondere Sorgfaltspflichten aufzuerlegen, war angenommen worden. Geese hatte vor der Abstimmung selbst von einer 50-50 Chance für ihren Vorschlag gesprochen. Die Fraktionen GUE/NGL und Renew hatten ihn unterstützt. Nutzer:innen, die Inhalte auf Pornoplattformen verbreiten, sollen demnach eine Zwei-Faktor-Authentifizierung durchlaufen sowie eine geprüfte E-Mail-Adresse als auch eine verifizierte Mobilnummer hinterlegen müssen. Zudem sollen die Anbieter:innen spezielle Verfahren einhalten, um bei Beschwerden von illegaler Verbreitung Betroffener ein Prüfverfahren einzuleiten und spätestens nach 48 Stunden eine Entscheidung zu treffen.
Sozialdemokraten, Linke und Grüne konnten sich nicht mit ihrer Forderung nach einem vollständigen Verbot von personalisierter Werbung durchsetzen (Europe.Table berichtete). Stattdessen sieht der Kompromissvorschlag zum Digital Services Act nun vor, die umstrittene Werbe-Praxis für Minderjährige zu verbieten. Volljährige Nutzer:innen sollen zudem die Wahl haben, ob sie der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten zustimmen. Die Ratsposition ist hier wesentlich weniger ambitioniert: Sie sieht lediglich Transparenzpflichten für besonders große Plattformen (Artikel 30) sowie Verhaltens-Kodizes für die Werbebranche (Artikel 36) vor (Europe.Table berichtete).
Rebekka Weiß, Leiterin Vertrauen und Sicherheit beim Bitkom, begrüßt, dass die personalisierte Werbung nicht vollständig verboten werden soll. “Würde die personalisierte Werbung erschwert oder verhindert werden, würden bestimmte Angebote und Dienste für die Verbraucherinnen und Verbraucher wohl nicht mehr kostenfrei zur Verfügung stehen können”, sagt sie.
Die Europaabgeordneten haben sich mit einem eigenständigen Artikel (13 a) für ein Verbot der sogenannten Dark Patterns für alle Diensteanbieter ausgesprochen (Europe.Table berichtete). Damit soll es Anbietern künftig untersagt sein, Nutzeroberflächen so zu gestalten, dass sie Nutzer zu für sie selbst nachteilige Entscheidungen verleiteten. Auch der Rat sieht ein solches Verbot vor, im Gegensatz zum Parlament fällt es jedoch schwächer aus: Es soll nur für besonders große Plattformen (VLOPs) gelten.
Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (VZBV), begrüßt den IMCO-Kompromiss zu den Dark Patterns sowie andere vorgeschriebene Sorgfaltspflichten wie Identitätsüberprüfungen. Ihm geht die Position aber vor allem mit Blick auf die Verantwortlichkeit von Online-Marktplätzen nicht weit genug: “Diese Sorgfaltspflichten könnten zum zahnlosen Tiger werden, da Verstöße keine unmittelbaren Konsequenzen für die Online-Marktplätze haben”, so Müller. Die Verbraucherschützer hatten darauf gepocht, dass ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten (Artikel 22) in die Ausnahmeregelung zur Haftungsbefreiung (Artikel 5 (3)) aufgenommen wird – ohne Erfolg.
Berichterstatterin Schaldemose war mit ihrem Vorschlag, Online-Marktplätze unabhängig von ihrer Größe für den Verstoß von Verkäufer:innen aus Drittstaaten haftbar zu machen (Artikel 22), auf starken Widerstand gestoßen. Der Kompromissvorschlag zum Digital Services Act sieht nun vor, dass: Klein- und Kleinstunternehmen bei der Kommission eine Ausnahmeregelung für Artikel 22 beantragen können. Die Kommission soll daraufhin den Antrag zusammen mit dem europäischen Ausschuss der Digital Services Coordinators prüfen und ihre Entscheidung in Form eines delegierten Rechtsakts treffen. Besonders Renew hatte sich für die Ausnahme Regelung starkgemacht.
Der Vorstandsvorsitzende des Verbands der Internetwirtschaft Eco Oliver Süme begrüßt die Ausnahmeregelung und warnt davor, den DSA durch Spezialregelungen zu überfrachten: “Es ist uns wichtig, dass die dort festgeschriebenen Verpflichtungen auch und insbesondere für kleine und Kleinstunternehmen umsetzbar bleiben, oder diese davon ausgenommen werden”, sagt er.
Martin Schirdewan, IMCO-Schattenberichterstatter für die Fraktion GUE/NGL widerspricht dem klar: “Die jetzt vorgesehenen umfangreichen Ausnahmeregeln für kleine und teils mittlere Unternehmen führen zu einem schwer umsetzbaren, bürokratischen Monster.” Er fordert, dass die Regeln für alle Unternehmen gelten, die mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigen.
Ein Erfolg für die Grünen/EFA ist die Ausweitung des Artikels 31. Anders als im Kommissionsvorschlag vorgesehen, sollen nicht nur die Kommission, die nationalen Aufsichtsbehörden (Digital Services Coordinators) und zugelassene Forscher Zugriff auf die Daten von besonders großen Plattformen bekommen, um systemische Risiken untersuchen zu können. Auch NGOs sollen nun Zugriff bekommen. Diese spielen bei der Feststellung von systemischen Risiken eine entscheidende Rolle, wie auch die Whistleblowerin Frances Haugen bei ihrer Anhörung im Europaparlament betonte (Europe.Table berichtete) betonte. “Wir wollten auch Medienorganisationen in den Artikel aufnehmen, dafür gab es aber keine Mehrheit”, sagt die Europaabgeordnete Geese.
Berichterstatterin Schaldemose hatte ursprünglich eine Verpflichtung für Online-Plattformen vorgeschlagen, illegale Inhalte binnen 24 Stunden zu entfernen, sofern diese eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Gesundheit darstellen. Diese findet sich jedoch nicht im finalen Kompromiss wieder, weil die Dänin dafür keine Mehrheit bekam.
Das Thema wird in den Trilogverhandlungen sicher erneut hochkommen, denn Löschfristen wurden auch im Rat kontrovers diskutiert. Die Mitgliedstaaten einigten sich schließlich darauf, dass im Fall einer Meldung durch sogenannte Trusted Flagger die Mehrheit illegaler Hass-Inhalte binnen weniger als 24 Stunden gelöscht werden soll. In anderen Fällen sollen die Fristen unterschiedlich sein, abhängig vom Inhalt und der Komplexität. Auffällig ist aber, dass sich die genauen Fristen nicht im eigentlichen Gesetzestext wiederfinden, sondern nur in den Erwägungsgründen (46 und 58). Deutschland kündigte bereits an, dass es sich im Trilog für ambitioniertere und rechtlich verbindliche Löschfristen starkmachen werde (Europe.Table berichtete).
Tiemo Wölken, S&D-Schattenberichterstatter für den DSA im Rechtsausschuss, zeigt sich von den Kompromissen enttäuscht: “Gerade die Kompromisse zu Werbung und algorithmischen Empfehlungssystemen bleiben mutlos. Nutzer:innen brauchen echte Kontrolle über ihre Daten und die Inhalte, die sie zu Gesicht bekommen, aber davon sind die Kompromisse leider weit entfernt”, sagt er. Daher will er sich dafür einsetzen, dass bis zur Abstimmung im Plenum im Januar ambitionierte Alternativvorschläge auf dem Tisch liegen.
Ähnlich sieht es Patrick Breyer (Grüne/EFA), DSA-Berichterstatter für den Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. Nur wenige Empfehlungen des LIBE-Ausschusses seien in den Kompromisstext aufgenommen worden: “Zur Plenarabstimmung im Januar wird mein Ausschuss voraussichtlich eine ganze Reihe von Änderungsanträgen zum Schutz von Privatsphäre und Meinungsfreiheit vorlegen“, so Breyer.
15.12.2021 – 10:00 Uhr, online
EC, Presentation Protect, prepare and transform Europe – Build forward better
This event will present the work of the European Commission’s (EC) Expert Group on the Economic and Societal Impact of Research and Innovation (ESIR) and focus on how Europe can emerge stronger from the pandemic. INFOS
15.12.2021 – 12:00-17:45 Uhr, Köln/online
Medienakademie, Podiumsdiskussion Next Generation Internet – Noch kein Grund für Industrie 5.0?
Die Expert:innen der Deutschen Medienakademie beschäftigen sich in Vorträgen und Diskussionen mit dem aktuellen Entwicklungsstand der industriellen Automatisierung. Besonders wird auf die Themen Automatisierung und Prozesse; Chancen, Risiken und Resilienz sowie Sensorik, Connectivity und Big Data eingegangen. INFOS & ANMELDUNG
15.12.2021 – 15:00-16:00 Uhr, online
SPE, Presentation EU Market Outlook for Solar Power 2021-2025
On the occasion of the publication of the EU Market Outlook for Solar Power 2021-2025, Solar Power Europe (SPE) speakers will present forecasts for the EU solar market in 2021 and different evolution scenarios of the market until 2025. REGISTRATION
15.12.2021 – 16:00-17:00 Uhr, online
Eco, Vortrag Mit Blockchain und KI unternehmensübergreifend produktive Daten teilen
Die Referent:innen des Verbandes der Internetwirtschaft (Eco) geben einen Überblick über das Forschungsprojekt “Kollaborative Smart Contracting Plattform für digitale Wertschöpfungsnetze” (KOSMoS), das die Realisierung von datengetriebenen Geschäftsmodellen über die Unternehmensgrenzen hinaus ermöglicht. INFOS & ANMELDUNG
15.12.2021 – 17:00-18:30 Uhr, online
VBW, Podiumsdiskussion Rohstoffversorgung langfristig sichern
Bei dieser Veranstaltung wird die aktuelle Fassung der Studie “Rohstoffsituation der bayerischen Wirtschaft”, durchgeführt von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (VBW), vorgestellt sowie über die Anforderungen an eine langfristig sichere Rohstoffversorgung diskutiert. ANMELDUNG BIS 14.12.2021
16.12.2021 – 09:30-10:30 Uhr, online
Eurogas, Panel Discussion Moving forward with Gas Decarbonisation
This Eurogas event will address how a revision of the EU rules on gas can be achieved with the goal of carbon neutrality until 2050. INFOS & REGISTRATION
16.12.2021 – 15:45-17:15 Uhr, online
BDI, Vortrag Klimapfade 2.0 – Fokus Gebäude
Bei dieser Veranstaltung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) soll es darum gehen, wie ein klimafreundlicher Gebäudesektor realisiert werden kann und welche politischen Maßnahmen hierfür notwendig sind. INFOS & ANMELDUNG
16.12.-17.12.2021, online
EUDIGIT, Seminar Digitalization and Public Administration
How can cities become better places to live using digital service and inclusive approaches to city management? The EUDIGIT seminar will share experiences on how to adapt city life to new realities. INFOS & REGISTRATION
Ab dem Jahr 2024 sollen die EU-Mitgliedsstaaten gemeinsame Nutzenbewertungen von Gesundheitstechnologien (Health Technology Assessments, HTA) erstellen. Damit könnte es 2025 erste gemeinsame HTA-Berichte geben: zunächst bei Krebsmedikamenten, später auch für Arzneimittel gegen seltene Krankheiten und schließlich für alle anderen Medikamente und Medizinprodukte. Doch anders als im ursprünglichen Kommissionsvorstoß vorgesehen werden sie für die Mitgliedstaaten nicht bindend sein.
Eine Koordinierungsgruppe aus nationalen Gesundheitsbehörden soll zwar gemeinsame klinische Bewertungen erarbeiten. Die Ergebnisse der gemeinsamen wissenschaftlichen Bewertungen sollen die vorgelegte Evidenz jedoch lediglich beschreiben. Für die Bewertung und die Preisfindung bleiben ausschließlich die HTA-Agenturen in den Mitgliedstaaten zuständig. Dennoch zeigte sich Berichterstatter Tiemo Wölken (SPD/S&D) zufrieden mit dem Ergebnis: “Wir können von Anfang an dafür sorgen, dass innovative Arzneimittel europäisch bewertet werden und eine Fragmentierung des Marktes vermieden wird.”
Damit die gemeinsame Bewertung in den nationalen Verfahren dennoch berücksichtigt wird, verpflichtet die neue HTA-Verordnung die EU-Staaten, den Bericht zu verwenden und Wiederholungen in den HTA-Gesamtabläufen der Mitgliedstaaten zu vermeiden. Dennoch dürfen die nationalen HTA-Agenturen grundsätzlich nachbewerten. Damit wurde das ursprüngliche Ziel der verbindlich umzusetzenden harmonisierten Nutzenbewertungen verfehlt.
Aktuell wird der HTA-Prozess von über 50 europäischen HTA-Agenturen durchgeführt. In Deutschland etwa werden alle neu zugelassenen Arzneimittel einer Nutzenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) unterzogen. Das Ergebnis ist die Entscheidungsgrundlage für die Preisverhandlungen mit den Krankenkassen.
Kleinere Länder wie Litauen oder Zypern können sich jedoch keine eigenen HTA-Institutionen leisten. Sie könnten aber von dem Know-how der größeren Länder profitieren, argumentierte die EU-Kommission, als sie Anfang 2018 ihren Vorschlag zur HTA-Verordnung vorlegte. So sollte außerdem Doppelarbeit – sowohl bei Pharmafirmen als auch in den einzelnen Mitgliedsstaaten – vermieden werden. Zudem sollte der Zugang für Patienten zu neuen Therapien verbessert und beschleunigt werden.
Gegen den Vorschlag regte sich umgehend heftiger Widerstand. Vor allem größere EU-Länder mit eigenen Verfahren, etwa Deutschland und Frankreich, lehnten den Vorstoß der EU-Kommission ab. Bei Akteuren im deutschen Gesundheitssystem stieß der Entwurf auf geteiltes Echo. Während die international operierende Industrie die Harmonisierungsbestrebungen grundsätzlich befürwortete, wurden sie in der Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen sowie beim IQWiG und beim Gemeinsamen Bundesausschuss teils heftig kritisiert.
Zentraler Streitpunkt war die ursprünglich geplante Verbindlichkeit der harmonisierten Bewertungen für nationale Nutzenentscheidungen. Deutschland und Frankreich legten zusammen mit weiteren Mitgliedsstaaten deshalb eine förmliche Subsidiaritätsrüge vor, der sich jedoch zu wenig andere Länder anschlossen. Zum inhaltlichen Streit kam Anfang 2020 die COVID19-Pandemie dazu, insgesamt ein knappes Jahr wurden die Verhandlungen unterbrochen wurden. Erst im Frühjahr 2021 folgte die Einigung im Rat, anschließend der Trilog mit Parlament und Kommission. Dieser Kompromiss wurde vom EP nun beschlossen.
Das in Deutschland für die Nutzenbewertung zuständige IQWiG reagierte verhalten auf die Verabschiedung der HTA-Verordnung. “Das System der Nutzenbewertung von Gesundheitstechnologien funktioniert in Deutschland sehr gut und hat eine hohe Akzeptanz – auch bei der Industrie”, sagt IQWiG-Sprecher Jens Flintrop. Von der neuen europäischen Regelung verspreche man sich keinen unmittelbaren Vorteil für das deutsche Gesundheitssystem. Sie schade aber auch nicht, so Flintrop, “solange wir uns auf einheitliche Standards einigen können.” Er sieht auch positive Aspekte: “Wenn durch die Harmonisierung auch in anderen EU-Ländern neue Arzneimittel schnell zugänglich werden und die Preisgestaltung transparenter und fairer wird, so ist das auch in unserem Sinne.”
Insgesamt weitaus positiver bewertet Gesundheitsökonom Reinhard Busse von der Technischen Universität Berlin die europäischen Regelungen. “Vor allem bezüglich der Nutzenbewertung von Medizinprodukten kann auch Deutschland von der neuen Verordnung profitieren”, erklärte er gegenüber Europe.Table. Denn dort sieht er hierzulande deutliche Defizite. “Da in Zukunft auf europäischer Ebene mehr solche Bewertungen vorliegen werden, wächst der Zugzwang, mehr Medizinprodukte einer Nutzenbewertung zu unterziehen”, so Busse.
Auch mit Blick auf die Durchschlagskraft der neuen HTA-Verordnung ist Busse optimistisch und betont die “Macht des Faktischen”: Deutschland werde kaum einen guten Grund für Abweichungen von EU-Standards nennen können. Denn dann müsse es erklären, “dass das, was für die anderen 26 Länder gilt, für Deutschland nicht ausreichend ist.”
Die Neuregelung schreibt eine Übergangsfrist von drei Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung vor. Danach sollen die neuen Regelungen unmittelbar gültig werden. In dieser Phase sollen unter anderem methodische Fragestellungen geklärt werden. Den Zuschlag für die Entwicklung der methodischen Grundlagen erhielt das Konsortium “EUnetHTA21“. Diesem gehören 13 Organisationen aus dem europäischen HTA-Netzwerk EUnetHTA an, darunter aus Deutschland IQWiG und der G-BA, zudem HTA-Agenturen aus Spanien, Österreich, Belgien, Frankreich, Italien, Portugal, Irland, Ungarn, Norwegen, Schweden und der Niederlande.
Bundesfinanzminister Christian Lindner betont bei seiner ersten Auslandsreise im neuen Amt, stark mit Frankreich zusammenarbeiten zu wollen. Anfang 2022 ergebe sich eine gute Gelegenheit, hier voranzukommen, sagte der FDP-Chef am Montag in Paris vor einem Abendessen mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire. Denn Frankreich habe im ersten Halbjahr die europäische Ratspräsidentschaft inne und Deutschland den Vorsitz der sieben führenden Industrienationen (G7).
Lindner erklärte, es müsse ein Spagat gelingen – zwischen soliden Finanzen, aber auch mehr Investitionen für den Umbau der Wirtschaft Richtung Klimaneutralität. Rund um den Globus gebe es eine erhöhte Inflation. “Dieses Risiko ist real.” Es brauche deswegen immer auch Stabilität. “Eine wachsende Wirtschaft – das ist die beste Voraussetzung auch für stabile Staatsfinanzen.” Europa müsse finanzielle Puffer schaffen in den nächsten Jahren. Bei den EU-Schuldenobergrenzen sollte nicht nur über die Regeln diskutiert werden, sondern über die richtige Finanzpolitik für die momentanen Herausforderungen.
Frankreich will die Schuldenregeln in der EU gerne ändern. Aus Sicht der neuen Bundesregierung hat der sogenannte Stabilitäts- und Wachstumspakt in der Corona-Krise aber seine Flexibilität unter Beweis gestellt. Der Fokus sollte daher stärker darauf liegen, die Mittel aus dem 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds einzusetzen.
Le Maire sagte, die Diskussion über die EU-Regeln sei wichtig. “Wir sind hier aber nicht in Eile.” Europa könne sich Zeit nehmen für einen Kompromiss. Diesen erwarten viele Experten im Laufe des nächsten Jahres.
Frankreich werde im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft einen Fokus auf mehr Investitionen legen, so Le Maire. Er lobte in diesem Zusammenhang den Nachtragshaushalt in Deutschland im Volumen von 60 Milliarden Euro, die als Klima-Rücklage für spätere Investitionen dienen sollen. Das komme zu rechten Zeit. “Wir sehen beide Seiten”, ergänzte Bundesfinanzminister Lindner in Frankreich. Deutschland stelle jetzt Mittel für mehr Investitionen bereit, wolle die Schuldenbremse ab 2023 aber auch wieder einhalten, um Stabilität zu zeigen. rtr
Die Europäische Kommission wird vor dem EU-Gipfel am Donnerstag konkrete Pläne für ein System zur gemeinsamen Beschaffung von Erdgas vorlegen. “Die Vorschläge werden einen Rahmen für die gemeinsame Beschaffung strategischer Gasvorräte durch regulierte Unternehmen auf freiwilliger Basis beinhalten”, schreibt die Behörde in einem Schreiben an die Mitgliedstaaten, das Reuters vorlag. Die Initiative wird Teil des Vorschlages zur Aktualisierung der EU-Gasmarktregeln sein, den die Kommission am Mittwoch veröffentlicht.
Die europäischen Gaspreise waren im Oktober aufgrund der knappen Versorgung und der hohen Nachfrage der sich erholenden Weltwirtschaft auf Rekordhöhen gestiegen. Die Preise sanken vorübergehend, sind aber wegen des kalten Winterwetters und der geringer als erwartet ausgefallenen Importe aus Russland wieder angestiegen. Dies veranlasste viele Regierungen, die Verbraucher über Subventionen und Steuererleichterungen vor hohen Rechnungen zu schützen. Einige Länder forderten überdies ein EU-System für den gemeinsamen Gaseinkauf.
Das neue System werde “zu koordinierten EU-Maßnahmen im Falle eines unionsweiten Notfalls beitragen”, heißt es in dem von Reuters eingesehenen Dokument. Die EU-Mitgliedstaaten sollten durch Zusammenarbeit auf regionaler Ebene in der Lage sein, im Bedarfsfall auf Erdgas-Speicher in anderen Ländern zurückzugreifen. Die Speicherung soll in die Bewertung der Risiken für die Gasversorgungssicherheit der EU-Länder einfließen, einschließlich der Risiken im Zusammenhang mit ausländischem Eigentum an der Speicherinfrastruktur.
Geringere Mengen als erwartet aus Russland haben einige EU-Länder und Gesetzgeber dazu veranlasst, eine Untersuchung zu fordern, ob Gazprom in den letzten Monaten Lieferungen zurückgehalten hat. Das Unternehmen hat erklärt, es erfülle alle vertraglich vereinbarten Lieferverpflichtungen. Die Importe von Erdgas aus Russland in die EU waren im Oktober und November um 25 Prozent niedriger als im gleichen Zeitraum des Jahres 2020, während die Gazprom-eigenen Speicher in der EU “deutlich niedriger” befüllt sind als im letzten Jahr, so das EU-Dokument. tho/rtr
Die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP schafft sich ein Polster für Klimainvestitionen in den kommenden Jahren. Mit einem weiteren Nachtragshaushalt für 2021 werden ungenutzte Kredite über 60 Milliarden Euro im Klimafonds geparkt, wie das Bundesfinanzministerium am Montag mitteilte. Das Kabinett brachte in seiner zweiten Sitzung unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine entsprechende Vorlage von Finanzminister Christian Lindner auf den Weg.
“Es werden keine neuen Schulden aufgenommen”, sagte der FDP-Politiker in Berlin. Der Schritt sei notwendig und verhältnismäßig, um eine Vorsorge für Investitionen zu treffen, die in der Corona-Krise vielfach zu kurz gekommen seien. Der Bundestag muss den Plänen in den nächsten Wochen noch zustimmen, vermutlich bis Ende Januar. Mit den zusätzlichen Milliarden für den Energie- und Klimafonds (EKF), der künftig Klima- und Transformationsfonds (KTF) heißen soll, verschafft sich die Ampel-Koalition eine zusätzliche Rücklage für Investitionen, deren Finanzierung in den Koalitionsverhandlungen weitgehend offengeblieben war.
Der neue Regierungssprecher Steffen Hebestreit betonte, der Nachtragshaushalt sei verfassungskonform. Von manchen Experten wird der Haushaltskniff als rechtlich fragwürdig eingestuft. Er wird überhaupt nur möglich, weil die für 2021 geplante Rekord-Neuverschuldung von bis zu 240 Milliarden Euro bei weitem nicht benötigt wird, um Kosten der Corona-Krise zu decken.
Zur Begründung zieht die Koalition die Corona-Pandemie heran. Viele Investitionen seien als Folge der Pandemie gar nicht oder nicht im geplanten Umfang getätigt worden, heißt es in der Reuters vorliegenden Kabinettsvorlage. Lindner sagte, ein Bestandteil werde sein, den Weg in die Wasserstoff-Wirtschaft zu ebnen. Ein weiterer Bereich werde sein, bei den Stromkosten mehr Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Mit der jetzigen Zuweisung aus dem Nachtragshaushalt für 2021 werde der Klimafonds mit 76,2 Milliarden Euro gefüllt sein. Weitere Zuführungen werde es in den nächsten Jahren über die normale Haushaltsführung geben.
Die für 2021 geplante Nettoneuverschuldung soll laut Kabinettsvorlage mit 240,2 Milliarden Euro unverändert bleiben. Dennoch müsse der Bundestag den Beschluss zur Aussetzung der Schuldenbremse für 2021 erneuern. Insgesamt werde 2021 die zulässige Kreditobergrenze um rund 207 Milliarden Euro überschritten. Lindner äußerte allerdings die Hoffnung, dass die 240 Milliarden Euro am Ende nicht ganz ausgereizt werden würden. rtr
Die Vorschläge der EU-Kommission zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz sollten nach Einschätzung von Fachleuten des Centrums für Europäische Politik (cep) nachgebessert werden. Es sei zwar richtig, für Hochrisiko-KI-Systeme besonders strenge Vorgaben zu machen, schreiben die cep-Experten Matthias Kullas und Lukas Harta in einer neuen Analyse. Allerdings sehen sie noch etliche Schwächen in dem Verordnungsentwurf, die im weiteren Gesetzgebungsprozess adressiert werden sollten (Europe.Table berichtete).
So sei die von der Kommission gewählte Definition von KI-Systemen zu weit gefasst – sie erfasse zahlreiche Softwareanwendungen, die nicht “intelligent”, sondern logik-basiert seien. Als Kriterium solle vielmehr dienen, ob “ein System autonom lernt und Entscheidungen fällt”, fordern sie. Spezifiziert werden müsse zudem das Verbot von Systemen, die mittels “unterschwelliger” Beeinflussung der Nutzer “physischen oder psychischen Schaden” anrichten: “In der vorliegenden Formulierung könnte etwa jede Art von KI-gestützten Werbeanzeigen erfasst sein, sofern sie eine Person beeinflusst, etwas zu tun, das sie später vielleicht bereut”.
Bestimmte Vorgaben seien überdies von Anbietern der Systeme nicht zu erfüllen. So könnten diese kaum garantieren, dass die Datensätze für das Training der KI fehlerfrei und vollständig seien. Auch die Verpflichtung, Nutzern die Ergebnisse ihrer KI-Systeme zu erläutern, sei problematisch – denn deren logischen Schlüsse seien den Anbietern selbst oft nicht bekannt.
Bei biometrischen Fernidentifizierungssystemen, einem besonders umstrittenen Einsatzgebiet von KI, geht den Experten der Kommissionsvorschlag hingegen nicht weit genug: So mache es für Personen, die von der Gesichtserkennung erfasst werden, keinen wesentlichen Unterschied, ob sie in Echtzeit oder mit zeitlichem Abstand von 24 Stunden von den Strafverfolgungsbehörden identifiziert würden. Die Verordnung solle daher untersagen, dass der Einsatz über einen längeren Zeitraum und ohne Beschränkung auf ein bestimmtes Ereignis wie ein von einer Videokamera aufgezeichnetes Verbrechen erfolge.
Bei der Aufsicht über die Regeln warnen Kullas und Harta vor zu viel Spielraum: “Konformitätsprüfungen von Hochrisiko-KI-Systemen durch die Anbieter selbst sind verfehlt”, schreiben sie. Die Prüfungen sollten vielmehr stets durch unabhängige Dritte erfolgen, um die Gefahr oberflächlicher Prüfungen zu minimieren. tho
Sie beschäftigte sich schon mit den rechtlichen Dimensionen der digitalen Welt, als dort nur eine kleine, eingeschworene Community durchblickte: Cornelia Kutterer ist seit über zwanzig Jahren vom Fach. Und seit dreizehn davon bei Microsoft. Als Senior Director, Rule of Law, Responsible Tech & Competition, European Government Affairs leitet sie ein Team, das sich mit den gesetzlichen Aspekten von all dem befasst, was im verantwortlichen Umgang mit Technologien relevant wird. Also digitale Sicherheit, Datenschutz, der Umgang mit künstlicher Intelligenz (KI), Content-Regulierung und viele weitere gesellschaftliche und regulatorische Themen, die technologische Entwicklungen und ihre Auswirkungen betreffen.
Kutterers Augen blitzen, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Etwa davon, wie sie mit der akademischen Welt Fachwissen zu komplexen neuen Technologien diskutiert und damit zur europäischen Meinungsbildung beiträgt. Der Kontakt mit der Kommission, dem Parlament, dem Rat der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten gehört natürlich auch dazu. Microsoft steht, anders als früher, oft nicht in der ersten Linie der kritisierten Unternehmen.
Gerade wird intensiv über den Artificial Intelligence Act diskutiert, den Verordnungsentwurf der EU-Kommission zur horizontalen Regulierung des Einsatzes Künstlicher Intelligenz. Auf der ganzen Welt einige man sich derzeit auf gewisse Werte im Umgang mit KI, sagt Kutterer. Spannend findet sie das im Vergleich zur Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (GDPR) von 2018. Denn: “Nach der GDPR fand weltweit eine regelrechte Welle an Datenschutzregulierungen statt. Die EU hatte da als ‘first mover’ eine Vorreiterrolle. Ich glaube, dass es beim AI-Act ähnlich wird“. Das Gute: Während die Regulierungen beim Datenschutz den technologischen Entwicklungen um einige Jahre hinterherhinkten, finden diese Diskussionen bei KI gleichzeitig statt.
Die gebürtige Stuttgarterin ist Europäerin mit Herz und Seele. Sie lebt mit ihrer Familie in einem Vorort von Brüssel, die drei Kinder haben die belgische Staatsbürgerschaft. Kutterer schwärmt von der kulturellen Vielfalt der flämischen, wallonischen, europäischen und afrikanischen Szenen.
Bereits während des Jurastudiums in Stuttgart, Passau und Hamburg spezialisierte sie sich auf Europa- und Arbeitsrecht. 2000 kam mit einem Online-Master in “Information Technology” eine weitere Expertise hinzu – genau zum richtigen Zeitpunkt. “Damals war das Thema noch ganz in den Anfängen und nicht so kompliziert wie heute”, erzählt sie verschmitzt. Nach Stationen in einer Kanzlei und beim europäischen Verbraucherschutzverband BEUC wurde Kutterer im Jahr 2008 von Microsoft abgeworben. Amüsiert blickt sie zurück: “Das war damals sogar eine Schlagzeile wert: ‘Key Consumer Activist Joins Microsoft’. So etwas passiert heute nicht mehr.”
Zuletzt hat sich der Blickwinkel bei Microsoft noch einmal geweitet. “Inklusion, Nachhaltigkeit, digitale Transition: Die Themen sind größer geworden”. Auch Geopolitik spielt zunehmend eine Rolle. “Die Trumpzeit war für uns als amerikanisches Unternehmen in Brüssel nicht gerade einfach”, bilanziert Kutterer trocken. Doch ob sie sich in Zukunft noch intensiver mit KI auseinandersetzt, mit Quantencomputern oder dem Metaverse: “Es bleibt immer spannend”. Gundula Haage
die neue Bundesregierung sammelt sich noch, das neue Bundesbauministerium hat noch kein Haus (hat da jemand gelacht?), die Vereinbarungen über die Umzüge der einzelnen Einheiten zwischen den einzelnen Häusern sind noch in Arbeit. Zumindest zu Letzterem können wir Ihnen voraussichtlich in der kommenden Ausgabe mehr berichten. Aber zum Zurechtruckeln gehört auch das Ankommen in den neuen Dossiers.
Die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser, der neue Justizminister Marco Buschmann und die Landesinnenminister in Deutschland streiten über die Frage, ob man nicht doch irgendwie gegen Telegram vorgehen könne. Der bei Hasspropagandisten beliebte Anbieter aus Russland mit Firmensitz in Dubai soll nach BMJ-Lesart auch eine Plattform nach Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sein. Allerdings scheitert es bislang schon an der Zustellung eines Anhörungsbogens in den Emiraten. Könnte das nicht ein Fall für den Digital Services Act werden?
Der soll viele alte Regelungen ablösen, womöglich auch in Teilen das NetzDG. Die Ratsposition ist nun auch offiziell final beschlossen, gestern Abend hat nun der Binnenmarktausschuss des EP die Kompromissvorschläge des Schaldemose-Berichts formell für gut befunden. Und auf dem allerletzten Verhandlungsmillimeter erhielt ein weiterer Antrag eine Ausschussmehrheit. Bis zur Abstimmung des EP-Plenums, die wohl erst im Januar kommt, könnten jedoch einige weitere Alternativvorschläge vorliegen, berichtet Jasmin Kohl.
Fit for 55, Teil 2 – die Kommissionsvorschläge in dieser Woche sollen nun doch Dienstag und Mittwoch kommen. Seit Monaten wird bereits um die Frage gestritten, was wirklich nachhaltig, also Grün im Sinne des Green Deal ist. Nicht so grün sind sich Europaparlamentarier und Kommission beim Grünen Wasserstoff, der in der Gasrichtlinie Regulierungsgegenstand ist. Der soll eigentlich wesentlich für die Energiewende werden, doch der Teufel steckt nicht nur im Detail, sondern auch in ganz grundlegenden Fragestellungen, analysiert Timo Landenberger: Das drohende Regelungschaos könnte dem Markt jene dringend benötigte Energie nehmen, die grüner Wasserstoff braucht, wenn der Abschied von Kohle und Gas gelingen soll.
Noch ist die Gesundheitspolitik weitgehend von Nationalstaaten dominiert. Aber auch hier wächst über den Binnenmarkt langsam einiges enger zusammen – die neue HTA-Verordnung für Gesundheitstechnologien ist dafür ein stellvertretendes Beispiel. Eugenie Ankowitsch analysiert die Einzelheiten.
In diesem Sinne: kommen Sie gesund durch den Tag!
Nach der Vorstellung des Fit-for-55-Pakets im vergangenen Juli wird die Europäische Kommission in dieser Woche ihr zweites großes Maßnahmen-Bündel zur Umsetzung des Green Deals präsentieren. Heute bereits will die Brüsseler Behörde mehrere Vorhaben im Verkehrsbereich vorstellen, am Mittwoch sollen dann die Vorschläge zur Gebäudeeffizienz, zu Methanreduktionen und zum Gasmarkt folgen.
Die Neufassungen der Gasmarktrichtlinie sowie der Netzzugangsverordnung sollen den Weg zu klimafreundlicheren Gasen ebnen (Europe.Table berichtete) – allen voran Wasserstoff. Dieser gilt als der Energieträger der Zukunft insbesondere für jene Sektoren, die nicht oder nur schwer elektrifiziert werden können, da bei der Verbrennung nur Wasserdampf entsteht. Entscheidend sind deshalb die Produktionsbedingungen.
Insbesondere für die Übergangszeit wird sogenannter blauer Wasserstoff eine tragende Rolle spielen. Bei der Herstellung wird Erdgas verwendet, das entstehende CO₂ wird aus der Luft abgeschieden und gespeichert (Carbon Capture and Storage, CCS). Langfristig setzt die EU jedoch auf den flächendeckenden Einsatz des grünen Pendants auf Basis Erneuerbarer Energien und verankert dieses Ziel in mehreren Gesetzgebungen. So sieht die Revision der Richtlinie zum Ausbau der Erneuerbaren Energien beispielsweise vor, dass der in der Industrie verwendete Wasserstoff im Jahr 2030 zu mindestens 50 Prozent grün sein muss.
Doch die dafür notwendige Technologie der Elektrolyse steckt noch in den Startlöchern. Die EU setzt deshalb alles daran, den Markthochlauf zu beschleunigen. Das damit verbundene Regelchaos führe jedoch eher zum Gegenteil, sagen Kritiker.
Die Kriterien für die Herstellung von grünem Wasserstoff definiert die EU-Kommission in einem sogenannten delegierten Rechtsakt, der noch in diesem Jahr vorgelegt werden soll. Doch bereits das Vorgehen sorgt unter Beobachtern für Unverständnis. Delegierten Rechtsakten geht kein ordentliches Gesetzgebungsverfahren voraus, in dem Parlament und Rat beteiligt werden. Die Regelwerke dienen gemäß EU-Recht vielmehr der “Ergänzung von nicht wesentlichen Vorschriften” und werden von der Kommission direkt erlassen. Das EU-Parlament kann lediglich zustimmen oder ablehnen.
Experten sehen in den Gesetzespaketen rund um kohlenstoffarme und erneuerbare Energien allerdings durchaus wesentliche Vorschriften. “Die Kriterien für die Produktion von grünem Wasserstoff sollten politisch verhandelt werden”, sagt etwa Markus Pieper, Berichterstatter des EU-Parlaments für die Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Der energiepolitische Sprecher der CDU/CSU-Gruppe befürchtet, dass durch den delegierten Rechtsakt der Markthochlauf von Wasserstoff eher verhindert als beschleunigt wird. In einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der Europe.Table vorliegt, bringt Pieper seine Bedenken zum Ausdruck und fordert Nachbesserungen.
Hauptkritikpunkt: Die sogenannte “Zusätzlichkeit”. Laut einem Entwurf des Regelwerks muss der Strom zur Herstellung von grünem Wasserstoff aus neu gebauten Erneuerbare-Energien-Anlagen, insbesondere Windparks stammen. Konkret: die Anlage muss im selben Jahr in Betrieb genommen werden, wie der Elektrolyseur. Damit will die Kommission sicherstellen, dass die massive Produktion von grünem Wasserstoff dem Ziel der Elektrifizierung nicht im Weg steht, sondern vielmehr für zusätzliche Kapazitäten im Bereich der Erneuerbaren sorgt.
Die Anforderungen seien jedoch “unerklärlich streng” und würden “die Energiewende unnötig erschweren”, so Pieper in dem Brief. Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft betont: Die Herstellung von erneuerbarem Wasserstoff und die damit verbundene steigende Nachfrage werde automatisch ein zusätzliches Angebot von Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien auslösen. Eine strenge anlagenbezogene “Zusätzlichkeit” sei nicht erforderlich.
Außerdem betrage die durchschnittliche Entwicklungszeit von Windparks an Land vier bis fünf Jahre, für Offshore-Anlagen sogar sieben bis zehn. Somit könnte kein Elektrolyseur vor Mitte oder Ende der 2020er Jahre in Betrieb gehen. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie fordert, die Produktion nicht auf die Nutzung von Neuanlagen zu begrenzen, sondern vielmehr die langwierigen Genehmigungsverfahren zu verkürzen und den Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv zu beschleunigen.
Zudem schreibt der Kommissionsentwurf vor, dass Elektrolyseur und Windpark eine “physische Einheit” bilden müssen. Energieerzeugung und Verbrauch sollen sogar innerhalb einer Stunde erfolgen. Anders als im Strommarkt, wo grüner Strom mittels Zertifikatehandel an einem Ort gekauft werden kann und vom Produzenten an einem anderen Ort ins Stromnetz eingespeist wird. Und das auch dann, wenn der vom Käufer tatsächlich genutzte Strom gar nicht aus erneuerbaren Energien stammt.
“Dadurch steigt der Anteil Erneuerbarer Energien am Gesamtmix”, so Pieper. Der Abgeordnete fordert die Kommission auf, ein vergleichbares System auch für Wasserstoff zu ermöglichen. Denn um wirtschaftlich rentabel zu sein, müsse ein Elektrolyseur dauerhaft Wasserstoff produzieren können. Durch die strengen Zeitvorgaben werde jedoch ein ständiges Hoch- und Runterfahren erforderlich. Zumal die Regionen mit hohem Potenzial für Erneuerbare Energien und jene mit hoher Nachfrage sehr ungleich über die EU verteilt seien.
Auch der BDI fordert, die Kriterien für die Herstellung von grünem Wasserstoff “so eng wie möglich an die Grundprinzipien des europäischen Strombinnenmarktes zu knüpfen”. So wäre der Nachweis des Grünstrombezugs über marktbasierte Mechanismen wie Herkunftsnachweise erfolgt und gäbe es keine Begrenzung auf nationale Gebotszonen, sagt der stellvertretende BDI-Geschäftsführer Holger Lösch zu Europe.Table
Dabei hat Pieper neben der großen Industrie auch insbesondere kleinere Start-Ups im Blick, die in Erwartung eines Markthochlaufs innovative Elektrolyse-Technologien entwickeln, die in der EU dringend benötigt werden. Doch durch die strengen Vorgaben des geplanten Rechtsaktes sei dies praktisch unmöglich. “In Europa steht die Elektrolyseur-Industrie noch in den Startlöchern. Sollte es uns nicht gelingen, einen heimischen Markt für unsere Technologie zu schaffen bliebe nur die Möglichkeit, chinesische oder amerikanische Elektrolyseure zu kaufen, da die Quoten für grüne Wasserkraft erfüllt werden müssen und Europa sich zum Ziel gesetzt hat, im Jahr 2024 eine Elektrolyseurkapazität von 6 GW zu erreichen”, schreibt Pieper in seinem Brief an die Kommission.
“Ein großer Gewinn für Mädchen und Frauen heute“, twitterte Alexandra Geese, IMCO-Schattenberichterstatterin für die Fraktion Grüne/EFA, gestern Abend im Anschluss an die Abstimmung der Kompromissvorschläge zum Digital Services Act. Ihr Vorschlag, Plattformen mit überwiegend nutzergenerierten pornografischen Inhalten besondere Sorgfaltspflichten aufzuerlegen, war angenommen worden. Geese hatte vor der Abstimmung selbst von einer 50-50 Chance für ihren Vorschlag gesprochen. Die Fraktionen GUE/NGL und Renew hatten ihn unterstützt. Nutzer:innen, die Inhalte auf Pornoplattformen verbreiten, sollen demnach eine Zwei-Faktor-Authentifizierung durchlaufen sowie eine geprüfte E-Mail-Adresse als auch eine verifizierte Mobilnummer hinterlegen müssen. Zudem sollen die Anbieter:innen spezielle Verfahren einhalten, um bei Beschwerden von illegaler Verbreitung Betroffener ein Prüfverfahren einzuleiten und spätestens nach 48 Stunden eine Entscheidung zu treffen.
Sozialdemokraten, Linke und Grüne konnten sich nicht mit ihrer Forderung nach einem vollständigen Verbot von personalisierter Werbung durchsetzen (Europe.Table berichtete). Stattdessen sieht der Kompromissvorschlag zum Digital Services Act nun vor, die umstrittene Werbe-Praxis für Minderjährige zu verbieten. Volljährige Nutzer:innen sollen zudem die Wahl haben, ob sie der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten zustimmen. Die Ratsposition ist hier wesentlich weniger ambitioniert: Sie sieht lediglich Transparenzpflichten für besonders große Plattformen (Artikel 30) sowie Verhaltens-Kodizes für die Werbebranche (Artikel 36) vor (Europe.Table berichtete).
Rebekka Weiß, Leiterin Vertrauen und Sicherheit beim Bitkom, begrüßt, dass die personalisierte Werbung nicht vollständig verboten werden soll. “Würde die personalisierte Werbung erschwert oder verhindert werden, würden bestimmte Angebote und Dienste für die Verbraucherinnen und Verbraucher wohl nicht mehr kostenfrei zur Verfügung stehen können”, sagt sie.
Die Europaabgeordneten haben sich mit einem eigenständigen Artikel (13 a) für ein Verbot der sogenannten Dark Patterns für alle Diensteanbieter ausgesprochen (Europe.Table berichtete). Damit soll es Anbietern künftig untersagt sein, Nutzeroberflächen so zu gestalten, dass sie Nutzer zu für sie selbst nachteilige Entscheidungen verleiteten. Auch der Rat sieht ein solches Verbot vor, im Gegensatz zum Parlament fällt es jedoch schwächer aus: Es soll nur für besonders große Plattformen (VLOPs) gelten.
Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (VZBV), begrüßt den IMCO-Kompromiss zu den Dark Patterns sowie andere vorgeschriebene Sorgfaltspflichten wie Identitätsüberprüfungen. Ihm geht die Position aber vor allem mit Blick auf die Verantwortlichkeit von Online-Marktplätzen nicht weit genug: “Diese Sorgfaltspflichten könnten zum zahnlosen Tiger werden, da Verstöße keine unmittelbaren Konsequenzen für die Online-Marktplätze haben”, so Müller. Die Verbraucherschützer hatten darauf gepocht, dass ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten (Artikel 22) in die Ausnahmeregelung zur Haftungsbefreiung (Artikel 5 (3)) aufgenommen wird – ohne Erfolg.
Berichterstatterin Schaldemose war mit ihrem Vorschlag, Online-Marktplätze unabhängig von ihrer Größe für den Verstoß von Verkäufer:innen aus Drittstaaten haftbar zu machen (Artikel 22), auf starken Widerstand gestoßen. Der Kompromissvorschlag zum Digital Services Act sieht nun vor, dass: Klein- und Kleinstunternehmen bei der Kommission eine Ausnahmeregelung für Artikel 22 beantragen können. Die Kommission soll daraufhin den Antrag zusammen mit dem europäischen Ausschuss der Digital Services Coordinators prüfen und ihre Entscheidung in Form eines delegierten Rechtsakts treffen. Besonders Renew hatte sich für die Ausnahme Regelung starkgemacht.
Der Vorstandsvorsitzende des Verbands der Internetwirtschaft Eco Oliver Süme begrüßt die Ausnahmeregelung und warnt davor, den DSA durch Spezialregelungen zu überfrachten: “Es ist uns wichtig, dass die dort festgeschriebenen Verpflichtungen auch und insbesondere für kleine und Kleinstunternehmen umsetzbar bleiben, oder diese davon ausgenommen werden”, sagt er.
Martin Schirdewan, IMCO-Schattenberichterstatter für die Fraktion GUE/NGL widerspricht dem klar: “Die jetzt vorgesehenen umfangreichen Ausnahmeregeln für kleine und teils mittlere Unternehmen führen zu einem schwer umsetzbaren, bürokratischen Monster.” Er fordert, dass die Regeln für alle Unternehmen gelten, die mehr als zehn Mitarbeiter beschäftigen.
Ein Erfolg für die Grünen/EFA ist die Ausweitung des Artikels 31. Anders als im Kommissionsvorschlag vorgesehen, sollen nicht nur die Kommission, die nationalen Aufsichtsbehörden (Digital Services Coordinators) und zugelassene Forscher Zugriff auf die Daten von besonders großen Plattformen bekommen, um systemische Risiken untersuchen zu können. Auch NGOs sollen nun Zugriff bekommen. Diese spielen bei der Feststellung von systemischen Risiken eine entscheidende Rolle, wie auch die Whistleblowerin Frances Haugen bei ihrer Anhörung im Europaparlament betonte (Europe.Table berichtete) betonte. “Wir wollten auch Medienorganisationen in den Artikel aufnehmen, dafür gab es aber keine Mehrheit”, sagt die Europaabgeordnete Geese.
Berichterstatterin Schaldemose hatte ursprünglich eine Verpflichtung für Online-Plattformen vorgeschlagen, illegale Inhalte binnen 24 Stunden zu entfernen, sofern diese eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Gesundheit darstellen. Diese findet sich jedoch nicht im finalen Kompromiss wieder, weil die Dänin dafür keine Mehrheit bekam.
Das Thema wird in den Trilogverhandlungen sicher erneut hochkommen, denn Löschfristen wurden auch im Rat kontrovers diskutiert. Die Mitgliedstaaten einigten sich schließlich darauf, dass im Fall einer Meldung durch sogenannte Trusted Flagger die Mehrheit illegaler Hass-Inhalte binnen weniger als 24 Stunden gelöscht werden soll. In anderen Fällen sollen die Fristen unterschiedlich sein, abhängig vom Inhalt und der Komplexität. Auffällig ist aber, dass sich die genauen Fristen nicht im eigentlichen Gesetzestext wiederfinden, sondern nur in den Erwägungsgründen (46 und 58). Deutschland kündigte bereits an, dass es sich im Trilog für ambitioniertere und rechtlich verbindliche Löschfristen starkmachen werde (Europe.Table berichtete).
Tiemo Wölken, S&D-Schattenberichterstatter für den DSA im Rechtsausschuss, zeigt sich von den Kompromissen enttäuscht: “Gerade die Kompromisse zu Werbung und algorithmischen Empfehlungssystemen bleiben mutlos. Nutzer:innen brauchen echte Kontrolle über ihre Daten und die Inhalte, die sie zu Gesicht bekommen, aber davon sind die Kompromisse leider weit entfernt”, sagt er. Daher will er sich dafür einsetzen, dass bis zur Abstimmung im Plenum im Januar ambitionierte Alternativvorschläge auf dem Tisch liegen.
Ähnlich sieht es Patrick Breyer (Grüne/EFA), DSA-Berichterstatter für den Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. Nur wenige Empfehlungen des LIBE-Ausschusses seien in den Kompromisstext aufgenommen worden: “Zur Plenarabstimmung im Januar wird mein Ausschuss voraussichtlich eine ganze Reihe von Änderungsanträgen zum Schutz von Privatsphäre und Meinungsfreiheit vorlegen“, so Breyer.
15.12.2021 – 10:00 Uhr, online
EC, Presentation Protect, prepare and transform Europe – Build forward better
This event will present the work of the European Commission’s (EC) Expert Group on the Economic and Societal Impact of Research and Innovation (ESIR) and focus on how Europe can emerge stronger from the pandemic. INFOS
15.12.2021 – 12:00-17:45 Uhr, Köln/online
Medienakademie, Podiumsdiskussion Next Generation Internet – Noch kein Grund für Industrie 5.0?
Die Expert:innen der Deutschen Medienakademie beschäftigen sich in Vorträgen und Diskussionen mit dem aktuellen Entwicklungsstand der industriellen Automatisierung. Besonders wird auf die Themen Automatisierung und Prozesse; Chancen, Risiken und Resilienz sowie Sensorik, Connectivity und Big Data eingegangen. INFOS & ANMELDUNG
15.12.2021 – 15:00-16:00 Uhr, online
SPE, Presentation EU Market Outlook for Solar Power 2021-2025
On the occasion of the publication of the EU Market Outlook for Solar Power 2021-2025, Solar Power Europe (SPE) speakers will present forecasts for the EU solar market in 2021 and different evolution scenarios of the market until 2025. REGISTRATION
15.12.2021 – 16:00-17:00 Uhr, online
Eco, Vortrag Mit Blockchain und KI unternehmensübergreifend produktive Daten teilen
Die Referent:innen des Verbandes der Internetwirtschaft (Eco) geben einen Überblick über das Forschungsprojekt “Kollaborative Smart Contracting Plattform für digitale Wertschöpfungsnetze” (KOSMoS), das die Realisierung von datengetriebenen Geschäftsmodellen über die Unternehmensgrenzen hinaus ermöglicht. INFOS & ANMELDUNG
15.12.2021 – 17:00-18:30 Uhr, online
VBW, Podiumsdiskussion Rohstoffversorgung langfristig sichern
Bei dieser Veranstaltung wird die aktuelle Fassung der Studie “Rohstoffsituation der bayerischen Wirtschaft”, durchgeführt von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (VBW), vorgestellt sowie über die Anforderungen an eine langfristig sichere Rohstoffversorgung diskutiert. ANMELDUNG BIS 14.12.2021
16.12.2021 – 09:30-10:30 Uhr, online
Eurogas, Panel Discussion Moving forward with Gas Decarbonisation
This Eurogas event will address how a revision of the EU rules on gas can be achieved with the goal of carbon neutrality until 2050. INFOS & REGISTRATION
16.12.2021 – 15:45-17:15 Uhr, online
BDI, Vortrag Klimapfade 2.0 – Fokus Gebäude
Bei dieser Veranstaltung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) soll es darum gehen, wie ein klimafreundlicher Gebäudesektor realisiert werden kann und welche politischen Maßnahmen hierfür notwendig sind. INFOS & ANMELDUNG
16.12.-17.12.2021, online
EUDIGIT, Seminar Digitalization and Public Administration
How can cities become better places to live using digital service and inclusive approaches to city management? The EUDIGIT seminar will share experiences on how to adapt city life to new realities. INFOS & REGISTRATION
Ab dem Jahr 2024 sollen die EU-Mitgliedsstaaten gemeinsame Nutzenbewertungen von Gesundheitstechnologien (Health Technology Assessments, HTA) erstellen. Damit könnte es 2025 erste gemeinsame HTA-Berichte geben: zunächst bei Krebsmedikamenten, später auch für Arzneimittel gegen seltene Krankheiten und schließlich für alle anderen Medikamente und Medizinprodukte. Doch anders als im ursprünglichen Kommissionsvorstoß vorgesehen werden sie für die Mitgliedstaaten nicht bindend sein.
Eine Koordinierungsgruppe aus nationalen Gesundheitsbehörden soll zwar gemeinsame klinische Bewertungen erarbeiten. Die Ergebnisse der gemeinsamen wissenschaftlichen Bewertungen sollen die vorgelegte Evidenz jedoch lediglich beschreiben. Für die Bewertung und die Preisfindung bleiben ausschließlich die HTA-Agenturen in den Mitgliedstaaten zuständig. Dennoch zeigte sich Berichterstatter Tiemo Wölken (SPD/S&D) zufrieden mit dem Ergebnis: “Wir können von Anfang an dafür sorgen, dass innovative Arzneimittel europäisch bewertet werden und eine Fragmentierung des Marktes vermieden wird.”
Damit die gemeinsame Bewertung in den nationalen Verfahren dennoch berücksichtigt wird, verpflichtet die neue HTA-Verordnung die EU-Staaten, den Bericht zu verwenden und Wiederholungen in den HTA-Gesamtabläufen der Mitgliedstaaten zu vermeiden. Dennoch dürfen die nationalen HTA-Agenturen grundsätzlich nachbewerten. Damit wurde das ursprüngliche Ziel der verbindlich umzusetzenden harmonisierten Nutzenbewertungen verfehlt.
Aktuell wird der HTA-Prozess von über 50 europäischen HTA-Agenturen durchgeführt. In Deutschland etwa werden alle neu zugelassenen Arzneimittel einer Nutzenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) unterzogen. Das Ergebnis ist die Entscheidungsgrundlage für die Preisverhandlungen mit den Krankenkassen.
Kleinere Länder wie Litauen oder Zypern können sich jedoch keine eigenen HTA-Institutionen leisten. Sie könnten aber von dem Know-how der größeren Länder profitieren, argumentierte die EU-Kommission, als sie Anfang 2018 ihren Vorschlag zur HTA-Verordnung vorlegte. So sollte außerdem Doppelarbeit – sowohl bei Pharmafirmen als auch in den einzelnen Mitgliedsstaaten – vermieden werden. Zudem sollte der Zugang für Patienten zu neuen Therapien verbessert und beschleunigt werden.
Gegen den Vorschlag regte sich umgehend heftiger Widerstand. Vor allem größere EU-Länder mit eigenen Verfahren, etwa Deutschland und Frankreich, lehnten den Vorstoß der EU-Kommission ab. Bei Akteuren im deutschen Gesundheitssystem stieß der Entwurf auf geteiltes Echo. Während die international operierende Industrie die Harmonisierungsbestrebungen grundsätzlich befürwortete, wurden sie in der Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen sowie beim IQWiG und beim Gemeinsamen Bundesausschuss teils heftig kritisiert.
Zentraler Streitpunkt war die ursprünglich geplante Verbindlichkeit der harmonisierten Bewertungen für nationale Nutzenentscheidungen. Deutschland und Frankreich legten zusammen mit weiteren Mitgliedsstaaten deshalb eine förmliche Subsidiaritätsrüge vor, der sich jedoch zu wenig andere Länder anschlossen. Zum inhaltlichen Streit kam Anfang 2020 die COVID19-Pandemie dazu, insgesamt ein knappes Jahr wurden die Verhandlungen unterbrochen wurden. Erst im Frühjahr 2021 folgte die Einigung im Rat, anschließend der Trilog mit Parlament und Kommission. Dieser Kompromiss wurde vom EP nun beschlossen.
Das in Deutschland für die Nutzenbewertung zuständige IQWiG reagierte verhalten auf die Verabschiedung der HTA-Verordnung. “Das System der Nutzenbewertung von Gesundheitstechnologien funktioniert in Deutschland sehr gut und hat eine hohe Akzeptanz – auch bei der Industrie”, sagt IQWiG-Sprecher Jens Flintrop. Von der neuen europäischen Regelung verspreche man sich keinen unmittelbaren Vorteil für das deutsche Gesundheitssystem. Sie schade aber auch nicht, so Flintrop, “solange wir uns auf einheitliche Standards einigen können.” Er sieht auch positive Aspekte: “Wenn durch die Harmonisierung auch in anderen EU-Ländern neue Arzneimittel schnell zugänglich werden und die Preisgestaltung transparenter und fairer wird, so ist das auch in unserem Sinne.”
Insgesamt weitaus positiver bewertet Gesundheitsökonom Reinhard Busse von der Technischen Universität Berlin die europäischen Regelungen. “Vor allem bezüglich der Nutzenbewertung von Medizinprodukten kann auch Deutschland von der neuen Verordnung profitieren”, erklärte er gegenüber Europe.Table. Denn dort sieht er hierzulande deutliche Defizite. “Da in Zukunft auf europäischer Ebene mehr solche Bewertungen vorliegen werden, wächst der Zugzwang, mehr Medizinprodukte einer Nutzenbewertung zu unterziehen”, so Busse.
Auch mit Blick auf die Durchschlagskraft der neuen HTA-Verordnung ist Busse optimistisch und betont die “Macht des Faktischen”: Deutschland werde kaum einen guten Grund für Abweichungen von EU-Standards nennen können. Denn dann müsse es erklären, “dass das, was für die anderen 26 Länder gilt, für Deutschland nicht ausreichend ist.”
Die Neuregelung schreibt eine Übergangsfrist von drei Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung vor. Danach sollen die neuen Regelungen unmittelbar gültig werden. In dieser Phase sollen unter anderem methodische Fragestellungen geklärt werden. Den Zuschlag für die Entwicklung der methodischen Grundlagen erhielt das Konsortium “EUnetHTA21“. Diesem gehören 13 Organisationen aus dem europäischen HTA-Netzwerk EUnetHTA an, darunter aus Deutschland IQWiG und der G-BA, zudem HTA-Agenturen aus Spanien, Österreich, Belgien, Frankreich, Italien, Portugal, Irland, Ungarn, Norwegen, Schweden und der Niederlande.
Bundesfinanzminister Christian Lindner betont bei seiner ersten Auslandsreise im neuen Amt, stark mit Frankreich zusammenarbeiten zu wollen. Anfang 2022 ergebe sich eine gute Gelegenheit, hier voranzukommen, sagte der FDP-Chef am Montag in Paris vor einem Abendessen mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire. Denn Frankreich habe im ersten Halbjahr die europäische Ratspräsidentschaft inne und Deutschland den Vorsitz der sieben führenden Industrienationen (G7).
Lindner erklärte, es müsse ein Spagat gelingen – zwischen soliden Finanzen, aber auch mehr Investitionen für den Umbau der Wirtschaft Richtung Klimaneutralität. Rund um den Globus gebe es eine erhöhte Inflation. “Dieses Risiko ist real.” Es brauche deswegen immer auch Stabilität. “Eine wachsende Wirtschaft – das ist die beste Voraussetzung auch für stabile Staatsfinanzen.” Europa müsse finanzielle Puffer schaffen in den nächsten Jahren. Bei den EU-Schuldenobergrenzen sollte nicht nur über die Regeln diskutiert werden, sondern über die richtige Finanzpolitik für die momentanen Herausforderungen.
Frankreich will die Schuldenregeln in der EU gerne ändern. Aus Sicht der neuen Bundesregierung hat der sogenannte Stabilitäts- und Wachstumspakt in der Corona-Krise aber seine Flexibilität unter Beweis gestellt. Der Fokus sollte daher stärker darauf liegen, die Mittel aus dem 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds einzusetzen.
Le Maire sagte, die Diskussion über die EU-Regeln sei wichtig. “Wir sind hier aber nicht in Eile.” Europa könne sich Zeit nehmen für einen Kompromiss. Diesen erwarten viele Experten im Laufe des nächsten Jahres.
Frankreich werde im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft einen Fokus auf mehr Investitionen legen, so Le Maire. Er lobte in diesem Zusammenhang den Nachtragshaushalt in Deutschland im Volumen von 60 Milliarden Euro, die als Klima-Rücklage für spätere Investitionen dienen sollen. Das komme zu rechten Zeit. “Wir sehen beide Seiten”, ergänzte Bundesfinanzminister Lindner in Frankreich. Deutschland stelle jetzt Mittel für mehr Investitionen bereit, wolle die Schuldenbremse ab 2023 aber auch wieder einhalten, um Stabilität zu zeigen. rtr
Die Europäische Kommission wird vor dem EU-Gipfel am Donnerstag konkrete Pläne für ein System zur gemeinsamen Beschaffung von Erdgas vorlegen. “Die Vorschläge werden einen Rahmen für die gemeinsame Beschaffung strategischer Gasvorräte durch regulierte Unternehmen auf freiwilliger Basis beinhalten”, schreibt die Behörde in einem Schreiben an die Mitgliedstaaten, das Reuters vorlag. Die Initiative wird Teil des Vorschlages zur Aktualisierung der EU-Gasmarktregeln sein, den die Kommission am Mittwoch veröffentlicht.
Die europäischen Gaspreise waren im Oktober aufgrund der knappen Versorgung und der hohen Nachfrage der sich erholenden Weltwirtschaft auf Rekordhöhen gestiegen. Die Preise sanken vorübergehend, sind aber wegen des kalten Winterwetters und der geringer als erwartet ausgefallenen Importe aus Russland wieder angestiegen. Dies veranlasste viele Regierungen, die Verbraucher über Subventionen und Steuererleichterungen vor hohen Rechnungen zu schützen. Einige Länder forderten überdies ein EU-System für den gemeinsamen Gaseinkauf.
Das neue System werde “zu koordinierten EU-Maßnahmen im Falle eines unionsweiten Notfalls beitragen”, heißt es in dem von Reuters eingesehenen Dokument. Die EU-Mitgliedstaaten sollten durch Zusammenarbeit auf regionaler Ebene in der Lage sein, im Bedarfsfall auf Erdgas-Speicher in anderen Ländern zurückzugreifen. Die Speicherung soll in die Bewertung der Risiken für die Gasversorgungssicherheit der EU-Länder einfließen, einschließlich der Risiken im Zusammenhang mit ausländischem Eigentum an der Speicherinfrastruktur.
Geringere Mengen als erwartet aus Russland haben einige EU-Länder und Gesetzgeber dazu veranlasst, eine Untersuchung zu fordern, ob Gazprom in den letzten Monaten Lieferungen zurückgehalten hat. Das Unternehmen hat erklärt, es erfülle alle vertraglich vereinbarten Lieferverpflichtungen. Die Importe von Erdgas aus Russland in die EU waren im Oktober und November um 25 Prozent niedriger als im gleichen Zeitraum des Jahres 2020, während die Gazprom-eigenen Speicher in der EU “deutlich niedriger” befüllt sind als im letzten Jahr, so das EU-Dokument. tho/rtr
Die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP schafft sich ein Polster für Klimainvestitionen in den kommenden Jahren. Mit einem weiteren Nachtragshaushalt für 2021 werden ungenutzte Kredite über 60 Milliarden Euro im Klimafonds geparkt, wie das Bundesfinanzministerium am Montag mitteilte. Das Kabinett brachte in seiner zweiten Sitzung unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine entsprechende Vorlage von Finanzminister Christian Lindner auf den Weg.
“Es werden keine neuen Schulden aufgenommen”, sagte der FDP-Politiker in Berlin. Der Schritt sei notwendig und verhältnismäßig, um eine Vorsorge für Investitionen zu treffen, die in der Corona-Krise vielfach zu kurz gekommen seien. Der Bundestag muss den Plänen in den nächsten Wochen noch zustimmen, vermutlich bis Ende Januar. Mit den zusätzlichen Milliarden für den Energie- und Klimafonds (EKF), der künftig Klima- und Transformationsfonds (KTF) heißen soll, verschafft sich die Ampel-Koalition eine zusätzliche Rücklage für Investitionen, deren Finanzierung in den Koalitionsverhandlungen weitgehend offengeblieben war.
Der neue Regierungssprecher Steffen Hebestreit betonte, der Nachtragshaushalt sei verfassungskonform. Von manchen Experten wird der Haushaltskniff als rechtlich fragwürdig eingestuft. Er wird überhaupt nur möglich, weil die für 2021 geplante Rekord-Neuverschuldung von bis zu 240 Milliarden Euro bei weitem nicht benötigt wird, um Kosten der Corona-Krise zu decken.
Zur Begründung zieht die Koalition die Corona-Pandemie heran. Viele Investitionen seien als Folge der Pandemie gar nicht oder nicht im geplanten Umfang getätigt worden, heißt es in der Reuters vorliegenden Kabinettsvorlage. Lindner sagte, ein Bestandteil werde sein, den Weg in die Wasserstoff-Wirtschaft zu ebnen. Ein weiterer Bereich werde sein, bei den Stromkosten mehr Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Mit der jetzigen Zuweisung aus dem Nachtragshaushalt für 2021 werde der Klimafonds mit 76,2 Milliarden Euro gefüllt sein. Weitere Zuführungen werde es in den nächsten Jahren über die normale Haushaltsführung geben.
Die für 2021 geplante Nettoneuverschuldung soll laut Kabinettsvorlage mit 240,2 Milliarden Euro unverändert bleiben. Dennoch müsse der Bundestag den Beschluss zur Aussetzung der Schuldenbremse für 2021 erneuern. Insgesamt werde 2021 die zulässige Kreditobergrenze um rund 207 Milliarden Euro überschritten. Lindner äußerte allerdings die Hoffnung, dass die 240 Milliarden Euro am Ende nicht ganz ausgereizt werden würden. rtr
Die Vorschläge der EU-Kommission zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz sollten nach Einschätzung von Fachleuten des Centrums für Europäische Politik (cep) nachgebessert werden. Es sei zwar richtig, für Hochrisiko-KI-Systeme besonders strenge Vorgaben zu machen, schreiben die cep-Experten Matthias Kullas und Lukas Harta in einer neuen Analyse. Allerdings sehen sie noch etliche Schwächen in dem Verordnungsentwurf, die im weiteren Gesetzgebungsprozess adressiert werden sollten (Europe.Table berichtete).
So sei die von der Kommission gewählte Definition von KI-Systemen zu weit gefasst – sie erfasse zahlreiche Softwareanwendungen, die nicht “intelligent”, sondern logik-basiert seien. Als Kriterium solle vielmehr dienen, ob “ein System autonom lernt und Entscheidungen fällt”, fordern sie. Spezifiziert werden müsse zudem das Verbot von Systemen, die mittels “unterschwelliger” Beeinflussung der Nutzer “physischen oder psychischen Schaden” anrichten: “In der vorliegenden Formulierung könnte etwa jede Art von KI-gestützten Werbeanzeigen erfasst sein, sofern sie eine Person beeinflusst, etwas zu tun, das sie später vielleicht bereut”.
Bestimmte Vorgaben seien überdies von Anbietern der Systeme nicht zu erfüllen. So könnten diese kaum garantieren, dass die Datensätze für das Training der KI fehlerfrei und vollständig seien. Auch die Verpflichtung, Nutzern die Ergebnisse ihrer KI-Systeme zu erläutern, sei problematisch – denn deren logischen Schlüsse seien den Anbietern selbst oft nicht bekannt.
Bei biometrischen Fernidentifizierungssystemen, einem besonders umstrittenen Einsatzgebiet von KI, geht den Experten der Kommissionsvorschlag hingegen nicht weit genug: So mache es für Personen, die von der Gesichtserkennung erfasst werden, keinen wesentlichen Unterschied, ob sie in Echtzeit oder mit zeitlichem Abstand von 24 Stunden von den Strafverfolgungsbehörden identifiziert würden. Die Verordnung solle daher untersagen, dass der Einsatz über einen längeren Zeitraum und ohne Beschränkung auf ein bestimmtes Ereignis wie ein von einer Videokamera aufgezeichnetes Verbrechen erfolge.
Bei der Aufsicht über die Regeln warnen Kullas und Harta vor zu viel Spielraum: “Konformitätsprüfungen von Hochrisiko-KI-Systemen durch die Anbieter selbst sind verfehlt”, schreiben sie. Die Prüfungen sollten vielmehr stets durch unabhängige Dritte erfolgen, um die Gefahr oberflächlicher Prüfungen zu minimieren. tho
Sie beschäftigte sich schon mit den rechtlichen Dimensionen der digitalen Welt, als dort nur eine kleine, eingeschworene Community durchblickte: Cornelia Kutterer ist seit über zwanzig Jahren vom Fach. Und seit dreizehn davon bei Microsoft. Als Senior Director, Rule of Law, Responsible Tech & Competition, European Government Affairs leitet sie ein Team, das sich mit den gesetzlichen Aspekten von all dem befasst, was im verantwortlichen Umgang mit Technologien relevant wird. Also digitale Sicherheit, Datenschutz, der Umgang mit künstlicher Intelligenz (KI), Content-Regulierung und viele weitere gesellschaftliche und regulatorische Themen, die technologische Entwicklungen und ihre Auswirkungen betreffen.
Kutterers Augen blitzen, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Etwa davon, wie sie mit der akademischen Welt Fachwissen zu komplexen neuen Technologien diskutiert und damit zur europäischen Meinungsbildung beiträgt. Der Kontakt mit der Kommission, dem Parlament, dem Rat der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten gehört natürlich auch dazu. Microsoft steht, anders als früher, oft nicht in der ersten Linie der kritisierten Unternehmen.
Gerade wird intensiv über den Artificial Intelligence Act diskutiert, den Verordnungsentwurf der EU-Kommission zur horizontalen Regulierung des Einsatzes Künstlicher Intelligenz. Auf der ganzen Welt einige man sich derzeit auf gewisse Werte im Umgang mit KI, sagt Kutterer. Spannend findet sie das im Vergleich zur Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (GDPR) von 2018. Denn: “Nach der GDPR fand weltweit eine regelrechte Welle an Datenschutzregulierungen statt. Die EU hatte da als ‘first mover’ eine Vorreiterrolle. Ich glaube, dass es beim AI-Act ähnlich wird“. Das Gute: Während die Regulierungen beim Datenschutz den technologischen Entwicklungen um einige Jahre hinterherhinkten, finden diese Diskussionen bei KI gleichzeitig statt.
Die gebürtige Stuttgarterin ist Europäerin mit Herz und Seele. Sie lebt mit ihrer Familie in einem Vorort von Brüssel, die drei Kinder haben die belgische Staatsbürgerschaft. Kutterer schwärmt von der kulturellen Vielfalt der flämischen, wallonischen, europäischen und afrikanischen Szenen.
Bereits während des Jurastudiums in Stuttgart, Passau und Hamburg spezialisierte sie sich auf Europa- und Arbeitsrecht. 2000 kam mit einem Online-Master in “Information Technology” eine weitere Expertise hinzu – genau zum richtigen Zeitpunkt. “Damals war das Thema noch ganz in den Anfängen und nicht so kompliziert wie heute”, erzählt sie verschmitzt. Nach Stationen in einer Kanzlei und beim europäischen Verbraucherschutzverband BEUC wurde Kutterer im Jahr 2008 von Microsoft abgeworben. Amüsiert blickt sie zurück: “Das war damals sogar eine Schlagzeile wert: ‘Key Consumer Activist Joins Microsoft’. So etwas passiert heute nicht mehr.”
Zuletzt hat sich der Blickwinkel bei Microsoft noch einmal geweitet. “Inklusion, Nachhaltigkeit, digitale Transition: Die Themen sind größer geworden”. Auch Geopolitik spielt zunehmend eine Rolle. “Die Trumpzeit war für uns als amerikanisches Unternehmen in Brüssel nicht gerade einfach”, bilanziert Kutterer trocken. Doch ob sie sich in Zukunft noch intensiver mit KI auseinandersetzt, mit Quantencomputern oder dem Metaverse: “Es bleibt immer spannend”. Gundula Haage