als “wichtigen Etappensieg” feierten Abgeordnete des Umwelt- und des Wirtschaftsausschusses im EP gestern ihre Abstimmung: Sie sprachen sich mehrheitlich gegen die Aufnahme von Atomkraft und Erdgas in die EU-Taxonomie aus. Mitglieder beider Ausschüsse hatten Einspruch gegen das Vorhaben der Kommission eingelegt. Meine Kollegin Leonie Düngefeld erklärt, wie es jetzt weitergeht.
Über sogenannte Solidaritäts-Korridore will die EU dabei helfen, Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine zu transportieren und dem Weltmarkt zugänglich zu machen, wo sie dringend benötigt werden. Überwiegend per LKW und auf der Schiene. Das sei gut gemeint, sagte nun der stellvertretende ukrainische Agrarminister im Europäischen Parlament. Exporte in dieser Größenordnung seien jedoch nur auf dem Seeweg möglich. Der Fokus müsse auf der Donau-Region und den rumänischen Schwarzmeer-Häfen liegen. Timo Landenberger hat die Details.
Es gibt ein neues Verfahren gegen Apple. Nach Streitigkeiten wegen Apps und Zahlungsmöglichkeiten im Apple-Store, geht es nun um den Zugriff auf Kundendaten. Hat Apple sich auch hier Vorteile verschafft? Worum es bei der Untersuchung, die das Bundeskartellamt jetzt eingeleitet hat, geht, hat Torsten Kleinz aufgeschrieben.
Als Robert Habeck das Bundeswirtschaftsministerium übernahm, begann das Stühlerücken. Der Großteil der Leitungsposten wurde neu besetzt – nicht aber der der Europaabteilung des Ministeriums. Till Hoppe stellt Kirsten Scholl im Portrait vor.
Die Abgeordneten des Umwelt- und des Wirtschaftsausschusses im Europäischen Parlament haben gestern gegen den Delegierten Rechtsakt gestimmt, durch den die Europäische Kommission Atomkraft und Erdgas in die EU-Taxonomie aufnehmen möchte. Während einer gemeinsamen Sitzung beider Ausschüsse stimmten 76 MEPs fraktionsübergreifend für die Ablehnung, vier enthielten sich und 62 votierten dagegen. Anfang Juli stimmt das Plenum über die Resolution ab – und entscheidet endgültig, ob der Rechtsakt in Kraft tritt oder nicht.
Durch den im Januar vorgeschlagenen zweiten Delegierten Rechtsakt zur EU-Taxonomie möchte die Kommission Kernenergie und Erdgas als nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten ausweisen. Im März hatten Europaabgeordnete der Grünen/EFA und der S&D Einspruch dagegen eingelegt (Europe.Table berichtete) und somit das Veto-Verfahren formell eingeleitet. Am 20. Mai hatte dann ein parteiübergreifendes Bündnis von Abgeordneten aus dem Umwelt- und dem Wirtschaftsausschuss eine Entschließung eingereicht. Unklar war, ob auch aus der EVP- und der Renew-Fraktion ausreichend Abgeordnete die Entschließung unterstützen würden. Beide Fraktionen standen zumindest nicht geschlossen hinter dem Veto. Vergangene Woche hatten jedoch Abgeordnete aus allen vier Gruppen gemeinsam für den Einspruch geworben (Europe.Table berichtete).
“Für die anstehende Plenarabstimmung über die Taxonomie ist das heutige Abstimmungsergebnis in den Ausschüssen ein wichtiger Etappensieg”, sagte Delara Burkhardt (SPD), Mitglied im Umweltausschuss, zu Europe.Table. Dass eine Einigung mit dem naturgemäß eher wirtschaftsorientierten Wirtschaftsausschuss möglich war, stimme sie zuversichtlich. “Zu sicher sollten wir uns für die Abstimmungen im Plenum im Juli aber nicht sein. Die Atom- und Gas-Lobby wird ihre Anstrengungen nochmals verstärken, um für ein anderes Endergebnis zu sorgen.”
“Die fachlich zuständigen Ausschüsse des Europäischen Parlaments senden ein klares Signal, das Greenwashing von Atomkraft und Gas zu stoppen”, sagte Jutta Paulus (Grüne), ebenfalls Mitglied im Umweltausschuss. Nur das Parlament könne jetzt noch verhindern, dass die Glaubwürdigkeit der Taxonomie zerstört werde. “Denn Anlegerinnen und Anleger werden kein Vertrauen in ein Label haben, das die Klimaschäden von fossilem Gas und den strahlenden Müll der Atomkraftwerke herunterspielt.” Sie erwarte von allen deutschen Europaabgeordneten ein entschiedenes Eintreten gegen das Vorhaben der Kommission.
Auf einer Pressekonferenz vor der Abstimmung hatten Abgeordnete von Grünen, S&D, Renew und EVP-Fraktion das Vorgehen der Kommission scharf kritisiert. Die schwedische Abgeordnete Emma Wiesner (Renew) sprach von einem “Pingpong-Spiel zwischen Deutschland und Frankreich”, die ihre jeweiligen politischen Interessen durchgedrückt hätten. “Die Taxonomie muss auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und darf nicht politisch instrumentalisiert werden”, sagte Wiesner.
Die Frage, ob Kernenergie und Erdgas als nachhaltige Wirtschaftsaktivität gelabelt werden sollen, hat bislang nicht nur im EU-Parlament für Widerspruch gesorgt. Ein von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) im Januar veröffentlichtes Gutachten hatte die Aufnahme von Kernenergie und Erdgas in die EU-Taxonomie für unvereinbar sowohl mit geltendem EU-Recht als auch mit dem deutschen Grundgesetz erklärt (Europe.Table berichtete). Demnach fehle es der Kommission nicht nur an formeller Befugnis, den delegierten Rechtsakt auszuarbeiten. Auch verstoße sie mit der Aufnahme von Atomkraft und Erdgas gegen das in den europäischen Verträgen festgelegte Vorsorgeprinzip, das zur Risikovermeidung verpflichtet, und gegen die Taxonomie-Verordnung selbst.
Auch ein von der österreichischen Regierung in Auftrag gegebenes Gutachten kam zu dem Schluss, die Kommission überschreite mit dem Delegierten Rechtsakt ihre Befugnisse und die Bestimmungen, die in der Taxonomie-Verordnung festgelegt sind. Das Gutachten sieht deshalb gute Chancen für eine Klage, die Österreich und auch Luxemburg angekündigt hatten für den Fall, dass der Rechtsakt in Kraft tritt (Europe.Table berichtete).
“Wenn diese Aufweichung durchgeht, ist das ein unglaublicher Reputationsschaden an der Zielsetzung der EU-Kommission, der kaum wieder zu heilen ist”, sagte Kristina Jeromin, Co-Geschäftsführerin des Sustainable Finance Cluster Germany (SFCG), am Montag bei einer Diskussion im Vorfeld der Abstimmung. Sobald die Wirtschaft das Gefühl habe, die Politik geht nicht mit entsprechendem Willen voran, bleibe sie weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Auch die Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung schwinde.
Zudem sei die Arbeit des Expertengremiums, das die Kommission in der Taxonomie beraten hat, wissenschaftlich gestützt und auf die EU-Klimaziele ausgerichtet gewesen. Mit dem Vorschlag, auch Kernenergie und Erdgas als nachhaltig zu labeln, habe die Kommission diese Arbeit unterwandert. Welche Konsequenzen dies für das Erreichen der Klimaziele habe, sei unklar.
In der ersten Juliwoche wird das Plenum über die Resolution abstimmen. Damit diese angenommen wird und die Kommission ihren Vorschlag zurückziehen oder ändern muss, ist eine absolute Mehrheit notwendig: 353 Stimmen. Ob die Mobilisierung funktioniert und sich so viele Abgeordnete dem Veto anschließen, ist nicht sicher. Mittlerweile zeichne sich ein Stimmungsbild ab, erklärte Michael Bloss (Grüne): “Eine Allianz von knapp 200 S&D, Grünen und Linken, wenigen Liberalen und einigen Konservativen wird sicher für die Ablehnung des Rechtsakts stimmen. Über 100 Abgeordnete gelten derzeit als unentschlossen und das Abstimmungsverhalten weiterer 100 Abgeordneter ist unklar.”
Das knappe Ergebnis in den Ausschüssen biete einen Vorgeschmack auf die Abstimmung im Plenum, sagte Joachim Schuster, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der SPD-Europaabgeordneten. “Offenbar haben Teile der tief gespaltenen EVP noch nicht den Ernst der Lage verstanden.” Die EU-Kommission müsse lernen, die Vorschläge des Parlaments ernst zu nehmen. Schuster hält eine Sonderkategorie für Atomkraft und Gas in der Taxonomie für sinnvoll, die ein eindeutiges Ausstiegsszenario beinhaltet.
Bis zum 11. Juli haben das Parlament und der Europäische Rat Zeit, um ein Veto gegen den Vorschlag der Kommission einzulegen. Vom Rat wird kein Einspruch mehr erwartet. Zwar hat auch die Bundesregierung mittlerweile eine Ablehnung des Rechtsaktes angekündigt, doch besteht unter den übrigen Mitgliedstaaten keine Mehrheit. Sollte auch im Parlament keine Mehrheit erreicht werden, wird der Delegierte Rechtsakt ab Januar 2023 rechtskräftig.
Die Lage sei dramatisch, sagte Markian Dmytrasevych am Dienstag vor dem Agrarausschuss des Europäischen Parlaments. Der stellvertretende Landwirtschaftsminister der Ukraine ist für die Lebensmittel-Exporte aus dem Land verantwortlich und steht vor einer nie dagewesenen Herausforderung. Schätzungen gehen von über 20 Millionen Tonnen Getreide aus, die infolge des Krieges und der Blockade der Häfen in der Ukraine feststecken.
Die Nahrungsmittel werden auf dem Weltmarkt dringend benötigt und die Zeit drängt: Bereits im Juli beginnt die nächste Ernte, dann müssten die Speicher eigentlich leer sein. Die Europäische Kommission hat deshalb einen Aktionsplan auf den Weg gebracht, um die Ukraine bei den Exporten zu unterstützen. Über sogenannte Solidaritäts-Korridore (Solidarity Lanes) soll das Getreide per LKW und auf der Schiene aus dem Land und zu den EU-Häfen an Nord- und Ostsee sowie am Mittelmeer transportiert werden.
Das sei gut gemeint, aber letztlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, sagte Dmytrasevych. “Im März konnten wir nur 200.000 Tonnen Weizen exportieren. Im April etwa eine Million und im Mai 1,8 Millionen.” Mit wesentlich mehr sei trotz Solidarity Lanes auch im Juni nicht zu rechnen. 2,4 Millionen Tonnen sei das Maximum dessen, was derzeit möglich sei. Zum Vergleich: Vor Kriegsausbruch exportierte die Ukraine fünf bis sechs Millionen Tonnen Getreide pro Monat, was in etwa der Jahresexportmenge Deutschlands entspricht.
Mehr als 90 Prozent dieser Lieferungen wickelte die Ukraine über den Seeweg ab, auf alternativen Verkehrswegen fehlen schlicht die Kapazitäten. “Die einzig wirkliche Lösung wäre also, wenn Russland die Blockade unserer Häfen aufgeben und eine reguläre Verschiffung wieder möglich machen würde”, so der Vize-Minister.
Bei einem Besuch in der Türkei vergangene Woche hatte Russlands Außenminister Sergei Lawrow die Ukraine selbst für die Schwarzmeerblockade verantwortlich gemacht. Er forderte das Land auf, die Häfen von den dort angebrachten Minen zu befreien. Russland werde das nicht für sich nutzen. Doch diesem Angebot will die Ukraine nicht trauen.
Im Agrarausschuss plädierte Dmytrasevych deshalb für eine Stärkung der Donauregion, um das Getreide über den Fluss und die Verbindungskanäle zu den rumänischen Schwarzmeer-Häfen zu transportieren. Die konkreten Vorschläge:
Sich zu sehr auf einen Verkehrsweg zu konzentrieren, mache diesen aber auch besonders verwundbar, gab Norbert Lins (CDU), Vorsitzender des Agrarausschusses, zu bedenken. Es sei deshalb richtig, auch die Nordrouten über Polen und das Baltikum weiter zu verbessern. Dort gelte es, die Flaschenhälse an den Grenzübergängen möglichst aufzulösen.
Kommende Woche will der Ausschuss an die ukrainische Grenze reisen, um sich selbst ein Bild von den logistischen Herausforderungen zu machen. Aufgrund fehlender Kapazitäten warten dort tausende LKW auf die Zollabfertigung. Auch der Transport auf der Schiene stockt, da in der Ukraine eine andere Spurbreite verwendet wird als in der EU (Europe.Table berichtete).
Schon jetzt ist klar: Rechtzeitig leer werden die Speicher wohl nicht mehr. Zwar rechnet die Ukraine für die bevorstehende Ernte nur mit etwa 50 Prozent des Ertrags aus den Vorjahren. Dennoch müsse von einem Lager-Defizit von etwa 15 Millionen Tonnen ausgegangen werden, so Dmytrasevych. Zumal einige Speicher durch russische Angriffe zerstört wurden oder von Russland blockiert werden. Die Einrichtung von provisorischen und temporären Getreidespeichern werde also unumgänglich, um die Lebensmittel vor dem Verderben zu retten und die globale Ernährungskrise nicht noch weiter zu verschärfen.
“Es ist der zynische Versuch Russlands, Lebensmittel für militärische Ziele einzusetzen”, sagte Martin Hlaváček (Renew) im Agrarausschuss. Ziel sei hier nicht die Ukraine, sondern die EU. “Es geht um eine Destabilisierung der europäischen Gemeinschaft, indem die Preise für Nahrungsmittel steigen und letztlich eine Migrationswelle aus den Entwicklungsländern ausgelöst wird, wo die Menschen Hunger leiden”.
Getreide aus der Ukraine macht zwölf Prozent der weltweiten Exporte aus. Auch Russland und Belarus sind wichtige Exportländer und haben ihre Lieferungen weitgehend eingestellt. Insbesondere Länder der sogenannten MENA-Region, also der Nahe Osten und Nordafrika, sind jedoch stark davon abhängig. So importiert beispielsweise Ägypten über 80 Prozent seines Weizens aus der Ukraine und Russland. Das Welternährungsprogramm warnte deshalb bereits vor drohenden Hungersnöten und Massenmigration aus der MENA-Region nach Europa.
Die neue Untersuchung fügt sich ein in eine ganze Reihe anderer Wettbewerbsverfahren, in denen es um Apples eiserne Kontrolle über das eigene Ökosystem geht. Der App Store ist ein dauerhafter Streitpunkt, da der US-Konzern nicht nur nach Gutsherrenart bestimmt, wer seine Apps auf iPhone und iPad installieren darf und wer nicht. Strittig sind insbesondere die Eingriffe in die Geldströme: Apple verlangt eine Provision bei den meisten Umsätzen, die App-Entwickler machen.
2021 hatte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Apple vorgeworfen, in seinem App Store gegen das Wettbewerbsrecht zu verstoßen, weil der Konzern unter anderem den Konkurrenten Spotify behindert haben soll (Europe.Table berichtete). Im April wurde bekannt, dass die Kommission die Kartellklage sogar ausweiten will. Im Januar hatte die niederländische Marktaufsicht eine Strafe von fünf Millionen Euro gegen den iPhone-Konzern verhängt (Europe.Table berichtete), weil der keine Dating-Apps zulassen wollte, die ihren Kunden ein von Apple unabhängiges Zahlungssystem anbieten wollte. Mit Fortnite-Anbieter Epic befindet sich Apple seit Jahren im Dauerstreit, da der seine Umsätze wie auch Spotify nicht nach Apples Bedingungen teilen will. Auch um den Zugriff auf die für Zahlungen notwendigen NFC-Chips gibt es Streit, die Kommission wirft Apple vor, den eigenen Zahlungsdienst zu bevorzugen (Europe.Table berichtete).
Das Bundeskartellamt untersucht nun die andere Seite der Medaille: Denn bisher waren Werbeeinnahmen ein Weg, Apps zu monetarisieren, ohne Apple Provisionen zu schulden. Mit seiner Werbe-ID IDFA hatte der Konzern sogar eine Schnittstelle geschaffen, die für die Online-Werbebranche einen besonders hohen Stellenwert hatte. Da Apple-Nutzer als besonders zahlungskräftige Zielgruppe eingestuft wurden, konnten App-Entwickler von Werbekunden hohe Preise verlangen – ohne Apple davon etwas abzugeben. Der Konzern profitierte aber indirekt durch ein reichhaltiges Angebot von Apps auf seiner Plattform.
Mit dem Update auf iOS 14.5 im April 2021 hat Apple diese Geschäftspartnerschaften nicht beendet, aber in den Grundfesten erschüttert. Im Zuge des App Tracking Transparency Frameworks müssen App-Entwickler ihre Nutzer erst um Erlaubnis fragen, um bestimmte Daten verwerten zu können, von anderen wurden sie ganz abgeschnitten. So unterdrückt Apple in seinem Browser Safari standardmäßig viele Tracking-Cookies, die dazu dienen, übergreifende Werbeprofile anzulegen. Die Werbepreise für Apple-Nutzer fielen deshalb ins Bodenlose. Facebook wirft Apple vor, dass die neuen Privatsphäre-Regelungen den Social-Media-Anbieter in nur einem Jahr 10 Milliarden Dollar gekostet haben.
Apple-Kritiker werfen dem Konzern außerdem vor, seine eigenen Apps jedoch zu bevorzugen. So erscheint der Banner, mit dem Apple selbst um Erlaubnis zum Ausspielen personalisierter Werbung fragt, deutlich weniger bedrohlich als bei anderen Apps. Zudem ist Apples eigenes Werbegeschäft nach Einführung der Anti-Tracking-Techniken durch die Decke gegangen: Das Beratungsunternehmen Omdia kalkulierte für 2021 eine Steigerung um 238 Prozent auf 3,7 Milliarden Dollar. Apple hingegen veröffentlichte im April eine Studie, in der ein Zusammenhang zwischen Tracking-Stopp und eigenem Werbewachstum dementiert wird.
An Beschwerdeführern wird es dem Bundeskartellamt nicht mangeln. Sowohl Verleger als auch Werbewirtschaft haben im April 2021 Beschwerde gegen Apples Anti Tracking-Maßnahmen eingelegt. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, drückt nun aufs Gaspedal: Er hat das neue Verfahren eingeleitet, bevor seine Behörde noch die marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb im Sinne des Paragraph 19a des Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen festgestellt hat (Europe Table berichtete).
Die Massen an Verfahren scheint zumindest Eindruck auf Apple zu haben. Wie am Montag bekannt wurde, verzichtet der Konzern darauf, seinen eigenen Streamingdienst Apple Music in dem kommenden Update auf iOS 15.6 einen besonders prominenten Platz auf dem Startbildschirm zuzuschustern. Angesichts solch minimaler Zugeständnisse dürfte eine Einigung bei Fragen wie Provisionen und Werbedaten jedoch noch viele Jahre benötigen.
Der russische Energieriese Gazprom gab gestern bekannt, die Lieferung durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream um 40 Prozent zu drosseln. Als Grund wurden Verzögerungen bei Reparaturarbeiten durch Siemens genannt. Ein Gasverdichteraggregat sei nicht rechtzeitig aus der Reparatur zurückgekommen. Deshalb könnten täglich nur noch bis zu 100 Millionen Kubikmeter Gas durch die Pipeline gepumpt werden statt des bisher geplanten Tagesvolumens von 167 Millionen.
Siemens Energy erklärte, die Gasturbinen für eine Verdichterstation könnten nur in Montreal überholt werden. Aufgrund der von Kanada verhängten Sanktionen sei es derzeit nicht möglich, die Gasturbinen an den Kunden zu liefern. Ob wirklich technische Gründe der Anlass für die Einschränkungen sind, ist allerdings offen. SWP-Experte Janis Kluge vermutet ein Manöver des Kreml, um die Gaspreise hoch zu halten.
Die Bundesregierung sieht die Versorgungssicherheit bei Gas nach eigenen Angaben als gewährleistet an. Unterdessen will die Regierung die Treuhandverwaltung von Gazprom Germania durch die Bundesnetzagentur längerfristig absichern. Die Verwaltung nach dem Außenwirtschaftsrecht ist bis Ende September befristet. Geplant ist nun eine Konstruktion nach dem erst vor kurzem geänderten Energiesicherungsgesetz, sodass die Treuhänderschaft verlängert werden kann.
Die Gazprom Germania wird außerdem in “Securing Energy for Europe GmbH” umbenannt – als Signal auch für die Bedeutung für die Energieversorgung in Europa. Die Bundesregierung stützt das Unternehmen zudem nach Angaben aus Regierungskreisen mit neun bis zehn Milliarden Euro. Geplant sind Hilfen über die KfW, der Bund übernimmt Garantien. Infolge der Sanktionen seien Gaslieferungen ausgefallen. Dadurch seien Ersatzbeschaffungen zu aktuell sehr hohen Marktpreisen notwendig geworden. dpa/ber
Europa will angesichts der Abhängigkeit von russischem Gas enger mit Israel zusammenarbeiten. “Wir wollen unsere Energie-Zusammenarbeit mit Israel fördern”, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstagabend bei einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett in Jerusalem. Angesichts russischer Erpressungsversuche wolle man die Zusammenarbeit mit anderen, vertrauenswürdigen Lieferanten ausbauen, erklärte sie.
Die EU-Kommission hatte schon Mitte Mai angekündigt, dass sie noch vor dem Sommer ein Energieabkommen mit Israel und Ägypten über Flüssiggas-Lieferungen (LNG) für Europa abschließen will. Vor Israel wurden große Erdgasvorkommen entdeckt. Bei einem Besuch in Ägypten solle am Mittwoch eine gemeinsame Absichtserklärung Israels, der EU und Ägyptens unterzeichnet werden, sagte von der Leyen. Ziel seien Gaslieferungen aus Israel über eine Pipeline nach Ägypten. Dort sei die Umwandlung in Flüssiggas vorgesehen, das dann in die EU transportiert werden könne. Die Unterzeichnung sei ein “sehr wichtiger Schritt”, sagte sie.
Von der Leyen hatte zuvor auch auf den Bau einer geplanten Stromverbindung zwischen Israel, Zypern und Griechenland im östlichen Mittelmeer verwiesen. Zudem sei eine Gas-Pipeline im östlichen Mittelmeer in Vorbereitung. Das Projekt war zwischenzeitlich schon fast aufgegeben. Eine 1900 Kilometer lange Pipeline namens EastMed (Ost-Mittelmeer) soll Gas von Israel über Zypern nach Griechenland und damit in die Europäische Union leiten. Dann könnte es nach Mitteleuropa weitertransportiert werden.
Israels Ministerpräsident Naftali Bennett sagte nach Gesprächen mit dem italienischen Premier Mario Draghi, die Zusammenarbeit im Energiebereich habe das Ziel, dass Gas aus Israel auch Europa dienen könne. Draghi besucht derzeit Israel. Er betonte, auch Italien wolle seine Abhängigkeit von russischem Gas verringern.
Die EU versucht, so schnell wie möglich unabhängig von russischen Gaslieferungen zu werden – sowohl von Pipeline-Gas als auch von Flüssiggas. dpa
Die EU-Kommission rechnet trotz der überraschenden Ablehnung der Reform des europäischen Emissionshandels (ETS) durch das EU-Parlament vergangene Woche (Europe.Table berichtete) mit einer raschen Einigung. “Wir haben gesehen, wie unheimlich kompliziert das Gesamtkunstwerk ,Fit for 55′ ist. Daher ist es nicht so überraschend, dass es zu Unfällen wie einem Nein im Europäischen Parlament kommt”, sagte Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission, gestern in Wien. “Ich bin zuversichtlich, dass es zu einem Kompromiss im Europaparlament kommen wird.” Er erwartet, dass die großen Fraktionen noch in diesem Monat einen Kompromiss finden, der dann im Rat behandelt werden kann.
Die EU-Volksvertretung hatte in der vergangenen Woche nach wochenlangen Verhandlungen die Reform des europäischen Emissionshandels abgelehnt. Der Bericht des EVP-Politikers Peter Liese (CDU) wurde von der grünen und sozialdemokratischen Mehrheit zurück an den Ausschuss verwiesen. Zwischen den Fraktionen müssen nun Kompromisse in der ETS-Reform, der Einführung des Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) und des Klimasozialfonds gefunden werden. Am 22. und 23. Juni steht das Thema abermals auf der Agenda. Der europäische Emissionshandel ist ein bereits 2005 in Kraft getretenes Instrument, um die klimaschädlichen Treibhausgase in Europa zu senken.
Wie ein Kompromiss in der Frage, wie lange energieintensive Unternehmen noch kostenlose CO2-Zertifikate bekommen sollen, aussehen kann, ist offen. Vorschläge sehen einen Zeitrahmen von 2030 bis 2034 vor (Europe.Table berichtete). Der Frage, ob ein Kompromiss in der Mitte dieser Periode liegen könnte, wich Timmermans aus. Er sagte nur vieldeutig: “Das wäre eine europäische Kompromisslösung”. Die kürzliche Zustimmung des EU-Parlaments zum Verbot neuer Autos mit Verbrennermotoren ab dem Jahr 2035 stimmt Timmermans für die weiteren Schritte in der Klimapolitik zuversichtlich. “Wir müssen schnell handeln. Wir machen in Europa die besten Autos der Welt. Wir müssen künftig auch die besten Elektroautos bauen”, sagte der Klimaschutz-Kommissar.
In Österreich, das sich bereits seit Jahrzehnten gegen die Atomenergie wendet, warb Timmermans bei seinem Besuch für eine pragmatische Haltung in der Kernenergie. “Wenn wir die EU zusammenhalten wollen, müssen wir beiden Positionen respektieren. Manche Länder brauchen eben die Kernenergie”, sagte der Klimaschutz-Kommissar in Anspielung auf die österreichischen Nachbarländer Tschechien und Slowakei, die seit Jahrzehnten auf die Stromerzeugung durch Kernkraft setzen.
Der Kommissionsvize sprach sich für eine schnellstmögliche Unabhängigkeit von russischen Gasimporten aus. Er will künftig eine strategische Energiesouveränität in Europa erreichen. “Wir waren zu lang zu gierig nach billiger Energie aus Russland. Wir müssen von russischem Gas wegkommen, so schnell wie nur möglich”, betonte Timmermans am Rande des Austria World Summit.
Ein völliger Importstopp für Gas aus Russland ist nach Meinung des Klimakommissars aber erst in fünf Jahren möglich. “Wir können keinen Gas-Stopp über Nacht machen. Ich gehe aber davon aus, dass wir 2027 kein russisches Gas mehr in die EU importieren”, sagte Timmermans. Im Fall Österreichs ist der Abschied vom russischen Gas besonders schwer. Denn 80 Prozent des Gases in dem EU-Land kommt aus Russland. Seit Jahrzehnten dominiert der kremlnahe Energieversorger Gazprom mit seinen Lieferungen durch die Ukraine und der Slowakei den österreichischen Gasmarkt.
Gerade vor der historisch hohen Inflation in der Eurozone und des Ukraine-Krieges plädiert Timmermans dafür, die Energiewende mit dem Ausbau der Solar- und Windenergie zu beschleunigen. “Wir können aus teurem Gas kein billiges machen”, sagte der Kommissionsvize am Dienstag. “Das Beste, was wir daher leisten können, ist ein rascher Umbau in Richtung erneuerbare Energie.” hps
Die EZB wird laut Direktorin Isabel Schnabel gegen einen ungeordneten Anstieg der Finanzierungskosten stärker verschuldeter Länder der Euro-Zone einschreiten. Die Geldpolitik könne und solle auf eine ungeordnete Neubewertung von Risikoaufschlägen regieren, die die Maßnahmen der Notenbank beeinträchtige und die Preisstabilität bedrohe, sagte Schnabel am Dienstag an der Panthéon-Sorbonne University in Paris laut Redetext. “Es besteht kein Zweifel daran, dass wir nötigenfalls neue Instrumente entwickeln und einsetzen werden, um die geldpolitische Transmission und somit unser primäres Mandat der Preisstabilität zu sichern”, sagte sie. Schnabel ist bei Europäischen Zentralbank (EZB) für die konkrete Umsetzung der Geldpolitik zuständig.
Zuletzt waren die Renditeabstände – die sogenannten Spreads – zwischen den Staatsanleihen Deutschlands und denen südlicher Euro-Länder wie Italien stark auseinandergelaufen. Für solche stärker verschuldeten Euro-Länder könnten die gestiegenen Risikoaufschläge Experten zufolge zu einem Problem werden. Am Dienstag war der Renditeabstand zwischen 10-jährigen deutschen Bundesanleihen und entsprechenden italienischen Staatspapieren auf über 2,50 Prozentpunkte gestiegen – der höchste Abstand seit 2020. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte vergangene Woche nach dem Zinsbeschluss gesagt, bei Bedarf werde die EZB bestehende angepasste Instrumente oder neue Instrumente einsetzen, um gegen ein unerwünschtes Auseinanderlaufen der Renditen für Staatsanleihen vorzugehen.
Das Engagement für den Euro sei das Werkzeug der Notenbank gegen eine solche Fragmentierung, sagte Schnabel. “Dieses Engagement kennt keine Grenzen”, fügte sie hinzu. Auf neue Notfälle werde die EZB mit bestehenden und neuen Instrumenten reagieren. Diese könnten unterschiedlich ausgestaltet werden und würden innerhalb des Mandats verbleiben, sagte sie. In einer ersten Reaktion auf die Rede der EZB-Direktorin Schnabel twitterte Frederik Ducrozet, Chefkonjunkturanalyst beim Schweizer Vermögensverwalter Pictet, er erwarte, dass nun ein neues Instrument kommen werde. “Was zählt, ist Glaubwürdigkeit und @Isabel_Schnabel hat gerade ein starkes Signal heute gesendet”, merkte er an.
Schnabel zufolge ist ein Werkzeug, um die Renditeabstände einzudämmen, die flexible Wiederanlage der Gelder aus abgelaufenen Anleihen im Rahmen des billionenschweren Bond-Kaufprogramms PEPP. Die EZB kann laut der Direktorin zudem in sehr kurzer Zeit Antworten finden, sollte die Geldpolitik gefährdet sein. rtr
Kommt ein neuer Minister ins Amt, beginnt das große Stühlerücken. Als Robert Habeck das Bundeswirtschaftsministerium übernahm, war das nicht anders. Der Grünen-Politiker tauschte die Führungsriege seines Hauses nahezu komplett aus, von den 11 Abteilungsleitern blieben nur drei.
Kirsten Scholl ist geblieben. Peter Altmaier (CDU) hatte sie 2017 zur Leiterin der Europaabteilung berufen, Habeck hält an ihr fest. Die 54-jährige Beamtin hat kein Parteibuch, gilt als sehr loyal. Der neue Minister muss also kaum befürchten, dass Scholl seine Agenda auf EU-Ebene hintertreibt.
Die Möglichkeiten dazu hätte sie. Das Wirtschaftsministerium spielt traditionell eine zentrale Rolle in der europapolitischen Koordinierung der Bundesregierung (Europe.Table berichtete), es verantwortet gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt die deutsche Positionierung im Rat. Scholl muss jede Weisung abzeichnen, die in den Geschäftsbereich des AStV 1 fällt, des Ausschusses der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten in Brüssel.
Sie stimmt sich dafür permanent mit den anderen Ministerien ab, versucht Konflikte zu schlichten und hebt sie notfalls auf die nächsthöhere Ebene der Staatssekretäre. Die Politik der Bundesregierung benötige “ein solides europäisches Fundament”, sagt sie.
Dazu gehört auch, sich mit anderen Regierungen abzustimmen, mögliche Allianzen zu schmieden. Vom Arbeitsstil her liegen Scholl die Kollegen aus Skandinavien besonders, “unprätentiös, modern und verlässlich” seien diese, sagt sie, was die Zusammenarbeit sehr erleichtere.
Ihr Interesse an Europa wurde früh geweckt. Die Familie lebte von 1973 bis 1975 in Portugal, wo ihr Vater eine Fotokamerafabrik aufbaute. Sie erlebte damit die Nelkenrevolution, die Langzeit-Diktator Salazar stürzte.
Geprägt habe sie auch ihre Patentante aus Frankreich, erzählt Kirsten Scholl. Ihre Mutter hatte bei dieser in Paris als Au-Pair gelebt, seitdem sind die beiden Familien eng verbunden. “Wir haben uns oft unterhalten, sie war zutiefst überzeugt von deutsch-französischer Freundschaft.” Über Aufenthalte bei der Patentante und Sprachkurse lernte sie auch, fließend Französisch zu sprechen.
Das wiederum erwies sich später als förderlich für die Karriere. “Ohne die Französischkenntnisse hätte ich kaum die Europaabteilung verantworten können”, sagt sie. Minister Altmaier etwa parlierte liebend gern in der Sprache Molières, Meetings mit seinem Kollegen Bruno Le Maire liefen daher oft weitgehend auf Französisch.
Auch Habeck pflegt ein enges Verhältnis nach Paris – die enge Verbundenheit ist ein zentraler Baustein der deutschen Europapolitik. Vor dem Hintergrund ihrer familiären Verbundenheit berührte es Scholl besonders, als sie im Januar mit dem Verdienstorden Frankreichs für ihren Einsatz um die bilateralen Beziehungen geehrt wurde.
Europa zog sich durch ihre Laufbahn als Beamtin. Nach drei Jahren in der Personalabteilung des Ministeriums arbeitete sie im Jahr 2000 einige Monate in der Ständigen Vertretung in Brüssel, bevor sie in Elternzeit ging. Nach der Geburt der beiden Kinder kümmerte sie sich im BMWi zunächst um die Regionalpolitik, war anschließend an den Verhandlungen über eine europäische Verfassung und den Lissabon-Vertrag beteiligt. 2010 übernahm sie die Leitung des Referats zur Zukunft der EU, wurde später Unterabteilungsleiterin. Altmaier beförderte sie dann zur Abteilungsleiterin.
Über den langen Zeitraum hat Scholl beobachtet, wie sich die Beziehungen zwischen den EU-Staaten verändert haben – und zwar nicht immer zum Guten. Ihre Dissertation hat die Juristin in München zur zwischenstaatlichen Haftung im Gemeinschaftsrecht verfasst, lange bevor es zu rechtlichen Auseinandersetzungen wie jener zwischen Polen und Tschechien um den Braunkohletagebau in Turów kam (Europe.Table berichtete). “In den 90ern galt es noch als sehr theoretisch, dass ein Mitgliedstaat einen anderen auf Schadenersatz verklagen würde”, sagt sie. “In einer guten Familie komme so etwas nicht vor, hieß es damals.” Till Hoppe
als “wichtigen Etappensieg” feierten Abgeordnete des Umwelt- und des Wirtschaftsausschusses im EP gestern ihre Abstimmung: Sie sprachen sich mehrheitlich gegen die Aufnahme von Atomkraft und Erdgas in die EU-Taxonomie aus. Mitglieder beider Ausschüsse hatten Einspruch gegen das Vorhaben der Kommission eingelegt. Meine Kollegin Leonie Düngefeld erklärt, wie es jetzt weitergeht.
Über sogenannte Solidaritäts-Korridore will die EU dabei helfen, Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine zu transportieren und dem Weltmarkt zugänglich zu machen, wo sie dringend benötigt werden. Überwiegend per LKW und auf der Schiene. Das sei gut gemeint, sagte nun der stellvertretende ukrainische Agrarminister im Europäischen Parlament. Exporte in dieser Größenordnung seien jedoch nur auf dem Seeweg möglich. Der Fokus müsse auf der Donau-Region und den rumänischen Schwarzmeer-Häfen liegen. Timo Landenberger hat die Details.
Es gibt ein neues Verfahren gegen Apple. Nach Streitigkeiten wegen Apps und Zahlungsmöglichkeiten im Apple-Store, geht es nun um den Zugriff auf Kundendaten. Hat Apple sich auch hier Vorteile verschafft? Worum es bei der Untersuchung, die das Bundeskartellamt jetzt eingeleitet hat, geht, hat Torsten Kleinz aufgeschrieben.
Als Robert Habeck das Bundeswirtschaftsministerium übernahm, begann das Stühlerücken. Der Großteil der Leitungsposten wurde neu besetzt – nicht aber der der Europaabteilung des Ministeriums. Till Hoppe stellt Kirsten Scholl im Portrait vor.
Die Abgeordneten des Umwelt- und des Wirtschaftsausschusses im Europäischen Parlament haben gestern gegen den Delegierten Rechtsakt gestimmt, durch den die Europäische Kommission Atomkraft und Erdgas in die EU-Taxonomie aufnehmen möchte. Während einer gemeinsamen Sitzung beider Ausschüsse stimmten 76 MEPs fraktionsübergreifend für die Ablehnung, vier enthielten sich und 62 votierten dagegen. Anfang Juli stimmt das Plenum über die Resolution ab – und entscheidet endgültig, ob der Rechtsakt in Kraft tritt oder nicht.
Durch den im Januar vorgeschlagenen zweiten Delegierten Rechtsakt zur EU-Taxonomie möchte die Kommission Kernenergie und Erdgas als nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten ausweisen. Im März hatten Europaabgeordnete der Grünen/EFA und der S&D Einspruch dagegen eingelegt (Europe.Table berichtete) und somit das Veto-Verfahren formell eingeleitet. Am 20. Mai hatte dann ein parteiübergreifendes Bündnis von Abgeordneten aus dem Umwelt- und dem Wirtschaftsausschuss eine Entschließung eingereicht. Unklar war, ob auch aus der EVP- und der Renew-Fraktion ausreichend Abgeordnete die Entschließung unterstützen würden. Beide Fraktionen standen zumindest nicht geschlossen hinter dem Veto. Vergangene Woche hatten jedoch Abgeordnete aus allen vier Gruppen gemeinsam für den Einspruch geworben (Europe.Table berichtete).
“Für die anstehende Plenarabstimmung über die Taxonomie ist das heutige Abstimmungsergebnis in den Ausschüssen ein wichtiger Etappensieg”, sagte Delara Burkhardt (SPD), Mitglied im Umweltausschuss, zu Europe.Table. Dass eine Einigung mit dem naturgemäß eher wirtschaftsorientierten Wirtschaftsausschuss möglich war, stimme sie zuversichtlich. “Zu sicher sollten wir uns für die Abstimmungen im Plenum im Juli aber nicht sein. Die Atom- und Gas-Lobby wird ihre Anstrengungen nochmals verstärken, um für ein anderes Endergebnis zu sorgen.”
“Die fachlich zuständigen Ausschüsse des Europäischen Parlaments senden ein klares Signal, das Greenwashing von Atomkraft und Gas zu stoppen”, sagte Jutta Paulus (Grüne), ebenfalls Mitglied im Umweltausschuss. Nur das Parlament könne jetzt noch verhindern, dass die Glaubwürdigkeit der Taxonomie zerstört werde. “Denn Anlegerinnen und Anleger werden kein Vertrauen in ein Label haben, das die Klimaschäden von fossilem Gas und den strahlenden Müll der Atomkraftwerke herunterspielt.” Sie erwarte von allen deutschen Europaabgeordneten ein entschiedenes Eintreten gegen das Vorhaben der Kommission.
Auf einer Pressekonferenz vor der Abstimmung hatten Abgeordnete von Grünen, S&D, Renew und EVP-Fraktion das Vorgehen der Kommission scharf kritisiert. Die schwedische Abgeordnete Emma Wiesner (Renew) sprach von einem “Pingpong-Spiel zwischen Deutschland und Frankreich”, die ihre jeweiligen politischen Interessen durchgedrückt hätten. “Die Taxonomie muss auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und darf nicht politisch instrumentalisiert werden”, sagte Wiesner.
Die Frage, ob Kernenergie und Erdgas als nachhaltige Wirtschaftsaktivität gelabelt werden sollen, hat bislang nicht nur im EU-Parlament für Widerspruch gesorgt. Ein von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) im Januar veröffentlichtes Gutachten hatte die Aufnahme von Kernenergie und Erdgas in die EU-Taxonomie für unvereinbar sowohl mit geltendem EU-Recht als auch mit dem deutschen Grundgesetz erklärt (Europe.Table berichtete). Demnach fehle es der Kommission nicht nur an formeller Befugnis, den delegierten Rechtsakt auszuarbeiten. Auch verstoße sie mit der Aufnahme von Atomkraft und Erdgas gegen das in den europäischen Verträgen festgelegte Vorsorgeprinzip, das zur Risikovermeidung verpflichtet, und gegen die Taxonomie-Verordnung selbst.
Auch ein von der österreichischen Regierung in Auftrag gegebenes Gutachten kam zu dem Schluss, die Kommission überschreite mit dem Delegierten Rechtsakt ihre Befugnisse und die Bestimmungen, die in der Taxonomie-Verordnung festgelegt sind. Das Gutachten sieht deshalb gute Chancen für eine Klage, die Österreich und auch Luxemburg angekündigt hatten für den Fall, dass der Rechtsakt in Kraft tritt (Europe.Table berichtete).
“Wenn diese Aufweichung durchgeht, ist das ein unglaublicher Reputationsschaden an der Zielsetzung der EU-Kommission, der kaum wieder zu heilen ist”, sagte Kristina Jeromin, Co-Geschäftsführerin des Sustainable Finance Cluster Germany (SFCG), am Montag bei einer Diskussion im Vorfeld der Abstimmung. Sobald die Wirtschaft das Gefühl habe, die Politik geht nicht mit entsprechendem Willen voran, bleibe sie weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Auch die Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung schwinde.
Zudem sei die Arbeit des Expertengremiums, das die Kommission in der Taxonomie beraten hat, wissenschaftlich gestützt und auf die EU-Klimaziele ausgerichtet gewesen. Mit dem Vorschlag, auch Kernenergie und Erdgas als nachhaltig zu labeln, habe die Kommission diese Arbeit unterwandert. Welche Konsequenzen dies für das Erreichen der Klimaziele habe, sei unklar.
In der ersten Juliwoche wird das Plenum über die Resolution abstimmen. Damit diese angenommen wird und die Kommission ihren Vorschlag zurückziehen oder ändern muss, ist eine absolute Mehrheit notwendig: 353 Stimmen. Ob die Mobilisierung funktioniert und sich so viele Abgeordnete dem Veto anschließen, ist nicht sicher. Mittlerweile zeichne sich ein Stimmungsbild ab, erklärte Michael Bloss (Grüne): “Eine Allianz von knapp 200 S&D, Grünen und Linken, wenigen Liberalen und einigen Konservativen wird sicher für die Ablehnung des Rechtsakts stimmen. Über 100 Abgeordnete gelten derzeit als unentschlossen und das Abstimmungsverhalten weiterer 100 Abgeordneter ist unklar.”
Das knappe Ergebnis in den Ausschüssen biete einen Vorgeschmack auf die Abstimmung im Plenum, sagte Joachim Schuster, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der SPD-Europaabgeordneten. “Offenbar haben Teile der tief gespaltenen EVP noch nicht den Ernst der Lage verstanden.” Die EU-Kommission müsse lernen, die Vorschläge des Parlaments ernst zu nehmen. Schuster hält eine Sonderkategorie für Atomkraft und Gas in der Taxonomie für sinnvoll, die ein eindeutiges Ausstiegsszenario beinhaltet.
Bis zum 11. Juli haben das Parlament und der Europäische Rat Zeit, um ein Veto gegen den Vorschlag der Kommission einzulegen. Vom Rat wird kein Einspruch mehr erwartet. Zwar hat auch die Bundesregierung mittlerweile eine Ablehnung des Rechtsaktes angekündigt, doch besteht unter den übrigen Mitgliedstaaten keine Mehrheit. Sollte auch im Parlament keine Mehrheit erreicht werden, wird der Delegierte Rechtsakt ab Januar 2023 rechtskräftig.
Die Lage sei dramatisch, sagte Markian Dmytrasevych am Dienstag vor dem Agrarausschuss des Europäischen Parlaments. Der stellvertretende Landwirtschaftsminister der Ukraine ist für die Lebensmittel-Exporte aus dem Land verantwortlich und steht vor einer nie dagewesenen Herausforderung. Schätzungen gehen von über 20 Millionen Tonnen Getreide aus, die infolge des Krieges und der Blockade der Häfen in der Ukraine feststecken.
Die Nahrungsmittel werden auf dem Weltmarkt dringend benötigt und die Zeit drängt: Bereits im Juli beginnt die nächste Ernte, dann müssten die Speicher eigentlich leer sein. Die Europäische Kommission hat deshalb einen Aktionsplan auf den Weg gebracht, um die Ukraine bei den Exporten zu unterstützen. Über sogenannte Solidaritäts-Korridore (Solidarity Lanes) soll das Getreide per LKW und auf der Schiene aus dem Land und zu den EU-Häfen an Nord- und Ostsee sowie am Mittelmeer transportiert werden.
Das sei gut gemeint, aber letztlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, sagte Dmytrasevych. “Im März konnten wir nur 200.000 Tonnen Weizen exportieren. Im April etwa eine Million und im Mai 1,8 Millionen.” Mit wesentlich mehr sei trotz Solidarity Lanes auch im Juni nicht zu rechnen. 2,4 Millionen Tonnen sei das Maximum dessen, was derzeit möglich sei. Zum Vergleich: Vor Kriegsausbruch exportierte die Ukraine fünf bis sechs Millionen Tonnen Getreide pro Monat, was in etwa der Jahresexportmenge Deutschlands entspricht.
Mehr als 90 Prozent dieser Lieferungen wickelte die Ukraine über den Seeweg ab, auf alternativen Verkehrswegen fehlen schlicht die Kapazitäten. “Die einzig wirkliche Lösung wäre also, wenn Russland die Blockade unserer Häfen aufgeben und eine reguläre Verschiffung wieder möglich machen würde”, so der Vize-Minister.
Bei einem Besuch in der Türkei vergangene Woche hatte Russlands Außenminister Sergei Lawrow die Ukraine selbst für die Schwarzmeerblockade verantwortlich gemacht. Er forderte das Land auf, die Häfen von den dort angebrachten Minen zu befreien. Russland werde das nicht für sich nutzen. Doch diesem Angebot will die Ukraine nicht trauen.
Im Agrarausschuss plädierte Dmytrasevych deshalb für eine Stärkung der Donauregion, um das Getreide über den Fluss und die Verbindungskanäle zu den rumänischen Schwarzmeer-Häfen zu transportieren. Die konkreten Vorschläge:
Sich zu sehr auf einen Verkehrsweg zu konzentrieren, mache diesen aber auch besonders verwundbar, gab Norbert Lins (CDU), Vorsitzender des Agrarausschusses, zu bedenken. Es sei deshalb richtig, auch die Nordrouten über Polen und das Baltikum weiter zu verbessern. Dort gelte es, die Flaschenhälse an den Grenzübergängen möglichst aufzulösen.
Kommende Woche will der Ausschuss an die ukrainische Grenze reisen, um sich selbst ein Bild von den logistischen Herausforderungen zu machen. Aufgrund fehlender Kapazitäten warten dort tausende LKW auf die Zollabfertigung. Auch der Transport auf der Schiene stockt, da in der Ukraine eine andere Spurbreite verwendet wird als in der EU (Europe.Table berichtete).
Schon jetzt ist klar: Rechtzeitig leer werden die Speicher wohl nicht mehr. Zwar rechnet die Ukraine für die bevorstehende Ernte nur mit etwa 50 Prozent des Ertrags aus den Vorjahren. Dennoch müsse von einem Lager-Defizit von etwa 15 Millionen Tonnen ausgegangen werden, so Dmytrasevych. Zumal einige Speicher durch russische Angriffe zerstört wurden oder von Russland blockiert werden. Die Einrichtung von provisorischen und temporären Getreidespeichern werde also unumgänglich, um die Lebensmittel vor dem Verderben zu retten und die globale Ernährungskrise nicht noch weiter zu verschärfen.
“Es ist der zynische Versuch Russlands, Lebensmittel für militärische Ziele einzusetzen”, sagte Martin Hlaváček (Renew) im Agrarausschuss. Ziel sei hier nicht die Ukraine, sondern die EU. “Es geht um eine Destabilisierung der europäischen Gemeinschaft, indem die Preise für Nahrungsmittel steigen und letztlich eine Migrationswelle aus den Entwicklungsländern ausgelöst wird, wo die Menschen Hunger leiden”.
Getreide aus der Ukraine macht zwölf Prozent der weltweiten Exporte aus. Auch Russland und Belarus sind wichtige Exportländer und haben ihre Lieferungen weitgehend eingestellt. Insbesondere Länder der sogenannten MENA-Region, also der Nahe Osten und Nordafrika, sind jedoch stark davon abhängig. So importiert beispielsweise Ägypten über 80 Prozent seines Weizens aus der Ukraine und Russland. Das Welternährungsprogramm warnte deshalb bereits vor drohenden Hungersnöten und Massenmigration aus der MENA-Region nach Europa.
Die neue Untersuchung fügt sich ein in eine ganze Reihe anderer Wettbewerbsverfahren, in denen es um Apples eiserne Kontrolle über das eigene Ökosystem geht. Der App Store ist ein dauerhafter Streitpunkt, da der US-Konzern nicht nur nach Gutsherrenart bestimmt, wer seine Apps auf iPhone und iPad installieren darf und wer nicht. Strittig sind insbesondere die Eingriffe in die Geldströme: Apple verlangt eine Provision bei den meisten Umsätzen, die App-Entwickler machen.
2021 hatte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Apple vorgeworfen, in seinem App Store gegen das Wettbewerbsrecht zu verstoßen, weil der Konzern unter anderem den Konkurrenten Spotify behindert haben soll (Europe.Table berichtete). Im April wurde bekannt, dass die Kommission die Kartellklage sogar ausweiten will. Im Januar hatte die niederländische Marktaufsicht eine Strafe von fünf Millionen Euro gegen den iPhone-Konzern verhängt (Europe.Table berichtete), weil der keine Dating-Apps zulassen wollte, die ihren Kunden ein von Apple unabhängiges Zahlungssystem anbieten wollte. Mit Fortnite-Anbieter Epic befindet sich Apple seit Jahren im Dauerstreit, da der seine Umsätze wie auch Spotify nicht nach Apples Bedingungen teilen will. Auch um den Zugriff auf die für Zahlungen notwendigen NFC-Chips gibt es Streit, die Kommission wirft Apple vor, den eigenen Zahlungsdienst zu bevorzugen (Europe.Table berichtete).
Das Bundeskartellamt untersucht nun die andere Seite der Medaille: Denn bisher waren Werbeeinnahmen ein Weg, Apps zu monetarisieren, ohne Apple Provisionen zu schulden. Mit seiner Werbe-ID IDFA hatte der Konzern sogar eine Schnittstelle geschaffen, die für die Online-Werbebranche einen besonders hohen Stellenwert hatte. Da Apple-Nutzer als besonders zahlungskräftige Zielgruppe eingestuft wurden, konnten App-Entwickler von Werbekunden hohe Preise verlangen – ohne Apple davon etwas abzugeben. Der Konzern profitierte aber indirekt durch ein reichhaltiges Angebot von Apps auf seiner Plattform.
Mit dem Update auf iOS 14.5 im April 2021 hat Apple diese Geschäftspartnerschaften nicht beendet, aber in den Grundfesten erschüttert. Im Zuge des App Tracking Transparency Frameworks müssen App-Entwickler ihre Nutzer erst um Erlaubnis fragen, um bestimmte Daten verwerten zu können, von anderen wurden sie ganz abgeschnitten. So unterdrückt Apple in seinem Browser Safari standardmäßig viele Tracking-Cookies, die dazu dienen, übergreifende Werbeprofile anzulegen. Die Werbepreise für Apple-Nutzer fielen deshalb ins Bodenlose. Facebook wirft Apple vor, dass die neuen Privatsphäre-Regelungen den Social-Media-Anbieter in nur einem Jahr 10 Milliarden Dollar gekostet haben.
Apple-Kritiker werfen dem Konzern außerdem vor, seine eigenen Apps jedoch zu bevorzugen. So erscheint der Banner, mit dem Apple selbst um Erlaubnis zum Ausspielen personalisierter Werbung fragt, deutlich weniger bedrohlich als bei anderen Apps. Zudem ist Apples eigenes Werbegeschäft nach Einführung der Anti-Tracking-Techniken durch die Decke gegangen: Das Beratungsunternehmen Omdia kalkulierte für 2021 eine Steigerung um 238 Prozent auf 3,7 Milliarden Dollar. Apple hingegen veröffentlichte im April eine Studie, in der ein Zusammenhang zwischen Tracking-Stopp und eigenem Werbewachstum dementiert wird.
An Beschwerdeführern wird es dem Bundeskartellamt nicht mangeln. Sowohl Verleger als auch Werbewirtschaft haben im April 2021 Beschwerde gegen Apples Anti Tracking-Maßnahmen eingelegt. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, drückt nun aufs Gaspedal: Er hat das neue Verfahren eingeleitet, bevor seine Behörde noch die marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb im Sinne des Paragraph 19a des Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen festgestellt hat (Europe Table berichtete).
Die Massen an Verfahren scheint zumindest Eindruck auf Apple zu haben. Wie am Montag bekannt wurde, verzichtet der Konzern darauf, seinen eigenen Streamingdienst Apple Music in dem kommenden Update auf iOS 15.6 einen besonders prominenten Platz auf dem Startbildschirm zuzuschustern. Angesichts solch minimaler Zugeständnisse dürfte eine Einigung bei Fragen wie Provisionen und Werbedaten jedoch noch viele Jahre benötigen.
Der russische Energieriese Gazprom gab gestern bekannt, die Lieferung durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream um 40 Prozent zu drosseln. Als Grund wurden Verzögerungen bei Reparaturarbeiten durch Siemens genannt. Ein Gasverdichteraggregat sei nicht rechtzeitig aus der Reparatur zurückgekommen. Deshalb könnten täglich nur noch bis zu 100 Millionen Kubikmeter Gas durch die Pipeline gepumpt werden statt des bisher geplanten Tagesvolumens von 167 Millionen.
Siemens Energy erklärte, die Gasturbinen für eine Verdichterstation könnten nur in Montreal überholt werden. Aufgrund der von Kanada verhängten Sanktionen sei es derzeit nicht möglich, die Gasturbinen an den Kunden zu liefern. Ob wirklich technische Gründe der Anlass für die Einschränkungen sind, ist allerdings offen. SWP-Experte Janis Kluge vermutet ein Manöver des Kreml, um die Gaspreise hoch zu halten.
Die Bundesregierung sieht die Versorgungssicherheit bei Gas nach eigenen Angaben als gewährleistet an. Unterdessen will die Regierung die Treuhandverwaltung von Gazprom Germania durch die Bundesnetzagentur längerfristig absichern. Die Verwaltung nach dem Außenwirtschaftsrecht ist bis Ende September befristet. Geplant ist nun eine Konstruktion nach dem erst vor kurzem geänderten Energiesicherungsgesetz, sodass die Treuhänderschaft verlängert werden kann.
Die Gazprom Germania wird außerdem in “Securing Energy for Europe GmbH” umbenannt – als Signal auch für die Bedeutung für die Energieversorgung in Europa. Die Bundesregierung stützt das Unternehmen zudem nach Angaben aus Regierungskreisen mit neun bis zehn Milliarden Euro. Geplant sind Hilfen über die KfW, der Bund übernimmt Garantien. Infolge der Sanktionen seien Gaslieferungen ausgefallen. Dadurch seien Ersatzbeschaffungen zu aktuell sehr hohen Marktpreisen notwendig geworden. dpa/ber
Europa will angesichts der Abhängigkeit von russischem Gas enger mit Israel zusammenarbeiten. “Wir wollen unsere Energie-Zusammenarbeit mit Israel fördern”, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstagabend bei einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett in Jerusalem. Angesichts russischer Erpressungsversuche wolle man die Zusammenarbeit mit anderen, vertrauenswürdigen Lieferanten ausbauen, erklärte sie.
Die EU-Kommission hatte schon Mitte Mai angekündigt, dass sie noch vor dem Sommer ein Energieabkommen mit Israel und Ägypten über Flüssiggas-Lieferungen (LNG) für Europa abschließen will. Vor Israel wurden große Erdgasvorkommen entdeckt. Bei einem Besuch in Ägypten solle am Mittwoch eine gemeinsame Absichtserklärung Israels, der EU und Ägyptens unterzeichnet werden, sagte von der Leyen. Ziel seien Gaslieferungen aus Israel über eine Pipeline nach Ägypten. Dort sei die Umwandlung in Flüssiggas vorgesehen, das dann in die EU transportiert werden könne. Die Unterzeichnung sei ein “sehr wichtiger Schritt”, sagte sie.
Von der Leyen hatte zuvor auch auf den Bau einer geplanten Stromverbindung zwischen Israel, Zypern und Griechenland im östlichen Mittelmeer verwiesen. Zudem sei eine Gas-Pipeline im östlichen Mittelmeer in Vorbereitung. Das Projekt war zwischenzeitlich schon fast aufgegeben. Eine 1900 Kilometer lange Pipeline namens EastMed (Ost-Mittelmeer) soll Gas von Israel über Zypern nach Griechenland und damit in die Europäische Union leiten. Dann könnte es nach Mitteleuropa weitertransportiert werden.
Israels Ministerpräsident Naftali Bennett sagte nach Gesprächen mit dem italienischen Premier Mario Draghi, die Zusammenarbeit im Energiebereich habe das Ziel, dass Gas aus Israel auch Europa dienen könne. Draghi besucht derzeit Israel. Er betonte, auch Italien wolle seine Abhängigkeit von russischem Gas verringern.
Die EU versucht, so schnell wie möglich unabhängig von russischen Gaslieferungen zu werden – sowohl von Pipeline-Gas als auch von Flüssiggas. dpa
Die EU-Kommission rechnet trotz der überraschenden Ablehnung der Reform des europäischen Emissionshandels (ETS) durch das EU-Parlament vergangene Woche (Europe.Table berichtete) mit einer raschen Einigung. “Wir haben gesehen, wie unheimlich kompliziert das Gesamtkunstwerk ,Fit for 55′ ist. Daher ist es nicht so überraschend, dass es zu Unfällen wie einem Nein im Europäischen Parlament kommt”, sagte Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission, gestern in Wien. “Ich bin zuversichtlich, dass es zu einem Kompromiss im Europaparlament kommen wird.” Er erwartet, dass die großen Fraktionen noch in diesem Monat einen Kompromiss finden, der dann im Rat behandelt werden kann.
Die EU-Volksvertretung hatte in der vergangenen Woche nach wochenlangen Verhandlungen die Reform des europäischen Emissionshandels abgelehnt. Der Bericht des EVP-Politikers Peter Liese (CDU) wurde von der grünen und sozialdemokratischen Mehrheit zurück an den Ausschuss verwiesen. Zwischen den Fraktionen müssen nun Kompromisse in der ETS-Reform, der Einführung des Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) und des Klimasozialfonds gefunden werden. Am 22. und 23. Juni steht das Thema abermals auf der Agenda. Der europäische Emissionshandel ist ein bereits 2005 in Kraft getretenes Instrument, um die klimaschädlichen Treibhausgase in Europa zu senken.
Wie ein Kompromiss in der Frage, wie lange energieintensive Unternehmen noch kostenlose CO2-Zertifikate bekommen sollen, aussehen kann, ist offen. Vorschläge sehen einen Zeitrahmen von 2030 bis 2034 vor (Europe.Table berichtete). Der Frage, ob ein Kompromiss in der Mitte dieser Periode liegen könnte, wich Timmermans aus. Er sagte nur vieldeutig: “Das wäre eine europäische Kompromisslösung”. Die kürzliche Zustimmung des EU-Parlaments zum Verbot neuer Autos mit Verbrennermotoren ab dem Jahr 2035 stimmt Timmermans für die weiteren Schritte in der Klimapolitik zuversichtlich. “Wir müssen schnell handeln. Wir machen in Europa die besten Autos der Welt. Wir müssen künftig auch die besten Elektroautos bauen”, sagte der Klimaschutz-Kommissar.
In Österreich, das sich bereits seit Jahrzehnten gegen die Atomenergie wendet, warb Timmermans bei seinem Besuch für eine pragmatische Haltung in der Kernenergie. “Wenn wir die EU zusammenhalten wollen, müssen wir beiden Positionen respektieren. Manche Länder brauchen eben die Kernenergie”, sagte der Klimaschutz-Kommissar in Anspielung auf die österreichischen Nachbarländer Tschechien und Slowakei, die seit Jahrzehnten auf die Stromerzeugung durch Kernkraft setzen.
Der Kommissionsvize sprach sich für eine schnellstmögliche Unabhängigkeit von russischen Gasimporten aus. Er will künftig eine strategische Energiesouveränität in Europa erreichen. “Wir waren zu lang zu gierig nach billiger Energie aus Russland. Wir müssen von russischem Gas wegkommen, so schnell wie nur möglich”, betonte Timmermans am Rande des Austria World Summit.
Ein völliger Importstopp für Gas aus Russland ist nach Meinung des Klimakommissars aber erst in fünf Jahren möglich. “Wir können keinen Gas-Stopp über Nacht machen. Ich gehe aber davon aus, dass wir 2027 kein russisches Gas mehr in die EU importieren”, sagte Timmermans. Im Fall Österreichs ist der Abschied vom russischen Gas besonders schwer. Denn 80 Prozent des Gases in dem EU-Land kommt aus Russland. Seit Jahrzehnten dominiert der kremlnahe Energieversorger Gazprom mit seinen Lieferungen durch die Ukraine und der Slowakei den österreichischen Gasmarkt.
Gerade vor der historisch hohen Inflation in der Eurozone und des Ukraine-Krieges plädiert Timmermans dafür, die Energiewende mit dem Ausbau der Solar- und Windenergie zu beschleunigen. “Wir können aus teurem Gas kein billiges machen”, sagte der Kommissionsvize am Dienstag. “Das Beste, was wir daher leisten können, ist ein rascher Umbau in Richtung erneuerbare Energie.” hps
Die EZB wird laut Direktorin Isabel Schnabel gegen einen ungeordneten Anstieg der Finanzierungskosten stärker verschuldeter Länder der Euro-Zone einschreiten. Die Geldpolitik könne und solle auf eine ungeordnete Neubewertung von Risikoaufschlägen regieren, die die Maßnahmen der Notenbank beeinträchtige und die Preisstabilität bedrohe, sagte Schnabel am Dienstag an der Panthéon-Sorbonne University in Paris laut Redetext. “Es besteht kein Zweifel daran, dass wir nötigenfalls neue Instrumente entwickeln und einsetzen werden, um die geldpolitische Transmission und somit unser primäres Mandat der Preisstabilität zu sichern”, sagte sie. Schnabel ist bei Europäischen Zentralbank (EZB) für die konkrete Umsetzung der Geldpolitik zuständig.
Zuletzt waren die Renditeabstände – die sogenannten Spreads – zwischen den Staatsanleihen Deutschlands und denen südlicher Euro-Länder wie Italien stark auseinandergelaufen. Für solche stärker verschuldeten Euro-Länder könnten die gestiegenen Risikoaufschläge Experten zufolge zu einem Problem werden. Am Dienstag war der Renditeabstand zwischen 10-jährigen deutschen Bundesanleihen und entsprechenden italienischen Staatspapieren auf über 2,50 Prozentpunkte gestiegen – der höchste Abstand seit 2020. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte vergangene Woche nach dem Zinsbeschluss gesagt, bei Bedarf werde die EZB bestehende angepasste Instrumente oder neue Instrumente einsetzen, um gegen ein unerwünschtes Auseinanderlaufen der Renditen für Staatsanleihen vorzugehen.
Das Engagement für den Euro sei das Werkzeug der Notenbank gegen eine solche Fragmentierung, sagte Schnabel. “Dieses Engagement kennt keine Grenzen”, fügte sie hinzu. Auf neue Notfälle werde die EZB mit bestehenden und neuen Instrumenten reagieren. Diese könnten unterschiedlich ausgestaltet werden und würden innerhalb des Mandats verbleiben, sagte sie. In einer ersten Reaktion auf die Rede der EZB-Direktorin Schnabel twitterte Frederik Ducrozet, Chefkonjunkturanalyst beim Schweizer Vermögensverwalter Pictet, er erwarte, dass nun ein neues Instrument kommen werde. “Was zählt, ist Glaubwürdigkeit und @Isabel_Schnabel hat gerade ein starkes Signal heute gesendet”, merkte er an.
Schnabel zufolge ist ein Werkzeug, um die Renditeabstände einzudämmen, die flexible Wiederanlage der Gelder aus abgelaufenen Anleihen im Rahmen des billionenschweren Bond-Kaufprogramms PEPP. Die EZB kann laut der Direktorin zudem in sehr kurzer Zeit Antworten finden, sollte die Geldpolitik gefährdet sein. rtr
Kommt ein neuer Minister ins Amt, beginnt das große Stühlerücken. Als Robert Habeck das Bundeswirtschaftsministerium übernahm, war das nicht anders. Der Grünen-Politiker tauschte die Führungsriege seines Hauses nahezu komplett aus, von den 11 Abteilungsleitern blieben nur drei.
Kirsten Scholl ist geblieben. Peter Altmaier (CDU) hatte sie 2017 zur Leiterin der Europaabteilung berufen, Habeck hält an ihr fest. Die 54-jährige Beamtin hat kein Parteibuch, gilt als sehr loyal. Der neue Minister muss also kaum befürchten, dass Scholl seine Agenda auf EU-Ebene hintertreibt.
Die Möglichkeiten dazu hätte sie. Das Wirtschaftsministerium spielt traditionell eine zentrale Rolle in der europapolitischen Koordinierung der Bundesregierung (Europe.Table berichtete), es verantwortet gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt die deutsche Positionierung im Rat. Scholl muss jede Weisung abzeichnen, die in den Geschäftsbereich des AStV 1 fällt, des Ausschusses der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten in Brüssel.
Sie stimmt sich dafür permanent mit den anderen Ministerien ab, versucht Konflikte zu schlichten und hebt sie notfalls auf die nächsthöhere Ebene der Staatssekretäre. Die Politik der Bundesregierung benötige “ein solides europäisches Fundament”, sagt sie.
Dazu gehört auch, sich mit anderen Regierungen abzustimmen, mögliche Allianzen zu schmieden. Vom Arbeitsstil her liegen Scholl die Kollegen aus Skandinavien besonders, “unprätentiös, modern und verlässlich” seien diese, sagt sie, was die Zusammenarbeit sehr erleichtere.
Ihr Interesse an Europa wurde früh geweckt. Die Familie lebte von 1973 bis 1975 in Portugal, wo ihr Vater eine Fotokamerafabrik aufbaute. Sie erlebte damit die Nelkenrevolution, die Langzeit-Diktator Salazar stürzte.
Geprägt habe sie auch ihre Patentante aus Frankreich, erzählt Kirsten Scholl. Ihre Mutter hatte bei dieser in Paris als Au-Pair gelebt, seitdem sind die beiden Familien eng verbunden. “Wir haben uns oft unterhalten, sie war zutiefst überzeugt von deutsch-französischer Freundschaft.” Über Aufenthalte bei der Patentante und Sprachkurse lernte sie auch, fließend Französisch zu sprechen.
Das wiederum erwies sich später als förderlich für die Karriere. “Ohne die Französischkenntnisse hätte ich kaum die Europaabteilung verantworten können”, sagt sie. Minister Altmaier etwa parlierte liebend gern in der Sprache Molières, Meetings mit seinem Kollegen Bruno Le Maire liefen daher oft weitgehend auf Französisch.
Auch Habeck pflegt ein enges Verhältnis nach Paris – die enge Verbundenheit ist ein zentraler Baustein der deutschen Europapolitik. Vor dem Hintergrund ihrer familiären Verbundenheit berührte es Scholl besonders, als sie im Januar mit dem Verdienstorden Frankreichs für ihren Einsatz um die bilateralen Beziehungen geehrt wurde.
Europa zog sich durch ihre Laufbahn als Beamtin. Nach drei Jahren in der Personalabteilung des Ministeriums arbeitete sie im Jahr 2000 einige Monate in der Ständigen Vertretung in Brüssel, bevor sie in Elternzeit ging. Nach der Geburt der beiden Kinder kümmerte sie sich im BMWi zunächst um die Regionalpolitik, war anschließend an den Verhandlungen über eine europäische Verfassung und den Lissabon-Vertrag beteiligt. 2010 übernahm sie die Leitung des Referats zur Zukunft der EU, wurde später Unterabteilungsleiterin. Altmaier beförderte sie dann zur Abteilungsleiterin.
Über den langen Zeitraum hat Scholl beobachtet, wie sich die Beziehungen zwischen den EU-Staaten verändert haben – und zwar nicht immer zum Guten. Ihre Dissertation hat die Juristin in München zur zwischenstaatlichen Haftung im Gemeinschaftsrecht verfasst, lange bevor es zu rechtlichen Auseinandersetzungen wie jener zwischen Polen und Tschechien um den Braunkohletagebau in Turów kam (Europe.Table berichtete). “In den 90ern galt es noch als sehr theoretisch, dass ein Mitgliedstaat einen anderen auf Schadenersatz verklagen würde”, sagt sie. “In einer guten Familie komme so etwas nicht vor, hieß es damals.” Till Hoppe