Europäische und nationale Vorhaben gemeinsam zu denken, das ist bei den digitalen Vorhaben feste Absichtserklärung des Koalitionsvertrages: „Ein digitaler Aufbruch, der unsere Werte, die digitale Souveränität und einen starken Technologiestandort sichert, gelingt nur in einem fortschrittlichen europäischen Rahmen„, heißt es auf Seite 15. Der Blick wird sich nun auch auf das BMVI richten: Das Haus an der Invalidenstraße soll künftig mit Volker Wissing (FDP) an der Spitze maßgebliches Treiberministerium auch für Digitales werden. Doch in fast jedem Ressort gibt es relevante Digitalvorhaben.
Doch digitaler Fortschritt hängt von zwei Aspekten ab: In welchem Umfeld soll etwas passieren – und mit welchem politischen und regulatorischen Werkzeug lässt es sich adressieren? Zugleich bewirken europäische Regelungen immer auch Veränderungen an primär nationalen Vorhaben.
In der nationalen Digitalpolitik spielt natürlich der Infrastrukturausbau mit Glasfaser und Mobilfunk eine wesentliche Rolle, hier steuern die Koalitionäre vor allem mit prozessualen Veränderungen wie dem Gigabit-Grundbuch nach. Auch bei der Verwaltungsmodernisierung ist es weniger die Neuerfindung des Rades, als das Nachsteuern auf eingeschlagenen Pfaden.
Im Gesundheitswesen soll Digitalisierung zum Standard werden, die DSGVO-konforme elektronische Patientenakte sollen Bürger aktiv per Opt-Out ablehnen müssen. Bis hin zur „telenotärztlichen Versorgung“ sollen künftig alle medizinischen Leistungen auch digital erbracht werden können – wie diese Vorhaben europaweit kompatibel sein sollen, verraten die Koalitionäre zumindest nicht im Vertragstext.
Auch ein digitales Gesetzgebungsportal ist vorgesehen, in dem der Stand inklusive Synopsen enthalten sein und öffentliche Kommentierungsmöglichkeiten erprobt werden sollen. Dieses könnte praktisch eng verbunden werden mit der vorgesehenen Lobbyregistergesetz-Novelle, mit der künftig schon Kontakte auf Referentenebene erfasst werden sollen und dem Plan, den „legislativen Fußabdruck„, also eingeflossene Eingaben von außen ebenfalls bei Gesetzentwürfen mitanzugeben. Auch hier findet sich bedauerlicherweise keine Angabe zu einer denkbaren Interoperabilität mit europäischen Systemen und Vorhaben der Digitalpolitik.
Daten und Datenschutz
Konfliktpotenzial in der Digitalpolitik entsteht bei der Frage des regulatorischen Umgangs mit Daten: Der Koalitionsvertrag sieht unter anderem ein Datengesetz zur Schaffung eines „standardisierten und maschinenlesbaren Zugangs zu selbsterzeugten Daten vor“. Dies könnte jedoch auch Teil der Regelungen des für Ende 2021 geplanten Vorschlags für einen Data Act auf europäischer Ebene sein. Ähnliches gilt auch für die Koalitionspläne für Daten in der Landwirtschaft: Auch hier müssten die Zielvorgaben der Ampel und der EU-Ebene in Einklang gebracht werden.
Beim Datenschutz soll die DSGVO unangetastet bleiben, aber die Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden national wie europäisch gestärkt werden. Einen besonderen Effekt könnte die Ampelkoalition auf die seit Jahren feststeckende E-Privacy-Verordnung haben: Hier wollen SPD, Grüne und FDP schnell die Verabschiedung einer „ambitionierten“ Regelung, ohne weiter ins Detail zu gehen.
Eng im Zusammenhang mit beiden Bereichen steht auch die Position der kommenden Bundesregierung zur Vorratsdatenspeicherung: Hier haben die Verhandler eine politische Bewertung unterlassen und zur Begründung schlicht auf die ausstehenden Urteile des Europäischen Gerichtshofs verwiesen. Dennoch: die VDS soll Geschichte sein. Das, was der Koalitionsvertrag nun vorsieht, entspricht dem Konzept „Quick Freeze“, also anlassbezogener Speicherung.
DSA und DMA
Die Koalition bekennt sich zum Digital Services Act. Auf dessen Grundlage wolle man unter anderem Telemediengesetz und Netzwerkdurchsetzungsgesetz überarbeiten. Allerdings sind die Ausführungen zum DSA eher schlank geraten – welche Behörde beispielsweise der deutsche Digital Services Coordinator werden soll, wird nicht weiter spezifiziert.
Allerdings ist an anderer Stelle dem Bundeskartellamt eine starke Rolle im Umgang mit Plattformen zugedacht. Das bezieht sich auch auf die Verhandlungen zum Digital Markets Act. Der DMA wird prinzipiell unterstützt – jedoch mit der Maßgabe, dass er nicht schwächer als nationales Recht ausfallen dürfe.
Gemeint sind damit die noch unter schwarz-roter Regierung durchgeführten Änderungen am Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), insbesondere der damit eingeführte § 19a, den das Bundeskartellamt derzeit in verschiedenen Verfahren auf seine Wirksamkeit prüft. Das GWB will die Koalition weiterentwickeln. Auch die Fusionskontrolle soll europäisch weiter geschärft und Killer-Akquisitionen verboten werden.
IT-Sicherheit und Souveränität
Nicht genau absehbar sind die europäischen Auswirkungen der Vorhaben im Bereich der IT-Sicherheit auf die Digitalpolitik. So will die Ampel ein Recht auf Verschlüsselung genauso einführen wie security-by-design/default als Vorgabe. Dies steht teilweise im Konflikt mit Plänen der EU-Kommission, etwa beim Thema Chatüberwachung. Auch an anderer Stelle im Koalitionsvertrag werden „Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation“ abgelehnt.
Weitergehend dürften Auswirkungen an anderer Stelle sein: Die künftige Bundesregierung will den Ankauf von Schwachstellen durch staatliche Stellen verbieten und ein Meldesystem über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) etablieren, sodass bekannt gewordene Sicherheitslücken herstellerseitig schnellstmöglich geschlossen werden. Flankiert wird dies unter anderem von der Ankündigung einer „ehrgeizigen Cybersicherheitspolitik“, die die Bundeswehr befähigen soll. Zugleich soll der Cyberraum friedlich sein – außenpolitisch wird dafür auf völkerrechtliche Normen und ein Rüstungskontrollregime gesetzt.
Insbesondere bei den Themen Datenschutz und IT-Sicherheit zeitigt der Wechsel von einer schwarz-roten zu einer Ampelkoalition also deutliche Unterschiede.
Schlüsseltechnologie-Förderung
Auch hier haben die Koalitionäre Europa nicht vergessen: Insbesondere KI soll gefördert werden. Die KI-Regulierung wird für gut befunden, wenn die Haftung geklärt und ein mehrstufiger Risikoansatz enthalten ist. Dass eine biometrische Erkennung im öffentlichen Raum durch die Koalition kategorisch ausgeschlossen wird, entspricht der sonstigen Veränderung gegenüber bisheriger deutscher Regierungslinie im Sicherheitsbereich und dürfte Verhandlungsarbeit auf europäischer Ebene bedeuten – oder eben eine Öffnungsklausel für nationale Gesetzgeber.
Was bei den Schlüsseltechnologien hingegen auch der bisherigen deutschen Linie in der Digitalpolitik entspricht: Der EU Chips Act soll unterstützt werden, die IPCEIs gestärkt. Die Quantenkommunikation, Distributed-Ledger-Technologien (das Wort Blockchain wurde so elegant vermieden), Robotik und Cybersicherheit gehören für FDP, Grüne und SPD weiterhin zu den Schlüsseltechnologien, auf die es ankomme.
Strategische Souveränität
Für Kontinuität zur Politik der Großen Koalition steht auch die Positionierung zur „strategischen Souveränität“, die die Koalitionäre erhöhen wollen. Es gehe darum, „eigene Handlungsfähigkeit im globalen Kontext herzustellen und in wichtigen strategischen Bereichen, wie Energieversorgung, Gesundheit, Rohstoffimporte und digitale Technologie weniger abhängig und verwundbar zu sein“, heißt es dort. Freilich, ohne Europa abzuschotten.
Dies bedeute, kritische Technologie und Infrastruktur besser zu schützen sowie die Formulierung von Standards und die öffentliche Beschaffung strategisch mitzudenken. Ein konkretes Beispiel dieser Lesart findet sich in der Koalitionsvereinbarung: Bei kritischen Infrastrukturen sollen „nicht-vertrauenswürdige Unternehmen“ beim Ausbau keine Berücksichtigung finden (Europe.Table berichtete). Dazu passend wollen die Koalitionäre ein europäisches Open Source-5/6G-Konsortium initiieren.