Table.Briefing: Europe

Carbon Farming + Sanktionen gegen Russland + Scholz über geopolitische EU

  • Carbon Farming: Klimaschutz-Lösung oder Greenwashing?
  • Kommission will Sanktionen gegen Russland stärken
  • Scholz: Deutschlands Verantwortung für Europa
  • Wasserstoff: Erste IPCEI-Tranche genehmigt
  • EU klagt mehrfach gegen Ungarn
  • Kriegsfolgen können Energiewende beschleunigen
  • Polen: Nächster Schritt im Rechtsstaatsverfahren
  • Bulgarien und Nordmazedonien unterzeichnen Protokoll zu EU-Gesprächen
  • Deutschland auf dem Weg zum Batteriezellzentrum
  • Presseschau
  • Melanie Vogelbach: Die Türöffnerin
Liebe Leserin, lieber Leser,

die Energiewende in Deutschland könnte erfolgreicher gelingen als bislang erwartet: Einer Studie der Allianz Trade zufolge könnte die derzeitige Energiekrise die grüne Wende beschleunigen – denn auch wenn die Bundesregierung zunächst wieder auf Kohle setze, werde diese mittelfristig von den Erneuerbaren vom Markt gedrängt.

In Brüssel beraten heute die Außenministerinnen und -minister der Mitgliedstaaten erneut über die russische Invasion in die Ukraine. Die Kommission hat am Freitag ein Maßnahmenpaket vorgeschlagen, mit dem sie die Sanktionen der EU gegen Russland bis 2023 verlängern und stärken will. Mehr dazu lesen Sie in den News.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Energiekommissarin Kadri Simson reisen heute nach Aserbaidschan. Dort geht es unter anderem um Energieimporte, denn besonders Südosteuropa ist für seine Versorgung mit Erdgas auf den Südlichen Gaskorridor angewiesen. Die EU und Aserbaidschan arbeiten außerdem am Aufbau einer langfristigen Partnerschaft in den Bereichen saubere Energie und Energieeffizienz.

Wie die EU ihre Ziele zur Speicherung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre erreichen will, lesen Sie in der Analyse von Timo Landenberger: Im November will die Kommission einen Rechtsrahmen für die Zertifizierung von CO2-Senkleistungen in der Landwirtschaft vorstellen. Politik und Industrie sehen darin eine große Chance für das Erreichen der Klimaziele – Umweltschützer fürchten Greenwashing.

Last, but not least ein sehr interessanter Veranstaltungs-Tipp: Am Donnerstagvormittag, 21. Juli, diskutiert mein Kollege Manuel Berkel in einem Europe.Table-Webinar den Notfallplan für die Energieversorgung ohne russisches Gas, den die EU-Kommission am Mittwoch vorstellt. Seine Gäste: Lion Hirth, Assistant Professor an der Hertie School, und Jens Völler, Head of Business Unit Gas Markets bei TEAM CONSULT. Hier können Sie sich für das Webinar registrieren – wir freuen uns, wenn Sie dabei sind.

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Ihre
Leonie Düngefeld
Bild von Leonie  Düngefeld

Analyse

Carbon Farming: Klimaschutz-Lösung oder Greenwashing?

Klar ist: Ohne die systematische Abspaltung und Speicherung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre können die Klimaziele des Pariser Abkommens und der Europäischen Union nicht erreicht werden. Das belegen mehrere wissenschaftliche Studien, darunter die Berichte des Weltklimarats (IPCC).

Klar ist aber auch: Technische Lösungen wie Carbon Capture and Storage (CCS) sind weit von einem flächendeckenden Einsatz entfernt (Europe.Table berichtete) und die Speicherfähigkeit natürlicher Senken wie Wälder und Moore geht seit Jahren zurück. Bis zum Jahr 2030 will die EU in den sogenannten LULUCF-Sektoren (Land Use, Land Use Change and Forestry) aber eine Senkleistung von 310 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente erreichen (Europe.Table berichtete), danach muss es sogar noch mehr werden. Wie kann das gelingen?

Eine mögliche und marktbasierte Lösung heißt Carbon Farming. Im November will die Europäische Kommission einen Rechtsrahmen für die Zertifizierung von Treibhausgas-Senkleistungen, insbesondere für die Landwirtschaft, auf den Weg bringen. So sollen für Europas Bauern finanzielle Anreize entstehen, mittels entsprechender Ackerbaumethoden die CO2-Speicherfähigkeit der bewirtschafteten Böden signifikant zu erhöhen.

Erreicht werden soll das hauptsächlich, indem mehr Humus aufgebaut wird. Beispielsweise durch Zwischenfruchtanbau, aber auch den Einsatz spezieller Maschinen bei der Aussaat, wodurch die Struktur des Bodens erhalten bleibt und die CO2-Speicherung durch das Wurzelwerk über die Jahre steigt. Positive Nebeneffekte laut Kommission: Stärkung der Biodiversität, der Fruchtbarkeit der Böden sowie des Wasserhaushalts.

Bericht zu “Nachhaltigen Kohlenstoffkreisläufen”

Zuletzt hatte die französische Ratspräsidentschaft das Potenzial von Carbon Farming betont und das Thema vorangetrieben. Auch das Europäische Parlament arbeitet an einer Positionierung. Der entsprechende Bericht “Nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe” wurde am Montag im Umweltschuss vorgestellt und wirft in erster Linie Fragen auf. Carbon Farming könne zu einem Business Modell werden, doch die Kriterien dafür seien noch völlig unklar, sagte Berichterstatter Alexander Bernhuber (EVP) aus Österreich.

“Wie kann das CO2 dauerhaft im Boden gespeichert werden? Wie können wir das messbar machen und wie können daraus Zertifikate kreiert werden?”, fragt Bernhuber. Wichtig sei außerdem, Kohärenz mit anderen Programmen wie der GAP zu schaffen, die nicht marktbasiert sind, sondern eine staatliche Förderung vorsehen. Hier müsse eine doppelte Honorierung vermieden werden.

Norbert Lins (CDU), Vorsitzender des Agrarausschusses, begrüßt die Pläne der Kommission. “Wer Emissionen senkt oder CO2 dauerhaft speichert, sollte für diese Leistung entlohnt werden. Klimaneutralität geht nicht nur mit Bio, sondern gerade auch mit konventioneller und regenerativer Landwirtschaft.”

Carbon Farming nicht zwangsläufig Bio-Landbau

Tatsächlich soll die Teilnahme am Carbon-Farming-Programm nicht zur Bio-Landwirtschaft verpflichten. Der Einsatz von Pestiziden und mineralischem Dünger bleibt erlaubt. Das sei auch zwingend erforderlich, teilt der Industrieverband Agrar mit. Nur so könne die mechanische Bekämpfung von Unkraut, welche das im Boden gespeicherte CO2 wieder freisetze, vermieden und die Erträge gesichert werden.

Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, sieht Carbon Farming kritisch. Vordergründiges Ziel müsse schließlich sein, die nach wie vor hohen Emissionen in der Landwirtschaft zu reduzieren, statt “technische Systeme zu erfinden”. Daneben würden Bio-Bauern, die bereits gute und speicherfähige Böden haben, für die erbrachten Leistungen nicht rückwirkend vergütet. “Das heißt, wer mit nachhaltiger Humuswirtschaft lange gewartet hat, wird jetzt dafür belohnt.” Außerdem könne es nicht die Aufgabe der Landwirtschaft sein, Emissionen aufzufangen, die in industriellen Prozessen verursacht werden.

Umweltschützer sehen deshalb insbesondere die Gefahr des Greenwashings. Durch den vorgesehenen Handel mit Zertifikaten ließen sich Emissionen, die womöglich vermeidbar wären, leicht kompensieren, so der Tenor. “Wenn dieser Plan durchkommt, könnten sich die Verursacher von Umweltverschmutzung einfach freikaufen”, sagt Alex Mason aus dem WWF-Europabüro.

In Deutschland kein Thema – in den USA Realität

Der Deutsche Bauernverband (DBV) begrüßt das Vorhaben der Kommission. Durch die Möglichkeit des Humusaufbaus komme der Landwirtschaft bei der CO2-Speicherung eine besondere Verantwortung zu. Doch diese Leistung müsse auch honoriert werden, fordert der Verband.

Die Bundesregierung setze in ihrem Klimaschutz-Sofortprogramm hingegen auf Flächenstilllegung und ökologische Landwirtschaft. Carbon Farming finde in dem Maßnahmenkatalog keine Erwähnung. Laut DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken “mehr als unverständlich”. Das Potenzial sei zu groß, um nicht genutzt zu werden.

Was in Europa noch in der Theorie diskutiert wird, ist in den USA bereits Realität. Ende Juni hat das Unternehmen Indigo Agriculture, welches das erste privatwirtschaftliche Carbon-Farming-Programm auf den Weg gebracht hat, die Ausgabe der weltweit ersten landwirtschaftlichen Kohlenstoff-Zertifikate verkündet. Damit macht sich Indigo einen bereits bestehenden und schnell wachsenden Markt zunutze: Freiwillige CO2-Kompensation (Carbon Offsetting) liegt im Trend und immer mehr Unternehmen legen Wert auf eine klimaneutrale Wertschöpfungskette ihrer Produkte (Scope 3 Emissionen), auch in der Nahrungsmittelbranche.

“In Europa testen wir unser Programm und wollen dazu beitragen, dass Carbon Farming auch in der EU zum hochwertigen Klimaschutzbeitrag der Landwirtschaft wird”, sagt Georg Goeres, Geschäftsführer von Indigo Agriculture Europe.

  • LULUCF
  • Ökologische Landwirtschaft

News

Kommission will Sanktionen gegen Russland stärken

Die Europäische Kommission will die sechs Sanktionspakete der EU gegen Russland (Europe.Table berichtete) bis Ende Januar 2023 verlängern und weiter stärken. Am Freitag hat sie gemeinsam mit Josep Borrell, dem Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, einen Vorschlag für ein neues Maßnahmenpaket angenommen.

EU gleicht Sanktionen gegen Russland an Partner an

Mit dem Paket “Aufrechterhaltung und Angleichung” werde eine Reihe von Bestimmungen präzisiert, um die Rechtssicherheit für die Betreiber und die Durchsetzung durch die Mitgliedstaaten zu erhöhen, teilte die Kommission mit. Außerdem werden die EU-Sanktionen gegen Russland weiter an die Sanktionen der Verbündeten und Partner, insbesondere in der G7, angeglichen. Darüber hinaus bekräftigt die Kommission in dem Paket ihre Haltung zum Schutz der weltweiten Ernährungssicherheit

Das Paket sieht ein neues Einfuhrverbot für russisches Gold vor. Gleichzeitig sollen die Ausfuhrkontrollen für Güter mit doppeltem Verwendungszweck und Spitzentechnologie verschärft werden. Um ein robusteres Einfrieren von Vermögenswerten durch die EU zu gewährleisten, werden die Berichtspflichten verschärft. Die Sanktionen sollen dabei laut der Kommission nicht gegen den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen zwischen Drittländern und Russland gerichtet sein. Die Sanktionen sollen bis Ende Januar 2023 verlängert und dann wieder überprüft werden.

Vorschläge für die schwarze Liste

“Der brutale Krieg Russlands gegen die Ukraine dauert unvermindert an. Daher schlagen wir heute vor, unsere für den Kreml schmerzhaften Sanktionen weiter zu verschärfen, noch wirksamer durchzusetzen und bis Januar 2023 zu verlängern”, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. “Moskau wird weiterhin einen hohen Preis für seine Aggression zahlen müssen.”

“Die Sanktionen der EU sind hart und tun weh”, sagte Josep Borrell. “Wie zielen weiterhin auf die Menschen in der Nähe Putins und im Umfeld des Kremls ab. Das heutige Paket spiegelt unseren mit internationalen Partnern einschließlich der G7 koordinierten Ansatz wider.” Borell erklärte, er werde zusätzlich zu diesen Maßnahmen dem Europäischen Rat Vorschläge vorlegen, um weitere Personen und Organisationen auf die schwarze Liste zu setzen. Dadurch würden ihre Vermögenswerte eingefroren und Reisemöglichkeiten eingeschränkt.

Die Kommission und der Hohe Vertreter legen den Vorschlag nun dem Europäischen Rat vor, der ihn formell annehmen muss. leo

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  • Geopolitik
  • Sanktionen

Scholz: Deutschlands Verantwortung für Europa

Kanzler Olaf Scholz sieht Deutschland in einer Führungsrolle in der EU. “Wir sind uns der Konsequenzen unserer Entscheidung für eine geopolitische Europäische Union sehr bewusst”, schrieb Scholz in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und verwies auf die Zeitenwende nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. “Die Europäische Union ist die gelebte Antithese zu Imperialismus und Autokratie”, fügte er hinzu. Die EU müsse also eine “geopolitische EU” werden – und darauf aufbauend werde Deutschland Verantwortung für Europa und in der Welt übernehmen. “Führen, das kann nur heißen: zusammenführen, und zwar im doppelten Wortsinn”, betonte der SPD-Politiker dabei jedoch. Dies heiße, dass man zusammen mit Anderen Lösungen erarbeiten und auf Alleingänge verzichten müsse. “Und indem wir, als Land in der Mitte Europas, als Land, das auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs lag, Ost und West, Nord und Süd in Europa zusammenführen.”

Klingbeil fordert neue Vorreiterrolle für Deutschland in Europa

Zugleich kündigte er deutsche Vorschläge in der Migrationspolitik, beim Aufbau einer europäischen Verteidigung, bei technologischer Souveränität und demokratischer Resilienz an. “Deutschland wird dazu in den nächsten Monaten konkrete Vorschläge machen”, schrieb der Kanzler. Die EU habe bisher mit “nie dagewesener Entschlossenheit und Geschlossenheit” auf den “Neo-Imperialismus” von Russlands Präsident Wladimir Putin reagiert. “Doch wir dürfen dort nicht stehenbleiben.” Die EU müsse sich auch in anderen Feldern einig werden. “Für mich heißt das: Schluss mit den egoistischen Blockaden europäischer Beschlüsse durch einzelne Mitgliedstaaten. Schluss mit nationalen Alleingängen, die Europa als Ganzem schaden”, sagte er. “Nationale Vetos, etwa in der Außenpolitik, können wir uns schlicht nicht mehr leisten, wenn wir weiter gehört werden wollen in einer Welt konkurrierender Großmächte.”

Vor wenigen Tagen hatte bereits SPD-Chef Lars Klingbeil eine neue Vorreiterrolle für Deutschland in Europa gefordert. “Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben”, hatte er in einer außenpolitischen Grundsatzrede gesagt. Damit sei aber ausdrücklich nicht gemeint, dass Deutschland “breitbeinig oder rabiat” auftreten solle. rtr

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Wasserstoff: Erste IPCEI-Tranche genehmigt

Die Kommission hat die erste von vier Wellen des Wasserstoff-IPCEIs (Important Project of Common European Interest) genehmigt. Der Schritt betrifft 41 Vorhaben der sogenannten Technologiewelle, darunter vier aus Deutschland. Sie drehen sich um Technologien zur Erzeugung, zum Transport und zum Einsatz insbesondere in der Mobilität. “Die Mitgliedstaaten werden bis zu 5,4 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln bereitstellen, wodurch zusätzliche private Investitionen im Umfang von 8,8 Milliarden Euro mobilisiert werden dürften”, teilte die Kommission am Freitag mit.

Wasserstoff-IPCEI startete schon Ende 2020

Die Genehmigung war seit Monaten erwartet worden, der Wasserstoff-IPCEI wurde bereits Ende 2020 gestartet. Mit REPowerEU wollte die Kommission den Wasserstoff-Hochlauf wegen der Gaskrise eigentlich beschleunigen. Für den IPCEI hatten sich über 400 Vorhaben aus 18 EU-Staaten registriert, schrieb das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) schon im vergangenen Jahr. Allein aus Deutschland hatte das Ressort mit dem Verkehrsministerium 62 Vorhaben ausgewählt, der größte Teil wartet noch auf grünes Licht aus Brüssel.

Für den Herbst werde mit der Genehmigung für Industrieprojekte gerechnet, teilte das BMWK weiter mit. Für die Infrastrukturwelle seien bereits Vorschläge bei der Kommission eingereicht worden. Die vierte Welle für Mobilitätsanwendungen sei in Arbeit.

Die nun genehmigten Vorhaben aus Deutschland stammen von BoschPowerUnits für stationäre Festoxid-Brennstoffzellen-Systeme, Produktionslinien für Alkali- und Hochtemperatur-Elektrolyseure von Sunfire, Lkw-Antriebsstränge von Daimler Truck sowie Brennstoffzellen-Stacks von EKPO Fuel Cell Technologies für Busse, Schiffe, Bahnen und die stationäre Wiederverstromung. ber

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  • Klima & Umwelt
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EU klagt mehrfach gegen Ungarn

Im Streit mit Ungarn über Menschenrechte und demokratische Standards erhöht die EU-Kommission den Druck auf die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán. Die Brüsseler Behörde entschied sich am Freitag für eine Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Zusammenhang mit Ungarns umstrittenem Gesetz zum Umgang mit Homosexuellen und Transgender. Das Gesetz diskriminiere Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität, erklärte die Kommission zur Begründung. Eine zweite Klage vor dem EU-Gericht in Luxemburg soll Ungarns Verweigerung einer Sendelizenz für den regierungskritischen Sender Klubrádió ins Visier nehmen.

EU kritisiert Menschenrechte in Ungarn

Ministerpräsident Orbán hat sich wiederholt gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LGBT) ausgesprochen. Ungarn hatte vergangenes Jahr ein Gesetz in Kraft gesetzt, nach dem Informationen über Homosexualität und Transgender in Schulen zensiert werden. Das Gesetz wird von der EU-Kommission, anderen Ländern sowie von Menschenrechtlern und in der ungarischen Opposition kritisiert. Orbán hatte erklärt, nur Ungarn selbst könne entscheiden, wie Kinder in dem Land erzogen und gebildet würden. Der seit 2010 mit der rechtskonservativen Partei Fidesz regierende Politiker steht in der EU auch wegen seines Umgangs mit der Justiz und den Medien in der Kritik.

Klage wegen Kraftstoffpreisen

“Wir gehen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen Angriffe auf unabhängige Medien vor”, sagte die EU-Kommissarin für Werte und Transparenz, Vera Jourová. Das nur noch online präsente Klubrádió verlor vor gut einem Jahr seine Sendelizenz. Die Klage der EU-Kommission bezieht sich darauf, dass ein Antrag auf eine neue Lizenz verweigert wurde. Beim Entzug der Sendelizenz hatte die Regierung in Budapest erklärt, es gebe keine Probleme mit der Medienfreiheit. Der Sender sei nicht von der Regierung abgeschaltet worden.

Auch im Streit über unterschiedliche Kraftstoffpreise für inländische und ausländische Fahrzeuge geht die EU-Kommission gegen Ungarn vor und leitete am Freitag rechtliche Schritte ein. Die Praxis, Fahrzeuge mit ausländischen Nummernschildern von vergünstigtem Tanken auszuschließen, sei unzulässig, erklärte Industriekommissar Thierry Breton. Ein derartiges Vorgehen störe den einheitlichen EU-Binnenmarkt als Mittel zur Bewältigung von Krisen und Instabilität. Angesichts hoher Spritpreise subventioniert Ungarn das Tanken, schließt aber unter anderem Lastwagen mit ausländischem Kennzeichen und mehr als 3,5 Tonnen Gewicht davon aus. rtr

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  • Ungarn

Kriegsfolgen können Energiewende beschleunigen

Die Folgen des Kriegs in der Ukraine können einer Studie zufolge die Energiewende in Deutschland beschleunigen. Die grüne Wende könne mitunter erfolgreicher gelingen als bislang erwartet, obwohl die
Bundesregierung im Streben nach mehr Energieunabhängigkeit zunächst mehr auf Kohle setzen müsse, heißt es am Sonntag in einer Analyse des Kreditversicherers Allianz Trade. “Mittelfristig dürften die ehrgeizigen Ziele Deutschlands den Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix sogar über das Maß hinaus steigern, das für die Erfüllung der Pariser Klimaziele bis 2035 erforderlich wäre”, erklärte Milo Bogaerts, Chef von Allianz Trade in der Region Deutschland, Österreich und Schweiz.

Abkehr vom russischen Gas in Deutschland

Mehr Kohleverstromung werde die CO2-Emissionen in der EU nicht erhöhen, da sie durch das EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) begrenzt seien. Wegen der hohen EU-Emissionshandelspreise sei es sehr unwahrscheinlich, dass Kohle langfristig als Ersatz für russisches Gas dienen werde, sagte Studienautor Markus Zimmer von der Allianz. “Sie wird aus dem Markt gedrängt werden.” Mittelfristig zielten die Ambitionen Deutschlands auf eine mehr als vierfache Steigerung der Kapazitäten bei den erneuerbaren Energien ab. Das würde zwar die Abkehr vom russischen Gas in Deutschland beschleunigen. Bedingung dafür sei jedoch ein Paradigmenwechsel in zentralen Bereichen des Stromsystems. “Die Planungs- und Genehmigungsverfahren für Erneuerbare-Energien-, Strom- und Wasserstoffnetze müssen konsequent vereinfacht und beschleunigt werden”, betonte Zimmer.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien schiebt laut Studie auch Wachstum und Beschäftigung an. Allein der Ausbau der Stromerzeugungskapazität erfordere hier bis 2035 Investitionen von durchschnittlich 28 Milliarden Euro pro Jahr. Dies führe direkt und indirekt zu einer zusätzlichen Wertschöpfung von 40 Milliarden Euro pro Jahr. “Zudem wird der Ausbau der erneuerbaren Energien von 2022 bis 2035 insgesamt durchschnittlich 440.000 Arbeitskräfte in Deutschland beschäftigen”, bilanzierte Allianz Trade. rtr

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  • Energie
  • Energiewende
  • Kohle

Polen: Nächster Schritt im Rechtsstaatsverfahren

Die EU-Kommission treibt im Streit um den Rechtsstaat in Polen ein Verfahren gegen Warschau voran. Wie die Brüsseler Behörde am Freitag mitteilte, leitete sie den nächsten Schritt in einem sogenannten Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein. Polen hat nun zwei Monate Zeit, auf die Stellungnahme aus Brüssel zu reagieren und die Bedenken auszuräumen.

Andernfalls könnte die Kommission das Land vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagen. Die Folge könnten finanzielle Sanktionen sein. Die Kommission ist als Hüterin der EU-Verträge dafür zuständig, zu überwachen, dass die Staaten sich an das EU-Recht halten.

Hintergrund der Entscheidung vom Freitag sind mehrere Urteile des polnischen Verfassungsgerichts, die nach Ansicht der EU-Kommission unter anderem gegen den Vorrang des EU-Rechts verstoßen sowie gegen die bindende Wirkung von EuGH-Urteilen. Zudem äußerte die Behörde erhebliche Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Verfassungsgerichts.

EU-Recht steht über nationalem Recht

Es geht unter anderem um ein Urteil des Verfassungsgerichts von Anfang Oktober 2021 (Europe.Table berichtete), wonach Teile des EU-Rechts nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar sind. Dies stellt einen Eckpfeiler der europäischen Rechtsgemeinschaft in Frage, dass EU-Recht über nationalem Recht steht. Bereits im Juli 2021 hatte das polnische Gericht entschieden, dass die Anwendung einstweiliger EuGH-Verfügungen, die sich auf das Gerichtssystem des Landes beziehen, nicht mit Polens Verfassung vereinbar seien.

In Warschau nannte Vize-Justizminister Sebastian Kaleta das Brüsseler Vorgehen einen “noch nie dagewesenen Angriff auf Polen”. Die EU-Kommission wolle nicht nur die Aufhebung von Entscheidungen des polnischen Verfassungsgerichts erzwingen. Sie maße sich auch an, über die Unabhängigkeit des Gerichts und die Wahl seiner Richter durch das Parlament zu urteilen. Dies untergrabe die polnische Verfassung, schrieb der Politiker von der kleinen Regierungspartei Solidarisches Polen (SP) auf Twitter.

EU-Justizkommissar Didier Reynders sprach sich in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gegen einen “Kriegsrabatt” für Polen aus: Polen solle wegen der Aufnahme von Millionen Kriegsvertriebenen aus der Ukraine nicht schneller Wiederaufbauhilfe erhalten und die Anforderungen an die Justizreform sollen nicht gesenkt werden. “Gerade weil wir uns für die regelbasierte internationale Ordnung stark machen, müssen wir uns selbst an die Rechtsstaatlichkeit halten”, sagte er. leo/dpa

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  • Polen
  • Rechtsstaatlichkeit

Bulgarien und Nordmazedonien unterzeichnen Protokoll zu EU-Gesprächen

Nordmazedonien und sein EU-Nachbarland Bulgarien haben sich nach langem Streit auf einen Fahrplan für den Beginn der EU-Verhandlungen zum Beitritt Nordmazedoniens geeinigt. Die Außenminister beider Länder, Teodora Gentschowska und Bujar Osmani, unterzeichneten am Sonntag in der bulgarischen Hauptstadt Sofia ein entsprechendes Protokoll. Damit sollen noch offene bilaterale Fragen vor allem bei der Geschichtsdeutung geklärt werden. 

Nordmazedonien wartet seit 2008 auf Gespräche zum EU-Beitritt

Bulgarien blockiert seit Ende 2020 wegen eines Streits den Beginn von EU-Verhandlungen mit seinem kleinen Nachbarland, auf die Nordmazedonien bereits seit 2008 wartet. Dabei geht es unter anderem um die Interpretation der teils gemeinsamen Geschichte und die Rechte der ethnischen Bulgaren in Nordmazedonien. Die bis Ende Juni amtierende französische EU-Ratspräsidentschaft erarbeitete einen Kompromissvorschlag. Das nordmazedonische Parlament in Skopje billigte am Samstag den daraufhin von der EU-Kommission vorgeschlagenen Verhandlungsrahmen für Beitrittsgespräche.

Das am Sonntag in Sofia unterzeichnete Protokoll soll Berichten zufolge Ansätze und Fristen zur Beilegung unter anderem des Streits um die Geschichtsdeutung enthalten. Dabei sollen Medienberichten zufolge Lehrbücher und Aufschriften auf Denkmälern geändert werden. Geregelt soll auch eine Aufnahme der ethnischen Bulgarinnen und Bulgaren als Volksgruppe in Nordmazedoniens Verfassung. Der Wortlaut des Dokuments soll am Dienstag veröffentlicht werden. dpa

  • Europapolitik
  • Nordmazedonien

Deutschland auf dem Weg zum Batteriezellzentrum

Ein Viertel der vorhergesagten europäischen Produktionskapazitäten von Batteriezellen könnte bis zum Ende des Jahrzehnts von Deutschland abgedeckt werden. Das geht aus einer Datenanalyse von Forschern des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe hervor. Die Experten haben dafür die Pläne und Ankündigungen von mehr als 40 Unternehmen weltweit unter die Lupe genommen, die in Europas Batteriefabriken aufbauen wollen. Auf dieser Grundlage seien dann möglichst realistische Szenarien entwickelt worden, sagte Batterieforscher Lukas Weymann.

Die Auswertungen zeigten, dass sich die Produktionskapazitäten in Europa bis 2025 voraussichtlich auf mehr als 500 Gigawattstunden (GWh) vervier- und bis 2030 sogar auf bis zu 1,5 Terawattstunden (TWh) verzehnfachen. Damit würde sich bis Ende des Jahrzehnts ungefähr ein Viertel der global angekündigten Kapazitäten in Europa befinden. Davon wiederum entstünde der Analyse zufolge mit knapp 400 GWh mehr als ein Viertel – und damit der größte Anteil – in neuen Batteriefabriken in Deutschland.

Neue Batteriefabriken in Deutschland von VW und Northvolt

“Wir tracken und bewerten die Ankündigungen schon seit vielen Jahren und haben insbesondere in der letzten Zeit einen sehr starken Anstieg der Produktionskapazitäten in Europa beobachten können”, sagte Weymann. “Mit 1,5 TWh wurde nun eine bemerkenswerte Schallmauer durchbrochen.”

Der prognostizierte rasante Zuwachs werde maßgeblich durch europäische Akteure wie das schwedische Unternehmen Northvolt oder Volkswagen getrieben. VW etwa legte erst vor gut einer Woche im niedersächsischen Salzgitter den Grundstein zu einer Batteriefabrik. Northvolt plant unter anderem eine Batteriezellfertigung in Heide in Schleswig-Holstein (Europe.Table berichtete). Auch asiatische und US-amerikanische Firmen haben angekündigt, nach Deutschland beziehungsweise Europa expandieren zu wollen. dpa

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  • Technologie

Presseschau

EU-Außenminister beraten erneut über Russland-Sanktionen TAGESSPIEGEL
Scholz will mit Alleingängen in EU aufräumen NTV
Olaf Scholz will trotz Energiekrise zu Klimazielen stehen ZEIT
Wirtschaftsministerium plant erneuten Stresstest für die Stromversorgung TAGESSPIEGEL
Hitzewelle in Europa: Großbritannien beruft nationalen Krisenstab ein SPIEGEL
Ausgedorrt wie seit 70 Jahren nicht mehr: Wie Südeuropa gegen die Trockenheit ankämpfen will HANDELSBLATT
Sánchez will Übergewinnsteuer für Banken und Energiekonzerne FAZ
EU-Kommission billigt milliardenschwere Wasserstoff-Förderung HANDELSBLATT
Deal mit Bulgarien – Nordmazedonien nimmt Hürde auf dem Weg in die EU WELT

Heads

Melanie Vogelbach – Die Türöffnerin

Melanie Vogelbach leitet den Bereich Internationale Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaftsrecht beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag.
Melanie Vogelbach leitet den Bereich Internationale Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaftsrecht beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag

“Mich haben schon immer andere Länder und Gesellschaften interessiert”, beschreibt Melanie Vogelbach ihre Leidenschaft für Internationales. Als Schülerin war sie ein Jahr in den USA und einige Monate in Ecuador. Heute gehört das Reisen zu ihrem Alltag.

Vogelbach arbeitet als Bereichsleiterin für Internationale Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaftsrecht beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag, kurz DIHK. Vogelbach ist gebürtige Münchenerin, hat Internationale Beziehungen in Dresden und Valparaíso sowie Global Affairs in New York studiert. Danach landete sie in der Protokoll-Abteilung des Auswärtigen Amtes. “Da hatte ich die spannende Aufgabe, Reisen des Bundespräsidenten Gauck ins Ausland vorzubereiten und zu begleiten.” Oft reiste sie vorher an den Zielort und kümmerte sich um die wichtigen Details: Programmpunkte, Gesprächspartner und Sitzordnungen.

Eine dieser Reisen führte sie nach Myanmar, wo ein neues Büro der Delegation der Deutschen Wirtschaft eröffnet wurde. Dabei lernte sie das weltweite Netzwerk der Handelskammern kennen und tauschte sich mit dem DIHK-Hauptgeschäftsführer aus. Wenig später fand sie ihre neue Bestimmung bei den Wirtschaftsjunioren, ein Verband aus rund 10.000 jungen Unternehmerinnen und Unternehmern, der in den DIHK eingegliedert ist. Vogelbach wurde dort 2014 Vize-Bundesgeschäftsführerin und Pressesprecherin, später Geschäftsführerin.

Krise bietet Chance

“Mein Aufgabenspektrum war sehr breit und spannend”, sagt Vogelbach. Die Begegnungen mit jungen Firmen-Gründern hätten sie oft inspiriert. Was ihr nach einigen Jahren fehlte: der Fokus aufs Internationale. Als sich die Gelegenheit ergab, bewarb sie sich 2019 als Bereichsleiterin beim DIHK. Seitdem leitet sie ein 13-köpfiges Team, das sich mit internationaler Wirtschaftspolitik auseinandersetzt. Vogelbach ist auch Mitautorin der regelmäßigen Konjunkturumfragen, die letzte trägt den Titel “Stimmung in der Wirtschaft kippt”.

Die 38-Jährige bemüht sich, trotz Lieferketten-Problemen, Inflation und steigenden Energiepreisen optimistisch zu bleiben: “Krisenzeiten bieten immer auch Möglichkeiten, Dinge zu hinterfragen.” Und neue Chancen zu finden: “Ich hoffe, dass in der Handelspolitik nun auch einige neue Türen geöffnet werden.” Freihandelsverträge könnten Unternehmen dabei helfen, sich zu diversifizieren.

Aktuell beschäftigt sie sich viel mit der Umsetzung der Sanktionen gegen Russland und berät die Politik, wenn ungeregelte Details Unternehmern Probleme bereiten. Ein Beispiel: Beim Beförderungsverbot für russische und belarussische Spediteure war nicht klar, welche Behörde Ausnahmegenehmigungen ausstellt und ob sie europaweit gelten. So etwas gelte es schnell zu lösen und bei weiteren Sanktionspaketen schon vorher zu bedenken. “Wir haben derzeit schon genügend Herausforderungen in der Logistik zu bewältigen.” Paul Meerkamp

  • Geopolitik
  • Handelspolitik
  • Wirtschaft

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    In Brüssel beraten heute die Außenministerinnen und -minister der Mitgliedstaaten erneut über die russische Invasion in die Ukraine. Die Kommission hat am Freitag ein Maßnahmenpaket vorgeschlagen, mit dem sie die Sanktionen der EU gegen Russland bis 2023 verlängern und stärken will. Mehr dazu lesen Sie in den News.

    Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Energiekommissarin Kadri Simson reisen heute nach Aserbaidschan. Dort geht es unter anderem um Energieimporte, denn besonders Südosteuropa ist für seine Versorgung mit Erdgas auf den Südlichen Gaskorridor angewiesen. Die EU und Aserbaidschan arbeiten außerdem am Aufbau einer langfristigen Partnerschaft in den Bereichen saubere Energie und Energieeffizienz.

    Wie die EU ihre Ziele zur Speicherung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre erreichen will, lesen Sie in der Analyse von Timo Landenberger: Im November will die Kommission einen Rechtsrahmen für die Zertifizierung von CO2-Senkleistungen in der Landwirtschaft vorstellen. Politik und Industrie sehen darin eine große Chance für das Erreichen der Klimaziele – Umweltschützer fürchten Greenwashing.

    Last, but not least ein sehr interessanter Veranstaltungs-Tipp: Am Donnerstagvormittag, 21. Juli, diskutiert mein Kollege Manuel Berkel in einem Europe.Table-Webinar den Notfallplan für die Energieversorgung ohne russisches Gas, den die EU-Kommission am Mittwoch vorstellt. Seine Gäste: Lion Hirth, Assistant Professor an der Hertie School, und Jens Völler, Head of Business Unit Gas Markets bei TEAM CONSULT. Hier können Sie sich für das Webinar registrieren – wir freuen uns, wenn Sie dabei sind.

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    Klar ist: Ohne die systematische Abspaltung und Speicherung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre können die Klimaziele des Pariser Abkommens und der Europäischen Union nicht erreicht werden. Das belegen mehrere wissenschaftliche Studien, darunter die Berichte des Weltklimarats (IPCC).

    Klar ist aber auch: Technische Lösungen wie Carbon Capture and Storage (CCS) sind weit von einem flächendeckenden Einsatz entfernt (Europe.Table berichtete) und die Speicherfähigkeit natürlicher Senken wie Wälder und Moore geht seit Jahren zurück. Bis zum Jahr 2030 will die EU in den sogenannten LULUCF-Sektoren (Land Use, Land Use Change and Forestry) aber eine Senkleistung von 310 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente erreichen (Europe.Table berichtete), danach muss es sogar noch mehr werden. Wie kann das gelingen?

    Eine mögliche und marktbasierte Lösung heißt Carbon Farming. Im November will die Europäische Kommission einen Rechtsrahmen für die Zertifizierung von Treibhausgas-Senkleistungen, insbesondere für die Landwirtschaft, auf den Weg bringen. So sollen für Europas Bauern finanzielle Anreize entstehen, mittels entsprechender Ackerbaumethoden die CO2-Speicherfähigkeit der bewirtschafteten Böden signifikant zu erhöhen.

    Erreicht werden soll das hauptsächlich, indem mehr Humus aufgebaut wird. Beispielsweise durch Zwischenfruchtanbau, aber auch den Einsatz spezieller Maschinen bei der Aussaat, wodurch die Struktur des Bodens erhalten bleibt und die CO2-Speicherung durch das Wurzelwerk über die Jahre steigt. Positive Nebeneffekte laut Kommission: Stärkung der Biodiversität, der Fruchtbarkeit der Böden sowie des Wasserhaushalts.

    Bericht zu “Nachhaltigen Kohlenstoffkreisläufen”

    Zuletzt hatte die französische Ratspräsidentschaft das Potenzial von Carbon Farming betont und das Thema vorangetrieben. Auch das Europäische Parlament arbeitet an einer Positionierung. Der entsprechende Bericht “Nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe” wurde am Montag im Umweltschuss vorgestellt und wirft in erster Linie Fragen auf. Carbon Farming könne zu einem Business Modell werden, doch die Kriterien dafür seien noch völlig unklar, sagte Berichterstatter Alexander Bernhuber (EVP) aus Österreich.

    “Wie kann das CO2 dauerhaft im Boden gespeichert werden? Wie können wir das messbar machen und wie können daraus Zertifikate kreiert werden?”, fragt Bernhuber. Wichtig sei außerdem, Kohärenz mit anderen Programmen wie der GAP zu schaffen, die nicht marktbasiert sind, sondern eine staatliche Förderung vorsehen. Hier müsse eine doppelte Honorierung vermieden werden.

    Norbert Lins (CDU), Vorsitzender des Agrarausschusses, begrüßt die Pläne der Kommission. “Wer Emissionen senkt oder CO2 dauerhaft speichert, sollte für diese Leistung entlohnt werden. Klimaneutralität geht nicht nur mit Bio, sondern gerade auch mit konventioneller und regenerativer Landwirtschaft.”

    Carbon Farming nicht zwangsläufig Bio-Landbau

    Tatsächlich soll die Teilnahme am Carbon-Farming-Programm nicht zur Bio-Landwirtschaft verpflichten. Der Einsatz von Pestiziden und mineralischem Dünger bleibt erlaubt. Das sei auch zwingend erforderlich, teilt der Industrieverband Agrar mit. Nur so könne die mechanische Bekämpfung von Unkraut, welche das im Boden gespeicherte CO2 wieder freisetze, vermieden und die Erträge gesichert werden.

    Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, sieht Carbon Farming kritisch. Vordergründiges Ziel müsse schließlich sein, die nach wie vor hohen Emissionen in der Landwirtschaft zu reduzieren, statt “technische Systeme zu erfinden”. Daneben würden Bio-Bauern, die bereits gute und speicherfähige Böden haben, für die erbrachten Leistungen nicht rückwirkend vergütet. “Das heißt, wer mit nachhaltiger Humuswirtschaft lange gewartet hat, wird jetzt dafür belohnt.” Außerdem könne es nicht die Aufgabe der Landwirtschaft sein, Emissionen aufzufangen, die in industriellen Prozessen verursacht werden.

    Umweltschützer sehen deshalb insbesondere die Gefahr des Greenwashings. Durch den vorgesehenen Handel mit Zertifikaten ließen sich Emissionen, die womöglich vermeidbar wären, leicht kompensieren, so der Tenor. “Wenn dieser Plan durchkommt, könnten sich die Verursacher von Umweltverschmutzung einfach freikaufen”, sagt Alex Mason aus dem WWF-Europabüro.

    In Deutschland kein Thema – in den USA Realität

    Der Deutsche Bauernverband (DBV) begrüßt das Vorhaben der Kommission. Durch die Möglichkeit des Humusaufbaus komme der Landwirtschaft bei der CO2-Speicherung eine besondere Verantwortung zu. Doch diese Leistung müsse auch honoriert werden, fordert der Verband.

    Die Bundesregierung setze in ihrem Klimaschutz-Sofortprogramm hingegen auf Flächenstilllegung und ökologische Landwirtschaft. Carbon Farming finde in dem Maßnahmenkatalog keine Erwähnung. Laut DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken “mehr als unverständlich”. Das Potenzial sei zu groß, um nicht genutzt zu werden.

    Was in Europa noch in der Theorie diskutiert wird, ist in den USA bereits Realität. Ende Juni hat das Unternehmen Indigo Agriculture, welches das erste privatwirtschaftliche Carbon-Farming-Programm auf den Weg gebracht hat, die Ausgabe der weltweit ersten landwirtschaftlichen Kohlenstoff-Zertifikate verkündet. Damit macht sich Indigo einen bereits bestehenden und schnell wachsenden Markt zunutze: Freiwillige CO2-Kompensation (Carbon Offsetting) liegt im Trend und immer mehr Unternehmen legen Wert auf eine klimaneutrale Wertschöpfungskette ihrer Produkte (Scope 3 Emissionen), auch in der Nahrungsmittelbranche.

    “In Europa testen wir unser Programm und wollen dazu beitragen, dass Carbon Farming auch in der EU zum hochwertigen Klimaschutzbeitrag der Landwirtschaft wird”, sagt Georg Goeres, Geschäftsführer von Indigo Agriculture Europe.

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    Kommission will Sanktionen gegen Russland stärken

    Die Europäische Kommission will die sechs Sanktionspakete der EU gegen Russland (Europe.Table berichtete) bis Ende Januar 2023 verlängern und weiter stärken. Am Freitag hat sie gemeinsam mit Josep Borrell, dem Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, einen Vorschlag für ein neues Maßnahmenpaket angenommen.

    EU gleicht Sanktionen gegen Russland an Partner an

    Mit dem Paket “Aufrechterhaltung und Angleichung” werde eine Reihe von Bestimmungen präzisiert, um die Rechtssicherheit für die Betreiber und die Durchsetzung durch die Mitgliedstaaten zu erhöhen, teilte die Kommission mit. Außerdem werden die EU-Sanktionen gegen Russland weiter an die Sanktionen der Verbündeten und Partner, insbesondere in der G7, angeglichen. Darüber hinaus bekräftigt die Kommission in dem Paket ihre Haltung zum Schutz der weltweiten Ernährungssicherheit

    Das Paket sieht ein neues Einfuhrverbot für russisches Gold vor. Gleichzeitig sollen die Ausfuhrkontrollen für Güter mit doppeltem Verwendungszweck und Spitzentechnologie verschärft werden. Um ein robusteres Einfrieren von Vermögenswerten durch die EU zu gewährleisten, werden die Berichtspflichten verschärft. Die Sanktionen sollen dabei laut der Kommission nicht gegen den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen zwischen Drittländern und Russland gerichtet sein. Die Sanktionen sollen bis Ende Januar 2023 verlängert und dann wieder überprüft werden.

    Vorschläge für die schwarze Liste

    “Der brutale Krieg Russlands gegen die Ukraine dauert unvermindert an. Daher schlagen wir heute vor, unsere für den Kreml schmerzhaften Sanktionen weiter zu verschärfen, noch wirksamer durchzusetzen und bis Januar 2023 zu verlängern”, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. “Moskau wird weiterhin einen hohen Preis für seine Aggression zahlen müssen.”

    “Die Sanktionen der EU sind hart und tun weh”, sagte Josep Borrell. “Wie zielen weiterhin auf die Menschen in der Nähe Putins und im Umfeld des Kremls ab. Das heutige Paket spiegelt unseren mit internationalen Partnern einschließlich der G7 koordinierten Ansatz wider.” Borell erklärte, er werde zusätzlich zu diesen Maßnahmen dem Europäischen Rat Vorschläge vorlegen, um weitere Personen und Organisationen auf die schwarze Liste zu setzen. Dadurch würden ihre Vermögenswerte eingefroren und Reisemöglichkeiten eingeschränkt.

    Die Kommission und der Hohe Vertreter legen den Vorschlag nun dem Europäischen Rat vor, der ihn formell annehmen muss. leo

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    Scholz: Deutschlands Verantwortung für Europa

    Kanzler Olaf Scholz sieht Deutschland in einer Führungsrolle in der EU. “Wir sind uns der Konsequenzen unserer Entscheidung für eine geopolitische Europäische Union sehr bewusst”, schrieb Scholz in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und verwies auf die Zeitenwende nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. “Die Europäische Union ist die gelebte Antithese zu Imperialismus und Autokratie”, fügte er hinzu. Die EU müsse also eine “geopolitische EU” werden – und darauf aufbauend werde Deutschland Verantwortung für Europa und in der Welt übernehmen. “Führen, das kann nur heißen: zusammenführen, und zwar im doppelten Wortsinn”, betonte der SPD-Politiker dabei jedoch. Dies heiße, dass man zusammen mit Anderen Lösungen erarbeiten und auf Alleingänge verzichten müsse. “Und indem wir, als Land in der Mitte Europas, als Land, das auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs lag, Ost und West, Nord und Süd in Europa zusammenführen.”

    Klingbeil fordert neue Vorreiterrolle für Deutschland in Europa

    Zugleich kündigte er deutsche Vorschläge in der Migrationspolitik, beim Aufbau einer europäischen Verteidigung, bei technologischer Souveränität und demokratischer Resilienz an. “Deutschland wird dazu in den nächsten Monaten konkrete Vorschläge machen”, schrieb der Kanzler. Die EU habe bisher mit “nie dagewesener Entschlossenheit und Geschlossenheit” auf den “Neo-Imperialismus” von Russlands Präsident Wladimir Putin reagiert. “Doch wir dürfen dort nicht stehenbleiben.” Die EU müsse sich auch in anderen Feldern einig werden. “Für mich heißt das: Schluss mit den egoistischen Blockaden europäischer Beschlüsse durch einzelne Mitgliedstaaten. Schluss mit nationalen Alleingängen, die Europa als Ganzem schaden”, sagte er. “Nationale Vetos, etwa in der Außenpolitik, können wir uns schlicht nicht mehr leisten, wenn wir weiter gehört werden wollen in einer Welt konkurrierender Großmächte.”

    Vor wenigen Tagen hatte bereits SPD-Chef Lars Klingbeil eine neue Vorreiterrolle für Deutschland in Europa gefordert. “Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben”, hatte er in einer außenpolitischen Grundsatzrede gesagt. Damit sei aber ausdrücklich nicht gemeint, dass Deutschland “breitbeinig oder rabiat” auftreten solle. rtr

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    Wasserstoff: Erste IPCEI-Tranche genehmigt

    Die Kommission hat die erste von vier Wellen des Wasserstoff-IPCEIs (Important Project of Common European Interest) genehmigt. Der Schritt betrifft 41 Vorhaben der sogenannten Technologiewelle, darunter vier aus Deutschland. Sie drehen sich um Technologien zur Erzeugung, zum Transport und zum Einsatz insbesondere in der Mobilität. “Die Mitgliedstaaten werden bis zu 5,4 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln bereitstellen, wodurch zusätzliche private Investitionen im Umfang von 8,8 Milliarden Euro mobilisiert werden dürften”, teilte die Kommission am Freitag mit.

    Wasserstoff-IPCEI startete schon Ende 2020

    Die Genehmigung war seit Monaten erwartet worden, der Wasserstoff-IPCEI wurde bereits Ende 2020 gestartet. Mit REPowerEU wollte die Kommission den Wasserstoff-Hochlauf wegen der Gaskrise eigentlich beschleunigen. Für den IPCEI hatten sich über 400 Vorhaben aus 18 EU-Staaten registriert, schrieb das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) schon im vergangenen Jahr. Allein aus Deutschland hatte das Ressort mit dem Verkehrsministerium 62 Vorhaben ausgewählt, der größte Teil wartet noch auf grünes Licht aus Brüssel.

    Für den Herbst werde mit der Genehmigung für Industrieprojekte gerechnet, teilte das BMWK weiter mit. Für die Infrastrukturwelle seien bereits Vorschläge bei der Kommission eingereicht worden. Die vierte Welle für Mobilitätsanwendungen sei in Arbeit.

    Die nun genehmigten Vorhaben aus Deutschland stammen von BoschPowerUnits für stationäre Festoxid-Brennstoffzellen-Systeme, Produktionslinien für Alkali- und Hochtemperatur-Elektrolyseure von Sunfire, Lkw-Antriebsstränge von Daimler Truck sowie Brennstoffzellen-Stacks von EKPO Fuel Cell Technologies für Busse, Schiffe, Bahnen und die stationäre Wiederverstromung. ber

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    EU klagt mehrfach gegen Ungarn

    Im Streit mit Ungarn über Menschenrechte und demokratische Standards erhöht die EU-Kommission den Druck auf die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán. Die Brüsseler Behörde entschied sich am Freitag für eine Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Zusammenhang mit Ungarns umstrittenem Gesetz zum Umgang mit Homosexuellen und Transgender. Das Gesetz diskriminiere Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität, erklärte die Kommission zur Begründung. Eine zweite Klage vor dem EU-Gericht in Luxemburg soll Ungarns Verweigerung einer Sendelizenz für den regierungskritischen Sender Klubrádió ins Visier nehmen.

    EU kritisiert Menschenrechte in Ungarn

    Ministerpräsident Orbán hat sich wiederholt gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LGBT) ausgesprochen. Ungarn hatte vergangenes Jahr ein Gesetz in Kraft gesetzt, nach dem Informationen über Homosexualität und Transgender in Schulen zensiert werden. Das Gesetz wird von der EU-Kommission, anderen Ländern sowie von Menschenrechtlern und in der ungarischen Opposition kritisiert. Orbán hatte erklärt, nur Ungarn selbst könne entscheiden, wie Kinder in dem Land erzogen und gebildet würden. Der seit 2010 mit der rechtskonservativen Partei Fidesz regierende Politiker steht in der EU auch wegen seines Umgangs mit der Justiz und den Medien in der Kritik.

    Klage wegen Kraftstoffpreisen

    “Wir gehen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen Angriffe auf unabhängige Medien vor”, sagte die EU-Kommissarin für Werte und Transparenz, Vera Jourová. Das nur noch online präsente Klubrádió verlor vor gut einem Jahr seine Sendelizenz. Die Klage der EU-Kommission bezieht sich darauf, dass ein Antrag auf eine neue Lizenz verweigert wurde. Beim Entzug der Sendelizenz hatte die Regierung in Budapest erklärt, es gebe keine Probleme mit der Medienfreiheit. Der Sender sei nicht von der Regierung abgeschaltet worden.

    Auch im Streit über unterschiedliche Kraftstoffpreise für inländische und ausländische Fahrzeuge geht die EU-Kommission gegen Ungarn vor und leitete am Freitag rechtliche Schritte ein. Die Praxis, Fahrzeuge mit ausländischen Nummernschildern von vergünstigtem Tanken auszuschließen, sei unzulässig, erklärte Industriekommissar Thierry Breton. Ein derartiges Vorgehen störe den einheitlichen EU-Binnenmarkt als Mittel zur Bewältigung von Krisen und Instabilität. Angesichts hoher Spritpreise subventioniert Ungarn das Tanken, schließt aber unter anderem Lastwagen mit ausländischem Kennzeichen und mehr als 3,5 Tonnen Gewicht davon aus. rtr

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    Kriegsfolgen können Energiewende beschleunigen

    Die Folgen des Kriegs in der Ukraine können einer Studie zufolge die Energiewende in Deutschland beschleunigen. Die grüne Wende könne mitunter erfolgreicher gelingen als bislang erwartet, obwohl die
    Bundesregierung im Streben nach mehr Energieunabhängigkeit zunächst mehr auf Kohle setzen müsse, heißt es am Sonntag in einer Analyse des Kreditversicherers Allianz Trade. “Mittelfristig dürften die ehrgeizigen Ziele Deutschlands den Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix sogar über das Maß hinaus steigern, das für die Erfüllung der Pariser Klimaziele bis 2035 erforderlich wäre”, erklärte Milo Bogaerts, Chef von Allianz Trade in der Region Deutschland, Österreich und Schweiz.

    Abkehr vom russischen Gas in Deutschland

    Mehr Kohleverstromung werde die CO2-Emissionen in der EU nicht erhöhen, da sie durch das EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) begrenzt seien. Wegen der hohen EU-Emissionshandelspreise sei es sehr unwahrscheinlich, dass Kohle langfristig als Ersatz für russisches Gas dienen werde, sagte Studienautor Markus Zimmer von der Allianz. “Sie wird aus dem Markt gedrängt werden.” Mittelfristig zielten die Ambitionen Deutschlands auf eine mehr als vierfache Steigerung der Kapazitäten bei den erneuerbaren Energien ab. Das würde zwar die Abkehr vom russischen Gas in Deutschland beschleunigen. Bedingung dafür sei jedoch ein Paradigmenwechsel in zentralen Bereichen des Stromsystems. “Die Planungs- und Genehmigungsverfahren für Erneuerbare-Energien-, Strom- und Wasserstoffnetze müssen konsequent vereinfacht und beschleunigt werden”, betonte Zimmer.

    Der Ausbau der erneuerbaren Energien schiebt laut Studie auch Wachstum und Beschäftigung an. Allein der Ausbau der Stromerzeugungskapazität erfordere hier bis 2035 Investitionen von durchschnittlich 28 Milliarden Euro pro Jahr. Dies führe direkt und indirekt zu einer zusätzlichen Wertschöpfung von 40 Milliarden Euro pro Jahr. “Zudem wird der Ausbau der erneuerbaren Energien von 2022 bis 2035 insgesamt durchschnittlich 440.000 Arbeitskräfte in Deutschland beschäftigen”, bilanzierte Allianz Trade. rtr

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    Polen: Nächster Schritt im Rechtsstaatsverfahren

    Die EU-Kommission treibt im Streit um den Rechtsstaat in Polen ein Verfahren gegen Warschau voran. Wie die Brüsseler Behörde am Freitag mitteilte, leitete sie den nächsten Schritt in einem sogenannten Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein. Polen hat nun zwei Monate Zeit, auf die Stellungnahme aus Brüssel zu reagieren und die Bedenken auszuräumen.

    Andernfalls könnte die Kommission das Land vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagen. Die Folge könnten finanzielle Sanktionen sein. Die Kommission ist als Hüterin der EU-Verträge dafür zuständig, zu überwachen, dass die Staaten sich an das EU-Recht halten.

    Hintergrund der Entscheidung vom Freitag sind mehrere Urteile des polnischen Verfassungsgerichts, die nach Ansicht der EU-Kommission unter anderem gegen den Vorrang des EU-Rechts verstoßen sowie gegen die bindende Wirkung von EuGH-Urteilen. Zudem äußerte die Behörde erhebliche Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Verfassungsgerichts.

    EU-Recht steht über nationalem Recht

    Es geht unter anderem um ein Urteil des Verfassungsgerichts von Anfang Oktober 2021 (Europe.Table berichtete), wonach Teile des EU-Rechts nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar sind. Dies stellt einen Eckpfeiler der europäischen Rechtsgemeinschaft in Frage, dass EU-Recht über nationalem Recht steht. Bereits im Juli 2021 hatte das polnische Gericht entschieden, dass die Anwendung einstweiliger EuGH-Verfügungen, die sich auf das Gerichtssystem des Landes beziehen, nicht mit Polens Verfassung vereinbar seien.

    In Warschau nannte Vize-Justizminister Sebastian Kaleta das Brüsseler Vorgehen einen “noch nie dagewesenen Angriff auf Polen”. Die EU-Kommission wolle nicht nur die Aufhebung von Entscheidungen des polnischen Verfassungsgerichts erzwingen. Sie maße sich auch an, über die Unabhängigkeit des Gerichts und die Wahl seiner Richter durch das Parlament zu urteilen. Dies untergrabe die polnische Verfassung, schrieb der Politiker von der kleinen Regierungspartei Solidarisches Polen (SP) auf Twitter.

    EU-Justizkommissar Didier Reynders sprach sich in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gegen einen “Kriegsrabatt” für Polen aus: Polen solle wegen der Aufnahme von Millionen Kriegsvertriebenen aus der Ukraine nicht schneller Wiederaufbauhilfe erhalten und die Anforderungen an die Justizreform sollen nicht gesenkt werden. “Gerade weil wir uns für die regelbasierte internationale Ordnung stark machen, müssen wir uns selbst an die Rechtsstaatlichkeit halten”, sagte er. leo/dpa

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    Bulgarien und Nordmazedonien unterzeichnen Protokoll zu EU-Gesprächen

    Nordmazedonien und sein EU-Nachbarland Bulgarien haben sich nach langem Streit auf einen Fahrplan für den Beginn der EU-Verhandlungen zum Beitritt Nordmazedoniens geeinigt. Die Außenminister beider Länder, Teodora Gentschowska und Bujar Osmani, unterzeichneten am Sonntag in der bulgarischen Hauptstadt Sofia ein entsprechendes Protokoll. Damit sollen noch offene bilaterale Fragen vor allem bei der Geschichtsdeutung geklärt werden. 

    Nordmazedonien wartet seit 2008 auf Gespräche zum EU-Beitritt

    Bulgarien blockiert seit Ende 2020 wegen eines Streits den Beginn von EU-Verhandlungen mit seinem kleinen Nachbarland, auf die Nordmazedonien bereits seit 2008 wartet. Dabei geht es unter anderem um die Interpretation der teils gemeinsamen Geschichte und die Rechte der ethnischen Bulgaren in Nordmazedonien. Die bis Ende Juni amtierende französische EU-Ratspräsidentschaft erarbeitete einen Kompromissvorschlag. Das nordmazedonische Parlament in Skopje billigte am Samstag den daraufhin von der EU-Kommission vorgeschlagenen Verhandlungsrahmen für Beitrittsgespräche.

    Das am Sonntag in Sofia unterzeichnete Protokoll soll Berichten zufolge Ansätze und Fristen zur Beilegung unter anderem des Streits um die Geschichtsdeutung enthalten. Dabei sollen Medienberichten zufolge Lehrbücher und Aufschriften auf Denkmälern geändert werden. Geregelt soll auch eine Aufnahme der ethnischen Bulgarinnen und Bulgaren als Volksgruppe in Nordmazedoniens Verfassung. Der Wortlaut des Dokuments soll am Dienstag veröffentlicht werden. dpa

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    Deutschland auf dem Weg zum Batteriezellzentrum

    Ein Viertel der vorhergesagten europäischen Produktionskapazitäten von Batteriezellen könnte bis zum Ende des Jahrzehnts von Deutschland abgedeckt werden. Das geht aus einer Datenanalyse von Forschern des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe hervor. Die Experten haben dafür die Pläne und Ankündigungen von mehr als 40 Unternehmen weltweit unter die Lupe genommen, die in Europas Batteriefabriken aufbauen wollen. Auf dieser Grundlage seien dann möglichst realistische Szenarien entwickelt worden, sagte Batterieforscher Lukas Weymann.

    Die Auswertungen zeigten, dass sich die Produktionskapazitäten in Europa bis 2025 voraussichtlich auf mehr als 500 Gigawattstunden (GWh) vervier- und bis 2030 sogar auf bis zu 1,5 Terawattstunden (TWh) verzehnfachen. Damit würde sich bis Ende des Jahrzehnts ungefähr ein Viertel der global angekündigten Kapazitäten in Europa befinden. Davon wiederum entstünde der Analyse zufolge mit knapp 400 GWh mehr als ein Viertel – und damit der größte Anteil – in neuen Batteriefabriken in Deutschland.

    Neue Batteriefabriken in Deutschland von VW und Northvolt

    “Wir tracken und bewerten die Ankündigungen schon seit vielen Jahren und haben insbesondere in der letzten Zeit einen sehr starken Anstieg der Produktionskapazitäten in Europa beobachten können”, sagte Weymann. “Mit 1,5 TWh wurde nun eine bemerkenswerte Schallmauer durchbrochen.”

    Der prognostizierte rasante Zuwachs werde maßgeblich durch europäische Akteure wie das schwedische Unternehmen Northvolt oder Volkswagen getrieben. VW etwa legte erst vor gut einer Woche im niedersächsischen Salzgitter den Grundstein zu einer Batteriefabrik. Northvolt plant unter anderem eine Batteriezellfertigung in Heide in Schleswig-Holstein (Europe.Table berichtete). Auch asiatische und US-amerikanische Firmen haben angekündigt, nach Deutschland beziehungsweise Europa expandieren zu wollen. dpa

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    Presseschau

    EU-Außenminister beraten erneut über Russland-Sanktionen TAGESSPIEGEL
    Scholz will mit Alleingängen in EU aufräumen NTV
    Olaf Scholz will trotz Energiekrise zu Klimazielen stehen ZEIT
    Wirtschaftsministerium plant erneuten Stresstest für die Stromversorgung TAGESSPIEGEL
    Hitzewelle in Europa: Großbritannien beruft nationalen Krisenstab ein SPIEGEL
    Ausgedorrt wie seit 70 Jahren nicht mehr: Wie Südeuropa gegen die Trockenheit ankämpfen will HANDELSBLATT
    Sánchez will Übergewinnsteuer für Banken und Energiekonzerne FAZ
    EU-Kommission billigt milliardenschwere Wasserstoff-Förderung HANDELSBLATT
    Deal mit Bulgarien – Nordmazedonien nimmt Hürde auf dem Weg in die EU WELT

    Heads

    Melanie Vogelbach – Die Türöffnerin

    Melanie Vogelbach leitet den Bereich Internationale Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaftsrecht beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag.
    Melanie Vogelbach leitet den Bereich Internationale Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaftsrecht beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag

    “Mich haben schon immer andere Länder und Gesellschaften interessiert”, beschreibt Melanie Vogelbach ihre Leidenschaft für Internationales. Als Schülerin war sie ein Jahr in den USA und einige Monate in Ecuador. Heute gehört das Reisen zu ihrem Alltag.

    Vogelbach arbeitet als Bereichsleiterin für Internationale Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaftsrecht beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag, kurz DIHK. Vogelbach ist gebürtige Münchenerin, hat Internationale Beziehungen in Dresden und Valparaíso sowie Global Affairs in New York studiert. Danach landete sie in der Protokoll-Abteilung des Auswärtigen Amtes. “Da hatte ich die spannende Aufgabe, Reisen des Bundespräsidenten Gauck ins Ausland vorzubereiten und zu begleiten.” Oft reiste sie vorher an den Zielort und kümmerte sich um die wichtigen Details: Programmpunkte, Gesprächspartner und Sitzordnungen.

    Eine dieser Reisen führte sie nach Myanmar, wo ein neues Büro der Delegation der Deutschen Wirtschaft eröffnet wurde. Dabei lernte sie das weltweite Netzwerk der Handelskammern kennen und tauschte sich mit dem DIHK-Hauptgeschäftsführer aus. Wenig später fand sie ihre neue Bestimmung bei den Wirtschaftsjunioren, ein Verband aus rund 10.000 jungen Unternehmerinnen und Unternehmern, der in den DIHK eingegliedert ist. Vogelbach wurde dort 2014 Vize-Bundesgeschäftsführerin und Pressesprecherin, später Geschäftsführerin.

    Krise bietet Chance

    “Mein Aufgabenspektrum war sehr breit und spannend”, sagt Vogelbach. Die Begegnungen mit jungen Firmen-Gründern hätten sie oft inspiriert. Was ihr nach einigen Jahren fehlte: der Fokus aufs Internationale. Als sich die Gelegenheit ergab, bewarb sie sich 2019 als Bereichsleiterin beim DIHK. Seitdem leitet sie ein 13-köpfiges Team, das sich mit internationaler Wirtschaftspolitik auseinandersetzt. Vogelbach ist auch Mitautorin der regelmäßigen Konjunkturumfragen, die letzte trägt den Titel “Stimmung in der Wirtschaft kippt”.

    Die 38-Jährige bemüht sich, trotz Lieferketten-Problemen, Inflation und steigenden Energiepreisen optimistisch zu bleiben: “Krisenzeiten bieten immer auch Möglichkeiten, Dinge zu hinterfragen.” Und neue Chancen zu finden: “Ich hoffe, dass in der Handelspolitik nun auch einige neue Türen geöffnet werden.” Freihandelsverträge könnten Unternehmen dabei helfen, sich zu diversifizieren.

    Aktuell beschäftigt sie sich viel mit der Umsetzung der Sanktionen gegen Russland und berät die Politik, wenn ungeregelte Details Unternehmern Probleme bereiten. Ein Beispiel: Beim Beförderungsverbot für russische und belarussische Spediteure war nicht klar, welche Behörde Ausnahmegenehmigungen ausstellt und ob sie europaweit gelten. So etwas gelte es schnell zu lösen und bei weiteren Sanktionspaketen schon vorher zu bedenken. “Wir haben derzeit schon genügend Herausforderungen in der Logistik zu bewältigen.” Paul Meerkamp

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    Europe.Table Redaktion

    EUROPE.TABLE REDAKTION

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