gestern hat der EuGH die Klagen der Regierungen in Polen und Ungarn gegen den EU-Rechtsstaatsmechanismus abgewiesen. Damit kann die EU-Kommission Mittel für Mitgliedstaaten einbehalten, wenn demokratische Rechte und Freiheiten verletzt werden. Doch davon, dass Brüssel nun schnell zur Tat schreitet, kann keine Rede sein: Es könne “Wochen” dauern, bis man gegen die Verstöße vorgehe, hieß es. Zahlreiche Politiker:innen kritisieren das gemächliche Tempo und sprechen etwa von einer “Hinhaltetaktik”. Doch es gebe durchaus Gründe, die für ein vorsichtiges Vorgehen sprechen, hat Eric Bonse erfahren.
Mehr als vier Jahre sind vergangen seit dem letzten offiziellen Gipfeltreffen zwischen der Europäischen und der Afrikanischen Union. Heute kommen die Staats- und Regierungschefs der beiden Kontinente in Brüssel zusammen, um die nicht immer einfachen Beziehungen zu festigen. 150 Milliarden Euro will die EU mobilisieren und ihren Partnerländern aus dem globalen Süden bei Infrastrukturprojekten auch mit Know-how unter die Arme greifen. Dabei steht auch die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung nebst möglichen Kooperationen im Bereich erneuerbarer Energien und grünem Wasserstoff im Fokus. Doch während die Industrie bereits den EU-Importbedarf gedeckt sieht, warnen Entwicklungsexperten vor neokolonialen Strukturen, wie Timo Landenberger berichtet.
Die EU-Kommission wird nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Rechtsstaatsmechanismus nicht kurzfristig gegen Ungarn oder Polen vorgehen. Bevor man gegen Rechtsstaatsverstöße vorgehe, könnten es noch “Wochen” dauern, sagte eine Sprecherin in Brüssel. Auf einen Zeitpunkt wollte sie sich nicht festlegen.
Der EuGH hatte gestern geurteilt, dass die im Januar 2021 erlassene Verordnung über die Konditionalität der Rechtsstaatlichkeit rechtskräftig sei. Die Richter wiesen damit die Klagen aus Ungarn und Polen ab. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte die Entscheidung. Sie zeige, “dass wir auf dem richtigen Weg sind”, sagte sie.
Die EU-Kommission darf damit Gelder aus dem EU-Budget einbehalten, wenn in einem Mitgliedsland Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit die finanziellen Interessen der EU gefährden. Dazu gehört etwa eine unzureichende Korruptionsbekämpfung oder auch fehlende Unabhängigkeit der Justiz. Ein solcher Verstoß müsse “einen Umstand oder ein Verhalten betreffen, der bzw. das einer Behörde eines Mitgliedstaats zurechenbar und für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union von Bedeutung ist”, betont der Gerichtshof.
Die Kommission will das Urteil nun eingehend prüfen. Auf dieser Grundlage sollen bereits vorhandene Leitlinien für die Kürzung von EU-Geldern überarbeitet werden. Erst danach könne man an die Umsetzung des Urteils gehen und Länder mit Rechtsstaatsverstößen förmlich notifizieren, so die Behörde. Einen ersten Brief hatte die Kommission bereits zuvor an Budapest und Warschau verschickt, auch die Antworten liegen inzwischen vor.
In Brüssel wird damit gerechnet, dass die Kommission zunächst gegen Ungarn vorgeht. Expertinnen halten das für naheliegend: “Hier ist die Verbindung der rechtsstaatlichen Defizite zum EU-Haushalt einfacher nachzuweisen als im Fall Polens”, sagt Thu Nguyen, Policy Fellow am Jacques Delors Centre. Die EU-Kommission werde bei der ersten Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus sehr darauf bedacht sein, einen wasserdichten Fall zu haben, der auch vor dem EuGH bestehe.
Offen ist aber, ob die Kommission noch vor den Parlamentswahlen in Ungarn im April das Verfahren einleitet. In Brüssel und in Berlin gibt es die Sorge, Premier Viktor Orbán in diesem Fall neue Munition in seiner Kampagne gegen die EU zu liefern. Der größere Hebel seien ohnehin die Mittel aus dem Aufbaufonds Next Generation EU, die die Kommission weiter zurückhält, heißt es in Regierungskreisen.
Zwischen Warschau und Brüssel hatte es hingegen zuletzt Signale der Entspannung gegeben. Präsident Andrzej Duda legte einen Gesetzesentwurf vor, die umstrittene Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs aufzulösen. Zudem eint beide Seiten die Sorge vor einem Einmarsch Russlands in der Ukraine und einer dadurch ausgelösten Flüchtlingswelle.
Aus dem Europaparlament kommt scharfe Kritik am Zögern der Kommission. Vizepräsidentin Katarina Barley (SPD) sagte, das von der Kommission vorgesehene Verfahren werde mindestens fünf Monate dauern, vielleicht sogar neun. Die “Hinhaltetaktik” der EU-Behörde sei nicht hinnehmbar, so die frühere Bundesjustizministerin. Die Abgeordneten hatten im Herbst eine Untätigkeitsklage beim EuGH eingereicht, um die Kommission zum Handeln zu zwingen.
Scharfe Kritik kam auch von Grünen und Liberalen. Die Kommission werde ihrer Verantwortung für die Grundrechte und für das EU-Budget nicht gerecht, sagte die grüne Europaabgeordnete Terry Reintke. Sie drohte damit, die Entlastung der EU-Kommission aufzuschieben, “bis sie sich nicht mehr vor der Verantwortung wegduckt”.
EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn rechtfertigte das Vorgehen seiner Behörde. Man wolle “schnell voranschreiten”, müsse aber auch einen “sicheren und fairen Prozess gewährleisten”, sagte er. Die von der Kommission vorgelegten Leitlinien für die Kürzung von EU-Geldern seien weit vorangeschritten. Gleichwohl komme es darauf an, eine direkte Verbindung zwischen Rechtsstaatsverstößen und dem EU-Haushalt nachzuweisen, so Hahn. Eventuelle Mittelkürzungen müssten gerichtsfest sein, Fehler könne man sich nicht leisten.
In Berlin forderte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) die Kommission auf, das Instrument nun auch einzusetzen. Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, sprach sich für ein zügiges Vorgehen aus: “Die EU-Kommission darf jetzt keine weitere Zeit verlieren und muss die Verordnung konsequent anwenden”, sagte der Grünen-Politiker Europe.Table.
Etwas zurückhaltendere Töne kommen aus der SPD. Die Kommission werde nun zunächst in ihren Leitlinien die Kriterien für ein Verfahren benennen, sagte der SPD-Berichterstatter im Bundestag, Johannes Schraps. “Die Kommission sollte auf dieser Grundlage sorgfältig prüfen, ob die in anderen Verfahren festgestellten Verstöße durch Polen und Ungarn die Einbehaltung europäischer Gelder rechtfertigen.” Mit Till Hoppe und Falk Steiner
Die Erwartungen sind hoch vor dem sechsten Gipfel zwischen der Afrikanischen und der Europäischen Union, der heute unter französischem Vorsitz in Brüssel beginnt. Das zweitägige Spitzentreffen, zu dem alle 27 Regierungschefs der EU sowie etwa 40 Staatsoberhäupter aus Afrika erwartet werden, soll die Beziehungen der beiden Kontinente auf neue Beine stellen und neben drängenden Fragen in den Bereichen Sicherheit, Gesundheit, Digitalisierung und Bildung auch die Energiewende und den Klimaschutz adressieren.
“Afrika kann einer der Hubs für die Energiepolitik der Zukunft werden. Der Kontinent verfügt über ein riesiges Potenzial”, sagt Udo Bullmann, entwicklungspolitischer Sprecher der S&D-Fraktion im EU-Parlament, zu Europe.Table. Der Dreiklang aus Sonne, Wasser und Wind liege dabei auf der Hand, es fehle jedoch vielerorts noch an Wissen über dieses Potenzial. Hier könne der EU-Afrika-Gipfel schnell Ergebnisse erzielen.
Für afrikanische Wirtschaftsräume sei es wichtig, ihre Entwicklung so zu gestalten, “dass die Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern von vornherein vermieden, aber gleichzeitig wettbewerbsfähige und starke Industrie- und Dienstleistungssektoren aufgebaut werden”, so Bullmann. Das gehe nur mit Unterstützung Europas, und noch sei Zeit dafür: Ganz Afrika emittiere für die Energiegewinnung aktuell weniger Kohlenstoff als Deutschland allein. “Wir können mit den richtigen Investitionen und Anreizen Afrika also zu einem der führenden Produzenten und womöglich sogar Netto-Exporteur für saubere Energie machen.” Davon wiederum könne auch Europa profitieren.
Denn die EU wird ihren wachsenden Bedarf an erneuerbarem Strom und grünem Wasserstoff durch die heimische Produktion nicht decken können. Dafür genügen weder die Sonnenstunden noch die verfügbare Fläche. Schätzungen hinsichtlich des Importbedarfs reichen von etwa 30 bis hin zu über 50 Prozent. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ist überzeugt: “Hierbei könnten unter anderem afrikanische Länder eine große Rolle spielen.”
Umso wichtiger sei, frühzeitig internationale Partnerschaften zu schließen. Gerade Wasserstoff biete große Chancen für Kooperationen und Handelsbeziehungen entlang neuer Wertschöpfungsketten, so eine BDEW-Sprecherin. “Gesprächsplattformen wie der EU-Afrika-Gipfel sind daher enorm wichtig.”
Auch beim African Hydrogen Partnership (AHP) mit Sitz in Mauritius setzt man große Hoffnungen in das diplomatische Treffen. Denn die Entwicklung nachhaltiger Wirtschaftsräume setze funktionierende und faire Märkte, politische Stabilität und Sicherheit voraus. Es sei Aufgabe der EU und der AU, einen entsprechenden Rahmen zu schaffen, sagt AHP-Generalsekretär Siggi Huegemann zu Europe.Table. Dann könne eine Win-Win-Situation entstehen. “Aufgrund der Nähe Afrikas und seines Potenzials für die Produktion ist grüner Wasserstoff aus Afrika für die Dekarbonisierung Europas nicht nur notwendig, sondern auch relativ günstig”, so Huegemann.
Die Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini fordert dabei einen entwicklungsorientierten Ansatz von den Vertretern beider Seiten. Der Gipfel müsse sicherstellen, “dass der afrikanische Kontinent von der Entwicklung innovativer Klimatechnologien profitiert, Wertschöpfung vor Ort betreiben kann und nicht auf die Rolle des Rohstofflieferanten beschränkt bleibt”.
17 Prozent der Weltbevölkerung leben auf dem afrikanischen Kontinent, wovon wiederum über die Hälfte unzureichend Zugang zu Strom hat. Vier Prozent der globalen Treibhausgasemissionen werden in Afrika verursacht. Dennoch leiden gerade die dortigen Regionen zum Teil erheblich unter den Auswirkungen des Klimawandels. Auch deshalb habe Europa eine besondere Verantwortung gegenüber seinem Nachbarkontinent, sagt Kerstin Opfer von der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch.
Die Expertin für Energiepolitik und Zivilgesellschaft in Afrika fordert eine erneuerte und auf gegenseitigem Vertrauen beruhende Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen der Afrikanischen und der Europäischen Union. Es gelte, strukturelle Ungleichheiten zu überwinden. Deshalb sollte Europa besondere Rücksicht auf die Bedürfnisse der afrikanischen Bevölkerung legen und die eigenen, wirtschaftlichen Interessen hintenanstellen.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte vergangene Woche bei einem Besuch im Senegal ein Investitionspaket über 150 Milliarden Euro bis 2030 für Projekte auf dem afrikanischen Kontinent in Aussicht gestellt. Der Betrag entspricht der Hälfte der für die europäische Investitions- und Entwicklungsoffensive “Global Gateway” vorgesehenen Gesamtsumme und soll sich aus EU-Mitteln, Krediten und Privatkapital zusammensetzen, wie ein EU-Vertreter im Vorfeld des Treffens ausführte. Mit der Infrastrukturinitiative will die EU auch den Vormarsch Chinas in Ländern des globalen Südens bremsen und der neuen chinesischen Seidenstraße (Belt and Road) entgegentreten.
Über die Verwendung der Gelder, zielgerichtete Vertiefungen der Partnerschaft und konkrete Projekte soll heute und morgen in sieben themenbezogenen Gesprächsrunden diskutiert werden. Bundeskanzler Olaf Scholz wird unter anderem an einem solchen runden Tisch zu “Klimaschutz, Energiewende, Digitalisierung und Verkehr” teilnehmen und als G7-Vorsitzender die Position der Staatengemeinschaft vertreten, wie ein Sprecher der Bundesregierung mitteilte.
Ursprünglich hätte der diplomatische Austausch bereits im Jahr 2020 stattfinden sollen, wurde aufgrund der Covid-19-Pandemie jedoch verschoben, womit der letzte offizielle EU-Afrika-Gipfel mehr als vier Jahre zurückliegt.
18.02.2022 – 09:00-12:30 Uhr, online
EC, Workshop Digitalisation of the energy system
This European Commission (EC) workshop will focus on the efficient integration of electric vehicles into the electricity system and the framework for data exchange. INFOS & REGISTRATION
21.02.-27.02.2022, online
DKI, Seminar Interoperabilität von IT-Systemen und Standards der Health IT
Bei diesem Workshop des Deutschen Krankenhaus Instituts (DKI) sollen effektive einrichtungsübergreifende Behandlungsprozesse und besonders das Management von IT-Projekten aufgezeigt werden. INFOS & ANMELDUNG
22.02.2022 – 10:00-12:30 Uhr, online
ZIA, Seminar Die Verlängerung des PlanSiG: Chancen für mehr Digitalisierung und Rechtssicherheit in Planverfahren
In diesem ZIA-Seminar werden die Regelungen des Planungssicherstellungsgesetzes (PlanSiG) erklärt und in den Kontext mit anderen Rechtsprechungen gesetzt. INFOS & ANMELDUNG
22.02.2022 – 14:00-15:30 Uhr, online
Eco, Panel Discussion How to achieve green sustainability goals for the Data Center Industry
The speakers of the Internet Economy Association (Eco) will present sustainability goals for data centers, discuss the opportunities and challenges of digitization and the importance of digital infrastructures. INFOS & REGISTRATION
22.02.2022 – 16:30-18:00 Uhr, online
Eco, Podiumsdiskussion Digitale Verantwortung in Europa
Bei dieser Podiumsdiskussion des Verbandes der Internetwirtschaft (Eco) werden die Inhalte des Strategiepapiers zu den Zielen Digitaler Verantwortung diskutiert. INFOS & ANMELDUNG
22.02.2022 – 18:00 Uhr, online
Europa Union Hamburg, Vortrag Der Gerichtshof der Europäischen Union: Ein Instrument für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit?
Ziel der Veranstaltung der Europa Union Hamburg ist es, die Tätigkeiten und den Einfluss der Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) genauer zu betrachten. ANMELDUNG
Die EU-Staats- und Regierungschefs werden heute Mittag über die Lage in der Russland-Ukraine-Krise beraten. Vor dem Beginn des lange geplanten EU-Afrika-Gipfels werde die europäische Seite eine Stunde lang zusammenkommen, um über die jüngsten Entwicklungen zu diskutieren, kündigte der Sprecher von Ratspräsident Charles Michel an.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz hatten sich zuletzt in Moskau bei Präsident Wladimir Putin um eine Deeskalation des Konflikts bemüht. Russland hatte am Dienstag überraschend mitgeteilt, Truppeneinheiten von der ukrainischen Grenze abzuziehen. EU, Nato und US-Regierung aber bestätigen dies bislang nicht. Die USA und Nato erklärten am Mittwoch, Russland baue weiterhin Truppen um die Ukraine herum auf, obwohl Moskau von einem Rückzug spreche. Es wäre gut, “wenn sie ihren Worten Taten folgen lassen würden, aber bis jetzt haben wir das nicht gesehen”, sagte US-Außenminister Antony Blinken am Mittwoch. “Was Russland sagt, ist das eine. Was Russland tut, ist das andere.”
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg äußerte sich ebenfalls skeptisch: “Bislang haben wir vor Ort keine Deeskalation gesehen. Im Gegenteil: Russland scheint den Militäraufmarsch fortzusetzen”, sagte er am Rande eines Treffens der Verteidigungsminister der Bündnisstaaten in Brüssel. Die Bundesregierung fordert von Russland klare Belege für den angekündigten Teilabzug.
Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, Soldaten von der Krim seien in ihre Kasernen zurückgekehrt. Es veröffentlichte ein Video, das einen Zug mit Panzern und anderen Militärfahrzeugen auf der Krim-Brücke zeigt. Außenminister Sergej Lawrow bekräftigte die Bereitschaft seines Landes zum Dialog mit dem Westen über die Sicherheit in Europa – “aber nicht zum Schaden” der grundsätzlichen Positionen Russlands. Immerhin gebe es inzwischen die Bereitschaft, über die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen, über die Transparenz von Manövern und über die Wiederherstellung von Kontakten zwischen den Militärs Russlands und der Nato-Staaten zu reden, sagte Lawrow.
EU und USA haben Moskau mit weitreichenden Sanktionen gegen die größten russischen Banken, die Industrie und den Energiesektor gedroht, sollte Russland die Ukraine angreifen. Der russische Finanzminister Anton Siluanow sagte gestern, im Falle von Strafmaßnahmen gegen russische Energieunternehmen werde man die Lieferungen auf andere Märkte umleiten. Russlands Devisenreserven, der Staatsfonds sowie der Haushaltsüberschuss sollten die Wirtschaft und die Banken des Landes vor möglichen Sanktionen schützen.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte im Europaparlament, die EU sei inzwischen für mögliche Unterbrechungen russischer Gaslieferungen gerüstet. “Alle unsere Modelle zeigen, dass wir mit den ergriffenen Maßnahmen jetzt auf der sicheren Seite sind in diesem Winter.” So seien mehrere Staaten bereit, mehr Flüssigerdgas nach Europa zu liefern. dpa/rtr/tho
Als Reaktion auf steigende Energiepreise wurden am Dienstag neue Vorschläge für weitreichende Markteingriffe laut. Aus der EVP-Fraktion im EU-Parlament drang der Vorschlag für eine Schutzklausel im Emissionshandel. Das Bundeswirtschaftsministerium will dagegen die Neuordnung des Strommarktes vorantreiben und stellt mit dem Grenzkostenmodell den zentralen Preisfindungsmechanismus zur Disposition.
Im Emissionshandel soll nach dem Willen der EVP künftig ein Automatismus greifen. Falls der Preis sechs Monate lang mehr als doppelt so hoch ist wie der Durchschnitt der vergangenen beiden Jahre, sollen 100 Millionen Zertifikate aus der Marktstabilitätsreserve freigegeben werden, heißt es in einem Änderungsantrag des Abgeordneten Peter Liese, der Table.Media vorliegt. In jüngster Zeit sei der CO2-Preis stärker gestiegen, als sich die Bürger anpassen könnten, sagte Liese bei einer Online-Veranstaltung zum Fit-for-55-Paket. Grundsätzlich will Liese aber weiter am Zertifikatepreis als Steuerungsinstrument festhalten. Langfristig müsse der CO2-Preis über 100 Euro steigen, bekräftigte der Klimapolitiker.
Die derzeitigen CO2-Preise seien auch durch Spekulation getrieben, gab sich Liese überzeugt. Es brauche deshalb eine stärkere Überwachung. “Die Kommission muss unmittelbar nach der Vorlage eines Berichts durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde eine Ergänzung der Gesetzgebung vorschlagen”, schreibt der EVP-Abgeordnete in einem Hintergrundpapier. “Dies muss dann nicht ausschließlich in der Richtlinie für den Emissionshandel geregelt werden, sondern man kann auch andere Instrumente der Finanzmarktüberwachung dazu nutzen.”
Die Notwendigkeit für Preiskorrekturen sieht auch das Bundeswirtschaftsministerium. Eine Abschaffung der EEG-Umlage werde nicht ausreichen, sagte Staatssekretär Patrick Graichen bei der Diskussion. Eingriffe in den Emissionshandel sieht er aber skeptisch. “Der eigentliche Preisanstieg im Strommarkt ist durch die Gaspreise bedingt”, sagte der Spitzenbeamte des grün geführten Ministeriums.
Mitgliedsstaaten wie Spanien und Frankreich drängten vielmehr darauf, über das Marktdesign zu sprechen. “Ich glaube, die Diskussion geht eher da hin”, sagte Graichen und stellte den zentralen Preisfindungsmechanismus im Strommarkt infrage: “Wir müssen eine offene Diskussion darüber führen, ob das Grenzkraftwerk den Preis für alle bestimmt.” Ein ähnliches Problem drohe auch in einer Welt mit 100 Prozent erneuerbaren Energien, wenn teure wasserstoffbetriebene Gaskraftwerke den Preis für alle Erzeuger setzten.
Im Koalitionsvertrag hatte sich die Ampel darauf geeinigt, eine Plattform “Klimaneutrales Stromsystem” einzusetzen, die noch 2022 Vorschläge für eine Marktreform vorlegen soll. Graichen räumte ein, dass Bedarf für noch schnellere Reformen bestehe, derzeit habe das Ministerium aber kein ausgearbeitetes Konzept in der Schublade. Ressortchef Robert Habeck hatte in den vergangenen Tagen Sympathien für Differenzverträge für größere Energieparks erkennen lassen. ber
Die Stahlindustrie schlägt wegen der stark gestiegenen Strom- und Gaspreisen Alarm. “Allein in den letzten sechs Monaten sind unsere Ausgaben für Gas und Strom um einen dreistelligen Millionenbetrag gestiegen“, sagte der Chef von Thyssenkrupp Steel Europe, Bernhard Osburg, am Mittwoch auf der “Handelsblatt Jahrestagung Zukunft Stahl 2022”. Die Preise hätten sich verdoppelt und verdreifacht. Thyssenkrupp habe dabei den Vorteil, zwei Drittel des benötigten Stroms durch Prozesse am Stahlstandort Duisburg selbst zu produzieren. Allein das verbleibende Drittel führe zu diesen Zusatzkosten.
Osburg verwies darauf, dass durch den geplanten Umbau auf eine klimaneutrale Produktion der Stromverbrauch noch steigen werde, weil dafür etwa Wasserstoff mithilfe erneuerbarer Energie hergestellt werden soll. “Wenn wir klimaneutral produzieren, dann wird unser Strombedarf in Duisburg allein dem 4,5-fachen der Stadt Hamburg entsprechen.” Das sei eine gigantische Menge, die dann komplett zugekauft werden müsste. Die von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geplanten Klimaschutzverträge müssten das teilweise kompensieren.
Die Branche kämpfe mit einer noch nie dagewesenen Energiekostensteigerung, sagte auf der Konferenz auch der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff. Schon jetzt liefen die gestiegenen Strom- und Gaspreise für die deutsche Stahlindustrie auf jährliche Mehrkosten von 1,5 Milliarden Euro hinaus. Mit einem Ausstoß von rund 60 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr könne die Stahlindustrie in Deutschland einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Dies werde jedoch nur mit den richtigen Rahmenbedingungen gelingen.
Der Schwerindustrie drohten bereits erhebliche Belastungen durch die von der EU geplante schrittweise Abschaffung der kostenfreien Zuteilung von CO2-Zertifikaten, betonte der Europa-Chef von ArcelorMittalMT.LU, Geert Van Poelvoorde. “Man muss sich eigentlich die Frage stellen, wird es in Europa noch ein Geschäftsmodell von Stahl geben.” Die hohen Energiepreise kämen nun als weiteres Problem hinzu. rtr
Ausschreibungen für Windparks auf See sollten nach dem Willen des Europaparlaments künftig auch Nachhaltigkeitskriterien umfassen. “Das Europäische Parlament erkennt an, dass für den Übergang zu sauberen Energien die Nachhaltigkeit und der CO2-Fußabdruck der gesamten Wertschöpfungskette berücksichtigt werden müssen, wenn Offshore-Windenergie und andere Energietechnologien genutzt werden”, heißt es in der am Mittwoch verabschiedeten Entschließung zum Kommissionsentwurf der Offshore-Strategie. In Deutschland werden Gebote in Ausschreibungen für Meereswindparks ausschließlich nach dem Preis bezuschlagt, bei Gleichstand entscheidet das Los.
Die Kommission hatte sich in ihrem Entwurf unverbindlicher ausgedrückt, die Recyclingfähigkeit der Anlagen sei lediglich zu prüfen. Die Entschließung, die von dem dänischen Abgeordneten Morten Petersen (RENEW) vorbereitet worden war, wird deutlich konkreter. Neben dem Vorstoß zu Ausschreibungen fordert das Parlament ein Verbot der Deponierung kompletter Rotorblätter bis 2025.
Die Mitgliedsstaaten sollten außerdem bei ihren Ausbauplänen den gesamten Lebenszyklus beachten. Die Kommission wird aufgerufen, wenn nötig eine Strategie zur nachhaltigen Stilllegung von Offshore-Anlagen zu erarbeiten.
Das Parlament fordert die Kommission zudem auf, Best Practices zur direktelektrischen Nutzung von Windenergie auf See in Fernwärmenetzen zu analysieren. Die Abgeordneten beklagen, dass Offshore-Windenergie derzeit nicht in der kommunalen Wärmeplanung berücksichtigt werde. Auf Bundesebene wird Offshore-Windstrom bisher vor allem als Quelle zur Produktion von grünem Wasserstoff für die Industrie betrachtet.
Auf ein konkretes Marktmodell für Offshore-Anlagen legt sich das Parlament noch nicht fest. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte sich unlängst für Differenzverträge ausgesprochen, auch symmetrische Marktprämie genannt. Im Interesse der Stromkunden könnten dadurch künftig hohe Erlöse geförderter Erneuerbaren-Anlagen infolge hoher Strompreise abgeschöpft werden. ber
Die Alphabet-Tochter hat Google bekanntgegeben, dass sie tiefgreifende Änderungen am sogenannten AdID-Anzeigen-Tracking frühzeitig ankündigen wolle. Das bisherige Modell der Werbe-IDs im mobilen Betriebssystem Android solle mindestens zwei Jahre weiterbetrieben werden.
Allerdings sieht sich die Firma nun nach Alternativen zum bisherigen Verfahren der anwendungsübergreifenden Werbe-IDs um. Google kündigte an, mit App-Herstellern wie Snap Inc und Activision Blizzard an Möglichkeiten zu arbeiten, um Anzeigen-Targeting und Klick-Logging mit weniger Zugriff auf personenbezogene Daten zu ermöglichen.
Konkurrent Apple hatte im April 2021 mit Änderungen auf iOS-Betriebssystemebene die Möglichkeiten für seine Werbekunden eingeschränkt, Nutzer anwendungsübergreifend ohne deren Zustimmung zu identifizieren. Die dann in der Folge notwendige Zustimmung wurde von vielen Nutzern nach dem Wechsel nicht erteilt. Die Änderung bescherte einigen Anbietern, der prominenteste davon Facebook, deutliche finanzielle Einbußen.
Der Streit um das Tracking tobt dabei seit Jahren auf mehreren Ebenen. Ob, wie hier, auf Betriebssystemebene, auf Browserebene oder bei den Website-Trackingmechanismen sind Lösungen zur Zufriedenheit der Werbewirtschaft derzeit nicht in Sicht (Europe.Table berichtete). Vielmehr drohen ihr mit dem Digital Services Act weitere Einschränkungen für die Datenverarbeitungsmöglichkeiten.
Insbesondere US-basierte Anbieter stehen zudem vor dem Problem, dass ihre Datenverarbeitung nach Ansicht einiger Datenschutzaufsichtsbehörden mit europäischem Datenschutzrecht derzeit nicht oder nur eingeschränkt kompatibel ist (Europe.Table berichtete). fst/rtr
Europas Bemühungen, einen Standard für Künstliche Intelligenz (KI) festzulegen, werden wahrscheinlich mehr als ein Jahr dauern. Die Debatte dürfte sich darauf konzentrieren, ob die Gesichtserkennung verboten werden und wer die Regeln durchsetzen sollte, hieß es aus der EU-Kommission am Mittwoch.
Die Europäische Kommission hat im vergangenen Jahr einen Entwurf für KI-Vorschriften vorgelegt. Das EU-Parlament könnte sich im November auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen und damit die Gespräche mit den EU-Ländern einleiten. Diese könnten anderthalb Jahre dauern, sagte Dragoş Tudorache, Experte für Künstliche Intelligenz im Europäischen Parlament.
Schlüsselthema sei dabei die Gesichtserkennung. Die Kommission möchte den Einsatz der Gesichtserkennung durch die Strafverfolgungsbehörden bei Terroranschlägen und schweren Verbrechen erlauben. Bürgerrechtler befürchten jedoch, dass dies die Diskriminierung und Überwachung durch Regierungen und Unternehmen erleichtern könnte.
“Ich glaube nicht an ein totales Verbot. Für mich besteht die Lösung darin, die richtigen Regeln aufzustellen”, sagte Tudorache. Der Abgeordnete Axel Voss, der sich mit dem rechtlichen Rahmen befasst, stimmte zu, dass die Gesichtserkennung mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen erlaubt werden sollte. Während die Kommission möchte, dass die Regeln auf nationaler Ebene durchgesetzt werden sollten, sagte Tudorache, dass einige Aspekte von der Kommission gehandhabt werden sollten. rtr
Die Unternehmensberatung McKinsey rechnet bis 2030 mit einem Wachstum der Chipbranche um jährlich sechs bis acht Prozent (Europe.Table berichtete). Die Schallmauer von einer Milliarde Dollar Umsatz falle, hieß es in einer Studie. Die Digitalisierung habe sich durch die Pandemie beschleunigt, sagte McKinsey-Partner Ondrej Burkacky.
Megatrends wie das Arbeiten zu Hause, das Wachstum der Künstlichen Intelligenz oder die steigende Nachfrage nach Elektroautos führten zu einer stark steigenden Halbleiter-Nachfrage. Zugleich werde der Chipmangel in der Autobranche im laufenden Jahr anhalten; erst 2023 kämen Angebot und Nachfrage dank zusätzlicher Produktionskapazitäten wieder ins Gleichgewicht.
Vergangene Woche hat die EU-Kommission den European Chips Act vorgestellt (Europe.Table berichtete). Mit dem Programm will die EU die Produktion von Halbleitern in Europa fördern, um so unabhängiger von asiatischen Herstellern zu werden. rtr
Kristina Sinemus steht unter besonderer Beobachtung. Europas Verwaltungsexperten dürften jeden ihrer Schritte ganz genau verfolgen. Denn Hessens Digitalministerin hat einen ehrgeizigen Plan. Sie will ihr Land zu einem Musterland der Digitalisierung machen. Seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2019 verfolgt die 58-Jährige das Ziel, Hessen zu einem “deutschen Silicon Valley” zu machen, wie sie es nennt.
Sinemus stattet unter anderem ländliche Regionen mit möglichst leistungsfähigen Internetanschlüssen aus, treibt Geschäftsmodelle rund um die Künstliche Intelligenz (KI) voran und digitalisiert die Verwaltung. “Wir können als Blaupause für die Digitalpolitik im Bund und in Europa dienen”, sagt sie. Im Bund und in der EU-Kommission sind die Digitalministerien mit anderen Ressortzuständigkeiten gebündelt.
Eine Legislaturperiode – mit dieser Dauer müsse sie für den Aufbau des Hauses schon rechnen, hatten ihr Kollegen damals bei ihrem Amtsantritt im Jahr 2019 gesagt. “Ich bin von Natur aus ungeduldig und wollte es zunächst in sechs Monaten schaffen.” Doch sie musste lernen, dass so mancher Prozess durch viele Hände geht. “Der Vorteil ist die Gründlichkeit”, sagt sie. Nach 15 Monaten war sie mit 100 Mitarbeitern schließlich voll handlungsfähig.
Seitdem hat Sinemus in Hessen bereits einiges auf den Weg gebracht. Fast 5500 Mobilfunkmasten sind im Land gebaut oder erneuert worden. Mehr als 1500 öffentliche WLANs wurden auf dem Land installiert. Und für zunächst 38 Millionen Euro entsteht in Darmstadt ein neues Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz.
Das Thema KI bringt sie nicht nur im eigenen Bundesland voran. Auch auf europäischer Ebene ist Sinemus aktiv. Auf ihre Einladung hin trafen sich beim “Digital Leaders Roundtable” im vergangenen November Europapolitiker und KI-Experten zum Thema “Künstliche Intelligenz für morgen”.
Erstes Ziel: ein verbindlicher Rechtsrahmen auf EU-Ebene für den Einsatz von KI. Und auch da stützte man sich auf hessische Expertise. Im vergangenen Frühjahr hatte der Hessische Rat für Digitalethik ein Thesenpapier mit dem Titel “Vertrauen in KI” veröffentlicht. “Wenn wir in Europa diesen Leitlinien folgen, können wir Vorreiter in der Entwicklung verantwortungsvoller KI werden”, sagt die Digitalministerin Hessens.
Ihr eigenes Haus sieht Kristina Sinemus als Querschnittsministerium. “Wir wollen die anderen Ressorts in ihren Digitalprojekten bestmöglich verstärken.” So unterstützt ihr Ministerium zum Beispiel mit knapp 3,2 Millionen Euro zusammen mit dem Wissenschaftsministerium den Aufbau eines Zentrums für Quantencomputing. Dem Sozialressort half sie mit der Anschaffung von 10.000 Tablets für Alten- und Pflegeheime.
Sinemus selbst verwaltet in dieser Legislaturperiode 1,2 Milliarden Euro. “Die Budgethoheit muss zentralisiert sein. Nur so lässt sich erkennen, an welcher Stelle Projekte verschiedener Ressorts zusammengelegt werden können”, sagt sie. Die Macht über die Verteilung von Geldern erklärte sie zur Bedingung, als ihr Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier den Ministerposten vor drei Jahren via Handy anbot. “Ich bin aus allen Wolken gefallen, habe mich einen Tag mit der Familie beraten und dann angenommen”, sagt sie.
Tatsächlich ist sie keine ausgewiesene Digitalexpertin. Bis 1991 studierte sie Biologie, Chemie, Pädagogik und Germanistik in Münster und Kassel und arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Interdisziplinäre Technikforschung der TU Darmstadt. In den späten Neunzigerjahren gründete und leitete sie eine Agentur für Wissenschaftskommunikation. Seit 2011 hält sie eine Professur für politische Kommunikation an der Quadriga Hochschule Berlin.
Auf Bundesebene vermisst sie klarere Strukturen und Prozesse. “Wir brauchen auf jeden Fall eine Koordinierungsstelle, idealerweise ein Digitalministerium auf Bundesebene (Europe.Table berichtete).” Daran führe kein Weg vorbei, sagt sie. Außerdem: “Zur ressortübergreifenden Budgetkoordinierung muss die Operative für den gesamten Infrastrukturbereich kommen: Mobilfunk, Breitband und die Regulierung, das hat sich in Hessen bewährt.”
Im Moment muss Sinemus allerdings kürzertreten. Die passionierte Volleyballerin hat sich einen Achillessehnenriss zugezogen. Nun bleibe ihr eben nichts anders übrig, als sich endlich einmal in Geduld zu üben. “Alles ist für irgendetwas gut”, sagt sie. Andreas Schulte
gestern hat der EuGH die Klagen der Regierungen in Polen und Ungarn gegen den EU-Rechtsstaatsmechanismus abgewiesen. Damit kann die EU-Kommission Mittel für Mitgliedstaaten einbehalten, wenn demokratische Rechte und Freiheiten verletzt werden. Doch davon, dass Brüssel nun schnell zur Tat schreitet, kann keine Rede sein: Es könne “Wochen” dauern, bis man gegen die Verstöße vorgehe, hieß es. Zahlreiche Politiker:innen kritisieren das gemächliche Tempo und sprechen etwa von einer “Hinhaltetaktik”. Doch es gebe durchaus Gründe, die für ein vorsichtiges Vorgehen sprechen, hat Eric Bonse erfahren.
Mehr als vier Jahre sind vergangen seit dem letzten offiziellen Gipfeltreffen zwischen der Europäischen und der Afrikanischen Union. Heute kommen die Staats- und Regierungschefs der beiden Kontinente in Brüssel zusammen, um die nicht immer einfachen Beziehungen zu festigen. 150 Milliarden Euro will die EU mobilisieren und ihren Partnerländern aus dem globalen Süden bei Infrastrukturprojekten auch mit Know-how unter die Arme greifen. Dabei steht auch die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung nebst möglichen Kooperationen im Bereich erneuerbarer Energien und grünem Wasserstoff im Fokus. Doch während die Industrie bereits den EU-Importbedarf gedeckt sieht, warnen Entwicklungsexperten vor neokolonialen Strukturen, wie Timo Landenberger berichtet.
Die EU-Kommission wird nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Rechtsstaatsmechanismus nicht kurzfristig gegen Ungarn oder Polen vorgehen. Bevor man gegen Rechtsstaatsverstöße vorgehe, könnten es noch “Wochen” dauern, sagte eine Sprecherin in Brüssel. Auf einen Zeitpunkt wollte sie sich nicht festlegen.
Der EuGH hatte gestern geurteilt, dass die im Januar 2021 erlassene Verordnung über die Konditionalität der Rechtsstaatlichkeit rechtskräftig sei. Die Richter wiesen damit die Klagen aus Ungarn und Polen ab. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte die Entscheidung. Sie zeige, “dass wir auf dem richtigen Weg sind”, sagte sie.
Die EU-Kommission darf damit Gelder aus dem EU-Budget einbehalten, wenn in einem Mitgliedsland Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit die finanziellen Interessen der EU gefährden. Dazu gehört etwa eine unzureichende Korruptionsbekämpfung oder auch fehlende Unabhängigkeit der Justiz. Ein solcher Verstoß müsse “einen Umstand oder ein Verhalten betreffen, der bzw. das einer Behörde eines Mitgliedstaats zurechenbar und für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union von Bedeutung ist”, betont der Gerichtshof.
Die Kommission will das Urteil nun eingehend prüfen. Auf dieser Grundlage sollen bereits vorhandene Leitlinien für die Kürzung von EU-Geldern überarbeitet werden. Erst danach könne man an die Umsetzung des Urteils gehen und Länder mit Rechtsstaatsverstößen förmlich notifizieren, so die Behörde. Einen ersten Brief hatte die Kommission bereits zuvor an Budapest und Warschau verschickt, auch die Antworten liegen inzwischen vor.
In Brüssel wird damit gerechnet, dass die Kommission zunächst gegen Ungarn vorgeht. Expertinnen halten das für naheliegend: “Hier ist die Verbindung der rechtsstaatlichen Defizite zum EU-Haushalt einfacher nachzuweisen als im Fall Polens”, sagt Thu Nguyen, Policy Fellow am Jacques Delors Centre. Die EU-Kommission werde bei der ersten Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus sehr darauf bedacht sein, einen wasserdichten Fall zu haben, der auch vor dem EuGH bestehe.
Offen ist aber, ob die Kommission noch vor den Parlamentswahlen in Ungarn im April das Verfahren einleitet. In Brüssel und in Berlin gibt es die Sorge, Premier Viktor Orbán in diesem Fall neue Munition in seiner Kampagne gegen die EU zu liefern. Der größere Hebel seien ohnehin die Mittel aus dem Aufbaufonds Next Generation EU, die die Kommission weiter zurückhält, heißt es in Regierungskreisen.
Zwischen Warschau und Brüssel hatte es hingegen zuletzt Signale der Entspannung gegeben. Präsident Andrzej Duda legte einen Gesetzesentwurf vor, die umstrittene Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs aufzulösen. Zudem eint beide Seiten die Sorge vor einem Einmarsch Russlands in der Ukraine und einer dadurch ausgelösten Flüchtlingswelle.
Aus dem Europaparlament kommt scharfe Kritik am Zögern der Kommission. Vizepräsidentin Katarina Barley (SPD) sagte, das von der Kommission vorgesehene Verfahren werde mindestens fünf Monate dauern, vielleicht sogar neun. Die “Hinhaltetaktik” der EU-Behörde sei nicht hinnehmbar, so die frühere Bundesjustizministerin. Die Abgeordneten hatten im Herbst eine Untätigkeitsklage beim EuGH eingereicht, um die Kommission zum Handeln zu zwingen.
Scharfe Kritik kam auch von Grünen und Liberalen. Die Kommission werde ihrer Verantwortung für die Grundrechte und für das EU-Budget nicht gerecht, sagte die grüne Europaabgeordnete Terry Reintke. Sie drohte damit, die Entlastung der EU-Kommission aufzuschieben, “bis sie sich nicht mehr vor der Verantwortung wegduckt”.
EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn rechtfertigte das Vorgehen seiner Behörde. Man wolle “schnell voranschreiten”, müsse aber auch einen “sicheren und fairen Prozess gewährleisten”, sagte er. Die von der Kommission vorgelegten Leitlinien für die Kürzung von EU-Geldern seien weit vorangeschritten. Gleichwohl komme es darauf an, eine direkte Verbindung zwischen Rechtsstaatsverstößen und dem EU-Haushalt nachzuweisen, so Hahn. Eventuelle Mittelkürzungen müssten gerichtsfest sein, Fehler könne man sich nicht leisten.
In Berlin forderte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) die Kommission auf, das Instrument nun auch einzusetzen. Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, sprach sich für ein zügiges Vorgehen aus: “Die EU-Kommission darf jetzt keine weitere Zeit verlieren und muss die Verordnung konsequent anwenden”, sagte der Grünen-Politiker Europe.Table.
Etwas zurückhaltendere Töne kommen aus der SPD. Die Kommission werde nun zunächst in ihren Leitlinien die Kriterien für ein Verfahren benennen, sagte der SPD-Berichterstatter im Bundestag, Johannes Schraps. “Die Kommission sollte auf dieser Grundlage sorgfältig prüfen, ob die in anderen Verfahren festgestellten Verstöße durch Polen und Ungarn die Einbehaltung europäischer Gelder rechtfertigen.” Mit Till Hoppe und Falk Steiner
Die Erwartungen sind hoch vor dem sechsten Gipfel zwischen der Afrikanischen und der Europäischen Union, der heute unter französischem Vorsitz in Brüssel beginnt. Das zweitägige Spitzentreffen, zu dem alle 27 Regierungschefs der EU sowie etwa 40 Staatsoberhäupter aus Afrika erwartet werden, soll die Beziehungen der beiden Kontinente auf neue Beine stellen und neben drängenden Fragen in den Bereichen Sicherheit, Gesundheit, Digitalisierung und Bildung auch die Energiewende und den Klimaschutz adressieren.
“Afrika kann einer der Hubs für die Energiepolitik der Zukunft werden. Der Kontinent verfügt über ein riesiges Potenzial”, sagt Udo Bullmann, entwicklungspolitischer Sprecher der S&D-Fraktion im EU-Parlament, zu Europe.Table. Der Dreiklang aus Sonne, Wasser und Wind liege dabei auf der Hand, es fehle jedoch vielerorts noch an Wissen über dieses Potenzial. Hier könne der EU-Afrika-Gipfel schnell Ergebnisse erzielen.
Für afrikanische Wirtschaftsräume sei es wichtig, ihre Entwicklung so zu gestalten, “dass die Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern von vornherein vermieden, aber gleichzeitig wettbewerbsfähige und starke Industrie- und Dienstleistungssektoren aufgebaut werden”, so Bullmann. Das gehe nur mit Unterstützung Europas, und noch sei Zeit dafür: Ganz Afrika emittiere für die Energiegewinnung aktuell weniger Kohlenstoff als Deutschland allein. “Wir können mit den richtigen Investitionen und Anreizen Afrika also zu einem der führenden Produzenten und womöglich sogar Netto-Exporteur für saubere Energie machen.” Davon wiederum könne auch Europa profitieren.
Denn die EU wird ihren wachsenden Bedarf an erneuerbarem Strom und grünem Wasserstoff durch die heimische Produktion nicht decken können. Dafür genügen weder die Sonnenstunden noch die verfügbare Fläche. Schätzungen hinsichtlich des Importbedarfs reichen von etwa 30 bis hin zu über 50 Prozent. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ist überzeugt: “Hierbei könnten unter anderem afrikanische Länder eine große Rolle spielen.”
Umso wichtiger sei, frühzeitig internationale Partnerschaften zu schließen. Gerade Wasserstoff biete große Chancen für Kooperationen und Handelsbeziehungen entlang neuer Wertschöpfungsketten, so eine BDEW-Sprecherin. “Gesprächsplattformen wie der EU-Afrika-Gipfel sind daher enorm wichtig.”
Auch beim African Hydrogen Partnership (AHP) mit Sitz in Mauritius setzt man große Hoffnungen in das diplomatische Treffen. Denn die Entwicklung nachhaltiger Wirtschaftsräume setze funktionierende und faire Märkte, politische Stabilität und Sicherheit voraus. Es sei Aufgabe der EU und der AU, einen entsprechenden Rahmen zu schaffen, sagt AHP-Generalsekretär Siggi Huegemann zu Europe.Table. Dann könne eine Win-Win-Situation entstehen. “Aufgrund der Nähe Afrikas und seines Potenzials für die Produktion ist grüner Wasserstoff aus Afrika für die Dekarbonisierung Europas nicht nur notwendig, sondern auch relativ günstig”, so Huegemann.
Die Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini fordert dabei einen entwicklungsorientierten Ansatz von den Vertretern beider Seiten. Der Gipfel müsse sicherstellen, “dass der afrikanische Kontinent von der Entwicklung innovativer Klimatechnologien profitiert, Wertschöpfung vor Ort betreiben kann und nicht auf die Rolle des Rohstofflieferanten beschränkt bleibt”.
17 Prozent der Weltbevölkerung leben auf dem afrikanischen Kontinent, wovon wiederum über die Hälfte unzureichend Zugang zu Strom hat. Vier Prozent der globalen Treibhausgasemissionen werden in Afrika verursacht. Dennoch leiden gerade die dortigen Regionen zum Teil erheblich unter den Auswirkungen des Klimawandels. Auch deshalb habe Europa eine besondere Verantwortung gegenüber seinem Nachbarkontinent, sagt Kerstin Opfer von der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch.
Die Expertin für Energiepolitik und Zivilgesellschaft in Afrika fordert eine erneuerte und auf gegenseitigem Vertrauen beruhende Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen der Afrikanischen und der Europäischen Union. Es gelte, strukturelle Ungleichheiten zu überwinden. Deshalb sollte Europa besondere Rücksicht auf die Bedürfnisse der afrikanischen Bevölkerung legen und die eigenen, wirtschaftlichen Interessen hintenanstellen.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte vergangene Woche bei einem Besuch im Senegal ein Investitionspaket über 150 Milliarden Euro bis 2030 für Projekte auf dem afrikanischen Kontinent in Aussicht gestellt. Der Betrag entspricht der Hälfte der für die europäische Investitions- und Entwicklungsoffensive “Global Gateway” vorgesehenen Gesamtsumme und soll sich aus EU-Mitteln, Krediten und Privatkapital zusammensetzen, wie ein EU-Vertreter im Vorfeld des Treffens ausführte. Mit der Infrastrukturinitiative will die EU auch den Vormarsch Chinas in Ländern des globalen Südens bremsen und der neuen chinesischen Seidenstraße (Belt and Road) entgegentreten.
Über die Verwendung der Gelder, zielgerichtete Vertiefungen der Partnerschaft und konkrete Projekte soll heute und morgen in sieben themenbezogenen Gesprächsrunden diskutiert werden. Bundeskanzler Olaf Scholz wird unter anderem an einem solchen runden Tisch zu “Klimaschutz, Energiewende, Digitalisierung und Verkehr” teilnehmen und als G7-Vorsitzender die Position der Staatengemeinschaft vertreten, wie ein Sprecher der Bundesregierung mitteilte.
Ursprünglich hätte der diplomatische Austausch bereits im Jahr 2020 stattfinden sollen, wurde aufgrund der Covid-19-Pandemie jedoch verschoben, womit der letzte offizielle EU-Afrika-Gipfel mehr als vier Jahre zurückliegt.
18.02.2022 – 09:00-12:30 Uhr, online
EC, Workshop Digitalisation of the energy system
This European Commission (EC) workshop will focus on the efficient integration of electric vehicles into the electricity system and the framework for data exchange. INFOS & REGISTRATION
21.02.-27.02.2022, online
DKI, Seminar Interoperabilität von IT-Systemen und Standards der Health IT
Bei diesem Workshop des Deutschen Krankenhaus Instituts (DKI) sollen effektive einrichtungsübergreifende Behandlungsprozesse und besonders das Management von IT-Projekten aufgezeigt werden. INFOS & ANMELDUNG
22.02.2022 – 10:00-12:30 Uhr, online
ZIA, Seminar Die Verlängerung des PlanSiG: Chancen für mehr Digitalisierung und Rechtssicherheit in Planverfahren
In diesem ZIA-Seminar werden die Regelungen des Planungssicherstellungsgesetzes (PlanSiG) erklärt und in den Kontext mit anderen Rechtsprechungen gesetzt. INFOS & ANMELDUNG
22.02.2022 – 14:00-15:30 Uhr, online
Eco, Panel Discussion How to achieve green sustainability goals for the Data Center Industry
The speakers of the Internet Economy Association (Eco) will present sustainability goals for data centers, discuss the opportunities and challenges of digitization and the importance of digital infrastructures. INFOS & REGISTRATION
22.02.2022 – 16:30-18:00 Uhr, online
Eco, Podiumsdiskussion Digitale Verantwortung in Europa
Bei dieser Podiumsdiskussion des Verbandes der Internetwirtschaft (Eco) werden die Inhalte des Strategiepapiers zu den Zielen Digitaler Verantwortung diskutiert. INFOS & ANMELDUNG
22.02.2022 – 18:00 Uhr, online
Europa Union Hamburg, Vortrag Der Gerichtshof der Europäischen Union: Ein Instrument für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit?
Ziel der Veranstaltung der Europa Union Hamburg ist es, die Tätigkeiten und den Einfluss der Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) genauer zu betrachten. ANMELDUNG
Die EU-Staats- und Regierungschefs werden heute Mittag über die Lage in der Russland-Ukraine-Krise beraten. Vor dem Beginn des lange geplanten EU-Afrika-Gipfels werde die europäische Seite eine Stunde lang zusammenkommen, um über die jüngsten Entwicklungen zu diskutieren, kündigte der Sprecher von Ratspräsident Charles Michel an.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz hatten sich zuletzt in Moskau bei Präsident Wladimir Putin um eine Deeskalation des Konflikts bemüht. Russland hatte am Dienstag überraschend mitgeteilt, Truppeneinheiten von der ukrainischen Grenze abzuziehen. EU, Nato und US-Regierung aber bestätigen dies bislang nicht. Die USA und Nato erklärten am Mittwoch, Russland baue weiterhin Truppen um die Ukraine herum auf, obwohl Moskau von einem Rückzug spreche. Es wäre gut, “wenn sie ihren Worten Taten folgen lassen würden, aber bis jetzt haben wir das nicht gesehen”, sagte US-Außenminister Antony Blinken am Mittwoch. “Was Russland sagt, ist das eine. Was Russland tut, ist das andere.”
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg äußerte sich ebenfalls skeptisch: “Bislang haben wir vor Ort keine Deeskalation gesehen. Im Gegenteil: Russland scheint den Militäraufmarsch fortzusetzen”, sagte er am Rande eines Treffens der Verteidigungsminister der Bündnisstaaten in Brüssel. Die Bundesregierung fordert von Russland klare Belege für den angekündigten Teilabzug.
Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, Soldaten von der Krim seien in ihre Kasernen zurückgekehrt. Es veröffentlichte ein Video, das einen Zug mit Panzern und anderen Militärfahrzeugen auf der Krim-Brücke zeigt. Außenminister Sergej Lawrow bekräftigte die Bereitschaft seines Landes zum Dialog mit dem Westen über die Sicherheit in Europa – “aber nicht zum Schaden” der grundsätzlichen Positionen Russlands. Immerhin gebe es inzwischen die Bereitschaft, über die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen, über die Transparenz von Manövern und über die Wiederherstellung von Kontakten zwischen den Militärs Russlands und der Nato-Staaten zu reden, sagte Lawrow.
EU und USA haben Moskau mit weitreichenden Sanktionen gegen die größten russischen Banken, die Industrie und den Energiesektor gedroht, sollte Russland die Ukraine angreifen. Der russische Finanzminister Anton Siluanow sagte gestern, im Falle von Strafmaßnahmen gegen russische Energieunternehmen werde man die Lieferungen auf andere Märkte umleiten. Russlands Devisenreserven, der Staatsfonds sowie der Haushaltsüberschuss sollten die Wirtschaft und die Banken des Landes vor möglichen Sanktionen schützen.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte im Europaparlament, die EU sei inzwischen für mögliche Unterbrechungen russischer Gaslieferungen gerüstet. “Alle unsere Modelle zeigen, dass wir mit den ergriffenen Maßnahmen jetzt auf der sicheren Seite sind in diesem Winter.” So seien mehrere Staaten bereit, mehr Flüssigerdgas nach Europa zu liefern. dpa/rtr/tho
Als Reaktion auf steigende Energiepreise wurden am Dienstag neue Vorschläge für weitreichende Markteingriffe laut. Aus der EVP-Fraktion im EU-Parlament drang der Vorschlag für eine Schutzklausel im Emissionshandel. Das Bundeswirtschaftsministerium will dagegen die Neuordnung des Strommarktes vorantreiben und stellt mit dem Grenzkostenmodell den zentralen Preisfindungsmechanismus zur Disposition.
Im Emissionshandel soll nach dem Willen der EVP künftig ein Automatismus greifen. Falls der Preis sechs Monate lang mehr als doppelt so hoch ist wie der Durchschnitt der vergangenen beiden Jahre, sollen 100 Millionen Zertifikate aus der Marktstabilitätsreserve freigegeben werden, heißt es in einem Änderungsantrag des Abgeordneten Peter Liese, der Table.Media vorliegt. In jüngster Zeit sei der CO2-Preis stärker gestiegen, als sich die Bürger anpassen könnten, sagte Liese bei einer Online-Veranstaltung zum Fit-for-55-Paket. Grundsätzlich will Liese aber weiter am Zertifikatepreis als Steuerungsinstrument festhalten. Langfristig müsse der CO2-Preis über 100 Euro steigen, bekräftigte der Klimapolitiker.
Die derzeitigen CO2-Preise seien auch durch Spekulation getrieben, gab sich Liese überzeugt. Es brauche deshalb eine stärkere Überwachung. “Die Kommission muss unmittelbar nach der Vorlage eines Berichts durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde eine Ergänzung der Gesetzgebung vorschlagen”, schreibt der EVP-Abgeordnete in einem Hintergrundpapier. “Dies muss dann nicht ausschließlich in der Richtlinie für den Emissionshandel geregelt werden, sondern man kann auch andere Instrumente der Finanzmarktüberwachung dazu nutzen.”
Die Notwendigkeit für Preiskorrekturen sieht auch das Bundeswirtschaftsministerium. Eine Abschaffung der EEG-Umlage werde nicht ausreichen, sagte Staatssekretär Patrick Graichen bei der Diskussion. Eingriffe in den Emissionshandel sieht er aber skeptisch. “Der eigentliche Preisanstieg im Strommarkt ist durch die Gaspreise bedingt”, sagte der Spitzenbeamte des grün geführten Ministeriums.
Mitgliedsstaaten wie Spanien und Frankreich drängten vielmehr darauf, über das Marktdesign zu sprechen. “Ich glaube, die Diskussion geht eher da hin”, sagte Graichen und stellte den zentralen Preisfindungsmechanismus im Strommarkt infrage: “Wir müssen eine offene Diskussion darüber führen, ob das Grenzkraftwerk den Preis für alle bestimmt.” Ein ähnliches Problem drohe auch in einer Welt mit 100 Prozent erneuerbaren Energien, wenn teure wasserstoffbetriebene Gaskraftwerke den Preis für alle Erzeuger setzten.
Im Koalitionsvertrag hatte sich die Ampel darauf geeinigt, eine Plattform “Klimaneutrales Stromsystem” einzusetzen, die noch 2022 Vorschläge für eine Marktreform vorlegen soll. Graichen räumte ein, dass Bedarf für noch schnellere Reformen bestehe, derzeit habe das Ministerium aber kein ausgearbeitetes Konzept in der Schublade. Ressortchef Robert Habeck hatte in den vergangenen Tagen Sympathien für Differenzverträge für größere Energieparks erkennen lassen. ber
Die Stahlindustrie schlägt wegen der stark gestiegenen Strom- und Gaspreisen Alarm. “Allein in den letzten sechs Monaten sind unsere Ausgaben für Gas und Strom um einen dreistelligen Millionenbetrag gestiegen“, sagte der Chef von Thyssenkrupp Steel Europe, Bernhard Osburg, am Mittwoch auf der “Handelsblatt Jahrestagung Zukunft Stahl 2022”. Die Preise hätten sich verdoppelt und verdreifacht. Thyssenkrupp habe dabei den Vorteil, zwei Drittel des benötigten Stroms durch Prozesse am Stahlstandort Duisburg selbst zu produzieren. Allein das verbleibende Drittel führe zu diesen Zusatzkosten.
Osburg verwies darauf, dass durch den geplanten Umbau auf eine klimaneutrale Produktion der Stromverbrauch noch steigen werde, weil dafür etwa Wasserstoff mithilfe erneuerbarer Energie hergestellt werden soll. “Wenn wir klimaneutral produzieren, dann wird unser Strombedarf in Duisburg allein dem 4,5-fachen der Stadt Hamburg entsprechen.” Das sei eine gigantische Menge, die dann komplett zugekauft werden müsste. Die von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geplanten Klimaschutzverträge müssten das teilweise kompensieren.
Die Branche kämpfe mit einer noch nie dagewesenen Energiekostensteigerung, sagte auf der Konferenz auch der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff. Schon jetzt liefen die gestiegenen Strom- und Gaspreise für die deutsche Stahlindustrie auf jährliche Mehrkosten von 1,5 Milliarden Euro hinaus. Mit einem Ausstoß von rund 60 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr könne die Stahlindustrie in Deutschland einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Dies werde jedoch nur mit den richtigen Rahmenbedingungen gelingen.
Der Schwerindustrie drohten bereits erhebliche Belastungen durch die von der EU geplante schrittweise Abschaffung der kostenfreien Zuteilung von CO2-Zertifikaten, betonte der Europa-Chef von ArcelorMittalMT.LU, Geert Van Poelvoorde. “Man muss sich eigentlich die Frage stellen, wird es in Europa noch ein Geschäftsmodell von Stahl geben.” Die hohen Energiepreise kämen nun als weiteres Problem hinzu. rtr
Ausschreibungen für Windparks auf See sollten nach dem Willen des Europaparlaments künftig auch Nachhaltigkeitskriterien umfassen. “Das Europäische Parlament erkennt an, dass für den Übergang zu sauberen Energien die Nachhaltigkeit und der CO2-Fußabdruck der gesamten Wertschöpfungskette berücksichtigt werden müssen, wenn Offshore-Windenergie und andere Energietechnologien genutzt werden”, heißt es in der am Mittwoch verabschiedeten Entschließung zum Kommissionsentwurf der Offshore-Strategie. In Deutschland werden Gebote in Ausschreibungen für Meereswindparks ausschließlich nach dem Preis bezuschlagt, bei Gleichstand entscheidet das Los.
Die Kommission hatte sich in ihrem Entwurf unverbindlicher ausgedrückt, die Recyclingfähigkeit der Anlagen sei lediglich zu prüfen. Die Entschließung, die von dem dänischen Abgeordneten Morten Petersen (RENEW) vorbereitet worden war, wird deutlich konkreter. Neben dem Vorstoß zu Ausschreibungen fordert das Parlament ein Verbot der Deponierung kompletter Rotorblätter bis 2025.
Die Mitgliedsstaaten sollten außerdem bei ihren Ausbauplänen den gesamten Lebenszyklus beachten. Die Kommission wird aufgerufen, wenn nötig eine Strategie zur nachhaltigen Stilllegung von Offshore-Anlagen zu erarbeiten.
Das Parlament fordert die Kommission zudem auf, Best Practices zur direktelektrischen Nutzung von Windenergie auf See in Fernwärmenetzen zu analysieren. Die Abgeordneten beklagen, dass Offshore-Windenergie derzeit nicht in der kommunalen Wärmeplanung berücksichtigt werde. Auf Bundesebene wird Offshore-Windstrom bisher vor allem als Quelle zur Produktion von grünem Wasserstoff für die Industrie betrachtet.
Auf ein konkretes Marktmodell für Offshore-Anlagen legt sich das Parlament noch nicht fest. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte sich unlängst für Differenzverträge ausgesprochen, auch symmetrische Marktprämie genannt. Im Interesse der Stromkunden könnten dadurch künftig hohe Erlöse geförderter Erneuerbaren-Anlagen infolge hoher Strompreise abgeschöpft werden. ber
Die Alphabet-Tochter hat Google bekanntgegeben, dass sie tiefgreifende Änderungen am sogenannten AdID-Anzeigen-Tracking frühzeitig ankündigen wolle. Das bisherige Modell der Werbe-IDs im mobilen Betriebssystem Android solle mindestens zwei Jahre weiterbetrieben werden.
Allerdings sieht sich die Firma nun nach Alternativen zum bisherigen Verfahren der anwendungsübergreifenden Werbe-IDs um. Google kündigte an, mit App-Herstellern wie Snap Inc und Activision Blizzard an Möglichkeiten zu arbeiten, um Anzeigen-Targeting und Klick-Logging mit weniger Zugriff auf personenbezogene Daten zu ermöglichen.
Konkurrent Apple hatte im April 2021 mit Änderungen auf iOS-Betriebssystemebene die Möglichkeiten für seine Werbekunden eingeschränkt, Nutzer anwendungsübergreifend ohne deren Zustimmung zu identifizieren. Die dann in der Folge notwendige Zustimmung wurde von vielen Nutzern nach dem Wechsel nicht erteilt. Die Änderung bescherte einigen Anbietern, der prominenteste davon Facebook, deutliche finanzielle Einbußen.
Der Streit um das Tracking tobt dabei seit Jahren auf mehreren Ebenen. Ob, wie hier, auf Betriebssystemebene, auf Browserebene oder bei den Website-Trackingmechanismen sind Lösungen zur Zufriedenheit der Werbewirtschaft derzeit nicht in Sicht (Europe.Table berichtete). Vielmehr drohen ihr mit dem Digital Services Act weitere Einschränkungen für die Datenverarbeitungsmöglichkeiten.
Insbesondere US-basierte Anbieter stehen zudem vor dem Problem, dass ihre Datenverarbeitung nach Ansicht einiger Datenschutzaufsichtsbehörden mit europäischem Datenschutzrecht derzeit nicht oder nur eingeschränkt kompatibel ist (Europe.Table berichtete). fst/rtr
Europas Bemühungen, einen Standard für Künstliche Intelligenz (KI) festzulegen, werden wahrscheinlich mehr als ein Jahr dauern. Die Debatte dürfte sich darauf konzentrieren, ob die Gesichtserkennung verboten werden und wer die Regeln durchsetzen sollte, hieß es aus der EU-Kommission am Mittwoch.
Die Europäische Kommission hat im vergangenen Jahr einen Entwurf für KI-Vorschriften vorgelegt. Das EU-Parlament könnte sich im November auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen und damit die Gespräche mit den EU-Ländern einleiten. Diese könnten anderthalb Jahre dauern, sagte Dragoş Tudorache, Experte für Künstliche Intelligenz im Europäischen Parlament.
Schlüsselthema sei dabei die Gesichtserkennung. Die Kommission möchte den Einsatz der Gesichtserkennung durch die Strafverfolgungsbehörden bei Terroranschlägen und schweren Verbrechen erlauben. Bürgerrechtler befürchten jedoch, dass dies die Diskriminierung und Überwachung durch Regierungen und Unternehmen erleichtern könnte.
“Ich glaube nicht an ein totales Verbot. Für mich besteht die Lösung darin, die richtigen Regeln aufzustellen”, sagte Tudorache. Der Abgeordnete Axel Voss, der sich mit dem rechtlichen Rahmen befasst, stimmte zu, dass die Gesichtserkennung mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen erlaubt werden sollte. Während die Kommission möchte, dass die Regeln auf nationaler Ebene durchgesetzt werden sollten, sagte Tudorache, dass einige Aspekte von der Kommission gehandhabt werden sollten. rtr
Die Unternehmensberatung McKinsey rechnet bis 2030 mit einem Wachstum der Chipbranche um jährlich sechs bis acht Prozent (Europe.Table berichtete). Die Schallmauer von einer Milliarde Dollar Umsatz falle, hieß es in einer Studie. Die Digitalisierung habe sich durch die Pandemie beschleunigt, sagte McKinsey-Partner Ondrej Burkacky.
Megatrends wie das Arbeiten zu Hause, das Wachstum der Künstlichen Intelligenz oder die steigende Nachfrage nach Elektroautos führten zu einer stark steigenden Halbleiter-Nachfrage. Zugleich werde der Chipmangel in der Autobranche im laufenden Jahr anhalten; erst 2023 kämen Angebot und Nachfrage dank zusätzlicher Produktionskapazitäten wieder ins Gleichgewicht.
Vergangene Woche hat die EU-Kommission den European Chips Act vorgestellt (Europe.Table berichtete). Mit dem Programm will die EU die Produktion von Halbleitern in Europa fördern, um so unabhängiger von asiatischen Herstellern zu werden. rtr
Kristina Sinemus steht unter besonderer Beobachtung. Europas Verwaltungsexperten dürften jeden ihrer Schritte ganz genau verfolgen. Denn Hessens Digitalministerin hat einen ehrgeizigen Plan. Sie will ihr Land zu einem Musterland der Digitalisierung machen. Seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2019 verfolgt die 58-Jährige das Ziel, Hessen zu einem “deutschen Silicon Valley” zu machen, wie sie es nennt.
Sinemus stattet unter anderem ländliche Regionen mit möglichst leistungsfähigen Internetanschlüssen aus, treibt Geschäftsmodelle rund um die Künstliche Intelligenz (KI) voran und digitalisiert die Verwaltung. “Wir können als Blaupause für die Digitalpolitik im Bund und in Europa dienen”, sagt sie. Im Bund und in der EU-Kommission sind die Digitalministerien mit anderen Ressortzuständigkeiten gebündelt.
Eine Legislaturperiode – mit dieser Dauer müsse sie für den Aufbau des Hauses schon rechnen, hatten ihr Kollegen damals bei ihrem Amtsantritt im Jahr 2019 gesagt. “Ich bin von Natur aus ungeduldig und wollte es zunächst in sechs Monaten schaffen.” Doch sie musste lernen, dass so mancher Prozess durch viele Hände geht. “Der Vorteil ist die Gründlichkeit”, sagt sie. Nach 15 Monaten war sie mit 100 Mitarbeitern schließlich voll handlungsfähig.
Seitdem hat Sinemus in Hessen bereits einiges auf den Weg gebracht. Fast 5500 Mobilfunkmasten sind im Land gebaut oder erneuert worden. Mehr als 1500 öffentliche WLANs wurden auf dem Land installiert. Und für zunächst 38 Millionen Euro entsteht in Darmstadt ein neues Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz.
Das Thema KI bringt sie nicht nur im eigenen Bundesland voran. Auch auf europäischer Ebene ist Sinemus aktiv. Auf ihre Einladung hin trafen sich beim “Digital Leaders Roundtable” im vergangenen November Europapolitiker und KI-Experten zum Thema “Künstliche Intelligenz für morgen”.
Erstes Ziel: ein verbindlicher Rechtsrahmen auf EU-Ebene für den Einsatz von KI. Und auch da stützte man sich auf hessische Expertise. Im vergangenen Frühjahr hatte der Hessische Rat für Digitalethik ein Thesenpapier mit dem Titel “Vertrauen in KI” veröffentlicht. “Wenn wir in Europa diesen Leitlinien folgen, können wir Vorreiter in der Entwicklung verantwortungsvoller KI werden”, sagt die Digitalministerin Hessens.
Ihr eigenes Haus sieht Kristina Sinemus als Querschnittsministerium. “Wir wollen die anderen Ressorts in ihren Digitalprojekten bestmöglich verstärken.” So unterstützt ihr Ministerium zum Beispiel mit knapp 3,2 Millionen Euro zusammen mit dem Wissenschaftsministerium den Aufbau eines Zentrums für Quantencomputing. Dem Sozialressort half sie mit der Anschaffung von 10.000 Tablets für Alten- und Pflegeheime.
Sinemus selbst verwaltet in dieser Legislaturperiode 1,2 Milliarden Euro. “Die Budgethoheit muss zentralisiert sein. Nur so lässt sich erkennen, an welcher Stelle Projekte verschiedener Ressorts zusammengelegt werden können”, sagt sie. Die Macht über die Verteilung von Geldern erklärte sie zur Bedingung, als ihr Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier den Ministerposten vor drei Jahren via Handy anbot. “Ich bin aus allen Wolken gefallen, habe mich einen Tag mit der Familie beraten und dann angenommen”, sagt sie.
Tatsächlich ist sie keine ausgewiesene Digitalexpertin. Bis 1991 studierte sie Biologie, Chemie, Pädagogik und Germanistik in Münster und Kassel und arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Interdisziplinäre Technikforschung der TU Darmstadt. In den späten Neunzigerjahren gründete und leitete sie eine Agentur für Wissenschaftskommunikation. Seit 2011 hält sie eine Professur für politische Kommunikation an der Quadriga Hochschule Berlin.
Auf Bundesebene vermisst sie klarere Strukturen und Prozesse. “Wir brauchen auf jeden Fall eine Koordinierungsstelle, idealerweise ein Digitalministerium auf Bundesebene (Europe.Table berichtete).” Daran führe kein Weg vorbei, sagt sie. Außerdem: “Zur ressortübergreifenden Budgetkoordinierung muss die Operative für den gesamten Infrastrukturbereich kommen: Mobilfunk, Breitband und die Regulierung, das hat sich in Hessen bewährt.”
Im Moment muss Sinemus allerdings kürzertreten. Die passionierte Volleyballerin hat sich einen Achillessehnenriss zugezogen. Nun bleibe ihr eben nichts anders übrig, als sich endlich einmal in Geduld zu üben. “Alles ist für irgendetwas gut”, sagt sie. Andreas Schulte