Table.Briefing: China

Wieder mehr Beton + Lukaschenko in Peking

Liebe Leserin, lieber Leser,

um den außer Kontrolle geratenen Wohnungsmarkt wieder in den Griff zu bekommen, hatte Chinas Führung in den vergangenen Jahren hart durchgegriffen. Die Pleite des hoch verschuldeten Bauunternehmens Evergrande hat sie als mahnendes Beispiel für die Überschuldung einer gesamten Branche begriffen.

Plötzlich erscheinen in Peking hohe Schulden aber gar nicht mehr so schlimm – und wenn dann auch noch heiß gewolltes Wachstum dabei rausspringen könnte, werden alte Vorsätze schnell über Bord geworfen.

Auf dem Volkskongress ab Sonntag wird Li Keqiang einen weiteren Stimulus ankündigen, prophezeit Felix Lee in seiner Analyse zu Konjunktur und Investitionen. Anders gesagt: Die KP fällt in alte Gewohnheiten zurück und gibt Disziplin für Wachstum auf. Zumindest kurzfristig wird das die Konjunktur-Optik aufhübschen.

Um Optik ging es auch beim Besuch des belarussischen Präsidenten in China. Je nach Blickwinkel produziert die Visite allerdings für den Betrachtenden ganz unterschiedliche Bilder: Die EU blickt skeptisch auf den Schulterschluss von Xi mit dem Putin-Getreuen Lukaschenko. Das Treffen der Diktatoren wirkt auf sie geradezu bedrohlich.

Peking selbst strahlt indes über das Lob für den vergangenen Woche vorgestellten 12-Punkte-Plan zur Beilegung des Krieges in der Ukraine, wie Jörn Petring berichtet. Und Lukaschenko selbst – will mit dem Besuch vor allem den Handel mit China hochtreiben.

Wir hoffen, Sie ziehen großen Nutzen aus der Lektüre!

Ihre
Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Analyse

Die Liebe zum Betongold kehrt zurück

Marktführer neigte zu Übertreibungen: “Metropolis Evergrande” heißt diese Siedlung in Jiangsu.


Noch vor einem Jahr hatte die chinesische Führung Bauunternehmer und Investoren gewarnt: “Keine Exzesse mehr.” Staats- und Parteichef Xi Jinping höchstpersönlich maßregelte sie: “Häuser sind zum Wohnen da, nicht zum Spekulieren.” Doch von der vermeintlichen Wende hin zu Mäßigung am Immobilienmarkt ist schon jetzt nichts mehr zu spüren. Die Regierung fällt in alte Muster zurück. Sie facht das Strohfeuer am Hausmarkt wieder an.

Am Sonntag startet mit dem Nationalen Volkskongress nun die wirtschaftspolitische Schlüsselveranstaltung des Jahres. Der scheidende Premierminister Li Keqiang wird ein Wachstumsziel für 2023 und die Prioritäten für die Wirtschaftssteuerung bekannt geben. Von den Warnungen an die Baubranche wird dann außer bekannten Phrasen nicht mehr allzu viel übrig sein. Schon jetzt zeichnet sich ab: Um Wachstum zu schaffen, wird die kommunistische Führung in alte Gewohnheiten zurückfallen – und vor allem wieder auf die Förderung des Immobiliensektors setzen.

Dauerkrise am Immobilienmarkt

Dabei waren Xis Warnungen berechtigt. Seit Jahren schlittert China von einer Immobilienkrise zur nächsten. Mal explodierten die Wohnungspreise, weil Investoren sie in die Höhe trieben. Dann kam es zu spektakulären Pleiten von Bauunternehmen. Insbesondere die Zahlungsunfähigkeit des Marktführers Evergrande im vergangenen Jahr sorgte für ein wahres Beben. Mit umgerechnet 300 Milliarden Euro war der Immobilienriese mit dem Bau und der Spekulation von ganzen Satellitenstädten in die Miesen geraten und hatte sich damit so hoch verschuldet wie kein anderes Unternehmen auf der Welt. 

Mit den sogenannten “drei roten Linien”, die die Regierung erließ, wollte die Regierung diesem Gebaren ein Ende setzen. Bauträger sollten strengere finanzielle Auflagen erfüllen. Und auch die Banken durften nicht mehr so großzügig Kredite vergeben, wie es lange Zeit möglich war. Doch die Immobilienverkäufe brachen daraufhin massiv ein und mit ihnen die Konjunktur.

Die roten Linien sind vergessen

Nun macht die Regierung einen Rückzieher und hat genau die Bestimmungen aufgeweicht, die eigentlich für mehr Disziplin im Bausektor sorgen sollten. Mehr noch: Seit Ende des vergangenen Jahres pumpt sie über die Staatsbanken wieder Milliarden in den Sektor. “Niemand schert sich mehr um die drei roten Linien”, sagt Alicia Garcia Herrero, Chefökonomin für Asien-Pazifik bei der französischen Investmentbank Natixis in Hongkong.

Hausverkäufe seien 2022 zum schlechtesten Zeitpunkt um fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitpunkt zurückgegangen. Jetzt liege das Minus bei 5 Prozent. Die Ökonomin rechnet daher damit, dass sich der Bausektor 2023 erholen werde – und damit zunächst einmal die chinesische Wirtschaft insgesamt.

Einkaufsmanger-Index steigt kräftig

Der Vorgang wirkt wie ein Rückfall in den Konsum einer stimulierenden Droge, nachdem die Entzugserscheinungen einsetzen. Zusammen mit dem Ende der Covid-Einschränkungen verfehlt das nicht den erwünschten Effekt. Der Einkaufsmanagerindex für die Industrie, ein wichtiges Konjunkturbarometer, stieg im Februar um 2,5 auf 52,6 Punkte.

Der Index erreichte damit den höchsten Wert seit fast 13 Jahren, wie das Statistikamt am Mittwoch zu einer monatlichen Unternehmensumfrage mitteilte. “Die Daten deuten auf einen starken Start der chinesischen Wirtschaft ins Jahr 2023 hin”, sagte Commerzbank-Ökonom Tommy Wu. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet mit einem Wirtschaftswachstum von 5,2 Prozent in diesem Jahr

Ökonomen sehen erhebliche Risiken

Doch die guten Zahlen beruhen auch auf einem statistischen Effekt. Sie gehen von einer niedrigen Basis aus. Chinas Wirtschaft hatte im letzten Pandemiejahr nicht zuletzt unter den völlig überzogenen Zero-Covid-Regeln gelitten. Sie wuchs nur noch um magere drei Prozent, nach 2020 – im ersten Pandemiejahr – das geringste Wachstum seit Beginn der Wirtschaftsreformen vor 40 Jahren verzeichnet wurde. 

Der IWF sieht trotz dieser stärkeren Wachstumsprognose für das laufende Jahr denn auch weiter erhebliche Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung. Es sei weiterhin wichtig, das Vertrauen in den Immobilienmarkt wiederherzustellen. Strukturreformen sollten mittelfristig den Immobilienmarkt gesundschrumpfen.  

Strukturreformen bleiben aus

Doch die ernst gemeinten Reformen lassen nun noch auf sich warten. Vielmehr setzt die Führung auf ein Rezept, das in den 1990er- und Nullerjahren noch enormes Wachstum schaffte und ganz wesentlich zu dem gleichmäßigen Wachstum beigetragen hat: bauen, bauen, bauen.

Doch inzwischen gibt es im Land so viele Autobahnen, Brücken und Hochhäuser, dass ein Festhalten an diesem Rezept zum Scheitern verurteilt ist. Denn noch mehr Beton in der Landschaft bringt in einer hochmodernen Volkswirtschaft bei weitem nicht mehr so viel wie in der Aufbauphase. 

Der Nutzen der Investitionen nimmt rapide ab. Die erste und zweite große Brücke etwa in der Fünfmillionen-Metropole Nanjing sorgte auf beiden Seiten des mächtigen Jangtse-Flusses noch für jede Menge Entwicklung und Wirtschaftswachstum. Die vierte Brücke hingegen schon sehr viel weniger. Und das lässt sich auf ganz China übertragen. Je mehr Straßen, Brücken, Wolkenkratzer und Kohlekraftwerke es im Land gibt, desto weniger Wachstum erzeugt die Regierung mit jedem eingesetzten Yuan. Nachhaltig ist diese Strategie ohnehin schon längst nicht mehr.

Kreditvolumen schwillt weiter an

Das Problem: Die Bautätigkeit erfolgt in der Regel auf Pump. Früher galt die Hoffnung einer Zukunft, in der die Wirtschaft weiter gewachsen und die Preise gestiegen sind, sodass sich die Kredite leicht zurückzahlen lassen. Ein “Gesundschrumpfen” der Baubranche, wie es der IWF empfiehlt, ist nicht ohne allgemeine Verwerfungen möglich.

Erhebliche Teile von Chinas Wirtschaft hängt am Immobiliensektor. Inklusive nachgelagerter Industrien wie die Produktion von Stahl und Zement macht sie bis zu ein Drittel der Wirtschaftskraft aus. Hinzu kommt, dass es in China an einem vertrauenswürdigen Aktienmarkt fehlt und auch das Sozialversicherungssystem wenig entwickelt ist. Viele Chines:innen kennen zur finanziellen Absicherung nichts anderes als Betongold. Dazu kommt die Verflechtung des Finanzsektors mit dem Bau.

Weil bei fallenden Preisen wiederum viele um ihr Vermögen fürchten und soziale Unruhen drohen, scheint es vordergründig für die Parteikader der naheliegendste Schritt zu sein, erneut Milliarden in die Hand zu nehmen, den Immobiliensektor entsprechend zu päppeln. 

Führung klammert am Immobiliensektor

Hinzu kommt ein noch sehr viel gravierenderes Problem, das den Immobilienmarkt auch langfristig belasten wird: Chinas Demografie-Krise. Chinas Bevölkerung ist im vergangenen Jahr erstmals geschrumpft – und zwar fast zehn Jahre früher als die Bevölkerung prognostiziert hatte. Die Fertilitätsrate liegt nach Angaben des US-chinesischen Demografie-Experten Yi Fuxian bei unter 1,0. Pro Frau sind 2,1 Kinder erforderlich, um die Einwohnerzahl eines Landes auf gleichem Niveau zu halten. “In China wird jede Generation nur noch halb so groß sein wie die vorige”, sagt Yi. 

Dass es zu dieser Schrumpfung kommen würde – damit hatten Experten und Regierung wegen der strengen Ein-Kind-Politik zwar gerechnet. Doch nicht, dass der Kipppunkt jetzt schon eintritt. Yi führt das geringere Wirtschaftswachstum daher keineswegs nur auf die strengen Covid-Maßnahmen der letzten Jahre zurück. “Die Wirtschaft wächst langsamer, weil die Bevölkerung schrumpft.” Und der Immobiliensektor werde von dieser Entwicklung am schlimmsten betroffen sein. 

Belastung auch für Weltwirtschaft

Wenn bei den Beton-Investitionen einmal endgültig das Ende der Fahnenstange erreicht ist, werden das auch die deutsche und die Weltwirtschaft zu spüren bekommen. Der Anteil Chinas am globalen Bruttoinlandsprodukt liegt bei knapp 19 Prozent. China ist nicht nur die größte Exportnation, sondern mit Importen von rund 2,7 Billionen US-Dollar (im Jahr 2021) nach den USA der größte Importeur. Insbesondere für den deutschen Maschinenbau war Chinas Baubranche ein bedeutender Abnehmer. 

Die Milliarden, mit denen die chinesische Führung den Bausektor künstlich nach oben puscht, wären im ökologischen Umbau besser angelegt. Doch für so einen Politikwechsel brauchen die Kader mehr Mut. Bisher profitierten besonders die Genossen auf Provinz- und Lokalebene selbst am meisten vom Bausektor über den Verkauf von Land. Auch das ein Bereich, der dringend Strukturreformen benötigte – vor denen sich die Führung aber ziert. 

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  • Wirtschaft
  • Wirtschaftswachstum

Lukaschenko sucht Schulterschluss mit Xi 

Freundschaft in Zeiten von Sanktionen: Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko zu Besuch bei Xi Jinping in Peking.

Nur wenige Tage nachdem China seinen 12-Punkte-Plan zur Beilegung des Krieges in der Ukraine vorgelegt hat, ist der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko nach Peking gereist. Ausgerechnet Lukaschenko, raunte es sofort in westlichen Diplomatenkreisen. Schließlich ist er einer der wichtigsten Verbündeten des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

In der Tat erscheint die Optik des Besuchs problematisch. China will als Vermittler wahrgenommen werden. Doch kaum hat der oberste chinesische Außenpolitiker Wang Yi gerade seinen Besuch in Russland beendet, scheint die Lukaschenko-Visite ein weiteres prorussisches Signal zu senden. Für einen baldigen Besuch Chinas in der Ukraine gibt es hingegen weiterhin keine Anzeichen. Neutralität sieht anders aus. 

Lukaschenko kein Gesandter Moskaus

Tatsächlich nahm man in Peking am Mittwoch mit Genugtuung zur Kenntnis, dass Lukaschenko die Initiative der Chinesen lobte. Dabei hatte sein Land den Russen als Aufmarschgebiet für ihre Invasion gedient. Der chinesische Vorschlag zur Lösung der Krise sei “von großer Bedeutung” und werde von ihm “voll und ganz” unterstützt, sagte der Gast nach chinesischen Angaben bei einem Treffen mit Xi Jinping am Abend.

Lukaschenko machte deutlich, dass er keineswegs als Gesandter Moskaus angereist war. Denn dort sieht man den chinesischen 12-Punkte-Plan weniger euphorisch, als die Enttäuschung im Westen vermuten lässt. Vor allem der erste Punkt der chinesischen Initiative, die Einhaltung der territorialen Integrität, kann Putin nicht gefallen. 

Belarus sucht Nähe zu Peking

Dass Lukaschenko sich so klar hinter die chinesische Initiative gestellt hat, dürfte seiner eigenen Agenda dienen. Sehr positive Töne zogen sich bei ihm durch den gesamten Besuch. “Ich glaube fest daran, dass China unter der starken Führung von Präsident Xi Jinping weiterhin neue und glänzende Erfolge erzielen wird”, schmeichelte Lukaschenko seinem Amtskollegen. So spricht einer, der Freunde braucht und sich aus der Isolation befreien will. 

Der Hintergrund: Die europäischen Regierungschefs erkennen Lukaschenko seit den Massenprotesten 2020 nicht mehr als legitimen Staatschef an und betrachten die damalige Präsidentschaftswahl als manipuliert. Zudem haben die EU und die USA weitreichende Sanktionen gegen Belarus verhängt. Das spielt Russland in die Hände. Wer im Westen keine Ansprechpartner mehr hat, kann zu Putin schlecht Nein sagen.

Der gute Draht nach Minsk

Belarus und China unterhalten seit Jahrzehnten enge diplomatische Beziehungen. Vor der Pandemie besuchte Lukaschenko die Volksrepublik fast jedes Jahr. Eine Reise war also längst überfällig. 

Der Handel zwischen beiden Ländern stieg im vergangenen Jahr um 33 Prozent auf fünf Milliarden US-Dollar. Und genau hier setzte Lukaschenko an. Er hoffte auf einen weiteren Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Peking zeigte sich am Mittwoch aufgeschlossen. Erst im September hatten beide Staatschefs bei einem Treffen im usbekischen Samarkand eine “umfassende strategische Allwetterpartnerschaft” verkündet. Diese Vereinbarung soll laut Xi nun mit Leben gefüllt werden. Die Freundschaft beider Staaten sei “unzerbrechlich”, sagte Xi. Eine ganze Reihe von Abkommen wurde unterzeichnet, sodass sich der Besuch für Lukaschenko durchaus gelohnt hat. 

Und was war für China drin? Ein guter Draht nach Minsk könnte Peking helfen, Einfluss auf Russland zu nehmen. Soll Chinas Friedensengagement im Westen an Glaubwürdigkeit gewinnen, muss es aber auch endlich mit der Ukraine ins Gespräch kommen. 

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News

Deutschland ist bei Solar weiter auf China angewiesen

Deutschland ist bei Solaranlagen weiterhin in hohem Maße auf China angewiesen. Rund 87 Prozent der importierten Fotovoltaikanlagen kamen im vergangenen Jahr aus der Volksrepublik, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte.

Der Wert dieser Anlagen betrug gut 3,1 Milliarden Euro. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr Fotovoltaikanlagen im Wert von rund 3,6 Milliarden Euro nach Deutschland geliefert. Auf China als wichtigsten Lieferanten von Solarzellen und Solarmodulen folgten mit großem Abstand die Niederlande (143 Millionen Euro oder 4 Prozent) und Taiwan (94 Millionen Euro oder 3 Prozent).

Der Wert der Importe von Fotovoltaikanlagen war damit mehr als doppelt so hoch wie der von Exporten dieser Waren aus Deutschland. Exportiert wurden im vergangenen Jahr Anlagen im Wert von gut 1,4 Milliarden Euro. Diese gingen zu einem großen Teil in europäische Staaten.

Europa kann bei der Produktion von Solarprodukten mittelfristig unabhängiger von China werden. Eine solche Kehrtwende brauche aber viel politischen Willen, Milliarden Euro an Anschubfinanzierung und einige Jahre Zeit, sind sich Experten und Wirtschaftsvertreter einig. rtr/ari

  • Erneuerbare Energien
  • Lieferketten
  • Solar

Korrespondenten beklagen Arbeitsbedingungen

Behördenschikane, Überwachung, Einschüchterung der Gesprächspartner – gut waren die Arbeitsbedingungen für ausländische Journalisten schon vorher nicht. Doch so miserabel wie im vergangenen Jahr war es nach Angaben des Clubs der Auslandskorrespondenten (FCCC) noch nie. Seit Beginn der Corona-Pandemie vor drei Jahren habe “die Pressefreiheit im ganzen Land mit zunehmender Geschwindigkeit abgenommen”, beklagt der Journalistenverband und stützt sich auf seine jährliche Befragung unter seinen Mitgliedern. Die Arbeitsbedingungen “entsprechen nicht internationalen Standards”.

Wie aus dem Bericht weiter hervorgeht, beklagte mehr als ein Drittel der befragten Medienschaffenden, dass mindestens eine ihrer Quellen belästigt, festgenommen oder zum Verhör gebeten wurden oder auf andere Weise unter Druck gerieten, weil sie mit ausländischen Journalisten gesprochen hatten. Im Vorjahr war es ein Viertel. 78 Prozent berichteten, dass potenzielle Interviewpartner gar nicht mit ihnen sprechen durften. Beteiligt an der Umfrage haben sich 102 Journalistinnen und Journalisten.

Der Korrespondentenclub sprach vom “schwierigsten Jahr” als Journalist in China. Die Kontrollen der Null-Covid-Politik, seien eingesetzt worden, um die Berichterstattung der Korrespondenten noch stärker einzuschränken. Knapp die Hälfte der Befragten durften zum Teil über Monate hinweg nicht ihren Ort verlassen, obwohl sie selbst nach Chinas strikten Regeln kein Gesundheitsrisiko dargestellt hätten.

Die Covid-Kontrollen sind inzwischen aufgehoben. “Aber eine Reihe staatlicher Restriktionen, anhaltende digitale Überwachung und fortgesetzte Belästigung chinesischer Kollegen und Quellen zeugten davon, dass die Herausforderungen für echte Pressefreiheit bestehen bleiben”, beklagt der Auslandspresseclub. flee

  • Gesellschaft
  • Menschenrechte

Quarantäne vor Nationalem Volkskongress

Während des Nationalen Volkskongresses, der am Samstag beginnt, sollen wieder ähnlich strenge Regeln gelten wie während der Null-Covid-Politik. Diplomaten und Journalisten, die an der Eröffnung in der Großen Halle des Volkes am Platz des Himmlischen Friedens teilnehmen wollen, müssen am Tag zuvor im Hotel in Quarantäne verbringen, berichtet die Deutsche Presse-Agentur.

Dabei hatte die chinesische Führung vor zwei Wochen noch den “großen und entscheidenden” Sieg über das Coronavirus verkündet. Die Botschafter der meisten europäischen Länder, darunter auch die deutsche Botschafterin, würden daher von einer Teilnahme absehen, hieß es dem Bericht zufolge. flee

  • Coronavirus
  • Nationaler Volkskongress

Taiwan: China provoziert erneut mit Kampfjets

Drei Kriegsschiffe, 25 Kampfflugzeuge, 19 von ihnen über der Luftverteidigungszone von Taiwan – so viele Maschinen hat die Volksrepublik nach Angaben Verteidigungsministeriums in Taipeh in Richtung Taiwan geschickt. Die Führung in Peking bestätigte diese Angaben nicht. Taiwan habe als Reaktion darauf die Raketenverteidigung aktiviert und Schiffe entsandt, hieß es aus dem dortigen Verteidigungsministerium. Man beobachte die Lage genau. flee

  • Geopolitik
  • Taiwan
  • Volksbefreiungsarmee

Presseschau

Neue Spannungen zwischen den USA und China wegen Labor-These zur Corona-Pandemie STERN
Nach Corona-Protesten: Wie Chinas Justiz ein Exempel statuiert FAZ
Vogelgrippevirus bei Toter in China entdeckt ZEIT
Hilfe im Ukraine-Krieg: China gibt angeblich Milliarden für Putin-Propaganda aus MERKUR
China und Belarus üben Schulterschluss bei Staatsbesuch von Lukaschenko STERN
Pakt gegen China – Wie Südkorea den ehemaligen Erzfeind Japan umgarnt HANDELSBLATT
China und der Westen: Der Wettlauf um die Gunst des globalen Südens DEUTSCHLANDFUNK
Taiwan: gut zwei Dutzend chinesische Kampfjets im Anflug RND
Most Canadians believe China did try to interfere in elections: poll GLOBALNEWS
Ausländische Reporter beklagen Arbeitsbedingungen in China KSTA
LNG-Markt: China kauft an Gas, was es kriegen kann FAZ
China dominiert Import von Photovoltaikanlagen HEISE
Abhängigkeit der EU von chinesischen Rohstoffen: Vorbereitung auf das Worst-Case-Szenario EURACTIV
Puma peilt die USA und China an SUEDDEUTSCHE
Spannungen mit Peking: Apple-Lieferanten wollen China offenbar früher verlassen MANAGER-MAGAZIN
China von Platz zwei verdrängt: Immer mehr Geschäftsreisen gehen nach Indien HANDELSBLATT
Kein Import aus China: australische Batterie-Firma will sich unabhängig machen EFAHRER
China is buying up more U.S. farmland. Some lawmakers consider that a security threat NPR
TikTok führt neue Sicherheitsfunktionen für Teenager ein BR
EU-Parlament verbietet TikTok auf Dienstgeräten ZEIT
US-Kongress: China-Sonderausschuss nimmt Arbeit auf RND
Stimmung in chinesischer Industrie hellt sich deutlich auf SPIEGEL
Belgium’s cyber security agency links China to spear phishing attack on MP FT
UBS droht 500-Millionen-Dollar-Klage von chinesischem Geschäftsmann HANDELSBLATT

Standpunkt

Schlafwandelnd in den Zufallskonflikt

Von Stephen S. Roach
Stephen S. Roach, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Senior Fellow am Jackson Institute for Global Affairs der Yale University sowie Dozent an der Yale School of Management
Stephen Roach ist Ökonom an der US-Universität Yale und ehemaliger Chairman der Investmentbank Morgan Stanley Asia.

Zu viele Beobachter haben eine der zentralen Lehren des Ersten Weltkriegs aus den Augen verloren. Auslöser dieses Kriegs war die Ermordung des österreichischen Erzherzogs Franz Ferdinand im Juni 1914, die sich vor dem Hintergrund eines seit langem schwelenden Konflikts zwischen den europäischen Großmächten ereignete. Dieses Wechselspiel zwischen Konflikteskalation und politischem Zündfunken hat heute besondere Relevanz. 

Angesichts des Kriegs in der Ukraine und der Mentalität des Kalten Krieges, von der die Vereinigten Staaten und China erfasst wurden, sind die historischen Parallelen nicht zu übersehen. Auf der Welt brodeln Konflikte und Ressentiments. Es fehlt nur noch ein Anlass. In Anbetracht der Spannungen in Taiwan, im Südchinesischen Meer und in der Ukraine herrscht kein Mangel an möglichen Zündfunken. 

Taiwan steht an oberster Stelle dieser Liste. Selbst wenn Sie – so wie ich – die Ansicht der USA nicht teilen, dass Präsident Xi Jinping den Zeitplan für die Wiedervereinigung bewusst verkürzt hat, könnten die jüngsten Maßnahmen der US-Regierung ihn am Ende genau dazu zwingen. Die frühere Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, reiste im vergangenen August nach Taipeh, und ihr Nachfolger Kevin McCarthy scheint die gleichen Absichten zu haben. Der neu eingerichtete Sonderausschuss des Repräsentantenhauses für China wird wohl in Kürze seine eigene Mission entsenden, insbesondere nach dem jüngsten unangekündigten Besuch seines Vorsitzenden Mike Gallagher.

Taiwan – das geopolitische Pulverfass

Unterdessen lässt ein gerade absolvierter Besuch eines hochrangigen Pentagon-Vertreters – im Gefolge der Verabschiedung des 10 Milliarden Dollar schweren Gesetzes zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit Taiwans im Dezember – wenig Zweifel an der militärischen Unterstützung der USA für Chinas sogenannte abtrünnige Provinz. Während sich die USA bei der Verteidigung des im Shanghai Kommuniqué von 1972 verankerten Ein-China-Prinzips winden, kann es keinen Zweifel mehr an der politischen Unterstützung der USA für die Erhaltung des unabhängigen Status Taiwans geben. Für China ist das eine rote Linie – für alle anderen ein geopolitisches Pulverfass.

Ebenso große Sorgen bereiten mir mögliche Zündfunken in der Ukraine. Ein Jahr nach Beginn dieses entsetzlichen und einst unvorstellbaren Konflikts hat die Frühjahrsoffensive des russischen Präsidenten Wladimir Putin eine neue, bedrohliche Wendung genommen. Die USA warnen vor einer eskalierenden Ausweitung der chinesischen Hilfe für Russland, von nicht-letaler Unterstützung (wie dem Kauf russischer Energieprodukte) zu letaler Unterstützung (Waffen, Munition oder logistische Kapazitäten für Waffenlieferungen). 

Die vagen Androhungen ernster Konsequenzen durch die Biden-Administration in Richtung China im Falle einer letalen Unterstützung des russischen Kriegs erinnern an ähnliche Warnungen der USA im Vorfeld der Verhängung beispielloser Sanktionen gegen Russland. In den Augen der US-Politik würde sich China damit der Komplizenschaft schuldig machen und einen sehr hohen Preis dafür bezahlen müssen. Ebenso wie Taiwan für China eine rote Linie darstellt, glaubt Washington, das gelte auch für die militärische Unterstützung des russischen Kriegs durch China.

Der Kontext ist entscheidend

Außerdem gibt es viele weitere potenzielle Zündfunken, nicht zuletzt aufgrund der anhalten Spannungen im Südchinesischen Meer. Ein typisches Beispiel dafür ist die jüngste Ausweitung des amerikanischen Zugangs zu philippinischen Militärbasen, die sich auf halbem Weg zwischen Taiwan und Chinas militarisierten Inseln im Scarborough-Riff und im Spratly-Archipel befinden.

Da die USA weiterhin auf die Freiheit der Schifffahrt in den internationalen Gewässern des Südchinesischen Meeres pochen, indem sie dort mit Kriegsschiffen präsent sind, ist die Möglichkeit eines Zwischenfalls oder einer unbeabsichtigten Konfrontation kaum auszuschließen. Ein Beinahe-Zusammenstoß zwischen einem US-Aufklärungsflug und einem chinesischen Kampfflugzeug sind ein Hinweis auf derartige Risiken, die sich umso gravierender präsentieren, wenn man an einen Zusammenbruch der militärischen Kommunikation zwischen den zwei Supermächten denkt – wie er während des großen Ballon-Fiaskos Anfang dieses Monats deutlich wurde.

Für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit eines Zündfunken ist der Kontext entscheidend. Unter dem politischen Deckmantel dessen, was als Kampf zwischen Autokratie und Demokratie präsentiert wird, waren die USA in den vergangenen sechs Monaten ganz klar der Aggressor, als es darum ging, im Hinblick auf Taiwan den Druck zu erhöhen. In ähnlicher Weise brachte der Vorfall rund um den chinesischen Überwachungsballon der amerikanischen Öffentlichkeit die Bedrohung durch einen Kalten Krieg um einiges näher.

Kriegsrhetorik bei der Münchner Sicherheitskonferenz

Und hochrangige Diplomaten beider Seiten – US-Außenminister Antony Blinken und sein chinesischer Amtskollege Wang Yi – schlüpfen in die Rolle klassischer kalter Krieger. Ihre Kriegsrhetorik auf der jüngsten Münchner Sicherheitskonferenz war ein Spiegelbild ihres ersten Zusammentreffens vor fast zwei Jahren in Anchorage.

Wie vor dem Ersten Weltkrieg ist die Versuchung groß, das Risiko eines größeren Konflikts herunterzuspielen. Schließlich steht in der globalisierten, vernetzten Welt von heute zu viel auf dem Spiel, als dass man eine welterschütternde Entwicklung riskieren würde. Dieses Argument klingt auf schmerzhafte Weise vertraut. Es ist nämlich das gleiche, das in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts vorgebracht wurde, als sich die erste Welle der Globalisierung auf ihrem Höhepunkt befand. Bis zum 28. Juni 2014 erschien es vielen auch sehr überzeugend. 

Der historische Vergleich mit dem Jahr 2023 muss um eine übergeordnete Strategie des Konflikts im Kalten Krieg ergänzt werden. Ein entscheidender Wendepunkt im Kalten Krieg mit der Sowjetunion trat 1972 ein, als US-Präsident Richard Nixon nach China reiste und letztlich gemeinsam mit Mao Tse-tung erfolgreich eine Strategie der Triangulation gegen die UdSSR verfolgte. Heute sind die USA Zielscheibe einer neuen Triangulation im Stile des Kalten Krieges, nachdem sich China mit Russland im Rahmen einer “grenzenlosen” Partnerschaft zusammengeschlossen hat, die sich direkt gegen die Hegemonialmacht der USA wendet. Diese entscheidende Verlagerung lässt die Lehren aus dem Jahr 1914 immer deutlicher hervortreten.

China betrachtet Unterstützung für Taiwan als Bedrohung

Da ich gerade ein Buch über Zufallskonflikte als Folge widerstreitender falscher Narrative zwischen den USA und China herausgebracht habe, macht mir insbesondere die “Segmentierung der Narrative” Sorgen.  Jede Seite ist von ihrer moralischen Überlegenheit überzeugt, während man im Konflikt von einem Zwischenfall zum nächsten taumelt. In den Augen der USA war Chinas Überwachungsballon eine Bedrohung der nationalen Souveränität. China betrachtet die Unterstützung Taiwans durch die USA als ähnliche Bedrohung. Jede Spannungssituation löst dann eine Kaskade von Vergeltungsmaßnahmen aus, ohne dass man sich der Nebenwirkungen für eine zutiefst konfliktbeladene Beziehung bewusst ist.

Drei Großmächte – Amerika, China und Russland – scheinen von einer ausgeprägten historischen Amnesie befallen zu sein. Kollektiv schlafwandeln sie auf dem Weg in Richtung Konflikteskalation und führen dabei Zündstoff mit sich, der nur allzu leicht entflammbar ist. Genau wie 1914.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Stephen S. Roach ist ehemaliger Vorsitzender von Morgan Stanley Asia, Mitglied des Kollegiums an der Universität Yale und Verfasser des jüngst von ihm erschienenen Buchs Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives (Yale University Press, 2022).

Copyright: Project Syndicate, 2023.
www.project-syndicate.org

  • Geopolitik

Personalien

Qian Bo ist zum ersten chinesischen Sondergesandten für Angelegenheiten der Pazifikinseln ernannt worden. Qian ist bereits seit 2018 Botschafter für den Inselstaat Fidschi.

Laura Baumann ist nach mehreren Jahren für Volkswagen in Peking nach Deutschland zurückgekehrt. Seit Beginn des Jahres ist Baumann Assistent Recruiting & Talent Marketing in Wolfsburg.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Dessert

Geschlossen – hoffentlich für immer. Mit einem übergroßen Pappschloss feiern die Behörden in Hongkong die Schließung des Corona-Isolationszentrums in Penny Bay. “Mission beendet”, heißt es auf dem Schild am Eingangstor.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
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    Plötzlich erscheinen in Peking hohe Schulden aber gar nicht mehr so schlimm – und wenn dann auch noch heiß gewolltes Wachstum dabei rausspringen könnte, werden alte Vorsätze schnell über Bord geworfen.

    Auf dem Volkskongress ab Sonntag wird Li Keqiang einen weiteren Stimulus ankündigen, prophezeit Felix Lee in seiner Analyse zu Konjunktur und Investitionen. Anders gesagt: Die KP fällt in alte Gewohnheiten zurück und gibt Disziplin für Wachstum auf. Zumindest kurzfristig wird das die Konjunktur-Optik aufhübschen.

    Um Optik ging es auch beim Besuch des belarussischen Präsidenten in China. Je nach Blickwinkel produziert die Visite allerdings für den Betrachtenden ganz unterschiedliche Bilder: Die EU blickt skeptisch auf den Schulterschluss von Xi mit dem Putin-Getreuen Lukaschenko. Das Treffen der Diktatoren wirkt auf sie geradezu bedrohlich.

    Peking selbst strahlt indes über das Lob für den vergangenen Woche vorgestellten 12-Punkte-Plan zur Beilegung des Krieges in der Ukraine, wie Jörn Petring berichtet. Und Lukaschenko selbst – will mit dem Besuch vor allem den Handel mit China hochtreiben.

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    Marktführer neigte zu Übertreibungen: “Metropolis Evergrande” heißt diese Siedlung in Jiangsu.


    Noch vor einem Jahr hatte die chinesische Führung Bauunternehmer und Investoren gewarnt: “Keine Exzesse mehr.” Staats- und Parteichef Xi Jinping höchstpersönlich maßregelte sie: “Häuser sind zum Wohnen da, nicht zum Spekulieren.” Doch von der vermeintlichen Wende hin zu Mäßigung am Immobilienmarkt ist schon jetzt nichts mehr zu spüren. Die Regierung fällt in alte Muster zurück. Sie facht das Strohfeuer am Hausmarkt wieder an.

    Am Sonntag startet mit dem Nationalen Volkskongress nun die wirtschaftspolitische Schlüsselveranstaltung des Jahres. Der scheidende Premierminister Li Keqiang wird ein Wachstumsziel für 2023 und die Prioritäten für die Wirtschaftssteuerung bekannt geben. Von den Warnungen an die Baubranche wird dann außer bekannten Phrasen nicht mehr allzu viel übrig sein. Schon jetzt zeichnet sich ab: Um Wachstum zu schaffen, wird die kommunistische Führung in alte Gewohnheiten zurückfallen – und vor allem wieder auf die Förderung des Immobiliensektors setzen.

    Dauerkrise am Immobilienmarkt

    Dabei waren Xis Warnungen berechtigt. Seit Jahren schlittert China von einer Immobilienkrise zur nächsten. Mal explodierten die Wohnungspreise, weil Investoren sie in die Höhe trieben. Dann kam es zu spektakulären Pleiten von Bauunternehmen. Insbesondere die Zahlungsunfähigkeit des Marktführers Evergrande im vergangenen Jahr sorgte für ein wahres Beben. Mit umgerechnet 300 Milliarden Euro war der Immobilienriese mit dem Bau und der Spekulation von ganzen Satellitenstädten in die Miesen geraten und hatte sich damit so hoch verschuldet wie kein anderes Unternehmen auf der Welt. 

    Mit den sogenannten “drei roten Linien”, die die Regierung erließ, wollte die Regierung diesem Gebaren ein Ende setzen. Bauträger sollten strengere finanzielle Auflagen erfüllen. Und auch die Banken durften nicht mehr so großzügig Kredite vergeben, wie es lange Zeit möglich war. Doch die Immobilienverkäufe brachen daraufhin massiv ein und mit ihnen die Konjunktur.

    Die roten Linien sind vergessen

    Nun macht die Regierung einen Rückzieher und hat genau die Bestimmungen aufgeweicht, die eigentlich für mehr Disziplin im Bausektor sorgen sollten. Mehr noch: Seit Ende des vergangenen Jahres pumpt sie über die Staatsbanken wieder Milliarden in den Sektor. “Niemand schert sich mehr um die drei roten Linien”, sagt Alicia Garcia Herrero, Chefökonomin für Asien-Pazifik bei der französischen Investmentbank Natixis in Hongkong.

    Hausverkäufe seien 2022 zum schlechtesten Zeitpunkt um fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitpunkt zurückgegangen. Jetzt liege das Minus bei 5 Prozent. Die Ökonomin rechnet daher damit, dass sich der Bausektor 2023 erholen werde – und damit zunächst einmal die chinesische Wirtschaft insgesamt.

    Einkaufsmanger-Index steigt kräftig

    Der Vorgang wirkt wie ein Rückfall in den Konsum einer stimulierenden Droge, nachdem die Entzugserscheinungen einsetzen. Zusammen mit dem Ende der Covid-Einschränkungen verfehlt das nicht den erwünschten Effekt. Der Einkaufsmanagerindex für die Industrie, ein wichtiges Konjunkturbarometer, stieg im Februar um 2,5 auf 52,6 Punkte.

    Der Index erreichte damit den höchsten Wert seit fast 13 Jahren, wie das Statistikamt am Mittwoch zu einer monatlichen Unternehmensumfrage mitteilte. “Die Daten deuten auf einen starken Start der chinesischen Wirtschaft ins Jahr 2023 hin”, sagte Commerzbank-Ökonom Tommy Wu. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet mit einem Wirtschaftswachstum von 5,2 Prozent in diesem Jahr

    Ökonomen sehen erhebliche Risiken

    Doch die guten Zahlen beruhen auch auf einem statistischen Effekt. Sie gehen von einer niedrigen Basis aus. Chinas Wirtschaft hatte im letzten Pandemiejahr nicht zuletzt unter den völlig überzogenen Zero-Covid-Regeln gelitten. Sie wuchs nur noch um magere drei Prozent, nach 2020 – im ersten Pandemiejahr – das geringste Wachstum seit Beginn der Wirtschaftsreformen vor 40 Jahren verzeichnet wurde. 

    Der IWF sieht trotz dieser stärkeren Wachstumsprognose für das laufende Jahr denn auch weiter erhebliche Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung. Es sei weiterhin wichtig, das Vertrauen in den Immobilienmarkt wiederherzustellen. Strukturreformen sollten mittelfristig den Immobilienmarkt gesundschrumpfen.  

    Strukturreformen bleiben aus

    Doch die ernst gemeinten Reformen lassen nun noch auf sich warten. Vielmehr setzt die Führung auf ein Rezept, das in den 1990er- und Nullerjahren noch enormes Wachstum schaffte und ganz wesentlich zu dem gleichmäßigen Wachstum beigetragen hat: bauen, bauen, bauen.

    Doch inzwischen gibt es im Land so viele Autobahnen, Brücken und Hochhäuser, dass ein Festhalten an diesem Rezept zum Scheitern verurteilt ist. Denn noch mehr Beton in der Landschaft bringt in einer hochmodernen Volkswirtschaft bei weitem nicht mehr so viel wie in der Aufbauphase. 

    Der Nutzen der Investitionen nimmt rapide ab. Die erste und zweite große Brücke etwa in der Fünfmillionen-Metropole Nanjing sorgte auf beiden Seiten des mächtigen Jangtse-Flusses noch für jede Menge Entwicklung und Wirtschaftswachstum. Die vierte Brücke hingegen schon sehr viel weniger. Und das lässt sich auf ganz China übertragen. Je mehr Straßen, Brücken, Wolkenkratzer und Kohlekraftwerke es im Land gibt, desto weniger Wachstum erzeugt die Regierung mit jedem eingesetzten Yuan. Nachhaltig ist diese Strategie ohnehin schon längst nicht mehr.

    Kreditvolumen schwillt weiter an

    Das Problem: Die Bautätigkeit erfolgt in der Regel auf Pump. Früher galt die Hoffnung einer Zukunft, in der die Wirtschaft weiter gewachsen und die Preise gestiegen sind, sodass sich die Kredite leicht zurückzahlen lassen. Ein “Gesundschrumpfen” der Baubranche, wie es der IWF empfiehlt, ist nicht ohne allgemeine Verwerfungen möglich.

    Erhebliche Teile von Chinas Wirtschaft hängt am Immobiliensektor. Inklusive nachgelagerter Industrien wie die Produktion von Stahl und Zement macht sie bis zu ein Drittel der Wirtschaftskraft aus. Hinzu kommt, dass es in China an einem vertrauenswürdigen Aktienmarkt fehlt und auch das Sozialversicherungssystem wenig entwickelt ist. Viele Chines:innen kennen zur finanziellen Absicherung nichts anderes als Betongold. Dazu kommt die Verflechtung des Finanzsektors mit dem Bau.

    Weil bei fallenden Preisen wiederum viele um ihr Vermögen fürchten und soziale Unruhen drohen, scheint es vordergründig für die Parteikader der naheliegendste Schritt zu sein, erneut Milliarden in die Hand zu nehmen, den Immobiliensektor entsprechend zu päppeln. 

    Führung klammert am Immobiliensektor

    Hinzu kommt ein noch sehr viel gravierenderes Problem, das den Immobilienmarkt auch langfristig belasten wird: Chinas Demografie-Krise. Chinas Bevölkerung ist im vergangenen Jahr erstmals geschrumpft – und zwar fast zehn Jahre früher als die Bevölkerung prognostiziert hatte. Die Fertilitätsrate liegt nach Angaben des US-chinesischen Demografie-Experten Yi Fuxian bei unter 1,0. Pro Frau sind 2,1 Kinder erforderlich, um die Einwohnerzahl eines Landes auf gleichem Niveau zu halten. “In China wird jede Generation nur noch halb so groß sein wie die vorige”, sagt Yi. 

    Dass es zu dieser Schrumpfung kommen würde – damit hatten Experten und Regierung wegen der strengen Ein-Kind-Politik zwar gerechnet. Doch nicht, dass der Kipppunkt jetzt schon eintritt. Yi führt das geringere Wirtschaftswachstum daher keineswegs nur auf die strengen Covid-Maßnahmen der letzten Jahre zurück. “Die Wirtschaft wächst langsamer, weil die Bevölkerung schrumpft.” Und der Immobiliensektor werde von dieser Entwicklung am schlimmsten betroffen sein. 

    Belastung auch für Weltwirtschaft

    Wenn bei den Beton-Investitionen einmal endgültig das Ende der Fahnenstange erreicht ist, werden das auch die deutsche und die Weltwirtschaft zu spüren bekommen. Der Anteil Chinas am globalen Bruttoinlandsprodukt liegt bei knapp 19 Prozent. China ist nicht nur die größte Exportnation, sondern mit Importen von rund 2,7 Billionen US-Dollar (im Jahr 2021) nach den USA der größte Importeur. Insbesondere für den deutschen Maschinenbau war Chinas Baubranche ein bedeutender Abnehmer. 

    Die Milliarden, mit denen die chinesische Führung den Bausektor künstlich nach oben puscht, wären im ökologischen Umbau besser angelegt. Doch für so einen Politikwechsel brauchen die Kader mehr Mut. Bisher profitierten besonders die Genossen auf Provinz- und Lokalebene selbst am meisten vom Bausektor über den Verkauf von Land. Auch das ein Bereich, der dringend Strukturreformen benötigte – vor denen sich die Führung aber ziert. 

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    Lukaschenko sucht Schulterschluss mit Xi 

    Freundschaft in Zeiten von Sanktionen: Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko zu Besuch bei Xi Jinping in Peking.

    Nur wenige Tage nachdem China seinen 12-Punkte-Plan zur Beilegung des Krieges in der Ukraine vorgelegt hat, ist der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko nach Peking gereist. Ausgerechnet Lukaschenko, raunte es sofort in westlichen Diplomatenkreisen. Schließlich ist er einer der wichtigsten Verbündeten des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

    In der Tat erscheint die Optik des Besuchs problematisch. China will als Vermittler wahrgenommen werden. Doch kaum hat der oberste chinesische Außenpolitiker Wang Yi gerade seinen Besuch in Russland beendet, scheint die Lukaschenko-Visite ein weiteres prorussisches Signal zu senden. Für einen baldigen Besuch Chinas in der Ukraine gibt es hingegen weiterhin keine Anzeichen. Neutralität sieht anders aus. 

    Lukaschenko kein Gesandter Moskaus

    Tatsächlich nahm man in Peking am Mittwoch mit Genugtuung zur Kenntnis, dass Lukaschenko die Initiative der Chinesen lobte. Dabei hatte sein Land den Russen als Aufmarschgebiet für ihre Invasion gedient. Der chinesische Vorschlag zur Lösung der Krise sei “von großer Bedeutung” und werde von ihm “voll und ganz” unterstützt, sagte der Gast nach chinesischen Angaben bei einem Treffen mit Xi Jinping am Abend.

    Lukaschenko machte deutlich, dass er keineswegs als Gesandter Moskaus angereist war. Denn dort sieht man den chinesischen 12-Punkte-Plan weniger euphorisch, als die Enttäuschung im Westen vermuten lässt. Vor allem der erste Punkt der chinesischen Initiative, die Einhaltung der territorialen Integrität, kann Putin nicht gefallen. 

    Belarus sucht Nähe zu Peking

    Dass Lukaschenko sich so klar hinter die chinesische Initiative gestellt hat, dürfte seiner eigenen Agenda dienen. Sehr positive Töne zogen sich bei ihm durch den gesamten Besuch. “Ich glaube fest daran, dass China unter der starken Führung von Präsident Xi Jinping weiterhin neue und glänzende Erfolge erzielen wird”, schmeichelte Lukaschenko seinem Amtskollegen. So spricht einer, der Freunde braucht und sich aus der Isolation befreien will. 

    Der Hintergrund: Die europäischen Regierungschefs erkennen Lukaschenko seit den Massenprotesten 2020 nicht mehr als legitimen Staatschef an und betrachten die damalige Präsidentschaftswahl als manipuliert. Zudem haben die EU und die USA weitreichende Sanktionen gegen Belarus verhängt. Das spielt Russland in die Hände. Wer im Westen keine Ansprechpartner mehr hat, kann zu Putin schlecht Nein sagen.

    Der gute Draht nach Minsk

    Belarus und China unterhalten seit Jahrzehnten enge diplomatische Beziehungen. Vor der Pandemie besuchte Lukaschenko die Volksrepublik fast jedes Jahr. Eine Reise war also längst überfällig. 

    Der Handel zwischen beiden Ländern stieg im vergangenen Jahr um 33 Prozent auf fünf Milliarden US-Dollar. Und genau hier setzte Lukaschenko an. Er hoffte auf einen weiteren Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Peking zeigte sich am Mittwoch aufgeschlossen. Erst im September hatten beide Staatschefs bei einem Treffen im usbekischen Samarkand eine “umfassende strategische Allwetterpartnerschaft” verkündet. Diese Vereinbarung soll laut Xi nun mit Leben gefüllt werden. Die Freundschaft beider Staaten sei “unzerbrechlich”, sagte Xi. Eine ganze Reihe von Abkommen wurde unterzeichnet, sodass sich der Besuch für Lukaschenko durchaus gelohnt hat. 

    Und was war für China drin? Ein guter Draht nach Minsk könnte Peking helfen, Einfluss auf Russland zu nehmen. Soll Chinas Friedensengagement im Westen an Glaubwürdigkeit gewinnen, muss es aber auch endlich mit der Ukraine ins Gespräch kommen. 

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    News

    Deutschland ist bei Solar weiter auf China angewiesen

    Deutschland ist bei Solaranlagen weiterhin in hohem Maße auf China angewiesen. Rund 87 Prozent der importierten Fotovoltaikanlagen kamen im vergangenen Jahr aus der Volksrepublik, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte.

    Der Wert dieser Anlagen betrug gut 3,1 Milliarden Euro. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr Fotovoltaikanlagen im Wert von rund 3,6 Milliarden Euro nach Deutschland geliefert. Auf China als wichtigsten Lieferanten von Solarzellen und Solarmodulen folgten mit großem Abstand die Niederlande (143 Millionen Euro oder 4 Prozent) und Taiwan (94 Millionen Euro oder 3 Prozent).

    Der Wert der Importe von Fotovoltaikanlagen war damit mehr als doppelt so hoch wie der von Exporten dieser Waren aus Deutschland. Exportiert wurden im vergangenen Jahr Anlagen im Wert von gut 1,4 Milliarden Euro. Diese gingen zu einem großen Teil in europäische Staaten.

    Europa kann bei der Produktion von Solarprodukten mittelfristig unabhängiger von China werden. Eine solche Kehrtwende brauche aber viel politischen Willen, Milliarden Euro an Anschubfinanzierung und einige Jahre Zeit, sind sich Experten und Wirtschaftsvertreter einig. rtr/ari

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    Korrespondenten beklagen Arbeitsbedingungen

    Behördenschikane, Überwachung, Einschüchterung der Gesprächspartner – gut waren die Arbeitsbedingungen für ausländische Journalisten schon vorher nicht. Doch so miserabel wie im vergangenen Jahr war es nach Angaben des Clubs der Auslandskorrespondenten (FCCC) noch nie. Seit Beginn der Corona-Pandemie vor drei Jahren habe “die Pressefreiheit im ganzen Land mit zunehmender Geschwindigkeit abgenommen”, beklagt der Journalistenverband und stützt sich auf seine jährliche Befragung unter seinen Mitgliedern. Die Arbeitsbedingungen “entsprechen nicht internationalen Standards”.

    Wie aus dem Bericht weiter hervorgeht, beklagte mehr als ein Drittel der befragten Medienschaffenden, dass mindestens eine ihrer Quellen belästigt, festgenommen oder zum Verhör gebeten wurden oder auf andere Weise unter Druck gerieten, weil sie mit ausländischen Journalisten gesprochen hatten. Im Vorjahr war es ein Viertel. 78 Prozent berichteten, dass potenzielle Interviewpartner gar nicht mit ihnen sprechen durften. Beteiligt an der Umfrage haben sich 102 Journalistinnen und Journalisten.

    Der Korrespondentenclub sprach vom “schwierigsten Jahr” als Journalist in China. Die Kontrollen der Null-Covid-Politik, seien eingesetzt worden, um die Berichterstattung der Korrespondenten noch stärker einzuschränken. Knapp die Hälfte der Befragten durften zum Teil über Monate hinweg nicht ihren Ort verlassen, obwohl sie selbst nach Chinas strikten Regeln kein Gesundheitsrisiko dargestellt hätten.

    Die Covid-Kontrollen sind inzwischen aufgehoben. “Aber eine Reihe staatlicher Restriktionen, anhaltende digitale Überwachung und fortgesetzte Belästigung chinesischer Kollegen und Quellen zeugten davon, dass die Herausforderungen für echte Pressefreiheit bestehen bleiben”, beklagt der Auslandspresseclub. flee

    • Gesellschaft
    • Menschenrechte

    Quarantäne vor Nationalem Volkskongress

    Während des Nationalen Volkskongresses, der am Samstag beginnt, sollen wieder ähnlich strenge Regeln gelten wie während der Null-Covid-Politik. Diplomaten und Journalisten, die an der Eröffnung in der Großen Halle des Volkes am Platz des Himmlischen Friedens teilnehmen wollen, müssen am Tag zuvor im Hotel in Quarantäne verbringen, berichtet die Deutsche Presse-Agentur.

    Dabei hatte die chinesische Führung vor zwei Wochen noch den “großen und entscheidenden” Sieg über das Coronavirus verkündet. Die Botschafter der meisten europäischen Länder, darunter auch die deutsche Botschafterin, würden daher von einer Teilnahme absehen, hieß es dem Bericht zufolge. flee

    • Coronavirus
    • Nationaler Volkskongress

    Taiwan: China provoziert erneut mit Kampfjets

    Drei Kriegsschiffe, 25 Kampfflugzeuge, 19 von ihnen über der Luftverteidigungszone von Taiwan – so viele Maschinen hat die Volksrepublik nach Angaben Verteidigungsministeriums in Taipeh in Richtung Taiwan geschickt. Die Führung in Peking bestätigte diese Angaben nicht. Taiwan habe als Reaktion darauf die Raketenverteidigung aktiviert und Schiffe entsandt, hieß es aus dem dortigen Verteidigungsministerium. Man beobachte die Lage genau. flee

    • Geopolitik
    • Taiwan
    • Volksbefreiungsarmee

    Presseschau

    Neue Spannungen zwischen den USA und China wegen Labor-These zur Corona-Pandemie STERN
    Nach Corona-Protesten: Wie Chinas Justiz ein Exempel statuiert FAZ
    Vogelgrippevirus bei Toter in China entdeckt ZEIT
    Hilfe im Ukraine-Krieg: China gibt angeblich Milliarden für Putin-Propaganda aus MERKUR
    China und Belarus üben Schulterschluss bei Staatsbesuch von Lukaschenko STERN
    Pakt gegen China – Wie Südkorea den ehemaligen Erzfeind Japan umgarnt HANDELSBLATT
    China und der Westen: Der Wettlauf um die Gunst des globalen Südens DEUTSCHLANDFUNK
    Taiwan: gut zwei Dutzend chinesische Kampfjets im Anflug RND
    Most Canadians believe China did try to interfere in elections: poll GLOBALNEWS
    Ausländische Reporter beklagen Arbeitsbedingungen in China KSTA
    LNG-Markt: China kauft an Gas, was es kriegen kann FAZ
    China dominiert Import von Photovoltaikanlagen HEISE
    Abhängigkeit der EU von chinesischen Rohstoffen: Vorbereitung auf das Worst-Case-Szenario EURACTIV
    Puma peilt die USA und China an SUEDDEUTSCHE
    Spannungen mit Peking: Apple-Lieferanten wollen China offenbar früher verlassen MANAGER-MAGAZIN
    China von Platz zwei verdrängt: Immer mehr Geschäftsreisen gehen nach Indien HANDELSBLATT
    Kein Import aus China: australische Batterie-Firma will sich unabhängig machen EFAHRER
    China is buying up more U.S. farmland. Some lawmakers consider that a security threat NPR
    TikTok führt neue Sicherheitsfunktionen für Teenager ein BR
    EU-Parlament verbietet TikTok auf Dienstgeräten ZEIT
    US-Kongress: China-Sonderausschuss nimmt Arbeit auf RND
    Stimmung in chinesischer Industrie hellt sich deutlich auf SPIEGEL
    Belgium’s cyber security agency links China to spear phishing attack on MP FT
    UBS droht 500-Millionen-Dollar-Klage von chinesischem Geschäftsmann HANDELSBLATT

    Standpunkt

    Schlafwandelnd in den Zufallskonflikt

    Von Stephen S. Roach
    Stephen S. Roach, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Senior Fellow am Jackson Institute for Global Affairs der Yale University sowie Dozent an der Yale School of Management
    Stephen Roach ist Ökonom an der US-Universität Yale und ehemaliger Chairman der Investmentbank Morgan Stanley Asia.

    Zu viele Beobachter haben eine der zentralen Lehren des Ersten Weltkriegs aus den Augen verloren. Auslöser dieses Kriegs war die Ermordung des österreichischen Erzherzogs Franz Ferdinand im Juni 1914, die sich vor dem Hintergrund eines seit langem schwelenden Konflikts zwischen den europäischen Großmächten ereignete. Dieses Wechselspiel zwischen Konflikteskalation und politischem Zündfunken hat heute besondere Relevanz. 

    Angesichts des Kriegs in der Ukraine und der Mentalität des Kalten Krieges, von der die Vereinigten Staaten und China erfasst wurden, sind die historischen Parallelen nicht zu übersehen. Auf der Welt brodeln Konflikte und Ressentiments. Es fehlt nur noch ein Anlass. In Anbetracht der Spannungen in Taiwan, im Südchinesischen Meer und in der Ukraine herrscht kein Mangel an möglichen Zündfunken. 

    Taiwan steht an oberster Stelle dieser Liste. Selbst wenn Sie – so wie ich – die Ansicht der USA nicht teilen, dass Präsident Xi Jinping den Zeitplan für die Wiedervereinigung bewusst verkürzt hat, könnten die jüngsten Maßnahmen der US-Regierung ihn am Ende genau dazu zwingen. Die frühere Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, reiste im vergangenen August nach Taipeh, und ihr Nachfolger Kevin McCarthy scheint die gleichen Absichten zu haben. Der neu eingerichtete Sonderausschuss des Repräsentantenhauses für China wird wohl in Kürze seine eigene Mission entsenden, insbesondere nach dem jüngsten unangekündigten Besuch seines Vorsitzenden Mike Gallagher.

    Taiwan – das geopolitische Pulverfass

    Unterdessen lässt ein gerade absolvierter Besuch eines hochrangigen Pentagon-Vertreters – im Gefolge der Verabschiedung des 10 Milliarden Dollar schweren Gesetzes zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit Taiwans im Dezember – wenig Zweifel an der militärischen Unterstützung der USA für Chinas sogenannte abtrünnige Provinz. Während sich die USA bei der Verteidigung des im Shanghai Kommuniqué von 1972 verankerten Ein-China-Prinzips winden, kann es keinen Zweifel mehr an der politischen Unterstützung der USA für die Erhaltung des unabhängigen Status Taiwans geben. Für China ist das eine rote Linie – für alle anderen ein geopolitisches Pulverfass.

    Ebenso große Sorgen bereiten mir mögliche Zündfunken in der Ukraine. Ein Jahr nach Beginn dieses entsetzlichen und einst unvorstellbaren Konflikts hat die Frühjahrsoffensive des russischen Präsidenten Wladimir Putin eine neue, bedrohliche Wendung genommen. Die USA warnen vor einer eskalierenden Ausweitung der chinesischen Hilfe für Russland, von nicht-letaler Unterstützung (wie dem Kauf russischer Energieprodukte) zu letaler Unterstützung (Waffen, Munition oder logistische Kapazitäten für Waffenlieferungen). 

    Die vagen Androhungen ernster Konsequenzen durch die Biden-Administration in Richtung China im Falle einer letalen Unterstützung des russischen Kriegs erinnern an ähnliche Warnungen der USA im Vorfeld der Verhängung beispielloser Sanktionen gegen Russland. In den Augen der US-Politik würde sich China damit der Komplizenschaft schuldig machen und einen sehr hohen Preis dafür bezahlen müssen. Ebenso wie Taiwan für China eine rote Linie darstellt, glaubt Washington, das gelte auch für die militärische Unterstützung des russischen Kriegs durch China.

    Der Kontext ist entscheidend

    Außerdem gibt es viele weitere potenzielle Zündfunken, nicht zuletzt aufgrund der anhalten Spannungen im Südchinesischen Meer. Ein typisches Beispiel dafür ist die jüngste Ausweitung des amerikanischen Zugangs zu philippinischen Militärbasen, die sich auf halbem Weg zwischen Taiwan und Chinas militarisierten Inseln im Scarborough-Riff und im Spratly-Archipel befinden.

    Da die USA weiterhin auf die Freiheit der Schifffahrt in den internationalen Gewässern des Südchinesischen Meeres pochen, indem sie dort mit Kriegsschiffen präsent sind, ist die Möglichkeit eines Zwischenfalls oder einer unbeabsichtigten Konfrontation kaum auszuschließen. Ein Beinahe-Zusammenstoß zwischen einem US-Aufklärungsflug und einem chinesischen Kampfflugzeug sind ein Hinweis auf derartige Risiken, die sich umso gravierender präsentieren, wenn man an einen Zusammenbruch der militärischen Kommunikation zwischen den zwei Supermächten denkt – wie er während des großen Ballon-Fiaskos Anfang dieses Monats deutlich wurde.

    Für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit eines Zündfunken ist der Kontext entscheidend. Unter dem politischen Deckmantel dessen, was als Kampf zwischen Autokratie und Demokratie präsentiert wird, waren die USA in den vergangenen sechs Monaten ganz klar der Aggressor, als es darum ging, im Hinblick auf Taiwan den Druck zu erhöhen. In ähnlicher Weise brachte der Vorfall rund um den chinesischen Überwachungsballon der amerikanischen Öffentlichkeit die Bedrohung durch einen Kalten Krieg um einiges näher.

    Kriegsrhetorik bei der Münchner Sicherheitskonferenz

    Und hochrangige Diplomaten beider Seiten – US-Außenminister Antony Blinken und sein chinesischer Amtskollege Wang Yi – schlüpfen in die Rolle klassischer kalter Krieger. Ihre Kriegsrhetorik auf der jüngsten Münchner Sicherheitskonferenz war ein Spiegelbild ihres ersten Zusammentreffens vor fast zwei Jahren in Anchorage.

    Wie vor dem Ersten Weltkrieg ist die Versuchung groß, das Risiko eines größeren Konflikts herunterzuspielen. Schließlich steht in der globalisierten, vernetzten Welt von heute zu viel auf dem Spiel, als dass man eine welterschütternde Entwicklung riskieren würde. Dieses Argument klingt auf schmerzhafte Weise vertraut. Es ist nämlich das gleiche, das in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts vorgebracht wurde, als sich die erste Welle der Globalisierung auf ihrem Höhepunkt befand. Bis zum 28. Juni 2014 erschien es vielen auch sehr überzeugend. 

    Der historische Vergleich mit dem Jahr 2023 muss um eine übergeordnete Strategie des Konflikts im Kalten Krieg ergänzt werden. Ein entscheidender Wendepunkt im Kalten Krieg mit der Sowjetunion trat 1972 ein, als US-Präsident Richard Nixon nach China reiste und letztlich gemeinsam mit Mao Tse-tung erfolgreich eine Strategie der Triangulation gegen die UdSSR verfolgte. Heute sind die USA Zielscheibe einer neuen Triangulation im Stile des Kalten Krieges, nachdem sich China mit Russland im Rahmen einer “grenzenlosen” Partnerschaft zusammengeschlossen hat, die sich direkt gegen die Hegemonialmacht der USA wendet. Diese entscheidende Verlagerung lässt die Lehren aus dem Jahr 1914 immer deutlicher hervortreten.

    China betrachtet Unterstützung für Taiwan als Bedrohung

    Da ich gerade ein Buch über Zufallskonflikte als Folge widerstreitender falscher Narrative zwischen den USA und China herausgebracht habe, macht mir insbesondere die “Segmentierung der Narrative” Sorgen.  Jede Seite ist von ihrer moralischen Überlegenheit überzeugt, während man im Konflikt von einem Zwischenfall zum nächsten taumelt. In den Augen der USA war Chinas Überwachungsballon eine Bedrohung der nationalen Souveränität. China betrachtet die Unterstützung Taiwans durch die USA als ähnliche Bedrohung. Jede Spannungssituation löst dann eine Kaskade von Vergeltungsmaßnahmen aus, ohne dass man sich der Nebenwirkungen für eine zutiefst konfliktbeladene Beziehung bewusst ist.

    Drei Großmächte – Amerika, China und Russland – scheinen von einer ausgeprägten historischen Amnesie befallen zu sein. Kollektiv schlafwandeln sie auf dem Weg in Richtung Konflikteskalation und führen dabei Zündstoff mit sich, der nur allzu leicht entflammbar ist. Genau wie 1914.

    Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

    Stephen S. Roach ist ehemaliger Vorsitzender von Morgan Stanley Asia, Mitglied des Kollegiums an der Universität Yale und Verfasser des jüngst von ihm erschienenen Buchs Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives (Yale University Press, 2022).

    Copyright: Project Syndicate, 2023.
    www.project-syndicate.org

    • Geopolitik

    Personalien

    Qian Bo ist zum ersten chinesischen Sondergesandten für Angelegenheiten der Pazifikinseln ernannt worden. Qian ist bereits seit 2018 Botschafter für den Inselstaat Fidschi.

    Laura Baumann ist nach mehreren Jahren für Volkswagen in Peking nach Deutschland zurückgekehrt. Seit Beginn des Jahres ist Baumann Assistent Recruiting & Talent Marketing in Wolfsburg.

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    Dessert

    Geschlossen – hoffentlich für immer. Mit einem übergroßen Pappschloss feiern die Behörden in Hongkong die Schließung des Corona-Isolationszentrums in Penny Bay. “Mission beendet”, heißt es auf dem Schild am Eingangstor.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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