mit der Wahl des neuen Regierungschefs am kommenden Sonntag schließt Hongkong seine Transformation in einen autoritären Polizeistaat auch personell endgültig ab. Mit dem Sicherheitschef John Lee, dessen Einsatzkräfte seit 2019 auf alles einknüppeln, was zur falschen Zeit am falschen Ort ist, steht nur ein einziger Kandidat zur Auswahl.
Den juristischen Rahmen der Transformation liefert seit 2020 schon das Nationale Sicherheitsgesetz, das den Behörden die Möglichkeit verschafft hat, politische Opposition oder kritische Medien zu kriminalisieren. Wie auf Zuruf bestätigt die Organisation Reporter ohne Grenzen die Entwicklung in der Stadt mit ihrem neuen Ranking der Pressefreiheit: Die einstige demokratische Blüte ist komplett verwelkt.
Derweil blicken wir gebannt nach Peking, wo wir eine Gelassenheit wahrnehmen, die man auch als Ruhe vor dem Sturm verstehen kann. Jedenfalls verdichten sich die Anzeichen, dass die Stadt in den kommenden Wochen in einen Corona-Lockdown gehen könnte. Die Parallelen zur Anbahnung in Shanghai sind markant. Aber vielleicht hat die Hauptstadt auch die richtigen Schlüsse aus den Fehlern Shanghais gezogen und kann einen Lockdown tatsächlich verhindern.
Unser Standpunkt beschäftigt sich mit dem Sozialkreditsystem und seinen Konsequenzen für deutsche Unternehmen. Die Autorinnen Doris Fischer und Lena Wassermann halten einen Export des Systems in andere Nationen für denkbar. Die Frage, die sich dabei aufdrängt, ist, ob demokratische Gesellschaften Verwaltungs- und Regierungskonzepte aus Diktaturen überhaupt zulassen sollten. Noch steht diese Frage nicht zur breiten Diskussion. Aber angesichts von chinesischem Eifer, ein autoritäres Modell in die Welt zu tragen, zeichnet sich diese Auseinandersetzung bereits am Horizont ab.
Ted Hui erinnert sich noch gut an John Lee und dessen Lageberichte vor dem Parlament in Hongkong. Die Atmosphäre sei angespannt gewesen, “fast feindlich”. Damals, im zweiten Halbjahr 2019, sprach Lee als Sicherheitschef der Metropole zu den Abgeordneten, zu denen auch Hui gehörte, der heute im Exil in Australien lebt. Millionen Menschen waren damals auf die Straße gegangen, um gegen ein Gesetz zu protestieren, das die Auslieferung von Hongkonger Bürger:innen an chinesische Strafverfolgungsbehörden ermöglichen sollte.
Aber das geplante Gesetz war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Im Kern ging es den Menschen um die Verteidigung ihrer Bürgerrechte. Sie protestierten gegen den wachsenden Einfluss der Kommunistischen Partei Chinas auf die lokale Politik. “Wir Demokraten forderten Lee lautstark dazu auf, Stellung zu beziehen zu den Vorwürfen und den Forderungen der Demonstranten. Aber Lee ist jeder verbalen Auseinandersetzung mit uns aus dem Weg gegangen, hat seinen Text verlesen und ist wieder gegangen”, sagt Hui gegenüber China.Table.
Alles spricht dafür, dass dieser John Lee am kommenden Sonntag zum neuen Hongkonger Regierungschef gewählt wird. Er ist zum einen der einzige Kandidat, der sich auf die Nachfolge der scheidenden Carrie Lam beworben hat und genießt die offizielle Unterstützung Pekings. Zum anderen haben sich bereits mehr als die Hälfte der 1.454 Wahlberechtigten öffentlich für Lee ausgesprochen. Die absolute Mehrheit von 728 Stimmen benötigt er zum Sieg.
Es ist das erste Mal, dass der Wahlausschuss in dieser Größe zusammentritt. Und nie zuvor vertraten seine Mitglieder so eindeutig die Interessen der Pekinger Zentralregierung. Das liegt auch an der neuen Besetzung des Wahlausschusses mit Vertretern Hongkongs beim Nationalen Volkskongress und dessen Konsultativ-Konferenz der Volksrepublik China. Es handelt sich dabei um eine streng Peking-konforme Fraktion. Alle 300 Wahlberechtigte dieses neuen Sektors haben dem Kandidaten Lee ihre Unterstützung zugesagt.
Pekings Interessen sind seit den Massenprotesten 2019 mehr denn je auf das Ersticken jeglichen Widerstandes in der Stadt ausgerichtet. Die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes schuf vor zwei Jahren den juristischen Rahmen, um die demokratische Bewegung in Hongkong zu kriminalisieren und zu lähmen. Eine Wahl Lees würde diese Entwicklung politisch untermauern.
Lee gilt nicht als intellektueller Polit-Visionär, sondern als loyaler Technokrat, der Effizienz schaffen möchte. “Die chinesische Regierung will für Hongkong eine Herrschaft der Sicherheitskräfte und benötigt jemanden, der die Sicherheitskräfte im Griff hat. Das hat er”, sagt Ex-Parlamentarier Hui. “Lee ist eine emotionslose Maschine. Er ist genau das, was Peking benötigt.”
Auch Samuel Chu von der Campaign for Hongkong mit Sitz in den USA sieht in Lee den idealen Vertreter für Pekings Anliegen: “Die Rolle des Chief Executive repräsentiert in keiner Weise mehr die Interessen und das Wohlergehen der Hongkonger Bürger. Es ergibt durchaus Sinn, einen ehemaligen Polizisten an die Spitze eines Polizeistaates zu stellen”, sagte Chu der Voice of America.
Tatsächlich scheint Lee dafür wie geschaffen zu sein. Schon 1977 trat er in den Staatsdienst ein und kletterte vor allem nach 1997 die Karriereleiter nach oben. Im Jahr 2010 wurde er zum stellvertretenden Polizeipräsidenten ernannt und zwei Jahre später zum Staatssekretär des Sicherheitsbüros. 2017 ernannte ihn die scheidende Regierungschefin Carrie Lam zum Sicherheitsminister. Im vergangenen Jahr machte ihn Lam auch zum Generalsekretär ihrer Regierung und damit zur Nummer zwei in der Hongkonger Verwaltungshierarchie.
Maya Wang von Human Rights Watch rechnet deshalb mit der Fortsetzung von Freiheitseinschränkungen der Bürger:innen unter Lees Regierung. Es ist offensichtlich, dass Peking von Lee erwartet, dass er “die Menschen in Hongkong für deren Ungehorsam” bestraft, schrieb sie in einer Stellungnahme an Voice of America. “Lees Amtszeit als zweithöchster politischer Beamter Hongkongs war geprägt von Polizeibrutalität und mangelnder Rechenschaftspflicht für die ausufernde Gewalt der Polizei während der Proteste von 2019.”
Am vergangenen Freitag hatte der 64-Jährige gemäß Artikel 23 des Basic Law, Hongkongs Mini-Verfassung, formell gelobt, “die verfassungsmäßige Verantwortung der Gesetzgebung zu erfüllen”, sollte er gewählt werden. Artikel 23 schreibt vor, dass “jeder Akt des Verrats, der Sezession, des Aufruhrs und der Subversion gegen die zentrale Volksregierung zu verbieten” ist.
In einem 44-seitigen Manifest offenbart Lee die Pläne für seine Amtszeit. Er strebe nach einem “ergebnisorientierten Ansatz”, um “die Wettbewerbsfähigkeit der Stadt zu steigern” und “ihre Stärken zu behaupten”. Kritiker vermissen Konkretes, halten Lee aber zugute, dass er wenig Zeit hatte seit seiner Bewerbung Anfang April, ein umfangreiches politisches Programm zu entwerfen. Als Regierungschef wird Lee auch die Entwicklung der Stadt vorantreiben müssen. Pläne zur Umstrukturierung der Verwaltung und zum Bau der Northern Metropolis mit Millionen neuer Wohnungen vererbt ihm seine Vorgängerin.
Auch die Sanierung des Bildungssektors muss Lee vorantreiben. Ihre Anziehungskraft auf Talente aus aller Welt dürfte die Stadt mit der Aushöhlung der Bürgerrechte zu großen Teilen eingebüßt haben. Binnen weniger Jahre purzelte die Stadt im Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen aus der Top 20 auf Rang 148 von 180 (China.Table berichtete).
Manche namhafte Unternehmer Hongkongs fürchten auch das erneute Aufflammen von Protesten. Victor Li gehört dazu, Chef der milliardenschweren CK Asset Holding und Sohn von Tycoon-Legende Li Ka-Shing, dem viele Jahre lang reichsten Mensch Asiens. Er wünsche sich vor allem Stabilität und ein Umfeld, in dem sich das Leben aller Hongkonger weiter verbessere. Seine Stimme bei der Wahl am Sonntag hat Li dem designierten Regierungschef John Lee bereits zugesagt.
Die Temperaturen in Peking sind Anfang Mai zum ersten Mal im Jahr über 30 Grad geklettert, und das sieht man im Stadtbild. Während der Feiertage zum Anfang des Wonnemonats sind die beliebteren Treffpunkte der Stadt mit Menschen überfüllt. Wie zum Beispiel die Shopping-Meile im Stadtteil Sanlitun, wo die Geschäfte ganz normal geöffnet sind. Wie üblich stehen etwa zwei Dutzend Fotografen auf der Einkaufsmeile und schießen wild Fotos jeder stylish aussehenden Pekingerin, die vorbeiflaniert – oder laufen ihnen gar mit gezückten Videokameras hinterher. Ein junger, exzentrisch gekleideter Mann mit Hut und Brille macht mit lautem Singen und Tanzbewegungen auf sich aufmerksam. Ein junger Vater filmt seine Tochter bei der Tanzeinlage mit dem Handy. Vermutlich wird das Video bei Tiktok landen.
Etwa 430 lokal übertragene Fälle werden insgesamt für Peking angegeben. Allein 51 neue Infektionen meldete die Hauptstadt am Mittwoch. Wegen der hohen Fallzahlen durften Cafés und Restaurants seit den Feiertagen keine Menschen im Innenraum bewirten – Hol- und Lieferdienste blieben aber erlaubt. Auch Shoppingmalls und Geschäfte durften weiter öffnen.
“Alles ist wie immer“, findet ein Pekinger. “Man kann nur nicht ins Café und muss sich einen anderen Platz zum Sitzen suchen.” Daher sitzen die Menschen dicht an dicht auf den wenigen Bänken unter den Bäumen oder weichen auf die Stufen vor dem großen Apple Store von Sanlitun aus. In den Händen halten sie Kalt- oder Heißgetränke und unterhalten sich, machen Selfies. Manche tragen Masken, andere nicht. Auf ihren Hemden tragen die meisten einen dunkelvioletten Aufkleber mit der Aufschrift “Taikooli”. Diesen verteilen die Wachleute der Einkaufsmeile an alle, die beim Eintritt auf die Plaza einen gültigen Coronatest aus den letzten 48 Stunden und einen grünen “Health Code” vorzeigen konnten. Wer den Aufkleber trägt, darf dann frei das Gelände verlassen und wieder betreten – und braucht auch in Geschäften nicht noch einmal die Coronavirus-Freiheit nachzuweisen.
Am Mittwoch wurden die Corona-Maßnahmen leicht verschärft. Die Stadt gab bekannt, 60 U-Bahnstationen und über 150 Buslinien vorerst zu schließen. Arbeitnehmende sollten öffentliche Verkehrsmittel auf dem Weg zur Arbeit meiden. Der am stärksten betroffene Distrikt Chaoyang forderte die Bürger nach einem Bericht der Global Times auf, ab Donnerstag wenn möglich von zuhause zu arbeiten. Auch Pekings Schulen bleiben die ganze Woche über geschlossen. Alle weiteren Maßnahmen der Feiertage bleiben vorerst bestehen.
Die Maßnahmen selbst sorgen bereits seit Wochen immer wieder für Überraschungen und Verwirrung. Wer die geschlossenen U-Bahnstationen auf einer Karte durchzählt, kommt auf 66 statt 60 Stationen. Manche Shopping-Center lassen die Gäste nur mit einem Coronatest innerhalb von 24 Stunden herein, anderen reichen 48 Stunden.
Ähnliche Unterschiede gibt es bei den Arbeitgebern. Viele versuchen sich mithilfe vorauseilenden Gehorsams abzusichern, um weiter offen bleiben zu können und verlangen daher ebenfalls alle 24 Stunden neue Tests. Eine Pekingerin äußert sich besorgt – allerdings nicht so sehr über eine mögliche Ansteckung. “Die Sorgen, die ich mir wegen des Virus mache, sind bei weitem nicht so groß wie die Sorgen, die ich mir darüber mache, was die Maßnahmen für meinen Arbeitsplatz bedeuten könnten“, sagt die junge Berufstätige.
Damit spielt sie auf den möglichen Lockdown an, der wie ein Damoklesschwert über der Stadt hängt. Seit Wochen macht das Thema in Gerüchten die Runde (China.Table berichtete). Hamsterkäufe sorgten allerdings nur kurzfristig für leere Regale. Doch umso größer war die allgemeine Verstimmung darüber, dass Lieferdienste nicht mehr nachkamen und daher Bestellungen stornierten. Schon zum Beginn der Mai-Feiertage waren die Engpässe allerdings weitgehend behoben. Denn letztlich bewahrheiteten sich die vielen Lockdown-Gerüchte bislang doch noch nicht.
Viele Expats haben sich trotzdem zur Sicherheit schon einmal mit Dingen eingedeckt, die im Falle des Lockdowns wohl schwierig zu bekommen sein werden: Schokolade, Wein oder andere Genussmittel, die im Zweifelsfall wohl nicht direkt als notwendige Lebensmittel durchgehen würden.
Manche Pekinger leben aufgrund des Hin und Hers über den möglicherweise bevorstehenden Lockdown einfach nur im Hier und Jetzt. “Klar, er könnte jeden Moment kommen. Und bevor das passiert, erfahren wir wohl eh nichts davon. Da genießen wir lieber jetzt so viel vom schönen Wetter wie wir können. So lange es eben noch geht“, sagt einer.
Vor vielen Teststationen herrscht Gedränge; das Angebot ist unterschiedlich. Manche Tests sind kostenlos, andere kosten etwa 25 Yuan (circa 3,50 Euro). Abstandsregeln werden hier selten eingehalten oder durchgesetzt. Dass das ein gewisses Ansteckungsrisiko birgt, ist den Pekingern bewusst – und sie äußern das offen in sozialen Medien wie Wechat. Auch haben Ältere ein paar Probleme an den Teststationen. Denn da geht alles nur per Handy-App und mit Wechat-Bezahlung. Nicht jeder Pekinger Rentner hat es damit leicht. “Haben Sie keine Kinder oder Enkel, die es für sie bezahlen können?”, fragen die jungen Mitarbeiter in Sicherheitsanzügen immer wieder.
Wer sich von gefährdeten Ecken der Stadt fernhalten möchte, kann das ganz entspannt über die App Gaode Ditu tun. In dieser Landkarten- und Navigationsapp sind nämlich nicht nur die neuesten Staus verzeichnet, sondern auch die abgeriegelten Wohnanlagen. Sie zeigt auch, wie vereinzelt und punktuell die Abriegelungen bislang noch sind. Es handelt sich meist um einzelne Quartiere, die zu Hochrisiko-Gebieten erklärt werden.
Peking-typisch fällt auch die Reaktion vieler Restaurantbetreiber auf das Bewirtungsverbot in den Innenräumen aus. Viele stellen einfach einen Tisch in die Eingangstür, an dem man bestellen und dann das Essen mitnehmen kann. Andere stellen kurzerhand kleine Tische und Plastikhocker auf die Straße und bewirten die Gäste dort.
Und so herrscht in Peking in diesen Tagen hauptsächlich gemütliche Sommerstimmung mit entspanntem Sitzen auf den Straßen. In den Parks und kleineren Grünstreifen spielen Rentner Karten oder machen Sport. Auf einem Platz am Grünstreifen, der im Volksmund “erster Ring” genannt wird, müssen sich die Pekinger Rentner allerdings einschränken. Den beliebten Platz hat die Stadtverwaltung nämlich in eine mobile Corona-Teststation umfunktioniert. Jetzt stehen die Zelte und Container genau da, wo die Rentner sonst abends ihre berühmten Massentänze veranstalten. Gregor Koppenburg/Jörn Petring
Peking hat die Covid-Maßnahmen für Einreisende aus dem Ausland leicht gelockert. Einreisende müssen nur noch zehn Tage in Quarantäne-Einrichtungen bleiben, wie der Staatssender CCTV laut Reuters berichtet. Zuvor lag die Mindestdauer noch bei 14 Tagen. Nach dem Aufenthalt in den Einrichtungen müssen sich Einreisende jedoch auch weiterhin zu Hause für sieben weitere Tage isolieren. nib
Die Bundesregierung will unter Wahrung nationaler Sicherheitsinteressen die China-Kompetenz in Deutschland stärker fördern. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU (Drucksache 20/1465) im Deutschen Bundestag heißt es: “Der Ausbau von Asien- und China-Kompetenz im Wissenschaftssystem – und darüber hinaus – hat für die Bundesregierung hohe Relevanz.”
Zum Ausbau sollen auch chinesische Partner einbezogen werden. Gleichzeitig soll aber sichergestellt werden, “dass die Vermittlung der Kompetenzen den Ansprüchen und Werten unseres Bildungs- und Wissenschaftssystems gerecht wird.” Um das gewährleisten zu können, “wird seitens der Bundesregierung der Ansatz verfolgt, ein größeres Bewusstsein für das Thema Einflussnahme zu schaffen.”
Die Regierung verfolge ausländische Versuche der Einflussnahme in Deutschland – über chinesische Konfuzius-Institute an deutschen Universitäten oder auf anderen Wegen – sehr genau, heißt es weiter. Der chinesische Staat habe Kontrolle über die in der Volksrepublik China für die Konfuzius-Institute ausgewählten chinesischen Lehrkräfte und Lehrmaterialien. “Daraus sowie aus der anteiligen Finanzierung der Institute durch die chinesische Seite ergeben sich Risiken für die akademische Freiheit an den Konfuzius-Instituten in Deutschland”, so die Bundesregierung.
Als Beispiel nennt die Regierung die Absage der virtuellen Lesung eines kritischen Buches über Xi Jinping am Leibniz-Konfuzius-Institut Hannover und am Konfuzius-Institut Metropole Ruhr (China.Table berichtete). Ein zweites Beispiel ist der Versuch vonseiten der Konfuzius-Institute Ende 2019, die Tour der preisgekrönten Dokumentation “In the name of Confucius” über die wachsende globale Kontroverse um die Einrichtungen zu verhindern.
Belege dafür vor, dass Konfuzius-Institute in Deutschland auch ein Einfallstor für Forschungsspionage oder Technologieabfluss darstellten, hat die Bundesregierung aktuell nicht. Auch für eine gezielte Steuerung von chinesischen Studierenden und Wissenschaftlern in Deutschland zu Zwecken der Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage liegen laut Antwort der Regierung keine Belege vor. Allerdings gibt es Informationen darüber, dass das China Scholarship Council von seinen Stipendiatinnen und Stipendiaten ideologische Konformität einfordere.
Im deutschen Bildungswesen steigt das Misstrauen gegenüber China. Die Universitäten Hamburg und Düsseldorf haben Kooperationen mit den jeweiligen Konfuzius-Instituten bereits beendet. Mehrere Hochschulen überprüfen bestehende Verträge oder verhandeln sie mit ihren chinesischen Partnern neu. Die Universität Trier hat die Arbeit des dortigen Konfuzius-Institutes ausgesetzt. Grund sind die von der chinesischen Regierung am 21. März 2021 verhängten Sanktionen gegen deutsche und europäischer Akademiker.
Die Regierung empfiehlt, “ungeregelten Know-how- oder Technologietransfer” in der Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern zu minimieren. Kooperationen sollten auf Basis informierter Entscheidung eingegangen beziehungsweise fortgesetzt werden. Dazu zählten auch Abwägungen “mit Blick auf mögliche Zusammenhänge zu Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik China.” Die Bundesregierung sieht zudem ein Problem darin, dass China auf einen Nutzen der Kooperationen für das eigene Militär drängt.
Auf die Nachfrage der CDU/CSU-Fraktion, ob ein “Ausbau der Unterstützung für das deutsche Institut Merics” geplant sei, heißt es, Merics spiele eine wichtige Rolle für chinapolitische Diskussionen und den Aufbau unabhängiger China-Kompetenz in Deutschland und Europa. “Die Sanktionsmaßnahmen der chinesischen Regierung gegen Merics und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind inakzeptabel. Die Bundesregierung wird die Zusammenarbeit mit Merics fortsetzen.”
Die CDU/CSU begrüßt Bestrebungen für mehr China-Kompetenz “vor allem angesichts der sich immer deutlicher stellenden Fragen zur Abhängigkeit von der chinesischen Wirtschaft, zur chinesischen Delegitimierung internationaler Organisationen und der regelbasierten internationalen Ordnung und der anhaltend verheerenden Menschenrechtslage in China”. grz
Hongkong ist im Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen weit zurückgefallen. Die Sonderverwaltungszone verlor so viele Plätze wie kein anderes Land und befindet sich nun auf Rang 148 von 180. 2021 lag Hongkong noch auf Platz 80. Grund für den starken Abfall ist das Nationale Sicherheitsgesetz aus Peking und das massive Vorgehen gegen Medienschaffende. “Das ist der größte Niedergang des Jahres, aber aufgrund der anhaltenden Angriffe auf die Pressefreiheit und des langsamen Verschwindens der Rechtsstaatlichkeit in Hongkong völlig verdient”, sagte Cedric Alviani, Leiter des in Taiwan ansässigen Ostasien-Büros von Reporter ohne Grenzen der Nachrichtenagentur AFP. Die Organisation veröffentlicht den Index jährlich zum Tag der Pressefreiheit.
“Im vergangenen Jahr haben wir ein drastisches, drastisches Vorgehen gegen Journalisten erlebt”, fügte er hinzu. Die Datenbank von Reporter ohne Grenzen liste derzeit 13 inhaftierte Medienmitarbeiter aus Hongkong auf. Eine “enorme” Zahl, wie Alviani sagte. Diese mache fast zehn Prozent aller bekannten Inhaftierungen von Journalisten in China aus. Die Volksrepublik wurde von Reporter ohne Grenzen erneut als eines der schwierigsten Länder der Welt für Journalisten eingestuft. China liegt derzeit auf Platz 175 von 180. Dort befinden sich demnach derzeit 76 Medienschaffende sowie 34 Bürgerjournalisten und Blogger im Gefängnis. ari
Mehrere Aktivistengruppen haben eine Verschiebung des Besuchs der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte in China gefordert. Michelle Bachelet begebe sich in ein “Minenfeld der Propaganda” der Kommunistischen Partei Chinas, schrieben die mehr als 200 Organisationen in einem öffentlichen Aufruf. Der offene Brief, der unter anderem von Free Tibet, Hong Kong Watch und der Tibet Initiative Deutschland unterzeichnet wurde, kreidete an, dass Bachelet bisher alle Anfragen abgelehnt habe, sich mit betroffenen Gemeinschaften zu treffen. Zudem seien vonseiten der UN-Hochkommissarin “alle Angebote ignoriert, sich mit Überlebenden aus den uigurischen Lagern, tibetischen ehemaligen politischen Gefangenen oder chinesischen Demokratieaktivisten zu treffen, die mit dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Verbindung stehen”, hieß es in dem Schreiben. Die Organisationen forderten mehr Transparenz über den geplanten China-Besuch und dass Bachelet einem Treffen mit Vertretern der Zivilgesellschaft zusagt. ari
Die USA ziehen einem Medienbericht zufolge scharfe Sanktionen gegen das chinesische Videoüberwachungsunternehmen Hikvision in Betracht. Das US-Finanzministerium denke darüber nach, den weltweit größten Hersteller von Überwachungsgeräten und Gesichtserkennungssoftware auf eine Embargo-Liste zu setzen. Die Eintragung auf der sogenannten Liste der Specially Designated Nationals and Blocked Persons (kurz SDN) würde US-Unternehmen und Bürgern den Handel und Finanztransaktionen mit Hikvision verbieten. Außerdem könnte Vermögen des Unternehmens in den USA eingefroren werden. Das berichtete die Financial Times am Mittwoch unter Berufung auf vier nicht näher genannte Regierungsquellen.
Hikvision wäre der erste chinesische Technologiekonzern auf der SDN-Liste – die Sanktionen wären damit noch weitreichender als die US-Strafmaßnahmen gegen Huawei. Dem Bericht zufolge hat Washington bereits damit begonnen, andere Hauptstädte zu informieren, da Hikvision Kunden in mehr als 180 Ländern hat. Das chinesische Unternehmen erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass die “potenziellen Maßnahmen der US-Regierung” noch geprüft werden müssen.
Hikvision und seine Produkte sind hochgradig umstritten. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, Menschenrechtsverletzungen ermöglicht zu haben, indem es der chinesischen Regierung Kameras verkauft hat, die in Lagern in Xinjiang eingesetzt werden. Die Sanktionen könnten das Verhältnis zwischen Peking und Washington weiter verschlechtern. ari
Seit die chinesische Regierung im Jahr 2014 den Aufbau eines nationalen Sozialkredit-Systems (SKS) angekündigt hat, erregt das Thema international die Gemüter. Im weitesten Sinne ist das SKS ein datenbasiertes und technologiegestütztes Bewertungssystem, das zum einen die finanzielle Verlässlichkeit, zum anderen das allgemeine Sozialverhalten beurteilt. Der Bewertung werden alle natürlichen Personen, staatlichen Einrichtungen sowie Unternehmen unterzogen. Die internationale Aufmerksamkeit fokussiert sich meist auf die Bewertung von individuellem Verhalten nach einem Punktesystem, aus dem Belohnungen und Benachteiligungen abgeleitet werden sollen.
Weniger Beachtung findet der Teil des Systems, der Firmen bewertet. Wie bei individuellem Verhalten zielt das SKS auch hinsichtlich der Firmen darauf ab, regelkonformes Verhalten zu belohnen und regelwidriges Verhalten zu bestrafen. Anders als bei den Individuen erfolgt dies in der Regel nicht über ein Punktesystem, sondern über rote und schwarze Listen, die online abrufbar aufzeigen, wer sich besonders gut verhalten hat und wer besonders schlecht. Um die Verlässlichkeit einzelner Akteure zu bewerten, sammelt das System finanzielle und verhaltensbezogene Daten.
Zum einen wird das Finanz- und Kreditverhalten von Firmen erfasst, um es für eine Bewertung ihrer Kreditwürdigkeit bzw. Bonität heranzuziehen. Dabei fallen vor allem Kreditüberziehung, Veruntreuung und Betrugsverhalten negativ ins Gewicht. In diesem Aspekt gleicht das SKS Kreditbewertungssystemen wie der Schufa oder Equifax.
Auf der anderen Seite werden Daten über (soziales) Verhalten erhoben, um die Firmen zur Einhaltung von Regeln und zum “guten Benehmen” zu “erziehen”. Hier können Regelverstöße wie verspätete Steuerzahlungen oder der Missbrauch von Spenden ebenso zum Malus werden wie die nicht vertragsgetreue Umsetzung von Projekten im Auftrag der Regierung.
Das SKS verfolgt mit Blick auf Firmen ein primäres Ziel. Es soll Chinas wirtschaftliche Entwicklung fördern, indem es durch Transparenz Vertrauen in Geschäftspartner schafft und den chinesischen Markt so attraktiver für Investitionen macht. Dadurch soll es zur Legitimation der KP China beitragen, da diese hauptsächlich auf wirtschaftlichem Erfolg fußt.
Das firmenbezogene SKS betrifft auch ausländische Firmen, also auch die circa 8.000 deutschen Firmen vor Ort und wirkt so indirekt über Chinas Landesgrenzen hinaus. Deutsche Firmen tauchen allerdings bisher selten auf schwarzen Listen auf. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass sich deutsche Firmen in China schon aus Compliance-Gründen veranlasst sehen, Gesetze einzuhalten.
Gleichwohl sorgt das SKS laut Umfragen des AHK Business Confidence Survey 2021 immer wieder für Sorgen und Spekulationen. Denn die konkreten Auswirkungen auf (deutsche) Firmen sind noch schwer absehbar. Auf der einen Seite besteht die Sorge, dass die Regierung das SKS instrumentalisieren könnte, um politische und/oder wirtschaftliche Ziele durchzusetzen. Eng verknüpft mit diesem Punkt ist die Befürchtung, dass es zu gezielter Diskriminierung von ausländischen Firmen durch das SKS kommen könnte. Darüber hinaus erzeugt das SKS zusätzliche Kosten, denn Firmen müssen Partnerfirmen, Zulieferer und Mitarbeitende strategisch auswählen und deren Verhalten kontinuierlich überprüfen, damit das eigene Rating keinen Schaden durch mögliches Fehlverhalten der Partner nimmt. Da das SKS zudem vorsieht, dass das Vergehen von Unternehmen in einem Bereich auch Auswirkungen auf andere Unternehmensbereiche hat (joint rewards and punishment mechanism), kann durch das SKS schnell eine Abwärtsspirale entstehen – dann droht den Firmen der Ruin.
Längerfristig stellt sich die Frage, ob das SKS ein chinesisches Phänomen bleiben wird, weil es nur in China systemische Defizite ausgleichen soll und kann, die in entwickelten Industrieländern mit Rechtsstaatstradition so nicht gegeben sind. Oder wird sich das SKS von China aus global verbreiten? Für letzteres spräche, dass für andere Entwicklungsländer und autoritäre Staaten der Kontroll- und Erziehungscharakter des SKS durchaus attraktiv sein könnte. Und selbst manch ausländische Firma könnte die Transparenz des SKS und daher auch seine Verbreitung in der Welt begrüßen. Die Idee, dass alternative Daten und digitale Bewertungssysteme eine sinnvolle Ergänzung für die Einschätzung von Kreditwürdigkeit von Personen und Firmen sein sollten, ist schon heute nicht nur in China verbreitet. Und nicht zuletzt entstehen bereits diverse digitale Geschäftsmodelle rund um das SKS, die früher oder später auch international auf Nachfrage treffen dürften.
Prof. Dr. Doris Fischer ist Inhaberin des Lehrstuhls China Business and Economics der Julius-Maximilian Universität Würzburg. Lena Wassermann ist Doktorandin am Lehrstuhl China Business and Economics der Julius-Maximilian Universität Würzburg. Die Autorinnen forschen im Rahmen des Forschungsprojekts “Learning from the ‘frontrunner’? A multidisciplinary analysis of the Chinese Social Credit System and its impact on Germany”, das durch das Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt) gefördert wird, zu den Auswirkungen des Sozialkreditsystems auf deutsche Firmen.
Dieser Gastbeitrag erscheint im Kontext der Veranstaltungsreihe Global China Conversations des Kiel Instituts für Weltwirtschaft. Am Donnerstag (28.04.) geht es um das Thema: “Chinas Sozialkreditsystem: Welche Auswirkungen hat es auf deutsche Unternehmen?”. China.Table ist Medienpartner der Veranstaltungsreihe.
mit der Wahl des neuen Regierungschefs am kommenden Sonntag schließt Hongkong seine Transformation in einen autoritären Polizeistaat auch personell endgültig ab. Mit dem Sicherheitschef John Lee, dessen Einsatzkräfte seit 2019 auf alles einknüppeln, was zur falschen Zeit am falschen Ort ist, steht nur ein einziger Kandidat zur Auswahl.
Den juristischen Rahmen der Transformation liefert seit 2020 schon das Nationale Sicherheitsgesetz, das den Behörden die Möglichkeit verschafft hat, politische Opposition oder kritische Medien zu kriminalisieren. Wie auf Zuruf bestätigt die Organisation Reporter ohne Grenzen die Entwicklung in der Stadt mit ihrem neuen Ranking der Pressefreiheit: Die einstige demokratische Blüte ist komplett verwelkt.
Derweil blicken wir gebannt nach Peking, wo wir eine Gelassenheit wahrnehmen, die man auch als Ruhe vor dem Sturm verstehen kann. Jedenfalls verdichten sich die Anzeichen, dass die Stadt in den kommenden Wochen in einen Corona-Lockdown gehen könnte. Die Parallelen zur Anbahnung in Shanghai sind markant. Aber vielleicht hat die Hauptstadt auch die richtigen Schlüsse aus den Fehlern Shanghais gezogen und kann einen Lockdown tatsächlich verhindern.
Unser Standpunkt beschäftigt sich mit dem Sozialkreditsystem und seinen Konsequenzen für deutsche Unternehmen. Die Autorinnen Doris Fischer und Lena Wassermann halten einen Export des Systems in andere Nationen für denkbar. Die Frage, die sich dabei aufdrängt, ist, ob demokratische Gesellschaften Verwaltungs- und Regierungskonzepte aus Diktaturen überhaupt zulassen sollten. Noch steht diese Frage nicht zur breiten Diskussion. Aber angesichts von chinesischem Eifer, ein autoritäres Modell in die Welt zu tragen, zeichnet sich diese Auseinandersetzung bereits am Horizont ab.
Ted Hui erinnert sich noch gut an John Lee und dessen Lageberichte vor dem Parlament in Hongkong. Die Atmosphäre sei angespannt gewesen, “fast feindlich”. Damals, im zweiten Halbjahr 2019, sprach Lee als Sicherheitschef der Metropole zu den Abgeordneten, zu denen auch Hui gehörte, der heute im Exil in Australien lebt. Millionen Menschen waren damals auf die Straße gegangen, um gegen ein Gesetz zu protestieren, das die Auslieferung von Hongkonger Bürger:innen an chinesische Strafverfolgungsbehörden ermöglichen sollte.
Aber das geplante Gesetz war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Im Kern ging es den Menschen um die Verteidigung ihrer Bürgerrechte. Sie protestierten gegen den wachsenden Einfluss der Kommunistischen Partei Chinas auf die lokale Politik. “Wir Demokraten forderten Lee lautstark dazu auf, Stellung zu beziehen zu den Vorwürfen und den Forderungen der Demonstranten. Aber Lee ist jeder verbalen Auseinandersetzung mit uns aus dem Weg gegangen, hat seinen Text verlesen und ist wieder gegangen”, sagt Hui gegenüber China.Table.
Alles spricht dafür, dass dieser John Lee am kommenden Sonntag zum neuen Hongkonger Regierungschef gewählt wird. Er ist zum einen der einzige Kandidat, der sich auf die Nachfolge der scheidenden Carrie Lam beworben hat und genießt die offizielle Unterstützung Pekings. Zum anderen haben sich bereits mehr als die Hälfte der 1.454 Wahlberechtigten öffentlich für Lee ausgesprochen. Die absolute Mehrheit von 728 Stimmen benötigt er zum Sieg.
Es ist das erste Mal, dass der Wahlausschuss in dieser Größe zusammentritt. Und nie zuvor vertraten seine Mitglieder so eindeutig die Interessen der Pekinger Zentralregierung. Das liegt auch an der neuen Besetzung des Wahlausschusses mit Vertretern Hongkongs beim Nationalen Volkskongress und dessen Konsultativ-Konferenz der Volksrepublik China. Es handelt sich dabei um eine streng Peking-konforme Fraktion. Alle 300 Wahlberechtigte dieses neuen Sektors haben dem Kandidaten Lee ihre Unterstützung zugesagt.
Pekings Interessen sind seit den Massenprotesten 2019 mehr denn je auf das Ersticken jeglichen Widerstandes in der Stadt ausgerichtet. Die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes schuf vor zwei Jahren den juristischen Rahmen, um die demokratische Bewegung in Hongkong zu kriminalisieren und zu lähmen. Eine Wahl Lees würde diese Entwicklung politisch untermauern.
Lee gilt nicht als intellektueller Polit-Visionär, sondern als loyaler Technokrat, der Effizienz schaffen möchte. “Die chinesische Regierung will für Hongkong eine Herrschaft der Sicherheitskräfte und benötigt jemanden, der die Sicherheitskräfte im Griff hat. Das hat er”, sagt Ex-Parlamentarier Hui. “Lee ist eine emotionslose Maschine. Er ist genau das, was Peking benötigt.”
Auch Samuel Chu von der Campaign for Hongkong mit Sitz in den USA sieht in Lee den idealen Vertreter für Pekings Anliegen: “Die Rolle des Chief Executive repräsentiert in keiner Weise mehr die Interessen und das Wohlergehen der Hongkonger Bürger. Es ergibt durchaus Sinn, einen ehemaligen Polizisten an die Spitze eines Polizeistaates zu stellen”, sagte Chu der Voice of America.
Tatsächlich scheint Lee dafür wie geschaffen zu sein. Schon 1977 trat er in den Staatsdienst ein und kletterte vor allem nach 1997 die Karriereleiter nach oben. Im Jahr 2010 wurde er zum stellvertretenden Polizeipräsidenten ernannt und zwei Jahre später zum Staatssekretär des Sicherheitsbüros. 2017 ernannte ihn die scheidende Regierungschefin Carrie Lam zum Sicherheitsminister. Im vergangenen Jahr machte ihn Lam auch zum Generalsekretär ihrer Regierung und damit zur Nummer zwei in der Hongkonger Verwaltungshierarchie.
Maya Wang von Human Rights Watch rechnet deshalb mit der Fortsetzung von Freiheitseinschränkungen der Bürger:innen unter Lees Regierung. Es ist offensichtlich, dass Peking von Lee erwartet, dass er “die Menschen in Hongkong für deren Ungehorsam” bestraft, schrieb sie in einer Stellungnahme an Voice of America. “Lees Amtszeit als zweithöchster politischer Beamter Hongkongs war geprägt von Polizeibrutalität und mangelnder Rechenschaftspflicht für die ausufernde Gewalt der Polizei während der Proteste von 2019.”
Am vergangenen Freitag hatte der 64-Jährige gemäß Artikel 23 des Basic Law, Hongkongs Mini-Verfassung, formell gelobt, “die verfassungsmäßige Verantwortung der Gesetzgebung zu erfüllen”, sollte er gewählt werden. Artikel 23 schreibt vor, dass “jeder Akt des Verrats, der Sezession, des Aufruhrs und der Subversion gegen die zentrale Volksregierung zu verbieten” ist.
In einem 44-seitigen Manifest offenbart Lee die Pläne für seine Amtszeit. Er strebe nach einem “ergebnisorientierten Ansatz”, um “die Wettbewerbsfähigkeit der Stadt zu steigern” und “ihre Stärken zu behaupten”. Kritiker vermissen Konkretes, halten Lee aber zugute, dass er wenig Zeit hatte seit seiner Bewerbung Anfang April, ein umfangreiches politisches Programm zu entwerfen. Als Regierungschef wird Lee auch die Entwicklung der Stadt vorantreiben müssen. Pläne zur Umstrukturierung der Verwaltung und zum Bau der Northern Metropolis mit Millionen neuer Wohnungen vererbt ihm seine Vorgängerin.
Auch die Sanierung des Bildungssektors muss Lee vorantreiben. Ihre Anziehungskraft auf Talente aus aller Welt dürfte die Stadt mit der Aushöhlung der Bürgerrechte zu großen Teilen eingebüßt haben. Binnen weniger Jahre purzelte die Stadt im Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen aus der Top 20 auf Rang 148 von 180 (China.Table berichtete).
Manche namhafte Unternehmer Hongkongs fürchten auch das erneute Aufflammen von Protesten. Victor Li gehört dazu, Chef der milliardenschweren CK Asset Holding und Sohn von Tycoon-Legende Li Ka-Shing, dem viele Jahre lang reichsten Mensch Asiens. Er wünsche sich vor allem Stabilität und ein Umfeld, in dem sich das Leben aller Hongkonger weiter verbessere. Seine Stimme bei der Wahl am Sonntag hat Li dem designierten Regierungschef John Lee bereits zugesagt.
Die Temperaturen in Peking sind Anfang Mai zum ersten Mal im Jahr über 30 Grad geklettert, und das sieht man im Stadtbild. Während der Feiertage zum Anfang des Wonnemonats sind die beliebteren Treffpunkte der Stadt mit Menschen überfüllt. Wie zum Beispiel die Shopping-Meile im Stadtteil Sanlitun, wo die Geschäfte ganz normal geöffnet sind. Wie üblich stehen etwa zwei Dutzend Fotografen auf der Einkaufsmeile und schießen wild Fotos jeder stylish aussehenden Pekingerin, die vorbeiflaniert – oder laufen ihnen gar mit gezückten Videokameras hinterher. Ein junger, exzentrisch gekleideter Mann mit Hut und Brille macht mit lautem Singen und Tanzbewegungen auf sich aufmerksam. Ein junger Vater filmt seine Tochter bei der Tanzeinlage mit dem Handy. Vermutlich wird das Video bei Tiktok landen.
Etwa 430 lokal übertragene Fälle werden insgesamt für Peking angegeben. Allein 51 neue Infektionen meldete die Hauptstadt am Mittwoch. Wegen der hohen Fallzahlen durften Cafés und Restaurants seit den Feiertagen keine Menschen im Innenraum bewirten – Hol- und Lieferdienste blieben aber erlaubt. Auch Shoppingmalls und Geschäfte durften weiter öffnen.
“Alles ist wie immer“, findet ein Pekinger. “Man kann nur nicht ins Café und muss sich einen anderen Platz zum Sitzen suchen.” Daher sitzen die Menschen dicht an dicht auf den wenigen Bänken unter den Bäumen oder weichen auf die Stufen vor dem großen Apple Store von Sanlitun aus. In den Händen halten sie Kalt- oder Heißgetränke und unterhalten sich, machen Selfies. Manche tragen Masken, andere nicht. Auf ihren Hemden tragen die meisten einen dunkelvioletten Aufkleber mit der Aufschrift “Taikooli”. Diesen verteilen die Wachleute der Einkaufsmeile an alle, die beim Eintritt auf die Plaza einen gültigen Coronatest aus den letzten 48 Stunden und einen grünen “Health Code” vorzeigen konnten. Wer den Aufkleber trägt, darf dann frei das Gelände verlassen und wieder betreten – und braucht auch in Geschäften nicht noch einmal die Coronavirus-Freiheit nachzuweisen.
Am Mittwoch wurden die Corona-Maßnahmen leicht verschärft. Die Stadt gab bekannt, 60 U-Bahnstationen und über 150 Buslinien vorerst zu schließen. Arbeitnehmende sollten öffentliche Verkehrsmittel auf dem Weg zur Arbeit meiden. Der am stärksten betroffene Distrikt Chaoyang forderte die Bürger nach einem Bericht der Global Times auf, ab Donnerstag wenn möglich von zuhause zu arbeiten. Auch Pekings Schulen bleiben die ganze Woche über geschlossen. Alle weiteren Maßnahmen der Feiertage bleiben vorerst bestehen.
Die Maßnahmen selbst sorgen bereits seit Wochen immer wieder für Überraschungen und Verwirrung. Wer die geschlossenen U-Bahnstationen auf einer Karte durchzählt, kommt auf 66 statt 60 Stationen. Manche Shopping-Center lassen die Gäste nur mit einem Coronatest innerhalb von 24 Stunden herein, anderen reichen 48 Stunden.
Ähnliche Unterschiede gibt es bei den Arbeitgebern. Viele versuchen sich mithilfe vorauseilenden Gehorsams abzusichern, um weiter offen bleiben zu können und verlangen daher ebenfalls alle 24 Stunden neue Tests. Eine Pekingerin äußert sich besorgt – allerdings nicht so sehr über eine mögliche Ansteckung. “Die Sorgen, die ich mir wegen des Virus mache, sind bei weitem nicht so groß wie die Sorgen, die ich mir darüber mache, was die Maßnahmen für meinen Arbeitsplatz bedeuten könnten“, sagt die junge Berufstätige.
Damit spielt sie auf den möglichen Lockdown an, der wie ein Damoklesschwert über der Stadt hängt. Seit Wochen macht das Thema in Gerüchten die Runde (China.Table berichtete). Hamsterkäufe sorgten allerdings nur kurzfristig für leere Regale. Doch umso größer war die allgemeine Verstimmung darüber, dass Lieferdienste nicht mehr nachkamen und daher Bestellungen stornierten. Schon zum Beginn der Mai-Feiertage waren die Engpässe allerdings weitgehend behoben. Denn letztlich bewahrheiteten sich die vielen Lockdown-Gerüchte bislang doch noch nicht.
Viele Expats haben sich trotzdem zur Sicherheit schon einmal mit Dingen eingedeckt, die im Falle des Lockdowns wohl schwierig zu bekommen sein werden: Schokolade, Wein oder andere Genussmittel, die im Zweifelsfall wohl nicht direkt als notwendige Lebensmittel durchgehen würden.
Manche Pekinger leben aufgrund des Hin und Hers über den möglicherweise bevorstehenden Lockdown einfach nur im Hier und Jetzt. “Klar, er könnte jeden Moment kommen. Und bevor das passiert, erfahren wir wohl eh nichts davon. Da genießen wir lieber jetzt so viel vom schönen Wetter wie wir können. So lange es eben noch geht“, sagt einer.
Vor vielen Teststationen herrscht Gedränge; das Angebot ist unterschiedlich. Manche Tests sind kostenlos, andere kosten etwa 25 Yuan (circa 3,50 Euro). Abstandsregeln werden hier selten eingehalten oder durchgesetzt. Dass das ein gewisses Ansteckungsrisiko birgt, ist den Pekingern bewusst – und sie äußern das offen in sozialen Medien wie Wechat. Auch haben Ältere ein paar Probleme an den Teststationen. Denn da geht alles nur per Handy-App und mit Wechat-Bezahlung. Nicht jeder Pekinger Rentner hat es damit leicht. “Haben Sie keine Kinder oder Enkel, die es für sie bezahlen können?”, fragen die jungen Mitarbeiter in Sicherheitsanzügen immer wieder.
Wer sich von gefährdeten Ecken der Stadt fernhalten möchte, kann das ganz entspannt über die App Gaode Ditu tun. In dieser Landkarten- und Navigationsapp sind nämlich nicht nur die neuesten Staus verzeichnet, sondern auch die abgeriegelten Wohnanlagen. Sie zeigt auch, wie vereinzelt und punktuell die Abriegelungen bislang noch sind. Es handelt sich meist um einzelne Quartiere, die zu Hochrisiko-Gebieten erklärt werden.
Peking-typisch fällt auch die Reaktion vieler Restaurantbetreiber auf das Bewirtungsverbot in den Innenräumen aus. Viele stellen einfach einen Tisch in die Eingangstür, an dem man bestellen und dann das Essen mitnehmen kann. Andere stellen kurzerhand kleine Tische und Plastikhocker auf die Straße und bewirten die Gäste dort.
Und so herrscht in Peking in diesen Tagen hauptsächlich gemütliche Sommerstimmung mit entspanntem Sitzen auf den Straßen. In den Parks und kleineren Grünstreifen spielen Rentner Karten oder machen Sport. Auf einem Platz am Grünstreifen, der im Volksmund “erster Ring” genannt wird, müssen sich die Pekinger Rentner allerdings einschränken. Den beliebten Platz hat die Stadtverwaltung nämlich in eine mobile Corona-Teststation umfunktioniert. Jetzt stehen die Zelte und Container genau da, wo die Rentner sonst abends ihre berühmten Massentänze veranstalten. Gregor Koppenburg/Jörn Petring
Peking hat die Covid-Maßnahmen für Einreisende aus dem Ausland leicht gelockert. Einreisende müssen nur noch zehn Tage in Quarantäne-Einrichtungen bleiben, wie der Staatssender CCTV laut Reuters berichtet. Zuvor lag die Mindestdauer noch bei 14 Tagen. Nach dem Aufenthalt in den Einrichtungen müssen sich Einreisende jedoch auch weiterhin zu Hause für sieben weitere Tage isolieren. nib
Die Bundesregierung will unter Wahrung nationaler Sicherheitsinteressen die China-Kompetenz in Deutschland stärker fördern. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU (Drucksache 20/1465) im Deutschen Bundestag heißt es: “Der Ausbau von Asien- und China-Kompetenz im Wissenschaftssystem – und darüber hinaus – hat für die Bundesregierung hohe Relevanz.”
Zum Ausbau sollen auch chinesische Partner einbezogen werden. Gleichzeitig soll aber sichergestellt werden, “dass die Vermittlung der Kompetenzen den Ansprüchen und Werten unseres Bildungs- und Wissenschaftssystems gerecht wird.” Um das gewährleisten zu können, “wird seitens der Bundesregierung der Ansatz verfolgt, ein größeres Bewusstsein für das Thema Einflussnahme zu schaffen.”
Die Regierung verfolge ausländische Versuche der Einflussnahme in Deutschland – über chinesische Konfuzius-Institute an deutschen Universitäten oder auf anderen Wegen – sehr genau, heißt es weiter. Der chinesische Staat habe Kontrolle über die in der Volksrepublik China für die Konfuzius-Institute ausgewählten chinesischen Lehrkräfte und Lehrmaterialien. “Daraus sowie aus der anteiligen Finanzierung der Institute durch die chinesische Seite ergeben sich Risiken für die akademische Freiheit an den Konfuzius-Instituten in Deutschland”, so die Bundesregierung.
Als Beispiel nennt die Regierung die Absage der virtuellen Lesung eines kritischen Buches über Xi Jinping am Leibniz-Konfuzius-Institut Hannover und am Konfuzius-Institut Metropole Ruhr (China.Table berichtete). Ein zweites Beispiel ist der Versuch vonseiten der Konfuzius-Institute Ende 2019, die Tour der preisgekrönten Dokumentation “In the name of Confucius” über die wachsende globale Kontroverse um die Einrichtungen zu verhindern.
Belege dafür vor, dass Konfuzius-Institute in Deutschland auch ein Einfallstor für Forschungsspionage oder Technologieabfluss darstellten, hat die Bundesregierung aktuell nicht. Auch für eine gezielte Steuerung von chinesischen Studierenden und Wissenschaftlern in Deutschland zu Zwecken der Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage liegen laut Antwort der Regierung keine Belege vor. Allerdings gibt es Informationen darüber, dass das China Scholarship Council von seinen Stipendiatinnen und Stipendiaten ideologische Konformität einfordere.
Im deutschen Bildungswesen steigt das Misstrauen gegenüber China. Die Universitäten Hamburg und Düsseldorf haben Kooperationen mit den jeweiligen Konfuzius-Instituten bereits beendet. Mehrere Hochschulen überprüfen bestehende Verträge oder verhandeln sie mit ihren chinesischen Partnern neu. Die Universität Trier hat die Arbeit des dortigen Konfuzius-Institutes ausgesetzt. Grund sind die von der chinesischen Regierung am 21. März 2021 verhängten Sanktionen gegen deutsche und europäischer Akademiker.
Die Regierung empfiehlt, “ungeregelten Know-how- oder Technologietransfer” in der Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern zu minimieren. Kooperationen sollten auf Basis informierter Entscheidung eingegangen beziehungsweise fortgesetzt werden. Dazu zählten auch Abwägungen “mit Blick auf mögliche Zusammenhänge zu Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik China.” Die Bundesregierung sieht zudem ein Problem darin, dass China auf einen Nutzen der Kooperationen für das eigene Militär drängt.
Auf die Nachfrage der CDU/CSU-Fraktion, ob ein “Ausbau der Unterstützung für das deutsche Institut Merics” geplant sei, heißt es, Merics spiele eine wichtige Rolle für chinapolitische Diskussionen und den Aufbau unabhängiger China-Kompetenz in Deutschland und Europa. “Die Sanktionsmaßnahmen der chinesischen Regierung gegen Merics und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind inakzeptabel. Die Bundesregierung wird die Zusammenarbeit mit Merics fortsetzen.”
Die CDU/CSU begrüßt Bestrebungen für mehr China-Kompetenz “vor allem angesichts der sich immer deutlicher stellenden Fragen zur Abhängigkeit von der chinesischen Wirtschaft, zur chinesischen Delegitimierung internationaler Organisationen und der regelbasierten internationalen Ordnung und der anhaltend verheerenden Menschenrechtslage in China”. grz
Hongkong ist im Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen weit zurückgefallen. Die Sonderverwaltungszone verlor so viele Plätze wie kein anderes Land und befindet sich nun auf Rang 148 von 180. 2021 lag Hongkong noch auf Platz 80. Grund für den starken Abfall ist das Nationale Sicherheitsgesetz aus Peking und das massive Vorgehen gegen Medienschaffende. “Das ist der größte Niedergang des Jahres, aber aufgrund der anhaltenden Angriffe auf die Pressefreiheit und des langsamen Verschwindens der Rechtsstaatlichkeit in Hongkong völlig verdient”, sagte Cedric Alviani, Leiter des in Taiwan ansässigen Ostasien-Büros von Reporter ohne Grenzen der Nachrichtenagentur AFP. Die Organisation veröffentlicht den Index jährlich zum Tag der Pressefreiheit.
“Im vergangenen Jahr haben wir ein drastisches, drastisches Vorgehen gegen Journalisten erlebt”, fügte er hinzu. Die Datenbank von Reporter ohne Grenzen liste derzeit 13 inhaftierte Medienmitarbeiter aus Hongkong auf. Eine “enorme” Zahl, wie Alviani sagte. Diese mache fast zehn Prozent aller bekannten Inhaftierungen von Journalisten in China aus. Die Volksrepublik wurde von Reporter ohne Grenzen erneut als eines der schwierigsten Länder der Welt für Journalisten eingestuft. China liegt derzeit auf Platz 175 von 180. Dort befinden sich demnach derzeit 76 Medienschaffende sowie 34 Bürgerjournalisten und Blogger im Gefängnis. ari
Mehrere Aktivistengruppen haben eine Verschiebung des Besuchs der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte in China gefordert. Michelle Bachelet begebe sich in ein “Minenfeld der Propaganda” der Kommunistischen Partei Chinas, schrieben die mehr als 200 Organisationen in einem öffentlichen Aufruf. Der offene Brief, der unter anderem von Free Tibet, Hong Kong Watch und der Tibet Initiative Deutschland unterzeichnet wurde, kreidete an, dass Bachelet bisher alle Anfragen abgelehnt habe, sich mit betroffenen Gemeinschaften zu treffen. Zudem seien vonseiten der UN-Hochkommissarin “alle Angebote ignoriert, sich mit Überlebenden aus den uigurischen Lagern, tibetischen ehemaligen politischen Gefangenen oder chinesischen Demokratieaktivisten zu treffen, die mit dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Verbindung stehen”, hieß es in dem Schreiben. Die Organisationen forderten mehr Transparenz über den geplanten China-Besuch und dass Bachelet einem Treffen mit Vertretern der Zivilgesellschaft zusagt. ari
Die USA ziehen einem Medienbericht zufolge scharfe Sanktionen gegen das chinesische Videoüberwachungsunternehmen Hikvision in Betracht. Das US-Finanzministerium denke darüber nach, den weltweit größten Hersteller von Überwachungsgeräten und Gesichtserkennungssoftware auf eine Embargo-Liste zu setzen. Die Eintragung auf der sogenannten Liste der Specially Designated Nationals and Blocked Persons (kurz SDN) würde US-Unternehmen und Bürgern den Handel und Finanztransaktionen mit Hikvision verbieten. Außerdem könnte Vermögen des Unternehmens in den USA eingefroren werden. Das berichtete die Financial Times am Mittwoch unter Berufung auf vier nicht näher genannte Regierungsquellen.
Hikvision wäre der erste chinesische Technologiekonzern auf der SDN-Liste – die Sanktionen wären damit noch weitreichender als die US-Strafmaßnahmen gegen Huawei. Dem Bericht zufolge hat Washington bereits damit begonnen, andere Hauptstädte zu informieren, da Hikvision Kunden in mehr als 180 Ländern hat. Das chinesische Unternehmen erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass die “potenziellen Maßnahmen der US-Regierung” noch geprüft werden müssen.
Hikvision und seine Produkte sind hochgradig umstritten. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, Menschenrechtsverletzungen ermöglicht zu haben, indem es der chinesischen Regierung Kameras verkauft hat, die in Lagern in Xinjiang eingesetzt werden. Die Sanktionen könnten das Verhältnis zwischen Peking und Washington weiter verschlechtern. ari
Seit die chinesische Regierung im Jahr 2014 den Aufbau eines nationalen Sozialkredit-Systems (SKS) angekündigt hat, erregt das Thema international die Gemüter. Im weitesten Sinne ist das SKS ein datenbasiertes und technologiegestütztes Bewertungssystem, das zum einen die finanzielle Verlässlichkeit, zum anderen das allgemeine Sozialverhalten beurteilt. Der Bewertung werden alle natürlichen Personen, staatlichen Einrichtungen sowie Unternehmen unterzogen. Die internationale Aufmerksamkeit fokussiert sich meist auf die Bewertung von individuellem Verhalten nach einem Punktesystem, aus dem Belohnungen und Benachteiligungen abgeleitet werden sollen.
Weniger Beachtung findet der Teil des Systems, der Firmen bewertet. Wie bei individuellem Verhalten zielt das SKS auch hinsichtlich der Firmen darauf ab, regelkonformes Verhalten zu belohnen und regelwidriges Verhalten zu bestrafen. Anders als bei den Individuen erfolgt dies in der Regel nicht über ein Punktesystem, sondern über rote und schwarze Listen, die online abrufbar aufzeigen, wer sich besonders gut verhalten hat und wer besonders schlecht. Um die Verlässlichkeit einzelner Akteure zu bewerten, sammelt das System finanzielle und verhaltensbezogene Daten.
Zum einen wird das Finanz- und Kreditverhalten von Firmen erfasst, um es für eine Bewertung ihrer Kreditwürdigkeit bzw. Bonität heranzuziehen. Dabei fallen vor allem Kreditüberziehung, Veruntreuung und Betrugsverhalten negativ ins Gewicht. In diesem Aspekt gleicht das SKS Kreditbewertungssystemen wie der Schufa oder Equifax.
Auf der anderen Seite werden Daten über (soziales) Verhalten erhoben, um die Firmen zur Einhaltung von Regeln und zum “guten Benehmen” zu “erziehen”. Hier können Regelverstöße wie verspätete Steuerzahlungen oder der Missbrauch von Spenden ebenso zum Malus werden wie die nicht vertragsgetreue Umsetzung von Projekten im Auftrag der Regierung.
Das SKS verfolgt mit Blick auf Firmen ein primäres Ziel. Es soll Chinas wirtschaftliche Entwicklung fördern, indem es durch Transparenz Vertrauen in Geschäftspartner schafft und den chinesischen Markt so attraktiver für Investitionen macht. Dadurch soll es zur Legitimation der KP China beitragen, da diese hauptsächlich auf wirtschaftlichem Erfolg fußt.
Das firmenbezogene SKS betrifft auch ausländische Firmen, also auch die circa 8.000 deutschen Firmen vor Ort und wirkt so indirekt über Chinas Landesgrenzen hinaus. Deutsche Firmen tauchen allerdings bisher selten auf schwarzen Listen auf. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass sich deutsche Firmen in China schon aus Compliance-Gründen veranlasst sehen, Gesetze einzuhalten.
Gleichwohl sorgt das SKS laut Umfragen des AHK Business Confidence Survey 2021 immer wieder für Sorgen und Spekulationen. Denn die konkreten Auswirkungen auf (deutsche) Firmen sind noch schwer absehbar. Auf der einen Seite besteht die Sorge, dass die Regierung das SKS instrumentalisieren könnte, um politische und/oder wirtschaftliche Ziele durchzusetzen. Eng verknüpft mit diesem Punkt ist die Befürchtung, dass es zu gezielter Diskriminierung von ausländischen Firmen durch das SKS kommen könnte. Darüber hinaus erzeugt das SKS zusätzliche Kosten, denn Firmen müssen Partnerfirmen, Zulieferer und Mitarbeitende strategisch auswählen und deren Verhalten kontinuierlich überprüfen, damit das eigene Rating keinen Schaden durch mögliches Fehlverhalten der Partner nimmt. Da das SKS zudem vorsieht, dass das Vergehen von Unternehmen in einem Bereich auch Auswirkungen auf andere Unternehmensbereiche hat (joint rewards and punishment mechanism), kann durch das SKS schnell eine Abwärtsspirale entstehen – dann droht den Firmen der Ruin.
Längerfristig stellt sich die Frage, ob das SKS ein chinesisches Phänomen bleiben wird, weil es nur in China systemische Defizite ausgleichen soll und kann, die in entwickelten Industrieländern mit Rechtsstaatstradition so nicht gegeben sind. Oder wird sich das SKS von China aus global verbreiten? Für letzteres spräche, dass für andere Entwicklungsländer und autoritäre Staaten der Kontroll- und Erziehungscharakter des SKS durchaus attraktiv sein könnte. Und selbst manch ausländische Firma könnte die Transparenz des SKS und daher auch seine Verbreitung in der Welt begrüßen. Die Idee, dass alternative Daten und digitale Bewertungssysteme eine sinnvolle Ergänzung für die Einschätzung von Kreditwürdigkeit von Personen und Firmen sein sollten, ist schon heute nicht nur in China verbreitet. Und nicht zuletzt entstehen bereits diverse digitale Geschäftsmodelle rund um das SKS, die früher oder später auch international auf Nachfrage treffen dürften.
Prof. Dr. Doris Fischer ist Inhaberin des Lehrstuhls China Business and Economics der Julius-Maximilian Universität Würzburg. Lena Wassermann ist Doktorandin am Lehrstuhl China Business and Economics der Julius-Maximilian Universität Würzburg. Die Autorinnen forschen im Rahmen des Forschungsprojekts “Learning from the ‘frontrunner’? A multidisciplinary analysis of the Chinese Social Credit System and its impact on Germany”, das durch das Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt) gefördert wird, zu den Auswirkungen des Sozialkreditsystems auf deutsche Firmen.
Dieser Gastbeitrag erscheint im Kontext der Veranstaltungsreihe Global China Conversations des Kiel Instituts für Weltwirtschaft. Am Donnerstag (28.04.) geht es um das Thema: “Chinas Sozialkreditsystem: Welche Auswirkungen hat es auf deutsche Unternehmen?”. China.Table ist Medienpartner der Veranstaltungsreihe.