Table.Briefing: China

Vorsicht vor Führerstaaten + Wachsender Nationalismus

  • Standpunkt: Über das gefährliche Wesen der chinesischen Diktatur
  • Indizien für Chinas Abschottung nehmen deutlich zu
  • Reise des Menschenrechtsausschusses nach Taiwan genehmigt
  • Kritik an Wirtschaftskonferenz in Frankfurt
  • Neue Beweise für flächendeckende DNA-Tests in Tibet
  • CAC-Kampagne gegen “Online-Gerüchte” und “gefälschte Informationen”
  • Neues Datentransfergesetz in Kraft
  • Verstorbener Gorbatschow als abschreckendes Beispiel für Xi
Liebe Leserin, lieber Leser,

der Begriff Führerstaat dürfte hier und da als provokant wahrgenommen werden, wenn er nicht im Zusammenhang mit dem Dritten Reich verwendet wird, sondern als Beschreibung der Volksrepublik China im Jahr 2022. Die Autoren unseres heutigen Standpunktes, Wolfgang Ischinger, der frühere Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, und Sebastian Turner, Gründer von Table.Media und Herausgeber des China.Table, werden sich dessen bewusst sein. Deswegen stellt sich die Frage, weshalb sie diese Rhetorik verwenden.

Reine Provokation, um größtmögliche Aufregung zu erzeugen, ist als Beweggrund untauglich. Tatsächlich rüttelt die Etikettierung der zweitgrößten Volkswirtschaft als Führerstaat am Glauben derer, die eine positive Werteentwicklung im Land erkennen. All jenen, die eisern daran festhalten wollen, das Gute in den menschenveachtenden Ausprägungen autokratischer Staatsführung zu sehen, soll vermittelt werden, welch gefährliches Wesen die chinesische Diktatur in sich trägt.

Es geht schließlich nicht um ein paar Bürgerrechte, die 1,4 Milliarden Menschen vorenthalten werden. Es geht um das dominierende Politikmodell des 21. Jahrhunderts und vermutlich lange darüber hinaus. Und wer ein aufrichtiges Interesse daran hat, das liberal-demokratische Modell zu verteidigen, der muss sich im Klaren sein, dass Wohlwollen Im Umgang mit bedeutendene Diktatuen der Weltgeschichte noch nie fiunktioniert hat.

Ihr
Marcel Grzanna
Bild von Marcel  Grzanna

Standpunkt

Vorsicht vor Führerstaaten 

Von Wolfgang Ischinger und Sebastian Turner
Wolfgang Ischinger und Sebastian Turner über Russland und China als Führerstaaten und den Umgang mit solchen.

Spione sollen nicht den eigenen Machtapparat verraten. Genau das aber tat der Chef der russischen Auslandsspionage Sergei Naryschkin am 23. Februar, unfreiwillig und unübersehbar. Bei einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates offenbarten seine Antworten nicht nur, wie die Vorwände des russischen Imperialismus wetterwendisch wechseln. Als Wladimir Putin seinen obersten Spion vor der Weltöffentlichkeit demütigte, verriet er: Die Russische Föderation ist ein Führerstaat geworden. Der Alleinherrscher hat absolute Macht. Er wird durch keine Öffentlichkeit, keine Partei, kein Parlament, keine Justiz, kein Kabinett oder auch nur eine Funktionärs- oder Geheimdienstclique kontrolliert – im Gegenteil, er beherrscht sie alle. Einen Tag nach Naryschkins peinlicher Offenbarung erlebte die Welt, wozu Führerstaaten fähig sind: Russland überfällt die Ukraine und tötet seitdem Tausende und terrorisiert Millionen.

Die absolute Macht des Alleinherrschers

Kenner Russlands konnten die Metamorphose von den dysfunktionalen postsowjetischen Jelzin-Jahren zum Putinschen Führerstaat kommen sehen. Natürlich gibt es kein Politbüro mehr, das in der alten UdSSR als Kontrollorgan den Generalsekretär der KPdSU ernannte beziehungsweise absetzte. Duma und Föderationsrat sind Claqueure, die Pressevielfalt ist fast völlig verschwunden. Auch die Wirtschaft ist Untertan, vom Schauprozess gegen Michail Chodorkowski 2005 bis zum plötzlichen Tod von Wirtschaftsvertretern, die den Ukraine-Überfall ablehnen. Auch Putins aggressive Absage an die demokratische Welt bei seinem historischen Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 wurde weder in Washington noch in Brüssel oder Berlin hinreichend ernst genommen.

Wer von der absteigenden Weltmacht Russland auf die aufsteigende Weltmacht China blickt, wird beunruhigende Ähnlichkeiten feststellen. Der starke Mann Chinas Xi Jinping hat nahezu alle Gegenkräfte in seinem Einparteienstaat beseitigt, um sich auf dem nächsten Parteikongress ab dem 16. Oktober auf Lebenszeit wählen lassen zu können. Mehrfach wechselte er die Geheimdienstspitzen aus, das Militär hat er fest in der Hand. Er regiert persönlich in alle Organisationen von Staat, Partei und Gesellschaft hinein. Wer ihm widerspricht, landet in den Verhörkellern der Zentralen Disziplinarkommission. Auch die Wirtschaft ist an der kurzen Leine, vom Hausarrest von Jack Ma bis zu Gesetzen, die das Datensammeln zum staatlichen Monopol machen. Hierin übertrifft Xi seinen Verbündeten Putin bei Weitem. Mit Sozialpunkten und Gesichtserkennung hat Xi totalitäre Macht über jeden: Bürger, Institutionen und Hierarchien.

Xis totalitäre Kontrolle

Man muss Führerstaaten fürchten, weil selbst die originärsten Interessen des Landes von persönlichen Prioritäten, Visionen, Launen und Krankheiten der Nr. 1 überlagert werden können. Die Ja-Sager schaffen für den Alleinherrscher zudem eine Scheinrealität, sodass er trotz langjähriger politischer Erfahrung irrational entscheiden kann – und niemand wird ihn aufhalten.

Schon immer gab es Alleinherrscher, die ein gesamtes Gemeinwesen unterjochen konnten. Atommächte als Ein-Führerstaaten sind aber eine neue geostrategische Herausforderung, auf die sich die Welt einstellen muss. Sie stellen gerade für Demokratien eine neue Risikoklasse dar und sollten deshalb auch so eingestuft und behandelt werden.

Deutschland vertraute auf “Wandel durch Handel” – von der Montanunion über die Ostpolitik bis zum aktuellen Umgang mit dem China Xi Jinpings. Durch wechselseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten politische Risiken zu reduzieren, hat sich bei Führerstaaten aber als völlig untauglich erwiesen. Gegenüber einem Führerstaat ist jede Form der Abhängigkeit prinzipiell kontraproduktiv – sie kann den Alleinherrscher sogar zu unkalkulierbarem Verhalten verführen und so strategische Verwundbarkeiten noch verstärken. Entsprechend sollten G7 und EU, angelehnt an Bonitätsratings, Länder danach einstufen, ob sie sich der Staatsform Führerstaat annähern. Mit jedem Schritt zur Alleinherrschaft sollten Maßnahmen ergriffen werden, um strategische Verwundbarkeiten zu reduzieren und das Kalkül des Alleinherrschers zu beeinflussen.

Glaubwürdige Abschreckung gegenüber Führerstaaten

Aus dem russischen Angriff auf die Ukraine und aus der Wirkung der aktuellen Sanktionen gegen Russland – sie verändern das strategische Verhalten der anderen Seite allenfalls mittel- und langfristig und schaden allen –  können wir lernen.

Gegenüber Führerstaaten müssen wir statt auf Bestrafung ex post auf Prävention durch glaubwürdige Abschreckung setzen. Zu Recht schaltet die Nato jetzt in den baltischen Staaten um: Man denkt nicht mehr in Kategorien einer möglichen Rückeroberung von besetztem Territorium, sondern man stellt sich von vornherein militärisch so auf, dass niemand in Moskau mehr auf die Idee kommen kann, Angriffspläne umzusetzen. Ähnliche Fragen stellen sich jetzt im Hinblick auf Taiwan – eine mögliche Zerreißprobe für die Demokratien!

Demokratien brauchen Unabhängigkeit von Führerstaaten und eine glaubwürdige Abschreckung. Konsequenzen müssen vorher angekündigt werden, wie bei der Nachrüstung in den 1980er-Jahren, damit sie idealerweise gar nicht erst angewandt werden müssen. Glaubwürdig sind sie aber nur, wenn die Demokratien wirklich dahinter stehen. Dazu müssen sie wissen, dass sie es mit besonders gefährlichen Ländern zu tun haben – den Führerstaaten.

Wolfgang Ischinger ist Präsident des Stiftungsrats der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz.
Sebastian Turner ist Gründer von Table.Media und Herausgeber des China.Table.

  • Geopolitik
  • Handel
  • Russland
  • Wladimir Putin
  • Xi Jinping

Analyse

Rückkehr zur Abschottung

Die Chinesische Akademie für Historische Forschung (CAHR) sorgte Ende August für eine Kontroverse. Sie verbreitete einen Beitrag über soziale Medien, der sich mit der Außenpolitik der Ming- und Qing-Dynastien beschäftigte. Damals hatten die chinesischen Kaiser ihrem Reich über Jahrhunderte eine politische, wirtschaftliche und kulturelle Distanz zum Ausland verordnet, die China das Attribut eines “geschlossenen Landes” bescherte.

Den Lesern wurde die Parallele zum Jahr 2022 – mehr als 100 Jahre nach dem Ende der Qing-Dynastie – unverzüglich klar. Massive Reise-Beschränkungen ohne Perspektive auf baldige Veränderung halten Chinas Bevölkerung seit mehr als zweieinhalb Jahren faktisch im eigenen Land gefangen. Der Aufbau des sogenannten dualen Wirtschaftskreislaufes ist im vollen Gange und soll Abhängigkeiten aus dem Ausland langfristig auf ein absolutes Minimum reduzieren.

Gelistete Firmen kehren von ausländischen Börsen – mehr oder weniger freiwillig – an chinesische Finanzplätze zurück, weil chinesische Regulierer Druck machen. Besonders die Tech-Industrie will Peking von der Option fernhalten, in den Schwitzkasten ausländischen Kapitals zu geraten. Die Regierung verschärfte zudem im vergangenen Jahr die Lokalisierungsquoten für staatliche Unternehmen. Bei öffentlichen Ausschreibungen müssen die Bewerber mehr Komponenten vorweisen, die zu 100 Prozent aus China stammen: “Buy Chinese” als Order an die eigene Wirtschaft.

CAHR spricht von Selbstbeschränkung statt Abschottung

Die CAHR-Autoren des Beitrags mit dem Titel “Eine neue Untersuchung zum Sachverhalt des ‘geschlossenen Landes’” argumentieren, dass die einstige Distanzierung des Kaiserreichs eine Notwendigkeit gewesen sei, um die territoriale und kulturelle Sicherheit Chinas aufrechtzuerhalten. Statt “Abschottung” bezeichneten sie die Politik als “Selbstbeschränkung”.

Die Reaktionen von Leserinnen und Lesern fielen zum Teil sehr kritisch aus und veranlassten die Zensoren, in die Debatte einzugreifen, berichtet die chinesischsprachige Tageszeitung Lianhe Zaobao aus Singapur. Manche Kommentatoren warfen den Historikern vor, als “Propagandaorgan der Regierung” den Trend der Gegenwart historisch zu rechtfertigen.

Tatsächlich kommt die moderne Form der “Selbstbeschränkung” vielen Chinesen eher als Abschottung vor. Über ein privates WeChat-Konto antwortete ein Nutzer mit einem eigenen Essay auf den Beitrag. Der Kernpunkt der Kritik: Es gehe nicht um die nationale Sicherheit, so wie es auch die Ming- und Qing-Kaiser propagierten, sondern um die Angst der Herrschenden vor dem Machtverlust. “Jeder mit ein wenig gesundem Menschenverstand kann den Unterschied erkennen”, schrieb der Autor. Innerhalb eines Tages wurde das Stück 100.000 Mal gelesen, ehe die Zensoren einschritten und den Text aus dem digitalen Raum verbannten.

Die allein regierende Kommunistische Partei weist den Vorwurf des Decoupling kategorisch zurück. China, so die offizielle Linie, befinde sich in einem ständigen Prozess der Öffnung gegenüber dem Ausland. In Wahrheit aber konterkariert Pekings Politik diese Behauptung. Vorgaben an Wirtschaft und Industrie sind nur die eine Seite der Medaille. Die massiven Eingriffe in das Bildungsangebot für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die gerne besser Englisch lernen wollen, bedeuten gleichermaßen eine Kehrtwende.

“Chinas großer Sprung nach hinten”

Im vergangenen Jahr hatten ausgerechnet die Behörden in Shanghai, Chinas internationalster Metropole, das Ende von Englisch-Examen in örtlichen Grundschulen beschlossen. Neu in den Lehrplan der Jüngsten aufgenommen wurden stattdessen “Xi Jinpings Gedanken zum Sozialismus mit chinesischen Merkmalen für eine neue Ära” – ein Buch mit den intellektuellen Ergüssen des Staatschefs, das durch seine vehemente internationale Vermarktung an den Hype um die Mao-Bibel in den 1960er- und 1970er-Jahren erinnert.

Es folgte zudem die landesweite Beendigung Tausender privater Bildungsangebote, die den Menschen im Land jahrzehntelang die Möglichkeit geboten hatten, sich außerhalb des staatlichen Bildungssystems Fremdsprachen – allen voran Englisch – anzueignen. Zynisch kommentierten manche Menschen in Land die Offensive als “Chinas großen Sprung nach hinten”. Zumal breite Englischkenntnisse der Bevölkerung noch zu Beginn des Jahrhunderts von der Staatsführung als einer der Schlüssel zu Chinas wirtschaftlichem Aufstieg propagiert wurde.

“Was wir zurzeit erleben, ist eine ideologische Radikalisierung des Landes auf Kosten seiner wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Öffnung“, sagt die Berliner Journalistin und Autorin Qin Liwen, die sich in ihrer Arbeit mit Chinas politischer Entwicklung beschäftigt. “Ein gewollter Nebeneffekt dieser Politik ist auch ein stetig wachsender Nationalismus im Land”, sagt sie.

Die Ausprägungen sind teilweise radikal, wie kürzlich das Beispiel einer Schule in Liupanshui in der Provinz Guizhou offenbarte. Im Rahmen eines schulischen Militärtrainings zur nationalen Verteidigung skandierten die Teenager: “Töten, töten, töten.” Gleichzeitig gelobten sie im Chor, jeden umzubringen, der es wagte, die Kommunistische Partei herauszufordern, ganz gleich, wo sich der- oder diejenige auf der Welt aufhalte.

Viele Ausländer verlassen das Land

Aufsehen erregte auch die Festnahme einer Chinesin in Suzhou, die für ein Fotoshooting einen japanischen Kimono getragen hatte und deswegen stundenlang verhört wurde. Später stellten die Behörden fest, dass jeder tragen könne, was er wolle, empfahlen aber, sensibel bei der Auswahl von Kleidung zu sein, um Dritte nicht zu provozieren.

Ausländer erfahren zunehmend Ablehnung, wenn sie in Hotels außerhalb der Metropolen einchecken wollen. Andere berichten, dass sie in den vergangenen Jahren regelmäßig in Diskussionen über die Haltung des Westens gegenüber der Volksrepublik verstrickt würden, die sie weder anzetteln, geschweige denn führen wollen. Der wachsende Nationalismus paart sich mit der rigorosen Null-Covid-Politik und veranlasst viele Ausländer, das Land zu verlassen.

“Nationalismus gibt es natürlich auch in anderen Länder”, sagt Publizistin Qin. “In einer Diktatur aber fehlt dazu das gesellschaftliche Gegengewicht. Solange der Nationalismus die chinesische Führung stützt, wird sie ihn fördern und besänftigende Stimmen abschneiden. In einem solchen Klima multipliziert sich Nationalismus viel schneller, weil er öffentlich nicht ausbalanciert wird.”

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News

Deutsche Abgeordnete reisen im Oktober nach Taiwan

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat den Reiseantrag des Menschenrechtsausschusses des Bundestags für dessen Besuch in Taiwan genehmigt. Geplant ist der Besuch des Inselstaates im Oktober. Das bestätigte die Ausschuss-Vorsitzende Renata Alt (FDP) im Gespräch mit China.Table.

Die Reise war bereits für das Jahr 2019 vorgesehen, habe dann aber verschoben werden müssen und sei wegen der Corona-Pandemie seitdem nicht zustandegekommen. Der Menschenrechtsausschuss will während der Reise zudem in Japan Halt machen. Entgegen anderweitiger Meldungen sei ein Besuch in Hongkong nicht beantragt worden, so Alt.

“Auf Drängen der CDU/CSU-Fraktion hat sich der Ausschuss darauf geeinigt, die lange aufgeschobene Reise nach Taiwan im Herbst nachzuholen. Sie ist jedoch nicht durch die Reise von Nancy Pelosi motiviert“, sagte Alt. Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses hatte mit ihrem Besuch Anfang August in Taipeh ein Signal an die Volksrepublik China gesendet, dass die USA Taiwan gegen die militärische Bedrohung durch die Volksrepublik unterstützen wolle.

Bereits am Dienstag reisen Ausschuss-Mitglieder aller Fraktionen nach Genf, wo der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zu seiner 51. Sitzung zusammenkommt. Der Ausschuss ist lediglich als Gast akkreditiert, will aber die Zeit vor Ort für zahlreiche Gespräche mit Nichtregierungsorganisationen nutzen.

Zum Abschluss der Reise wollen die deutschen Politiker am kommenden Freitag das Hauptquartier des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Lausanne besuchen. Der Ausschuss ist an einer Aufarbeitung der Vergabe der Winterspiele an die Volksrepublik China interessiert. “Wir wollen anregen, dass die menschenrechtlichen Standards zum Erhalt von Olympischen Spielen erhöht werden”, sagte Alt. Zu einem Treffen mit IOC-Präsident Thomas Bach wird es allerdings nicht kommen, weil der sich zu diesem Zeitpunkt im Ausland befindet, wie ein Sprecher mitteilt.

Thematisieren wolle man auch den Fall der Tennisspielerin Peng Shuai, die nach ihren Missbrauchsvorwürfen gegen einen hochrangigen Funktionär der Kommunistischen Partei nur noch unter Aufsicht in der Öffentlichkeit aufgetreten ist. Zu dem angekündigter Besuch Pengs in Lausanne für diesen Sommer ist es nicht gekommen. grz

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Tibet-Lobby empört über China-Konferenz in Frankfurt

Vor dem Hintergrund internationaler Kritik an Chinas Vorgehen in Xinjiang fand in Frankfurt die 9. Deutsch-Chinesische Wirtschaftskonferenz statt. Unter anderem trafen dort die ehemaligen Bundesminister Rudolf Scharping, Hans-Peter Friedrich und Sigmar Gabriel auf Vertreter des China Economic Coorporation Center (CECC), eine Institution, die dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei angeschlossen ist.

Empörung löste die Veranstaltung bei der International Campaign for Tibet (ICT) aus. “Absolut unangemessen ist, angesichts der mittlerweile auch von den Vereinten Nationen vielfach belegten Menschenrechts-Verbrechen an den Uiguren und den Tibetern, der Demokratieabwicklung in Hongkong und der Verfolgung von chinesischen Menschenrechtlern, mit denen über Wirtschaftskooperationen zu reden, die für diese Verbrechen verantwortlich sind“, sagte ITC-Geschäftsführer Kai Müller.

Er sieht in solchen Veranstaltungen die Bemühungen konterkariert, die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von der Volksrepublik China zu verringern. Organisiert wurde die Konferenz von der Rudolf Scharping Strategie Beratung Kommunikation AG (RSBK) und dem CECC des Zentralkomitees. Der CEEC erfüllt als Unterorganisation des ZK wichtige Lobbyarbeit, um auf politische und wirtschaftliche Eliten in ausländischen Staaten Einfluss zu nehmen.

Die ICT zeigte sich insbesondere enttäuscht von der Teilnahme des früheren Außenministers Sigmar Gabriel, der auch Vorsitzender der Atlantik-Brücke ist, die wiederum eine Vertiefung deutsch-amerikanischer Wirtschaftsbeziehungen anstrebt. Der frühere Innenminister Friedrich ist seinerseits Vorsitzender der “China-Brücke”, einem Dialogforum, dem große Nähe zum chinesischen Staat nachgesagt wird. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik bezeichnet sie als “klassisches Einfluss- und Interventionsinstrument der KP”.

Vorvergangenen Mittwoch hatte das UN-Kommissariat für Menschenrechte “ernste Menschenrechtsverletzungen” in Xinjiang dokumentiert, die den Tatbestand von “Verbrechen gegen die Menschlichkeit” darstellen können (China.Table berichtete). Im August hatte UN-Sonderberichterstatter Tomoya Obokata auf “Formen von Sklaverei” hingewiesen und dabei explizit auch von Tibet gesprochen. grz

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Human Rights Watch: DNA-Massentests in Tibet

Human Rights Watch (HRW) hat am Montag neue Beweise für flächendeckende DNA-Tests in Tibet vorgelegt. Die Menschenrechtsorganisation veröffentlichte einen Bericht, in dem sie zahlreiche Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit dokumentiert, wo den Bewohnern ganzer Dörfer ohne deren explizites Einverständnis Blut abgenommen wurde. In einem Fall sei das auch bei Kindergartenkindern ohne Wissen der Eltern geschehen.

“Die chinesische Regierung unterwirft die Tibeter bereits einer umfassenden Unterdrückung”, sagte Sophie Richardson, China-Direktorin bei Human Rights Watch. “Jetzt nehmen die Behörden buchstäblich ohne Zustimmung Blut ab, um ihre Überwachungsmöglichkeiten zu verstärken.”

HRW liegen Berichte aus 14 verschiedenen Orten der autonomen Region Tibet vor. In einem Polizeibericht aus dem Landkreis Lhokka heißt es: “Kein Dorf einer Stadtverwaltung darf ausgelassen werden. Kein Haushalt eines Dorfes darf ausgelassen werden. Keine Person eines Haushalts darf ausgelassen werden.” HRW sagt, es habe keine Belege gefunden, dass Tibeter eine DNA-Probe ablehnen könnten, selbst wenn sie keinerlei polizeiliche Vermerke vorwiesen.

Die Menschenrechtsorganisation wirft der chinesischen Regierung vor, DNA-Datenbanken anzulegen, in der jeder Bewohner der Region erfasst und zweifelsfrei an seinem Erbmaterial identifiziert werden kann. Die Datenbank soll Teil eines umfangreichen Überwachungs-Programms sein, das Erbgut, Aufenthaltsorte und politische Gesinnungen jedes Tibeters verzeichnet. grz

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Vorsitzender von Journalismus-Gewerkschaft in Hongkong festgenommen

In Hongkong ist der Vorsitzende der Journalisten-Gewerkschaft, Ronson Chan, festgenommen worden. Chan, Vorsitzender der Journalisten-Gewerkschaft Hong Kong Journalists Association (HKJA), sei wegen angeblicher Störung der öffentlichen Ordnung und Widerstands gegen einen Polizeibeamten in Gewahrsam genommen worden, berichtete Bloomberg. Chans Arbeitgeber, die Online-Nachrichtenplattform Channel C, teilte demnach mit, der Journalist sei von Polizeibeamten abgeführt worden, während er über ein Treffen von Eigentümern von Sozialwohnungen berichtet habe.

Die Polizei bestätigte in einer offiziellen Mitteilung, dass ein 41-Jähriger namens Chan festgenommen wurde. Dieser habe sich geweigert, Beamten seinen Ausweis zu zeigen. Zudem habe er sich trotz mehrfacher Ermahnungen “unkooperativ” verhalten. Der Journalist wollte in nur wenigen Wochen Hongkong verlassen, um ab Oktober mit einem Halbjahresstipendium am Reuters Institute an der britischen Oxford-Universität zu studieren.

Ebenfalls am Mittwoch wurden in Hongkong fünf Logopäden wegen Volksverhetzung verurteilt. Ihnen drohen bis zu zwei Jahre Haft. Die Sprachtherapeuten-Gruppe hatte 2020 und 2021 Bücher veröffentlicht, in deren Geschichten Schafe ihr Dorf vor Wölfen verteidigen. Die Staatsanwälte argumentierten, die Geschichten seien Allegorien, die darauf hinausliefen, Kinder zu “indoktrinieren”, um Separatismus und Hass auf Peking zu unterstützen. ari

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Vor Parteikongress: Cyber-Behörde plant strengere Überwachung

Chinas Cyberspace-Aufsichtsbehörde hat eine dreimonatige Kampagne ins Leben gerufen, die vor dem Parteitag der KP China im Oktober gegen “Fake News” im Internet vorgehen soll. Die Kampagne der Cyberspace Administration of China (CAC) richtet sich demnach gegen “Online-Gerüchte und gefälschte Informationen über große Treffen, wichtige Ereignisse und politische Maßnahmen”, heißt es in einer Erklärung. Verstöße sollten “schnell und streng” geahndet werden. Das Strafmaß bei Zuwiderhandlung wurden nicht bekanntgegeben.

Die Maßnahme soll auch “Gerüchten” über Arbeitssicherheit, Verkehr, Naturkatastrophen sowie falschen Informationen über die Gesellschaft, die Wirtschaft, Epidemien sowie die Verleumdung von Chinas “Helden und Märtyrern” unterbinden, heißt es in einem Bericht von Reuters. Die Online-Plattformen wurden aufgefordert, Konten, die solche Inhalte veröffentlichen, auf eine schwarze Liste zu setzen.

Es wird allgemein erwartet, dass Xi Jinping sich am 16. Oktober eine dritte Amtszeit sichern wird (China.Table berichtete). Die Herausforderungen im Land sind jedoch groß, von hoher Arbeitslosigkeit über ein schwächelndes Wirtschaftswachstum bis hin zum Unmut über die strenge Zero-Covid-Politik der Regierung. rtr/fpe

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Neues Datentransfer-Gesetz in Kraft

Am vergangenen Donnerstag ist Chinas neues Datentransfergesetz in Kraft getreten. Das hat die zuständige Cyberspace Administration of China (CAC) auf ihrer Webseite bekannt gegeben. Aller Voraussicht wird das Gesetz zum grenzüberschreitenden Datentransfer dazu führen, dass ausländische Unternehmen ihre Daten vermehrt in China speichern. Bislang verlangen die Behörden der CAC von allen betroffenen Unternehmen, dass sie eine Reihe von Unterlagen ausfüllen und der Internet-Aufsichtsbehörde des Landes zur Überprüfung vorlegen, wie die South China Morning Post berichtet.

Zu den von der CAC geforderten Dokumenten gehört ein Selbstbewertungsbericht, der detaillierte Informationen über das Unternehmen, das Daten exportieren möchte, den Empfänger im Ausland und den Umgang mit den Daten enthält. Sobald die Dokumentation abgeschlossen ist, führt die Internetregulierungsbehörde eine Sicherheitsüberprüfung durch, die bis zu 45 Arbeitstage dauern kann.

Zuletzt hatten sich einige internationale Apps und Online-Dienste aus dem chinesischen Markt zurückgezogen. Grund war vor allem die Sorge um Chinas neue Digitalstrategie und die damit verbundenen finanziellen und bürokratischen Herausforderungen (China.Table berichtete). Für viele kleine und mittelständische Unternehmen lohnt sich der Mehraufwand demnach nicht mehr. niw

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Heads

Michail Gorbatschow – “Abschreckendes Beispiel” für Xi

Michail Gorbatschow - in China wurde sein Tod vor allem mit Häme kommentiert.

In China ist die Anteilnahme an Michail Gorbatschows Tod äußerst verhalten. Mehr noch: Das Ableben des 93-Jährigen wird mit einer gehörigen Portion Häme und Schadenfreude kommentiert. Gorbatschow verdiene lediglich “Verachtung”, schreibt der Kommentator Li Wuwei an seine immerhin knapp 900.000 Follower auf Weibo: Er war ein lahmer, inkompetenter, feiger Politiker”, der für China als “abschreckendes Beispiel” dient. Man könne ihn für diese Lehre nur “danken”. Lis zynische Botschaft an den ehemaligen sowjetischen Präsidenten lautet: “Gute Reise!”   

Ex-Global-Times-Chef Hu Xijin bezeichnet Gorbatschow auf seinem Twitter-Account als “einen der umstrittensten Staatsführer der Welt”: Er habe im Westen große Anerkennung erlangt, indem “er die Interessen seines Heimatlandes verkaufte”. Zudem sei er dafür verantwortlich, dass auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion – darunter Tschetschenien, Georgien und Ukraine – weiterhin “Kriege ausbrechen”.

Jiang Zemin und Gorbatschow 1991 nach der Unterzeichnung eines gemeinsamen Grenzabkommens - Gorbatschows Tod wurde in China mit Häme kommentiert.
Jiang Zemin und Gorbatschow 1991 nach der Unterzeichnung eines gemeinsamen Grenzabkommens

Von “historischer Sünder” über “Verräter” bis hin zu “Mörder der kommunistischen Partei”: Das chinesische Netz ist gefüllt mit negativen Superlativen über den ehemaligen sowjetischen Führer. Doch Fakt ist: Kaum ein Staatsapparat hat die Causa Gorbatschow derart sorgfältig studiert wie die Parteikader der Volksrepublik.   

Insbesondere Staatschef Xi Jinping wurde vom Niedergang der Sowjetunion geradezu traumatisiert. Zu Beginn des Jahres 2013, nur kurz nach seinem Amtsantritt, sprach der heute 69-Jährige in einer internen Rede darüber, dass er “historischen Nihilismus” und “ideologische Verwirrung” für den Fall der Sowjetunion verantwortlich machte, wie inzwischen bekannt wurde. Die KPdSU habe es versäumt, ihre Führer Lenin und Stalin in Ehren zu halten. Schuld daran war Gorbatschow, der westliche Demokratie-Reformen ins Land brachte.

Xi schwor sich damals, jene “Fehler” nicht zu wiederholen – und zog bereits in den ersten Jahren als Staatschef die ideologischen Zügel so sehr an wie seit der Herrschaft von Staatsgründer Mao Zedong nicht mehr. Seine Parteikader verdonnerte er zudem dazu, den Untergang der Sowjetunion – als abschreckendes Beispiel – genauestens zu studieren.

Gorbatschow 1989 in Peking, China mit Deng Xiaoping und Ehefrau Raissa Gorbatschowa
Gorbatschow 1989 in Peking mit Deng Xiaoping und Ehefrau Raissa Gorbatschowa

Doch für Chinas einst lebendige Zivilgesellschaft war Gorbatschow ganz im Gegenteil ein regelrechter Hoffnungsschimmer. Als der Russe im Mai 1989 nach Peking reiste, demonstrierten dort die Studenten am Tiananmen-Platz gerade gegen Korruption und für mehr politische Mitbestimmung. Damals sagte der Staatsgast in einer bemerkenswerten Rede: “Wirtschaftliche Reformen werden nicht funktionieren, solange sie nicht von einer radikalen Transformation des politischen Systems unterstützt werden”.

Doch Chinas Staatsführung unter Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping entschied sich bekanntermaßen für einen anderen Weg: Die Protestbewegung wurde mit Panzern und Soldaten blutig niedergeschlagen. Dementsprechend knapp fiel am Mittwoch die offizielle Reaktion des Pekinger Außenministeriums aus. Gorbatschow habe einen “positiven Beitrag zur Normalisierung der Beziehungen zwischen China und der Sowjetunion geleistet”, ließ Sprecher Zhao Lijian nüchtern ausrichten: “Wir sprechen seiner Familie unser Beileid zu seinem krankheitsbedingten Tod aus”. Fabian Kretschmer

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China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    • Standpunkt: Über das gefährliche Wesen der chinesischen Diktatur
    • Indizien für Chinas Abschottung nehmen deutlich zu
    • Reise des Menschenrechtsausschusses nach Taiwan genehmigt
    • Kritik an Wirtschaftskonferenz in Frankfurt
    • Neue Beweise für flächendeckende DNA-Tests in Tibet
    • CAC-Kampagne gegen “Online-Gerüchte” und “gefälschte Informationen”
    • Neues Datentransfergesetz in Kraft
    • Verstorbener Gorbatschow als abschreckendes Beispiel für Xi
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    der Begriff Führerstaat dürfte hier und da als provokant wahrgenommen werden, wenn er nicht im Zusammenhang mit dem Dritten Reich verwendet wird, sondern als Beschreibung der Volksrepublik China im Jahr 2022. Die Autoren unseres heutigen Standpunktes, Wolfgang Ischinger, der frühere Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, und Sebastian Turner, Gründer von Table.Media und Herausgeber des China.Table, werden sich dessen bewusst sein. Deswegen stellt sich die Frage, weshalb sie diese Rhetorik verwenden.

    Reine Provokation, um größtmögliche Aufregung zu erzeugen, ist als Beweggrund untauglich. Tatsächlich rüttelt die Etikettierung der zweitgrößten Volkswirtschaft als Führerstaat am Glauben derer, die eine positive Werteentwicklung im Land erkennen. All jenen, die eisern daran festhalten wollen, das Gute in den menschenveachtenden Ausprägungen autokratischer Staatsführung zu sehen, soll vermittelt werden, welch gefährliches Wesen die chinesische Diktatur in sich trägt.

    Es geht schließlich nicht um ein paar Bürgerrechte, die 1,4 Milliarden Menschen vorenthalten werden. Es geht um das dominierende Politikmodell des 21. Jahrhunderts und vermutlich lange darüber hinaus. Und wer ein aufrichtiges Interesse daran hat, das liberal-demokratische Modell zu verteidigen, der muss sich im Klaren sein, dass Wohlwollen Im Umgang mit bedeutendene Diktatuen der Weltgeschichte noch nie fiunktioniert hat.

    Ihr
    Marcel Grzanna
    Bild von Marcel  Grzanna

    Standpunkt

    Vorsicht vor Führerstaaten 

    Von Wolfgang Ischinger und Sebastian Turner
    Wolfgang Ischinger und Sebastian Turner über Russland und China als Führerstaaten und den Umgang mit solchen.

    Spione sollen nicht den eigenen Machtapparat verraten. Genau das aber tat der Chef der russischen Auslandsspionage Sergei Naryschkin am 23. Februar, unfreiwillig und unübersehbar. Bei einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates offenbarten seine Antworten nicht nur, wie die Vorwände des russischen Imperialismus wetterwendisch wechseln. Als Wladimir Putin seinen obersten Spion vor der Weltöffentlichkeit demütigte, verriet er: Die Russische Föderation ist ein Führerstaat geworden. Der Alleinherrscher hat absolute Macht. Er wird durch keine Öffentlichkeit, keine Partei, kein Parlament, keine Justiz, kein Kabinett oder auch nur eine Funktionärs- oder Geheimdienstclique kontrolliert – im Gegenteil, er beherrscht sie alle. Einen Tag nach Naryschkins peinlicher Offenbarung erlebte die Welt, wozu Führerstaaten fähig sind: Russland überfällt die Ukraine und tötet seitdem Tausende und terrorisiert Millionen.

    Die absolute Macht des Alleinherrschers

    Kenner Russlands konnten die Metamorphose von den dysfunktionalen postsowjetischen Jelzin-Jahren zum Putinschen Führerstaat kommen sehen. Natürlich gibt es kein Politbüro mehr, das in der alten UdSSR als Kontrollorgan den Generalsekretär der KPdSU ernannte beziehungsweise absetzte. Duma und Föderationsrat sind Claqueure, die Pressevielfalt ist fast völlig verschwunden. Auch die Wirtschaft ist Untertan, vom Schauprozess gegen Michail Chodorkowski 2005 bis zum plötzlichen Tod von Wirtschaftsvertretern, die den Ukraine-Überfall ablehnen. Auch Putins aggressive Absage an die demokratische Welt bei seinem historischen Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 wurde weder in Washington noch in Brüssel oder Berlin hinreichend ernst genommen.

    Wer von der absteigenden Weltmacht Russland auf die aufsteigende Weltmacht China blickt, wird beunruhigende Ähnlichkeiten feststellen. Der starke Mann Chinas Xi Jinping hat nahezu alle Gegenkräfte in seinem Einparteienstaat beseitigt, um sich auf dem nächsten Parteikongress ab dem 16. Oktober auf Lebenszeit wählen lassen zu können. Mehrfach wechselte er die Geheimdienstspitzen aus, das Militär hat er fest in der Hand. Er regiert persönlich in alle Organisationen von Staat, Partei und Gesellschaft hinein. Wer ihm widerspricht, landet in den Verhörkellern der Zentralen Disziplinarkommission. Auch die Wirtschaft ist an der kurzen Leine, vom Hausarrest von Jack Ma bis zu Gesetzen, die das Datensammeln zum staatlichen Monopol machen. Hierin übertrifft Xi seinen Verbündeten Putin bei Weitem. Mit Sozialpunkten und Gesichtserkennung hat Xi totalitäre Macht über jeden: Bürger, Institutionen und Hierarchien.

    Xis totalitäre Kontrolle

    Man muss Führerstaaten fürchten, weil selbst die originärsten Interessen des Landes von persönlichen Prioritäten, Visionen, Launen und Krankheiten der Nr. 1 überlagert werden können. Die Ja-Sager schaffen für den Alleinherrscher zudem eine Scheinrealität, sodass er trotz langjähriger politischer Erfahrung irrational entscheiden kann – und niemand wird ihn aufhalten.

    Schon immer gab es Alleinherrscher, die ein gesamtes Gemeinwesen unterjochen konnten. Atommächte als Ein-Führerstaaten sind aber eine neue geostrategische Herausforderung, auf die sich die Welt einstellen muss. Sie stellen gerade für Demokratien eine neue Risikoklasse dar und sollten deshalb auch so eingestuft und behandelt werden.

    Deutschland vertraute auf “Wandel durch Handel” – von der Montanunion über die Ostpolitik bis zum aktuellen Umgang mit dem China Xi Jinpings. Durch wechselseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten politische Risiken zu reduzieren, hat sich bei Führerstaaten aber als völlig untauglich erwiesen. Gegenüber einem Führerstaat ist jede Form der Abhängigkeit prinzipiell kontraproduktiv – sie kann den Alleinherrscher sogar zu unkalkulierbarem Verhalten verführen und so strategische Verwundbarkeiten noch verstärken. Entsprechend sollten G7 und EU, angelehnt an Bonitätsratings, Länder danach einstufen, ob sie sich der Staatsform Führerstaat annähern. Mit jedem Schritt zur Alleinherrschaft sollten Maßnahmen ergriffen werden, um strategische Verwundbarkeiten zu reduzieren und das Kalkül des Alleinherrschers zu beeinflussen.

    Glaubwürdige Abschreckung gegenüber Führerstaaten

    Aus dem russischen Angriff auf die Ukraine und aus der Wirkung der aktuellen Sanktionen gegen Russland – sie verändern das strategische Verhalten der anderen Seite allenfalls mittel- und langfristig und schaden allen –  können wir lernen.

    Gegenüber Führerstaaten müssen wir statt auf Bestrafung ex post auf Prävention durch glaubwürdige Abschreckung setzen. Zu Recht schaltet die Nato jetzt in den baltischen Staaten um: Man denkt nicht mehr in Kategorien einer möglichen Rückeroberung von besetztem Territorium, sondern man stellt sich von vornherein militärisch so auf, dass niemand in Moskau mehr auf die Idee kommen kann, Angriffspläne umzusetzen. Ähnliche Fragen stellen sich jetzt im Hinblick auf Taiwan – eine mögliche Zerreißprobe für die Demokratien!

    Demokratien brauchen Unabhängigkeit von Führerstaaten und eine glaubwürdige Abschreckung. Konsequenzen müssen vorher angekündigt werden, wie bei der Nachrüstung in den 1980er-Jahren, damit sie idealerweise gar nicht erst angewandt werden müssen. Glaubwürdig sind sie aber nur, wenn die Demokratien wirklich dahinter stehen. Dazu müssen sie wissen, dass sie es mit besonders gefährlichen Ländern zu tun haben – den Führerstaaten.

    Wolfgang Ischinger ist Präsident des Stiftungsrats der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz.
    Sebastian Turner ist Gründer von Table.Media und Herausgeber des China.Table.

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    Analyse

    Rückkehr zur Abschottung

    Die Chinesische Akademie für Historische Forschung (CAHR) sorgte Ende August für eine Kontroverse. Sie verbreitete einen Beitrag über soziale Medien, der sich mit der Außenpolitik der Ming- und Qing-Dynastien beschäftigte. Damals hatten die chinesischen Kaiser ihrem Reich über Jahrhunderte eine politische, wirtschaftliche und kulturelle Distanz zum Ausland verordnet, die China das Attribut eines “geschlossenen Landes” bescherte.

    Den Lesern wurde die Parallele zum Jahr 2022 – mehr als 100 Jahre nach dem Ende der Qing-Dynastie – unverzüglich klar. Massive Reise-Beschränkungen ohne Perspektive auf baldige Veränderung halten Chinas Bevölkerung seit mehr als zweieinhalb Jahren faktisch im eigenen Land gefangen. Der Aufbau des sogenannten dualen Wirtschaftskreislaufes ist im vollen Gange und soll Abhängigkeiten aus dem Ausland langfristig auf ein absolutes Minimum reduzieren.

    Gelistete Firmen kehren von ausländischen Börsen – mehr oder weniger freiwillig – an chinesische Finanzplätze zurück, weil chinesische Regulierer Druck machen. Besonders die Tech-Industrie will Peking von der Option fernhalten, in den Schwitzkasten ausländischen Kapitals zu geraten. Die Regierung verschärfte zudem im vergangenen Jahr die Lokalisierungsquoten für staatliche Unternehmen. Bei öffentlichen Ausschreibungen müssen die Bewerber mehr Komponenten vorweisen, die zu 100 Prozent aus China stammen: “Buy Chinese” als Order an die eigene Wirtschaft.

    CAHR spricht von Selbstbeschränkung statt Abschottung

    Die CAHR-Autoren des Beitrags mit dem Titel “Eine neue Untersuchung zum Sachverhalt des ‘geschlossenen Landes’” argumentieren, dass die einstige Distanzierung des Kaiserreichs eine Notwendigkeit gewesen sei, um die territoriale und kulturelle Sicherheit Chinas aufrechtzuerhalten. Statt “Abschottung” bezeichneten sie die Politik als “Selbstbeschränkung”.

    Die Reaktionen von Leserinnen und Lesern fielen zum Teil sehr kritisch aus und veranlassten die Zensoren, in die Debatte einzugreifen, berichtet die chinesischsprachige Tageszeitung Lianhe Zaobao aus Singapur. Manche Kommentatoren warfen den Historikern vor, als “Propagandaorgan der Regierung” den Trend der Gegenwart historisch zu rechtfertigen.

    Tatsächlich kommt die moderne Form der “Selbstbeschränkung” vielen Chinesen eher als Abschottung vor. Über ein privates WeChat-Konto antwortete ein Nutzer mit einem eigenen Essay auf den Beitrag. Der Kernpunkt der Kritik: Es gehe nicht um die nationale Sicherheit, so wie es auch die Ming- und Qing-Kaiser propagierten, sondern um die Angst der Herrschenden vor dem Machtverlust. “Jeder mit ein wenig gesundem Menschenverstand kann den Unterschied erkennen”, schrieb der Autor. Innerhalb eines Tages wurde das Stück 100.000 Mal gelesen, ehe die Zensoren einschritten und den Text aus dem digitalen Raum verbannten.

    Die allein regierende Kommunistische Partei weist den Vorwurf des Decoupling kategorisch zurück. China, so die offizielle Linie, befinde sich in einem ständigen Prozess der Öffnung gegenüber dem Ausland. In Wahrheit aber konterkariert Pekings Politik diese Behauptung. Vorgaben an Wirtschaft und Industrie sind nur die eine Seite der Medaille. Die massiven Eingriffe in das Bildungsangebot für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die gerne besser Englisch lernen wollen, bedeuten gleichermaßen eine Kehrtwende.

    “Chinas großer Sprung nach hinten”

    Im vergangenen Jahr hatten ausgerechnet die Behörden in Shanghai, Chinas internationalster Metropole, das Ende von Englisch-Examen in örtlichen Grundschulen beschlossen. Neu in den Lehrplan der Jüngsten aufgenommen wurden stattdessen “Xi Jinpings Gedanken zum Sozialismus mit chinesischen Merkmalen für eine neue Ära” – ein Buch mit den intellektuellen Ergüssen des Staatschefs, das durch seine vehemente internationale Vermarktung an den Hype um die Mao-Bibel in den 1960er- und 1970er-Jahren erinnert.

    Es folgte zudem die landesweite Beendigung Tausender privater Bildungsangebote, die den Menschen im Land jahrzehntelang die Möglichkeit geboten hatten, sich außerhalb des staatlichen Bildungssystems Fremdsprachen – allen voran Englisch – anzueignen. Zynisch kommentierten manche Menschen in Land die Offensive als “Chinas großen Sprung nach hinten”. Zumal breite Englischkenntnisse der Bevölkerung noch zu Beginn des Jahrhunderts von der Staatsführung als einer der Schlüssel zu Chinas wirtschaftlichem Aufstieg propagiert wurde.

    “Was wir zurzeit erleben, ist eine ideologische Radikalisierung des Landes auf Kosten seiner wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Öffnung“, sagt die Berliner Journalistin und Autorin Qin Liwen, die sich in ihrer Arbeit mit Chinas politischer Entwicklung beschäftigt. “Ein gewollter Nebeneffekt dieser Politik ist auch ein stetig wachsender Nationalismus im Land”, sagt sie.

    Die Ausprägungen sind teilweise radikal, wie kürzlich das Beispiel einer Schule in Liupanshui in der Provinz Guizhou offenbarte. Im Rahmen eines schulischen Militärtrainings zur nationalen Verteidigung skandierten die Teenager: “Töten, töten, töten.” Gleichzeitig gelobten sie im Chor, jeden umzubringen, der es wagte, die Kommunistische Partei herauszufordern, ganz gleich, wo sich der- oder diejenige auf der Welt aufhalte.

    Viele Ausländer verlassen das Land

    Aufsehen erregte auch die Festnahme einer Chinesin in Suzhou, die für ein Fotoshooting einen japanischen Kimono getragen hatte und deswegen stundenlang verhört wurde. Später stellten die Behörden fest, dass jeder tragen könne, was er wolle, empfahlen aber, sensibel bei der Auswahl von Kleidung zu sein, um Dritte nicht zu provozieren.

    Ausländer erfahren zunehmend Ablehnung, wenn sie in Hotels außerhalb der Metropolen einchecken wollen. Andere berichten, dass sie in den vergangenen Jahren regelmäßig in Diskussionen über die Haltung des Westens gegenüber der Volksrepublik verstrickt würden, die sie weder anzetteln, geschweige denn führen wollen. Der wachsende Nationalismus paart sich mit der rigorosen Null-Covid-Politik und veranlasst viele Ausländer, das Land zu verlassen.

    “Nationalismus gibt es natürlich auch in anderen Länder”, sagt Publizistin Qin. “In einer Diktatur aber fehlt dazu das gesellschaftliche Gegengewicht. Solange der Nationalismus die chinesische Führung stützt, wird sie ihn fördern und besänftigende Stimmen abschneiden. In einem solchen Klima multipliziert sich Nationalismus viel schneller, weil er öffentlich nicht ausbalanciert wird.”

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    Deutsche Abgeordnete reisen im Oktober nach Taiwan

    Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat den Reiseantrag des Menschenrechtsausschusses des Bundestags für dessen Besuch in Taiwan genehmigt. Geplant ist der Besuch des Inselstaates im Oktober. Das bestätigte die Ausschuss-Vorsitzende Renata Alt (FDP) im Gespräch mit China.Table.

    Die Reise war bereits für das Jahr 2019 vorgesehen, habe dann aber verschoben werden müssen und sei wegen der Corona-Pandemie seitdem nicht zustandegekommen. Der Menschenrechtsausschuss will während der Reise zudem in Japan Halt machen. Entgegen anderweitiger Meldungen sei ein Besuch in Hongkong nicht beantragt worden, so Alt.

    “Auf Drängen der CDU/CSU-Fraktion hat sich der Ausschuss darauf geeinigt, die lange aufgeschobene Reise nach Taiwan im Herbst nachzuholen. Sie ist jedoch nicht durch die Reise von Nancy Pelosi motiviert“, sagte Alt. Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses hatte mit ihrem Besuch Anfang August in Taipeh ein Signal an die Volksrepublik China gesendet, dass die USA Taiwan gegen die militärische Bedrohung durch die Volksrepublik unterstützen wolle.

    Bereits am Dienstag reisen Ausschuss-Mitglieder aller Fraktionen nach Genf, wo der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zu seiner 51. Sitzung zusammenkommt. Der Ausschuss ist lediglich als Gast akkreditiert, will aber die Zeit vor Ort für zahlreiche Gespräche mit Nichtregierungsorganisationen nutzen.

    Zum Abschluss der Reise wollen die deutschen Politiker am kommenden Freitag das Hauptquartier des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Lausanne besuchen. Der Ausschuss ist an einer Aufarbeitung der Vergabe der Winterspiele an die Volksrepublik China interessiert. “Wir wollen anregen, dass die menschenrechtlichen Standards zum Erhalt von Olympischen Spielen erhöht werden”, sagte Alt. Zu einem Treffen mit IOC-Präsident Thomas Bach wird es allerdings nicht kommen, weil der sich zu diesem Zeitpunkt im Ausland befindet, wie ein Sprecher mitteilt.

    Thematisieren wolle man auch den Fall der Tennisspielerin Peng Shuai, die nach ihren Missbrauchsvorwürfen gegen einen hochrangigen Funktionär der Kommunistischen Partei nur noch unter Aufsicht in der Öffentlichkeit aufgetreten ist. Zu dem angekündigter Besuch Pengs in Lausanne für diesen Sommer ist es nicht gekommen. grz

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    Tibet-Lobby empört über China-Konferenz in Frankfurt

    Vor dem Hintergrund internationaler Kritik an Chinas Vorgehen in Xinjiang fand in Frankfurt die 9. Deutsch-Chinesische Wirtschaftskonferenz statt. Unter anderem trafen dort die ehemaligen Bundesminister Rudolf Scharping, Hans-Peter Friedrich und Sigmar Gabriel auf Vertreter des China Economic Coorporation Center (CECC), eine Institution, die dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei angeschlossen ist.

    Empörung löste die Veranstaltung bei der International Campaign for Tibet (ICT) aus. “Absolut unangemessen ist, angesichts der mittlerweile auch von den Vereinten Nationen vielfach belegten Menschenrechts-Verbrechen an den Uiguren und den Tibetern, der Demokratieabwicklung in Hongkong und der Verfolgung von chinesischen Menschenrechtlern, mit denen über Wirtschaftskooperationen zu reden, die für diese Verbrechen verantwortlich sind“, sagte ITC-Geschäftsführer Kai Müller.

    Er sieht in solchen Veranstaltungen die Bemühungen konterkariert, die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von der Volksrepublik China zu verringern. Organisiert wurde die Konferenz von der Rudolf Scharping Strategie Beratung Kommunikation AG (RSBK) und dem CECC des Zentralkomitees. Der CEEC erfüllt als Unterorganisation des ZK wichtige Lobbyarbeit, um auf politische und wirtschaftliche Eliten in ausländischen Staaten Einfluss zu nehmen.

    Die ICT zeigte sich insbesondere enttäuscht von der Teilnahme des früheren Außenministers Sigmar Gabriel, der auch Vorsitzender der Atlantik-Brücke ist, die wiederum eine Vertiefung deutsch-amerikanischer Wirtschaftsbeziehungen anstrebt. Der frühere Innenminister Friedrich ist seinerseits Vorsitzender der “China-Brücke”, einem Dialogforum, dem große Nähe zum chinesischen Staat nachgesagt wird. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik bezeichnet sie als “klassisches Einfluss- und Interventionsinstrument der KP”.

    Vorvergangenen Mittwoch hatte das UN-Kommissariat für Menschenrechte “ernste Menschenrechtsverletzungen” in Xinjiang dokumentiert, die den Tatbestand von “Verbrechen gegen die Menschlichkeit” darstellen können (China.Table berichtete). Im August hatte UN-Sonderberichterstatter Tomoya Obokata auf “Formen von Sklaverei” hingewiesen und dabei explizit auch von Tibet gesprochen. grz

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    Human Rights Watch: DNA-Massentests in Tibet

    Human Rights Watch (HRW) hat am Montag neue Beweise für flächendeckende DNA-Tests in Tibet vorgelegt. Die Menschenrechtsorganisation veröffentlichte einen Bericht, in dem sie zahlreiche Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit dokumentiert, wo den Bewohnern ganzer Dörfer ohne deren explizites Einverständnis Blut abgenommen wurde. In einem Fall sei das auch bei Kindergartenkindern ohne Wissen der Eltern geschehen.

    “Die chinesische Regierung unterwirft die Tibeter bereits einer umfassenden Unterdrückung”, sagte Sophie Richardson, China-Direktorin bei Human Rights Watch. “Jetzt nehmen die Behörden buchstäblich ohne Zustimmung Blut ab, um ihre Überwachungsmöglichkeiten zu verstärken.”

    HRW liegen Berichte aus 14 verschiedenen Orten der autonomen Region Tibet vor. In einem Polizeibericht aus dem Landkreis Lhokka heißt es: “Kein Dorf einer Stadtverwaltung darf ausgelassen werden. Kein Haushalt eines Dorfes darf ausgelassen werden. Keine Person eines Haushalts darf ausgelassen werden.” HRW sagt, es habe keine Belege gefunden, dass Tibeter eine DNA-Probe ablehnen könnten, selbst wenn sie keinerlei polizeiliche Vermerke vorwiesen.

    Die Menschenrechtsorganisation wirft der chinesischen Regierung vor, DNA-Datenbanken anzulegen, in der jeder Bewohner der Region erfasst und zweifelsfrei an seinem Erbmaterial identifiziert werden kann. Die Datenbank soll Teil eines umfangreichen Überwachungs-Programms sein, das Erbgut, Aufenthaltsorte und politische Gesinnungen jedes Tibeters verzeichnet. grz

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    Vorsitzender von Journalismus-Gewerkschaft in Hongkong festgenommen

    In Hongkong ist der Vorsitzende der Journalisten-Gewerkschaft, Ronson Chan, festgenommen worden. Chan, Vorsitzender der Journalisten-Gewerkschaft Hong Kong Journalists Association (HKJA), sei wegen angeblicher Störung der öffentlichen Ordnung und Widerstands gegen einen Polizeibeamten in Gewahrsam genommen worden, berichtete Bloomberg. Chans Arbeitgeber, die Online-Nachrichtenplattform Channel C, teilte demnach mit, der Journalist sei von Polizeibeamten abgeführt worden, während er über ein Treffen von Eigentümern von Sozialwohnungen berichtet habe.

    Die Polizei bestätigte in einer offiziellen Mitteilung, dass ein 41-Jähriger namens Chan festgenommen wurde. Dieser habe sich geweigert, Beamten seinen Ausweis zu zeigen. Zudem habe er sich trotz mehrfacher Ermahnungen “unkooperativ” verhalten. Der Journalist wollte in nur wenigen Wochen Hongkong verlassen, um ab Oktober mit einem Halbjahresstipendium am Reuters Institute an der britischen Oxford-Universität zu studieren.

    Ebenfalls am Mittwoch wurden in Hongkong fünf Logopäden wegen Volksverhetzung verurteilt. Ihnen drohen bis zu zwei Jahre Haft. Die Sprachtherapeuten-Gruppe hatte 2020 und 2021 Bücher veröffentlicht, in deren Geschichten Schafe ihr Dorf vor Wölfen verteidigen. Die Staatsanwälte argumentierten, die Geschichten seien Allegorien, die darauf hinausliefen, Kinder zu “indoktrinieren”, um Separatismus und Hass auf Peking zu unterstützen. ari

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    Vor Parteikongress: Cyber-Behörde plant strengere Überwachung

    Chinas Cyberspace-Aufsichtsbehörde hat eine dreimonatige Kampagne ins Leben gerufen, die vor dem Parteitag der KP China im Oktober gegen “Fake News” im Internet vorgehen soll. Die Kampagne der Cyberspace Administration of China (CAC) richtet sich demnach gegen “Online-Gerüchte und gefälschte Informationen über große Treffen, wichtige Ereignisse und politische Maßnahmen”, heißt es in einer Erklärung. Verstöße sollten “schnell und streng” geahndet werden. Das Strafmaß bei Zuwiderhandlung wurden nicht bekanntgegeben.

    Die Maßnahme soll auch “Gerüchten” über Arbeitssicherheit, Verkehr, Naturkatastrophen sowie falschen Informationen über die Gesellschaft, die Wirtschaft, Epidemien sowie die Verleumdung von Chinas “Helden und Märtyrern” unterbinden, heißt es in einem Bericht von Reuters. Die Online-Plattformen wurden aufgefordert, Konten, die solche Inhalte veröffentlichen, auf eine schwarze Liste zu setzen.

    Es wird allgemein erwartet, dass Xi Jinping sich am 16. Oktober eine dritte Amtszeit sichern wird (China.Table berichtete). Die Herausforderungen im Land sind jedoch groß, von hoher Arbeitslosigkeit über ein schwächelndes Wirtschaftswachstum bis hin zum Unmut über die strenge Zero-Covid-Politik der Regierung. rtr/fpe

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    Neues Datentransfer-Gesetz in Kraft

    Am vergangenen Donnerstag ist Chinas neues Datentransfergesetz in Kraft getreten. Das hat die zuständige Cyberspace Administration of China (CAC) auf ihrer Webseite bekannt gegeben. Aller Voraussicht wird das Gesetz zum grenzüberschreitenden Datentransfer dazu führen, dass ausländische Unternehmen ihre Daten vermehrt in China speichern. Bislang verlangen die Behörden der CAC von allen betroffenen Unternehmen, dass sie eine Reihe von Unterlagen ausfüllen und der Internet-Aufsichtsbehörde des Landes zur Überprüfung vorlegen, wie die South China Morning Post berichtet.

    Zu den von der CAC geforderten Dokumenten gehört ein Selbstbewertungsbericht, der detaillierte Informationen über das Unternehmen, das Daten exportieren möchte, den Empfänger im Ausland und den Umgang mit den Daten enthält. Sobald die Dokumentation abgeschlossen ist, führt die Internetregulierungsbehörde eine Sicherheitsüberprüfung durch, die bis zu 45 Arbeitstage dauern kann.

    Zuletzt hatten sich einige internationale Apps und Online-Dienste aus dem chinesischen Markt zurückgezogen. Grund war vor allem die Sorge um Chinas neue Digitalstrategie und die damit verbundenen finanziellen und bürokratischen Herausforderungen (China.Table berichtete). Für viele kleine und mittelständische Unternehmen lohnt sich der Mehraufwand demnach nicht mehr. niw

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    Michail Gorbatschow – “Abschreckendes Beispiel” für Xi

    Michail Gorbatschow - in China wurde sein Tod vor allem mit Häme kommentiert.

    In China ist die Anteilnahme an Michail Gorbatschows Tod äußerst verhalten. Mehr noch: Das Ableben des 93-Jährigen wird mit einer gehörigen Portion Häme und Schadenfreude kommentiert. Gorbatschow verdiene lediglich “Verachtung”, schreibt der Kommentator Li Wuwei an seine immerhin knapp 900.000 Follower auf Weibo: Er war ein lahmer, inkompetenter, feiger Politiker”, der für China als “abschreckendes Beispiel” dient. Man könne ihn für diese Lehre nur “danken”. Lis zynische Botschaft an den ehemaligen sowjetischen Präsidenten lautet: “Gute Reise!”   

    Ex-Global-Times-Chef Hu Xijin bezeichnet Gorbatschow auf seinem Twitter-Account als “einen der umstrittensten Staatsführer der Welt”: Er habe im Westen große Anerkennung erlangt, indem “er die Interessen seines Heimatlandes verkaufte”. Zudem sei er dafür verantwortlich, dass auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion – darunter Tschetschenien, Georgien und Ukraine – weiterhin “Kriege ausbrechen”.

    Jiang Zemin und Gorbatschow 1991 nach der Unterzeichnung eines gemeinsamen Grenzabkommens - Gorbatschows Tod wurde in China mit Häme kommentiert.
    Jiang Zemin und Gorbatschow 1991 nach der Unterzeichnung eines gemeinsamen Grenzabkommens

    Von “historischer Sünder” über “Verräter” bis hin zu “Mörder der kommunistischen Partei”: Das chinesische Netz ist gefüllt mit negativen Superlativen über den ehemaligen sowjetischen Führer. Doch Fakt ist: Kaum ein Staatsapparat hat die Causa Gorbatschow derart sorgfältig studiert wie die Parteikader der Volksrepublik.   

    Insbesondere Staatschef Xi Jinping wurde vom Niedergang der Sowjetunion geradezu traumatisiert. Zu Beginn des Jahres 2013, nur kurz nach seinem Amtsantritt, sprach der heute 69-Jährige in einer internen Rede darüber, dass er “historischen Nihilismus” und “ideologische Verwirrung” für den Fall der Sowjetunion verantwortlich machte, wie inzwischen bekannt wurde. Die KPdSU habe es versäumt, ihre Führer Lenin und Stalin in Ehren zu halten. Schuld daran war Gorbatschow, der westliche Demokratie-Reformen ins Land brachte.

    Xi schwor sich damals, jene “Fehler” nicht zu wiederholen – und zog bereits in den ersten Jahren als Staatschef die ideologischen Zügel so sehr an wie seit der Herrschaft von Staatsgründer Mao Zedong nicht mehr. Seine Parteikader verdonnerte er zudem dazu, den Untergang der Sowjetunion – als abschreckendes Beispiel – genauestens zu studieren.

    Gorbatschow 1989 in Peking, China mit Deng Xiaoping und Ehefrau Raissa Gorbatschowa
    Gorbatschow 1989 in Peking mit Deng Xiaoping und Ehefrau Raissa Gorbatschowa

    Doch für Chinas einst lebendige Zivilgesellschaft war Gorbatschow ganz im Gegenteil ein regelrechter Hoffnungsschimmer. Als der Russe im Mai 1989 nach Peking reiste, demonstrierten dort die Studenten am Tiananmen-Platz gerade gegen Korruption und für mehr politische Mitbestimmung. Damals sagte der Staatsgast in einer bemerkenswerten Rede: “Wirtschaftliche Reformen werden nicht funktionieren, solange sie nicht von einer radikalen Transformation des politischen Systems unterstützt werden”.

    Doch Chinas Staatsführung unter Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping entschied sich bekanntermaßen für einen anderen Weg: Die Protestbewegung wurde mit Panzern und Soldaten blutig niedergeschlagen. Dementsprechend knapp fiel am Mittwoch die offizielle Reaktion des Pekinger Außenministeriums aus. Gorbatschow habe einen “positiven Beitrag zur Normalisierung der Beziehungen zwischen China und der Sowjetunion geleistet”, ließ Sprecher Zhao Lijian nüchtern ausrichten: “Wir sprechen seiner Familie unser Beileid zu seinem krankheitsbedingten Tod aus”. Fabian Kretschmer

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    China.Table Redaktion

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