Bestechung, politische Einmischung und direkte Drohungen – endlich sagt es einer mal, oder? Der scheidende Präsident der pazifischen Inselgruppe Mikronesien nennt einige Eckpfeiler chinesischer Brachial-Diplomatie beim Namen. Tatsächlich wird in vielen Teilen der Welt – auch in Deutschland – darüber geklagt, mit welch wenig lauteren Methoden die Volksrepublik ihre Interessen in der Welt vertritt. Das geschieht aber meist hinter vorgehaltener Hand. Und am Ende wird meist ein Auge zugedrückt, weil es ja China ist.
Dass der Präsident des Kleinstaats nun sogar den Abbruch der Beziehungen mit Peking ins Spiel bringt, um stattdessen mit Taiwan anzubändeln, birgt eine politische Sprengkraft, die Michael Radunski analysiert. Denn seit Jahrzehnten ist der Trend genau gegenläufig. Aber angesichts einer wachsenden internationalen Skepsis gegenüber China könnte ein solcher Entschluss große Aufmerksamkeit in der Welt erzeugen und Taiwans diplomatischem Engagement neuen Schwung verleihen.
Die Forderung Mikronesiens von 50 Millionen US-Dollar an Taiwan als Gegenleistung klingt zunächst ebenfalls unlauter. Aber bei genauer Betrachtung hatte die Abkehr Dutzender Staaten von Taiwan und deren Hinwendung zur Volksrepublik den exakt gleichen Grund: finanzielle Interessen.
Mittelfristig wird sich China dennoch kaum Sorgen müssen, dass eine Welle an diplomatischen Krisen das Land in die Isolation treiben könnte. Vor allem, wenn sich die Regierung so charmant verhält wie der neue Ministerpräsident Li Qiang bei seiner Antrittsrede gegenüber den Amerikaner. Jörn Petring hat Li zugehört und festgestellt, dass Chinas neuer Regierungschef sachliche Töne gegenüber Washington angeschlagen hat. Die USA sind eben nicht Mikronesien.
Es ist ein politisch hochexplosiver Brief aus der Feder von David Panuelo. Auf 13 Seiten rechnet der scheidende Präsident von Mikronesien mit China ab – und will stattdessen diplomatische Beziehungen zu Taiwan aufnehmen. Damit hat er gleich Zweierlei gewagt:
In dem Schreiben an die Gouverneure der Einzelstaaten von Mikronesien sowie an andere politisch Verantwortliche wirft Panuelo China vor, eine Invasion Taiwans vorzubereiten. Peking versuche die Loyalität oder Neutralität Mikronesiens sicherzustellen, schreibt er. China erwarte, dass sich Mikronesien im Kriegsfall gegen die USA an seine Seite stellt oder sich zumindest enthält. Panuelo erklärt ausführlich, wie China das erreichen will: mit Bestechung, politischer Einmischung und direkten Drohungen.
Aufgrund dieser Praktiken plädiert Panuelo dafür, die diplomatischen Beziehungen zu China zu beenden. Stattdessen sollten die Föderierten Staaten von Mikronesien lieber Beziehungen zu Taiwan aufnehmen. Auch in diesem Punkt nimmt Panuelo kein Blatt vor den Mund – und fordert dafür 50 Millionen US-Dollar von Taiwan.
“Ich war gegenüber Außenminister Wu transparent. Wir gehen davon aus, dass wir eine Finanzspritze von etwa 50 Millionen US-Dollar benötigen, um unseren zukünftigen Bedarf zu decken. Wir können und werden dies über einen Zeitraum von drei Jahren erhalten, wenn und sobald wir diplomatische Beziehungen zu Taiwan aufnehmen”, zitiert die Zeitung Guardian aus dem Brief. Zudem werde man jährlich ein “Hilfspaket” in Höhe von 15 Millionen US-Dollar erhalten.
Panuelos Vorwürfe knüpfen jeweils an Vorkommnisse in anderen Ländern an. So beklagt er chinesische Spionage unter dem Deckmantel von Forschung im Seegebiet des Landes – vergleichbar mit dem jüngsten Ballon-Zwischenfall über den USA. Auch versuche Peking, wichtige Kommunikations- und militärische Infrastrukturen zu kontrollieren – ein Umstand, der in der deutschen Huawei-Debatte oder dem umstrittenen Abkommen mit den Salomonen Widerhall finden könnte.
“Einfach ausgedrückt, wir sind Zeugen politischer Kriegsführung in unserem Land“, schreibt Panuelo. Dies umfasse offene Aktivitäten wie politische Allianzen, wirtschaftliche Maßnahmen und öffentliche Propaganda sowie heimliche Aktivitäten wie “Bestechung, psychologische Kriegsführung und Erpressung”. Panuelo ist seit 2019 Präsident von Mikronesien. Nachdem er die vergangene Wahl verloren hat, wird er allerdings in zwei Monaten aus dem Amt scheiden.
Es ist nicht das erste Mal, dass Panuelo vor Chinas wachsendem Einfluss im Südpazifik warnt. Als China im vergangenen Mai versuchte, “Sicherheitsabkommen” mit den Salomonen und anderen pazifischen Inselstaaten abzuschließen, warnte Panuelo seine Amtskollegen vor einer zu großen Abhängigkeit von Peking. Man laufe Gefahr, in eine Auseinandersetzung zwischen China und den USA gezogen zu werden. China zog damals sein Vorhaben zurück.
Entscheidend für all das ist die sogenannte Inselkettenstrategie des US-Außenpolitikers John Foster Dulles. China versucht, eine Eindämmung zu durchbrechen – und hinter die erste Inselkette aus Taiwan, den Koreas und Japan gelangen. Zudem liegen Pazifikstaaten wie die Salomonen auf der zentralen SLOC (sea line of communication) zwischen Australien und den USA. Jene Seeverbindungslinien sind essenziell für Handel und Logistik, aber auch für die Bewegung von Seestreitkräften.
Entsprechend ist ein diplomatischer Wettstreit um die unzähligen Inselstaaten im Pazifik ausgebrochen, in dem die Rollen bislang klar verteilt sind. Während der Westen die Pazifikstaaten jahrelang sträflich vernachlässigte, hat China unzählige Projekte gestartet: ein nationales Sportstadion für die Pazifikspiele auf den Salomonen, Autobahnen auf Papua-Neuguinea oder Brücken auf Fidschi. Ausgerechnet Deutschland hat hier schnell reagiert, als Außenministerin Annalena Baerbock die Diplomatin Beate Grzeski zur ersten deutschen Sonderbotschafterin für die pazifischen Inselstaaten ernannte.
Denn selbst auf höchster Ebene liegt China vorne. Xi Jinping reiste schon zwei Mal in die Region – 2014 und 2018. US-Präsident Joe Biden gab den Pazifikstaaten hingegen bislang nur das Versprechen, “in naher Zukunft” in die Region reisen zu wollen. Der Brandbrief aus Mikronesien wäre ein guter Anlass.
Der erste große Auftritt des neuen chinesischen Regierungschefs Li Qiang ist aus Sicht der Wirtschaft vielversprechend verlaufen. Sowohl heimischen als auch ausländischen Unternehmen in China ging es zuletzt ähnlich: Einerseits spürten sie nach dem Ende der strengen Corona-Maßnahmen Aufwind. Sie wollten lieber abwarten, welche Signale der Nationale Volkskongress (NVK) sendet, bevor sie große Investitionsentscheidungen treffen.
Li bewies Gespür für diese Stimmung. Er versuchte, neue Zuversicht zu verbreiten. Er wisse, dass es im vergangenen Jahr “falsche Diskussionen” gegeben habe, die “die Unternehmen beunruhigt” hätten. Damit dürfte er die Untergangsstimmung kurz nach dem Parteikongress im Herbst gemeint haben. Als Xi Jinping seine neue Führungsmannschaft voller treuer Gefolgsleute vorstellte, machte sich Panik breit. Viele Beobachter kamen zu dem Schluss, dass die neue Regierungskonstellation wenig wirtschaftsfreundlich sei.
Doch das wollte Li am Montag so nicht stehen lassen. Er setzte zu einem bemerkenswert langen Plädoyer für die Privatwirtschaft an. “Kader auf allen Ebenen sollten sich aufrichtig um private Unternehmen kümmern und ihnen dienen”, forderte Li. Die gesamte Gesellschaft müsse dazu gebracht werden, “eine gute Atmosphäre des Respekts für Unternehmer und Unternehmen zu schaffen”. Seine Regierung werde “alle Arten von Unternehmen fördern und die Entwicklung und das Wachstum privater Unternehmen unterstützen“, versprach der neue Ministerpräsident.
Bei Investoren kam das gut an. Die Kurse an den Börsen in Shanghai und Hongkong legten am Montag kräftig zu. Während der einwöchigen Sitzung des Volkskongresses hatten die Indizes zuvor meist nachgegeben.
Wirtschaftsvertreter dürften sich auch über die außenpolitischen Äußerungen Lis gefreut haben. Li gilt als enger Vertrauter von Xi Jinping und dessen Vollstrecker. In der vergangenen Woche hatten Außenminister Qin Gang und auch Präsident Xi die USA davor gewarnt, China weiter in die Enge zu treiben. Li versuchte es dagegen mit einem positiven Ansatz. Er habe in den vergangenen Jahren oft das Wort “Entkopplung” gehört, sagte Li. Er wisse aber nicht, wer davon profitieren solle.
Das Handelsvolumen zwischen China und den USA habe im vergangenen Jahr einen neuen Rekord erreicht. “Jeder profitiert von der Entwicklung des anderen”, sagte Li. Er blicke positiv auf seine “zahlreichen Treffen mit Führungskräften ausländischer Unternehmen” in seiner Zeit als Parteichef von Shanghai zurück: “Die Zusammenarbeit zwischen China und den USA hat großes Potenzial”, sagte Li. “Belagerung und Unterdrückung” seien für niemanden gut.
Obwohl er einer anderen politischen Strömung angehört, klang der neue Li in vielen Punkten wie sein Vorgänger Li Keqiang. Auch dieser hatte sich bemüht, nicht so staatstragend zu klingen wie der Präsident. “Die große Mehrheit der Menschen schaut nicht ständig auf das BIP-Wachstum, sondern sorgt sich mehr um Wohnraum, Arbeitsplätze, Einkommen, Bildung, Gesundheitsversorgung, Umwelt und andere konkrete Dinge.” In seinen vielen Jahren als Lokalpolitiker habe er eine wichtige Beobachtung gemacht: “Wer nur im Büro sitzt, sieht vor allem Probleme. Wer zu den Menschen geht, findet Lösungen”, sagte Li.
Der Ministerpräsident stärkte Unternehmen den Rücken, machte aber auch deutlich, dass es große Herausforderungen zu bewältigen gebe. China sei mit vielen Unsicherheitsfaktoren, Instabilitäten und unvorhersehbaren Ereignissen konfrontiert, sagte der Regierungschef. “Die Stabilisierung des Wirtschaftswachstums ist eine herausfordernde Aufgabe, nicht nur für China, sondern für alle Länder der Welt”, sagte Li. Es werde für China nicht einfach sein, wie geplant “rund fünf Prozent” Wachstum zu erreichen. Das werde zusätzliche Anstrengungen erfordern.
Weniger positiv dürften auch seine Äußerungen zur Corona-Pandemie aufgenommen worden sein. Li hatte als Parteichef von Shanghai den rund zweimonatigen Lockdown der Metropole überwacht. Dabei war es zu teilweise chaotischen Szenen gekommen. Doch von Selbstkritik war am Montag nichts zu spüren. China habe einen “großen Sieg” errungen. Man habe sich während der Pandemie “immer an das Prinzip gehalten, dass der Mensch an erster Stelle steht”, sagte der Politiker weiter. Chinas Strategien und Maßnahmen seien “absolut richtig” gewesen.
China hat am späten Montagabend angekündigt, ab dem 15. März fast alle Arten von Visa für Ausländer wieder auszustellen. Das berichtete zunächst die Nachrichtenagentur AP in einer Eilmeldung. Es ist ein weiterer wichtiger Schritt aus der selbstgewählten “Zero-Covid”-Isolation.
Wie der Finanznachrichtendienst Bloomberg mit Verweis auf die chinesische Botschaft in den USA berichtet, werde China an mehreren Orten auch die visumfreie Einreise wieder aufnehmen. Dabei handelt es sich beispielsweise um die Insel Hainan. Ebenso gilt die Regel für Kreuzfahrtschiffe, die in Shanghai anhalten, oder für Menschen aus Hongkong und Macau, die über Guangdong einreisen wollen.
Am 8. Januar hatte China bereits die strikten Quarantäneregeln für Einreisende abgeschafft. Fluggäste müssen inzwischen nur noch einen negativen Antigen-Schnelltest vorlegen, um einen Flug nach China antreten zu können.
Wie dramatisch sich die Volksrepublik während der Corona-Pandemie abschottete, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Dem Ministerium für öffentliche Sicherheit zufolge wurden im Jahr 2022 knapp 116 Millionen Ein- und Ausflüge durchgeführt – weniger als ein Fünftel der Flüge als noch 2019, dem Jahr vor der Corona-Pandemie. rad
Zum Abschluss des Nationalen Volkskongress in Peking hat Staatsführer Xi Jinping sich nochmals mit markigen Worten an die rund 3.000 Delegierten gewandt. Chinas Militär soll zu einer “Großen Mauer aus Stahl” werden, sagte Xi am Montag in der Großen Halle des Volkes.
Xi, der auch Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist, erklärte weiter, der Ausbau des Militärs sei wichtig, um die nationale und die öffentliche Sicherheit Chinas zu stärken. “Sicherheit ist die Grundlage für Entwicklung, Stabilität ist die Voraussetzung für Wohlstand.” Zu Beginn des NVK vor rund einer Woche hatten die Delegierten eine Steigerung der Verteidigungsausgaben um 7,2 Prozent und andere Weichenstellungen gebilligt.
Xi rief am Montag zu einer “Wiedervereinigung” mit Taiwan auf, der Einigungsprozess müsse unerschütterlich vorangetrieben werden. Frühere Bekundungen, dass Peking dabei auch militärische Gewalt nicht ausschließe, wiederholte Xi nicht. Vielmehr sollten die Beziehungen friedlich entwickelt werden. Einmischungen von außen sowie spalterische Aktivitäten taiwanischer Unabhängigkeitskräfte müsse man allerdings entschieden entgegentreten, sagte Xi.
Zudem müsse China mehr Eigenständigkeit und Stärke in den Bereichen Wissenschaft und Technologie erlangen. Hintergrund dürften die Pläne der USA sein, China den Zugang zu Spitzentechnologien weiter zu erschweren. rad
Chinas Staatsführer Xi Jinping plant offenbar, nächste Woche nach Moskau zu reisen. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters am Montag und verweist auf Angaben von mit dem Vorhaben vertraute Personen, die allerdings wegen des sensiblen Themas namentlich nicht genannt werden wollten. In Moskau wolle Xi den russischen Präsidenten Wladimir Putin treffen.
Zudem soll Xi Jinping auch ein Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj planen. Das berichtet die Zeitung “Wall Street Journal” unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen berichtet. Demnach soll das Gespräch wohl nach Xis Besuch in Moskau stattfinden.
Am Wochenende hatte China erfolgreich als Vermittler zwischen Saudi-Arabien und Iran agiert. Manche Beobachter hoffen deshalb, dass Peking eine ähnliche Rolle im Ukrainekrieg einnehmen und zwischen Moskau und Kiew vermitteln könnte. Hierfür hatte China unlängst einen 12-Punkte-Plan vorgelegt, der im Westen jedoch vor allem auf Skepsis gestoßen war. Kurz vor Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine hatten China und Russland allerdings eine “grenzenlose” Partnerschaft verabredet.
Vom chinesische Außenministerium gab es zunächst keine Stellungnahme. Das Außenministerium in Moskau lehnte einen Kommentar gegenüber Reuters ab. Schon im Februar hatte Putin einen möglichen Besuch Xis in Moskau angekündigt. Damals war Chinas ranghöchster Außenpolitiker Wang Yi in der russischen Hauptstadt zu Beratungen gereist. rad
Die deutschen Mobilfunkanbieter Telekom, Vodafone und Telefónica Deutschland wollen den Ausbau funktionierender Komponenten chinesischer Anbieter aus ihren Netzen möglichst lange hinauszögern. Das berichtet die Zeitung Welt am Sonntag. Die Mobilfunkfirmen hatten sich von Anfang an unzufrieden mit dem bevorstehenden Richtungswechsel der Bundesregierung gezeigt. Vor drei Jahren hatten das Wirtschaftsministerium noch erklärt, an chinesischen Firmen wie Huawei als Lieferanten für 5G-Netzausrüstung festhalten zu wollen.
Dem Bericht der Welt am Sonntag zufolge hat der Referatsleiter für Cybersicherheit im Bundesinnenministerium die 5G-Verantwortlichen der Unternehmen in der vergangenen Woche per E-Mail dazu aufgefordert, alle kritischen Komponenten zu nennen, die von den Herstellern Huawei und ZTE stammten. Die Liste müsse bis Anfang April vorliegen.
Die Mobilfunkfirmen halten diese Herangehensweise für unprofessionell. “Die ganze Sache kommt völlig überraschend und reichlich hemdsärmelig daher”, zitiert die Zeitung einen der Adressaten. “Normalerweise würde so etwas im Gespräch angekündigt und dann per Einschreiben an den Vorstand gehen, nicht per Mail an einen Abteilungsleiter.”
Etwa die Hälfte der Mobilfunkstationen in Deutschland arbeitet mit Huawei-Technik. Die geopolitischen Ziele im Umgang mit China gefährden daher aus Sicht der Mobilfunkanbieter die Digitalisierungsziele. Diese wollen die Abkehr von Huawei nun verschleppen. Sie können ihre Ausrüstung großflächig für “nicht sicherheitskristisch” erklären und sie können die Einschätzung infrage stellen, dass die Geräte die Sicherheit Deutschlands gefährden. fin
Die britische Regierung hat eine härtere Gangart gegenüber China beschlossen. Mit “schnellen und robusten Maßnahmen” will Großbritannien in Zukunft der “epochalen und systemischen Herausforderung” durch China entgegentreten. Das ist die Quintessenz aus der frisch überarbeiteten Sicherheitsstrategie des Vereinigten Königreichs, die am Montag veröffentlicht wurde.
Das Papier stammt ursprünglich aus dem Jahr 2021 und wurde nach dem russischen Angriff auf die Ukraine erstmals überarbeitet. In der nun gültigen Fassung wird der Aufbau einer National Protective Security Authority angekündigt. Diese neue Sicherheitsbehörde soll für mehr Aufklärung über Gefahren durch Agenten im Auftrag ausländischer Staaten sorgen. Dazu zählen unter anderem die Volksrepublik und Russland, aber auch andere Akteure. grz
Jiang Yanyong 蒋彦永 ist tot. Der 91-Jährige starb nach Angaben des Hongkonger Verlegers Bao Pu in seiner Wohnung in Peking. Jiang hatte vor fast exakt 20 Jahren die Weltöffentlichkeit über das wahre Ausmaß der Verbreitung und Gefahr der Lungenkrankheit Sars informiert. Seit 2019 befand sich der Mediziner wegen seiner wiederholten Forderung nach Aufklärung des Tiananmen-Massakers in Hausarrest.
Jiang hatte Anfang April 2003 chinesische und ausländische Medien über die Gefahr des Sars-Virus in Kenntnis gesetzt. Die Berichterstattung entlarvte die Darstellung der chinesischen Behörden als Lüge und rief die Weltgesundheitsorganisation WHO auf den Plan. Schließlich gelang es Peking, die weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Weltweit gab es in der ersten Sars-Epidemie 8.422 Infizierte und 919 Tote.
Ein Dorn im Auge war Jiang der Kommunistischen Partei aber vor allem wegen seiner Weigerung, über seine Erfahrungen rund um den 4. Juni 1889 zu schweigen. Als Chefarzt und Chirurg am Pekinger Militärkrankenhaus 301 hatten er und seine Kollegen in der tragischen Nacht 89 Verletzte mit Schusswunden operiert und versorgt. 2019 bezeichnete er den Armee-Einsatz als “schlimmstes Verbrechen” der Staatsführung. Seitdem stand Jiang unter Hausarrest. grz
Am 17. April 1978 ist Wenpo Lee Leiter der Forschungsabteilung bei Volkswagen in Wolfsburg. Mit China hatte er abgeschlossen – bis eine chinesische Delegation vor dem Werkstor steht. Wenpo Lee wird in der Folgezeit zu einem der Architekten des China-Geschäfts von VW werden. Damit erlebt er zugleich, wie das Land seinen Aufstieg zur Wirtschaftsmacht gemeistert hat.
“Wenpo, kannst du noch deine Muttersprache?”, rief ein Mitarbeiter der Presseabteilung von Volkswagen am 17. April 1978 aufgeregt ins Telefon.
Wenpo ist mein Vater und zu der Zeit Leiter einer Forschungsabteilung zur Entwicklung sparsamer Motoren bei VW in Wolfsburg. Einspritzmotoren waren eine noch junge Technik, die bis dahin vor allem in teure Fahrzeuge eingebaut wurde. Nun sollte eine Variante entwickelt werden, die für das Massensegment tauglich war, für ein Auto, das jeder bezahlen konnte. Dabei ging es auch um Alternativkraftstoffe. Klimawandel und CO₂-Ausstoß waren zwar noch kein Thema, aber die Ölpreiskrise von 1973 steckte vielen noch in den Knochen. Es gab auch schon die ersten Berichte über sauren Regen und Waldsterben. Und dass es mit den schädlichen Abgaswerten nicht ewig so weitergehen konnte, beschäftigte auch die Abteilung meines Vaters. Zwanzig Jahre später würde der FSI-Motor, an dem sein Team damals arbeitete, im VW Lupo zum Einsatz kommen. Das aber war zu dem Zeitpunkt noch Zukunftsmusik – und auch nicht der Grund des Anrufs an jenem Morgen.
Ob er kommen könne? Am Werktor stünden ein paar Chinesen. Was sie wollen, wisse keiner. Einer von ihnen behaupte, er sei der chinesische Maschinenbauminister.
Natürlich konnte mein Vater noch Chinesisch. Allerdings bezweifelte er, dass ein chinesischer Minister vor dem Werktor stand. Er hielt es nicht einmal für wahrscheinlich, dass es sich um Leute aus der Volksrepublik handelte. Vermutlich waren die Herren eher aus Japan, vielleicht auch aus Südostasien. Sein Kollege aus der Presseabteilung war nicht der Einzige, für den Asiaten alle gleich aussahen. Schon oft war mein Vater für einen Japaner oder einen Vietnamesen gehalten worden.
Auf dem Weg zu den unerwarteten Besuchern beschäftigten meinen Vater Datenauswertungen und Testergebnisse, ein wenig neugierig, wen er antreffen würde, war er auch. Aber dass mit diesem Morgen nicht nur sein Leben ein völlig anderes werden würde, sondern auch deutsche und chinesische Wirtschaftsgeschichte geschrieben würde, ahnte er nicht.
Für meinen Vater gab es bis dahin nur selten Gründe, das berühmte Hauptgebäude des Konzerns mit der braunen Klinkerfassade und dem großen VW-Logo auf dem Dach zu betreten. Es war das höchste Gebäude von Wolfsburg. Ganz oben im zwölften und dreizehnten Stock saßen die Chefs, Vorstandsmitglieder, wie sie offiziell hießen.
Als er das Gebäude erreichte, standen dort tatsächlich fünf Chinesen im Eingangsbereich. Man hatte sie inzwischen vom Werktor hierher geleitet. Mit einem Blick erkannte mein Vater, dass es sich nicht um Japaner handelte, auch nicht um Taiwaner oder chinesische Einwanderer aus den USA. Vier von ihnen trugen Anzug und Krawatte, einer hatte eine blaugraue Jacke und eine Hose in derselben Farbe an, einem Einheitsanzug, wie er in China seit Gründung der Republik 1912 üblich war.
Günter Hartwich, Produktionsleiter und Mitglied im VW-Vorstand, hielt gerade eine kurze Begrüßungsansprache. Die Männer wirkten etwas hilflos, aber als sie meinen Vater sahen, hellten sich ihre Gesichter auf. Sie waren sichtlich erleichtert, einen Landsmann zu sehen. Und als mein Vater sie dann auch noch auf Chinesisch ansprach, schienen sie geradezu glücklich zu sein. Einer von ihnen hieß Yang Keng, dem Verhalten nach ganz klar der Anführer. Meinem Vater sagte der Name nichts. Warum auch, China war ihm im Laufe der Jahre fast so fremd geworden, wie es den meisten Bundesbürgern immer schon war. Yang Keng stellte sich als Minister der Volksrepublik China vor, zuständig für Land- und Industriemaschinen.
Yang Keng hatte den Auftrag, Chinas Fahrzeugindustrie, die bis dahin weitgehend aus der Herstellung von Traktoren und Lastwagen bestand, auszuweiten auf Nutzfahrzeuge für den Straßenverkehr, also Busse und große Lkws. Unverhohlen gab der Minister zu, dass sein Land technisch sehr rückständig sei, ihnen das Wissen fehle. Deswegen sei er nach Deutschland gekommen. Er wolle sich deutsche Fahrzeughersteller ansehen und von ihnen lernen. Von PKW oder Kauf war erstmal keine Rede.
Mein Vater war nicht besonders darin geübt zu übersetzen, gab sich aber alle Mühe, zur Verständigung beider Seiten beizutragen. An einigen Stellen musste er etwas weiter ausholen und zusätzliche Erklärungen liefern, simultanes Übersetzen hätte nicht ausgereicht, zu verschieden waren die Welten, in denen die Gesprächspartner lebten.
Mein Vater hatte die Welt, aus der die fünf Delegationsmitglieder kamen, vor dreißig Jahren verlassen. In den Wirren des chinesischen Bürgerkriegs war er 1948 als Zwölfjähriger von China nach Taiwan geflohen, hatte sich dort als Flüchtlingsjunge allein durchgeschlagen, bis ihn ein Lehrerehepaar aufnahm und er schließlich zum Studium nach Deutschland ging.
Seit seiner Ankunft in der Bundesrepublik 1962 lief es gut für ihn. Er studierte und promovierte, fand eine Anstellung als Entwicklungsingenieur bei VW. Von seinem ersten Gehalt legte sich mein Vater eine Hi-Fi-Anlage zu. In seiner Studienzeit in Aachen besaß er einen VW-Käfer, den er sich mit einem Kommilitonen teilte, inzwischen fuhr mein Vater einen Passat. In den Siebzigerjahren gab es im Werk nur wenige Ausländer, die es zum Abteilungsleiter geschafft hatten. Und eigentlich war er auch kein Ausländer mehr, seit 1977 besaß er die deutsche Staatsbürgerschaft, war also Deutscher. Als solcher war er vor einigen Monaten erstmals seit seiner Flucht nach China gereist, um seine Eltern wiederzusehen. Seine Heimatstadt Nanjing befand sich, so wie das ganze Land, in einem erbärmlichen Zustand.
Möglich gemacht hatte diesen Besuch die beginnende zaghafte Öffnung Chinas seit dem Tod von Mao Tse-tung im September 1976. Nach ein wenig Machtgerangel war Deng Xiaoping 1978 auf dem Weg an die Staatsspitze und hatte bereits erste Maßnahmen seines Modernisierungskurses eingeleitet. Dass eine chinesische Delegation nach Deutschland reiste, um sich einen Einblick in die hiesige Autoproduktion zu verschaffen, kam also nicht aus heiterem Himmel, sondern war Zeichen einer in den nächsten Jahren stetig voranschreitenden Entwicklung.
Bis zur Grundsteinlegung des ersten Joint-Venture-Werks in Shanghai sollte es zwar noch ein paar Jahre und zahlreiche harte Verhandlungen dauern, 1984 war Volkswagen dennoch eines der ersten westlichen Unternehmen, das in dem aufstrebenden Land mit über einer Milliarde Menschen eine Dependance eröffnete.
Seither hat es Volkswagen geschafft, mehr als drei Jahrzehnte den Spitzenplatz bei den Autoverkäufen in China zu belegen. Diesen Rang verliert VW nun im Zuge der E-Mobilität, bei der die chinesische Konkurrenz erstmals die Nase vorn hat. Die VW-Gesamtstatistik steckt dennoch voller Superlative. Aus den drei Werken, die mein Vater ab 1978 in China mit angeschoben hat, sind inzwischen vierunddreißig Auto- und Komponentenwerke geworden. Jeder fünfte Neuwagen in China stammt aus einer VW-Fabrik. Über 90.000 Arbeitsplätze hat Volkswagen auf diese Weise in China geschaffen. Jedes zweite Auto, das VW 2021 fertigte, wurde an Chinesen ausgeliefert.
Prompt stellt sich die Frage der Abhängigkeit. Sie spielte so lange keine Rolle, solange China ein aufstrebendes, aber immer noch unterentwickeltes Land war und die ausländischen den chinesischen Unternehmen technologisch, finanziell und auch im Management überlegen waren. Und das war China viele Jahre auch: bescheiden, dankbar, zugleich lern- und wissbegierig.
Felix Lee: “China, mein Vater und ich. Über den Aufstieg einer Supermacht und was Familie Lee aus Wolfsburg damit zu tun hat”, Ch. Links Verlag, 256 Seiten, ISBN 978-3-96289-169-5, auch als E-Book erhältlich. Erscheint am 14. März 2023.
Holger Demuth hat die Schweizer Niederlassung der China Construction Bank (CCB) verlassen. Das berichtet der Finanzblog Inside Paradeplatz. Demuth war als COO und CFO verantwortlich für das operative Geschäft wie auch für die Finanzen der Schweizer CCB-Filiale.
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Ein letztes Mal choreografiert heißes Wasser einschenken. Am Montag endete Chinas Nationaler Volkskongress in Peking. Die Frauenquote unter den rund 3.000 Delegierten soll dieses Jahr 26,5 Prozent betragen haben – diese Damen nicht eingerechnet.
Bestechung, politische Einmischung und direkte Drohungen – endlich sagt es einer mal, oder? Der scheidende Präsident der pazifischen Inselgruppe Mikronesien nennt einige Eckpfeiler chinesischer Brachial-Diplomatie beim Namen. Tatsächlich wird in vielen Teilen der Welt – auch in Deutschland – darüber geklagt, mit welch wenig lauteren Methoden die Volksrepublik ihre Interessen in der Welt vertritt. Das geschieht aber meist hinter vorgehaltener Hand. Und am Ende wird meist ein Auge zugedrückt, weil es ja China ist.
Dass der Präsident des Kleinstaats nun sogar den Abbruch der Beziehungen mit Peking ins Spiel bringt, um stattdessen mit Taiwan anzubändeln, birgt eine politische Sprengkraft, die Michael Radunski analysiert. Denn seit Jahrzehnten ist der Trend genau gegenläufig. Aber angesichts einer wachsenden internationalen Skepsis gegenüber China könnte ein solcher Entschluss große Aufmerksamkeit in der Welt erzeugen und Taiwans diplomatischem Engagement neuen Schwung verleihen.
Die Forderung Mikronesiens von 50 Millionen US-Dollar an Taiwan als Gegenleistung klingt zunächst ebenfalls unlauter. Aber bei genauer Betrachtung hatte die Abkehr Dutzender Staaten von Taiwan und deren Hinwendung zur Volksrepublik den exakt gleichen Grund: finanzielle Interessen.
Mittelfristig wird sich China dennoch kaum Sorgen müssen, dass eine Welle an diplomatischen Krisen das Land in die Isolation treiben könnte. Vor allem, wenn sich die Regierung so charmant verhält wie der neue Ministerpräsident Li Qiang bei seiner Antrittsrede gegenüber den Amerikaner. Jörn Petring hat Li zugehört und festgestellt, dass Chinas neuer Regierungschef sachliche Töne gegenüber Washington angeschlagen hat. Die USA sind eben nicht Mikronesien.
Es ist ein politisch hochexplosiver Brief aus der Feder von David Panuelo. Auf 13 Seiten rechnet der scheidende Präsident von Mikronesien mit China ab – und will stattdessen diplomatische Beziehungen zu Taiwan aufnehmen. Damit hat er gleich Zweierlei gewagt:
In dem Schreiben an die Gouverneure der Einzelstaaten von Mikronesien sowie an andere politisch Verantwortliche wirft Panuelo China vor, eine Invasion Taiwans vorzubereiten. Peking versuche die Loyalität oder Neutralität Mikronesiens sicherzustellen, schreibt er. China erwarte, dass sich Mikronesien im Kriegsfall gegen die USA an seine Seite stellt oder sich zumindest enthält. Panuelo erklärt ausführlich, wie China das erreichen will: mit Bestechung, politischer Einmischung und direkten Drohungen.
Aufgrund dieser Praktiken plädiert Panuelo dafür, die diplomatischen Beziehungen zu China zu beenden. Stattdessen sollten die Föderierten Staaten von Mikronesien lieber Beziehungen zu Taiwan aufnehmen. Auch in diesem Punkt nimmt Panuelo kein Blatt vor den Mund – und fordert dafür 50 Millionen US-Dollar von Taiwan.
“Ich war gegenüber Außenminister Wu transparent. Wir gehen davon aus, dass wir eine Finanzspritze von etwa 50 Millionen US-Dollar benötigen, um unseren zukünftigen Bedarf zu decken. Wir können und werden dies über einen Zeitraum von drei Jahren erhalten, wenn und sobald wir diplomatische Beziehungen zu Taiwan aufnehmen”, zitiert die Zeitung Guardian aus dem Brief. Zudem werde man jährlich ein “Hilfspaket” in Höhe von 15 Millionen US-Dollar erhalten.
Panuelos Vorwürfe knüpfen jeweils an Vorkommnisse in anderen Ländern an. So beklagt er chinesische Spionage unter dem Deckmantel von Forschung im Seegebiet des Landes – vergleichbar mit dem jüngsten Ballon-Zwischenfall über den USA. Auch versuche Peking, wichtige Kommunikations- und militärische Infrastrukturen zu kontrollieren – ein Umstand, der in der deutschen Huawei-Debatte oder dem umstrittenen Abkommen mit den Salomonen Widerhall finden könnte.
“Einfach ausgedrückt, wir sind Zeugen politischer Kriegsführung in unserem Land“, schreibt Panuelo. Dies umfasse offene Aktivitäten wie politische Allianzen, wirtschaftliche Maßnahmen und öffentliche Propaganda sowie heimliche Aktivitäten wie “Bestechung, psychologische Kriegsführung und Erpressung”. Panuelo ist seit 2019 Präsident von Mikronesien. Nachdem er die vergangene Wahl verloren hat, wird er allerdings in zwei Monaten aus dem Amt scheiden.
Es ist nicht das erste Mal, dass Panuelo vor Chinas wachsendem Einfluss im Südpazifik warnt. Als China im vergangenen Mai versuchte, “Sicherheitsabkommen” mit den Salomonen und anderen pazifischen Inselstaaten abzuschließen, warnte Panuelo seine Amtskollegen vor einer zu großen Abhängigkeit von Peking. Man laufe Gefahr, in eine Auseinandersetzung zwischen China und den USA gezogen zu werden. China zog damals sein Vorhaben zurück.
Entscheidend für all das ist die sogenannte Inselkettenstrategie des US-Außenpolitikers John Foster Dulles. China versucht, eine Eindämmung zu durchbrechen – und hinter die erste Inselkette aus Taiwan, den Koreas und Japan gelangen. Zudem liegen Pazifikstaaten wie die Salomonen auf der zentralen SLOC (sea line of communication) zwischen Australien und den USA. Jene Seeverbindungslinien sind essenziell für Handel und Logistik, aber auch für die Bewegung von Seestreitkräften.
Entsprechend ist ein diplomatischer Wettstreit um die unzähligen Inselstaaten im Pazifik ausgebrochen, in dem die Rollen bislang klar verteilt sind. Während der Westen die Pazifikstaaten jahrelang sträflich vernachlässigte, hat China unzählige Projekte gestartet: ein nationales Sportstadion für die Pazifikspiele auf den Salomonen, Autobahnen auf Papua-Neuguinea oder Brücken auf Fidschi. Ausgerechnet Deutschland hat hier schnell reagiert, als Außenministerin Annalena Baerbock die Diplomatin Beate Grzeski zur ersten deutschen Sonderbotschafterin für die pazifischen Inselstaaten ernannte.
Denn selbst auf höchster Ebene liegt China vorne. Xi Jinping reiste schon zwei Mal in die Region – 2014 und 2018. US-Präsident Joe Biden gab den Pazifikstaaten hingegen bislang nur das Versprechen, “in naher Zukunft” in die Region reisen zu wollen. Der Brandbrief aus Mikronesien wäre ein guter Anlass.
Der erste große Auftritt des neuen chinesischen Regierungschefs Li Qiang ist aus Sicht der Wirtschaft vielversprechend verlaufen. Sowohl heimischen als auch ausländischen Unternehmen in China ging es zuletzt ähnlich: Einerseits spürten sie nach dem Ende der strengen Corona-Maßnahmen Aufwind. Sie wollten lieber abwarten, welche Signale der Nationale Volkskongress (NVK) sendet, bevor sie große Investitionsentscheidungen treffen.
Li bewies Gespür für diese Stimmung. Er versuchte, neue Zuversicht zu verbreiten. Er wisse, dass es im vergangenen Jahr “falsche Diskussionen” gegeben habe, die “die Unternehmen beunruhigt” hätten. Damit dürfte er die Untergangsstimmung kurz nach dem Parteikongress im Herbst gemeint haben. Als Xi Jinping seine neue Führungsmannschaft voller treuer Gefolgsleute vorstellte, machte sich Panik breit. Viele Beobachter kamen zu dem Schluss, dass die neue Regierungskonstellation wenig wirtschaftsfreundlich sei.
Doch das wollte Li am Montag so nicht stehen lassen. Er setzte zu einem bemerkenswert langen Plädoyer für die Privatwirtschaft an. “Kader auf allen Ebenen sollten sich aufrichtig um private Unternehmen kümmern und ihnen dienen”, forderte Li. Die gesamte Gesellschaft müsse dazu gebracht werden, “eine gute Atmosphäre des Respekts für Unternehmer und Unternehmen zu schaffen”. Seine Regierung werde “alle Arten von Unternehmen fördern und die Entwicklung und das Wachstum privater Unternehmen unterstützen“, versprach der neue Ministerpräsident.
Bei Investoren kam das gut an. Die Kurse an den Börsen in Shanghai und Hongkong legten am Montag kräftig zu. Während der einwöchigen Sitzung des Volkskongresses hatten die Indizes zuvor meist nachgegeben.
Wirtschaftsvertreter dürften sich auch über die außenpolitischen Äußerungen Lis gefreut haben. Li gilt als enger Vertrauter von Xi Jinping und dessen Vollstrecker. In der vergangenen Woche hatten Außenminister Qin Gang und auch Präsident Xi die USA davor gewarnt, China weiter in die Enge zu treiben. Li versuchte es dagegen mit einem positiven Ansatz. Er habe in den vergangenen Jahren oft das Wort “Entkopplung” gehört, sagte Li. Er wisse aber nicht, wer davon profitieren solle.
Das Handelsvolumen zwischen China und den USA habe im vergangenen Jahr einen neuen Rekord erreicht. “Jeder profitiert von der Entwicklung des anderen”, sagte Li. Er blicke positiv auf seine “zahlreichen Treffen mit Führungskräften ausländischer Unternehmen” in seiner Zeit als Parteichef von Shanghai zurück: “Die Zusammenarbeit zwischen China und den USA hat großes Potenzial”, sagte Li. “Belagerung und Unterdrückung” seien für niemanden gut.
Obwohl er einer anderen politischen Strömung angehört, klang der neue Li in vielen Punkten wie sein Vorgänger Li Keqiang. Auch dieser hatte sich bemüht, nicht so staatstragend zu klingen wie der Präsident. “Die große Mehrheit der Menschen schaut nicht ständig auf das BIP-Wachstum, sondern sorgt sich mehr um Wohnraum, Arbeitsplätze, Einkommen, Bildung, Gesundheitsversorgung, Umwelt und andere konkrete Dinge.” In seinen vielen Jahren als Lokalpolitiker habe er eine wichtige Beobachtung gemacht: “Wer nur im Büro sitzt, sieht vor allem Probleme. Wer zu den Menschen geht, findet Lösungen”, sagte Li.
Der Ministerpräsident stärkte Unternehmen den Rücken, machte aber auch deutlich, dass es große Herausforderungen zu bewältigen gebe. China sei mit vielen Unsicherheitsfaktoren, Instabilitäten und unvorhersehbaren Ereignissen konfrontiert, sagte der Regierungschef. “Die Stabilisierung des Wirtschaftswachstums ist eine herausfordernde Aufgabe, nicht nur für China, sondern für alle Länder der Welt”, sagte Li. Es werde für China nicht einfach sein, wie geplant “rund fünf Prozent” Wachstum zu erreichen. Das werde zusätzliche Anstrengungen erfordern.
Weniger positiv dürften auch seine Äußerungen zur Corona-Pandemie aufgenommen worden sein. Li hatte als Parteichef von Shanghai den rund zweimonatigen Lockdown der Metropole überwacht. Dabei war es zu teilweise chaotischen Szenen gekommen. Doch von Selbstkritik war am Montag nichts zu spüren. China habe einen “großen Sieg” errungen. Man habe sich während der Pandemie “immer an das Prinzip gehalten, dass der Mensch an erster Stelle steht”, sagte der Politiker weiter. Chinas Strategien und Maßnahmen seien “absolut richtig” gewesen.
China hat am späten Montagabend angekündigt, ab dem 15. März fast alle Arten von Visa für Ausländer wieder auszustellen. Das berichtete zunächst die Nachrichtenagentur AP in einer Eilmeldung. Es ist ein weiterer wichtiger Schritt aus der selbstgewählten “Zero-Covid”-Isolation.
Wie der Finanznachrichtendienst Bloomberg mit Verweis auf die chinesische Botschaft in den USA berichtet, werde China an mehreren Orten auch die visumfreie Einreise wieder aufnehmen. Dabei handelt es sich beispielsweise um die Insel Hainan. Ebenso gilt die Regel für Kreuzfahrtschiffe, die in Shanghai anhalten, oder für Menschen aus Hongkong und Macau, die über Guangdong einreisen wollen.
Am 8. Januar hatte China bereits die strikten Quarantäneregeln für Einreisende abgeschafft. Fluggäste müssen inzwischen nur noch einen negativen Antigen-Schnelltest vorlegen, um einen Flug nach China antreten zu können.
Wie dramatisch sich die Volksrepublik während der Corona-Pandemie abschottete, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Dem Ministerium für öffentliche Sicherheit zufolge wurden im Jahr 2022 knapp 116 Millionen Ein- und Ausflüge durchgeführt – weniger als ein Fünftel der Flüge als noch 2019, dem Jahr vor der Corona-Pandemie. rad
Zum Abschluss des Nationalen Volkskongress in Peking hat Staatsführer Xi Jinping sich nochmals mit markigen Worten an die rund 3.000 Delegierten gewandt. Chinas Militär soll zu einer “Großen Mauer aus Stahl” werden, sagte Xi am Montag in der Großen Halle des Volkes.
Xi, der auch Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist, erklärte weiter, der Ausbau des Militärs sei wichtig, um die nationale und die öffentliche Sicherheit Chinas zu stärken. “Sicherheit ist die Grundlage für Entwicklung, Stabilität ist die Voraussetzung für Wohlstand.” Zu Beginn des NVK vor rund einer Woche hatten die Delegierten eine Steigerung der Verteidigungsausgaben um 7,2 Prozent und andere Weichenstellungen gebilligt.
Xi rief am Montag zu einer “Wiedervereinigung” mit Taiwan auf, der Einigungsprozess müsse unerschütterlich vorangetrieben werden. Frühere Bekundungen, dass Peking dabei auch militärische Gewalt nicht ausschließe, wiederholte Xi nicht. Vielmehr sollten die Beziehungen friedlich entwickelt werden. Einmischungen von außen sowie spalterische Aktivitäten taiwanischer Unabhängigkeitskräfte müsse man allerdings entschieden entgegentreten, sagte Xi.
Zudem müsse China mehr Eigenständigkeit und Stärke in den Bereichen Wissenschaft und Technologie erlangen. Hintergrund dürften die Pläne der USA sein, China den Zugang zu Spitzentechnologien weiter zu erschweren. rad
Chinas Staatsführer Xi Jinping plant offenbar, nächste Woche nach Moskau zu reisen. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters am Montag und verweist auf Angaben von mit dem Vorhaben vertraute Personen, die allerdings wegen des sensiblen Themas namentlich nicht genannt werden wollten. In Moskau wolle Xi den russischen Präsidenten Wladimir Putin treffen.
Zudem soll Xi Jinping auch ein Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj planen. Das berichtet die Zeitung “Wall Street Journal” unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen berichtet. Demnach soll das Gespräch wohl nach Xis Besuch in Moskau stattfinden.
Am Wochenende hatte China erfolgreich als Vermittler zwischen Saudi-Arabien und Iran agiert. Manche Beobachter hoffen deshalb, dass Peking eine ähnliche Rolle im Ukrainekrieg einnehmen und zwischen Moskau und Kiew vermitteln könnte. Hierfür hatte China unlängst einen 12-Punkte-Plan vorgelegt, der im Westen jedoch vor allem auf Skepsis gestoßen war. Kurz vor Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine hatten China und Russland allerdings eine “grenzenlose” Partnerschaft verabredet.
Vom chinesische Außenministerium gab es zunächst keine Stellungnahme. Das Außenministerium in Moskau lehnte einen Kommentar gegenüber Reuters ab. Schon im Februar hatte Putin einen möglichen Besuch Xis in Moskau angekündigt. Damals war Chinas ranghöchster Außenpolitiker Wang Yi in der russischen Hauptstadt zu Beratungen gereist. rad
Die deutschen Mobilfunkanbieter Telekom, Vodafone und Telefónica Deutschland wollen den Ausbau funktionierender Komponenten chinesischer Anbieter aus ihren Netzen möglichst lange hinauszögern. Das berichtet die Zeitung Welt am Sonntag. Die Mobilfunkfirmen hatten sich von Anfang an unzufrieden mit dem bevorstehenden Richtungswechsel der Bundesregierung gezeigt. Vor drei Jahren hatten das Wirtschaftsministerium noch erklärt, an chinesischen Firmen wie Huawei als Lieferanten für 5G-Netzausrüstung festhalten zu wollen.
Dem Bericht der Welt am Sonntag zufolge hat der Referatsleiter für Cybersicherheit im Bundesinnenministerium die 5G-Verantwortlichen der Unternehmen in der vergangenen Woche per E-Mail dazu aufgefordert, alle kritischen Komponenten zu nennen, die von den Herstellern Huawei und ZTE stammten. Die Liste müsse bis Anfang April vorliegen.
Die Mobilfunkfirmen halten diese Herangehensweise für unprofessionell. “Die ganze Sache kommt völlig überraschend und reichlich hemdsärmelig daher”, zitiert die Zeitung einen der Adressaten. “Normalerweise würde so etwas im Gespräch angekündigt und dann per Einschreiben an den Vorstand gehen, nicht per Mail an einen Abteilungsleiter.”
Etwa die Hälfte der Mobilfunkstationen in Deutschland arbeitet mit Huawei-Technik. Die geopolitischen Ziele im Umgang mit China gefährden daher aus Sicht der Mobilfunkanbieter die Digitalisierungsziele. Diese wollen die Abkehr von Huawei nun verschleppen. Sie können ihre Ausrüstung großflächig für “nicht sicherheitskristisch” erklären und sie können die Einschätzung infrage stellen, dass die Geräte die Sicherheit Deutschlands gefährden. fin
Die britische Regierung hat eine härtere Gangart gegenüber China beschlossen. Mit “schnellen und robusten Maßnahmen” will Großbritannien in Zukunft der “epochalen und systemischen Herausforderung” durch China entgegentreten. Das ist die Quintessenz aus der frisch überarbeiteten Sicherheitsstrategie des Vereinigten Königreichs, die am Montag veröffentlicht wurde.
Das Papier stammt ursprünglich aus dem Jahr 2021 und wurde nach dem russischen Angriff auf die Ukraine erstmals überarbeitet. In der nun gültigen Fassung wird der Aufbau einer National Protective Security Authority angekündigt. Diese neue Sicherheitsbehörde soll für mehr Aufklärung über Gefahren durch Agenten im Auftrag ausländischer Staaten sorgen. Dazu zählen unter anderem die Volksrepublik und Russland, aber auch andere Akteure. grz
Jiang Yanyong 蒋彦永 ist tot. Der 91-Jährige starb nach Angaben des Hongkonger Verlegers Bao Pu in seiner Wohnung in Peking. Jiang hatte vor fast exakt 20 Jahren die Weltöffentlichkeit über das wahre Ausmaß der Verbreitung und Gefahr der Lungenkrankheit Sars informiert. Seit 2019 befand sich der Mediziner wegen seiner wiederholten Forderung nach Aufklärung des Tiananmen-Massakers in Hausarrest.
Jiang hatte Anfang April 2003 chinesische und ausländische Medien über die Gefahr des Sars-Virus in Kenntnis gesetzt. Die Berichterstattung entlarvte die Darstellung der chinesischen Behörden als Lüge und rief die Weltgesundheitsorganisation WHO auf den Plan. Schließlich gelang es Peking, die weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Weltweit gab es in der ersten Sars-Epidemie 8.422 Infizierte und 919 Tote.
Ein Dorn im Auge war Jiang der Kommunistischen Partei aber vor allem wegen seiner Weigerung, über seine Erfahrungen rund um den 4. Juni 1889 zu schweigen. Als Chefarzt und Chirurg am Pekinger Militärkrankenhaus 301 hatten er und seine Kollegen in der tragischen Nacht 89 Verletzte mit Schusswunden operiert und versorgt. 2019 bezeichnete er den Armee-Einsatz als “schlimmstes Verbrechen” der Staatsführung. Seitdem stand Jiang unter Hausarrest. grz
Am 17. April 1978 ist Wenpo Lee Leiter der Forschungsabteilung bei Volkswagen in Wolfsburg. Mit China hatte er abgeschlossen – bis eine chinesische Delegation vor dem Werkstor steht. Wenpo Lee wird in der Folgezeit zu einem der Architekten des China-Geschäfts von VW werden. Damit erlebt er zugleich, wie das Land seinen Aufstieg zur Wirtschaftsmacht gemeistert hat.
“Wenpo, kannst du noch deine Muttersprache?”, rief ein Mitarbeiter der Presseabteilung von Volkswagen am 17. April 1978 aufgeregt ins Telefon.
Wenpo ist mein Vater und zu der Zeit Leiter einer Forschungsabteilung zur Entwicklung sparsamer Motoren bei VW in Wolfsburg. Einspritzmotoren waren eine noch junge Technik, die bis dahin vor allem in teure Fahrzeuge eingebaut wurde. Nun sollte eine Variante entwickelt werden, die für das Massensegment tauglich war, für ein Auto, das jeder bezahlen konnte. Dabei ging es auch um Alternativkraftstoffe. Klimawandel und CO₂-Ausstoß waren zwar noch kein Thema, aber die Ölpreiskrise von 1973 steckte vielen noch in den Knochen. Es gab auch schon die ersten Berichte über sauren Regen und Waldsterben. Und dass es mit den schädlichen Abgaswerten nicht ewig so weitergehen konnte, beschäftigte auch die Abteilung meines Vaters. Zwanzig Jahre später würde der FSI-Motor, an dem sein Team damals arbeitete, im VW Lupo zum Einsatz kommen. Das aber war zu dem Zeitpunkt noch Zukunftsmusik – und auch nicht der Grund des Anrufs an jenem Morgen.
Ob er kommen könne? Am Werktor stünden ein paar Chinesen. Was sie wollen, wisse keiner. Einer von ihnen behaupte, er sei der chinesische Maschinenbauminister.
Natürlich konnte mein Vater noch Chinesisch. Allerdings bezweifelte er, dass ein chinesischer Minister vor dem Werktor stand. Er hielt es nicht einmal für wahrscheinlich, dass es sich um Leute aus der Volksrepublik handelte. Vermutlich waren die Herren eher aus Japan, vielleicht auch aus Südostasien. Sein Kollege aus der Presseabteilung war nicht der Einzige, für den Asiaten alle gleich aussahen. Schon oft war mein Vater für einen Japaner oder einen Vietnamesen gehalten worden.
Auf dem Weg zu den unerwarteten Besuchern beschäftigten meinen Vater Datenauswertungen und Testergebnisse, ein wenig neugierig, wen er antreffen würde, war er auch. Aber dass mit diesem Morgen nicht nur sein Leben ein völlig anderes werden würde, sondern auch deutsche und chinesische Wirtschaftsgeschichte geschrieben würde, ahnte er nicht.
Für meinen Vater gab es bis dahin nur selten Gründe, das berühmte Hauptgebäude des Konzerns mit der braunen Klinkerfassade und dem großen VW-Logo auf dem Dach zu betreten. Es war das höchste Gebäude von Wolfsburg. Ganz oben im zwölften und dreizehnten Stock saßen die Chefs, Vorstandsmitglieder, wie sie offiziell hießen.
Als er das Gebäude erreichte, standen dort tatsächlich fünf Chinesen im Eingangsbereich. Man hatte sie inzwischen vom Werktor hierher geleitet. Mit einem Blick erkannte mein Vater, dass es sich nicht um Japaner handelte, auch nicht um Taiwaner oder chinesische Einwanderer aus den USA. Vier von ihnen trugen Anzug und Krawatte, einer hatte eine blaugraue Jacke und eine Hose in derselben Farbe an, einem Einheitsanzug, wie er in China seit Gründung der Republik 1912 üblich war.
Günter Hartwich, Produktionsleiter und Mitglied im VW-Vorstand, hielt gerade eine kurze Begrüßungsansprache. Die Männer wirkten etwas hilflos, aber als sie meinen Vater sahen, hellten sich ihre Gesichter auf. Sie waren sichtlich erleichtert, einen Landsmann zu sehen. Und als mein Vater sie dann auch noch auf Chinesisch ansprach, schienen sie geradezu glücklich zu sein. Einer von ihnen hieß Yang Keng, dem Verhalten nach ganz klar der Anführer. Meinem Vater sagte der Name nichts. Warum auch, China war ihm im Laufe der Jahre fast so fremd geworden, wie es den meisten Bundesbürgern immer schon war. Yang Keng stellte sich als Minister der Volksrepublik China vor, zuständig für Land- und Industriemaschinen.
Yang Keng hatte den Auftrag, Chinas Fahrzeugindustrie, die bis dahin weitgehend aus der Herstellung von Traktoren und Lastwagen bestand, auszuweiten auf Nutzfahrzeuge für den Straßenverkehr, also Busse und große Lkws. Unverhohlen gab der Minister zu, dass sein Land technisch sehr rückständig sei, ihnen das Wissen fehle. Deswegen sei er nach Deutschland gekommen. Er wolle sich deutsche Fahrzeughersteller ansehen und von ihnen lernen. Von PKW oder Kauf war erstmal keine Rede.
Mein Vater war nicht besonders darin geübt zu übersetzen, gab sich aber alle Mühe, zur Verständigung beider Seiten beizutragen. An einigen Stellen musste er etwas weiter ausholen und zusätzliche Erklärungen liefern, simultanes Übersetzen hätte nicht ausgereicht, zu verschieden waren die Welten, in denen die Gesprächspartner lebten.
Mein Vater hatte die Welt, aus der die fünf Delegationsmitglieder kamen, vor dreißig Jahren verlassen. In den Wirren des chinesischen Bürgerkriegs war er 1948 als Zwölfjähriger von China nach Taiwan geflohen, hatte sich dort als Flüchtlingsjunge allein durchgeschlagen, bis ihn ein Lehrerehepaar aufnahm und er schließlich zum Studium nach Deutschland ging.
Seit seiner Ankunft in der Bundesrepublik 1962 lief es gut für ihn. Er studierte und promovierte, fand eine Anstellung als Entwicklungsingenieur bei VW. Von seinem ersten Gehalt legte sich mein Vater eine Hi-Fi-Anlage zu. In seiner Studienzeit in Aachen besaß er einen VW-Käfer, den er sich mit einem Kommilitonen teilte, inzwischen fuhr mein Vater einen Passat. In den Siebzigerjahren gab es im Werk nur wenige Ausländer, die es zum Abteilungsleiter geschafft hatten. Und eigentlich war er auch kein Ausländer mehr, seit 1977 besaß er die deutsche Staatsbürgerschaft, war also Deutscher. Als solcher war er vor einigen Monaten erstmals seit seiner Flucht nach China gereist, um seine Eltern wiederzusehen. Seine Heimatstadt Nanjing befand sich, so wie das ganze Land, in einem erbärmlichen Zustand.
Möglich gemacht hatte diesen Besuch die beginnende zaghafte Öffnung Chinas seit dem Tod von Mao Tse-tung im September 1976. Nach ein wenig Machtgerangel war Deng Xiaoping 1978 auf dem Weg an die Staatsspitze und hatte bereits erste Maßnahmen seines Modernisierungskurses eingeleitet. Dass eine chinesische Delegation nach Deutschland reiste, um sich einen Einblick in die hiesige Autoproduktion zu verschaffen, kam also nicht aus heiterem Himmel, sondern war Zeichen einer in den nächsten Jahren stetig voranschreitenden Entwicklung.
Bis zur Grundsteinlegung des ersten Joint-Venture-Werks in Shanghai sollte es zwar noch ein paar Jahre und zahlreiche harte Verhandlungen dauern, 1984 war Volkswagen dennoch eines der ersten westlichen Unternehmen, das in dem aufstrebenden Land mit über einer Milliarde Menschen eine Dependance eröffnete.
Seither hat es Volkswagen geschafft, mehr als drei Jahrzehnte den Spitzenplatz bei den Autoverkäufen in China zu belegen. Diesen Rang verliert VW nun im Zuge der E-Mobilität, bei der die chinesische Konkurrenz erstmals die Nase vorn hat. Die VW-Gesamtstatistik steckt dennoch voller Superlative. Aus den drei Werken, die mein Vater ab 1978 in China mit angeschoben hat, sind inzwischen vierunddreißig Auto- und Komponentenwerke geworden. Jeder fünfte Neuwagen in China stammt aus einer VW-Fabrik. Über 90.000 Arbeitsplätze hat Volkswagen auf diese Weise in China geschaffen. Jedes zweite Auto, das VW 2021 fertigte, wurde an Chinesen ausgeliefert.
Prompt stellt sich die Frage der Abhängigkeit. Sie spielte so lange keine Rolle, solange China ein aufstrebendes, aber immer noch unterentwickeltes Land war und die ausländischen den chinesischen Unternehmen technologisch, finanziell und auch im Management überlegen waren. Und das war China viele Jahre auch: bescheiden, dankbar, zugleich lern- und wissbegierig.
Felix Lee: “China, mein Vater und ich. Über den Aufstieg einer Supermacht und was Familie Lee aus Wolfsburg damit zu tun hat”, Ch. Links Verlag, 256 Seiten, ISBN 978-3-96289-169-5, auch als E-Book erhältlich. Erscheint am 14. März 2023.
Holger Demuth hat die Schweizer Niederlassung der China Construction Bank (CCB) verlassen. Das berichtet der Finanzblog Inside Paradeplatz. Demuth war als COO und CFO verantwortlich für das operative Geschäft wie auch für die Finanzen der Schweizer CCB-Filiale.
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Ein letztes Mal choreografiert heißes Wasser einschenken. Am Montag endete Chinas Nationaler Volkskongress in Peking. Die Frauenquote unter den rund 3.000 Delegierten soll dieses Jahr 26,5 Prozent betragen haben – diese Damen nicht eingerechnet.