Table.Briefing: China

Solarindustrie + Einhörner + Hongkong + Konjunktur + Energieprojekte + Stephen S. Roach + Li Ziqi

  • Zwangsarbeit: Solarindustrie im Fokus
  • Chinas Technologie-Einhörner wollen an die Börse in Shanghai
  • Hongkong: Neuer Schlag gegen die Opposition
  • Konjunktur in China stimmt deutsche Exporteure positiv
  • Peking finanziert weniger Energieprojekte im Ausland
  • Xinjiang – Streit um Zugang für UN-Beobachter spitzt sich zu
  • Stephen S. Roach: Die Grenzen der amerikanischen Erholung
  • Im Portrait: Li Ziqi
Liebe Leserin, lieber Leser,

welche Bedeutung Polysilizium für die Solarindustrie hat, wissen Brancheninsider nur zu genau. Man braucht den Stoff zur Herstellung von Zellen. Beinahe die Hälfte des Rohstoffes beziehen die Hersteller weltweit aus Xinjiang. Das wiederum sollten alle wissen, die sich darüber freuen, dass deutsche Solarhersteller nach jahrelangem wirtschaftlichen Siechtum wieder an Bedeutung gewinnen. Denn der Bundestag schickt sich an, noch vor dem Ende der Legislaturperiode ein Lieferkettengesetz zu erlassen, das die Solarwirtschaft in Bedrängnis bringen kann. Nico Beckert hat die Hintergründe.

“KI-Drachen” heißen die erfolgreichsten Tech-Einhörner aus China. Christiane Kühl hat sie sich näher angesehen. Denn sie stehen alle unmittelbar vor dem Börsengang. Und nicht nur sie wollen sich in diesem Jahr das nötige Kapital für Expansionen am Markt holen.

Wenn am Ende der der nächsten Woche der Nationale Volkskongress in Peking startet, wird die Öffentlichkeit Zeuge eines versteckten Wahlbetrugs werden, schreibt Marcel Grzanna. Denn Peking plant, mit einer Wahlrechtsreform den Einfluss Oppositioneller in Hongkong zurückzudrängen und sie durch “wahre Patrioten” zu ersetzen.

Ihre
Antje Sirleschtov
Bild von Antje  Sirleschtov

Presseschau

Hong Kong plans to make politicians swear oath of loyalty to Beijing THE GUARDIAN
A Digital Firewall in Myanmar, Built with Guns and Wire Cutters NEW YORK TIMES
China urges Biden to lift sanctions and stop meddling FT PAY
‘Patriots’ Only: Beijing Plans Overhaul of Hong Kong’s Elections NEW YORK TIMES
China spricht von Neustart in Beziehung zu den USA SPIEGEL
Boomende Kryptowährung – Chinas Antwort auf den Bitcoin TAGESSCHAU
Kanada wirft China Genozid vor FAZ
China nutzt seine Impfstoffe als Werkzeug der Diplomatie DER STANDARD

Analyse

Zwangsarbeit: Solarindustrie im Fokus

Peking stand bereits in den vergangenen Wochen wegen Vorwürfen der Zwangsarbeit in der Baumwoll- und Tomatenproduktion in der Provinz Xinjiang in der Kritik (China.Table berichtete). Nun sieht sich auch die Solarindustrie mit Anschuldigungen konfrontiert, dass Zwangsarbeit am Anfang ihrer Lieferkette steht. Xinjiang gilt als zentrale Region, wenn es um den Ausgangsstoff vieler Solarzellen geht: Polysilizium. Marktanalysen zufolge kommt rund 45 Prozent der Weltproduktion von Polysilizium aus Xinjiang. Unter den Vertretern der Solarbranche in Europa sei der mögliche Einsatz von Zwangsarbeit zur Herstellung von Material, das in Solarmodulen verwendet würde, die letztendlich nach Europa importiert werden, ein “offenes Geheimnis”, heißt es in Branchenkreisen.

Solarverband verfügt über “keine belastbaren Informationen”

Die deutsche Solarwirtschaft wird offenbar von den Folgen des geplanten Lieferkettengesetzes überrascht. Dem deutschen Bundesverband der Solarwirtschaft liegen nach eigenen Angaben “bislang keine belastbaren Informationen” über den Einsatz von Zwangsarbeit in der Solarlieferkette vor. Demnach wurde der Verband erst durch die Anfrage von China.Table “mit dieser Frage konfrontiert” – Gründe dafür seien, “dass im Verband keine Siliziumhersteller organisiert sind und nur wenige chinesische Unternehmen anderer Wertschöpfungsstufen”, so der Verband. Zudem würden “Zulieferinformationen in dem stark vom Wettbewerb geprägten Solar-Markt in der Regel streng vertraulich behandelt“. Gegenüber Dritten, Mitbewerbern und Verbänden würden diese nicht kommuniziert.

Der Verband betont jedoch: Die Solarwirtschaft nehme die “aufgeworfenen Menschenrechtsfragen selbstverständlich ernst” und sei der Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Sollten sich die Vorwürfe der Zwangsarbeit in der Gewinnung von Polysilizium bewahrheiten, fordert der Verband Schritte der EU-Kommission und der Mitgliedsstaaten gegen China. Diese müssten gegenüber der Volksrepublik auf “die Einhaltung von Menschenrechten und Sozialstandards sowie die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen” drängen.

Comeback der Solarindustrie in Deutschland

Derzeit stammen nach groben Schätzungen des Verbands der Solarwirtschaft zwei Drittel der in Deutschland in Solarkraftwerken, auf gewerblichen und privaten Dächern verbauten Solarmodule aus China, ebenso wie ein “relevanter Anteil der weltweiten Siliziumproduktion”. In der Bundesrepublik gibt es derzeit keine Solarzell- und Solarmodulproduktion im industriellen Maßstab. Doch ein Comeback der Solarindustrie scheint absehbar: Das Schweizer Unternehmen Meyer Burger plant, noch in diesem Jahr den Neustart der Solarindustrie in Deutschland einzuleiten – in Bitterfeld sollen Solarzellen, in Freiberg Module produziert werden. Bis zu 3500 Arbeitsplätze sollen dabei entstehen. Auch RCT Solutions plant, 400 Millionen Euro in eine Solarfabrik für Zellen und Module in Deutschland zu investieren.

Eine Sprecherin von Meyer Burger sagt, das Unternehmen hatte mit der Thematik von Zwangsarbeit für die Herstellung von Polysilizium bisher “keinerlei Berührungspunkte”. Man fordere und erhalte von nicht-europäischen Zulieferern “Zertifikate, die bestätigen, dass keine Zwangsarbeit zur Anwendung kommt”. Das Unternehmen verfolgt nach eigenen Angaben das Ziel, die Lieferkette für Solarmodule wieder vollständig außerhalb Asiens zu etablieren. Für Polysilizium gäbe es mit Wacker und Hemlock-Semiconductor zwei große Zulieferer außerhalb Asiens. Ob die preislich mit Polysilizium aus Xinjiang konkurrieren können, kommentierte Meyer Burger nicht.

Lieferkettengesetz nimmt nur Große in die Pflicht

Der jüngst geschlossene Kompromiss zum deutschen Lieferkettengesetz wirkt sich direkt nur auf große Solarunternehmen aus. Der Referentenentwurf sieht vor, dass Unternehmen mit einer Mindest-Mitarbeiterzahl von 3.000 Mitarbeitern ab 2023 – und Unternehmen ab 1000 Mitarbeiter ab 2024 – dafür Sorge tragen müssen, dass die Menschenrechte bei ihren direkten Zulieferern eingehalten werden. Menschenrechtsverletzungen wie beispielsweise Kinder- und Zwangsarbeit müssen identifiziert und beendet werden. Kommen die Unternehmen dieser Verantwortung nicht nach, drohen Bußgelder. Eine zivilrechtliche Haftung ist nicht Bestandteil des Referentenentwurfs. Bei indirekten Zulieferern, also jenen tiefer in der Lieferkette, haben die Unternehmen zunächst weniger Verantwortung und müssen nur aktiv werden, wenn es Berichte über Menschenrechtsverletzungen oder Beschwerden gibt. Kleine und mittelständische Solarfirmen in Deutschland hätten durch das Gesetz also keine neuen menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten.

Für die großen Solarunternehmen gestaltet sich die praktische Umsetzung des Lieferkettengesetzes mit Blick auf die Situation in Xinjiang schwierig. Auch wenn die Zulieferer aus der chinesischen Provinz nicht direkte Zulieferer sind, müssten die Unternehmen aktiv werden, da es Berichte über Menschenrechtsverletzungen gibt. Eine Kontrolle der Zulieferer vor Ort sei jedoch sehr schwierig, sagt Eva-Maria Reinwald, Expertin für Wirtschaft und Menschenrechte bei der NGO Südwind Institut. Erfahrungen aus der Textilindustrie in Xinjiang zeigten, dass externe Auditoren, die die Einhaltung der Menschenrechte in Betrieben bewerten sollen, beispielsweise nicht mit den Arbeiterinnen und Arbeitern sprechen können, so Reinwald.

Kontrolle in Xinjiang kaum möglich

Reinwald betont, es sei zwar wichtig, dass die Unternehmen mit ihren Zulieferern vor Ort agierten und auf Verbesserungen in der Arbeitssituation drängten. Gestalte sich die Kontrolle vor Ort jedoch so schwierig wie in Xinjiang, sei es angebracht, die Beziehungen mit den Zulieferern abzubrechen. Kritik am Kompromiss zum Lieferkettengesetz kommt auch von Human Rights Watch. Die Organisation fordert, der Geltungsbereich des Gesetzes müsse auf Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern ausgeweitet werden. Zudem solle es sich auf die gesamte Lieferkette erstrecken und eine zivilrechtliche Haftung beinhalten.

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Tech-Einhörner: IPO gern in Shanghai

In China ist es wie in den USA: Irgendwann wollen erfolgshungrige Technologie-Startups den ganz großen Schritt wagen und an die Börse gehen. Eine immer weitere Expansion verlangt Kapital, und das spült der Börsengang in die Kasse. Während frühere Internetfirmen wie sohu.com aber vor allem in New York an die Tech-Börse Nasdaq strebten, gehen manche jetzt eher in China oder Hongkong an den Start. Zumal China 2019 in Shanghai die Technologie-Börse Star gegründet hat, um schnell wachsende, aber noch unprofitable Techfirmen anzuziehen.

Die Star-Börse ist attraktiv für Firmen, die für Behörden arbeiten oder im Handelskonflikt mit den USA zwischen die Fronten geraten sind: Firmen wie die vier chinesischen “Einhörner” Künstlicher Intelligenz (KI). Drei von ihnen haben bereits die nötigen Prozesse für ihren Börsengang in Shanghai eingeleitet. Es gilt als sicher, dass sie 2021 das IPO vollbringen. Einhörner sind private Firmen, deren Wert eine Milliarde US-Dollar übersteigt – etwa durch großzügige Investments. Profitabel ist keiner der drei.

Die Startups heißen Megvii Technology, Yitu Technology und CloudWalk Technology. Es sind Namen, die im Westen kaum jemand kennt, ebensowenig wie den vierten der auch “KI-Drachen” genannten Firmen, SenseTime. Doch die US-Behörden kennen sie: Alle vier “KI-Drachen” stehen auf der Schwarzen Liste des US-Handelsministeriums, da ihre Technologie zur Gesichtserkennung bei der Massenüberwachung der muslimischen Uiguren in Xinjiang eingesetzt worden sein soll.

Doch auch bekanntere Firmen sind im Zusammenhang mit Börsengängen im Gespräch – darunter Douyin, die chinesische Variante der im Westen populären Kurzvideo-App TikTok des Konzerns Bytedance, oder die Ride-Hailing-Firma Didi Chuxing, die den chinesischen Markt mit seiner enormen Vielfalt digital buchbarer Transportangebote dominiert.

Drei KI-Drachen an die Star-Börse

Am dichtesten dran am IPO ist das 2011 von drei Absolventen der renommierten Tsinghua-Universität gegründete Megvii, kurz für “megavision”. Mitte Januar teilte die chinesische Börsenaufsicht mit, das Unternehmen sei bereit für ein IPO an dem STAR-Markt in Shanghai. Das in Peking ansässige Unternehmen ist der Entwickler von Face ++, einer Open-Source-Plattform für computerbasiertes Sehen. Computer Vision ist ein interdisziplinäres Feld künstlicher Intelligenz, das Computer darin schult, die visuelle Welt – extrahiert aus Kamerabildern oder Videos – zu verstehen. Es dient also auch der Gesichtserkennung, und wird angewendet etwa für Autonomes Fahren, Virtuelle Realität und Augmented Reality.

Megvii verkauft seine Technologie an Behörden und an Unternehmen wie Alibaba, Lenovo oder Huawei. Es zählt Alibaba, die Ant Group und the Bank of China zu seinen Großinvestoren. Ein zunächst angestrebtes Listing in Hongkong ließ Megvii fallen, nachdem es 2019 auf die amerikanische Schwarze Liste gesetzt wurde und es damit unwahrscheinlich wurde, dass internationale Investoren Megvii-Papiere erwerben würden.

2020 präsentierte Megvii die Brain++ – Architektur, die Computer-Vision-Algorithmen in großem Maßstab trainieren kann. Eine Komponente von Brain++, das Deep-Learning-Framework MegEngine bietet Megvii seit einem Jahr als Open Source an. Megvii expandierte bereits in andere Länder Asiens. Sein Traum sei es, eine international agierende KI-Firma zu werden, sagte Yin Qi, einer der Gründer, einmal in einem Video-Interview der South China Morning Post. Ob das gelingt, hängt sicher auch von der politischen Großwetterlage ab.

Als zweites Startup folgt Yitu, dessen IPO-Antrag für ein STAR-Listing die Shanghaier Börse in November formal annahm. Yitu hat nach eigenen Angaben KI-Technologie in mehr als 30 chinesischen Provinzen sowie in mehr als 10 Ländern und Regionen außerhalb Chinas verkauft. Es konzentrierte sich anfangs vor allem auf KI für medizinische Anwendungen: Chinesische Krankenhäuser nutzen Yitus KI in klinischen Arbeitsabläufen. Später kamen Projekte etwa für die Vernetzung von Städten hinzu; so schloss Yitu 2019 nach eigenen Angaben eine strategische Partnerschaft mit der Stadt Xiamen für ihr Smart-City-Programm.

CloudWalk reichte im Dezember in Shanghai den Börsenprospekt ein. Es gilt als das staatsnaheste Unternehmen der drei; ein Vorläufer entwuchs dem Forschungsteam der Chinesischen Akademie der Wissenschaften zur Gesichtserkennung; die meisten Investoren sind staatlich. CloudWalk verkauft seine KI daher vornehmlich an Behörden, wobei der Schwerpunkt auf Fintech, intelligenter Sicherheit und Transport liegt.

Was planen Didi und Bytedance?

Offen ist, was Didi und Bytedance konkret planen. Dazu gibt es bisher nur Anhaltspunkte, keine formalen Anträge. Didi Chuxing ist nach einem Bericht des Tech-Magazins “The Information” in Gesprächen mit Goldman Sachs, Morgan Stanley und JPMorgan Chase über ein mögliches IPO in der zweiten Jahreshälfte. Das Unternehmen ist der Platzhirsch unter Chinas digitalen Mobilitätsdienstleistern; sein Wert ist mit ungefähr 56 Milliarden US-Dollar viel größer als jener der KI-Drachen. Zu den Investoren gehören SoftBank, Alibaba und Tencent. 2020 verzeichnete Didi laut “The Information” offenbar erstmals einen Gewinn, von rund einer Milliarde Dollar, trotz Corona.

Bytedance erwägt nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg, Teile seiner Vermögenswerte, darunter Douyin und/oder Toutiao an die Hongkonger Börse zu bringen. Douyin ist die chinesische Version der Video-App TikTok. Toutiao, ein mithilfe künstlicher Intelligenz individuell für jeden Nutzer erstellter Nachrichtendienst, war der Durchbruch von ByteDance in China. Der Konzern kämpft parallel darum, Teile des in den USA mit einem Verbot belegten TikTok zu behalten. Die App soll an amerikanische Investoren verkauft werden, um ihren Weiterbetrieb zu ermöglichen.

Trotz der Unsicherheiten für chinesische Firmen auf dem US-Markt planen laut chinesischen IPO-Trackern drei Techfirmen Listings in den USA. Dazu gehören der Fahrrad-Sharing-Dienst Hellobike, der digitale Krankenversicherungs-Marktplatz Waterdrop und die Internet-Jobbörse Boss Zhipin. Immerhin ist keine von diesen in politisch heiklem Territorium unterwegs.

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Hongkong: Neuer Schlag gegen die Opposition

Die Luft für pro-demokratische Kräfte in Hongkong wird immer dünner. Der Trend der vergangenen Jahre zu mehr autoritären Strukturen in der Stadt, der 2020 vorläufig in der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes gipfelte, dürfte sich beim Nationalen Volkskongress Anfang März in Peking weiter beschleunigen. Dann nämlich geraten die Bezirksräte der Metropole am Perlfluss ins Visier des chinesischen Parlaments, das oft einstimmig absegnet, was die Staatsführung vorgibt.

Es herrschen wenig Zweifel daran, dass der Volkskongress beschließen wird, den chinesischen Einfluss auf künftige Wahlen des oder der Hongkonger Regierungschefin weiter zu vergrößern. Zu diesem Zweck soll das 1200-köpfige Wahlgremium entsprechend umgebaut werden und das Stimmrecht der zurzeit meist oppositionellen Stadträte weitgehend an Vertreter der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes übergehen. Die Konsultativkonferenz ist Teil des Nationalen Volkskongresses und arbeitet dem Parlament in Peking zu.

Details der Wahlrechtsreform sind laut Medienberichten noch in Arbeit. Hongkong selbst hat keine eigene Verfassung, sondern wird über das Basic Law aus Peking gesteuert. Der Rechtsrahmen war bei der Rückgabe der Stadt 1997 an China durch die Kolonialmacht Großbritannien in Kraft getreten.

Reaktion auf den Erdrutschsieg der Pro-Demokraten

Der Angriff auf die Kommunalpolitiker ist Pekings Antwort auf die Bezirkswahlen im Herbst 2019. Damals hatten demokratische Politiker im Zuge der monatelangen Protestbewegung gegen Pekings Einfluss auf die Stadt mehr als 80 Prozent aller Sitze in den Kommunen gewonnen und damit 117 Stimmen für die Wahl des Regierungschefs erobert. Ein Großteil der dortigen 1200 Wahlleute sind Interessenvertreter verschiedener gesellschaftlicher Schichten, von denen viele – nicht zufällig – im Sinne der Pekinger Führung abstimmen. Bei der letzten Wahl der amtierenden Regierungschefin Carrie Lam im Jahr 2017 hatten mehrere Wahlleute preisgegeben, dass sie von der Zentralregierung aufgefordert wurden, für die Pekinger Kandidatin zu stimmen.

Um den verbliebenen Einfluss der Demokraten weiter zu reduzieren, hat die Zentralregierung die Parole ausgerufen, dass Hongkong künftig von “Patrioten” regiert werden müsse. In einer Rede am vergangenen Montag bezeichnete der für Hongkong und Macau verantwortliche Pekinger Funktionär, Xia Baolong, all jene als “Zerstörer”, die sich gegen die Pekinger oder Hongkonger Regierung aussprechen würden. Exekutive, Legislative und Judikative müssten sich aus “wahren Patrioten” zusammensetzen, sagte Xia, der damit die Rhetorik von Staatspräsident Xi Jinping übernahm.

Wahlrechtsreform wirkt auch rückwirkend

Um “Patrioten” besser von “Zerstörern” unterscheiden zu können, ist zudem eine Verschärfung des Amtseidgesetzes vorgesehen, das seinerseits von der Hongkonger Regierung beschlossen werden soll. Weil sich die Oppositionellen vornehmlich in den Bezirksräten tummeln, müssen die Gewählten ihre Loyalität gegenüber der Hongkonger Regierung und dem Basic Law beschwören. Wer gegen seien Eid verstößt, kann aus dem Amt entfernt und für fünf Jahre für jedes öffentliche Amt gesperrt werden. Wie auch das Nationale Sicherheitsgesetz wird auch ein neues Amtseidgesetz rückwirkend angewendet. Das bedeutet in der Theorie, dass ein Bezirksrat, der sich vor Jahren kritisch zu Chinas Einfluss in Hongkong geäußert hat, nachträglich dafür belangt werden kann.

Betroffen sind davon bereits mindestens vier Bezirksräte, die schon für die angedachte Wahl des Legislativrats im vergangenen Jahr disqualifiziert worden waren und deswegen auch um ihr Amt in der kommunalen Politik fürchten müssen. Die Wahl wurde schließlich auf Herbst dieses Jahres verschoben. Offiziell geschah das wegen der Corona-Pandemie. Oppositionspolitiker glauben jedoch, dass die Hongkonger Regierung sich Zeit verschaffen wollte, um bis zur Neuansetzung der Wahl die Rahmenbedingungen zu ihren Gunsten zu modellieren.

Die betroffenen Bezirksräte klagen darüber, dass das Gesetz jeden Raum für abweichende Meinungen lösche und die chinesische Regierung es dazu nutzen würde, um die Opposition zum Schweigen zu bringen. “Das neue Gesetz verzerrt das Verständnis der Hongkonger für Wahlgesetze und soll der Regierung helfen, Wahlen fest zu kontrollieren”, sagte Cheng Tat-hung, einer der vier pro-demokratischen Bezirksräte der Tageszeitung Apple Daily.

Opposition: Peking will alle Gegner entfernen

Derweil verteidigte der Sekretär für konstitutionelle und Festlandangelegenheiten, Erick Tsang, bei einer Pressekonferenz die Verschärfung des Gesetzes. “Sie können nicht sagen. ‘Ich bin patriotisch, aber ich respektiere nicht die Tatsache, dass die Kommunistische Partei Chinas das Land führt.” Oppositionelle Kräfte gehen davon aus, dass Peking versuchen wird, alle Gegner aus öffentlichen Ämtern zu entfernen, selbst wenn diese den verschärften Amtseid abgelegt hätten. Die Bezirksräte halten das für einen Fehler, für den China einen Preis zahlen müsse, weil die Kommunalpolitik durch den Ausschluss gewählter Repräsentanten an Qualität einbüßen würde.

Auf Grundlage des Nationalen Sicherheitsgesetzes, das im Juli vergangenen Jahres implementiert worden ist, haben Hongkongs Behörden bereits mehr als 100 pro-demokratische Aktivisten und Politiker festgenommen. Einigen von ihnen wird derzeit der Prozess gemacht wie beispielsweise dem einflussreichen Verleger Jimmy Lai oder dem Aktivisten Martin Lee, der in Hongkong aufgrund seines Wirkens in den 1980er- und 90er-Jahren gemeinhin als “Vater der Demokratie” bezeichnet wird. Das Sicherheitsgesetz war vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses erlassen worden. Es ermöglicht den Strafverfolgungsbehörden, gegen unliebsame Stimmen in und außerhalb Hongkongs vorzugehen. Zahlreiche ausländische Juristen halten das Gesetz für so vage formuliert, dass es den Behörden weitgehend freie Hand lässt, gegen wen sie vorgehen wollen.

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News

Konjunktur in China stimmt deutsche Exporteure positiv

Deutsche Exporteure sind angesichts eines erwarteten Konjunkturaufschwungs bei den Handelspartnern China und USA zuversichtlich gestimmt. Die Stimmung unter den deutschen Exporteuren habe “sich spürbar verbessert”, teilte das Ifo-Institut gestern mit. Demnach stieg im Februar der Ifo-Index für die Exporterwartungen von 7,5 Punkten auf 10,7 Punkte – was dem höchsten Wert seit September 2018 entspreche. “Chinas gute Wirtschaftslage und eine Steigerung der US-Produktion helfen deutschen Exporteuren“, erklärte Ifo-Präsident Clemens Fuest.

Die Chemie-Industrie erwartet dem Institut zufolge ein deutliches Exportwachstum, ebenso wie Hersteller von Maschinen und Anlagen. Auch die Automobilhersteller erwarteten erneut weitere Bestellungen aus dem Ausland. Die Exporterwartungen der Hersteller von Elektrogeräten stiegen auf den höchsten Stand seit Februar 2018, hieß es in der Mitteilung. Die Möbel- und Bekleidungsindustrie sei weiterhin mit Schwierigkeiten auf dem internationalen Markt konfrontiert, da die Unternehmen einen deutlichen Umsatzrückgang erwarteten, teilte Ifo mit. Der Ifo-Index beruht auf einer monatlichen Befragung von 2300 Industrieunternehmen. ari

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China finanziert weniger Energieprojekte im Ausland

Chinas nationale Entwicklungsbanken haben 2020 Energieprojekte im Ausland in Höhe von 4,6 Milliarden US-Dollar finanziert. Das ist die niedrigste Förderung seit 2008, wie neue Daten der Boston University zeigen. Der Großteil der Finanzierung floss in den Bau einer Gas-Pipeline in Nigeria (2,5 Milliarden US-Dollar). Insgesamt wurden Projekte in acht Ländern gefördert. Mit Serbien ist ein europäisches Land vertreten. 2019 wurden noch Projekte in Höhe von 8,1 Milliarden US-Dollar gefördert.

Die großen staatlichen Entwicklungsbanken Export-Import Bank of China und China Development Bank standen in der Vergangenheit regelmäßig wegen ihrer hohen und anhaltenden Förderung von Kohlekraftwerken im Ausland in der Kritik (China.Table berichtete). Im letzten Jahr wurde nur noch ein Kohlekraftwerk in Pakistan mit 260 Millionen US-Dollar gefördert. Bloomberg berichtet, dass auch die Covid19-Pandemie für den abnehmenden Trend in der Finanzierung von Energieprojekten verantwortlich ist. Kevin Gallagher, Professor an der Boston University, sagte gegenüber Bloomberg, China versuche, Aspekte der Schuldentragfähigkeit bei Auslandsfinanzierungen stärker zu berücksichtigen. nib

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  • Finanzen
  • Kohle

Xinjiang – Streit um Zugang für UN-Beobachter spitzt sich zu

Der Streit zwischen der EU und Peking um Zugang für eine internationale Beobachter-Mission in die chinesische Provinz Xinjiang spitzt sich weiter zu. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte China gestern in einer Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat erneut auf, unabhängigen Beobachtern einen “sinnvollen” Zugang zu der Region zu ermöglichen. “Das ist der Schlüssel, um eine unabhängige, unparteiische und transparente Bewertung der schwerwiegenden Bedenken der internationalen Gemeinschaft zu ermöglichen”, sagte Borrell. China müsse zudem “die Grundfreiheiten, die Rechtsstaatlichkeit und die demokratischen Grundsätze in Hongkong” respektieren und ein hohes Maß an Autonomie nach dem Prinzip “Ein Land, zwei Systeme” sicherstellen.

Bereits am Montag hatten Bundesaußenminister Heiko Maas und sein britischer Amtskollege Dominic Raab in einer Rede vor dem UN-Rat den Druck auf China erhöht und Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang kritisiert. Peking antwortete darauf umgehend: Grundlegende Fakten zeigten, dass es in Xinjiang nie einen “sogenannten Völkermord”, Zwangsarbeit oder religiöse Unterdrückung gegeben habe, sagte Chinas Außenminister Wang Yi Berichten zufolge vor demselben Gremium. “Solche aufrührerischen Anschuldigungen entstehen aus Unwissenheit und Vorurteilen. Sie sind einfach böswilliger und politisch motivierter Hype und könnten nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein”, so Wang Yi. In Xinjiang seien gesetzeskonforme Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung ergriffen worden, sagte der chinesische Außenminister. Die Provinz genieße nach vier Jahren ohne “terroristischen Vorfall” nun “soziale Stabilität und solide Entwicklung”, erklärte Wang Yi dem Bericht zufolge weiter.

China ist seit vergangenem Jahr Mitglied des UN-Menschenrechtsrates. An dem Einzug der Volksrepublik in das Gremium gab es vermehrt Kritik. ari

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Standpunkt

Die Grenzen der amerikanischen Erholung

Von Stephen S. Roach
Stephen S. Roach zu den Grenzen der Wirtschaftserholung in den USA

Während sich die zweite Impfdosis in meinem Arm ausbreitete, konnte ich die unmittelbare Befriedigung zurückgestellter Sehnsüchte beinahe schmecken. Nach fast einjähriger Abstinenz war es Zeit, ihnen nachzugeben.

Während ich das Glück hatte – oder vielmehr, alt genug war -, Teil der ersten Impfwelle zu sein, wird der Rest der USA bald folgen. Die Möglichkeit, dass eine breiter angelegte Impfstoffverteilung bis Ende des Jahres zur “Herdenimmunität” führt, ist nicht länger von der Hand zu weisen. Und mit Ende des Coronavirus-Albtraums, so das an den Finanzmärkten weithin diskontierte Argument, können die langen Entbehrungen ausgesetzten US-Verbraucher endlich entspannen und die glorreiche V-förmige Erholung genießen.

China schützte seine Bürger zunächst durch drakonische gesundheitspolitische Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit und zur Abschwächung ihrer Ausbreitung vor der Ansteckung mit einem virulenten Pathogen und ergreift dann – und erst dann – umsichtige geld- und fiskalpolitische Schritte, um die rapide Erholung nach dem Lockdown zu unterstützen. Dies ist ein völlig anderer Ansatz als in den USA, wo sich die Debatte im Gefolge des Lockdowns stärker darum dreht, die Geld- und Fiskalpolitik als vorderste Instrumente wirtschaftlicher Befreiung einzusetzen, statt sich auf disziplinierte gesundheitspolitische Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zu stützen.

Das Konzept der aufgestauten Nachfrage wurde in der Volkswirtschaft bereits umfassend untersucht. Während es normalerweise auf langlebige Konsumgüter – Autos, Möbeln, Haushaltsgeräte usw. – angewandt wird, wurde es auch schon genutzt, um Aktivitäten im Wohnungsbau und Unternehmensinvestitionen in Anlagen und Ausrüstung zu beschreiben.

Aufgestaute Nachfrage

Die Idee beruht auf der grundlegenden Prämisse dynamischer Nachfragemodelle, die als “Lageranpassungseffekt” bekannt ist: Eine unerwartete Entwicklung, die dazu führt, dass Ausgaben für langlebige Güter mit endlicher Nutzungsdauer aufgeschoben werden, mildert die (physische oder technologische) Veralterung und den damit einhergehenden Bedarf an einem Ersatz nicht. Folgerichtig kann mit Ende der Unterbrechung ein steiler Anstieg der verschobenen – oder aufgestauten – Nachfrage nach Ersatzgütern eine wirtschaftliche Erholung auslösen.

In der Regel fällt diese Erholung umso stärker aus, je größer die Erschütterung und die damit einhergehende Zurückstellung der Nachfrage nach Ersatzgütern sind. Ich rate meinen Studenten, sich zur Veranschaulichung ein großes Gummiband vorzustellen: Je stärker man daran zieht, desto stärker schnellt es zurück, wenn man loslässt. Der wahre Test kommt danach, und hier hat Chinas Strategie ihren größten Vorteil.

Dies funktioniert gut, um die vorübergehenden Auswirkungen sogenannter “exogener Erschütterungen” (damit bezeichnen Ökonomen Dinge wie Naturkatastrophen, Streiks, politische Turbulenzen und Kriege) zu erklären. Weniger gut funktioniert es bei Erschütterungen, die bleibende wirtschaftliche Narben verursachen können – wie Finanzkrisen und, ja, Pandemien. Natürlich unterscheiden sich diese beiden Krisen. In beiden Fällen war Chinas Krisenstrategie deutlich effektiver als die der USA.

Jüngste Trends bei den US-Konsumausgaben legen nahe, dass die Naturkräfte der aufgestauten Nachfrage sich weitgehend erschöpft haben könnten. In den letzten acht Monaten des Jahres 2020 überstieg die Erholung bei den langlebigen Konsumgütern, nach dem Lockdown vom März und April, die lockdownbedingten Verluste um volle 39 Prozent. Infolgedessen entfielen auf langlebige Konsumgüter in der zweiten Jahreshälfte 2020 damit 8,25 Prozent vom BIP – der höchste Anteil seit 2007 und deutlich mehr als der Durchschnitt von 7,1 Prozent des Zeitraums von 2008-2019.

Vorsichtige Verbraucher

Vermutlich wird noch etwas mehr kommen. Im Gefolge einer weiteren Tranche von Unterstützungszahlungen der US-Bundesregierung im Dezember (600 Dollar pro anspruchsberechtigtem Empfänger) bietet der für Januar vermeldete Anstieg beim Einzelhandelsumsatz von 5,3 Prozent – in erster Linie bedingt durch den ungewöhnlich großen Anstieg bei langlebigen Gütern wie Elektronikartikeln, Haushaltsgeräten und Möbeln – einen weiteren Hinweis auf eine Euphorie der Verbraucher. Und angesichts einer möglichen weiteren Runde noch höherer Schecks (1.400 Dollar) im Rahmen von Präsident Joe Bidens “Rettungsplan für Amerika” scheint ein zusätzlicher Schub durch langlebige Konsumgüter wahrscheinlich.

An diesem Punkt jedoch sollte sich die aufgestaute Nachfrage erschöpft haben. Dies wird sogar noch deutlicher, wenn man die außerordentliche Stärke des jüngsten Anstiegs bei den Ausgaben für langlebige Konsumgüter mit vergangenen Zyklen einer aufgestauten Nachfrage vergleicht. Seit Beginn der 1990er Jahre sind Erholungen beim privaten Konsum relativ schwach ausgefallen. Doch in den sieben zyklischen Expansionen von Mitte der 1950er bis Anfang der 1980er Jahre erhöhte die Freisetzung der aufgestauten Nachfrage den Anteil langlebiger Konsumgüter am BIP in den vier Quartalen nach einem Konjunkturtief um durchschnittlich 0,6 Prozentpunkte. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist der jüngste Anstieg des Anteils langlebiger Konsumgüter am BIP von vollen 1,35 Prozentpunkten gegenüber dem Tiefstwert von 6,9 Prozent im ersten Quartal 2020 umso außergewöhnlicher. Er ist mehr als doppelt so hoch wie die Norm früherer Jahre und damit erst recht nicht aufrechtzuerhalten.

Zugleich verbirgt die machtvolle Freisetzung der aufgestauten Nachfrage, gestützt auf die beispiellose Unterstützung durch die Fiskal- und die Geldpolitik, eine anhaltende Unterströmung der Schreckhaftigkeit aufseiten der Verbraucher, die noch lange über die Impfung des größten Teils der US-Bevölkerung hinaus anhalten dürfte. Der sogenannte lange Schatten früherer großer Pandemien bietet eine Menge historischer Präzedenzfälle für dieses Szenario.

Dasselbe gilt für jüngste Daten, die Anzeichen einer Narbenbildung im Dienstleistungssektor erkennen lassen – insbesondere bei Aktivitäten wie etwa Reisen, Freizeit und Unterhaltung, die einen direkten Kontakt zu anderen Menschen erfordern. Auch mit Impfstoffen steht eine Interaktion von Angesicht zu Angesicht im Widerspruch zu dem inzwischen tief verwurzelten Bewusstsein der persönlichen Gesundheitsrisiken, welches das Verbraucherverhalten vermutlich noch auf Jahre hinaus mitbestimmen dürfte.

Schwache Erholung drückt auf den Arbeitsmarkt

Die Zahlen zeigen es. Im Gegensatz zur starken Erholung der Konsumausgaben für langlebige Güter wurden bei der auf den Lockdown folgenden Erholung im Dienstleistungssektor von Mai bis Dezember 2020 nur 63 Prozent der Verluste vom März und April aufgeholt. Nicht überraschend betrifft diese Schwäche bei den Dienstleistungen (auf die insgesamt etwas über 60 Prozent des US-Gesamtkonsums entfallen) überwiegend Aktivitäten mit direktem Kontakt zu anderen Menschen wie den Verkehr (Reisen), Erholung (Freizeit) und Restaurantbesuche. Zusammen liegen diese drei Ausgabenkategorien – auf die volle 61 Prozent des lockdownbedingten Absturzes bei den Verbraucherdienstleistungen entfielen – noch immer um 25 Prozent unter ihrem Höchstwert vom vierten Quartal 2019.

Dieselbe Zögerlichkeit bei der Nachfrage nach Verbraucherdienstleistungen spiegelt sich in vergleichbaren Trends auf dem US-Arbeitsmarkt wider. Auch wenn es bei den Neueinstellungen seit Aufhebung der Lockdowns im letzten Frühjahr eine deutliche Erholung gab, liegt die Gesamtzahl der Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft noch immer 9,9 Millionen unter dem Höchstwert vom Februar 2020.

Auch hier ist der Grund keine Überraschung. Volle 83 Prozent dieser Differenz konzentrieren sich in privaten Dienstleistungen mit persönlichem Kontakt wie Transportwesen, Freizeit und Gastgewerbe, Unterbringung, Food-Services, Einzelhandel, der Film- und Tonbranche und der privaten Bildung. Neue Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich dies fortsetzen wird: Der Gegenwind im Dienstleistungssektor nach Covid-19 dürfte ein anhaltendes Merkmal des US-Marktes bleiben.

Ungeachtet der vorhersehbaren Freisetzung der aufgestauten Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern gibt es bei den Dienstleistungen mit persönlichen Kontakten – sowohl bei der Verbrauchernachfrage als auch bei den Beschäftigungsdaten – klare Belege einer dauerhaften Narbenbildung. Infolgedessen wird die Erholung der US-Wirtschaft im Gefolge der Pandemie, nun da sich der von der aufgestauten Nachfrage ausgehende Erholungseffekt seinem Ende nähert, vermutlich deutlich hinter der “Warpgeschwindigkeit” bei der Impfstoffentwicklung zurückbleiben.

Stephen S. Roach ist Professor an der Universität Yale, ehemaliger Chairman von Morgan Stanley Asia und der Verfasser von The Codependency of America and China. Aus dem Englischen von Jan Doolan.

Copyright: Project Syndicate, 2021.
www.project-syndicate.org

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Portrait

Li Ziqi

Li Ziqi - Influencerin

Die chinesische Influencerin Li Ziqi hat es auf Youtube weit gebracht. Vor kurzem erhielt sie den Guinness Weltrekord für die meisten Follower für einen chinesischsprachigen Kanal bei Youtube. 14,5 Millionen Abonnenten zählt Li Ziqi und ihre Videos erreichen oft zig Millionen Views. Ihr erstes Video, bei dem sie ein Kleid mit Trauben färbt, zählt mehr als 20 Millionen Views.

Li Ziqi setzt auf ganz andere Werte als die meisten ihrer Influencer-Kolleginnen. In ihren Videos gibt es keine wacklige Handkamera im Selfie-Modus. Kein Großstadt-Flair und keine Konsumempfehlungen.

Bei ihr wird entschleunigt und ihre Videos zeigen sie häufig auch bei traditioneller chinesischer Handwerkskunst: Sie kocht mit selbst geernteten Zutaten, übt sich in traditioneller Kalligraphie, macht filigrane Papierausschnitte oder fällt im Wald Bäume, aus denen dann Hütten gebaut werden. Meist trägt sie dabei traditionelle chinesische Kleidung und wird oft von Hundewelpen oder Lämmern begleitet. Gesprochen wird wenig, aber was gesprochen wird, ist Chinesisch.

Laut ihrer Biographie, die auf verschiedenen chinesischen Websites zu finden ist, wuchs Li Ziqi in einem kleinen Dorf Mianyang in Sichuan auf. Von ihrer Stiefmutter schlecht behandelt, lebte sie bei ihren Großeltern. Mit 14 Jahren musste sie die Schule verlassen, als ihr Großvater verstarb und ihre Großmutter nicht mehr für sie sorgen konnte. Fortan arbeitete sie unter anderem als Kellnerin, DJane, Sängerin und Tänzerin. Doch dann entschied sie sich gegen den Trubel der Großstadt und kehrte zurück in ihr Heimatdorf. 2015 begann sie Videos davon zu drehen, wie sie Essen traditionell zubereitet. Der Durchbruch kam Ende 2016 mit dem Video “Lanzhou Beef Nudeln”, durch das Li Ziqi Aufmerksamkeit und viele nationale Internetpreise einheimste. Kurz darauf gründete sie zusammen mit Hangzhou Weinian Technology Co. Ltd. gemeinsam die Firma Sichuan Ziqi Culture Broadcast Co. Ltd und startete professionelle Videoproduktionen.

Li Ziqi von den Staatsmedien zelebriert

Seitdem hat sie bei Douyin, der chinesischen Version von Tiktok mehr als 700 solcher Videos hochgeladen und erreicht mehr als 50 Millionen Follower. Bei Kuaishou immerhin zehn Millionen, wobei sie hier erst seit 2018 Videos postet. Ihrem Online-Shop bei Taobao folgen fünf Millionen Menschen, ihrem Weibo etwa 28 Millionen. Zwar ist sie eine Berühmtheit, in chinesischen Dimensionen ist sie aber immer noch weit von der Spitze entfernt. Die Schauspielerin Angelababy zum Beispiel erreicht auf Weibo 105 Millionen, die ehemalige Moderatorin Xie Na sogar 130 Millionen.

Die chinesischen Staatsmedien zelebrieren Li Ziqi dennoch gern. Eine gutaussehende junge Frau, die im Internet ein Bild von chinesischer Idylle ohne Konflikt, Misserfolg oder sonstige schlechte Dinge verbreitet, ist eine ideale Vorzeige-Influencerin. Kein Wunder, denn ihre Videos würden perfekt in eine Ausstellung des Nationalen Kunstmuseums Chinas passen.

Anders läuft es in Korea, wo sie vor einigen Wochen für Streit in der Internetcommunity sorgte, als sie ein Video, in dem sie Kimchi zubereitet hatte, mit dem Hashtag #ChineseFood versah. Prompt wurde die gesamte Geschichte in Frage gestellt und Li vorgeworfen, dass ihre Internetauftritte und Hintergrundgeschichte frei erfunden seien, um chinesische Propaganda im Westen zu verbreiten. Und selbst bei chinesischen Netizens ist sie nicht ganz unumstritten. Der Fokus liegt hier jedoch auf ihren Händen und ihren Kleidern, die trotz der harten Arbeit meist blütenrein und sauber sind. Gregor Koppenburg / Jörn Petring

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Auch Lust auf China-Themen in Buchform? Alex Ash, Autor des sehr empfehlenswerten Buchs “Die Einzelkinder: Wovon Chinas neue Generation träumt”, empfielt acht neue China-Bücher.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Zwangsarbeit: Solarindustrie im Fokus
    • Chinas Technologie-Einhörner wollen an die Börse in Shanghai
    • Hongkong: Neuer Schlag gegen die Opposition
    • Konjunktur in China stimmt deutsche Exporteure positiv
    • Peking finanziert weniger Energieprojekte im Ausland
    • Xinjiang – Streit um Zugang für UN-Beobachter spitzt sich zu
    • Stephen S. Roach: Die Grenzen der amerikanischen Erholung
    • Im Portrait: Li Ziqi
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    welche Bedeutung Polysilizium für die Solarindustrie hat, wissen Brancheninsider nur zu genau. Man braucht den Stoff zur Herstellung von Zellen. Beinahe die Hälfte des Rohstoffes beziehen die Hersteller weltweit aus Xinjiang. Das wiederum sollten alle wissen, die sich darüber freuen, dass deutsche Solarhersteller nach jahrelangem wirtschaftlichen Siechtum wieder an Bedeutung gewinnen. Denn der Bundestag schickt sich an, noch vor dem Ende der Legislaturperiode ein Lieferkettengesetz zu erlassen, das die Solarwirtschaft in Bedrängnis bringen kann. Nico Beckert hat die Hintergründe.

    “KI-Drachen” heißen die erfolgreichsten Tech-Einhörner aus China. Christiane Kühl hat sie sich näher angesehen. Denn sie stehen alle unmittelbar vor dem Börsengang. Und nicht nur sie wollen sich in diesem Jahr das nötige Kapital für Expansionen am Markt holen.

    Wenn am Ende der der nächsten Woche der Nationale Volkskongress in Peking startet, wird die Öffentlichkeit Zeuge eines versteckten Wahlbetrugs werden, schreibt Marcel Grzanna. Denn Peking plant, mit einer Wahlrechtsreform den Einfluss Oppositioneller in Hongkong zurückzudrängen und sie durch “wahre Patrioten” zu ersetzen.

    Ihre
    Antje Sirleschtov
    Bild von Antje  Sirleschtov

    Presseschau

    Hong Kong plans to make politicians swear oath of loyalty to Beijing THE GUARDIAN
    A Digital Firewall in Myanmar, Built with Guns and Wire Cutters NEW YORK TIMES
    China urges Biden to lift sanctions and stop meddling FT PAY
    ‘Patriots’ Only: Beijing Plans Overhaul of Hong Kong’s Elections NEW YORK TIMES
    China spricht von Neustart in Beziehung zu den USA SPIEGEL
    Boomende Kryptowährung – Chinas Antwort auf den Bitcoin TAGESSCHAU
    Kanada wirft China Genozid vor FAZ
    China nutzt seine Impfstoffe als Werkzeug der Diplomatie DER STANDARD

    Analyse

    Zwangsarbeit: Solarindustrie im Fokus

    Peking stand bereits in den vergangenen Wochen wegen Vorwürfen der Zwangsarbeit in der Baumwoll- und Tomatenproduktion in der Provinz Xinjiang in der Kritik (China.Table berichtete). Nun sieht sich auch die Solarindustrie mit Anschuldigungen konfrontiert, dass Zwangsarbeit am Anfang ihrer Lieferkette steht. Xinjiang gilt als zentrale Region, wenn es um den Ausgangsstoff vieler Solarzellen geht: Polysilizium. Marktanalysen zufolge kommt rund 45 Prozent der Weltproduktion von Polysilizium aus Xinjiang. Unter den Vertretern der Solarbranche in Europa sei der mögliche Einsatz von Zwangsarbeit zur Herstellung von Material, das in Solarmodulen verwendet würde, die letztendlich nach Europa importiert werden, ein “offenes Geheimnis”, heißt es in Branchenkreisen.

    Solarverband verfügt über “keine belastbaren Informationen”

    Die deutsche Solarwirtschaft wird offenbar von den Folgen des geplanten Lieferkettengesetzes überrascht. Dem deutschen Bundesverband der Solarwirtschaft liegen nach eigenen Angaben “bislang keine belastbaren Informationen” über den Einsatz von Zwangsarbeit in der Solarlieferkette vor. Demnach wurde der Verband erst durch die Anfrage von China.Table “mit dieser Frage konfrontiert” – Gründe dafür seien, “dass im Verband keine Siliziumhersteller organisiert sind und nur wenige chinesische Unternehmen anderer Wertschöpfungsstufen”, so der Verband. Zudem würden “Zulieferinformationen in dem stark vom Wettbewerb geprägten Solar-Markt in der Regel streng vertraulich behandelt“. Gegenüber Dritten, Mitbewerbern und Verbänden würden diese nicht kommuniziert.

    Der Verband betont jedoch: Die Solarwirtschaft nehme die “aufgeworfenen Menschenrechtsfragen selbstverständlich ernst” und sei der Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Sollten sich die Vorwürfe der Zwangsarbeit in der Gewinnung von Polysilizium bewahrheiten, fordert der Verband Schritte der EU-Kommission und der Mitgliedsstaaten gegen China. Diese müssten gegenüber der Volksrepublik auf “die Einhaltung von Menschenrechten und Sozialstandards sowie die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen” drängen.

    Comeback der Solarindustrie in Deutschland

    Derzeit stammen nach groben Schätzungen des Verbands der Solarwirtschaft zwei Drittel der in Deutschland in Solarkraftwerken, auf gewerblichen und privaten Dächern verbauten Solarmodule aus China, ebenso wie ein “relevanter Anteil der weltweiten Siliziumproduktion”. In der Bundesrepublik gibt es derzeit keine Solarzell- und Solarmodulproduktion im industriellen Maßstab. Doch ein Comeback der Solarindustrie scheint absehbar: Das Schweizer Unternehmen Meyer Burger plant, noch in diesem Jahr den Neustart der Solarindustrie in Deutschland einzuleiten – in Bitterfeld sollen Solarzellen, in Freiberg Module produziert werden. Bis zu 3500 Arbeitsplätze sollen dabei entstehen. Auch RCT Solutions plant, 400 Millionen Euro in eine Solarfabrik für Zellen und Module in Deutschland zu investieren.

    Eine Sprecherin von Meyer Burger sagt, das Unternehmen hatte mit der Thematik von Zwangsarbeit für die Herstellung von Polysilizium bisher “keinerlei Berührungspunkte”. Man fordere und erhalte von nicht-europäischen Zulieferern “Zertifikate, die bestätigen, dass keine Zwangsarbeit zur Anwendung kommt”. Das Unternehmen verfolgt nach eigenen Angaben das Ziel, die Lieferkette für Solarmodule wieder vollständig außerhalb Asiens zu etablieren. Für Polysilizium gäbe es mit Wacker und Hemlock-Semiconductor zwei große Zulieferer außerhalb Asiens. Ob die preislich mit Polysilizium aus Xinjiang konkurrieren können, kommentierte Meyer Burger nicht.

    Lieferkettengesetz nimmt nur Große in die Pflicht

    Der jüngst geschlossene Kompromiss zum deutschen Lieferkettengesetz wirkt sich direkt nur auf große Solarunternehmen aus. Der Referentenentwurf sieht vor, dass Unternehmen mit einer Mindest-Mitarbeiterzahl von 3.000 Mitarbeitern ab 2023 – und Unternehmen ab 1000 Mitarbeiter ab 2024 – dafür Sorge tragen müssen, dass die Menschenrechte bei ihren direkten Zulieferern eingehalten werden. Menschenrechtsverletzungen wie beispielsweise Kinder- und Zwangsarbeit müssen identifiziert und beendet werden. Kommen die Unternehmen dieser Verantwortung nicht nach, drohen Bußgelder. Eine zivilrechtliche Haftung ist nicht Bestandteil des Referentenentwurfs. Bei indirekten Zulieferern, also jenen tiefer in der Lieferkette, haben die Unternehmen zunächst weniger Verantwortung und müssen nur aktiv werden, wenn es Berichte über Menschenrechtsverletzungen oder Beschwerden gibt. Kleine und mittelständische Solarfirmen in Deutschland hätten durch das Gesetz also keine neuen menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten.

    Für die großen Solarunternehmen gestaltet sich die praktische Umsetzung des Lieferkettengesetzes mit Blick auf die Situation in Xinjiang schwierig. Auch wenn die Zulieferer aus der chinesischen Provinz nicht direkte Zulieferer sind, müssten die Unternehmen aktiv werden, da es Berichte über Menschenrechtsverletzungen gibt. Eine Kontrolle der Zulieferer vor Ort sei jedoch sehr schwierig, sagt Eva-Maria Reinwald, Expertin für Wirtschaft und Menschenrechte bei der NGO Südwind Institut. Erfahrungen aus der Textilindustrie in Xinjiang zeigten, dass externe Auditoren, die die Einhaltung der Menschenrechte in Betrieben bewerten sollen, beispielsweise nicht mit den Arbeiterinnen und Arbeitern sprechen können, so Reinwald.

    Kontrolle in Xinjiang kaum möglich

    Reinwald betont, es sei zwar wichtig, dass die Unternehmen mit ihren Zulieferern vor Ort agierten und auf Verbesserungen in der Arbeitssituation drängten. Gestalte sich die Kontrolle vor Ort jedoch so schwierig wie in Xinjiang, sei es angebracht, die Beziehungen mit den Zulieferern abzubrechen. Kritik am Kompromiss zum Lieferkettengesetz kommt auch von Human Rights Watch. Die Organisation fordert, der Geltungsbereich des Gesetzes müsse auf Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern ausgeweitet werden. Zudem solle es sich auf die gesamte Lieferkette erstrecken und eine zivilrechtliche Haftung beinhalten.

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    Tech-Einhörner: IPO gern in Shanghai

    In China ist es wie in den USA: Irgendwann wollen erfolgshungrige Technologie-Startups den ganz großen Schritt wagen und an die Börse gehen. Eine immer weitere Expansion verlangt Kapital, und das spült der Börsengang in die Kasse. Während frühere Internetfirmen wie sohu.com aber vor allem in New York an die Tech-Börse Nasdaq strebten, gehen manche jetzt eher in China oder Hongkong an den Start. Zumal China 2019 in Shanghai die Technologie-Börse Star gegründet hat, um schnell wachsende, aber noch unprofitable Techfirmen anzuziehen.

    Die Star-Börse ist attraktiv für Firmen, die für Behörden arbeiten oder im Handelskonflikt mit den USA zwischen die Fronten geraten sind: Firmen wie die vier chinesischen “Einhörner” Künstlicher Intelligenz (KI). Drei von ihnen haben bereits die nötigen Prozesse für ihren Börsengang in Shanghai eingeleitet. Es gilt als sicher, dass sie 2021 das IPO vollbringen. Einhörner sind private Firmen, deren Wert eine Milliarde US-Dollar übersteigt – etwa durch großzügige Investments. Profitabel ist keiner der drei.

    Die Startups heißen Megvii Technology, Yitu Technology und CloudWalk Technology. Es sind Namen, die im Westen kaum jemand kennt, ebensowenig wie den vierten der auch “KI-Drachen” genannten Firmen, SenseTime. Doch die US-Behörden kennen sie: Alle vier “KI-Drachen” stehen auf der Schwarzen Liste des US-Handelsministeriums, da ihre Technologie zur Gesichtserkennung bei der Massenüberwachung der muslimischen Uiguren in Xinjiang eingesetzt worden sein soll.

    Doch auch bekanntere Firmen sind im Zusammenhang mit Börsengängen im Gespräch – darunter Douyin, die chinesische Variante der im Westen populären Kurzvideo-App TikTok des Konzerns Bytedance, oder die Ride-Hailing-Firma Didi Chuxing, die den chinesischen Markt mit seiner enormen Vielfalt digital buchbarer Transportangebote dominiert.

    Drei KI-Drachen an die Star-Börse

    Am dichtesten dran am IPO ist das 2011 von drei Absolventen der renommierten Tsinghua-Universität gegründete Megvii, kurz für “megavision”. Mitte Januar teilte die chinesische Börsenaufsicht mit, das Unternehmen sei bereit für ein IPO an dem STAR-Markt in Shanghai. Das in Peking ansässige Unternehmen ist der Entwickler von Face ++, einer Open-Source-Plattform für computerbasiertes Sehen. Computer Vision ist ein interdisziplinäres Feld künstlicher Intelligenz, das Computer darin schult, die visuelle Welt – extrahiert aus Kamerabildern oder Videos – zu verstehen. Es dient also auch der Gesichtserkennung, und wird angewendet etwa für Autonomes Fahren, Virtuelle Realität und Augmented Reality.

    Megvii verkauft seine Technologie an Behörden und an Unternehmen wie Alibaba, Lenovo oder Huawei. Es zählt Alibaba, die Ant Group und the Bank of China zu seinen Großinvestoren. Ein zunächst angestrebtes Listing in Hongkong ließ Megvii fallen, nachdem es 2019 auf die amerikanische Schwarze Liste gesetzt wurde und es damit unwahrscheinlich wurde, dass internationale Investoren Megvii-Papiere erwerben würden.

    2020 präsentierte Megvii die Brain++ – Architektur, die Computer-Vision-Algorithmen in großem Maßstab trainieren kann. Eine Komponente von Brain++, das Deep-Learning-Framework MegEngine bietet Megvii seit einem Jahr als Open Source an. Megvii expandierte bereits in andere Länder Asiens. Sein Traum sei es, eine international agierende KI-Firma zu werden, sagte Yin Qi, einer der Gründer, einmal in einem Video-Interview der South China Morning Post. Ob das gelingt, hängt sicher auch von der politischen Großwetterlage ab.

    Als zweites Startup folgt Yitu, dessen IPO-Antrag für ein STAR-Listing die Shanghaier Börse in November formal annahm. Yitu hat nach eigenen Angaben KI-Technologie in mehr als 30 chinesischen Provinzen sowie in mehr als 10 Ländern und Regionen außerhalb Chinas verkauft. Es konzentrierte sich anfangs vor allem auf KI für medizinische Anwendungen: Chinesische Krankenhäuser nutzen Yitus KI in klinischen Arbeitsabläufen. Später kamen Projekte etwa für die Vernetzung von Städten hinzu; so schloss Yitu 2019 nach eigenen Angaben eine strategische Partnerschaft mit der Stadt Xiamen für ihr Smart-City-Programm.

    CloudWalk reichte im Dezember in Shanghai den Börsenprospekt ein. Es gilt als das staatsnaheste Unternehmen der drei; ein Vorläufer entwuchs dem Forschungsteam der Chinesischen Akademie der Wissenschaften zur Gesichtserkennung; die meisten Investoren sind staatlich. CloudWalk verkauft seine KI daher vornehmlich an Behörden, wobei der Schwerpunkt auf Fintech, intelligenter Sicherheit und Transport liegt.

    Was planen Didi und Bytedance?

    Offen ist, was Didi und Bytedance konkret planen. Dazu gibt es bisher nur Anhaltspunkte, keine formalen Anträge. Didi Chuxing ist nach einem Bericht des Tech-Magazins “The Information” in Gesprächen mit Goldman Sachs, Morgan Stanley und JPMorgan Chase über ein mögliches IPO in der zweiten Jahreshälfte. Das Unternehmen ist der Platzhirsch unter Chinas digitalen Mobilitätsdienstleistern; sein Wert ist mit ungefähr 56 Milliarden US-Dollar viel größer als jener der KI-Drachen. Zu den Investoren gehören SoftBank, Alibaba und Tencent. 2020 verzeichnete Didi laut “The Information” offenbar erstmals einen Gewinn, von rund einer Milliarde Dollar, trotz Corona.

    Bytedance erwägt nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg, Teile seiner Vermögenswerte, darunter Douyin und/oder Toutiao an die Hongkonger Börse zu bringen. Douyin ist die chinesische Version der Video-App TikTok. Toutiao, ein mithilfe künstlicher Intelligenz individuell für jeden Nutzer erstellter Nachrichtendienst, war der Durchbruch von ByteDance in China. Der Konzern kämpft parallel darum, Teile des in den USA mit einem Verbot belegten TikTok zu behalten. Die App soll an amerikanische Investoren verkauft werden, um ihren Weiterbetrieb zu ermöglichen.

    Trotz der Unsicherheiten für chinesische Firmen auf dem US-Markt planen laut chinesischen IPO-Trackern drei Techfirmen Listings in den USA. Dazu gehören der Fahrrad-Sharing-Dienst Hellobike, der digitale Krankenversicherungs-Marktplatz Waterdrop und die Internet-Jobbörse Boss Zhipin. Immerhin ist keine von diesen in politisch heiklem Territorium unterwegs.

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    Hongkong: Neuer Schlag gegen die Opposition

    Die Luft für pro-demokratische Kräfte in Hongkong wird immer dünner. Der Trend der vergangenen Jahre zu mehr autoritären Strukturen in der Stadt, der 2020 vorläufig in der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes gipfelte, dürfte sich beim Nationalen Volkskongress Anfang März in Peking weiter beschleunigen. Dann nämlich geraten die Bezirksräte der Metropole am Perlfluss ins Visier des chinesischen Parlaments, das oft einstimmig absegnet, was die Staatsführung vorgibt.

    Es herrschen wenig Zweifel daran, dass der Volkskongress beschließen wird, den chinesischen Einfluss auf künftige Wahlen des oder der Hongkonger Regierungschefin weiter zu vergrößern. Zu diesem Zweck soll das 1200-köpfige Wahlgremium entsprechend umgebaut werden und das Stimmrecht der zurzeit meist oppositionellen Stadträte weitgehend an Vertreter der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes übergehen. Die Konsultativkonferenz ist Teil des Nationalen Volkskongresses und arbeitet dem Parlament in Peking zu.

    Details der Wahlrechtsreform sind laut Medienberichten noch in Arbeit. Hongkong selbst hat keine eigene Verfassung, sondern wird über das Basic Law aus Peking gesteuert. Der Rechtsrahmen war bei der Rückgabe der Stadt 1997 an China durch die Kolonialmacht Großbritannien in Kraft getreten.

    Reaktion auf den Erdrutschsieg der Pro-Demokraten

    Der Angriff auf die Kommunalpolitiker ist Pekings Antwort auf die Bezirkswahlen im Herbst 2019. Damals hatten demokratische Politiker im Zuge der monatelangen Protestbewegung gegen Pekings Einfluss auf die Stadt mehr als 80 Prozent aller Sitze in den Kommunen gewonnen und damit 117 Stimmen für die Wahl des Regierungschefs erobert. Ein Großteil der dortigen 1200 Wahlleute sind Interessenvertreter verschiedener gesellschaftlicher Schichten, von denen viele – nicht zufällig – im Sinne der Pekinger Führung abstimmen. Bei der letzten Wahl der amtierenden Regierungschefin Carrie Lam im Jahr 2017 hatten mehrere Wahlleute preisgegeben, dass sie von der Zentralregierung aufgefordert wurden, für die Pekinger Kandidatin zu stimmen.

    Um den verbliebenen Einfluss der Demokraten weiter zu reduzieren, hat die Zentralregierung die Parole ausgerufen, dass Hongkong künftig von “Patrioten” regiert werden müsse. In einer Rede am vergangenen Montag bezeichnete der für Hongkong und Macau verantwortliche Pekinger Funktionär, Xia Baolong, all jene als “Zerstörer”, die sich gegen die Pekinger oder Hongkonger Regierung aussprechen würden. Exekutive, Legislative und Judikative müssten sich aus “wahren Patrioten” zusammensetzen, sagte Xia, der damit die Rhetorik von Staatspräsident Xi Jinping übernahm.

    Wahlrechtsreform wirkt auch rückwirkend

    Um “Patrioten” besser von “Zerstörern” unterscheiden zu können, ist zudem eine Verschärfung des Amtseidgesetzes vorgesehen, das seinerseits von der Hongkonger Regierung beschlossen werden soll. Weil sich die Oppositionellen vornehmlich in den Bezirksräten tummeln, müssen die Gewählten ihre Loyalität gegenüber der Hongkonger Regierung und dem Basic Law beschwören. Wer gegen seien Eid verstößt, kann aus dem Amt entfernt und für fünf Jahre für jedes öffentliche Amt gesperrt werden. Wie auch das Nationale Sicherheitsgesetz wird auch ein neues Amtseidgesetz rückwirkend angewendet. Das bedeutet in der Theorie, dass ein Bezirksrat, der sich vor Jahren kritisch zu Chinas Einfluss in Hongkong geäußert hat, nachträglich dafür belangt werden kann.

    Betroffen sind davon bereits mindestens vier Bezirksräte, die schon für die angedachte Wahl des Legislativrats im vergangenen Jahr disqualifiziert worden waren und deswegen auch um ihr Amt in der kommunalen Politik fürchten müssen. Die Wahl wurde schließlich auf Herbst dieses Jahres verschoben. Offiziell geschah das wegen der Corona-Pandemie. Oppositionspolitiker glauben jedoch, dass die Hongkonger Regierung sich Zeit verschaffen wollte, um bis zur Neuansetzung der Wahl die Rahmenbedingungen zu ihren Gunsten zu modellieren.

    Die betroffenen Bezirksräte klagen darüber, dass das Gesetz jeden Raum für abweichende Meinungen lösche und die chinesische Regierung es dazu nutzen würde, um die Opposition zum Schweigen zu bringen. “Das neue Gesetz verzerrt das Verständnis der Hongkonger für Wahlgesetze und soll der Regierung helfen, Wahlen fest zu kontrollieren”, sagte Cheng Tat-hung, einer der vier pro-demokratischen Bezirksräte der Tageszeitung Apple Daily.

    Opposition: Peking will alle Gegner entfernen

    Derweil verteidigte der Sekretär für konstitutionelle und Festlandangelegenheiten, Erick Tsang, bei einer Pressekonferenz die Verschärfung des Gesetzes. “Sie können nicht sagen. ‘Ich bin patriotisch, aber ich respektiere nicht die Tatsache, dass die Kommunistische Partei Chinas das Land führt.” Oppositionelle Kräfte gehen davon aus, dass Peking versuchen wird, alle Gegner aus öffentlichen Ämtern zu entfernen, selbst wenn diese den verschärften Amtseid abgelegt hätten. Die Bezirksräte halten das für einen Fehler, für den China einen Preis zahlen müsse, weil die Kommunalpolitik durch den Ausschluss gewählter Repräsentanten an Qualität einbüßen würde.

    Auf Grundlage des Nationalen Sicherheitsgesetzes, das im Juli vergangenen Jahres implementiert worden ist, haben Hongkongs Behörden bereits mehr als 100 pro-demokratische Aktivisten und Politiker festgenommen. Einigen von ihnen wird derzeit der Prozess gemacht wie beispielsweise dem einflussreichen Verleger Jimmy Lai oder dem Aktivisten Martin Lee, der in Hongkong aufgrund seines Wirkens in den 1980er- und 90er-Jahren gemeinhin als “Vater der Demokratie” bezeichnet wird. Das Sicherheitsgesetz war vom Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses erlassen worden. Es ermöglicht den Strafverfolgungsbehörden, gegen unliebsame Stimmen in und außerhalb Hongkongs vorzugehen. Zahlreiche ausländische Juristen halten das Gesetz für so vage formuliert, dass es den Behörden weitgehend freie Hand lässt, gegen wen sie vorgehen wollen.

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    Konjunktur in China stimmt deutsche Exporteure positiv

    Deutsche Exporteure sind angesichts eines erwarteten Konjunkturaufschwungs bei den Handelspartnern China und USA zuversichtlich gestimmt. Die Stimmung unter den deutschen Exporteuren habe “sich spürbar verbessert”, teilte das Ifo-Institut gestern mit. Demnach stieg im Februar der Ifo-Index für die Exporterwartungen von 7,5 Punkten auf 10,7 Punkte – was dem höchsten Wert seit September 2018 entspreche. “Chinas gute Wirtschaftslage und eine Steigerung der US-Produktion helfen deutschen Exporteuren“, erklärte Ifo-Präsident Clemens Fuest.

    Die Chemie-Industrie erwartet dem Institut zufolge ein deutliches Exportwachstum, ebenso wie Hersteller von Maschinen und Anlagen. Auch die Automobilhersteller erwarteten erneut weitere Bestellungen aus dem Ausland. Die Exporterwartungen der Hersteller von Elektrogeräten stiegen auf den höchsten Stand seit Februar 2018, hieß es in der Mitteilung. Die Möbel- und Bekleidungsindustrie sei weiterhin mit Schwierigkeiten auf dem internationalen Markt konfrontiert, da die Unternehmen einen deutlichen Umsatzrückgang erwarteten, teilte Ifo mit. Der Ifo-Index beruht auf einer monatlichen Befragung von 2300 Industrieunternehmen. ari

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    China finanziert weniger Energieprojekte im Ausland

    Chinas nationale Entwicklungsbanken haben 2020 Energieprojekte im Ausland in Höhe von 4,6 Milliarden US-Dollar finanziert. Das ist die niedrigste Förderung seit 2008, wie neue Daten der Boston University zeigen. Der Großteil der Finanzierung floss in den Bau einer Gas-Pipeline in Nigeria (2,5 Milliarden US-Dollar). Insgesamt wurden Projekte in acht Ländern gefördert. Mit Serbien ist ein europäisches Land vertreten. 2019 wurden noch Projekte in Höhe von 8,1 Milliarden US-Dollar gefördert.

    Die großen staatlichen Entwicklungsbanken Export-Import Bank of China und China Development Bank standen in der Vergangenheit regelmäßig wegen ihrer hohen und anhaltenden Förderung von Kohlekraftwerken im Ausland in der Kritik (China.Table berichtete). Im letzten Jahr wurde nur noch ein Kohlekraftwerk in Pakistan mit 260 Millionen US-Dollar gefördert. Bloomberg berichtet, dass auch die Covid19-Pandemie für den abnehmenden Trend in der Finanzierung von Energieprojekten verantwortlich ist. Kevin Gallagher, Professor an der Boston University, sagte gegenüber Bloomberg, China versuche, Aspekte der Schuldentragfähigkeit bei Auslandsfinanzierungen stärker zu berücksichtigen. nib

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    Xinjiang – Streit um Zugang für UN-Beobachter spitzt sich zu

    Der Streit zwischen der EU und Peking um Zugang für eine internationale Beobachter-Mission in die chinesische Provinz Xinjiang spitzt sich weiter zu. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte China gestern in einer Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat erneut auf, unabhängigen Beobachtern einen “sinnvollen” Zugang zu der Region zu ermöglichen. “Das ist der Schlüssel, um eine unabhängige, unparteiische und transparente Bewertung der schwerwiegenden Bedenken der internationalen Gemeinschaft zu ermöglichen”, sagte Borrell. China müsse zudem “die Grundfreiheiten, die Rechtsstaatlichkeit und die demokratischen Grundsätze in Hongkong” respektieren und ein hohes Maß an Autonomie nach dem Prinzip “Ein Land, zwei Systeme” sicherstellen.

    Bereits am Montag hatten Bundesaußenminister Heiko Maas und sein britischer Amtskollege Dominic Raab in einer Rede vor dem UN-Rat den Druck auf China erhöht und Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang kritisiert. Peking antwortete darauf umgehend: Grundlegende Fakten zeigten, dass es in Xinjiang nie einen “sogenannten Völkermord”, Zwangsarbeit oder religiöse Unterdrückung gegeben habe, sagte Chinas Außenminister Wang Yi Berichten zufolge vor demselben Gremium. “Solche aufrührerischen Anschuldigungen entstehen aus Unwissenheit und Vorurteilen. Sie sind einfach böswilliger und politisch motivierter Hype und könnten nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein”, so Wang Yi. In Xinjiang seien gesetzeskonforme Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung ergriffen worden, sagte der chinesische Außenminister. Die Provinz genieße nach vier Jahren ohne “terroristischen Vorfall” nun “soziale Stabilität und solide Entwicklung”, erklärte Wang Yi dem Bericht zufolge weiter.

    China ist seit vergangenem Jahr Mitglied des UN-Menschenrechtsrates. An dem Einzug der Volksrepublik in das Gremium gab es vermehrt Kritik. ari

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    Standpunkt

    Die Grenzen der amerikanischen Erholung

    Von Stephen S. Roach
    Stephen S. Roach zu den Grenzen der Wirtschaftserholung in den USA

    Während sich die zweite Impfdosis in meinem Arm ausbreitete, konnte ich die unmittelbare Befriedigung zurückgestellter Sehnsüchte beinahe schmecken. Nach fast einjähriger Abstinenz war es Zeit, ihnen nachzugeben.

    Während ich das Glück hatte – oder vielmehr, alt genug war -, Teil der ersten Impfwelle zu sein, wird der Rest der USA bald folgen. Die Möglichkeit, dass eine breiter angelegte Impfstoffverteilung bis Ende des Jahres zur “Herdenimmunität” führt, ist nicht länger von der Hand zu weisen. Und mit Ende des Coronavirus-Albtraums, so das an den Finanzmärkten weithin diskontierte Argument, können die langen Entbehrungen ausgesetzten US-Verbraucher endlich entspannen und die glorreiche V-förmige Erholung genießen.

    China schützte seine Bürger zunächst durch drakonische gesundheitspolitische Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit und zur Abschwächung ihrer Ausbreitung vor der Ansteckung mit einem virulenten Pathogen und ergreift dann – und erst dann – umsichtige geld- und fiskalpolitische Schritte, um die rapide Erholung nach dem Lockdown zu unterstützen. Dies ist ein völlig anderer Ansatz als in den USA, wo sich die Debatte im Gefolge des Lockdowns stärker darum dreht, die Geld- und Fiskalpolitik als vorderste Instrumente wirtschaftlicher Befreiung einzusetzen, statt sich auf disziplinierte gesundheitspolitische Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zu stützen.

    Das Konzept der aufgestauten Nachfrage wurde in der Volkswirtschaft bereits umfassend untersucht. Während es normalerweise auf langlebige Konsumgüter – Autos, Möbeln, Haushaltsgeräte usw. – angewandt wird, wurde es auch schon genutzt, um Aktivitäten im Wohnungsbau und Unternehmensinvestitionen in Anlagen und Ausrüstung zu beschreiben.

    Aufgestaute Nachfrage

    Die Idee beruht auf der grundlegenden Prämisse dynamischer Nachfragemodelle, die als “Lageranpassungseffekt” bekannt ist: Eine unerwartete Entwicklung, die dazu führt, dass Ausgaben für langlebige Güter mit endlicher Nutzungsdauer aufgeschoben werden, mildert die (physische oder technologische) Veralterung und den damit einhergehenden Bedarf an einem Ersatz nicht. Folgerichtig kann mit Ende der Unterbrechung ein steiler Anstieg der verschobenen – oder aufgestauten – Nachfrage nach Ersatzgütern eine wirtschaftliche Erholung auslösen.

    In der Regel fällt diese Erholung umso stärker aus, je größer die Erschütterung und die damit einhergehende Zurückstellung der Nachfrage nach Ersatzgütern sind. Ich rate meinen Studenten, sich zur Veranschaulichung ein großes Gummiband vorzustellen: Je stärker man daran zieht, desto stärker schnellt es zurück, wenn man loslässt. Der wahre Test kommt danach, und hier hat Chinas Strategie ihren größten Vorteil.

    Dies funktioniert gut, um die vorübergehenden Auswirkungen sogenannter “exogener Erschütterungen” (damit bezeichnen Ökonomen Dinge wie Naturkatastrophen, Streiks, politische Turbulenzen und Kriege) zu erklären. Weniger gut funktioniert es bei Erschütterungen, die bleibende wirtschaftliche Narben verursachen können – wie Finanzkrisen und, ja, Pandemien. Natürlich unterscheiden sich diese beiden Krisen. In beiden Fällen war Chinas Krisenstrategie deutlich effektiver als die der USA.

    Jüngste Trends bei den US-Konsumausgaben legen nahe, dass die Naturkräfte der aufgestauten Nachfrage sich weitgehend erschöpft haben könnten. In den letzten acht Monaten des Jahres 2020 überstieg die Erholung bei den langlebigen Konsumgütern, nach dem Lockdown vom März und April, die lockdownbedingten Verluste um volle 39 Prozent. Infolgedessen entfielen auf langlebige Konsumgüter in der zweiten Jahreshälfte 2020 damit 8,25 Prozent vom BIP – der höchste Anteil seit 2007 und deutlich mehr als der Durchschnitt von 7,1 Prozent des Zeitraums von 2008-2019.

    Vorsichtige Verbraucher

    Vermutlich wird noch etwas mehr kommen. Im Gefolge einer weiteren Tranche von Unterstützungszahlungen der US-Bundesregierung im Dezember (600 Dollar pro anspruchsberechtigtem Empfänger) bietet der für Januar vermeldete Anstieg beim Einzelhandelsumsatz von 5,3 Prozent – in erster Linie bedingt durch den ungewöhnlich großen Anstieg bei langlebigen Gütern wie Elektronikartikeln, Haushaltsgeräten und Möbeln – einen weiteren Hinweis auf eine Euphorie der Verbraucher. Und angesichts einer möglichen weiteren Runde noch höherer Schecks (1.400 Dollar) im Rahmen von Präsident Joe Bidens “Rettungsplan für Amerika” scheint ein zusätzlicher Schub durch langlebige Konsumgüter wahrscheinlich.

    An diesem Punkt jedoch sollte sich die aufgestaute Nachfrage erschöpft haben. Dies wird sogar noch deutlicher, wenn man die außerordentliche Stärke des jüngsten Anstiegs bei den Ausgaben für langlebige Konsumgüter mit vergangenen Zyklen einer aufgestauten Nachfrage vergleicht. Seit Beginn der 1990er Jahre sind Erholungen beim privaten Konsum relativ schwach ausgefallen. Doch in den sieben zyklischen Expansionen von Mitte der 1950er bis Anfang der 1980er Jahre erhöhte die Freisetzung der aufgestauten Nachfrage den Anteil langlebiger Konsumgüter am BIP in den vier Quartalen nach einem Konjunkturtief um durchschnittlich 0,6 Prozentpunkte. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist der jüngste Anstieg des Anteils langlebiger Konsumgüter am BIP von vollen 1,35 Prozentpunkten gegenüber dem Tiefstwert von 6,9 Prozent im ersten Quartal 2020 umso außergewöhnlicher. Er ist mehr als doppelt so hoch wie die Norm früherer Jahre und damit erst recht nicht aufrechtzuerhalten.

    Zugleich verbirgt die machtvolle Freisetzung der aufgestauten Nachfrage, gestützt auf die beispiellose Unterstützung durch die Fiskal- und die Geldpolitik, eine anhaltende Unterströmung der Schreckhaftigkeit aufseiten der Verbraucher, die noch lange über die Impfung des größten Teils der US-Bevölkerung hinaus anhalten dürfte. Der sogenannte lange Schatten früherer großer Pandemien bietet eine Menge historischer Präzedenzfälle für dieses Szenario.

    Dasselbe gilt für jüngste Daten, die Anzeichen einer Narbenbildung im Dienstleistungssektor erkennen lassen – insbesondere bei Aktivitäten wie etwa Reisen, Freizeit und Unterhaltung, die einen direkten Kontakt zu anderen Menschen erfordern. Auch mit Impfstoffen steht eine Interaktion von Angesicht zu Angesicht im Widerspruch zu dem inzwischen tief verwurzelten Bewusstsein der persönlichen Gesundheitsrisiken, welches das Verbraucherverhalten vermutlich noch auf Jahre hinaus mitbestimmen dürfte.

    Schwache Erholung drückt auf den Arbeitsmarkt

    Die Zahlen zeigen es. Im Gegensatz zur starken Erholung der Konsumausgaben für langlebige Güter wurden bei der auf den Lockdown folgenden Erholung im Dienstleistungssektor von Mai bis Dezember 2020 nur 63 Prozent der Verluste vom März und April aufgeholt. Nicht überraschend betrifft diese Schwäche bei den Dienstleistungen (auf die insgesamt etwas über 60 Prozent des US-Gesamtkonsums entfallen) überwiegend Aktivitäten mit direktem Kontakt zu anderen Menschen wie den Verkehr (Reisen), Erholung (Freizeit) und Restaurantbesuche. Zusammen liegen diese drei Ausgabenkategorien – auf die volle 61 Prozent des lockdownbedingten Absturzes bei den Verbraucherdienstleistungen entfielen – noch immer um 25 Prozent unter ihrem Höchstwert vom vierten Quartal 2019.

    Dieselbe Zögerlichkeit bei der Nachfrage nach Verbraucherdienstleistungen spiegelt sich in vergleichbaren Trends auf dem US-Arbeitsmarkt wider. Auch wenn es bei den Neueinstellungen seit Aufhebung der Lockdowns im letzten Frühjahr eine deutliche Erholung gab, liegt die Gesamtzahl der Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft noch immer 9,9 Millionen unter dem Höchstwert vom Februar 2020.

    Auch hier ist der Grund keine Überraschung. Volle 83 Prozent dieser Differenz konzentrieren sich in privaten Dienstleistungen mit persönlichem Kontakt wie Transportwesen, Freizeit und Gastgewerbe, Unterbringung, Food-Services, Einzelhandel, der Film- und Tonbranche und der privaten Bildung. Neue Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich dies fortsetzen wird: Der Gegenwind im Dienstleistungssektor nach Covid-19 dürfte ein anhaltendes Merkmal des US-Marktes bleiben.

    Ungeachtet der vorhersehbaren Freisetzung der aufgestauten Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern gibt es bei den Dienstleistungen mit persönlichen Kontakten – sowohl bei der Verbrauchernachfrage als auch bei den Beschäftigungsdaten – klare Belege einer dauerhaften Narbenbildung. Infolgedessen wird die Erholung der US-Wirtschaft im Gefolge der Pandemie, nun da sich der von der aufgestauten Nachfrage ausgehende Erholungseffekt seinem Ende nähert, vermutlich deutlich hinter der “Warpgeschwindigkeit” bei der Impfstoffentwicklung zurückbleiben.

    Stephen S. Roach ist Professor an der Universität Yale, ehemaliger Chairman von Morgan Stanley Asia und der Verfasser von The Codependency of America and China. Aus dem Englischen von Jan Doolan.

    Copyright: Project Syndicate, 2021.
    www.project-syndicate.org

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    Portrait

    Li Ziqi

    Li Ziqi - Influencerin

    Die chinesische Influencerin Li Ziqi hat es auf Youtube weit gebracht. Vor kurzem erhielt sie den Guinness Weltrekord für die meisten Follower für einen chinesischsprachigen Kanal bei Youtube. 14,5 Millionen Abonnenten zählt Li Ziqi und ihre Videos erreichen oft zig Millionen Views. Ihr erstes Video, bei dem sie ein Kleid mit Trauben färbt, zählt mehr als 20 Millionen Views.

    Li Ziqi setzt auf ganz andere Werte als die meisten ihrer Influencer-Kolleginnen. In ihren Videos gibt es keine wacklige Handkamera im Selfie-Modus. Kein Großstadt-Flair und keine Konsumempfehlungen.

    Bei ihr wird entschleunigt und ihre Videos zeigen sie häufig auch bei traditioneller chinesischer Handwerkskunst: Sie kocht mit selbst geernteten Zutaten, übt sich in traditioneller Kalligraphie, macht filigrane Papierausschnitte oder fällt im Wald Bäume, aus denen dann Hütten gebaut werden. Meist trägt sie dabei traditionelle chinesische Kleidung und wird oft von Hundewelpen oder Lämmern begleitet. Gesprochen wird wenig, aber was gesprochen wird, ist Chinesisch.

    Laut ihrer Biographie, die auf verschiedenen chinesischen Websites zu finden ist, wuchs Li Ziqi in einem kleinen Dorf Mianyang in Sichuan auf. Von ihrer Stiefmutter schlecht behandelt, lebte sie bei ihren Großeltern. Mit 14 Jahren musste sie die Schule verlassen, als ihr Großvater verstarb und ihre Großmutter nicht mehr für sie sorgen konnte. Fortan arbeitete sie unter anderem als Kellnerin, DJane, Sängerin und Tänzerin. Doch dann entschied sie sich gegen den Trubel der Großstadt und kehrte zurück in ihr Heimatdorf. 2015 begann sie Videos davon zu drehen, wie sie Essen traditionell zubereitet. Der Durchbruch kam Ende 2016 mit dem Video “Lanzhou Beef Nudeln”, durch das Li Ziqi Aufmerksamkeit und viele nationale Internetpreise einheimste. Kurz darauf gründete sie zusammen mit Hangzhou Weinian Technology Co. Ltd. gemeinsam die Firma Sichuan Ziqi Culture Broadcast Co. Ltd und startete professionelle Videoproduktionen.

    Li Ziqi von den Staatsmedien zelebriert

    Seitdem hat sie bei Douyin, der chinesischen Version von Tiktok mehr als 700 solcher Videos hochgeladen und erreicht mehr als 50 Millionen Follower. Bei Kuaishou immerhin zehn Millionen, wobei sie hier erst seit 2018 Videos postet. Ihrem Online-Shop bei Taobao folgen fünf Millionen Menschen, ihrem Weibo etwa 28 Millionen. Zwar ist sie eine Berühmtheit, in chinesischen Dimensionen ist sie aber immer noch weit von der Spitze entfernt. Die Schauspielerin Angelababy zum Beispiel erreicht auf Weibo 105 Millionen, die ehemalige Moderatorin Xie Na sogar 130 Millionen.

    Die chinesischen Staatsmedien zelebrieren Li Ziqi dennoch gern. Eine gutaussehende junge Frau, die im Internet ein Bild von chinesischer Idylle ohne Konflikt, Misserfolg oder sonstige schlechte Dinge verbreitet, ist eine ideale Vorzeige-Influencerin. Kein Wunder, denn ihre Videos würden perfekt in eine Ausstellung des Nationalen Kunstmuseums Chinas passen.

    Anders läuft es in Korea, wo sie vor einigen Wochen für Streit in der Internetcommunity sorgte, als sie ein Video, in dem sie Kimchi zubereitet hatte, mit dem Hashtag #ChineseFood versah. Prompt wurde die gesamte Geschichte in Frage gestellt und Li vorgeworfen, dass ihre Internetauftritte und Hintergrundgeschichte frei erfunden seien, um chinesische Propaganda im Westen zu verbreiten. Und selbst bei chinesischen Netizens ist sie nicht ganz unumstritten. Der Fokus liegt hier jedoch auf ihren Händen und ihren Kleidern, die trotz der harten Arbeit meist blütenrein und sauber sind. Gregor Koppenburg / Jörn Petring

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    Dessert

    Auch Lust auf China-Themen in Buchform? Alex Ash, Autor des sehr empfehlenswerten Buchs “Die Einzelkinder: Wovon Chinas neue Generation träumt”, empfielt acht neue China-Bücher.

    China.Table Redaktion

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