das Internationale Olympische Komitee (IOC) sieht sich gerne in der Rolle des großen Strippenziehers der guten Sache. Man setze in der Causa Peng Shuai auf “stille Diplomatie”. IOC-Vizepräsident Dick Pound rühmt zudem den exklusiven Zugang der Organisation zu der wohl festgehaltenen Tennisspielerin. In der Tat war niemand sonst in der Lage, mit Peng in direkten Kontakt zu treten, seitdem diese den ehemaligen Vizepremierminister Zhang Gaoli der sexuellen Nötigung beschuldigt hat.
Das IOC als einflussreicher Autokratenflüsterer – was für ein berauschendes Image. Doch die Selbstwahrnehmung in der Zentrale in Lausanne hat mit der Realität nichts zu tun. In Wahrheit ist das IOC ein Universal-Werkzeug von Diktaturen. Peking verwendet es dazu, Wogen der Empörung zu glätten, die eigenen, vermeintlich guten Absichten zu amplifizieren oder Menschenrechtsverbrechen zu bagatellisieren. Die chinesische Regierung hält das Stöckchen hin, und IOC-Boss Thomas Bach springt brav hinüber.
Wie es richtig geht, macht der Frauentennis-Weltverband WTA vor, der alle Turniere in China und Hongkong aussetzt. WTA-Chef Simon begründet die Entscheidung damit, dass Peking keine Anstalten mache, auf die Forderungen des Verbandes einzugehen. Zugegeben wird sich die Nachhaltigkeit des Turnierabzugs noch herausstellen. Doch Simons Konsequenz für den Augenblick sollte dem Rest der Welt Ansporn sein, sich mit chinesischem Fadenschein nicht mehr abspeisen zu lassen.
Stärkerer Wind weht der chinesischen Regierung in Zukunft wohl auch aus Deutschland entgegen. So zumindest liest es sich im Koalitionsvertrag. Im Gespräch mit China.Table hat die künftige Außenministerin Annalena Baerbock die Entschlossenheit der kommenden Bundesregierung bestärkt. Wie wichtig das ist, belegen auch die jüngsten Nachrichten über Chinas weltweite Fahndung nach taiwanischen Staatsbürger:innen oder das Schicksal der Bloggerin Zhang Zhan.
Ein freundlicher Gruß
Der Fall Peng Shuai ist endgültig in der Weltpolitik angekommen. Am Tag Eins nach der Absage aller Tennisturniere in China durch den Damentennisverband WTA schäumt China. Die Unterstützung für die Turnierabsage der WTA in der Welt ist groß, was auch Peking zur Kenntnis nehmen dürfte. Der Versuch, Pengs Vorwürfe sexueller Nötigung durch Ex-Vizeministerpräsident Zhang Gaoli mit zweifelhaften Methoden aus der Welt zu schaffen, ist krachend gescheitert – vor allem dank der WTA.
Entsprechend wütend reagierten Regierung und Staatsmedien am Donnerstag auf die Absage der Turniere. China sei strikt gegen Maßnahmen, mit denen Sport “politisiert” werde, sagte ein Außenamtssprecher am Donnerstag in Peking. Mit solch dürren Worten gab sich die für nationalistischen Eifer bekannte Staatszeitung Global Times nicht zufrieden. “Die einseitige Entscheidung der WTA im Namen des ‘Schutzes ihrer Spielerinnen’, wurde basierend auf fiktiven Informationen getroffen”, kommentierte das Blatt. Dies würde nicht nur die betreffende Athletin selbst verletzen, sondern auch die fairen Wettkampfchancen der Tennisspielerinnen beeinträchtigen. Seltsamerweise erschien der Text aber nicht auf der englischsprachigen Website des Blattes, sondern nur auf Twitter.
Der für seine heftigen Tweets berüchtigte Global-Times-Chefredakteur Hu Xijin ging sogar noch weiter: “Die WTA zwingt Peng Shuai, den Angriff des Westens auf das chinesische System zu unterstützen. Sie beraubt Peng Shuai ihrer Meinungsfreiheit und fordert, dass die Beschreibung ihrer aktuellen Situation ihren Erwartungen entsprechen muss.” Damit stellte Hu die Sache in einer erstaunlichen Weise auf den Kopf. Zudem versuchte er, die Ankündigung der WTA ins Lächerliche zu ziehen: WTA-Chef Steve Simon boykottiere mit großem Trara “einige Veranstaltungen, die aufgrund von Covid-19 nur eine geringe Chance haben, überhaupt abgehalten zu werden.” Das bringe der WTA keine zusätzlichen wirtschaftlichen Verluste und sorge nur für Aufmerksamkeit im Westen.
Das wütende Nachtreten lässt vermuten, dass China ehrlich geschockt ist von der Turnier-Absage der WTA. Denn China kennt es anders. Firmen, Regierungen und auch Sportverbände knickten in der Vergangenheit stets ein vor dem Druck und dem riesigen Markt der Volksrepublik. Die WTA ist jedenfalls der erste internationale Sportverband überhaupt, der China trotz erwartbarer finanzieller Ausfälle die Stirn bietet. Die US-amerikanische Basketballorganisation NBA war schon eingeknickt, nachdem der Manager der Houston Rockets 2019 auf Twitter die Demokratiebewegung in Hongkong unterstützt hatte. China stoppte die NBA-Übertragungen, und sogleich bedauerte der Verband den Tweet des Managers und behauptete gar, sie sei “enttäuscht” von dessen Kommentaren. Der chinesische Markt ist wohl einfach zu wichtig.
Tatsächlich wären WTA-Turniere in China aufgrund der dort voraussichtlich auch noch im kommenden Jahr geltenden Corona-Einreisebeschränkungen sowieso unwahrscheinlich gewesen. Die WTA ließ den Endpunkt der Suspendierung allerdings offen. Klar ist: Richtig schmerzhaft wird es erst, wenn die WTA auch dann noch Turniere absagt, wenn Chinas Grenzen wieder offen sind. Aber auch so bleibt die öffentliche Absage ein wirksames Zeichen, das weltweit begrüßt wurde. “Buchstäblich das, was wir alle tun sollten. Werte hochhalten und tun, was wir müssen, um sie zu verteidigen”, kommentierte etwa der Hongkonger Demokratie-Aktivist Nathan Law aus dem Exil in London. Auch der Weltranglistenerste Novak Djokovic begrüßte die Turnier-Absagen der WTA, ebenso wie die US-Tennislegenden Martina Navratilova und Billie Jean King.
Die Volksrepublik habe die Forderungen des Verbandes nach umfassender und transparenter Aufklärung des Falls nicht erfüllt, hatte WTA-Chef Simon am Mittwochabend die zuvor schon angedrohte Entscheidung begründet (China.Table berichtete). “Zwar wissen wir jetzt, wo Peng ist. Doch ich habe ernsthafte Zweifel, dass sie frei und sicher ist und keiner Zensur, Nötigung und Einschüchterung unterliegt.”
Das IOC war dagegen offensichtlich überfordert mit dem Spagat, einerseits Sorge um Peng Shuai zu zeigen, andererseits bloß nicht den Veranstalter der unmittelbar bevorstehenden Olympischen Winterspiele zu brüskieren. Das IOC hält sich stets demonstrativ heraus aus der Politik – was im Fall der dreifachen Olympionikin Peng nicht möglich war. Also organisierte man am 21. November ein Videotelefonat von IOC-Präsident Thomas Bach, der Vorsitzenden der IOC-Athletenkommission und einem leitenden IOC-Mitglied in China mit Peng. Es gehe Peng Shuai gut und sie wolle ihre Privatsphäre gewahrt haben, lautete das unbekümmerte Fazit. Es hagelte Kritik, Bach und das Komitee hätten sich von China instrumentalisieren lassen. Wie konnte sich das IOC sicher sein, dass nicht neben Peng, unsichtbar im Video, ein Aufpasser saß? Warum war niemand misstrauisch?
Peng habe sich über den Anruf gefreut, verteidigte der langjährige IOC-Funktionär Dick Pound jetzt noch einmal das Vorgehen. Die gemeinsame Schlussfolgerung der drei Anrufer sei gewesen, “dass es ihr gut ging und sie nicht unter Zwang steht”, sagte Pound am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters. “Und das wollten wir wissen.” Er betonte, das IOC sei die einzige Organisation der Welt, der es überhaupt gelungen sei, Kontakt zu Peng herzustellen.
Am Mittwoch nahm das IOC erneut Kontakt zu Peng auf. Man sorge sich sehr wohl um die 35-Jährige, teilte das IOC am Donnerstag mit. Es verteidigte noch einmal offiziell seinen Ansatz: “Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ihr Wohlbefinden und ihre Sicherheit zu erreichen. Wir haben eine sehr menschliche und personenzentrierte Herangehensweise an ihre Situation gewählt.” Da Peng eine dreimalige Olympiateilnehmerin sei, spreche das IOC seine Bedenken direkt mit chinesischen Sportorganisationen an. “Wir wenden die ‘stille Diplomatie’ an. Dies ist angesichts der Umstände und der Erfahrung von Regierungen und anderen Organisationen der vielversprechendste Weg, um in solchen humanitären Angelegenheiten wirksam vorzugehen.”
Das IOC habe Peng umfassende Unterstützung angeboten und werde mit ihr in regelmäßigem Kontakt bleiben. Auch sei ein persönliches Treffen für den Januar vereinbart. Ob das die Kritiker verstummen lässt, ist aber mehr als fraglich. Zu sehr erscheint das Vorgehen als Augenwischerei. Auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) wollte sich gegenüber China.Table nicht eindeutig positionieren.
Es steht nun ein unschön klingender Verdacht im Raum: Die Olympionikin Peng Shuai wird festgehalten vom Ausrichter der direkt bevorstehenden Olympischen Winterspiele. Und das IOC tut nichts dagegen.
Daher nimmt die Debatte um einen diplomatischen Boykott dieser Winterspiele vom 4. bis 20. Februar 2022 in Peking Fahrt auf. Ein solcher würde bedeuten, dass Staaten keine offiziellen Regierungsdelegationen zu Olympia schicken, die Athletinnen und Athleten aber teilnehmen dürfen. Im Zusammenhang mit dem Fall Peng Shuai hatten bereits US-Präsident Joe Biden und der britische Premierminister Boris Johnson einen solchen Boykott ins Spiel gebracht.
Nun erwägt dies auch die designierte deutsche Außenministerin Annalena Baerbock: “Wenn ich sehe, wie Chinas Führung mit der Tennisspielerin Peng Shuai umgeht oder mit der verhafteten Bürgerjournalistin Zhang Zhan, sollten wir natürlich auch die Olympischen Spiele genauer in den Blick nehmen”, sagte Baerbock im Interview mit China.Table und Journalisten der Tageszeitung (taz). Zhang Zhan sitzt wegen ihrer Artikel aus Wuhan zu den Anfängen der Corona-Pandemie in Haft.
Auch Staaten nehmen immer direkter Bezug auf das Drama um Peng. Schon am Dienstag hatte sich zum Beispiel die Sprecherin des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell eingeschaltet: “Die EU bekundet ihre Solidarität mit der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai, die verschwand, kurz nachdem sie Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe in chinesischen sozialen Medien veröffentlicht hatte. Ihr kürzliches Wiederauftauchen in der Öffentlichkeit lindert die Sorgen um ihre Sicherheit und Freiheit nicht.” Die EU schließe sich den wachsenden internationalen Forderungen an nach einer Zusicherung, dass Peng frei und nicht bedroht sei. Auch US-Präsident Biden hatte bereits seine Sorge um Peng ausgedrückt. Ohne ein robusteres Vorgehen dürften diese Worte ohne großen Effekt verhallen. Die WTA macht vor, wie es geht.
Die designierte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) umreißt kurz vor der Amtsübernahme ihr Programm für den künftigen Umgang mit der Herausforderung China. Demnach will sie gegenüber der Volksrepublik wesentlich deutlichere Worte finden als ihre Vorgänger. “Dialog ist der zentrale Baustein internationaler Politik. Aber das heißt nicht, dass man Dinge schönreden oder totschweigen muss”, sagte Baerbock im Gespräch mit China.Table-Redakteur Felix Lee und Journalisten der Tageszeitung (taz). “Eine die Differenzen in den Vordergrund stellende Außenpolitik führt genauso in eine Sackgasse wie eine, die auf dem Ausblenden von Konflikten basiert.” Für sie sei “wertegeleitete Außenpolitik immer ein Zusammenspiel von Dialog und Härte“.
Baerbock will die deutsche Außenpolitik dazu stärker in Europa verankern. Gegenüber einem wichtigen Handelspartner wie China ziehe die EU am besten an einem Strang, so Baerbock. “Wir brauchen eine gemeinsame europäische China-Politik.” Wenn Deutschland wie bisher “als größter Mitgliedsstaat eine eigene China-Politik formuliert”, dann schwäche das die gemeinsame Position. Die EU wiederum habe als einer der weltweit größten Binnenmärkte erhebliches Gewicht.
Im “Systemwettbewerb mit einem autoritär geführten Regime wie China” will Baerbock sich daher gezielt mit europäischen Demokratien zusammentun. Sie sieht Deutschland zudem als “Teil eines transatlantischen demokratischen Bündnisses“. Es gelte daher, “die strategische Solidarität mit demokratischen Partnern zu suchen, gemeinsam unsere Werte und Interessen zu verteidigen, und in unserer Außenpolitik mit langem Atem für diese Werte zu werben.” Baerbock erlaubt sich in dem Gespräch auch eine Spitze gegen den Politikstil der scheidenden Regierung: “Beredtes Schweigen ist auf Dauer keine Form von Diplomatie, auch wenn das in den letzten Jahren von manchen so gesehen wurde.”
Baerbock zeigt in diesem ersten Interview seit Bekanntwerden der Kabinettsaufstellung keine Scheu, zwei heiß diskutierte Themen anzusprechen. Sie befürwortet im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen in der Region Xinjiang eine Verschärfung europäischer Regeln zur Lieferkette. “Wenn es keinen Zugang mehr gibt für Produkte, die aus Regionen wie Xinjiang stammen, wo Zwangsarbeit gängige Praxis ist, ist das für ein Exportland wie China ein großes Problem.” Als Reaktion auf den Fall der verschwundenen Tennisspielerin Peng Shuai schließt sie einen diplomatischen Boykott der bevorstehenden Olympischen Winterspiele in Peking zumindest nicht aus. Es gebe für Regierungen hier “unterschiedliche Formen des Umgangs”, die allerdings noch diskutiert werden müssten.
Die künftige Außenministerin verknüpft Peng Shuai mit einem weiteren aktuellen Fall von Unterdrückung der Redefreiheit zu einem Komplex: “Wenn ich sehe, wie Chinas Führung mit der Tennisspielerin Peng Shuai umgeht oder mit der verhafteten Bürgerjournalistin Zhang Zhan, sollten wir natürlich auch die Olympischen Spiele genauer in den Blick nehmen“, sagte sie. “Journalistische Berichterstattung ist kein Verbrechen. Zhang Zhan gehört daher freigelassen.”
Neben der Handelspolitik und den Menschenrechten sieht Baerbock einen weiteren Schwerpunkt ihrer künftigen Arbeit bei der internationalen Vernetzung des Klimaschutzes. Die “220 deutschen Auslandsvertretungen können dafür wichtige Klimabotschaften sein und auch zur Intensivierung des Technologietransfers beitragen”. Sie spricht sich dafür aus, dass die handlungsbereiten Länder bei der Energiewende möglichst schnell vorangehen sollten. “Ein globaler CO2-Preis zum Beispiel ist eine schöne Idee, aber eben auch eine gute Ausrede. Denn bis alle 190 Staaten dazu bereit sind, ist es wohl zu spät.” So wie Deutschland vor 20 Jahren mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz die Energiewende in die Welt exportiert habe, könne es jetzt wieder voranschreiten und zum Vorreiter klimaneutralen Wirtschaftens werden.
Experten trauen Baerbock zu, in ihrem neuen Amt wie angekündigt wichtige Impulse zu geben. “Der Koalitionsvertrag umreißt sehr eindrücklich eine neue China-Politik, die unsere Interessen und Werte im Systemwettbewerb mit Peking vertritt”, sagt Thorsten Benner vom Global Public Policy Institute (GPPI) in Berlin. Wenn Baerbock dieses Konzept einer europäisch orientierten China-Strategie umsetze, könnten Deutschland und die EU gleichermaßen gewinnen.
Benner begrüßt am Koalitionsvertrag und den bisherigen Äußerungen der designierten Außenministerin, dass sie sich an einem “China orientieren, das real existiert“. Die Merkel-Regierungen hatten demnach viel zu lange das Leitbild eines “kooperationsbereiten, freundlichen, leicht formbaren China”. Deutschland müsse sich dem Systemwettbewerb nun selbstbewusst stellen und Abhängigkeiten verringern. Diese Ansätze finden sich auch bei den außenpolitischen Positionen der Grünen.
Viel hängt laut Benner nun auch davon ab, ob das Kanzleramt und das Außenministerium ein gemeinsames Verständnis der China-Politik teilen. “Es wäre kontraproduktiv, wenn sich nach einigen Monaten herausstellt, dass Außenministerium und Kanzleramt gegeneinander arbeiten”, sagt Benner. Wenn die Regierung in sich uneinig sei, spiele Deutschland weit unter seinen Möglichkeiten. Scholz als Kanzler müsse sich auch bei Gesprächen in Peking um Teamspiel mit der Außenministerin bemühen, statt eine parallele Diplomatie zu betreiben.
Auch der Außenpolitik-Experte Noah Barkin vom Berliner Büro des German Marshall Fund (GMF) hält die Koordination mit Scholz für einen ganz entscheidenden Punkt. “Die deutsche Außenpolitik wird im Kanzleramt gemacht, und Scholz bevorzugt eindeutig einen gemäßigteren Ansatz gegenüber China.” Baerbock habe jedoch die öffentliche Meinung und die Stimmung im Parlament auf ihrer Seite, ebenso wie die Medien. Viele internationale Verbündete Deutschlands seien ebenfalls eher auf einer Linie mit Baerbock.
Barkin erwartet im Gesamtbild eine deutlich sichtbare “neue Färbung” der Beziehungen zu China mit Baerbock im Außenministerium. “Wenn sie ihre Karten geschickt ausspielt und im Kabinett Unterstützung für ihren Ansatz organisiert, kann Deutschland zu einem unverstellten Blick auf China finden.” Sie werde strittige Fragen offener ansprechen als ihre Vorgänger und sich mehr für Menschenrechte einsetzen.
Andere Beobachter sehen jedoch auch Gefahren in dem Programm, das der Koalitionsvertrag und die künftige Außenministerin umreißen. Das Spiel mit den roten Linien könne die Beziehungen zu Peking nachhaltig schädigen, glaubt der Sinologe Helwig Schmidt-Glintzer vom China Centrum Tübingen (CCT). Der Ton des Koalitionsvertrags weise auf die Idee einer Mehr-China-Politik im Gegensatz zur bisher gepflegten Ein-China-Politik hin. Konkret geht es hier um die Erwähnung von Taiwan im Koalitionsvertrag, der sich beispielsweise für die “Teilnahme des demokratischen Taiwan in internationalen Organisationen” stark macht.
Schmidt-Glintzer warnt davor, den Dialog mit Peking aufgrund eines besonders kritischen Zeitgeistes abreißen zu lassen. Chinas Politik habe sich immer wieder gewandelt und als hochgradig anpassungs- und lernfähig erwiesen. Sie habe als Reaktion auf veränderte Bedingungen schon mehrfach den Kurs gewechselt und werde das vermutlich wieder tun. Alles, was in die Richtung gehe, die äußeren Grenzen des Landes anzuzweifeln, könne jedoch “zu einer Dynamik führen, die nicht mehr kontrollierbar ist.” Finn Mayer-Kuckuk, Felix Lee, Amelie Richter
Mit einer konzertierten Aktion haben Journalisten und Menschenrechtler auf die Freilassung der chinesischen Corona-Bloggerin Zhang Zhan gedrängt. Am Montagvormittag nutzten
den Kurznachrichtendienst Twitter für eine Flut an entsprechenden Postings.
Die Tweets sind verbunden mit einem Appell an den kommenden Bundeskanzler Olaf Scholz und dessen Vertrauten, Wolgang Schmidt, sowie an die kommende Außenministerin Annalena Baerbock und deren Vorgänger Heiko Maas. Die Autoren und Verbände bitten die Politik, sich für die Bürgerjournalistin bei der chinesischen Regierung einzusetzen. Die inhaftierte Frau ist in einen Hungerstreik getreten und kämpft nach Angaben ihrer Familie um ihr Leben (China.Table berichtete).
Zhang hatte Anfang 2020, kurz nach dem Ausbruch von Covid-19, begonnen, aus der Stadt Wuhan zu berichten, dem Ursprungsort der Pandemie. An der staatlichen Zensur vorbei lieferte sie Bilder und Eindrücke, die ein anderes Bild von der Lage in der Stadt und vom Krisenmanagement der Behörden zeichneten als offizielle Verlautbarungen. Zhang ist für ihre Berichte zu vier Jahren Haft verurteilt worden. grz
China drängt ausländische Regierungen nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders zur Auslieferung von Taiwanern an die Volksrepublik. Peking wolle so die Auslieferung hunderter im Ausland lebender Taiwaner erreichen, heißt es in dem bereits am Dienstag veröffentlichten Bericht der in Madrid ansässigen Organisation. Außenamtssprecher Wang Wenbin bezeichnete die Studie am Mittwoch als “reinen Unsinn”.
In den Jahren 2016 bis 2019 wurden laut Safeguard Defenders mehr als 600 im Ausland lebende Taiwaner an die Volksrepublik ausgeliefert. China betreibe eine regelrechte “Jagd auf Taiwaner”. Der größte Anteil entfiel mit 200 Fällen aber auf Spanien. Ein spanisches Gericht leistete demnach den Forderungen aus Peking Folge. Ein tschechisches Gericht wies dagegen im April 2020 einen Antrag Chinas auf Auslieferung von acht Taiwanern zurück. Es verwies dabei auf das Risiko von Folter und Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik. Auch auf die Philippinen und Kambodscha übte Peking laut Safeguard Defenders Druck aus.
2009 vereinbarten Taiwan und China laut der Nachrichtenagentur AFP, dass die Polizei mutmaßliche Straftäter aus dem Ausland in ihre jeweiligen Heimatländer abschieben solle. Dem Bericht zufolge aber hält Peking sich seit der Wahl der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen 2016 zunehmend weniger an diese Vereinbarung. ck
Der chinesische Regierungsbeamte Hu Binchen ist trotz des Widerstands von Menschenrechtsgruppen aus mehreren Ländern in eine wichtige Aufsichtsfunktion bei der internationalen Polizei-Organisation Interpol gewählt worden. Hu gewann einen von zwei Sitzen als Vertreter Asiens im mächtigen Exekutivkomitee von Interpol. Die Wahl von Hu hatte Menschenrechtsorganisationen auf den Plan gerufen. Die Gruppen hatten wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen gegen die Kandidatur gekämpft. Hu ist stellvertretender Generaldirektor der “Abteilung für Internationale Kooperation” im Ministerium für Öffentliche Sicherheit und damit mutmaßlich auch für die Entführung von Dissidenten im Ausland zuständig.
Peter Dahlin, Mitbegründer und Direktor der Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders, sah in der Wahl Hus kein gutes Zeichnen für Interpol. Hu repräsentiere ein chinesisches Ministerium, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch den systematischen Einsatz von Verschwindenlassen begehe, so Dahlin gegenüber South China Morning Post. Die Abteilung, in der Hu arbeite, sei speziell für die Verfolgung und Rückführung von mutmaßlichen Dissidenten nach China zuständig. “Er hat keinen Platz am Tisch und Chinas Kandidatenauswahl wird seine Fähigkeit stärken, Interpol zu missbrauchen und das Vertrauen in die Organisation selbst zu untergraben”, sagte Dahlin.
Hu war dem Bericht zufolge ein Kollege des ehemaligen Interpol-Chefs Meng Hongwei. Dieser war 2018 bei einem Besuch in China verschwunden. Mengs Ehefrau hatte zuletzt schwere Vorwürfe gegen die Polizei-Organisation erhoben (China.Table berichtete). ari
Die zentralchinesische Provinz Henan will Journalisten und ausländische Studenten unter engmaschige Überwachung stellen. Das geht aus Dokumenten hervor, die von der Nachrichtenagentur Reuters analysiert worden sind. Demnach sollen die Bewegungsprofile von Mitgliedern der beiden Gruppen neben anderen “verdächtigen Personen” in Henan künftig präzise nachvollzogen werden.
Eine entsprechende Ausschreibung auf der Internetseite der Provinzregierung von Ende Juli gibt Aufschluss über die Absicht der Behörden, die Betroffenen mithilfe von Technologien zur Gesichtserkennung identifizieren zu wollen. Die Firma Neusoft aus Shenyang liefert die nötige Software, die die Bilder mit relevanten Datenbanken der Sicherheitsbehörden verknüpft und Alarm schlägt, wenn eine verdächtige Person beispielsweise in ein Hotel eincheckt. Laut Reuters kommt ein derartiges System erstmals in der Volksrepublik zum Einsatz.
Journalisten werden demnach in die Kategorien Rot, Gelb und Grün eingeteilt – um die Dringlichkeit der Nachverfolgung zu kennzeichnen. 2.000 Polizisten sollen mit der Überwachung des Systems betraut werden. Die Software integriert 3.000 Kameras, deren Bilder mit den Daten abgeglichen werden können. Die Gesichtserkennung muss laut Ausschreibung auch dann genau sein, wenn beobachtete Personen Gesichtsmasken oder Brillen tragen.
Der Generalverdacht gegen Journalisten und internationale Studenten ist ein weiterer Schritt Chinas in Richtung eines totalitären Überwachungsstaats. Mit einer stetig wachsenden Zahl von Kameras im öffentlichen Raum samt Gesichtserkennung sowie mit der Nutzung von Handy-Ortung wollen die Behörden vermeintliche Gefahren für die nationale Sicherheit frühzeitig erkennen. Während Journalisten wegen ihrer Arbeit grundsätzlich als Gefahrenquelle gelten, brandmarkt die Provinz Henan nun auch alle Studenten aus dem Ausland als mögliche Spione. grz
Die China Association of Performing Arts (CAPA) hat weitere 85 Internet-Livestreamer auf eine schwarze Liste gesetzt. Sogenannte “Key Opinion Leader” wie Tie Shankao (铁山靠) oder Guo Laoshi (郭老师) hätten einen schlechten Einfluss auf die Gesellschaft und vor allem auf die Jugend ausgeübt, schreibt die Kulturbehörde in einer offiziellen Mitteilung.
Seit der Einführung des “Blacklist Management-Systems” im Jahr 2018 wurden damit bereits 446 Livestreamer von großen Streamingplattformen des Landes verbannt. Wessen Name auf der schwarzen Liste steht, hat sozusagen Hausverbot, etwa bei Douyin, Chinas Version von Tiktok, aber auch allen anderen populären Anbietern.
Zu den Vorwürfen gegen die Livestreamer zählen Steuerhinterziehung, aber auch “unmoralisches Verhalten”, das nicht den “sozialistisches Kernwerten” entspreche. Die auf Douyin bekannt gewordene Influencerin Guo Laoshi landete offenbar unter anderem deshalb auf der Liste, weil sie vor laufender Kamera an ihren Füßen gerochen hatte. Bereits im September hatte Peking die Medienanstalten des Landes aufgefordert, männliche Stars aus dem Programm zu nehmen, deren Aussehen zu weiblich und “verweichlicht” sei (China.Table berichtete).
Online-Influencer sind als Verkäufer und Markenbotschafter in Chinas E-Commerce-Welt ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor geworden. Im vergangenen Jahr setzte Chinas “Social Commerce”-Sektor 242 Milliarden US-Dollar um, zehnmal so viel wie in den USA. Unter Social Commerce versteht man den Verkauf von Produkten über Social-Media-Plattformen und Live-Streaming-Events. fpe
Der Streaminganbieter Disney+ hat eine chinakritische Episode der Cartoon-Reihe Simpsons aus seinem Angebot in Hongkong genommen. Die Folge aus dem Jahr 2005 handelt von einem Besuch der glubschäugigen US-Familie in Peking und zieht diverse satirische Verbindungen zum Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens, zu Staatsgründer Mao Zedong oder der Besetzung Tibets.
Beispielsweise zeigt sie eine Gedenktafel, deren Aufschrift daran erinnert, dass 1989 auf dem Platz “nichts passiert” sei. In einer anderen Szene steht Hauptcharakter Homer Simpson vor dem aufgebahrten Leichnam von Staatsgründer Mao Zedong und sagt: “Schau an, wie er schläft. Wie ein kleiner Engel, der 50 Millionen Menschen getötet hat.”
Eine offizielle Begründung von Disney+ für die Selbstzensur seines Programms stand am Montag noch aus. Zwar gilt in China seit vergangenem Monat ein Gesetz, das die Ausstrahlung von Filmen verbietet, die in den Augen des Parlaments als Angriff auf die nationale Sicherheit verstanden werden können. Allerdings gilt das Gesetz nicht für Streamingdienste.
Im Juli 2020 wurde in Hongkong jedoch das Nationale Sicherheitsgesetz eingeführt, das es nach Meinung von Rechtsexperten den Ermittlungsbehörden ermöglicht, jegliche Form politischen Dissens strafrechtlich zu verfolgen. Die Simpsons-Episode richtet sich zwar nicht gegen Hongkong, sondern gegen die Volksrepublik. Allerdings hat der Einfluss Pekings auf Hongkong in den vergangenen zwei Jahren extrem zugenommen. grz
Für hochrangige Parteifunktionäre in der Volksrepublik China zählt die Bereitschaft zum Tapetenwechsel als Selbstverständlichkeit. Wer Karriere machen möchte in der Kommunistischen Partei, muss jederzeit bereit dazu sein, von einer Provinz in die nächste zu rotieren. Immer dorthin, wo ihn die mächtige Organisationsabteilung des Zentralkomitees hin kommandiert.
Die Posten-Rochade ist ein dauerhafter Prozess in einem riesigen Apparat mit mehr als 90 Millionen Mitgliedern. Deshalb weckt sie selten so viel Interesse wie die jüngste Versetzung von Wang Junzheng von Xinjiang nach Tibet. Der 58-Jährige gilt als Reizfigur im Westen. Er ist einer von vier KP-Funktionären, die zu Beginn des Jahres von der Europäischen Union, aber auch von den USA, Kanada und Großbritannien sanktioniert worden sind. Die Sanktionen gegen ihn verbieten Wang, in die EU einzureisen oder dort geschäftlich tätig zu werden.
Als Sicherheitschef in Xinjiang galt Wang als eine der Schlüsselfiguren bei der Internierung von mehr als einer Million Uiguren. Zwar initiierte er die Internierung nicht persönlich, setzte sie aber während seiner Amtszeit ab Februar 2019 konsequent fort. Zahlreiche Menschenrechtsrechtsverbrechen gegen Mitglieder der muslimischen Minderheit in der Region fallen in seine politische Verantwortung.
Die chinesische Regierung reagierte empört und revanchierte sich mit Sanktionen ihrerseits gegen Funktionäre und Institutionen aus der EU (China.Table berichtete). Dass nun ausgerechnet Wang Junzheng zum obersten Kader in Tibet ernannt worden ist, wirkt wenig zufällig, sondern eher wie ein trotziges Signal aus Peking an das Ausland. Denn dort wirft man seit vielen Jahren schon kritische Blicke auf die Menschenrechtslage in Tibet. Die Tibeter klagen über Unterdrückung und willkürliche Strafverfolgung durch die örtlichen Behörden.
Menschenrechtspolitiker erkennen in der Personalie eine bewusste Botschaft Chinas an westliche Länder. “Den Sicherheitschef aus Xinjiang nun zum Parteichef in Tibet zu befördern, ist ein gezielter Affront gegen alle, die Wang Junzheng sanktioniert haben”, sagt Margarete Bause, langjähriges Mitglied im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Doch mehr noch sei Wangs Ernennung “auch ein dramatisches Zeichen für alle Tibeterinnen und Tibeter, dass sich die systematische Unterdrückung ihres Volkes noch weiter verschärfen wird.” Sie lässt sich daher als Warnung an die tibetischen Widerstandskräfte verstehen.
Die Beförderung zum Parteichef in einer Region mit hoch angespannter Sicherheitslage bietet Wang Junzheng die Möglichkeit, sich für höhere Aufgaben zu empfehlen. Wer als Kader in Tibet oder Xinjiang für Ordnung sorgt, beweist auch, dass er bereit ist, alle Register zu ziehen, um das Machtmonopol der Kommunistischen Partei zu verteidigen.
Prominentestes Beispiel derer, die fernab der glitzernden Küstenmetropolen in einer der Krisenregionen des Landes Karriere gemacht haben, ist der frühere Staatschef Hu Jintao. 1988 hatte er das Amt des Parteisekretärs in Tibet erhalten. Ein Jahr später zeichnete er für die gewaltsame Niederschlagung von Protesten verantwortlich und verhängte das Kriegsrecht. Im Jahr 2002 übernahm er die Macht im Land.
Die Chancen auf einen Aufstieg ins Politbüro werden für Wang Junzheng zumindest nicht kleiner, wenn er seinen Auftrag in Tibet im Sinne der Parteizentrale erfüllen sollte. Tapetenwechsel hatte Wang jedenfalls schon genug. Vor seiner Aufgabe in Xinjiang war der studierte Sozialwissenschaftler und Marxismus-Experte unter anderem Parteisekretär in der nordostchinesischen Stadt Changchun. Volkswagen fertigt dort Fahrzeuge.
Davor war Wang bereits Bürgermeister und Parteichef in der Touristenhochburg Lijiang in Yunnan im Süden Chinas. Später wurde er zum Vize-Gouverneur der zentralchinesischen Provinz Hubei ernannt. Wenig später macht ihn die Organisationsabteilung zum Parteisekretär der Stadt Xiangyang. Als solcher stieg er in den Ständigen Ausschuss der Parteispitze der Provinz auf.
Ganz rund lief es für Wang Junzheng allerdings nicht immer. Während seiner Zeit in Changchun ab 2016 geriet die Stadt landesweit in die Schlagzeilen. Eine lokale Firma hatte abgelaufene Substanzen für die Herstellung von Tollwut-Impfstoffen verwendet und die gesamte Pharmaindustrie der Volksrepublik in Misskredit gebracht. Der Imageschaden war auch ein innenpolitisches Problem. Denn die autoritär regierte Bevölkerung Chinas erwartet zumindest Fürsorge und Schutz durch die Partei, wenn ihr schon etliche Bürgerrechte nicht zugestanden werden. Doch seine Chance, sich in Tibet zu profilieren, hat der Skandal Wang Junzheng zumindest nicht gekostet. grz
das Internationale Olympische Komitee (IOC) sieht sich gerne in der Rolle des großen Strippenziehers der guten Sache. Man setze in der Causa Peng Shuai auf “stille Diplomatie”. IOC-Vizepräsident Dick Pound rühmt zudem den exklusiven Zugang der Organisation zu der wohl festgehaltenen Tennisspielerin. In der Tat war niemand sonst in der Lage, mit Peng in direkten Kontakt zu treten, seitdem diese den ehemaligen Vizepremierminister Zhang Gaoli der sexuellen Nötigung beschuldigt hat.
Das IOC als einflussreicher Autokratenflüsterer – was für ein berauschendes Image. Doch die Selbstwahrnehmung in der Zentrale in Lausanne hat mit der Realität nichts zu tun. In Wahrheit ist das IOC ein Universal-Werkzeug von Diktaturen. Peking verwendet es dazu, Wogen der Empörung zu glätten, die eigenen, vermeintlich guten Absichten zu amplifizieren oder Menschenrechtsverbrechen zu bagatellisieren. Die chinesische Regierung hält das Stöckchen hin, und IOC-Boss Thomas Bach springt brav hinüber.
Wie es richtig geht, macht der Frauentennis-Weltverband WTA vor, der alle Turniere in China und Hongkong aussetzt. WTA-Chef Simon begründet die Entscheidung damit, dass Peking keine Anstalten mache, auf die Forderungen des Verbandes einzugehen. Zugegeben wird sich die Nachhaltigkeit des Turnierabzugs noch herausstellen. Doch Simons Konsequenz für den Augenblick sollte dem Rest der Welt Ansporn sein, sich mit chinesischem Fadenschein nicht mehr abspeisen zu lassen.
Stärkerer Wind weht der chinesischen Regierung in Zukunft wohl auch aus Deutschland entgegen. So zumindest liest es sich im Koalitionsvertrag. Im Gespräch mit China.Table hat die künftige Außenministerin Annalena Baerbock die Entschlossenheit der kommenden Bundesregierung bestärkt. Wie wichtig das ist, belegen auch die jüngsten Nachrichten über Chinas weltweite Fahndung nach taiwanischen Staatsbürger:innen oder das Schicksal der Bloggerin Zhang Zhan.
Ein freundlicher Gruß
Der Fall Peng Shuai ist endgültig in der Weltpolitik angekommen. Am Tag Eins nach der Absage aller Tennisturniere in China durch den Damentennisverband WTA schäumt China. Die Unterstützung für die Turnierabsage der WTA in der Welt ist groß, was auch Peking zur Kenntnis nehmen dürfte. Der Versuch, Pengs Vorwürfe sexueller Nötigung durch Ex-Vizeministerpräsident Zhang Gaoli mit zweifelhaften Methoden aus der Welt zu schaffen, ist krachend gescheitert – vor allem dank der WTA.
Entsprechend wütend reagierten Regierung und Staatsmedien am Donnerstag auf die Absage der Turniere. China sei strikt gegen Maßnahmen, mit denen Sport “politisiert” werde, sagte ein Außenamtssprecher am Donnerstag in Peking. Mit solch dürren Worten gab sich die für nationalistischen Eifer bekannte Staatszeitung Global Times nicht zufrieden. “Die einseitige Entscheidung der WTA im Namen des ‘Schutzes ihrer Spielerinnen’, wurde basierend auf fiktiven Informationen getroffen”, kommentierte das Blatt. Dies würde nicht nur die betreffende Athletin selbst verletzen, sondern auch die fairen Wettkampfchancen der Tennisspielerinnen beeinträchtigen. Seltsamerweise erschien der Text aber nicht auf der englischsprachigen Website des Blattes, sondern nur auf Twitter.
Der für seine heftigen Tweets berüchtigte Global-Times-Chefredakteur Hu Xijin ging sogar noch weiter: “Die WTA zwingt Peng Shuai, den Angriff des Westens auf das chinesische System zu unterstützen. Sie beraubt Peng Shuai ihrer Meinungsfreiheit und fordert, dass die Beschreibung ihrer aktuellen Situation ihren Erwartungen entsprechen muss.” Damit stellte Hu die Sache in einer erstaunlichen Weise auf den Kopf. Zudem versuchte er, die Ankündigung der WTA ins Lächerliche zu ziehen: WTA-Chef Steve Simon boykottiere mit großem Trara “einige Veranstaltungen, die aufgrund von Covid-19 nur eine geringe Chance haben, überhaupt abgehalten zu werden.” Das bringe der WTA keine zusätzlichen wirtschaftlichen Verluste und sorge nur für Aufmerksamkeit im Westen.
Das wütende Nachtreten lässt vermuten, dass China ehrlich geschockt ist von der Turnier-Absage der WTA. Denn China kennt es anders. Firmen, Regierungen und auch Sportverbände knickten in der Vergangenheit stets ein vor dem Druck und dem riesigen Markt der Volksrepublik. Die WTA ist jedenfalls der erste internationale Sportverband überhaupt, der China trotz erwartbarer finanzieller Ausfälle die Stirn bietet. Die US-amerikanische Basketballorganisation NBA war schon eingeknickt, nachdem der Manager der Houston Rockets 2019 auf Twitter die Demokratiebewegung in Hongkong unterstützt hatte. China stoppte die NBA-Übertragungen, und sogleich bedauerte der Verband den Tweet des Managers und behauptete gar, sie sei “enttäuscht” von dessen Kommentaren. Der chinesische Markt ist wohl einfach zu wichtig.
Tatsächlich wären WTA-Turniere in China aufgrund der dort voraussichtlich auch noch im kommenden Jahr geltenden Corona-Einreisebeschränkungen sowieso unwahrscheinlich gewesen. Die WTA ließ den Endpunkt der Suspendierung allerdings offen. Klar ist: Richtig schmerzhaft wird es erst, wenn die WTA auch dann noch Turniere absagt, wenn Chinas Grenzen wieder offen sind. Aber auch so bleibt die öffentliche Absage ein wirksames Zeichen, das weltweit begrüßt wurde. “Buchstäblich das, was wir alle tun sollten. Werte hochhalten und tun, was wir müssen, um sie zu verteidigen”, kommentierte etwa der Hongkonger Demokratie-Aktivist Nathan Law aus dem Exil in London. Auch der Weltranglistenerste Novak Djokovic begrüßte die Turnier-Absagen der WTA, ebenso wie die US-Tennislegenden Martina Navratilova und Billie Jean King.
Die Volksrepublik habe die Forderungen des Verbandes nach umfassender und transparenter Aufklärung des Falls nicht erfüllt, hatte WTA-Chef Simon am Mittwochabend die zuvor schon angedrohte Entscheidung begründet (China.Table berichtete). “Zwar wissen wir jetzt, wo Peng ist. Doch ich habe ernsthafte Zweifel, dass sie frei und sicher ist und keiner Zensur, Nötigung und Einschüchterung unterliegt.”
Das IOC war dagegen offensichtlich überfordert mit dem Spagat, einerseits Sorge um Peng Shuai zu zeigen, andererseits bloß nicht den Veranstalter der unmittelbar bevorstehenden Olympischen Winterspiele zu brüskieren. Das IOC hält sich stets demonstrativ heraus aus der Politik – was im Fall der dreifachen Olympionikin Peng nicht möglich war. Also organisierte man am 21. November ein Videotelefonat von IOC-Präsident Thomas Bach, der Vorsitzenden der IOC-Athletenkommission und einem leitenden IOC-Mitglied in China mit Peng. Es gehe Peng Shuai gut und sie wolle ihre Privatsphäre gewahrt haben, lautete das unbekümmerte Fazit. Es hagelte Kritik, Bach und das Komitee hätten sich von China instrumentalisieren lassen. Wie konnte sich das IOC sicher sein, dass nicht neben Peng, unsichtbar im Video, ein Aufpasser saß? Warum war niemand misstrauisch?
Peng habe sich über den Anruf gefreut, verteidigte der langjährige IOC-Funktionär Dick Pound jetzt noch einmal das Vorgehen. Die gemeinsame Schlussfolgerung der drei Anrufer sei gewesen, “dass es ihr gut ging und sie nicht unter Zwang steht”, sagte Pound am Donnerstag der Nachrichtenagentur Reuters. “Und das wollten wir wissen.” Er betonte, das IOC sei die einzige Organisation der Welt, der es überhaupt gelungen sei, Kontakt zu Peng herzustellen.
Am Mittwoch nahm das IOC erneut Kontakt zu Peng auf. Man sorge sich sehr wohl um die 35-Jährige, teilte das IOC am Donnerstag mit. Es verteidigte noch einmal offiziell seinen Ansatz: “Es gibt verschiedene Möglichkeiten, ihr Wohlbefinden und ihre Sicherheit zu erreichen. Wir haben eine sehr menschliche und personenzentrierte Herangehensweise an ihre Situation gewählt.” Da Peng eine dreimalige Olympiateilnehmerin sei, spreche das IOC seine Bedenken direkt mit chinesischen Sportorganisationen an. “Wir wenden die ‘stille Diplomatie’ an. Dies ist angesichts der Umstände und der Erfahrung von Regierungen und anderen Organisationen der vielversprechendste Weg, um in solchen humanitären Angelegenheiten wirksam vorzugehen.”
Das IOC habe Peng umfassende Unterstützung angeboten und werde mit ihr in regelmäßigem Kontakt bleiben. Auch sei ein persönliches Treffen für den Januar vereinbart. Ob das die Kritiker verstummen lässt, ist aber mehr als fraglich. Zu sehr erscheint das Vorgehen als Augenwischerei. Auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) wollte sich gegenüber China.Table nicht eindeutig positionieren.
Es steht nun ein unschön klingender Verdacht im Raum: Die Olympionikin Peng Shuai wird festgehalten vom Ausrichter der direkt bevorstehenden Olympischen Winterspiele. Und das IOC tut nichts dagegen.
Daher nimmt die Debatte um einen diplomatischen Boykott dieser Winterspiele vom 4. bis 20. Februar 2022 in Peking Fahrt auf. Ein solcher würde bedeuten, dass Staaten keine offiziellen Regierungsdelegationen zu Olympia schicken, die Athletinnen und Athleten aber teilnehmen dürfen. Im Zusammenhang mit dem Fall Peng Shuai hatten bereits US-Präsident Joe Biden und der britische Premierminister Boris Johnson einen solchen Boykott ins Spiel gebracht.
Nun erwägt dies auch die designierte deutsche Außenministerin Annalena Baerbock: “Wenn ich sehe, wie Chinas Führung mit der Tennisspielerin Peng Shuai umgeht oder mit der verhafteten Bürgerjournalistin Zhang Zhan, sollten wir natürlich auch die Olympischen Spiele genauer in den Blick nehmen”, sagte Baerbock im Interview mit China.Table und Journalisten der Tageszeitung (taz). Zhang Zhan sitzt wegen ihrer Artikel aus Wuhan zu den Anfängen der Corona-Pandemie in Haft.
Auch Staaten nehmen immer direkter Bezug auf das Drama um Peng. Schon am Dienstag hatte sich zum Beispiel die Sprecherin des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell eingeschaltet: “Die EU bekundet ihre Solidarität mit der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai, die verschwand, kurz nachdem sie Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe in chinesischen sozialen Medien veröffentlicht hatte. Ihr kürzliches Wiederauftauchen in der Öffentlichkeit lindert die Sorgen um ihre Sicherheit und Freiheit nicht.” Die EU schließe sich den wachsenden internationalen Forderungen an nach einer Zusicherung, dass Peng frei und nicht bedroht sei. Auch US-Präsident Biden hatte bereits seine Sorge um Peng ausgedrückt. Ohne ein robusteres Vorgehen dürften diese Worte ohne großen Effekt verhallen. Die WTA macht vor, wie es geht.
Die designierte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) umreißt kurz vor der Amtsübernahme ihr Programm für den künftigen Umgang mit der Herausforderung China. Demnach will sie gegenüber der Volksrepublik wesentlich deutlichere Worte finden als ihre Vorgänger. “Dialog ist der zentrale Baustein internationaler Politik. Aber das heißt nicht, dass man Dinge schönreden oder totschweigen muss”, sagte Baerbock im Gespräch mit China.Table-Redakteur Felix Lee und Journalisten der Tageszeitung (taz). “Eine die Differenzen in den Vordergrund stellende Außenpolitik führt genauso in eine Sackgasse wie eine, die auf dem Ausblenden von Konflikten basiert.” Für sie sei “wertegeleitete Außenpolitik immer ein Zusammenspiel von Dialog und Härte“.
Baerbock will die deutsche Außenpolitik dazu stärker in Europa verankern. Gegenüber einem wichtigen Handelspartner wie China ziehe die EU am besten an einem Strang, so Baerbock. “Wir brauchen eine gemeinsame europäische China-Politik.” Wenn Deutschland wie bisher “als größter Mitgliedsstaat eine eigene China-Politik formuliert”, dann schwäche das die gemeinsame Position. Die EU wiederum habe als einer der weltweit größten Binnenmärkte erhebliches Gewicht.
Im “Systemwettbewerb mit einem autoritär geführten Regime wie China” will Baerbock sich daher gezielt mit europäischen Demokratien zusammentun. Sie sieht Deutschland zudem als “Teil eines transatlantischen demokratischen Bündnisses“. Es gelte daher, “die strategische Solidarität mit demokratischen Partnern zu suchen, gemeinsam unsere Werte und Interessen zu verteidigen, und in unserer Außenpolitik mit langem Atem für diese Werte zu werben.” Baerbock erlaubt sich in dem Gespräch auch eine Spitze gegen den Politikstil der scheidenden Regierung: “Beredtes Schweigen ist auf Dauer keine Form von Diplomatie, auch wenn das in den letzten Jahren von manchen so gesehen wurde.”
Baerbock zeigt in diesem ersten Interview seit Bekanntwerden der Kabinettsaufstellung keine Scheu, zwei heiß diskutierte Themen anzusprechen. Sie befürwortet im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen in der Region Xinjiang eine Verschärfung europäischer Regeln zur Lieferkette. “Wenn es keinen Zugang mehr gibt für Produkte, die aus Regionen wie Xinjiang stammen, wo Zwangsarbeit gängige Praxis ist, ist das für ein Exportland wie China ein großes Problem.” Als Reaktion auf den Fall der verschwundenen Tennisspielerin Peng Shuai schließt sie einen diplomatischen Boykott der bevorstehenden Olympischen Winterspiele in Peking zumindest nicht aus. Es gebe für Regierungen hier “unterschiedliche Formen des Umgangs”, die allerdings noch diskutiert werden müssten.
Die künftige Außenministerin verknüpft Peng Shuai mit einem weiteren aktuellen Fall von Unterdrückung der Redefreiheit zu einem Komplex: “Wenn ich sehe, wie Chinas Führung mit der Tennisspielerin Peng Shuai umgeht oder mit der verhafteten Bürgerjournalistin Zhang Zhan, sollten wir natürlich auch die Olympischen Spiele genauer in den Blick nehmen“, sagte sie. “Journalistische Berichterstattung ist kein Verbrechen. Zhang Zhan gehört daher freigelassen.”
Neben der Handelspolitik und den Menschenrechten sieht Baerbock einen weiteren Schwerpunkt ihrer künftigen Arbeit bei der internationalen Vernetzung des Klimaschutzes. Die “220 deutschen Auslandsvertretungen können dafür wichtige Klimabotschaften sein und auch zur Intensivierung des Technologietransfers beitragen”. Sie spricht sich dafür aus, dass die handlungsbereiten Länder bei der Energiewende möglichst schnell vorangehen sollten. “Ein globaler CO2-Preis zum Beispiel ist eine schöne Idee, aber eben auch eine gute Ausrede. Denn bis alle 190 Staaten dazu bereit sind, ist es wohl zu spät.” So wie Deutschland vor 20 Jahren mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz die Energiewende in die Welt exportiert habe, könne es jetzt wieder voranschreiten und zum Vorreiter klimaneutralen Wirtschaftens werden.
Experten trauen Baerbock zu, in ihrem neuen Amt wie angekündigt wichtige Impulse zu geben. “Der Koalitionsvertrag umreißt sehr eindrücklich eine neue China-Politik, die unsere Interessen und Werte im Systemwettbewerb mit Peking vertritt”, sagt Thorsten Benner vom Global Public Policy Institute (GPPI) in Berlin. Wenn Baerbock dieses Konzept einer europäisch orientierten China-Strategie umsetze, könnten Deutschland und die EU gleichermaßen gewinnen.
Benner begrüßt am Koalitionsvertrag und den bisherigen Äußerungen der designierten Außenministerin, dass sie sich an einem “China orientieren, das real existiert“. Die Merkel-Regierungen hatten demnach viel zu lange das Leitbild eines “kooperationsbereiten, freundlichen, leicht formbaren China”. Deutschland müsse sich dem Systemwettbewerb nun selbstbewusst stellen und Abhängigkeiten verringern. Diese Ansätze finden sich auch bei den außenpolitischen Positionen der Grünen.
Viel hängt laut Benner nun auch davon ab, ob das Kanzleramt und das Außenministerium ein gemeinsames Verständnis der China-Politik teilen. “Es wäre kontraproduktiv, wenn sich nach einigen Monaten herausstellt, dass Außenministerium und Kanzleramt gegeneinander arbeiten”, sagt Benner. Wenn die Regierung in sich uneinig sei, spiele Deutschland weit unter seinen Möglichkeiten. Scholz als Kanzler müsse sich auch bei Gesprächen in Peking um Teamspiel mit der Außenministerin bemühen, statt eine parallele Diplomatie zu betreiben.
Auch der Außenpolitik-Experte Noah Barkin vom Berliner Büro des German Marshall Fund (GMF) hält die Koordination mit Scholz für einen ganz entscheidenden Punkt. “Die deutsche Außenpolitik wird im Kanzleramt gemacht, und Scholz bevorzugt eindeutig einen gemäßigteren Ansatz gegenüber China.” Baerbock habe jedoch die öffentliche Meinung und die Stimmung im Parlament auf ihrer Seite, ebenso wie die Medien. Viele internationale Verbündete Deutschlands seien ebenfalls eher auf einer Linie mit Baerbock.
Barkin erwartet im Gesamtbild eine deutlich sichtbare “neue Färbung” der Beziehungen zu China mit Baerbock im Außenministerium. “Wenn sie ihre Karten geschickt ausspielt und im Kabinett Unterstützung für ihren Ansatz organisiert, kann Deutschland zu einem unverstellten Blick auf China finden.” Sie werde strittige Fragen offener ansprechen als ihre Vorgänger und sich mehr für Menschenrechte einsetzen.
Andere Beobachter sehen jedoch auch Gefahren in dem Programm, das der Koalitionsvertrag und die künftige Außenministerin umreißen. Das Spiel mit den roten Linien könne die Beziehungen zu Peking nachhaltig schädigen, glaubt der Sinologe Helwig Schmidt-Glintzer vom China Centrum Tübingen (CCT). Der Ton des Koalitionsvertrags weise auf die Idee einer Mehr-China-Politik im Gegensatz zur bisher gepflegten Ein-China-Politik hin. Konkret geht es hier um die Erwähnung von Taiwan im Koalitionsvertrag, der sich beispielsweise für die “Teilnahme des demokratischen Taiwan in internationalen Organisationen” stark macht.
Schmidt-Glintzer warnt davor, den Dialog mit Peking aufgrund eines besonders kritischen Zeitgeistes abreißen zu lassen. Chinas Politik habe sich immer wieder gewandelt und als hochgradig anpassungs- und lernfähig erwiesen. Sie habe als Reaktion auf veränderte Bedingungen schon mehrfach den Kurs gewechselt und werde das vermutlich wieder tun. Alles, was in die Richtung gehe, die äußeren Grenzen des Landes anzuzweifeln, könne jedoch “zu einer Dynamik führen, die nicht mehr kontrollierbar ist.” Finn Mayer-Kuckuk, Felix Lee, Amelie Richter
Mit einer konzertierten Aktion haben Journalisten und Menschenrechtler auf die Freilassung der chinesischen Corona-Bloggerin Zhang Zhan gedrängt. Am Montagvormittag nutzten
den Kurznachrichtendienst Twitter für eine Flut an entsprechenden Postings.
Die Tweets sind verbunden mit einem Appell an den kommenden Bundeskanzler Olaf Scholz und dessen Vertrauten, Wolgang Schmidt, sowie an die kommende Außenministerin Annalena Baerbock und deren Vorgänger Heiko Maas. Die Autoren und Verbände bitten die Politik, sich für die Bürgerjournalistin bei der chinesischen Regierung einzusetzen. Die inhaftierte Frau ist in einen Hungerstreik getreten und kämpft nach Angaben ihrer Familie um ihr Leben (China.Table berichtete).
Zhang hatte Anfang 2020, kurz nach dem Ausbruch von Covid-19, begonnen, aus der Stadt Wuhan zu berichten, dem Ursprungsort der Pandemie. An der staatlichen Zensur vorbei lieferte sie Bilder und Eindrücke, die ein anderes Bild von der Lage in der Stadt und vom Krisenmanagement der Behörden zeichneten als offizielle Verlautbarungen. Zhang ist für ihre Berichte zu vier Jahren Haft verurteilt worden. grz
China drängt ausländische Regierungen nach einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders zur Auslieferung von Taiwanern an die Volksrepublik. Peking wolle so die Auslieferung hunderter im Ausland lebender Taiwaner erreichen, heißt es in dem bereits am Dienstag veröffentlichten Bericht der in Madrid ansässigen Organisation. Außenamtssprecher Wang Wenbin bezeichnete die Studie am Mittwoch als “reinen Unsinn”.
In den Jahren 2016 bis 2019 wurden laut Safeguard Defenders mehr als 600 im Ausland lebende Taiwaner an die Volksrepublik ausgeliefert. China betreibe eine regelrechte “Jagd auf Taiwaner”. Der größte Anteil entfiel mit 200 Fällen aber auf Spanien. Ein spanisches Gericht leistete demnach den Forderungen aus Peking Folge. Ein tschechisches Gericht wies dagegen im April 2020 einen Antrag Chinas auf Auslieferung von acht Taiwanern zurück. Es verwies dabei auf das Risiko von Folter und Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik. Auch auf die Philippinen und Kambodscha übte Peking laut Safeguard Defenders Druck aus.
2009 vereinbarten Taiwan und China laut der Nachrichtenagentur AFP, dass die Polizei mutmaßliche Straftäter aus dem Ausland in ihre jeweiligen Heimatländer abschieben solle. Dem Bericht zufolge aber hält Peking sich seit der Wahl der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen 2016 zunehmend weniger an diese Vereinbarung. ck
Der chinesische Regierungsbeamte Hu Binchen ist trotz des Widerstands von Menschenrechtsgruppen aus mehreren Ländern in eine wichtige Aufsichtsfunktion bei der internationalen Polizei-Organisation Interpol gewählt worden. Hu gewann einen von zwei Sitzen als Vertreter Asiens im mächtigen Exekutivkomitee von Interpol. Die Wahl von Hu hatte Menschenrechtsorganisationen auf den Plan gerufen. Die Gruppen hatten wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen gegen die Kandidatur gekämpft. Hu ist stellvertretender Generaldirektor der “Abteilung für Internationale Kooperation” im Ministerium für Öffentliche Sicherheit und damit mutmaßlich auch für die Entführung von Dissidenten im Ausland zuständig.
Peter Dahlin, Mitbegründer und Direktor der Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders, sah in der Wahl Hus kein gutes Zeichnen für Interpol. Hu repräsentiere ein chinesisches Ministerium, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch den systematischen Einsatz von Verschwindenlassen begehe, so Dahlin gegenüber South China Morning Post. Die Abteilung, in der Hu arbeite, sei speziell für die Verfolgung und Rückführung von mutmaßlichen Dissidenten nach China zuständig. “Er hat keinen Platz am Tisch und Chinas Kandidatenauswahl wird seine Fähigkeit stärken, Interpol zu missbrauchen und das Vertrauen in die Organisation selbst zu untergraben”, sagte Dahlin.
Hu war dem Bericht zufolge ein Kollege des ehemaligen Interpol-Chefs Meng Hongwei. Dieser war 2018 bei einem Besuch in China verschwunden. Mengs Ehefrau hatte zuletzt schwere Vorwürfe gegen die Polizei-Organisation erhoben (China.Table berichtete). ari
Die zentralchinesische Provinz Henan will Journalisten und ausländische Studenten unter engmaschige Überwachung stellen. Das geht aus Dokumenten hervor, die von der Nachrichtenagentur Reuters analysiert worden sind. Demnach sollen die Bewegungsprofile von Mitgliedern der beiden Gruppen neben anderen “verdächtigen Personen” in Henan künftig präzise nachvollzogen werden.
Eine entsprechende Ausschreibung auf der Internetseite der Provinzregierung von Ende Juli gibt Aufschluss über die Absicht der Behörden, die Betroffenen mithilfe von Technologien zur Gesichtserkennung identifizieren zu wollen. Die Firma Neusoft aus Shenyang liefert die nötige Software, die die Bilder mit relevanten Datenbanken der Sicherheitsbehörden verknüpft und Alarm schlägt, wenn eine verdächtige Person beispielsweise in ein Hotel eincheckt. Laut Reuters kommt ein derartiges System erstmals in der Volksrepublik zum Einsatz.
Journalisten werden demnach in die Kategorien Rot, Gelb und Grün eingeteilt – um die Dringlichkeit der Nachverfolgung zu kennzeichnen. 2.000 Polizisten sollen mit der Überwachung des Systems betraut werden. Die Software integriert 3.000 Kameras, deren Bilder mit den Daten abgeglichen werden können. Die Gesichtserkennung muss laut Ausschreibung auch dann genau sein, wenn beobachtete Personen Gesichtsmasken oder Brillen tragen.
Der Generalverdacht gegen Journalisten und internationale Studenten ist ein weiterer Schritt Chinas in Richtung eines totalitären Überwachungsstaats. Mit einer stetig wachsenden Zahl von Kameras im öffentlichen Raum samt Gesichtserkennung sowie mit der Nutzung von Handy-Ortung wollen die Behörden vermeintliche Gefahren für die nationale Sicherheit frühzeitig erkennen. Während Journalisten wegen ihrer Arbeit grundsätzlich als Gefahrenquelle gelten, brandmarkt die Provinz Henan nun auch alle Studenten aus dem Ausland als mögliche Spione. grz
Die China Association of Performing Arts (CAPA) hat weitere 85 Internet-Livestreamer auf eine schwarze Liste gesetzt. Sogenannte “Key Opinion Leader” wie Tie Shankao (铁山靠) oder Guo Laoshi (郭老师) hätten einen schlechten Einfluss auf die Gesellschaft und vor allem auf die Jugend ausgeübt, schreibt die Kulturbehörde in einer offiziellen Mitteilung.
Seit der Einführung des “Blacklist Management-Systems” im Jahr 2018 wurden damit bereits 446 Livestreamer von großen Streamingplattformen des Landes verbannt. Wessen Name auf der schwarzen Liste steht, hat sozusagen Hausverbot, etwa bei Douyin, Chinas Version von Tiktok, aber auch allen anderen populären Anbietern.
Zu den Vorwürfen gegen die Livestreamer zählen Steuerhinterziehung, aber auch “unmoralisches Verhalten”, das nicht den “sozialistisches Kernwerten” entspreche. Die auf Douyin bekannt gewordene Influencerin Guo Laoshi landete offenbar unter anderem deshalb auf der Liste, weil sie vor laufender Kamera an ihren Füßen gerochen hatte. Bereits im September hatte Peking die Medienanstalten des Landes aufgefordert, männliche Stars aus dem Programm zu nehmen, deren Aussehen zu weiblich und “verweichlicht” sei (China.Table berichtete).
Online-Influencer sind als Verkäufer und Markenbotschafter in Chinas E-Commerce-Welt ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor geworden. Im vergangenen Jahr setzte Chinas “Social Commerce”-Sektor 242 Milliarden US-Dollar um, zehnmal so viel wie in den USA. Unter Social Commerce versteht man den Verkauf von Produkten über Social-Media-Plattformen und Live-Streaming-Events. fpe
Der Streaminganbieter Disney+ hat eine chinakritische Episode der Cartoon-Reihe Simpsons aus seinem Angebot in Hongkong genommen. Die Folge aus dem Jahr 2005 handelt von einem Besuch der glubschäugigen US-Familie in Peking und zieht diverse satirische Verbindungen zum Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens, zu Staatsgründer Mao Zedong oder der Besetzung Tibets.
Beispielsweise zeigt sie eine Gedenktafel, deren Aufschrift daran erinnert, dass 1989 auf dem Platz “nichts passiert” sei. In einer anderen Szene steht Hauptcharakter Homer Simpson vor dem aufgebahrten Leichnam von Staatsgründer Mao Zedong und sagt: “Schau an, wie er schläft. Wie ein kleiner Engel, der 50 Millionen Menschen getötet hat.”
Eine offizielle Begründung von Disney+ für die Selbstzensur seines Programms stand am Montag noch aus. Zwar gilt in China seit vergangenem Monat ein Gesetz, das die Ausstrahlung von Filmen verbietet, die in den Augen des Parlaments als Angriff auf die nationale Sicherheit verstanden werden können. Allerdings gilt das Gesetz nicht für Streamingdienste.
Im Juli 2020 wurde in Hongkong jedoch das Nationale Sicherheitsgesetz eingeführt, das es nach Meinung von Rechtsexperten den Ermittlungsbehörden ermöglicht, jegliche Form politischen Dissens strafrechtlich zu verfolgen. Die Simpsons-Episode richtet sich zwar nicht gegen Hongkong, sondern gegen die Volksrepublik. Allerdings hat der Einfluss Pekings auf Hongkong in den vergangenen zwei Jahren extrem zugenommen. grz
Für hochrangige Parteifunktionäre in der Volksrepublik China zählt die Bereitschaft zum Tapetenwechsel als Selbstverständlichkeit. Wer Karriere machen möchte in der Kommunistischen Partei, muss jederzeit bereit dazu sein, von einer Provinz in die nächste zu rotieren. Immer dorthin, wo ihn die mächtige Organisationsabteilung des Zentralkomitees hin kommandiert.
Die Posten-Rochade ist ein dauerhafter Prozess in einem riesigen Apparat mit mehr als 90 Millionen Mitgliedern. Deshalb weckt sie selten so viel Interesse wie die jüngste Versetzung von Wang Junzheng von Xinjiang nach Tibet. Der 58-Jährige gilt als Reizfigur im Westen. Er ist einer von vier KP-Funktionären, die zu Beginn des Jahres von der Europäischen Union, aber auch von den USA, Kanada und Großbritannien sanktioniert worden sind. Die Sanktionen gegen ihn verbieten Wang, in die EU einzureisen oder dort geschäftlich tätig zu werden.
Als Sicherheitschef in Xinjiang galt Wang als eine der Schlüsselfiguren bei der Internierung von mehr als einer Million Uiguren. Zwar initiierte er die Internierung nicht persönlich, setzte sie aber während seiner Amtszeit ab Februar 2019 konsequent fort. Zahlreiche Menschenrechtsrechtsverbrechen gegen Mitglieder der muslimischen Minderheit in der Region fallen in seine politische Verantwortung.
Die chinesische Regierung reagierte empört und revanchierte sich mit Sanktionen ihrerseits gegen Funktionäre und Institutionen aus der EU (China.Table berichtete). Dass nun ausgerechnet Wang Junzheng zum obersten Kader in Tibet ernannt worden ist, wirkt wenig zufällig, sondern eher wie ein trotziges Signal aus Peking an das Ausland. Denn dort wirft man seit vielen Jahren schon kritische Blicke auf die Menschenrechtslage in Tibet. Die Tibeter klagen über Unterdrückung und willkürliche Strafverfolgung durch die örtlichen Behörden.
Menschenrechtspolitiker erkennen in der Personalie eine bewusste Botschaft Chinas an westliche Länder. “Den Sicherheitschef aus Xinjiang nun zum Parteichef in Tibet zu befördern, ist ein gezielter Affront gegen alle, die Wang Junzheng sanktioniert haben”, sagt Margarete Bause, langjähriges Mitglied im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Doch mehr noch sei Wangs Ernennung “auch ein dramatisches Zeichen für alle Tibeterinnen und Tibeter, dass sich die systematische Unterdrückung ihres Volkes noch weiter verschärfen wird.” Sie lässt sich daher als Warnung an die tibetischen Widerstandskräfte verstehen.
Die Beförderung zum Parteichef in einer Region mit hoch angespannter Sicherheitslage bietet Wang Junzheng die Möglichkeit, sich für höhere Aufgaben zu empfehlen. Wer als Kader in Tibet oder Xinjiang für Ordnung sorgt, beweist auch, dass er bereit ist, alle Register zu ziehen, um das Machtmonopol der Kommunistischen Partei zu verteidigen.
Prominentestes Beispiel derer, die fernab der glitzernden Küstenmetropolen in einer der Krisenregionen des Landes Karriere gemacht haben, ist der frühere Staatschef Hu Jintao. 1988 hatte er das Amt des Parteisekretärs in Tibet erhalten. Ein Jahr später zeichnete er für die gewaltsame Niederschlagung von Protesten verantwortlich und verhängte das Kriegsrecht. Im Jahr 2002 übernahm er die Macht im Land.
Die Chancen auf einen Aufstieg ins Politbüro werden für Wang Junzheng zumindest nicht kleiner, wenn er seinen Auftrag in Tibet im Sinne der Parteizentrale erfüllen sollte. Tapetenwechsel hatte Wang jedenfalls schon genug. Vor seiner Aufgabe in Xinjiang war der studierte Sozialwissenschaftler und Marxismus-Experte unter anderem Parteisekretär in der nordostchinesischen Stadt Changchun. Volkswagen fertigt dort Fahrzeuge.
Davor war Wang bereits Bürgermeister und Parteichef in der Touristenhochburg Lijiang in Yunnan im Süden Chinas. Später wurde er zum Vize-Gouverneur der zentralchinesischen Provinz Hubei ernannt. Wenig später macht ihn die Organisationsabteilung zum Parteisekretär der Stadt Xiangyang. Als solcher stieg er in den Ständigen Ausschuss der Parteispitze der Provinz auf.
Ganz rund lief es für Wang Junzheng allerdings nicht immer. Während seiner Zeit in Changchun ab 2016 geriet die Stadt landesweit in die Schlagzeilen. Eine lokale Firma hatte abgelaufene Substanzen für die Herstellung von Tollwut-Impfstoffen verwendet und die gesamte Pharmaindustrie der Volksrepublik in Misskredit gebracht. Der Imageschaden war auch ein innenpolitisches Problem. Denn die autoritär regierte Bevölkerung Chinas erwartet zumindest Fürsorge und Schutz durch die Partei, wenn ihr schon etliche Bürgerrechte nicht zugestanden werden. Doch seine Chance, sich in Tibet zu profilieren, hat der Skandal Wang Junzheng zumindest nicht gekostet. grz