für die Kommunistische Partei Chinas ist es zum Haareraufen. Da richtet sie ein Massaker unter der eigenen Bevölkerung an, und es gelingt ihr tatsächlich, dass nur wenige Aufnahmen von dem Blutvergießen den Rest der Welt erreichen. Das Ausmaß der Gewalt in der Nacht des 4. Juni 1989 gegen die eigene Bevölkerung, die nichts verlangte, außer mehr politische Teilhabe, bleibt somit stets im Raum des Ungefähren. Das sind gute Voraussetzungen für eine Diktatur, um die Bedeutung von Ereignissen herunterzuspielen.
Doch dann das: Am Morgen nach dem Massaker stellt sich ein Unbekannter auf der Chang’an Jie einer Panzerkolonne entgegen. Keine Gewalt, kein Blut. Und doch sind es diese wenigen Augenblicke, die sich der Welt ins Gedächtnis eingebrannt haben und die ihr auf ewig die Toten vom Tiananmen in Erinnerung rufen. Tank Man wurde zur Popkultur, zum Inbegriff des Widerstandes der Massen gegen die Unterdrückung. Das Bild von dem Augenblick, in dem er einer bis an die Zähne bewaffneten Staatsmacht mit zwei Einkaufstüten in den Händen gegenübertritt, schmückt heute T-Shirts und Poster und wurde von einer weltberühmten Comicserie aufgegriffen.
Tank Man ist wie ein Dorn im Auge der Kommunistischen Partei Chinas. Er symbolisiert bis heute, dass es eben doch keinen Konsens über den alleinigen Machtanspruch der KP unter 1,4 Milliarden Chinesen gibt. Zum Haareraufen.
Es sind nur rund drei Minuten, die am Vormittag des 5. Juni 1989 aus einem Mann einen Helden machen. Ein Unbekannter stellt sich auf der Chang’an Jie im Herzen Pekings, in unmittelbarer Nähe zum Platz des Himmlischen Friedens, einer Panzerkolonne der chinesischen Armee in den Weg. Ob der Mann ein aktives Mitglied der Demokratiebewegung ist, die in der Nacht zuvor mit vielen Leben für ihre Forderung nach politischer Teilhabe bezahlen musste, bleibt unklar. Dennoch geht sein Mut als letzter Akt des offenen Widerstandes dieser Tage und Wochen im Frühling vor 33 Jahren in die Geschichte ein.
Diese wenigen Augenblicke auf der Chang’an Jie haben sich förmlich in das Gedächtnis der Weltöffentlichkeit gebrannt. Bis heute strahlen sie eine Faszination aus, die eine globale Erinnerungskultur geschaffen hat, die es der Kommunistischen Partei Chinas unmöglich macht, das Tiananmen-Massaker an der eigenen Bevölkerung zu einer Randnotiz der Historie zu degradieren. Wer der Mann war, ist ebenso unklar, wie die Frage, ob er bestraft wurde, nachdem ihn mehrere Männer von der Straße geschoben hatten. Und dennoch ist sein Pseudonym bis heute in aller Munde.
Seine Bedeutung geht weit über die Erinnerung an die Verbrechen der KP des Jahres 1989 hinaus. “Dieser junge Mann hat die Welt verändert”, sagt Professor Bruce Herschensohn im Dokumentarfilm “Tank Man” aus dem Jahr 2006. Herschensohn war einst Berater der US-Regierung um Richard Nixon und befasste sich intensiv mit kommunistischen Regimen. “Tank Mans Handeln hat den Wandel der Sowjetunion unterstützt”, glaubte der inzwischen verstorbene Herschensohn, der kurz nach den Ereignissen in Peking diverse osteuropäische Länder bereiste.
Vielerorts gingen die Menschen damals auf die Straße, um in ihren Ländern gegen pro-sowjetische Regime zu protestieren. Etliche Male und in vielen verschiedenen Ländern, so Herschensohn, hätten die Leute ihm sinngemäß gesagt: “Wenn dieser chinesische Junge vor den Panzern stehen kann, dann können wir das auch.”
Fünf Monate nach Tank Man fiel die Berliner Mauer. Es folgten der Zusammenbruch der Sowjetunion und des Ostblocks. Viele Gesellschaften entledigten sich ihrer Despoten und diktatorischen Statthalter unter Moskaus Führung und entwickelten demokratische Strukturen. Doch nur wenige Momente dieser Umwälzungen und revolutionären Tage blieben der Welt so in Erinnerung wie die Entschlossenheit des Tank Man.
Das US-amerikanische Nachrichtenmagazin Time verlieh seiner Bedeutung für den Kampf gegen Unterdrückung der Massen durch korrupte Regime Ausdruck, indem es den “Tank Man” zu einer der 100 einflussreichsten Menschen des 20. Jahrhunderts erkor. “Der Mann mit den Panzern steht für die Macht der Namenlosen”, schrieb das Magazin 1998.
Bis heute werden die Aufnahmen regelmäßig aus den Archiven geholt. Lehrer:innen demokratischer Staaten nutzen sie als Anschauungsmaterial im Geschichtsunterricht. Das Bild des dramatischen Augenblicks schmückt T-Shirts und Poster. Tank Man ist im Westen zu einer Art Popkultur geworden. “Es ist das Mysterium, das seine dauerhafte Präsenz ermöglicht – das es ihm ermöglicht, ein Code für so viele westliche Werte und Wünsche zu sein”, sagte Jennifer Hubbert, vom Lewis & Clark College in Portland vor einigen Jahren der New York Times.
Hubbert beschreibt in ihrem Beitrag Appropriating Iconicity: Why Tank Man Still Matters im Journal of the Society for Visual Anthropology, was passiert, wenn das ikonische Tank Man-Bild modifiziert und für neue politische Zwecke umfunktioniert wird. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Verwendung des Bildes in neuen Kontexten in den USA dafür sorgt, dass es weniger über fehlenden politischen Liberalismus in China aufklärt, sondern demokratische Defizite in den Vereinigten Staaten aufzeigt.
Im heutigen China haben vor allem junge Menschen nur wenig detaillierte Kenntnisse über den Tank Man. Referenzen zu seiner Geschichte schaffen es, wenn überhaupt, nur kurzfristig durch die Zensur der Partei. Chinesische Schulbücher handeln den sogenannten “Zwischenfall” als Heldentat des chinesischen Militärs ab. Offizielle chinesische Angaben sprechen von einigen Hundert toten Demonstranten bei den Protesten auf und um den Tian’anmen Platz. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es in Wahrheit wohl mehrere Tausende waren. Aufklärung über die genaue Opferzahl und eine öffentliche Aufarbeitung des Blutvergießens wird es unter KP-Führung jedoch niemals geben.
Hochgradig sensibel geht sie gegen alles vor, das an die Nacht des 4. Juni erinnert. Zuletzt wurden im Jahr 2016 vier Männer zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie Etikette auf Schnapsflaschen geklebt hatten, die Referenzen zu den tödlichen Ereignissen zogen. Als Comiczeichnung hatten sie Tank Man und eine Reihe von Panzern darauf abgebildet. Darunter stand: “Niemals vergessen, niemals aufgeben”.
Auch 33 Jahre nach dem Massaker ist nicht endgültig geklärt, wer der Mann überhaupt war. Schon 1990 hatten ausländische Medien ihn zwar als Wang Weilin identifiziert. Unter anderem behauptete auch Bruce Herschensohn, er habe durch Quellen in Peking diesen Namen erfahren. Doch bestätigt wurde diese Vermutung nie. Auch über den Mensch hinter dem Namen Wang Weilin ist wenig bekannt. Zu seinem Schicksal gibt es zudem verschiedene Versionen. Eine lautet, er sei Ende Juni 1989 hingerichtet worden, eine andere besagt, seine Hinrichtung sei erst Monate später vollstreckt worden. Und später gab es sogar Gerüchte, Tank Man lebe anonym in Taiwan.
Die Theorie derjenigen, die an sein Untertauchen und damit an sein Überleben glauben, stützt sich vornehmlich auf die Tatsache, dass Tank Man nicht öffentlich hingerichtet worden ist. Etliche Protestler waren im Anschluss an die Ereignisse als Warnung an den Rest der Bevölkerung namentlich im Fernsehen vorgeführt und anschließend getötet worden. Ihre Vergehen erschienen teilweise deutlich weniger provokant als die Blockade der Panzer. Dennoch wurde Tank Man nicht wie viele andere im staatlichen Fernsehen hingerichtet.
Es bleibt bis heute die Frage, wer die Männer waren, die ihn von der Straße gedrängt haben. Staatssicherheit oder einfache Bürger? Ein Jahr nach Tiananmen konfrontierte die US-Journalistin Barbara Walters in einem Interview für ABC den designierten Staatschef Jiang Zemin mit einem Foto des Tank Man. Jiang sagte, er glaube nicht, dass der Mann getötet worden sei. Aber er könne auch keine konkreten Angaben zu dessen Verbleib machen. All die unbeantworteten Fragen trugen in den Folgejahren zum Mythos Tank Man bei.
Hong Hao war ein angesehener und beliebter Finanzanalyst in China. Zumindest bis vor einigen Wochen. Auch ausländische Medien zitierten ihn gern, wenn es darum ging, die Lage der chinesischen Wirtschaft zu beschreiben. Doch seit Anfang Mai ist von Hong kaum noch etwas zu hören. Er verließ seinen bisherigen Arbeitgeber, die chinesische Beteiligungsgesellschaft Bocom. Aus “persönlichen Gründen”, wie das Unternehmen mitteilte.
Vieles spricht dafür, dass die Behörden Hong mundtot gemacht haben. Immer wieder hatte der Analyst zuvor in sozialen Medien, wo ihn Millionen Menschen folgten, auf die angespannte Lage der chinesischen Wirtschaft hingewiesen. Die Zensoren löschten deshalb viele seiner Beiträge und sperrten seine Benutzerkonten. Nur auf Twitter können noch immer einige Beiträge von Hong gelesen werden. “Shanghai: zero movement, zero GDP”, lautet eine seiner letzten Nachrichten.
Damit hat der Analyst die Lage eigentlich richtig zusammengefasst: Harte Lockdowns in der wichtigsten Wirtschaftsmetropole des Landes und in anderen Millionenstädten würgen das Wachstum der chinesischen Wirtschaft brutal ab. Für zig Millionen Menschen in China, die in Shanghai oder anderswo seit Wochen in Quarantäne sitzen und ihre Wohnungen nicht mehr verlassen dürfen, ist die strikte Politik der Regierung längst zu einem Albtraum geworden, den sie jeden Tag aufs neue durchleben müssen.
Doch pures Gift sind die Maßnahmen auch für die Wirtschaft und das Geschäft ausländischer Unternehmen. Die Stimmung europäischer Firmen in China ist so schlecht wie kaum zuvor. In einer neuen Umfrage der Europäischen Handelskammer in Peking gaben 75 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sich die strengen Eindämmungsmaßnahmen negativ auf ihren Betrieb auswirkten (China.Table berichtete). Die Unternehmen beklagten vor allem Probleme im Bereich der Logistik, Lagerhaltung und Lieferketten. Nur in chinesischen Staatsmedien ist von all dem nichts zu lesen.
Die Regierung in Peking spricht zwar selbst von “Herausforderungen” und einer “schwierigen Lage”. Doch Berichte, die genau analysieren, wie die von Präsident Xi Jinping vorgegebene Null-Corona-Politik das Land wirtschaftlich verkrüppelt, sind praktisch nicht zu finden. Dass Kritiker der Regierungslinie systematisch mundtot gemacht werden, ist in China keine Neuheit. Wer als ausländischer Journalist mit Ökonomen an chinesischen Universitäten sprechen will, erhält in der Regel eine Absage. Nur noch wenige Fachleute trauen sich, mit Medien aus dem Ausland zu sprechen. Und tun sie es doch, ziehen sie gelegentlich in letzter Minute ihre Zitate wieder zurück, weil sie von ihren Vorgesetzten zurechtgewiesen werden.
Analyst Hong ist nicht allein. Der Kurznachrichtendienst Weibo schloss zuletzt auch die Konten zahlreicher anderer Ökonomen und Marktanalysten, darunter Fu Peng, Chefökonom bei Northeast Securities, Dan Bin, Vorsitzender von Shenzhen Oriental Harbor Investment und Wu Yuefeng, Partner und Fondsmanager bei Funding Capital mit Sitz in Peking. Die Behörden begründeten die Sperrungen äußerst vage mit Verstößen gegen “Gesetze und Vorschriften”.
Ebenfalls ins Fadenkreuz der Zensoren geriet Wang Sicong. Der Sohn von Wang Jianlin, einem der mächtigsten Immobilienmogule Chinas, hatte bis vor einigen Wochen 40 Millionen Anhänger auf Weibo. Doch dann sperrten die Zensoren auch sein Konto ohne Vorwarnung. Der Influencer hatte sich über die Coronavirus-Politik der Regierung lustig gemacht. Auch Dai Yiyi, ein Managementprofessor an der Universität der ostchinesischen Metropole Xiamen, wurde vorübergehend auf Toutiao, einem vom Pekinger Unternehmen ByteDance betriebenen Nachrichtenaggregator, zum Schweigen gebracht. Auch er hatte sich kritisch zur Null-Covid-Politik geäußert.
Unverhohlen drohte zuletzt auch der chinesische Berufsverband für Börsenhändler (SAC). “Als Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens werden die Worte und Taten von Wertpapieranalysten von der Gesellschaft und den Medien hoch angesehen”, so der Verband. “Unangemessene” Kommentare und Handlungen würden sowohl dem Ruf ihrer Institutionen als auch dem der gesamten Wertpapierindustrie schaden. Öffentliche Aussagen von Analysten müssten von nun an “besser verwaltet” werden. Sämtliche Berichte sollten vor der Veröffentlichung zunächst einer gründlichen “Qualitätskontrolle” unterzogen werden.
Einen seltenen Einblick in das, was sich dieser Tage tatsächlich in den Köpfen chinesischer Top-Investoren abspielt, liefert ein Video, das der britischen Financial Times zugespielt wurde. Zu sehen ist dort Weijian Shan, Gründer der Hongkonger Investmentgesellschaft PAG. In dem Mitschnitt geht er gnadenlos mit der Null-Corona-Politik ins Gericht. “Große Teile der chinesischen Wirtschaft, einschließlich Shanghai, sind halb gelähmt. Die Auswirkungen werden sehr tiefgreifend sein”, so Shan. “Chinas Führung glaubt, dass sie alles besser weiß als der Markt, und viele ihrer Handlungen haben dem Markt und der Wirtschaft echten Schaden zugefügt.”
Chinas Präsident Xi Jinping und andere Top-Führer des Landes wollen davon nichts hören. Nach seiner jüngsten Sitzung am vergangenen Freitag teilte das mächtige Politbüro einmal mehr mit, dass es keine Alternative zur Null-Corona-Politik gebe. Kritiker der Maßnahmen sollen “entschlossen” bekämpft werden. Jörn Petring/Gregor Koppenburg
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will Werte zur Richtschnur der Handelspolitik machen – und statuiert offenbar ein Exempel an VW. “Ein Unternehmen, das auch in der Provinz der Uiguren tätig ist, wollte Investitionsgarantien verlängern. Dem geben wir nicht statt”, sagte Habeck der Welt am Sonntag. Menschenrechte bekommen in der deutschen Wirtschaftspolitik “ein stärkeres Gewicht.” Es sei das erste Mal, dass solche Garantien nicht zustande kommen, weil ein Unternehmen mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht werde. Dem Spiegel zufolge handelt es sich bei dem Unternehmen um Volkswagen.
In dem Interview mit der Welt am Sonntag ging es nicht speziell um China. Hauptthema des Gesprächs waren Waffenlieferungen an die Ukraine und die Rolle von Habeck in der Regierung. Erst im weiteren Verlauf fragte die Welt am Sonntag dann auch nach den Handelsbeziehungen zu China. Habeck kündigte an, die “Abhängigkeiten zu verringern”. “China ist ein großer Handelspartner, aber wir stehen im Systemwettbewerb – da ein autokratisches Regime, hier liberale Demokratien.” Deutschland müsse seine Sicherheitsinteressen wahren.
Über Investitionsgarantien werde auch künftig im Einzelfall entschieden. Es gebe bei der aktuellen Entscheidung aber Kontinuität zu seinem Vorgänger Peter Altmaier (CDU). “Die Leitlinie, die mein Ministerium schon zum Ende der letzten Legislaturperiode entwickelt hat, ist: Wir können angesichts von Zwangsarbeit und Misshandlung der Uiguren keine Projekte in der Region Xinjiang absichern.“
Bei den Investitionsgarantien handelt es sich um eine indirekte Form der Subvention für das Auslandsgeschäft. Deutsche Unternehmen, die zwar im Ausland investieren wollen, dort aber politische Risiken fürchten, können bei der Regierung eine Rückversicherung beantragen. Das soll den Konzernen die Entscheidung für das Engagement erleichtern. Geht das Geschäft schief, weil die ausländische Regierung nicht wie erhofft mitspielt, zahlt der Bund den Verlust. Das Wirtschaftsministerium ist jedoch nicht dazu verpflichtet, dem Privatsektor alle Risiken abzunehmen. Es steht im Ermessen der Regierung, die Garantien zu gewähren. VW selbst gibt sich in Hinblick auf die bevorstehende Ablehnung daher betont gelassen.
Es ging bei dem VW-Antrag nicht um die Absicherung eines neuen Engagements in Xinjiang, sondern um bestehende Garantien für vier Investitionen in anderen Teilen Chinas. Doch Volkswagen betreibt eben auch ein Werk in Urumqi. Es handelt sich zwar um eine vergleichsweise kleine Einrichtung. Für die chinesische Führung hat das Engagement in Xinjiang jedoch erheblichen Symbolwert. VW hat 2012 auf Druck aus Peking in der Hauptstadt der Provinz investiert. Die Aktivitäten internationaler Firmen geben der Xinjiang-Politik Legitimität. Schließlich behauptet Peking, dort zum Wohle der Bürger die Wirtschaft anzukurbeln. Die Verträge wurden im Beisein von Angela Merkel unterzeichnet.
Die Unterdrückung der Uiguren war 2012 zwar auch schon ein dominierendes Thema. Das damalige Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen ist jedoch nicht mit den Entwicklungen seit 2018 zu vergleichen. Damals hatten die Einwohner noch Bewegungsfreiheit; heute sind Millionen von Uiguren in Lager gesperrt, es herrscht totale Überwachung. Der Geschäftserfolg von Volkswagen ist zugleich vom Wohlwollen der chinesischen Regierung abhängig.
Wenn das Vorgehen Habecks richtungsweisend ist für die künftigen Steuerungssignale der Bundesregierung an die Wirtschaft, dann könnte noch ein zweites Dax-Unternehmen von den Entscheidungen seines Hauses beeinflusst werden. BASF hat ebenfalls in Xinjiang investiert. Anders als der Autobauer, für den Urumqi kein naheliegender Standort ist, profitiert der Chemiekonzern von den Gasvorkommen in der Region.
Anfang 2023 wird in Deutschland ein Lieferkettengesetz wirksam. Es schreibt den Unternehmen Sorgfalt bei der Einhaltung internationaler Standards für Arbeitsbedingungen vor – auch bei Lieferanten. Ein Unternehmen wie BASF ist in China eng mit der örtlichen Wirtschaft verflochten. Die Einhaltung der Sorgfaltspflichten überprüft das Bundesamt für Wirtschaft und Außenkontrolle (BAFA). Es ist direkt Robert Habeck unterstellt. Von seinen Vorgaben hängt ab, wie genau die Beamten hinsehen werden. Es gibt ihm bei dem neuen Werte-Fokus also einen zusätzlichen Hebel, der weit über die Verweigerung von Investitionsgarantien hinausgeht (China.Table berichtete).
Das BAFA erhält an einem neuen Standort Borna eigenes Personal, um das Gesetz anzuwenden. Die Beamten können nicht nur schriftlich Auskünfte verlangen, sondern auch Geschäftsräume betreten und Unterlagen einfordern. Vor allem können sie konkrete Vorgaben für Verbesserungen machen und mit Bußgeldern durchsetzen.
Volkswagen will trotz der neuen Enthüllungen über Menschenrechtsverletzungen an der muslimischen Minderheit der Uiguren in China sein Werk in der Provinz Xinjiang weiter betreiben. “Ich glaube, dass die Präsenz der SAIC Volkswagen dazu führt, dass sich die Situation für die Menschen verbessert“, sagte Volkswagen-Chef Herbert Diess der Zeitung “Handelsblatt” (Montagausgabe) mit Blick auf das dortige Gemeinschaftsunternehmen Saic Volkswagen. “Wir reisen dort hin, stellen wie überall auf der Welt sicher, dass unsere Arbeitsstandards durchgesetzt, kulturelle und religiöse Unterschiede respektiert werden.” Gäbe es Ansatzpunkte für Vergehen, würde dagegen vorgegangen, sagte Diess weiter.
VW steht immer wieder in der Kritik, weil der Autohersteller zusammen mit dem chinesischen Staatskonzern Saic seit 2013 eine Fabrik in der Stadt Urumqi betreibt. Jüngst sollen dem Dax-Konzern dort vom Bund Investitionsgarantien verwehrt worden sein (China.Table berichtete). Das bedeutet, dass der Autobauer die finanziellen Risiken selbst tragen muss.
Erst in der vergangenen Woche drangen neue Beweise für schwere Menschenrechtsverbrechen an den Uiguren an die Öffentlichkeit (China.Table berichtete). Zahlreiche Regierungen und Parlamente demokratischer Staaten sowie Menschenrechtsorganisationen werfen China vor, mindestens eine Million Muslime in Lagern in der westlichen Provinz Xinjiang gegen deren Willen festzuhalten. Die US-Regierung spricht wegen des systematisch gesteuerten Rückgangs der Geburtenzahlen unter Uiguren sowie Gewalt, Folterungen und Mord durch chinesische Behörden von einem Genozid. Die Regierung in Peking weist die Vorwürfe als Lügen kategorisch zurück.
Der chinesische Markt ist für Volkswagen jedoch extrem wichtig. Die Wolfsburger sind dort Branchenprimus. Konzernchef Diess ist trotz der jüngsten Corona-Lockdowns und der Wirtschaftsabkühlung in China zuversichtlich, dass die Volksrepublik Wachstumsmotor bleiben wird: “Obwohl China schon heute der größte Automarkt der Welt ist, werden in Relation zur Bevölkerung immer noch vergleichsweise wenige Fahrzeuge verkauft”, erläuterte Diess. So komme China beim Bestand auf 250 bis 300 Autos pro 1000 Einwohner. In Deutschland liege der Bestand bei etwa 600, in den USA seien es ungefähr 800. “Allein diese Zahlen machen deutlich, dass China mit Abstand der größte Wachstumsmarkt bleiben wird”, sagte Diess. rtr
Die Europäische Union hat ihr “Bedauern” über die Reise der UN-Menschenrechtsbeauftragten Michelle Bachelet zum Ausdruck gebracht. Bachelet habe während ihres Besuchs in Xinjiang in der vergangenen Woche keinen uneingeschränkten Zugang zu verfolgten Gruppen, Einzelpersonen und Haftanstalten gehabt, beklagte die Sprecherin des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS), Nabila Massrali, am Montag in Brüssel.
Massrali verwies auf umfangreiche “glaubwürdige Berichte über systematische Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang” und sagte, “unabhängige Überwachung, Faktenfindung und Ermittlungen” seien die einzigen “glaubwürdigen” Wege, um die Situation in der westchinesischen Provinz richtig einschätzen zu können.
“Wir nehmen zwar zur Kenntnis, dass der Besuch keinen Ermittlungszwecken diente, bedauern jedoch, dass der Zugang der Hochkommissarin zu unabhängigen Organisationen der Zivilgesellschaft, Menschenrechtsverteidigern und Haftanstalten eingeschränkt war und ihr dies nicht erlaubte, das gesamte politische Ausmaß der Umerziehungslager in Xinjiang einzuschätzen“, sagte Massrali.
Derweil rühmt Peking Bachelets sechstägigen Besuch als großen Erfolg. Es war der erste Besuch der UN-Menschenrechtschefin in China seit 2005 (China.Table berichtete). “Westliche Länder haben große Anstrengungen unternommen, um den Besuch der Hochkommissarin zu stören und zu untergraben”, sagte Vize-Außenminister Ma Zhaoxu am Samstag. “Ihre Verschwörung war nicht erfolgreich.” Auch Bachelet selbst verteidigte ihre Reise nach China (China.Table berichtete).
Wie die Zeitung South China Morning Post berichtet, soll die EU kommende Woche einen vollständigen Bericht zur Reise erhalten. rad
Kritiker fühlen sich bestätigt: Keine Fortschritte bei der Menschenrechtsfrage, unabhängige Medienvertreter durften sie auf ihrer Reise in der Uiguren-Provinz Xinjiang nicht begleiten. Ihr Besuch verschaffte der kommunistischen Führung einen Propaganda-Erfolg. Selbst Rücktrittsforderungen wurden laut. Nun verteidigt sich UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet.
In ihrer Abschluss-Pressekonferenz sagte Bachelet am Samstag, sie habe ihre Gespräche in Xinjiang ohne Beaufsichtigung durch die Behörden führen können. Zugleich hob sie hervor, ihre China-Reise sei “keine Untersuchung” von Menschenrechtsverstößen gewesen.
Sechs Tage lang war die UN-Menschenrechtskommissarin in China unterwegs – davon zwei Tage in der Uiguren-Region Xinjiang im Nordwesten des Landes. “Uns ist bewusst, dass viele Menschen auf Neuigkeiten über das Schicksal ihrer Angehörigen warten“, sagte Bachelet laut der Nachrichtenagentur AFP mit Blick auf zahlreiche gefangen gehaltene Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren. “Dieses und andere Themen wurden bei den Behörden angesprochen.”
Eigenen Angaben zufolge besichtigte Bachelet in Kashgar ein Gefängnis. Ihr Zugang sei “recht offen, recht transparent” gewesen. Die Regierung von Xinjiang habe ihr versichert, dass das Netz der sogenannten Fortbildungszentren “zerschlagen” worden sei. Sie habe ein ehemaliges Zentrum besichtigt.
Bachelet rief die chinesischen Behörden auf, “willkürliche und wahllose” Maßnahmen in Xinjiang zu vermeiden. Zugleich erkannte sie aber Schäden durch “gewaltsame, extremistische Taten” an. Bachelet bilanzierte, ihr Besuch in der Volksrepublik sei eine Gelegenheit gewesen, in “Offenheit” mit den chinesischen Behörden wie auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft und Intellektuellen zu sprechen.
Es war der erste China-Besuch einer UN-Menschenrechtskommissarin seit 17 Jahren. Nach Angaben ihres Büros besuchte Bachelet Urumqi und Kashgar in Xinjiang. Details zu diesen Reisestationen und Fotos davon wurden nicht veröffentlicht. US-Außenminister Antony Blinken kritisierte Pekings Bestrebungen, den Besuch der UN-Menschenrechtskommissarin “zu manipulieren”. Die Bedingungen der chinesischen Behörden hätten “eine umfassende und unabhängige Beurteilung der Menschenrechtslage in China, einschließlich Xinjiang, nicht ermöglicht”, erklärte Blinken. flee
Der künftige Hongkonger Regierungschef John Lee geht mit voller Rückendeckung der chinesischen Zentrale in seine erste Amtszeit. Drei Wochen nach seiner Wahl war der 64-Jährige am Samstag zum Antrittsbesuch nach Peking gereist. Dort hatte ihn am Montag Chinas Staatschef Xi Jinping empfangen und ihm sein volles Vertrauen ausgesprochen. Lee war der Wunschkandidat der Kommunistischen Partei für die Nachfolge der noch amtierenden Carrie Lam (China.Table berichtete). Am 1. Juli wird er die Regierungsgeschäfte seiner Vorgängerin übernehmen.
“Ich bin überzeugt davon, dass die Spitze der neuen Regierung definitiv eine neue Atmosphäre schaffen und ein neues Kapitel in Hongkong aufschlagen wird”, sagte Xi. Lee besitze “den Schneid, Verantwortung zu übernehmen” und habe “zur Wahrung der nationalen Sicherheit und des Wohlstands und der Stabilität Hongkongs” beigetragen. “Die Zentralregierung bestätigt und vertraut Ihnen voll und ganz”, sagte Xi.
Lee ist ehemaliger Polizist und Sicherheitsminister Hongkongs. Während der Protestbewegung vor knapp drei Jahren, an der sich Millionen Menschen wegen des Verlusts ihrer Bürgerrechte beteiligt hatten, aber auch in den Jahren danach spielte Lee eine zentrale Rolle bei der politischen Säuberung der Stadt im Sinne Pekings (China.Table berichtete). Oppositionelle Politiker, Publizisten oder Aktivisten sitzen entweder in Haft oder sind ins ausländische Exil geflohen.
Kritiker sehen in Lees Wahl das endgültige Ende jeglicher Rechtsstaatlichkeit in Hongkong und den nominellen Beginn einer autoritären Herrschaft in der ehemaligen britischen Kronkolonie. grz
Christoph Rehage ist Wanderer, Reiseblogger und Autor. Seit 15 Jahren läuft er zu Fuß durch Asien und Osteuropa. Und er schreibt seine Erlebnisse auf. Sein erstes Buch “The Longest Way” erzählt vom Mosaik eines vielschichtigen Chinas und dem Fluch, weiterlaufen zu wollen, was immer auch geschieht.
Angefangen hat die Reise am 9. November 2007, seinem 26. Geburtstag. Rehage hatte zuvor zwei Jahre in Peking verbracht und dort studiert. Nach Deutschland wollte er zu Fuß zurückkehren. Es war der Beginn einer Reise zu sich selbst, die noch immer nicht zu Ende ist. Nur wenn es dringende persönliche Anlässe gibt, setzt er sich in den Flieger oder den Zug in Richtung Deutschland – familiäre Dinge, Arztbesuche, Lesetouren. Sind die erledigt, geht es dorthin zurück, wo der Trip unterbrochen wurde.
China habe ihn von Beginn an fasziniert: “Die Esskultur war großartig, die Menschen unglaublich kreativ, gastfreundlich, hilfsbereit.” Und je länger er lief, desto mehr lernte er das Land und all seine Widersprüche kennen.
Überall wurde der Mann mit offenen Armen empfangen. Während sein Bart immer weiter wuchs, kam er bei Familien unter, schlief auf Feldern, in Tempeln oder im Hinterzimmer eines Restaurants. Beim Wandern bekam er die Chance, sich intensiv mit Mönchen, Polizeibeamten oder Sexarbeiterinnen auszutauschen, die seinen Weg kreuzten. Auf ausgetrampelten Touristenpfaden hätte er diese Menschen vielleicht auch getroffen, doch die Gelegenheit zum intensiven Austausch hätte sich wohl kaum ergeben.
Rehage lernte die Weltoffenheit der Chinesen auf der einen, ihre Vorsicht im eigenen Land auf der anderen Seite hautnah kennen. “Ich hatte immer das Gefühl, in China liege etwas Tragisches, dass die Menschen dort einander weniger vertrauten als mir.”
Mit der lokalen und sozialen Überwachung, mit der die Chinesen täglich leben müssen, kam Rehage selbst zum ersten Mal 2010 in Konflikt, als er sich mit der lokalen Polizei in Kuytun und Wusu stritt. “Mir wurde der Pass weggenommen, und ich musste ein paar Tage im Hotel bleiben. Damals habe ich verstanden: Sie wissen immer, wo ich bin.” Kontrolle und Autoritarismus sind aus seiner Sicht seit 2010 kontinuierlich schlimmer geworden. “Als ich das erste Mal 2005 in Peking ankam, haben die Leute noch offen gesprochen. Das ist völlig vorbei.”
Als er 2012 durch seine Bücher in China zu einer öffentlichen Person wurde, spürte er das mehr denn je. “Ich hatte plötzlich Einblicke hinter die Kulissen, die man als Tourist nicht bekommt. Ich bekam das Gefühl, es gibt viele Mitläufer in China, die das System selbst nicht gut finden.” Er habe sich lange an die rote Linie der Zensur gehalten. Mit dem Machtantritt von Xi Jinping wurde diese aber immer restriktiver. “Ich konnte und wollte nicht länger schweigen. Deshalb fing ich an, zu reden.” Über Taiwan, Genozide, “alles, was sie nicht hören wollten.” Was Rehage aber auf dem Herzen lag.
Heute sind Rehages Kanäle aufgrund seiner politischen Meinungen in China gesperrt. Zu den meisten seiner Bekannten dort hat er keinen Kontakt mehr. “Ich will sie nicht in Gefahr bringen.” Drei seiner Freunde, von denen er im Buch erzählt, sind verstorben. Ein anderer war – wie er später erfuhr – zwei Jahre in einem Internierungslager in Xinjiang. “Ich trage China immer in meinem Herzen, aber hinter mir stürzen die Brücken ein.”
So zwiespältig wie sein Verhältnis zu China ist auch das zum Laufen. Er würde gern irgendwo ankommen, sagt er, “aber bisher musste ich immer wieder los”. Nach China durchwanderte er Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan, Iran, Türkei und Georgien. Weder die Pandemie noch die Diagnose einer Multiplen Sklerose hinderten ihn lange daran, weiterzulaufen. Zurzeit ist Rehage in Serbien. Auf Instagram kann man seinen Trip mitverfolgen.
Inzwischen aber freut er sich darauf, seine Reise bald zu beenden und in Deutschland anzukommen. Gleichzeitig habe er aber auch Angst davor. “Ich habe Angst, dass die Zufriedenheit nicht einsetzt, und ich wieder weiter muss.” Doch vielleicht lässt er sich am Ende auch in Georgien nieder. “Es war das erste Land, wo ich das Gefühl hatte, hier ist Freiheit.” Lisa Marie Jordan
für die Kommunistische Partei Chinas ist es zum Haareraufen. Da richtet sie ein Massaker unter der eigenen Bevölkerung an, und es gelingt ihr tatsächlich, dass nur wenige Aufnahmen von dem Blutvergießen den Rest der Welt erreichen. Das Ausmaß der Gewalt in der Nacht des 4. Juni 1989 gegen die eigene Bevölkerung, die nichts verlangte, außer mehr politische Teilhabe, bleibt somit stets im Raum des Ungefähren. Das sind gute Voraussetzungen für eine Diktatur, um die Bedeutung von Ereignissen herunterzuspielen.
Doch dann das: Am Morgen nach dem Massaker stellt sich ein Unbekannter auf der Chang’an Jie einer Panzerkolonne entgegen. Keine Gewalt, kein Blut. Und doch sind es diese wenigen Augenblicke, die sich der Welt ins Gedächtnis eingebrannt haben und die ihr auf ewig die Toten vom Tiananmen in Erinnerung rufen. Tank Man wurde zur Popkultur, zum Inbegriff des Widerstandes der Massen gegen die Unterdrückung. Das Bild von dem Augenblick, in dem er einer bis an die Zähne bewaffneten Staatsmacht mit zwei Einkaufstüten in den Händen gegenübertritt, schmückt heute T-Shirts und Poster und wurde von einer weltberühmten Comicserie aufgegriffen.
Tank Man ist wie ein Dorn im Auge der Kommunistischen Partei Chinas. Er symbolisiert bis heute, dass es eben doch keinen Konsens über den alleinigen Machtanspruch der KP unter 1,4 Milliarden Chinesen gibt. Zum Haareraufen.
Es sind nur rund drei Minuten, die am Vormittag des 5. Juni 1989 aus einem Mann einen Helden machen. Ein Unbekannter stellt sich auf der Chang’an Jie im Herzen Pekings, in unmittelbarer Nähe zum Platz des Himmlischen Friedens, einer Panzerkolonne der chinesischen Armee in den Weg. Ob der Mann ein aktives Mitglied der Demokratiebewegung ist, die in der Nacht zuvor mit vielen Leben für ihre Forderung nach politischer Teilhabe bezahlen musste, bleibt unklar. Dennoch geht sein Mut als letzter Akt des offenen Widerstandes dieser Tage und Wochen im Frühling vor 33 Jahren in die Geschichte ein.
Diese wenigen Augenblicke auf der Chang’an Jie haben sich förmlich in das Gedächtnis der Weltöffentlichkeit gebrannt. Bis heute strahlen sie eine Faszination aus, die eine globale Erinnerungskultur geschaffen hat, die es der Kommunistischen Partei Chinas unmöglich macht, das Tiananmen-Massaker an der eigenen Bevölkerung zu einer Randnotiz der Historie zu degradieren. Wer der Mann war, ist ebenso unklar, wie die Frage, ob er bestraft wurde, nachdem ihn mehrere Männer von der Straße geschoben hatten. Und dennoch ist sein Pseudonym bis heute in aller Munde.
Seine Bedeutung geht weit über die Erinnerung an die Verbrechen der KP des Jahres 1989 hinaus. “Dieser junge Mann hat die Welt verändert”, sagt Professor Bruce Herschensohn im Dokumentarfilm “Tank Man” aus dem Jahr 2006. Herschensohn war einst Berater der US-Regierung um Richard Nixon und befasste sich intensiv mit kommunistischen Regimen. “Tank Mans Handeln hat den Wandel der Sowjetunion unterstützt”, glaubte der inzwischen verstorbene Herschensohn, der kurz nach den Ereignissen in Peking diverse osteuropäische Länder bereiste.
Vielerorts gingen die Menschen damals auf die Straße, um in ihren Ländern gegen pro-sowjetische Regime zu protestieren. Etliche Male und in vielen verschiedenen Ländern, so Herschensohn, hätten die Leute ihm sinngemäß gesagt: “Wenn dieser chinesische Junge vor den Panzern stehen kann, dann können wir das auch.”
Fünf Monate nach Tank Man fiel die Berliner Mauer. Es folgten der Zusammenbruch der Sowjetunion und des Ostblocks. Viele Gesellschaften entledigten sich ihrer Despoten und diktatorischen Statthalter unter Moskaus Führung und entwickelten demokratische Strukturen. Doch nur wenige Momente dieser Umwälzungen und revolutionären Tage blieben der Welt so in Erinnerung wie die Entschlossenheit des Tank Man.
Das US-amerikanische Nachrichtenmagazin Time verlieh seiner Bedeutung für den Kampf gegen Unterdrückung der Massen durch korrupte Regime Ausdruck, indem es den “Tank Man” zu einer der 100 einflussreichsten Menschen des 20. Jahrhunderts erkor. “Der Mann mit den Panzern steht für die Macht der Namenlosen”, schrieb das Magazin 1998.
Bis heute werden die Aufnahmen regelmäßig aus den Archiven geholt. Lehrer:innen demokratischer Staaten nutzen sie als Anschauungsmaterial im Geschichtsunterricht. Das Bild des dramatischen Augenblicks schmückt T-Shirts und Poster. Tank Man ist im Westen zu einer Art Popkultur geworden. “Es ist das Mysterium, das seine dauerhafte Präsenz ermöglicht – das es ihm ermöglicht, ein Code für so viele westliche Werte und Wünsche zu sein”, sagte Jennifer Hubbert, vom Lewis & Clark College in Portland vor einigen Jahren der New York Times.
Hubbert beschreibt in ihrem Beitrag Appropriating Iconicity: Why Tank Man Still Matters im Journal of the Society for Visual Anthropology, was passiert, wenn das ikonische Tank Man-Bild modifiziert und für neue politische Zwecke umfunktioniert wird. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Verwendung des Bildes in neuen Kontexten in den USA dafür sorgt, dass es weniger über fehlenden politischen Liberalismus in China aufklärt, sondern demokratische Defizite in den Vereinigten Staaten aufzeigt.
Im heutigen China haben vor allem junge Menschen nur wenig detaillierte Kenntnisse über den Tank Man. Referenzen zu seiner Geschichte schaffen es, wenn überhaupt, nur kurzfristig durch die Zensur der Partei. Chinesische Schulbücher handeln den sogenannten “Zwischenfall” als Heldentat des chinesischen Militärs ab. Offizielle chinesische Angaben sprechen von einigen Hundert toten Demonstranten bei den Protesten auf und um den Tian’anmen Platz. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es in Wahrheit wohl mehrere Tausende waren. Aufklärung über die genaue Opferzahl und eine öffentliche Aufarbeitung des Blutvergießens wird es unter KP-Führung jedoch niemals geben.
Hochgradig sensibel geht sie gegen alles vor, das an die Nacht des 4. Juni erinnert. Zuletzt wurden im Jahr 2016 vier Männer zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie Etikette auf Schnapsflaschen geklebt hatten, die Referenzen zu den tödlichen Ereignissen zogen. Als Comiczeichnung hatten sie Tank Man und eine Reihe von Panzern darauf abgebildet. Darunter stand: “Niemals vergessen, niemals aufgeben”.
Auch 33 Jahre nach dem Massaker ist nicht endgültig geklärt, wer der Mann überhaupt war. Schon 1990 hatten ausländische Medien ihn zwar als Wang Weilin identifiziert. Unter anderem behauptete auch Bruce Herschensohn, er habe durch Quellen in Peking diesen Namen erfahren. Doch bestätigt wurde diese Vermutung nie. Auch über den Mensch hinter dem Namen Wang Weilin ist wenig bekannt. Zu seinem Schicksal gibt es zudem verschiedene Versionen. Eine lautet, er sei Ende Juni 1989 hingerichtet worden, eine andere besagt, seine Hinrichtung sei erst Monate später vollstreckt worden. Und später gab es sogar Gerüchte, Tank Man lebe anonym in Taiwan.
Die Theorie derjenigen, die an sein Untertauchen und damit an sein Überleben glauben, stützt sich vornehmlich auf die Tatsache, dass Tank Man nicht öffentlich hingerichtet worden ist. Etliche Protestler waren im Anschluss an die Ereignisse als Warnung an den Rest der Bevölkerung namentlich im Fernsehen vorgeführt und anschließend getötet worden. Ihre Vergehen erschienen teilweise deutlich weniger provokant als die Blockade der Panzer. Dennoch wurde Tank Man nicht wie viele andere im staatlichen Fernsehen hingerichtet.
Es bleibt bis heute die Frage, wer die Männer waren, die ihn von der Straße gedrängt haben. Staatssicherheit oder einfache Bürger? Ein Jahr nach Tiananmen konfrontierte die US-Journalistin Barbara Walters in einem Interview für ABC den designierten Staatschef Jiang Zemin mit einem Foto des Tank Man. Jiang sagte, er glaube nicht, dass der Mann getötet worden sei. Aber er könne auch keine konkreten Angaben zu dessen Verbleib machen. All die unbeantworteten Fragen trugen in den Folgejahren zum Mythos Tank Man bei.
Hong Hao war ein angesehener und beliebter Finanzanalyst in China. Zumindest bis vor einigen Wochen. Auch ausländische Medien zitierten ihn gern, wenn es darum ging, die Lage der chinesischen Wirtschaft zu beschreiben. Doch seit Anfang Mai ist von Hong kaum noch etwas zu hören. Er verließ seinen bisherigen Arbeitgeber, die chinesische Beteiligungsgesellschaft Bocom. Aus “persönlichen Gründen”, wie das Unternehmen mitteilte.
Vieles spricht dafür, dass die Behörden Hong mundtot gemacht haben. Immer wieder hatte der Analyst zuvor in sozialen Medien, wo ihn Millionen Menschen folgten, auf die angespannte Lage der chinesischen Wirtschaft hingewiesen. Die Zensoren löschten deshalb viele seiner Beiträge und sperrten seine Benutzerkonten. Nur auf Twitter können noch immer einige Beiträge von Hong gelesen werden. “Shanghai: zero movement, zero GDP”, lautet eine seiner letzten Nachrichten.
Damit hat der Analyst die Lage eigentlich richtig zusammengefasst: Harte Lockdowns in der wichtigsten Wirtschaftsmetropole des Landes und in anderen Millionenstädten würgen das Wachstum der chinesischen Wirtschaft brutal ab. Für zig Millionen Menschen in China, die in Shanghai oder anderswo seit Wochen in Quarantäne sitzen und ihre Wohnungen nicht mehr verlassen dürfen, ist die strikte Politik der Regierung längst zu einem Albtraum geworden, den sie jeden Tag aufs neue durchleben müssen.
Doch pures Gift sind die Maßnahmen auch für die Wirtschaft und das Geschäft ausländischer Unternehmen. Die Stimmung europäischer Firmen in China ist so schlecht wie kaum zuvor. In einer neuen Umfrage der Europäischen Handelskammer in Peking gaben 75 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sich die strengen Eindämmungsmaßnahmen negativ auf ihren Betrieb auswirkten (China.Table berichtete). Die Unternehmen beklagten vor allem Probleme im Bereich der Logistik, Lagerhaltung und Lieferketten. Nur in chinesischen Staatsmedien ist von all dem nichts zu lesen.
Die Regierung in Peking spricht zwar selbst von “Herausforderungen” und einer “schwierigen Lage”. Doch Berichte, die genau analysieren, wie die von Präsident Xi Jinping vorgegebene Null-Corona-Politik das Land wirtschaftlich verkrüppelt, sind praktisch nicht zu finden. Dass Kritiker der Regierungslinie systematisch mundtot gemacht werden, ist in China keine Neuheit. Wer als ausländischer Journalist mit Ökonomen an chinesischen Universitäten sprechen will, erhält in der Regel eine Absage. Nur noch wenige Fachleute trauen sich, mit Medien aus dem Ausland zu sprechen. Und tun sie es doch, ziehen sie gelegentlich in letzter Minute ihre Zitate wieder zurück, weil sie von ihren Vorgesetzten zurechtgewiesen werden.
Analyst Hong ist nicht allein. Der Kurznachrichtendienst Weibo schloss zuletzt auch die Konten zahlreicher anderer Ökonomen und Marktanalysten, darunter Fu Peng, Chefökonom bei Northeast Securities, Dan Bin, Vorsitzender von Shenzhen Oriental Harbor Investment und Wu Yuefeng, Partner und Fondsmanager bei Funding Capital mit Sitz in Peking. Die Behörden begründeten die Sperrungen äußerst vage mit Verstößen gegen “Gesetze und Vorschriften”.
Ebenfalls ins Fadenkreuz der Zensoren geriet Wang Sicong. Der Sohn von Wang Jianlin, einem der mächtigsten Immobilienmogule Chinas, hatte bis vor einigen Wochen 40 Millionen Anhänger auf Weibo. Doch dann sperrten die Zensoren auch sein Konto ohne Vorwarnung. Der Influencer hatte sich über die Coronavirus-Politik der Regierung lustig gemacht. Auch Dai Yiyi, ein Managementprofessor an der Universität der ostchinesischen Metropole Xiamen, wurde vorübergehend auf Toutiao, einem vom Pekinger Unternehmen ByteDance betriebenen Nachrichtenaggregator, zum Schweigen gebracht. Auch er hatte sich kritisch zur Null-Covid-Politik geäußert.
Unverhohlen drohte zuletzt auch der chinesische Berufsverband für Börsenhändler (SAC). “Als Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens werden die Worte und Taten von Wertpapieranalysten von der Gesellschaft und den Medien hoch angesehen”, so der Verband. “Unangemessene” Kommentare und Handlungen würden sowohl dem Ruf ihrer Institutionen als auch dem der gesamten Wertpapierindustrie schaden. Öffentliche Aussagen von Analysten müssten von nun an “besser verwaltet” werden. Sämtliche Berichte sollten vor der Veröffentlichung zunächst einer gründlichen “Qualitätskontrolle” unterzogen werden.
Einen seltenen Einblick in das, was sich dieser Tage tatsächlich in den Köpfen chinesischer Top-Investoren abspielt, liefert ein Video, das der britischen Financial Times zugespielt wurde. Zu sehen ist dort Weijian Shan, Gründer der Hongkonger Investmentgesellschaft PAG. In dem Mitschnitt geht er gnadenlos mit der Null-Corona-Politik ins Gericht. “Große Teile der chinesischen Wirtschaft, einschließlich Shanghai, sind halb gelähmt. Die Auswirkungen werden sehr tiefgreifend sein”, so Shan. “Chinas Führung glaubt, dass sie alles besser weiß als der Markt, und viele ihrer Handlungen haben dem Markt und der Wirtschaft echten Schaden zugefügt.”
Chinas Präsident Xi Jinping und andere Top-Führer des Landes wollen davon nichts hören. Nach seiner jüngsten Sitzung am vergangenen Freitag teilte das mächtige Politbüro einmal mehr mit, dass es keine Alternative zur Null-Corona-Politik gebe. Kritiker der Maßnahmen sollen “entschlossen” bekämpft werden. Jörn Petring/Gregor Koppenburg
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will Werte zur Richtschnur der Handelspolitik machen – und statuiert offenbar ein Exempel an VW. “Ein Unternehmen, das auch in der Provinz der Uiguren tätig ist, wollte Investitionsgarantien verlängern. Dem geben wir nicht statt”, sagte Habeck der Welt am Sonntag. Menschenrechte bekommen in der deutschen Wirtschaftspolitik “ein stärkeres Gewicht.” Es sei das erste Mal, dass solche Garantien nicht zustande kommen, weil ein Unternehmen mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht werde. Dem Spiegel zufolge handelt es sich bei dem Unternehmen um Volkswagen.
In dem Interview mit der Welt am Sonntag ging es nicht speziell um China. Hauptthema des Gesprächs waren Waffenlieferungen an die Ukraine und die Rolle von Habeck in der Regierung. Erst im weiteren Verlauf fragte die Welt am Sonntag dann auch nach den Handelsbeziehungen zu China. Habeck kündigte an, die “Abhängigkeiten zu verringern”. “China ist ein großer Handelspartner, aber wir stehen im Systemwettbewerb – da ein autokratisches Regime, hier liberale Demokratien.” Deutschland müsse seine Sicherheitsinteressen wahren.
Über Investitionsgarantien werde auch künftig im Einzelfall entschieden. Es gebe bei der aktuellen Entscheidung aber Kontinuität zu seinem Vorgänger Peter Altmaier (CDU). “Die Leitlinie, die mein Ministerium schon zum Ende der letzten Legislaturperiode entwickelt hat, ist: Wir können angesichts von Zwangsarbeit und Misshandlung der Uiguren keine Projekte in der Region Xinjiang absichern.“
Bei den Investitionsgarantien handelt es sich um eine indirekte Form der Subvention für das Auslandsgeschäft. Deutsche Unternehmen, die zwar im Ausland investieren wollen, dort aber politische Risiken fürchten, können bei der Regierung eine Rückversicherung beantragen. Das soll den Konzernen die Entscheidung für das Engagement erleichtern. Geht das Geschäft schief, weil die ausländische Regierung nicht wie erhofft mitspielt, zahlt der Bund den Verlust. Das Wirtschaftsministerium ist jedoch nicht dazu verpflichtet, dem Privatsektor alle Risiken abzunehmen. Es steht im Ermessen der Regierung, die Garantien zu gewähren. VW selbst gibt sich in Hinblick auf die bevorstehende Ablehnung daher betont gelassen.
Es ging bei dem VW-Antrag nicht um die Absicherung eines neuen Engagements in Xinjiang, sondern um bestehende Garantien für vier Investitionen in anderen Teilen Chinas. Doch Volkswagen betreibt eben auch ein Werk in Urumqi. Es handelt sich zwar um eine vergleichsweise kleine Einrichtung. Für die chinesische Führung hat das Engagement in Xinjiang jedoch erheblichen Symbolwert. VW hat 2012 auf Druck aus Peking in der Hauptstadt der Provinz investiert. Die Aktivitäten internationaler Firmen geben der Xinjiang-Politik Legitimität. Schließlich behauptet Peking, dort zum Wohle der Bürger die Wirtschaft anzukurbeln. Die Verträge wurden im Beisein von Angela Merkel unterzeichnet.
Die Unterdrückung der Uiguren war 2012 zwar auch schon ein dominierendes Thema. Das damalige Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen ist jedoch nicht mit den Entwicklungen seit 2018 zu vergleichen. Damals hatten die Einwohner noch Bewegungsfreiheit; heute sind Millionen von Uiguren in Lager gesperrt, es herrscht totale Überwachung. Der Geschäftserfolg von Volkswagen ist zugleich vom Wohlwollen der chinesischen Regierung abhängig.
Wenn das Vorgehen Habecks richtungsweisend ist für die künftigen Steuerungssignale der Bundesregierung an die Wirtschaft, dann könnte noch ein zweites Dax-Unternehmen von den Entscheidungen seines Hauses beeinflusst werden. BASF hat ebenfalls in Xinjiang investiert. Anders als der Autobauer, für den Urumqi kein naheliegender Standort ist, profitiert der Chemiekonzern von den Gasvorkommen in der Region.
Anfang 2023 wird in Deutschland ein Lieferkettengesetz wirksam. Es schreibt den Unternehmen Sorgfalt bei der Einhaltung internationaler Standards für Arbeitsbedingungen vor – auch bei Lieferanten. Ein Unternehmen wie BASF ist in China eng mit der örtlichen Wirtschaft verflochten. Die Einhaltung der Sorgfaltspflichten überprüft das Bundesamt für Wirtschaft und Außenkontrolle (BAFA). Es ist direkt Robert Habeck unterstellt. Von seinen Vorgaben hängt ab, wie genau die Beamten hinsehen werden. Es gibt ihm bei dem neuen Werte-Fokus also einen zusätzlichen Hebel, der weit über die Verweigerung von Investitionsgarantien hinausgeht (China.Table berichtete).
Das BAFA erhält an einem neuen Standort Borna eigenes Personal, um das Gesetz anzuwenden. Die Beamten können nicht nur schriftlich Auskünfte verlangen, sondern auch Geschäftsräume betreten und Unterlagen einfordern. Vor allem können sie konkrete Vorgaben für Verbesserungen machen und mit Bußgeldern durchsetzen.
Volkswagen will trotz der neuen Enthüllungen über Menschenrechtsverletzungen an der muslimischen Minderheit der Uiguren in China sein Werk in der Provinz Xinjiang weiter betreiben. “Ich glaube, dass die Präsenz der SAIC Volkswagen dazu führt, dass sich die Situation für die Menschen verbessert“, sagte Volkswagen-Chef Herbert Diess der Zeitung “Handelsblatt” (Montagausgabe) mit Blick auf das dortige Gemeinschaftsunternehmen Saic Volkswagen. “Wir reisen dort hin, stellen wie überall auf der Welt sicher, dass unsere Arbeitsstandards durchgesetzt, kulturelle und religiöse Unterschiede respektiert werden.” Gäbe es Ansatzpunkte für Vergehen, würde dagegen vorgegangen, sagte Diess weiter.
VW steht immer wieder in der Kritik, weil der Autohersteller zusammen mit dem chinesischen Staatskonzern Saic seit 2013 eine Fabrik in der Stadt Urumqi betreibt. Jüngst sollen dem Dax-Konzern dort vom Bund Investitionsgarantien verwehrt worden sein (China.Table berichtete). Das bedeutet, dass der Autobauer die finanziellen Risiken selbst tragen muss.
Erst in der vergangenen Woche drangen neue Beweise für schwere Menschenrechtsverbrechen an den Uiguren an die Öffentlichkeit (China.Table berichtete). Zahlreiche Regierungen und Parlamente demokratischer Staaten sowie Menschenrechtsorganisationen werfen China vor, mindestens eine Million Muslime in Lagern in der westlichen Provinz Xinjiang gegen deren Willen festzuhalten. Die US-Regierung spricht wegen des systematisch gesteuerten Rückgangs der Geburtenzahlen unter Uiguren sowie Gewalt, Folterungen und Mord durch chinesische Behörden von einem Genozid. Die Regierung in Peking weist die Vorwürfe als Lügen kategorisch zurück.
Der chinesische Markt ist für Volkswagen jedoch extrem wichtig. Die Wolfsburger sind dort Branchenprimus. Konzernchef Diess ist trotz der jüngsten Corona-Lockdowns und der Wirtschaftsabkühlung in China zuversichtlich, dass die Volksrepublik Wachstumsmotor bleiben wird: “Obwohl China schon heute der größte Automarkt der Welt ist, werden in Relation zur Bevölkerung immer noch vergleichsweise wenige Fahrzeuge verkauft”, erläuterte Diess. So komme China beim Bestand auf 250 bis 300 Autos pro 1000 Einwohner. In Deutschland liege der Bestand bei etwa 600, in den USA seien es ungefähr 800. “Allein diese Zahlen machen deutlich, dass China mit Abstand der größte Wachstumsmarkt bleiben wird”, sagte Diess. rtr
Die Europäische Union hat ihr “Bedauern” über die Reise der UN-Menschenrechtsbeauftragten Michelle Bachelet zum Ausdruck gebracht. Bachelet habe während ihres Besuchs in Xinjiang in der vergangenen Woche keinen uneingeschränkten Zugang zu verfolgten Gruppen, Einzelpersonen und Haftanstalten gehabt, beklagte die Sprecherin des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS), Nabila Massrali, am Montag in Brüssel.
Massrali verwies auf umfangreiche “glaubwürdige Berichte über systematische Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang” und sagte, “unabhängige Überwachung, Faktenfindung und Ermittlungen” seien die einzigen “glaubwürdigen” Wege, um die Situation in der westchinesischen Provinz richtig einschätzen zu können.
“Wir nehmen zwar zur Kenntnis, dass der Besuch keinen Ermittlungszwecken diente, bedauern jedoch, dass der Zugang der Hochkommissarin zu unabhängigen Organisationen der Zivilgesellschaft, Menschenrechtsverteidigern und Haftanstalten eingeschränkt war und ihr dies nicht erlaubte, das gesamte politische Ausmaß der Umerziehungslager in Xinjiang einzuschätzen“, sagte Massrali.
Derweil rühmt Peking Bachelets sechstägigen Besuch als großen Erfolg. Es war der erste Besuch der UN-Menschenrechtschefin in China seit 2005 (China.Table berichtete). “Westliche Länder haben große Anstrengungen unternommen, um den Besuch der Hochkommissarin zu stören und zu untergraben”, sagte Vize-Außenminister Ma Zhaoxu am Samstag. “Ihre Verschwörung war nicht erfolgreich.” Auch Bachelet selbst verteidigte ihre Reise nach China (China.Table berichtete).
Wie die Zeitung South China Morning Post berichtet, soll die EU kommende Woche einen vollständigen Bericht zur Reise erhalten. rad
Kritiker fühlen sich bestätigt: Keine Fortschritte bei der Menschenrechtsfrage, unabhängige Medienvertreter durften sie auf ihrer Reise in der Uiguren-Provinz Xinjiang nicht begleiten. Ihr Besuch verschaffte der kommunistischen Führung einen Propaganda-Erfolg. Selbst Rücktrittsforderungen wurden laut. Nun verteidigt sich UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet.
In ihrer Abschluss-Pressekonferenz sagte Bachelet am Samstag, sie habe ihre Gespräche in Xinjiang ohne Beaufsichtigung durch die Behörden führen können. Zugleich hob sie hervor, ihre China-Reise sei “keine Untersuchung” von Menschenrechtsverstößen gewesen.
Sechs Tage lang war die UN-Menschenrechtskommissarin in China unterwegs – davon zwei Tage in der Uiguren-Region Xinjiang im Nordwesten des Landes. “Uns ist bewusst, dass viele Menschen auf Neuigkeiten über das Schicksal ihrer Angehörigen warten“, sagte Bachelet laut der Nachrichtenagentur AFP mit Blick auf zahlreiche gefangen gehaltene Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren. “Dieses und andere Themen wurden bei den Behörden angesprochen.”
Eigenen Angaben zufolge besichtigte Bachelet in Kashgar ein Gefängnis. Ihr Zugang sei “recht offen, recht transparent” gewesen. Die Regierung von Xinjiang habe ihr versichert, dass das Netz der sogenannten Fortbildungszentren “zerschlagen” worden sei. Sie habe ein ehemaliges Zentrum besichtigt.
Bachelet rief die chinesischen Behörden auf, “willkürliche und wahllose” Maßnahmen in Xinjiang zu vermeiden. Zugleich erkannte sie aber Schäden durch “gewaltsame, extremistische Taten” an. Bachelet bilanzierte, ihr Besuch in der Volksrepublik sei eine Gelegenheit gewesen, in “Offenheit” mit den chinesischen Behörden wie auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft und Intellektuellen zu sprechen.
Es war der erste China-Besuch einer UN-Menschenrechtskommissarin seit 17 Jahren. Nach Angaben ihres Büros besuchte Bachelet Urumqi und Kashgar in Xinjiang. Details zu diesen Reisestationen und Fotos davon wurden nicht veröffentlicht. US-Außenminister Antony Blinken kritisierte Pekings Bestrebungen, den Besuch der UN-Menschenrechtskommissarin “zu manipulieren”. Die Bedingungen der chinesischen Behörden hätten “eine umfassende und unabhängige Beurteilung der Menschenrechtslage in China, einschließlich Xinjiang, nicht ermöglicht”, erklärte Blinken. flee
Der künftige Hongkonger Regierungschef John Lee geht mit voller Rückendeckung der chinesischen Zentrale in seine erste Amtszeit. Drei Wochen nach seiner Wahl war der 64-Jährige am Samstag zum Antrittsbesuch nach Peking gereist. Dort hatte ihn am Montag Chinas Staatschef Xi Jinping empfangen und ihm sein volles Vertrauen ausgesprochen. Lee war der Wunschkandidat der Kommunistischen Partei für die Nachfolge der noch amtierenden Carrie Lam (China.Table berichtete). Am 1. Juli wird er die Regierungsgeschäfte seiner Vorgängerin übernehmen.
“Ich bin überzeugt davon, dass die Spitze der neuen Regierung definitiv eine neue Atmosphäre schaffen und ein neues Kapitel in Hongkong aufschlagen wird”, sagte Xi. Lee besitze “den Schneid, Verantwortung zu übernehmen” und habe “zur Wahrung der nationalen Sicherheit und des Wohlstands und der Stabilität Hongkongs” beigetragen. “Die Zentralregierung bestätigt und vertraut Ihnen voll und ganz”, sagte Xi.
Lee ist ehemaliger Polizist und Sicherheitsminister Hongkongs. Während der Protestbewegung vor knapp drei Jahren, an der sich Millionen Menschen wegen des Verlusts ihrer Bürgerrechte beteiligt hatten, aber auch in den Jahren danach spielte Lee eine zentrale Rolle bei der politischen Säuberung der Stadt im Sinne Pekings (China.Table berichtete). Oppositionelle Politiker, Publizisten oder Aktivisten sitzen entweder in Haft oder sind ins ausländische Exil geflohen.
Kritiker sehen in Lees Wahl das endgültige Ende jeglicher Rechtsstaatlichkeit in Hongkong und den nominellen Beginn einer autoritären Herrschaft in der ehemaligen britischen Kronkolonie. grz
Christoph Rehage ist Wanderer, Reiseblogger und Autor. Seit 15 Jahren läuft er zu Fuß durch Asien und Osteuropa. Und er schreibt seine Erlebnisse auf. Sein erstes Buch “The Longest Way” erzählt vom Mosaik eines vielschichtigen Chinas und dem Fluch, weiterlaufen zu wollen, was immer auch geschieht.
Angefangen hat die Reise am 9. November 2007, seinem 26. Geburtstag. Rehage hatte zuvor zwei Jahre in Peking verbracht und dort studiert. Nach Deutschland wollte er zu Fuß zurückkehren. Es war der Beginn einer Reise zu sich selbst, die noch immer nicht zu Ende ist. Nur wenn es dringende persönliche Anlässe gibt, setzt er sich in den Flieger oder den Zug in Richtung Deutschland – familiäre Dinge, Arztbesuche, Lesetouren. Sind die erledigt, geht es dorthin zurück, wo der Trip unterbrochen wurde.
China habe ihn von Beginn an fasziniert: “Die Esskultur war großartig, die Menschen unglaublich kreativ, gastfreundlich, hilfsbereit.” Und je länger er lief, desto mehr lernte er das Land und all seine Widersprüche kennen.
Überall wurde der Mann mit offenen Armen empfangen. Während sein Bart immer weiter wuchs, kam er bei Familien unter, schlief auf Feldern, in Tempeln oder im Hinterzimmer eines Restaurants. Beim Wandern bekam er die Chance, sich intensiv mit Mönchen, Polizeibeamten oder Sexarbeiterinnen auszutauschen, die seinen Weg kreuzten. Auf ausgetrampelten Touristenpfaden hätte er diese Menschen vielleicht auch getroffen, doch die Gelegenheit zum intensiven Austausch hätte sich wohl kaum ergeben.
Rehage lernte die Weltoffenheit der Chinesen auf der einen, ihre Vorsicht im eigenen Land auf der anderen Seite hautnah kennen. “Ich hatte immer das Gefühl, in China liege etwas Tragisches, dass die Menschen dort einander weniger vertrauten als mir.”
Mit der lokalen und sozialen Überwachung, mit der die Chinesen täglich leben müssen, kam Rehage selbst zum ersten Mal 2010 in Konflikt, als er sich mit der lokalen Polizei in Kuytun und Wusu stritt. “Mir wurde der Pass weggenommen, und ich musste ein paar Tage im Hotel bleiben. Damals habe ich verstanden: Sie wissen immer, wo ich bin.” Kontrolle und Autoritarismus sind aus seiner Sicht seit 2010 kontinuierlich schlimmer geworden. “Als ich das erste Mal 2005 in Peking ankam, haben die Leute noch offen gesprochen. Das ist völlig vorbei.”
Als er 2012 durch seine Bücher in China zu einer öffentlichen Person wurde, spürte er das mehr denn je. “Ich hatte plötzlich Einblicke hinter die Kulissen, die man als Tourist nicht bekommt. Ich bekam das Gefühl, es gibt viele Mitläufer in China, die das System selbst nicht gut finden.” Er habe sich lange an die rote Linie der Zensur gehalten. Mit dem Machtantritt von Xi Jinping wurde diese aber immer restriktiver. “Ich konnte und wollte nicht länger schweigen. Deshalb fing ich an, zu reden.” Über Taiwan, Genozide, “alles, was sie nicht hören wollten.” Was Rehage aber auf dem Herzen lag.
Heute sind Rehages Kanäle aufgrund seiner politischen Meinungen in China gesperrt. Zu den meisten seiner Bekannten dort hat er keinen Kontakt mehr. “Ich will sie nicht in Gefahr bringen.” Drei seiner Freunde, von denen er im Buch erzählt, sind verstorben. Ein anderer war – wie er später erfuhr – zwei Jahre in einem Internierungslager in Xinjiang. “Ich trage China immer in meinem Herzen, aber hinter mir stürzen die Brücken ein.”
So zwiespältig wie sein Verhältnis zu China ist auch das zum Laufen. Er würde gern irgendwo ankommen, sagt er, “aber bisher musste ich immer wieder los”. Nach China durchwanderte er Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan, Iran, Türkei und Georgien. Weder die Pandemie noch die Diagnose einer Multiplen Sklerose hinderten ihn lange daran, weiterzulaufen. Zurzeit ist Rehage in Serbien. Auf Instagram kann man seinen Trip mitverfolgen.
Inzwischen aber freut er sich darauf, seine Reise bald zu beenden und in Deutschland anzukommen. Gleichzeitig habe er aber auch Angst davor. “Ich habe Angst, dass die Zufriedenheit nicht einsetzt, und ich wieder weiter muss.” Doch vielleicht lässt er sich am Ende auch in Georgien nieder. “Es war das erste Land, wo ich das Gefühl hatte, hier ist Freiheit.” Lisa Marie Jordan