Table.Briefing: China

Protest gegen Xi + Ziele des Staatschefs

  • Banner auf Brücke fordert Ende von Xi-Diktatur
  • Vor der dritten Amtszeit: Was will Xi Jinping?
  • IOC-Präsident Bach lehnt Einladung in den Bundestag ab
  • Großbritannien stuft China als “Bedrohung” ein
  • Neue Verurteilungen in Hongkong
  • China schult Polizisten der Salomonen
  • Notfallmaßnahmen in Shanghai
  • Standpunkt: Weber mahnt vor Fallstricken diplomatischer Sprache
Liebe Leserin, lieber Leser,

die Volksrepublik China arbeitet an der totalen Kontrolle ihrer Bevölkerung. Exzessiv nutzt sie Überwachungs-Technologien, digitale Werkzeuge und politische Mittel wie die Null-Covid-Strategie, um besonders vor dem 20. Parteitag, der am Sonntag in der Hauptstadt beginnt, die Zügel noch enger zu ziehen. Umso bemerkenswerter, dass es einem oder mehreren Dissidenten am Donnerstag gelungen ist, große Protestbanner an einer Brücke aufzuhängen, auf denen in großen, roten Schriftzeichen die Ablösung von Parteichef Xi und das Ende seiner “kulturrevolutionären” Politik gefordert wurde.

Der Mut, der dazugehört, um eine solche Aktion in einer Diktatur wie der chinesischen zu planen und durchzuziehen, ist außergewöhnlich groß. Zumal solche Banner keine unmittelbare Wirkung entfalten. Xi wird sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seine dritte Amtszeit sichern, und die Macht der Partei gerät deshalb nicht unmittelbar ins Wanken.

Dennoch sind sie ein Signal an Millionen Chinesen, die davon Wind bekommen haben, ehe die Polizei vor Ort und die Zensur in den Sozialmedien einschreiten konnten. Sie sind ein Nadelstich, der die Verantwortlichen schmerzt. Denn der öffentliche Dissens Einzelner kann Debatten in kleinen Kreisen anstoßen, die den emotionalen Widerstand der Bevölkerung gegen die Herrschaft einer einzigen Partei stärken. Manche ernutigt es, sich Gedanken zu machen, die sie vorher nicht gewagt haben zu denken. Andere, die die Hoffnung auf Reformen längst aufgegeben haben, könnten neuen Mut gewinnen.

Vor dem Parteitag ist diese Aktion eine Warnung für das Regime, das nationale Einigkeit propagiert. Sie zeigt ihm, dass sie die Gegenwehr im Staat eben nicht komplett auslöschen kann, wie es ihr beliebt. Und sei die Kontrolle noch so scharf.

Ihr
Marcel Grzanna
Bild von Marcel  Grzanna

Analyse

Protest-Banner versetzt Pekings Polizei in Aufruhr

Das Protest-Banner in Peking sorgte führ Aufruhr bei der chinesischen Polizei.

Es ist der wohl größte öffentliche Protest in der chinesischen Hauptstadt seit der Jahrtausendwende: Nur wenige Tage vor dem 20. Parteikongress hat ein Dissident zwei riesige Banner an einer Brücke über einer sechsspurigen Hauptverkehrsader aufgehängt. Darauf prangte unerhörte Kritik: “Wir wollen Essen, keine PCR-Tests. Wir wollen Reformen, keine Kulturrevolution. Wir wollen Freiheit, keinen Lockdown. Wir wollen Bürger sein, und keine Sklaven” (不要核酸要吃饭, 不要文革要改革, 不要封控要自由, 不要领袖要选票, 不要谎言要尊严, 不做奴才做公民), heißt es auf einem der Plakate. Und gleich daneben steht in unmissverständlichen Worten: “Stürzt den Diktator und Dieb Xi Jinping”.

Am Nachmittag erinnert an der Sitong-Brücke im nordwestlichen Bezirk Haidian nur noch wenig an den Vorfall. Selbst eine erhöhte Polizeipräsenz war zunächst nicht erkennbar. Doch es dauert nur wenige Augenblicke, bis sich zwei Polizisten mit roter Armbinde dem deutschen Reporter nähern – und prompt den Reisepass und Pressekarte einkassieren. In den nächsten Minuten zeigt sich, dass es sich bei vielen der umstehenden “Passanten” – darunter auch ein in Laufhosen und Sportschuhen gekleideter Jogger – tatsächlich um Sicherheitspolizisten in Zivil handelt. Nach einer 15-minütigen Sicherheitskontrolle löst sich die Situation ohne Eskalation auf. Gemessen an der Brenzligkeit des Themas ist sie für chinesische Verhältnisse überaus glimpflich ausgegangen.

Getarnt als Bauarbeiter auf der Brücke

Im chinesischen Netz wurden die Ereignisse erwartungsgemäß von den Zensoren blockiert. Auf ausländischen Online-Plattformen, allen voran Twitter, verbreiteten sich hingegen Foto- und Videoaufnahmen zuhauf. Darauf war zu sehen, wie ungläubige Passanten vor der Sitong-Brücke die Banner bestaunten, welche gerade von Polizisten abgeräumt wurden. Zudem stiegen dort Rauchwolken in den Himmel. Die Gründe dafür sind bislang unklar. Vermutlich wollte der Urheber die Aufmerksamkeit auf sein Banner lenken. Er hatte sich als Bauarbeiter getarnt, der mit Helm und Warnweste offiziell an der Brücke zu werkeln hatte.

Dass die Protest-Aktion überhaupt gelang, wirkt wie ein Wunder: Nicht nur sind Pekings Straßen alle paar Meter mit Überwachungskameras bestückt, sondern ist auch derzeit kurz vor dem Parteikongress die Polizeipräsenz unglaublich hoch. An den wichtigen Kreuzungen innerhalb der inneren Stadtringe wachen routinemäßig Sicherheitsbeamte über das Geschehen.

Wer die Banner aufgehängt hat, ist nicht bekannt. Gerüchten im Netz zufolge handelt es sich um einen Mann namens Peng Lifa, der auf Sozialmedien bekannt ist. In einem Land, in dem bereits kritische Postings auf Sozialmedien Vorladungen bei der Polizeiwache zur Folge haben, wirkt die Aktion außerordentlich mutig. Und sie zeigt auch, was man sonst angesichts des repressiven Klimas nicht zu sehen bekommt: die Risse in der Fassade nationaler Einigkeit.

Es rumort wegen Zero-Covid

Nach zweieinhalb Jahren “Null Covid” rumort es zunehmend. Die plötzlichen Lockdowns, willkürliche Zwangsquarantäne und die täglichen Massentests haben nicht nur die Wirtschaft an den Rand einer Rezession gebracht, sondern auch die ökonomische Lebensgrundlage vieler Familien zerstört.

Doch Kritik wird, wenn überhaupt, nur hinter vorgehaltener Hand geäußert. Die roten Linien lassen zwar durchaus die Äußerung von Unmut über Lokalregierungen zu. Doch die Zentralregierung in Peking ist tabu, ebenso die Systemfrage. Und erst recht die Person Xi Jinping.

Der Zeitpunkt des Protests ist besonders spektakulär. Am Sonntag findet schließlich der 20. Parteikongress in Peking statt. Während diesem wird Xi Jinping – als erstes chinesisches Staatsoberhaupt seit Mao Zedong – eine dritte Amtszeit für sich in Anspruch nehmen.

Dass sich nicht wenige Chinesen einen anderen Kurs für ihr Heimatland wünschen, kommt im staatlich gelenkten Diskurs der Medien nicht vor. Doch an diesem Donnerstagnachmittag war der Dissens zumindest für wenige Minuten sichtbar. Fabian Kretschmer

  • 20. Parteitag
  • KP Chinas
  • Menschenrechte
  • Peking
  • Xi Jinping
  • Zivilgesellschaft

Die Mission des Xi Jinping

Der 20. Parteitag steht an: Was macht Xi Jinping aus? Welche Ziele verfolgt er?

Als Xi Jinping 2012 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei ernannt wurde, waren die Hoffnungen groß: Xi würde als großer Reformer China in ein neues Zeitalter führen. Journalisten, die vom damaligen Parteitag in Peking berichteten, konnten förmlich den Geruch von Reform und Veränderung riechen.

Selbst in der New York Times gab man sich geradezu euphorisch: “Der neue oberste Führer, Xi Jinping, wird ein Wiederaufleben der Wirtschaftsreformen und wahrscheinlich auch eine gewisse politische Lockerung anführen. Maos Leichnam wird unter seiner Aufsicht vom Tiananmen-Platz geschleppt und Liu Xiaobo, der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Schriftsteller, wird aus dem Gefängnis entlassen.” So prophezeite es zumindest der Pulitzer-Preisträger Nicholas Kristof am 5. Januar 2013.

Regieren mit eisenharter Hand

Doch es sollte alles anders kommen. Mao Zedong ist in China wieder so beliebt wie noch nie seit seinem Tod. Liu Xiaobo starb elendig in der Gefangenschaft. Doch damit nicht genug: Statt wirtschaftlichem und zivilgesellschaftlichem Wandel brachte Xi Jinping einen eisenharten Führungsstil. Xi ist weit davon entfernt, ein Reformer zu sein. Vielmehr ist er ein Restaurator – der Partei und ihrer zentralen Rolle in der Gesellschaft sowie Chinas und seiner Rolle in der Welt.

Wie konnte man sich derart grundsätzlich in diesem Mann täuschen? Und was treibt Chinas Führer an, dass er sich auf dem kommenden Parteitag sogar eine dritte Amtszeit übertragen lässt?

Der Schlüssel liegt in Liangjiahe

Folgt man der offiziellen Geschichtsschreibung der Kommunistischen Partei, liegt der Schlüssel zu Xi Jinpings Werdegang in Liangjiahe, einem kleinen, unscheinbaren Dorf in den Lössbergen der zentralchinesischen Provinz Shaanxi. Es war 1969, die Kulturrevolution wütete im gesamten Land, und Mao Zedong schickte Millionen Studenten hinaus aufs karge Land, damit sie am eigenen Leib das arme und entbehrungsreiche Leben der Bauern erfahren würden. Einer von ihnen war der damals 16-jährige Xi Jinping, Sohn des in Ungnade gefallenen Parteigranden Xi Zhongxun.

Xis Vater war Revolutionär der ersten Stunde. An der Seite von Mao Zedong hatte er unweit von Liangjiahe in den Bergen Yan’ans für die kommunistische Revolution gekämpft und war anschließend bis zum Vizepremier aufgestiegen. Xi Jinping ist also ein 太子 (tàizǐ) – ein Prinzling, wie die Söhne jener ersten KP-Generation genannt werden. Das brachte allerlei Privilegien mit sich: Er wuchs im Schatten der Verbotenen Stadt auf, besuchte die Eliteschulen der Stadt, deren Besuch den Kindern hoher Parteikader und Militärs vorbehalten war. Während im Land die Kulturrevolution tobte, lebte Xi in einer heilen Welt.

Das alles war 1969 schlagartig vorbei. Mao beschuldigte Xi Senior der Verschwörung, die Familie fiel in Ungnade. Xi Junior wurde gemobbt und gezwungen, seinen Vater öffentlich zu denunzieren. Seine ältere Halbschwester beging sogar Suizid. Xi ging nicht freiwillig nach Liangjiahe, er wurde verbannt.

Liangjiahe: Xi Jinping kehrt 2015 zurück an den Ort seiner Verbannung. Sein Aufstieg in der Partei sowie seine Ziele waren überraschend.
Liangjiahe: Xi Jinping kehrt 2015 zurück an den Ort seiner Verbannung

Der offiziellen KP-Mythologie zufolge verwandelte sich Xi dort vom privilegierten Prinzling in einen Mann des Volkes. Xi selbst sagte einmal: “Viele meiner grundlegenden Ideen und Qualitäten wurden in Yan’an geprägt. Vorher war ich gewohnt, feinen Reis zu essen. Dort waren es grobe Körner. Aber bald lernte ich, sie zu schlucken.”

Für Xis Vater ging es bald wieder bergauf. Er wurde rehabilitiert und errichtete in einem kleinen Fischerdorf namens Shenzhen Chinas erste Sonderwirtschaftszone. Heute hat Shenzhen rund zwölf Millionen Einwohner und gilt als Zentrum der chinesischen Hightech-Industrie. Die Sonderwirtschaftszone hatte ihre eigenen, freieren Regeln. Sie war ein Reformprojekt.

Xi Jinping wird “röter als rot”

Nach diesen Erfahrungen glaubten politische Beobachter, Xi Jinping zu kennen. Zwei Schlussfolgerungen schienen auf der Hand zu liegen. Erstens: Nach all den Gräueltaten gegen ihn, seinen Vater und seine Familie musste Xi Jinping die KP China hassen. Zweitens: Xi werde bestimmt seinem Vater nacheifern und als Reformer nicht nur Shenzhen, sondern ganz China modernisieren. Beides stellte sich als falsch heraus.

Xi Jinping sah sich auf einer Mission. Er war immer noch ein Prinzling, und als legitimer Erbe der revolutionären Errungenschaften glaubte er, das Recht zu haben, China zu führen. Allerdings musste er vorsichtig sein. “Xi beschloss, zu überleben, in dem er röter als rot wurde”, wird eine Quelle aus seinem Umfeld in einem geheimen Bericht der amerikanischen Botschaft aus dem Jahr 2009 zitiert. Und tatsächlich. Trotz allem, was die Partei ihm angetan hatte, stellte Xi in den Folgejahren insgesamt acht Mitgliedsanträge – ehe er endlich in die Jugendliga aufgenommen wurde. Xi trat in die Kommunistische Partei ein und begann einen Karriereplan zu entwerfen, der ihn an die Spitze bringen sollte. Er wollte nicht das System zerstören, sondern es von innen kapern und dann von oben beherrschen.

Die Erfahrung hatte ihn gelehrt: Um ganz nach oben zu kommen, muss er so lang wie möglich unauffällig und unscheinbar bleiben. Fast scheint es, als hätte Xi seinem persönlichen Werdegang eine berühmte Maxime von Deng Xiaoping zugrunde gelegt. “Verstecke deine Stärken, und warte, bis deine Zeit gekommen ist.”

Xis Devise: Zielstrebig, aber unauffällig bleiben

Entsprechend gab sich Xi lange Zeit zielstrebig und weitsichtig, aber unauffällig. Als Sekretär des Verteidigungsministers knüpfte er Kontakte zum Militär, in den Provinzen Fujian und Zhejiang gab er sich unternehmerfreundlich und verschlankte die Bürokratie. Xi blieb Xi als Funktionär derart unauffällig, dass er der breiten Öffentlichkeit vor allem bekannt war als Ehemann von Peng Liyuan: einer der bekanntesten Sängerinnen sogenannter Roter Lieder wie “Menschen aus unserem Dorf” (父老乡亲) oder “Im Feld der Hoffnung” (在希望的田野上). Peng war in China ein Star – und Xi Jinping der Ehemann von Peng.

Peng Liyuan mit Ehemann Xi Jinping.
Peng Liyuan mit Ehemann Xi Jinping.

Damit hatte Xi nicht nur privat Erfolg. In der KP wüteten zu jener Zeit erbitterte Grabenkämpfe zwischen den verschiedenen Gruppierungen, so war beispielsweise Jiang Zemin zwar offiziell abgetreten, zog im Hintergrund allerdings weiterhin kräftig die Strippen. Als es darum ging, einen passenden Kandidaten für die Parteispitze zu finden, rückte deshalb Xi Jinping in den Fokus. Er galt vielen als solide, moderat und bieder. Kurzum: ein Kandidat, der niemandem wehtun würde.

Damit passte Xi perfekt in eine Zeit, in der die Partei noch kollektive Führung pries sowie die Aufteilung von Verantwortung, um willkürliche Entscheidungen eines einzelnen Führers zu verhindern. Heutzutage steht zu vermuten, dass ein solcher Gedanke von der chinesischen Zensur wahrscheinlich als unbotmäßige Kritik verstanden und umgehend gelöscht würde. 

Erste Machtprobe Xis

Im Jahr 2012 war es dann so weit. Doch kurz bevor er zum Generalsekretär der KP ernannt werden sollte, verschwand Xi Jinping plötzlich spurlos, selbst Termine mit der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton wurden abgesagt. Die Spekulationen reichten von Gesundheitsproblemen bis hin zu einem versuchten Attentat.

Doch Chris Johnson, ehemaliger China-Analyst der CIA berichtete gegenüber dem Magazin “The Economist” von einer Machtprobe Xis: Demnach waren die Parteigranden wohl überrascht von Xis Machthunger und versuchten, diesen kurz vor dem Parteitag noch einzuhegen. Xi war sich jedoch der zeitlichen Zwangslage nur allzu bewusst und spielte seine Karten eiskalt aus, in dem er drohte, sie sollten sich dann doch schnell lieber einen anderen für diesen Job suchen.

Die Partei lenkte ein, Xi wurde wenige Wochen später auf dem 18. Parteitag zum Generalsekretär ernannt – und hatte zugleich klargemacht, wer zukünftig an der Spitze von Partei und Staat stehen würde. Xi wollte nicht nur der Erste unter Gleichen sein, sondern einfach nur der Erste.

Xi lässt alle auf Linie bringen

Entsprechend begann er umgehend die KP umzukrempeln – und ganz auf ihn zuzuschneiden. Mithilfe einer nie dagewesenen Anti-Korruptionskampagne säuberte er die Ränge der Partei und Sicherheitskräfte. Tausende Kader wurden inhaftiert und verurteilt – angefangen auf den untersten Dorfebenen bis fast ganz hinauf in die Spitze zu Zhou Yongkang, einem Mitglied des Ständigen Ausschusses der KP. Sicherlich gibt es innerhalb der KP unterschiedliche Gruppierungen und Fraktionen, divergierende Interessen und Ansichten. Doch aktuell hat Xi Jinping sie alle auf Linie gebracht. Seine eigene Linie.

Auch in der Zivilgesellschaft ließ er Dissens niederschlagen, Menschenrechtler wurden verhaftet, NGOs das Arbeiten unmöglich gemacht. In Xinjiang werden Millionen Uiguren in Zwangslager gesteckt, während in Hongkong die verfassungsmäßigen Freiheiten radikal beschränkt werden.

Und auch außenpolitisch ist für Xi die Zeit der Zurückhaltung beendet: Im Südchinesischen Meer ließ er Sandbänke zu militärischen Stützpunkten ausbauen, die Drohungen gegenüber Taiwan werden schärfer, die Militärübungen nehmen zu. Von Chinas “pro-russischer Neutralität” im Ukraine-Krieg ganz zu schweigen.

Inzwischen ist wohl auch dem Letzten klargeworden: Xi ist weder der vom Westen ersehnte Reformer noch der von den Parteigranden gesuchte Kollektivführer. Xi ist ein knallharter Machtpolitiker, der rücksichtslos seine Ziele verfolgt.

Viele sehen Xi im Zenit. Doch nach dem Zenit kommt immer der erste Schritt des Niedergangs. Und in der Tat sind die Probleme gewaltig, denen sich Xi gegenübersieht: Der atemberaubende wirtschaftliche Aufschwung ist ins Stocken geraten. Wirtschaftswachstum ist jedoch auch für Xi ist er unverzichtbar, da der Erfolg die KP-Herrschaft legitimiert. Zudem hat Xi sich mit seiner strikten Zero-Covid-Politik vollkommen verrannt. Was zu Beginn der Pandemie als notwendige Einschränkung angesehen wurden, sorgt längst für Frust und Unmut bei den Menschen.

Nur Xi kann es richten

Doch Xi sieht sich als Mann mit Mission. Um ihn zu verstehen, muss man sich seine Erfahrungen und Erniedrigungen seiner Jugendzeit vergegenwärtigen. Und mögen die Tage in den kalten Lehmhöhlen von Liangjiahe inzwischen von der Partei-Propaganda verklärt und überhöht werden, sie sind für das Verständnis des chinesischen Staatsführers unerlässlich.  

Innenpolitisch darf nie wieder ein Chaos wie in der Kulturrevolution entstehen. Der Zerfall der Sowjetunion wie auch die Farbenrevolutionen in den arabischen Ländern dienen ihm als mahnendes Beispiel. Die Gesellschaft müsse auf einem festen ideologischen Fundament stehen, dafür hat Xi die Ideen von “Chinesischen Traum” (中国梦; Zhōngguó mèng) und die “Verjüngung der chinesischen Nation” (中华民族伟大复兴; Zhōnghuámínzú Wěidà Fùxīng) entwickelt. Um sie zu verwirklichen, bedarf es aus seiner Sicht der absoluten Kontrolle – und zwar über alle Bereiche: von Wirtschaft bis Kultur, von öffentlichen Straßen und Plätzen bis in die privaten Wohnungen und Smartphones der Menschen. Xi glaubt, nicht wieder loslassen zu können, weil dann alles auseinanderfliegt.

Und auch außenpolitisch hat Xi Großes vor. Sein Narrative hier lautet “Veränderungen, die man seit einem Jahrhundert nicht mehr gesehen hat” (百年未有之大变局; Bǎinián wèi yǒu zhī dà biànjú). Xi will China zurück an den ihm zustehenden Platz führen: an die Spitze. In diesem Sinne sollte man “Zhongguo” vielleicht in Zukunft nicht mehr als Reich der Mitte übersetzen, sondern als “Nabel der Welt”.

Damit diese durchaus schwierigen Unterfangen auch gelingen, bedarf es ohne Zweifel eines fähigen Führers. Xi Jinping traut das nur einem zu: Xi Jinping.

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News

IOC-Präsident Bach lehnt Einladung des Bundestages ab

Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, wird der Einladung des Menschenrechtsausschusses in den Deutschen Bundestag nicht folgen. Am Mittwoch bestätigte das IOC gegenüber China.Table die schriftliche Absage an die Ausschuss-Vorsitzende Renata Alt (FDP).

Bach begründet seine Ablehnung damit, dass er grundsätzlich keine nationalen Parlamente besuche. “Leider ist es dem IOC jedoch nicht möglich, an Ausschusssitzungen teilzunehmen. Das IOC als internationale Organisation mit 206 Nationalen Olympischen Komitees ist prinzipiell nicht in der Lage, die zahlreichen Einladungen ähnlicher Natur von Parlamenten aus aller Welt anzunehmen”, hiess es in einer Mitteilung. Die Repräsentanz der Olympischen Bewegung in Parlamentsanhörungen obliege den Nationalen Olympischen Komitees.

Der Menschenrechtsausschuss hatte auf eine Zusage des IOC-Chefs gehofft, um mit ihm die Vergabe der Olympischen Winterspiele an die Volksrepublik China aufzuarbeiten. Peking war trotz seiner Menschenrechtsbilanz im Februar dieses Jahres Ausrichter der Wettbewerbe.

Vor vier Wochen hatte eine Delegation des Ausschusses den IOC-Sitz in Lausanne besucht, war dort allerdings nicht mit Bach zusammengetroffen. Stattdessen wurden die deutschen Politiker, die zuvor beim Menschenrechtsrat im benachbarten Genf zahlreiche Gespräche geführt hatten, von Vertretern der Kommunikationsabteilung sowie der Kommission für Menschenrechte im IOC empfangen.

“Der Besuch beim IOC war nicht zufriedenstellend. Ich hatte das Gefühl, dass unsere Fragen nur ausweichend beantwortet wurden. Die Antworten schienen vor allem die Absicht zu verfolgen, die Vergabe der Olympischen Spiele an Peking auch nachträglich zu rechtfertigen”, hatte die Ausschussvorsitzende Alt damals beklagt. Das IOC beurteilte den Besuch dagegen positiv. “Es herrschte eine gute Gesprächsatmosphäre, die uns die Chance zu einem konstruktiven Austausch gegeben hat”, betonte ein Sprecher. grz

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Britischer Geheimdienst warnt vor China

Der Direktor des britischen Geheimdienstes GCHQ hat vor den Gefahren eines zunehmenden Einflusses der Volksrepublik China gewarnt. Während die Kommunistische Partei die wirtschaftliche Stärke ihres Landes aufgebaut habe, seien gleichzeitig drakonische Sicherheitsgesetze und eine Überwachungskultur eingeführt worden, sagte Jeremy Fleming. Außerdem träten die Chinesen militärisch aggressiver auf.

Um seinen Einfluss auszubauen, nutze China unter anderem digitale Währungen, Satellitensysteme und technologische Produkte. Durch Exporte breiteten sich diese in aller Welt aus. Dabei hätten solche chinesischen Technologien “versteckte Kosten”, warnte Fleming. Er rief die heimische Wissenschaft und den Technologie-Sektor auf, sich unabhängiger von China zu machen und alternative, wettbewerbsfähige Angebote zu schaffen.

Einem Medienbericht zufolge plant die britische Regierung für Mittwoch die offizielle Neueinstufung Chinas als “Bedrohung” für das Vereinigte Königreich. Premierministerin Liz Truss werde eine neue strategischen Einschätzung vorlegen, in der “britischen Feinde” aufgelistet seien, berichtete die britische Boulevardzeitung The Sun. Bisher hatte London China als “systemischen Wettbewerber” eingestuft. mw/ari

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Neue Verurteilungen in Hongkong

Gerichte in Hongkong machen in diesen Tagen reichlich Gebrauch vom weiten Rechtsrahmen des Nationalen Sicherheitsgesetzes. Am Samstag hat ein Gericht fünf Jugendliche im Alter von 16 bis 19 Jahren zu dreijährigen Haftstrafen verurteilt. Die Angeklagten hätten auf Sozialmedien einen Umsturz gefordert, stellte Richter Kwok Wai-kin fest. Sie hätten eine “Revolution” angestrebt, um die chinesische Staatsmacht aus Hongkong zu entfernen. “Wenn auch nur eine Person in Hongkong aufrührerisch handelt, sind die Stabilität und die Sicherheit der Bürger gefährdet”, begründet Kwok das Urteil. Richter Kwok ist für seine Peking-hörigen Urteile bekannt.

Der Hongkonger Radiomoderator Edmund Wan muss derweil wegen “aufrührerischer” Äußerungen gegen die chinesische Regierung für mehr als zweieinhalb Jahre ins Gefängnis. Das erklärte das Bezirksgericht der Sonderverwaltungszone am Freitag. Der Online-Radiomoderator habe die Unabhängigkeit der Stadt und den Sturz der Regierung gefordert und damit “Öl ins Feuer” gegossen, so die Bezirksrichterin Adriana Noelle Tse Ching.

Wan hatte in einer Sendung im Jahr 2020 den Sturz des früheren ukrainischen Staatschefs Viktor Janukowitsch zitiert und erklärt, die Hongkonger sollten auch ihre Regierungschefin Carrie Lam “ausweisen”. In einer anderen Sendung hatte er der Kommunistischen Partei die “kulturellen Auslöschung” von Minderheiten vorgeworfen und erklärt, Chinas Nationalflagge stehe für Autoritarismus.

Die Richterin argumentierte, dass einige von Wans Aussagen nach der Verabschiedung des nationalen Sicherheitsgesetzes getätigt wurden. Das Gesetz wurde in Verbindung mit einem aus der Kolonialzeit stammenden Aufwiegelungsgesetz von der Regierung genutzt, um während der pro-demokratischen Proteste gegen Demonstranten und Aktivisten vorzugehen. fpe/fin

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China bildet Polizisten von den Salomonen aus

Eine Gruppe von 32 Polizeibeamten aus dem südpazifischen Staat der Salomonen ist nach China geflogen, um sich in polizeilichen Techniken ausbilden zu lassen und ihr Verständnis für die chinesische Kultur zu verbessern, wie die Royal Solomon Islands Police Force in einer Erklärung mitteilte.

Seit der Unterzeichnung eines Sicherheitspakts zwischen den beiden Ländern im April hat China der Polizei auf den Salomonen nach eigenen Angaben Schulungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angeboten. Das Abkommen zwischen dem Pazifik-Staat und der Volksrepublik hatte die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten, darunter Australien, alarmiert.

Auf einem Gipfeltreffen des Weißen Hauses mit den Staats- und Regierungschefs der Pazifikinseln im vergangenen Monat erklärten die Vereinigten Staaten, sie würden in diesem Jahr Ausbilder des FBI für die Strafverfolgung auf die Salomonen entsenden, um dem wachsenden Einfluss Chinas in der strategisch wichtigen Region entgegenzuwirken (China.Table berichtete).

Der Premierminister der Salomonen, Manasseh Sogavare, hatte zuvor erklärt, dass Australien weiterhin der bevorzugte Sicherheitspartner des Landes sei, und bestritt, dass der Pakt mit China die Einrichtung einer Militärbasis ermöglichen würde. Australien hat die Polizei der Salomonen geschult und ist seit Jahrzehnten an der Unterstützung der Sicherheit auf den Inseln beteiligt. Als vergangenes Jahr Unruhen die Hauptstadt Honiara erschütterten, forderte Premierminister Manasseh Sogavare die australische Regierung auf, Verteidigungspersonal zu entsenden, um bei der Wiederherstellung der Ordnung zu helfen. mw

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In Shanghai wird das Wasser knapp

Um die Wasserversorgung zu sichern, hat Shanghai Notfallmaßnahmen ergriffen. Nach einer Verunreinigung zweier großer Stauseen durch Salzwasser musste die Wasserversorgung der 25 Millionen Einwohner der Küstenstadt vorübergehend eingestellt werden. Qingcaosha, der größte Stausee der Stadt, versorgt rund 13 Millionen Einwohner in elf der 16 Bezirke mit Wasser. Chenhang ist die Trinkwasserquelle für fünf Bezirke, in denen mehr als sieben Millionen Menschen leben.

Angesichts der Wasserknappheit handeln die Behörden nun. Laut städtischer Wasserbehörde haben die Reservoirs begonnen, frisches Wasser zu speichern, um sich auf die nächste Flut vorzubereiten, mit der Salzwasser ins Binnenland gespült werden könnte. In der Zwischenzeit wird Wasser aus anderen Regionen nach Shanghai geleitet, um die normale Wasserversorgung der Stadt zu gewährleisten.

Die Salzwasserflut wurde durch Taifune Anfang September verursacht. Gezeiten, Wind und Wellen drückten Meerwasser in den Jangtse. Salzfluten sind in Shanghai keine Seltenheit. Da die Stadt in der Nähe der Mündung des Jangtse liegt, tritt dieses Phänomen häufig auf.

Bereits im August wurde Shanghai von einer Salzflut heimgesucht, als die Rekord-Dürre den Pegel des Jangtse hat fallen lassen. Die Strömung reichte nicht mehr aus, einen ausreichenden Druck gegen das Meerwasser aufzubauen. Es strömte daher flussaufwärts, heißt es in einer Erklärung der Wasserbehörde. China hat deutlich weniger als den Weltdurchschnitt an Wasser zur Verfügung (China.Table berichtete). Rund sieben Prozent der globalen Süßwasser-Vorkommen müssen rund 20 Prozent der Weltbevölkerung speisen. mw

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Standpunkt

Zum diplomatischen Umgang mit grundlegender politischer Differenz

von Ralph Weber
Ralph Weber, Professor für European Global Studies über mehr Transparenz bei der Kooperation mit China.
Professor Ralph Weber von der Universität Basel

Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen zwei Staaten ist ein historisch bedeutsames Ereignis. Runde Jahrestage werden feierlich und ritualisiert – also entlang diplomatischer Gepflogenheiten – begangen. Man versucht Misstöne zu vermeiden, lobt nach Möglichkeit das derzeitige Verhältnis und erzählt sich gegenseitig eine zurechtgerückte Geschichte der bisherigen Beziehungen.

Für all das gibt es gute Gründe. Die Abwesenheit diplomatischer Beziehungen wird gemeinhin als ungünstiger, potentiell gar gefährlicher Zustand gewertet, der Abbruch von Beziehungen als Eskalation und ultima ratio verstanden.

In diesem Jahr begehen Deutschland und China den 50. Jahrestag ihrer diplomatischen Beziehungen. Wie es liberalen Demokratien eigen ist, bietet ein solcher Anlass auch für zahlreiche Akteure der Zivilgesellschaft, der Medien, der Universitäten und der Wirtschaft eine Gelegenheit, sich zu äußern. Je nach Interessen und Agenden verhalten sich auch diese Akteure eher “diplomatisch”, oder dann in bewusster Abgrenzung dezidiert kritisch.

Diplomatie bedeutet nicht, Differenzen einzuebnen

Die Tatsache, dass die Volksrepublik China keine liberale Demokratie, sondern gemäß Verfassung “ein sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes” ist und im Land eine weiterhin weitgehend leninistisch organisierte Kommunistische Partei mit entsprechenden Ressourcen für politische Aktivitäten im Ausland herrscht, verkompliziert die Angelegenheit erheblich.

Die weltpolitische Lage und die Spannungen mit der Volksrepublik China wegen deren Umgang mit Hongkong, mit tibetischen, uigurischen oder anderen Minderheiten, mit Dissidenten, Menschenrechtsanwälten oder Journalisten, aber auch das als neues Selbstbewusstsein apostrophierte weltweite Gebaren und Versuche der politischen Einflussnahme im Ausland haben die Diskussionen zu einer glaubwürdig wertebasierten Außenpolitik neu befeuert.

Im Kern drehen sich einige dieser Diskussionen um ein grundsätzliches Dilemma in der Auseinandersetzung mit autoritären Regimen. Zunächst bedeuten diplomatische Beziehungen nicht mehr als eine formelle Anerkennung eines Staates durch einen anderen. Durch die gelebte Praxis der Beziehungen entstehen Interessen, für die jede Verschlechterung der Beziehungen einen Schaden bedeutet.

Hieraus entspringt die Gefahr, dass über Zeit der formellen eine materielle Anerkennung folgt. Wie also setzt man sich als liberale Demokratie in ein Verhältnis zu einem autoritären Regime, ohne durch das eigene Tun und Sagen die fundamental trennende, normative politische Differenz zu normalisieren und damit einzuebnen? Vielleicht sogar die eigene Wertebasis zu unterminieren?

Solange man eine Demokratisierung Chinas erwartete, schien die Überwindung politischen Differenz nur eine Frage der Zeit. Nachdem nun aber der Wandel ausgeblieben ist, steht die politische Differenz wieder viel deutlicher im Zentrum. Dazu kommt, dass in europäischen Gesellschaften intern autoritäre Bewegungen an Gewicht gewonnen haben, welche spaltend wirken und die Wertebasis liberaler Demokratien grundlegend zur Disposition stellen.

Was könnte man nun also tun?

Eine einfach umsetzbare Maßnahme betrifft die Wortwahl im Umgang mit der Volksrepublik. Die eigene Wertebasis sollte durch sie unmissverständlich deutlich gemacht werden. Nebst dem Einstehen für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gilt es aber auch subtilere Ebenen der Kommunikation zu beachten. Insbesondere gilt es, Einebnungsvokabular zu vermeiden. Das sind Worte, auf die sich beide Seiten in scheinbarem Konsens verständigen können.

Unsere Werte spiegeln sich in der Wortwahl

Zum Beispiel sollte man nicht, wie dies ein Mitglied der Schweizerischen Regierung getan hat, von “Partizipation der Bevölkerung” sprechen, wenn man damit die halb-direkte Demokratie auf Schweizer Seite und leninistischen demokratischen Zentralismus auf chinesischer Seite meint. Die jeweiligen Grade der Partizipation trennen schließlich Welten.

Es ist auch nicht förderlich von “Menschenwürde” zu sprechen, wenn man eigentlich die “Menschenrechte” meint und angesichts der chinesischen Versuche, den Sinn der Menschenrechte im Kern auf den Kopf zu stellen, müsste man auch hier ausdifferenzieren und genauer formulieren. Adäquater ist es, in Interaktionen wo immer möglich die politische Differenz anzeigende, unterschiedliche Worte zu verwenden.

Es geht auch darum, falschen Äquivalenten vorzubeugen. Die All-China Federation of Industry and Commerce (ACFIC, 中华全国工商业联合会) ist etwa keineswegs ein Pendant des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), sondern ein Organ der Einheitsfront am Zipfel der Kommunistischen Partei.

Mit einer auf Differenzen bestehenden Kommunikation wird dem chinesischen Gegenüber auch mitgeteilt, dass man mit dem politischen System vertraut ist. Letztlich gilt es, Vokabular zu vermeiden, das etwa in der Propaganda und der Einheitsfrontarbeit der Kommunistischen Partei zentrale Verwendung findet. Darunter fallen subtiler Ausdrücke wie “Freunde” oder “Brücke”, offensichtlicher “win-win-Kooperation” oder “eine neue Ära”. Statt eines “Dialogs”, der von zivilgesellschaftlichen Kräften verfolgt wird, möchte man vielleicht lieber davon sprechen, dass man “Kontakte” unterhält oder die eigene “Position” übermittelt.

Sprache wird seitens der Volksrepublik äußerst differenziert und bedacht verwendet. Gute Kenntnisse der Terminologie des chinesischen Parteistaats, sowie seiner Strukturen und Arbeitsweisen sind eine Voraussetzung dafür, die eigenen Positionen glaubhaft und mit eigens gewähltem Vokabular zu vertreten.

Natürlich wird man nicht allein mit der Wortwahl die weltpolitische Lage und die Spannungen mit China zum eigenen Nutzen zu wenden vermögen. Nebst wohl überlegten Worten sind dafür sicherlich ebenso gut durchdachte Taten gefragt. Aber mit Sprache kommuniziert man stets auch nach innen, an die den Staat konstituierende Bevölkerung.

Wenn nun der 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen gefeiert wird, wie er gefeiert werden soll, dann bestehen, trotz des Bestrebens sich “diplomatisch” ausdrücken zu wollen, sehr wohl Spielräume, die entsprechend ausgefüllt werden können, um die grundlegend politische Differenz zwischen der “Bundesrepublik” und der “Volksrepublik” anzuzeigen.

Dieser Text ist eine gekürzte und leicht redigierte Fassung der Originalversion, die zuerst auf der Internetseite des Deutsch-Chinesischen Dialogforums erschienen ist.

Ralph Weber ist Professor für European Global Studies an der Universität Basel in der Schweiz. Seine Forschungsgebiete umfassen die chinesische politische Philosophie, den modernen Konfuzianismus sowie die chinesische Politik. Er beschäftigt sich mit den europäisch-chinesischen Beziehungen und hat im Dezember 2020 eine viel beachtete Studie zur Einflussnahme des chinesischen Parteistaats in der Schweiz veröffentlicht.

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China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    die Volksrepublik China arbeitet an der totalen Kontrolle ihrer Bevölkerung. Exzessiv nutzt sie Überwachungs-Technologien, digitale Werkzeuge und politische Mittel wie die Null-Covid-Strategie, um besonders vor dem 20. Parteitag, der am Sonntag in der Hauptstadt beginnt, die Zügel noch enger zu ziehen. Umso bemerkenswerter, dass es einem oder mehreren Dissidenten am Donnerstag gelungen ist, große Protestbanner an einer Brücke aufzuhängen, auf denen in großen, roten Schriftzeichen die Ablösung von Parteichef Xi und das Ende seiner “kulturrevolutionären” Politik gefordert wurde.

    Der Mut, der dazugehört, um eine solche Aktion in einer Diktatur wie der chinesischen zu planen und durchzuziehen, ist außergewöhnlich groß. Zumal solche Banner keine unmittelbare Wirkung entfalten. Xi wird sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seine dritte Amtszeit sichern, und die Macht der Partei gerät deshalb nicht unmittelbar ins Wanken.

    Dennoch sind sie ein Signal an Millionen Chinesen, die davon Wind bekommen haben, ehe die Polizei vor Ort und die Zensur in den Sozialmedien einschreiten konnten. Sie sind ein Nadelstich, der die Verantwortlichen schmerzt. Denn der öffentliche Dissens Einzelner kann Debatten in kleinen Kreisen anstoßen, die den emotionalen Widerstand der Bevölkerung gegen die Herrschaft einer einzigen Partei stärken. Manche ernutigt es, sich Gedanken zu machen, die sie vorher nicht gewagt haben zu denken. Andere, die die Hoffnung auf Reformen längst aufgegeben haben, könnten neuen Mut gewinnen.

    Vor dem Parteitag ist diese Aktion eine Warnung für das Regime, das nationale Einigkeit propagiert. Sie zeigt ihm, dass sie die Gegenwehr im Staat eben nicht komplett auslöschen kann, wie es ihr beliebt. Und sei die Kontrolle noch so scharf.

    Ihr
    Marcel Grzanna
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    Analyse

    Protest-Banner versetzt Pekings Polizei in Aufruhr

    Das Protest-Banner in Peking sorgte führ Aufruhr bei der chinesischen Polizei.

    Es ist der wohl größte öffentliche Protest in der chinesischen Hauptstadt seit der Jahrtausendwende: Nur wenige Tage vor dem 20. Parteikongress hat ein Dissident zwei riesige Banner an einer Brücke über einer sechsspurigen Hauptverkehrsader aufgehängt. Darauf prangte unerhörte Kritik: “Wir wollen Essen, keine PCR-Tests. Wir wollen Reformen, keine Kulturrevolution. Wir wollen Freiheit, keinen Lockdown. Wir wollen Bürger sein, und keine Sklaven” (不要核酸要吃饭, 不要文革要改革, 不要封控要自由, 不要领袖要选票, 不要谎言要尊严, 不做奴才做公民), heißt es auf einem der Plakate. Und gleich daneben steht in unmissverständlichen Worten: “Stürzt den Diktator und Dieb Xi Jinping”.

    Am Nachmittag erinnert an der Sitong-Brücke im nordwestlichen Bezirk Haidian nur noch wenig an den Vorfall. Selbst eine erhöhte Polizeipräsenz war zunächst nicht erkennbar. Doch es dauert nur wenige Augenblicke, bis sich zwei Polizisten mit roter Armbinde dem deutschen Reporter nähern – und prompt den Reisepass und Pressekarte einkassieren. In den nächsten Minuten zeigt sich, dass es sich bei vielen der umstehenden “Passanten” – darunter auch ein in Laufhosen und Sportschuhen gekleideter Jogger – tatsächlich um Sicherheitspolizisten in Zivil handelt. Nach einer 15-minütigen Sicherheitskontrolle löst sich die Situation ohne Eskalation auf. Gemessen an der Brenzligkeit des Themas ist sie für chinesische Verhältnisse überaus glimpflich ausgegangen.

    Getarnt als Bauarbeiter auf der Brücke

    Im chinesischen Netz wurden die Ereignisse erwartungsgemäß von den Zensoren blockiert. Auf ausländischen Online-Plattformen, allen voran Twitter, verbreiteten sich hingegen Foto- und Videoaufnahmen zuhauf. Darauf war zu sehen, wie ungläubige Passanten vor der Sitong-Brücke die Banner bestaunten, welche gerade von Polizisten abgeräumt wurden. Zudem stiegen dort Rauchwolken in den Himmel. Die Gründe dafür sind bislang unklar. Vermutlich wollte der Urheber die Aufmerksamkeit auf sein Banner lenken. Er hatte sich als Bauarbeiter getarnt, der mit Helm und Warnweste offiziell an der Brücke zu werkeln hatte.

    Dass die Protest-Aktion überhaupt gelang, wirkt wie ein Wunder: Nicht nur sind Pekings Straßen alle paar Meter mit Überwachungskameras bestückt, sondern ist auch derzeit kurz vor dem Parteikongress die Polizeipräsenz unglaublich hoch. An den wichtigen Kreuzungen innerhalb der inneren Stadtringe wachen routinemäßig Sicherheitsbeamte über das Geschehen.

    Wer die Banner aufgehängt hat, ist nicht bekannt. Gerüchten im Netz zufolge handelt es sich um einen Mann namens Peng Lifa, der auf Sozialmedien bekannt ist. In einem Land, in dem bereits kritische Postings auf Sozialmedien Vorladungen bei der Polizeiwache zur Folge haben, wirkt die Aktion außerordentlich mutig. Und sie zeigt auch, was man sonst angesichts des repressiven Klimas nicht zu sehen bekommt: die Risse in der Fassade nationaler Einigkeit.

    Es rumort wegen Zero-Covid

    Nach zweieinhalb Jahren “Null Covid” rumort es zunehmend. Die plötzlichen Lockdowns, willkürliche Zwangsquarantäne und die täglichen Massentests haben nicht nur die Wirtschaft an den Rand einer Rezession gebracht, sondern auch die ökonomische Lebensgrundlage vieler Familien zerstört.

    Doch Kritik wird, wenn überhaupt, nur hinter vorgehaltener Hand geäußert. Die roten Linien lassen zwar durchaus die Äußerung von Unmut über Lokalregierungen zu. Doch die Zentralregierung in Peking ist tabu, ebenso die Systemfrage. Und erst recht die Person Xi Jinping.

    Der Zeitpunkt des Protests ist besonders spektakulär. Am Sonntag findet schließlich der 20. Parteikongress in Peking statt. Während diesem wird Xi Jinping – als erstes chinesisches Staatsoberhaupt seit Mao Zedong – eine dritte Amtszeit für sich in Anspruch nehmen.

    Dass sich nicht wenige Chinesen einen anderen Kurs für ihr Heimatland wünschen, kommt im staatlich gelenkten Diskurs der Medien nicht vor. Doch an diesem Donnerstagnachmittag war der Dissens zumindest für wenige Minuten sichtbar. Fabian Kretschmer

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    • Xi Jinping
    • Zivilgesellschaft

    Die Mission des Xi Jinping

    Der 20. Parteitag steht an: Was macht Xi Jinping aus? Welche Ziele verfolgt er?

    Als Xi Jinping 2012 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei ernannt wurde, waren die Hoffnungen groß: Xi würde als großer Reformer China in ein neues Zeitalter führen. Journalisten, die vom damaligen Parteitag in Peking berichteten, konnten förmlich den Geruch von Reform und Veränderung riechen.

    Selbst in der New York Times gab man sich geradezu euphorisch: “Der neue oberste Führer, Xi Jinping, wird ein Wiederaufleben der Wirtschaftsreformen und wahrscheinlich auch eine gewisse politische Lockerung anführen. Maos Leichnam wird unter seiner Aufsicht vom Tiananmen-Platz geschleppt und Liu Xiaobo, der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Schriftsteller, wird aus dem Gefängnis entlassen.” So prophezeite es zumindest der Pulitzer-Preisträger Nicholas Kristof am 5. Januar 2013.

    Regieren mit eisenharter Hand

    Doch es sollte alles anders kommen. Mao Zedong ist in China wieder so beliebt wie noch nie seit seinem Tod. Liu Xiaobo starb elendig in der Gefangenschaft. Doch damit nicht genug: Statt wirtschaftlichem und zivilgesellschaftlichem Wandel brachte Xi Jinping einen eisenharten Führungsstil. Xi ist weit davon entfernt, ein Reformer zu sein. Vielmehr ist er ein Restaurator – der Partei und ihrer zentralen Rolle in der Gesellschaft sowie Chinas und seiner Rolle in der Welt.

    Wie konnte man sich derart grundsätzlich in diesem Mann täuschen? Und was treibt Chinas Führer an, dass er sich auf dem kommenden Parteitag sogar eine dritte Amtszeit übertragen lässt?

    Der Schlüssel liegt in Liangjiahe

    Folgt man der offiziellen Geschichtsschreibung der Kommunistischen Partei, liegt der Schlüssel zu Xi Jinpings Werdegang in Liangjiahe, einem kleinen, unscheinbaren Dorf in den Lössbergen der zentralchinesischen Provinz Shaanxi. Es war 1969, die Kulturrevolution wütete im gesamten Land, und Mao Zedong schickte Millionen Studenten hinaus aufs karge Land, damit sie am eigenen Leib das arme und entbehrungsreiche Leben der Bauern erfahren würden. Einer von ihnen war der damals 16-jährige Xi Jinping, Sohn des in Ungnade gefallenen Parteigranden Xi Zhongxun.

    Xis Vater war Revolutionär der ersten Stunde. An der Seite von Mao Zedong hatte er unweit von Liangjiahe in den Bergen Yan’ans für die kommunistische Revolution gekämpft und war anschließend bis zum Vizepremier aufgestiegen. Xi Jinping ist also ein 太子 (tàizǐ) – ein Prinzling, wie die Söhne jener ersten KP-Generation genannt werden. Das brachte allerlei Privilegien mit sich: Er wuchs im Schatten der Verbotenen Stadt auf, besuchte die Eliteschulen der Stadt, deren Besuch den Kindern hoher Parteikader und Militärs vorbehalten war. Während im Land die Kulturrevolution tobte, lebte Xi in einer heilen Welt.

    Das alles war 1969 schlagartig vorbei. Mao beschuldigte Xi Senior der Verschwörung, die Familie fiel in Ungnade. Xi Junior wurde gemobbt und gezwungen, seinen Vater öffentlich zu denunzieren. Seine ältere Halbschwester beging sogar Suizid. Xi ging nicht freiwillig nach Liangjiahe, er wurde verbannt.

    Liangjiahe: Xi Jinping kehrt 2015 zurück an den Ort seiner Verbannung. Sein Aufstieg in der Partei sowie seine Ziele waren überraschend.
    Liangjiahe: Xi Jinping kehrt 2015 zurück an den Ort seiner Verbannung

    Der offiziellen KP-Mythologie zufolge verwandelte sich Xi dort vom privilegierten Prinzling in einen Mann des Volkes. Xi selbst sagte einmal: “Viele meiner grundlegenden Ideen und Qualitäten wurden in Yan’an geprägt. Vorher war ich gewohnt, feinen Reis zu essen. Dort waren es grobe Körner. Aber bald lernte ich, sie zu schlucken.”

    Für Xis Vater ging es bald wieder bergauf. Er wurde rehabilitiert und errichtete in einem kleinen Fischerdorf namens Shenzhen Chinas erste Sonderwirtschaftszone. Heute hat Shenzhen rund zwölf Millionen Einwohner und gilt als Zentrum der chinesischen Hightech-Industrie. Die Sonderwirtschaftszone hatte ihre eigenen, freieren Regeln. Sie war ein Reformprojekt.

    Xi Jinping wird “röter als rot”

    Nach diesen Erfahrungen glaubten politische Beobachter, Xi Jinping zu kennen. Zwei Schlussfolgerungen schienen auf der Hand zu liegen. Erstens: Nach all den Gräueltaten gegen ihn, seinen Vater und seine Familie musste Xi Jinping die KP China hassen. Zweitens: Xi werde bestimmt seinem Vater nacheifern und als Reformer nicht nur Shenzhen, sondern ganz China modernisieren. Beides stellte sich als falsch heraus.

    Xi Jinping sah sich auf einer Mission. Er war immer noch ein Prinzling, und als legitimer Erbe der revolutionären Errungenschaften glaubte er, das Recht zu haben, China zu führen. Allerdings musste er vorsichtig sein. “Xi beschloss, zu überleben, in dem er röter als rot wurde”, wird eine Quelle aus seinem Umfeld in einem geheimen Bericht der amerikanischen Botschaft aus dem Jahr 2009 zitiert. Und tatsächlich. Trotz allem, was die Partei ihm angetan hatte, stellte Xi in den Folgejahren insgesamt acht Mitgliedsanträge – ehe er endlich in die Jugendliga aufgenommen wurde. Xi trat in die Kommunistische Partei ein und begann einen Karriereplan zu entwerfen, der ihn an die Spitze bringen sollte. Er wollte nicht das System zerstören, sondern es von innen kapern und dann von oben beherrschen.

    Die Erfahrung hatte ihn gelehrt: Um ganz nach oben zu kommen, muss er so lang wie möglich unauffällig und unscheinbar bleiben. Fast scheint es, als hätte Xi seinem persönlichen Werdegang eine berühmte Maxime von Deng Xiaoping zugrunde gelegt. “Verstecke deine Stärken, und warte, bis deine Zeit gekommen ist.”

    Xis Devise: Zielstrebig, aber unauffällig bleiben

    Entsprechend gab sich Xi lange Zeit zielstrebig und weitsichtig, aber unauffällig. Als Sekretär des Verteidigungsministers knüpfte er Kontakte zum Militär, in den Provinzen Fujian und Zhejiang gab er sich unternehmerfreundlich und verschlankte die Bürokratie. Xi blieb Xi als Funktionär derart unauffällig, dass er der breiten Öffentlichkeit vor allem bekannt war als Ehemann von Peng Liyuan: einer der bekanntesten Sängerinnen sogenannter Roter Lieder wie “Menschen aus unserem Dorf” (父老乡亲) oder “Im Feld der Hoffnung” (在希望的田野上). Peng war in China ein Star – und Xi Jinping der Ehemann von Peng.

    Peng Liyuan mit Ehemann Xi Jinping.
    Peng Liyuan mit Ehemann Xi Jinping.

    Damit hatte Xi nicht nur privat Erfolg. In der KP wüteten zu jener Zeit erbitterte Grabenkämpfe zwischen den verschiedenen Gruppierungen, so war beispielsweise Jiang Zemin zwar offiziell abgetreten, zog im Hintergrund allerdings weiterhin kräftig die Strippen. Als es darum ging, einen passenden Kandidaten für die Parteispitze zu finden, rückte deshalb Xi Jinping in den Fokus. Er galt vielen als solide, moderat und bieder. Kurzum: ein Kandidat, der niemandem wehtun würde.

    Damit passte Xi perfekt in eine Zeit, in der die Partei noch kollektive Führung pries sowie die Aufteilung von Verantwortung, um willkürliche Entscheidungen eines einzelnen Führers zu verhindern. Heutzutage steht zu vermuten, dass ein solcher Gedanke von der chinesischen Zensur wahrscheinlich als unbotmäßige Kritik verstanden und umgehend gelöscht würde. 

    Erste Machtprobe Xis

    Im Jahr 2012 war es dann so weit. Doch kurz bevor er zum Generalsekretär der KP ernannt werden sollte, verschwand Xi Jinping plötzlich spurlos, selbst Termine mit der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton wurden abgesagt. Die Spekulationen reichten von Gesundheitsproblemen bis hin zu einem versuchten Attentat.

    Doch Chris Johnson, ehemaliger China-Analyst der CIA berichtete gegenüber dem Magazin “The Economist” von einer Machtprobe Xis: Demnach waren die Parteigranden wohl überrascht von Xis Machthunger und versuchten, diesen kurz vor dem Parteitag noch einzuhegen. Xi war sich jedoch der zeitlichen Zwangslage nur allzu bewusst und spielte seine Karten eiskalt aus, in dem er drohte, sie sollten sich dann doch schnell lieber einen anderen für diesen Job suchen.

    Die Partei lenkte ein, Xi wurde wenige Wochen später auf dem 18. Parteitag zum Generalsekretär ernannt – und hatte zugleich klargemacht, wer zukünftig an der Spitze von Partei und Staat stehen würde. Xi wollte nicht nur der Erste unter Gleichen sein, sondern einfach nur der Erste.

    Xi lässt alle auf Linie bringen

    Entsprechend begann er umgehend die KP umzukrempeln – und ganz auf ihn zuzuschneiden. Mithilfe einer nie dagewesenen Anti-Korruptionskampagne säuberte er die Ränge der Partei und Sicherheitskräfte. Tausende Kader wurden inhaftiert und verurteilt – angefangen auf den untersten Dorfebenen bis fast ganz hinauf in die Spitze zu Zhou Yongkang, einem Mitglied des Ständigen Ausschusses der KP. Sicherlich gibt es innerhalb der KP unterschiedliche Gruppierungen und Fraktionen, divergierende Interessen und Ansichten. Doch aktuell hat Xi Jinping sie alle auf Linie gebracht. Seine eigene Linie.

    Auch in der Zivilgesellschaft ließ er Dissens niederschlagen, Menschenrechtler wurden verhaftet, NGOs das Arbeiten unmöglich gemacht. In Xinjiang werden Millionen Uiguren in Zwangslager gesteckt, während in Hongkong die verfassungsmäßigen Freiheiten radikal beschränkt werden.

    Und auch außenpolitisch ist für Xi die Zeit der Zurückhaltung beendet: Im Südchinesischen Meer ließ er Sandbänke zu militärischen Stützpunkten ausbauen, die Drohungen gegenüber Taiwan werden schärfer, die Militärübungen nehmen zu. Von Chinas “pro-russischer Neutralität” im Ukraine-Krieg ganz zu schweigen.

    Inzwischen ist wohl auch dem Letzten klargeworden: Xi ist weder der vom Westen ersehnte Reformer noch der von den Parteigranden gesuchte Kollektivführer. Xi ist ein knallharter Machtpolitiker, der rücksichtslos seine Ziele verfolgt.

    Viele sehen Xi im Zenit. Doch nach dem Zenit kommt immer der erste Schritt des Niedergangs. Und in der Tat sind die Probleme gewaltig, denen sich Xi gegenübersieht: Der atemberaubende wirtschaftliche Aufschwung ist ins Stocken geraten. Wirtschaftswachstum ist jedoch auch für Xi ist er unverzichtbar, da der Erfolg die KP-Herrschaft legitimiert. Zudem hat Xi sich mit seiner strikten Zero-Covid-Politik vollkommen verrannt. Was zu Beginn der Pandemie als notwendige Einschränkung angesehen wurden, sorgt längst für Frust und Unmut bei den Menschen.

    Nur Xi kann es richten

    Doch Xi sieht sich als Mann mit Mission. Um ihn zu verstehen, muss man sich seine Erfahrungen und Erniedrigungen seiner Jugendzeit vergegenwärtigen. Und mögen die Tage in den kalten Lehmhöhlen von Liangjiahe inzwischen von der Partei-Propaganda verklärt und überhöht werden, sie sind für das Verständnis des chinesischen Staatsführers unerlässlich.  

    Innenpolitisch darf nie wieder ein Chaos wie in der Kulturrevolution entstehen. Der Zerfall der Sowjetunion wie auch die Farbenrevolutionen in den arabischen Ländern dienen ihm als mahnendes Beispiel. Die Gesellschaft müsse auf einem festen ideologischen Fundament stehen, dafür hat Xi die Ideen von “Chinesischen Traum” (中国梦; Zhōngguó mèng) und die “Verjüngung der chinesischen Nation” (中华民族伟大复兴; Zhōnghuámínzú Wěidà Fùxīng) entwickelt. Um sie zu verwirklichen, bedarf es aus seiner Sicht der absoluten Kontrolle – und zwar über alle Bereiche: von Wirtschaft bis Kultur, von öffentlichen Straßen und Plätzen bis in die privaten Wohnungen und Smartphones der Menschen. Xi glaubt, nicht wieder loslassen zu können, weil dann alles auseinanderfliegt.

    Und auch außenpolitisch hat Xi Großes vor. Sein Narrative hier lautet “Veränderungen, die man seit einem Jahrhundert nicht mehr gesehen hat” (百年未有之大变局; Bǎinián wèi yǒu zhī dà biànjú). Xi will China zurück an den ihm zustehenden Platz führen: an die Spitze. In diesem Sinne sollte man “Zhongguo” vielleicht in Zukunft nicht mehr als Reich der Mitte übersetzen, sondern als “Nabel der Welt”.

    Damit diese durchaus schwierigen Unterfangen auch gelingen, bedarf es ohne Zweifel eines fähigen Führers. Xi Jinping traut das nur einem zu: Xi Jinping.

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    IOC-Präsident Bach lehnt Einladung des Bundestages ab

    Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, wird der Einladung des Menschenrechtsausschusses in den Deutschen Bundestag nicht folgen. Am Mittwoch bestätigte das IOC gegenüber China.Table die schriftliche Absage an die Ausschuss-Vorsitzende Renata Alt (FDP).

    Bach begründet seine Ablehnung damit, dass er grundsätzlich keine nationalen Parlamente besuche. “Leider ist es dem IOC jedoch nicht möglich, an Ausschusssitzungen teilzunehmen. Das IOC als internationale Organisation mit 206 Nationalen Olympischen Komitees ist prinzipiell nicht in der Lage, die zahlreichen Einladungen ähnlicher Natur von Parlamenten aus aller Welt anzunehmen”, hiess es in einer Mitteilung. Die Repräsentanz der Olympischen Bewegung in Parlamentsanhörungen obliege den Nationalen Olympischen Komitees.

    Der Menschenrechtsausschuss hatte auf eine Zusage des IOC-Chefs gehofft, um mit ihm die Vergabe der Olympischen Winterspiele an die Volksrepublik China aufzuarbeiten. Peking war trotz seiner Menschenrechtsbilanz im Februar dieses Jahres Ausrichter der Wettbewerbe.

    Vor vier Wochen hatte eine Delegation des Ausschusses den IOC-Sitz in Lausanne besucht, war dort allerdings nicht mit Bach zusammengetroffen. Stattdessen wurden die deutschen Politiker, die zuvor beim Menschenrechtsrat im benachbarten Genf zahlreiche Gespräche geführt hatten, von Vertretern der Kommunikationsabteilung sowie der Kommission für Menschenrechte im IOC empfangen.

    “Der Besuch beim IOC war nicht zufriedenstellend. Ich hatte das Gefühl, dass unsere Fragen nur ausweichend beantwortet wurden. Die Antworten schienen vor allem die Absicht zu verfolgen, die Vergabe der Olympischen Spiele an Peking auch nachträglich zu rechtfertigen”, hatte die Ausschussvorsitzende Alt damals beklagt. Das IOC beurteilte den Besuch dagegen positiv. “Es herrschte eine gute Gesprächsatmosphäre, die uns die Chance zu einem konstruktiven Austausch gegeben hat”, betonte ein Sprecher. grz

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    Britischer Geheimdienst warnt vor China

    Der Direktor des britischen Geheimdienstes GCHQ hat vor den Gefahren eines zunehmenden Einflusses der Volksrepublik China gewarnt. Während die Kommunistische Partei die wirtschaftliche Stärke ihres Landes aufgebaut habe, seien gleichzeitig drakonische Sicherheitsgesetze und eine Überwachungskultur eingeführt worden, sagte Jeremy Fleming. Außerdem träten die Chinesen militärisch aggressiver auf.

    Um seinen Einfluss auszubauen, nutze China unter anderem digitale Währungen, Satellitensysteme und technologische Produkte. Durch Exporte breiteten sich diese in aller Welt aus. Dabei hätten solche chinesischen Technologien “versteckte Kosten”, warnte Fleming. Er rief die heimische Wissenschaft und den Technologie-Sektor auf, sich unabhängiger von China zu machen und alternative, wettbewerbsfähige Angebote zu schaffen.

    Einem Medienbericht zufolge plant die britische Regierung für Mittwoch die offizielle Neueinstufung Chinas als “Bedrohung” für das Vereinigte Königreich. Premierministerin Liz Truss werde eine neue strategischen Einschätzung vorlegen, in der “britischen Feinde” aufgelistet seien, berichtete die britische Boulevardzeitung The Sun. Bisher hatte London China als “systemischen Wettbewerber” eingestuft. mw/ari

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    Neue Verurteilungen in Hongkong

    Gerichte in Hongkong machen in diesen Tagen reichlich Gebrauch vom weiten Rechtsrahmen des Nationalen Sicherheitsgesetzes. Am Samstag hat ein Gericht fünf Jugendliche im Alter von 16 bis 19 Jahren zu dreijährigen Haftstrafen verurteilt. Die Angeklagten hätten auf Sozialmedien einen Umsturz gefordert, stellte Richter Kwok Wai-kin fest. Sie hätten eine “Revolution” angestrebt, um die chinesische Staatsmacht aus Hongkong zu entfernen. “Wenn auch nur eine Person in Hongkong aufrührerisch handelt, sind die Stabilität und die Sicherheit der Bürger gefährdet”, begründet Kwok das Urteil. Richter Kwok ist für seine Peking-hörigen Urteile bekannt.

    Der Hongkonger Radiomoderator Edmund Wan muss derweil wegen “aufrührerischer” Äußerungen gegen die chinesische Regierung für mehr als zweieinhalb Jahre ins Gefängnis. Das erklärte das Bezirksgericht der Sonderverwaltungszone am Freitag. Der Online-Radiomoderator habe die Unabhängigkeit der Stadt und den Sturz der Regierung gefordert und damit “Öl ins Feuer” gegossen, so die Bezirksrichterin Adriana Noelle Tse Ching.

    Wan hatte in einer Sendung im Jahr 2020 den Sturz des früheren ukrainischen Staatschefs Viktor Janukowitsch zitiert und erklärt, die Hongkonger sollten auch ihre Regierungschefin Carrie Lam “ausweisen”. In einer anderen Sendung hatte er der Kommunistischen Partei die “kulturellen Auslöschung” von Minderheiten vorgeworfen und erklärt, Chinas Nationalflagge stehe für Autoritarismus.

    Die Richterin argumentierte, dass einige von Wans Aussagen nach der Verabschiedung des nationalen Sicherheitsgesetzes getätigt wurden. Das Gesetz wurde in Verbindung mit einem aus der Kolonialzeit stammenden Aufwiegelungsgesetz von der Regierung genutzt, um während der pro-demokratischen Proteste gegen Demonstranten und Aktivisten vorzugehen. fpe/fin

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    China bildet Polizisten von den Salomonen aus

    Eine Gruppe von 32 Polizeibeamten aus dem südpazifischen Staat der Salomonen ist nach China geflogen, um sich in polizeilichen Techniken ausbilden zu lassen und ihr Verständnis für die chinesische Kultur zu verbessern, wie die Royal Solomon Islands Police Force in einer Erklärung mitteilte.

    Seit der Unterzeichnung eines Sicherheitspakts zwischen den beiden Ländern im April hat China der Polizei auf den Salomonen nach eigenen Angaben Schulungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angeboten. Das Abkommen zwischen dem Pazifik-Staat und der Volksrepublik hatte die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten, darunter Australien, alarmiert.

    Auf einem Gipfeltreffen des Weißen Hauses mit den Staats- und Regierungschefs der Pazifikinseln im vergangenen Monat erklärten die Vereinigten Staaten, sie würden in diesem Jahr Ausbilder des FBI für die Strafverfolgung auf die Salomonen entsenden, um dem wachsenden Einfluss Chinas in der strategisch wichtigen Region entgegenzuwirken (China.Table berichtete).

    Der Premierminister der Salomonen, Manasseh Sogavare, hatte zuvor erklärt, dass Australien weiterhin der bevorzugte Sicherheitspartner des Landes sei, und bestritt, dass der Pakt mit China die Einrichtung einer Militärbasis ermöglichen würde. Australien hat die Polizei der Salomonen geschult und ist seit Jahrzehnten an der Unterstützung der Sicherheit auf den Inseln beteiligt. Als vergangenes Jahr Unruhen die Hauptstadt Honiara erschütterten, forderte Premierminister Manasseh Sogavare die australische Regierung auf, Verteidigungspersonal zu entsenden, um bei der Wiederherstellung der Ordnung zu helfen. mw

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    In Shanghai wird das Wasser knapp

    Um die Wasserversorgung zu sichern, hat Shanghai Notfallmaßnahmen ergriffen. Nach einer Verunreinigung zweier großer Stauseen durch Salzwasser musste die Wasserversorgung der 25 Millionen Einwohner der Küstenstadt vorübergehend eingestellt werden. Qingcaosha, der größte Stausee der Stadt, versorgt rund 13 Millionen Einwohner in elf der 16 Bezirke mit Wasser. Chenhang ist die Trinkwasserquelle für fünf Bezirke, in denen mehr als sieben Millionen Menschen leben.

    Angesichts der Wasserknappheit handeln die Behörden nun. Laut städtischer Wasserbehörde haben die Reservoirs begonnen, frisches Wasser zu speichern, um sich auf die nächste Flut vorzubereiten, mit der Salzwasser ins Binnenland gespült werden könnte. In der Zwischenzeit wird Wasser aus anderen Regionen nach Shanghai geleitet, um die normale Wasserversorgung der Stadt zu gewährleisten.

    Die Salzwasserflut wurde durch Taifune Anfang September verursacht. Gezeiten, Wind und Wellen drückten Meerwasser in den Jangtse. Salzfluten sind in Shanghai keine Seltenheit. Da die Stadt in der Nähe der Mündung des Jangtse liegt, tritt dieses Phänomen häufig auf.

    Bereits im August wurde Shanghai von einer Salzflut heimgesucht, als die Rekord-Dürre den Pegel des Jangtse hat fallen lassen. Die Strömung reichte nicht mehr aus, einen ausreichenden Druck gegen das Meerwasser aufzubauen. Es strömte daher flussaufwärts, heißt es in einer Erklärung der Wasserbehörde. China hat deutlich weniger als den Weltdurchschnitt an Wasser zur Verfügung (China.Table berichtete). Rund sieben Prozent der globalen Süßwasser-Vorkommen müssen rund 20 Prozent der Weltbevölkerung speisen. mw

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    Standpunkt

    Zum diplomatischen Umgang mit grundlegender politischer Differenz

    von Ralph Weber
    Ralph Weber, Professor für European Global Studies über mehr Transparenz bei der Kooperation mit China.
    Professor Ralph Weber von der Universität Basel

    Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen zwei Staaten ist ein historisch bedeutsames Ereignis. Runde Jahrestage werden feierlich und ritualisiert – also entlang diplomatischer Gepflogenheiten – begangen. Man versucht Misstöne zu vermeiden, lobt nach Möglichkeit das derzeitige Verhältnis und erzählt sich gegenseitig eine zurechtgerückte Geschichte der bisherigen Beziehungen.

    Für all das gibt es gute Gründe. Die Abwesenheit diplomatischer Beziehungen wird gemeinhin als ungünstiger, potentiell gar gefährlicher Zustand gewertet, der Abbruch von Beziehungen als Eskalation und ultima ratio verstanden.

    In diesem Jahr begehen Deutschland und China den 50. Jahrestag ihrer diplomatischen Beziehungen. Wie es liberalen Demokratien eigen ist, bietet ein solcher Anlass auch für zahlreiche Akteure der Zivilgesellschaft, der Medien, der Universitäten und der Wirtschaft eine Gelegenheit, sich zu äußern. Je nach Interessen und Agenden verhalten sich auch diese Akteure eher “diplomatisch”, oder dann in bewusster Abgrenzung dezidiert kritisch.

    Diplomatie bedeutet nicht, Differenzen einzuebnen

    Die Tatsache, dass die Volksrepublik China keine liberale Demokratie, sondern gemäß Verfassung “ein sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes” ist und im Land eine weiterhin weitgehend leninistisch organisierte Kommunistische Partei mit entsprechenden Ressourcen für politische Aktivitäten im Ausland herrscht, verkompliziert die Angelegenheit erheblich.

    Die weltpolitische Lage und die Spannungen mit der Volksrepublik China wegen deren Umgang mit Hongkong, mit tibetischen, uigurischen oder anderen Minderheiten, mit Dissidenten, Menschenrechtsanwälten oder Journalisten, aber auch das als neues Selbstbewusstsein apostrophierte weltweite Gebaren und Versuche der politischen Einflussnahme im Ausland haben die Diskussionen zu einer glaubwürdig wertebasierten Außenpolitik neu befeuert.

    Im Kern drehen sich einige dieser Diskussionen um ein grundsätzliches Dilemma in der Auseinandersetzung mit autoritären Regimen. Zunächst bedeuten diplomatische Beziehungen nicht mehr als eine formelle Anerkennung eines Staates durch einen anderen. Durch die gelebte Praxis der Beziehungen entstehen Interessen, für die jede Verschlechterung der Beziehungen einen Schaden bedeutet.

    Hieraus entspringt die Gefahr, dass über Zeit der formellen eine materielle Anerkennung folgt. Wie also setzt man sich als liberale Demokratie in ein Verhältnis zu einem autoritären Regime, ohne durch das eigene Tun und Sagen die fundamental trennende, normative politische Differenz zu normalisieren und damit einzuebnen? Vielleicht sogar die eigene Wertebasis zu unterminieren?

    Solange man eine Demokratisierung Chinas erwartete, schien die Überwindung politischen Differenz nur eine Frage der Zeit. Nachdem nun aber der Wandel ausgeblieben ist, steht die politische Differenz wieder viel deutlicher im Zentrum. Dazu kommt, dass in europäischen Gesellschaften intern autoritäre Bewegungen an Gewicht gewonnen haben, welche spaltend wirken und die Wertebasis liberaler Demokratien grundlegend zur Disposition stellen.

    Was könnte man nun also tun?

    Eine einfach umsetzbare Maßnahme betrifft die Wortwahl im Umgang mit der Volksrepublik. Die eigene Wertebasis sollte durch sie unmissverständlich deutlich gemacht werden. Nebst dem Einstehen für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gilt es aber auch subtilere Ebenen der Kommunikation zu beachten. Insbesondere gilt es, Einebnungsvokabular zu vermeiden. Das sind Worte, auf die sich beide Seiten in scheinbarem Konsens verständigen können.

    Unsere Werte spiegeln sich in der Wortwahl

    Zum Beispiel sollte man nicht, wie dies ein Mitglied der Schweizerischen Regierung getan hat, von “Partizipation der Bevölkerung” sprechen, wenn man damit die halb-direkte Demokratie auf Schweizer Seite und leninistischen demokratischen Zentralismus auf chinesischer Seite meint. Die jeweiligen Grade der Partizipation trennen schließlich Welten.

    Es ist auch nicht förderlich von “Menschenwürde” zu sprechen, wenn man eigentlich die “Menschenrechte” meint und angesichts der chinesischen Versuche, den Sinn der Menschenrechte im Kern auf den Kopf zu stellen, müsste man auch hier ausdifferenzieren und genauer formulieren. Adäquater ist es, in Interaktionen wo immer möglich die politische Differenz anzeigende, unterschiedliche Worte zu verwenden.

    Es geht auch darum, falschen Äquivalenten vorzubeugen. Die All-China Federation of Industry and Commerce (ACFIC, 中华全国工商业联合会) ist etwa keineswegs ein Pendant des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), sondern ein Organ der Einheitsfront am Zipfel der Kommunistischen Partei.

    Mit einer auf Differenzen bestehenden Kommunikation wird dem chinesischen Gegenüber auch mitgeteilt, dass man mit dem politischen System vertraut ist. Letztlich gilt es, Vokabular zu vermeiden, das etwa in der Propaganda und der Einheitsfrontarbeit der Kommunistischen Partei zentrale Verwendung findet. Darunter fallen subtiler Ausdrücke wie “Freunde” oder “Brücke”, offensichtlicher “win-win-Kooperation” oder “eine neue Ära”. Statt eines “Dialogs”, der von zivilgesellschaftlichen Kräften verfolgt wird, möchte man vielleicht lieber davon sprechen, dass man “Kontakte” unterhält oder die eigene “Position” übermittelt.

    Sprache wird seitens der Volksrepublik äußerst differenziert und bedacht verwendet. Gute Kenntnisse der Terminologie des chinesischen Parteistaats, sowie seiner Strukturen und Arbeitsweisen sind eine Voraussetzung dafür, die eigenen Positionen glaubhaft und mit eigens gewähltem Vokabular zu vertreten.

    Natürlich wird man nicht allein mit der Wortwahl die weltpolitische Lage und die Spannungen mit China zum eigenen Nutzen zu wenden vermögen. Nebst wohl überlegten Worten sind dafür sicherlich ebenso gut durchdachte Taten gefragt. Aber mit Sprache kommuniziert man stets auch nach innen, an die den Staat konstituierende Bevölkerung.

    Wenn nun der 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen gefeiert wird, wie er gefeiert werden soll, dann bestehen, trotz des Bestrebens sich “diplomatisch” ausdrücken zu wollen, sehr wohl Spielräume, die entsprechend ausgefüllt werden können, um die grundlegend politische Differenz zwischen der “Bundesrepublik” und der “Volksrepublik” anzuzeigen.

    Dieser Text ist eine gekürzte und leicht redigierte Fassung der Originalversion, die zuerst auf der Internetseite des Deutsch-Chinesischen Dialogforums erschienen ist.

    Ralph Weber ist Professor für European Global Studies an der Universität Basel in der Schweiz. Seine Forschungsgebiete umfassen die chinesische politische Philosophie, den modernen Konfuzianismus sowie die chinesische Politik. Er beschäftigt sich mit den europäisch-chinesischen Beziehungen und hat im Dezember 2020 eine viel beachtete Studie zur Einflussnahme des chinesischen Parteistaats in der Schweiz veröffentlicht.

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