Table.Briefing: China

Interview Klaus Mühlhahn + Lebensmittel aus dem Ausland

  • Sinologe Mühlhahn: “Xi hat keine guten Lösungen”
  • China kauft sich in Lieferketten für Nahrungsmittel ein
  • Wirtschaft kommt nur langsam in Schwung
  • Xi warnt vor Farb-Revolutionen
  • Sanktionen gegen US-Rüstungs-Chefs
  • Opel legt Expansions-Pläne auf Eis
  • Im Portrait: Rolf Langhammer – Wirtschaftsexperte und Hobby-Ahnenforscher
  • Zur Sprache: Rückenansichtsmord
Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist der China-Termin des Jahres: Am 16. Oktober findet der 20. Parteitag der KP Chinas statt. Xi Jinping wird sich zum dritten Mal zum Generalsekretär wählen lassen und die Amtszeitbegrenzung aufheben. Ein historischer Einschnitt. Doch was passiert hinter den Kulissen der Kommunistischen Partei? Da wird, wie in wohl jeder Partei, heftig um Posten und Einfluss gerungen. Michael Radunski sprach mit dem Sinologen Klaus Mühlhahn über die unterschiedlichen Strömungen in der KP, den steilen Weg an die Spitze und warum Xi Jinping zwar an politischem Einfluss verloren hat, aber beim Volk noch sehr beliebt ist.

Nach zwei Amtszeiten Xi Jinpings steht China am Scheideweg. Die geopolitischen Spannungen nehmen zu, die Null-Covid-Politik und die Probleme im Immobiliensektor bremsen das Wachstum stark ab und könnten den Präsidenten in die Bredouille bringen. Xi gibt dabei kein gutes Bild ab, so Mühlhahn. Eine Strategie, wie man die grundlegenden Probleme angehen will, sei nicht erkennbar. Und dennoch rechnet der China-Experte mit einer Öffnung des Landes nach dem Parteitag.

1,4 Milliarden Menschen zu ernähren, ist keine leichte Aufgabe. In China ist die Versorgung mit Lebensmitteln seit jeher ein sensibles Thema. Das Land besitzt im Verhältnis zu seiner Bevölkerungsgröße sehr wenig Agrarland. Der Klimawandel verschärft die Situation dazu noch weiter. Durch die Hitzewellen und Dürren drohen dieses Jahr Ernteausfälle. Um seine Bevölkerung zu ernähren, geht der Staat weltweit auf Shoppingtour. In zahlreichen Ländern besitzt China bereits Fabriken zur Lebensmittelverarbeitung, Land und Getreidesilos. Wie China dabei vorgeht und welche Konsequenzen das für andere Länder hat, berichtet Christiane Kühl. 

Ihr
Nico Beckert
Bild von Nico  Beckert

Interview

“Xi Jinping hat in der Partei deutlich an Macht verloren”

Klaus Mühlhahn spricht über Xi Jinping, den anstehenden Parteitag der KP und mehr.
Klaus Mühlhahn

Herr Mühlhahn, am 16. Oktober beginnt in Peking der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas. Was sind die großen Themen?

Ohne Zweifel die dritte Amtszeit von Xi Jinping. Das ist groß. Aber wirklich spannend sind andere Fragen.

Nämlich…

Wie wird das neue Politbüro aussehen? Wie das Zentralkomitee? Überall wird es einen enormen Personalaustausch geben. Und Köpfe bestimmen nun mal politische Ausrichtungen.

Aber es dringt leider nichts nach außen. Was bedeutet das: große Geschlossenheit in der KP China oder heftige Kämpfe hinter den Kulissen?

Gute Frage. Zwei Parteitage zurück, als Xi Jinping an die Macht kam, kursierten öffentlich etliche Namen. Xi war klar, auch Li Keqiang. Das ist dieses Mal völlig anders.

Xi ist wieder klar. Er wird an der Spitze der Partei bleiben.

Ja, durchaus. Aber schon den neuen Ministerpräsidenten werden Sie mir wohl nicht mehr nennen können, oder? Und das wenige Wochen vor dem Parteitag. Das ist doch sehr ungewöhnlich und hat es schon lange nicht mehr gegeben.

Und Sie haben sich gekonnt um meine Frage gedrückt: Was steckt aus Ihrer Sicht hinter der aktuellen Verschwiegenheit?

Also, der Termin für den Parteitag steht fest. Das heißt, die Entscheidungen sind nun gefallen. Dennoch vermute ich, dass es intern heftige Grabenkämpfe um die einzelnen Posten gegeben hat.

Heftige Grabenkämpfe – was bedeutet das für das große Ganze?

Das würde darauf hindeuten, dass Xi Jinping nicht einfach bestimmen konnte und dass Xi doch nicht so unangefochten in der Partei ist, wie viele im Ausland glauben.

Wenn es keine klaren Ansagen gibt, sondern mehrere Kandidaten, kommt es umso mehr auf den Auswahlprozess an. Wie muss man sich das vorstellen?

Hart, sehr hart. Das fängt im Grunde schon vor dem eigentlichen Auswahlprozess an.

Warum?

Wenn sie in Chinas Politik etwas werden wollen, haben sie nur ein ganz kleines Zeitfenster. Nehmen wir an, Sie wollen ins Politbüro, dann können Sie das nur in vier bestimmten Jahren ihres Lebens schaffen: Sie müssen zwischen Ende fünfzig, Anfang sechzig Jahre alt sein. Andernfalls können sie aufgrund der strikten Altersbegrenzung gar nicht zwei Amtszeiten à fünf Jahre schaffen.

Der Druck für einen Karrierepolitiker muss enorm sein.

Und auch die Folgen für das Land sind gravierend. Denn es bedeutet: Wegen dieser Regel kommen selbst in einem riesigen Land wie China nur ganz wenige Leute für die politische Führung infrage. Vielleicht gerade mal einige 100 Leute. Das sorgt für einen unglaublichen Druck auf die handelnden Personen.

Und dann muss ich ja auch noch einen Posten abbekommen. Nur wie?

Innerhalb der Partei gibt es verschiedene Gruppierungen, die jeweils versuchen, ihre eigenen Kandidaten durchzubringen.

Wen gibt es da so alles?

Beispielsweise den chinesischen Jugendverband. Der ist aktuell beispielsweise durch Li Keqiang und dessen Leute prominent vertreten. Eine andere große Gruppe sind die Prinzlinge, also Leute wie Xi Jinping, deren Eltern schon Führungspositionen innerhalb der Partei innehatten. Zudem gibt es die einflussreiche Shanghai-Gruppe. Auch die Inlandsprovinzen bilden eine Gruppe, um sich eng untereinander abzustimmen und ihre ganz eigenen Interessen durchzusetzen. Und zwischen all diesen Gruppen findet ein kompliziertes Auswählen statt.

Aufgrund dieser Vielfalt ist es undenkbar, dass alle Mitglieder des Politbüros beispielsweise aus der Shanghai-Gruppe kommen, so mächtig dieser Verbund auch sein mag. Also selbst in so einem undemokratischen Ein-Parteienstaat wie China, mit stark autokratischen Tendenzen, muss Xi Jinping die verschiedenen Interessen ausbalancieren.

Also ist Xi Jinping nicht der viel zitierte Alleinherrscher? Als er vor zwei Jahren die Amtszeitbegrenzung für sich aufhob, glaubten viele, jetzt schwebt er endgültig über allem. Wie hat sich die Lage seither verändert?

Xi hat in der Partei deutlich an Autorität und Glaubwürdigkeit verloren. Und das hat vor allem zwei Gründe. Erstens: Die Corona-Pandemie hat das Land enorm gebeutelt. Und Xis Covid-Politik steht sehr in der Kritik. Und zweitens: Die wirtschaftliche Situation ist sehr angespannt. Das beides zusammen setzt Xi unter Druck und schwächt insgesamt seine Position.  

Warum hat Xi überhaupt die Amtszeitbegrenzung aufgehoben?

Tja, das liegt wohl daran, wie die Amtszeit- und Altersbegrenzung von der Führung selbst wahrgenommen wird. Sie dürfen nur zwei Mal antreten und müssen zudem um die 60 Jahre alt sein, um in die Führung zu kommen. Da liegt es doch nahe, ein solches System als Hemmnis anzusehen. Vergleichen wir es mit Amerika: Dort wären die beiden letzten Präsidenten schon vor dem Auswahlprozess rausgefallen. Auch zahlreiche Senatoren. Und auch bei uns in Deutschland müssten ebenfalls viele aktive Politiker gehen.

Was wollen Sie damit sagen: Diese Regeln sind Quatsch?

Das habe ich nicht gesagt. Aber man muss die offizielle Argumentation zur Kenntnis nehmen- und die wird jenseits von Xi Jinping durchaus von vielen in China nachvollzogen: In einer akuten Krisenlage sollte ein Präsident nicht einfach wegen einer bürokratischen Regel aus dem Amt entfernt werden.

Aber die Aufhebung gilt nur für Xi, und nicht generell.

Die Verfassungsänderung gilt nicht nur für Xi, sondern generell für jeden zukünftigen Präsidenten. Trotzdem liegt hier ein Problem. Die Willkürlichkeit, mit der die Änderung durchgesetzt wurde. Xi denkt offenbar, dass es derzeit keinen verlässlichen Nachfolger für ihn gibt. Es ist doch sehr auffällig, dass auch überhaupt keine andere Person herangezogen wird für diese Position. Ich denke, das ist der entscheidende Punkt: Xis Glaube an die eigene Unersetzlichkeit.

Und das sehen Sie auch so? 

Möglichst objektiv gesehen: Mit Xi Jinping steht jemand an der Spitze Chinas, der das Land mit einer wahnsinnigen Energie und Konsequenz führt – das gilt auch, wenn man die Richtung, in der er das Land führt, nicht gutheißt. Der Mann hat jeden Tag öffentliche Termine und reist kreuz und quer durchs Land. Xi bewältigt ein irres Arbeitspensum.

Gehört wohl zum Posten des Staatspräsidenten dazu.

Nicht unbedingt. Für seinen Vorgänger Hu Jintao trifft das beispielsweise nicht zu, der sich weit weniger in der Öffentlichkeit zeigte. Und der vielfach bewunderte Deng Xiaoping verbrachte den halben Tag in Zhongnanhai mit Mahjong-Spielen. Xi ist zudem sehr volksnah, er hat ja geradezu populistische Züge. Zudem hat er den riesigen Apparat voll im Griff. Das ist erstaunlich, angesichts der Größe des Landes. Das gelingt nicht jedem. Aus dieser Perspektive muss man sagen: Xi Jinping ist ein effektiver Präsident. Deshalb hat er in der chinesischen Bevölkerung immer noch großen Rückhalt trotz der oben angesprochenen Fehler bei der Bekämpfung von Covid, die oft auch unteren Ebenen angelastet werden.

Oha, mit diesem Urteil werden Sie einige Leser vor den Kopf stoßen.

Das muss ich aushalten. Aber es gibt natürlich auch noch meine externe Perspektive als westlicher Ausländer auf Xi.

Und die sieht anders aus?

Absolut. Hier muss man feststellen, dass Xi in vielen Bereichen äußerst brutal und aggressiv vorgeht, etwa bei den Themen wie Xinjiang, Taiwan oder Hongkong. Hier geht er viele und auch große Risiken ein.

Was sind die größten Risiken für Xi?

Aktuell ist es ganz klar die schlechte wirtschaftliche Lage. Xi weiß, dass ohne wirtschaftliches Wachstum die gesamte Regierung enorm angreifbar wird – nicht nur für Kritik. Das ist ja der Deal mit der Bevölkerung, die für Wirtschaftswachstum die Einschränkung politischer Rechte in Kauf nimmt. Wenn das nicht mehr gilt, wenn Banken zusammenbrechen, eine Immobilienkrise Ersparnisse vernichtet, wenn die Menschen nicht mehr ihr Geld bekommen, wenn die Preise steigen – all das wird Xi in große Bredouille bringen.

Und wie schlägt er sich?

Man muss feststellen, dass Xi in diesem Bereich keine guten Lösungen hat. Man hat den Eindruck, dass jede Brandstelle hektisch gelöscht wird. Aber eine Strategie, wie man die grundlegenden Probleme angehen will, ist nicht erkennbar.

Spielen die geopolitischen Entwicklungen – die Rivalität zu den USA, der Ukraine-Krieg, Taiwan oder das Südchinesische Meer – keine Rolle auf dem Parteitag?

Doch, durchaus – und zwar in vielerlei Hinsicht. Auch bei der Auswahl des Personals wird das Internationale eine wichtige Rolle spielen, weil die Sorge groß ist, dass die aktuellen Verwerfungen zunehmen. Aus meiner Sicht gibt es kein Szenario, in dem China nicht auf die Welt angewiesen ist.

Das heißt, Sie rechnen nach dem Parteitag mit einer Öffnung?

Ja. Das liegt auch an den Leuten, die jetzt nachrücken. Schauen Sie, Xi Jinping gehört zur letzten Generation, die noch von der Kulturrevolution betroffen war. Die neue Garde wurde danach geboren. Sie haben in den liberalen 1980er Jahren studiert, viele davon 1989 an der Peking Universität, als die Demonstrationen waren. Diese Generation ist ganz anders sozialisiert.

Sie haben 1989 angesprochen. Damals kam es ja zu einem Bruch in der Art, wie das Ausland auf China geblickt hat – und viele Chinesen fühlen ihr Land ungerecht bewertet.

Richtig, und das gilt bis heute. Deshalb glaube ich, die neue Generation wird kosmopolitischer sein, aber nicht zwangsläufig weniger nationalistisch. Nationalismus war in jenen Jahren der Kitt und ist es auch heute noch, der die Spannungen und Risse innerhalb Chinas überbrückt. Die Politik gegenüber den USA wird sich nicht unbedingt verbessern, aber es gibt eine Chance zu mehr Offenheit.

Auch in Europa wird die Haltung gegenüber China derzeit sehr viel kritischer.

Es ist ja auch nicht falsch, gegenüber China kritisch zu sein. Aber es ist wichtig, dass wir auch in der jetzigen Phase in Kontakt bleiben – und sei es auch nur, um sich über Differenzen auszutauschen. Die Amerikaner machen das sehr viel besser, sie führen trotz ihrer verbalen Aufrüstung weiterhin intensive vertrauliche Gespräche mit den Chinesen. Bei uns in Deutschland ist aktuell das Misstrauen derart groß, dass fast jedes Gespräch als Komplizenschaft gedeutet wird.

Was bedeutet der Parteitag also für Europa und Deutschland?

Vor allem im Hinblick auf die neue Führungsgeneration sehe ich große Chancen für uns Europäer auf eine bessere Zusammenarbeit. Wir brauchen wieder Dialog. Europa kann es sich nicht leisten, dass China zu einer vollkommenen Blackbox wird.

Klaus Mühlhahn ist Sinologe, Gesellschafts- und Kulturwissenschaftler. Seit Juni 2020 ist er Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Seine neusten Bücher sind:

  • Zsm. mit Julia Haes: Hongkong: Umkämpfe Metropole Von 1841 bis heute, Herder Verlag, Mai 2022.
  • Geschichte des Modernen China – Von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart, C.H. Beck, Mai 2021.
  • 20. Parteitag
  • Innenpolitik der KP China
  • KP Chinas
  • Xi Jinping

Analyse

Lebensmittel aus aller Welt

Im April wurde durch Kämpfe zwischen ukrainischen und russischen Soldaten eine Sonnenblumen-Ölmühle des chinesischen Lebensmittelkonzerns Cofco Group in der Nähe der inzwischen weitgehend zerstörten Hafenstadt Mariupol zerstört. Ein Cofco-Getreideterminal in der Stadt Mykolaiv war von einem Angriff bedroht, blieb aber letztlich verschont. Durch diese Vorfälle erst wurde im Westen bekannt, wie viel China in die ukrainische Lebensmittelindustrie investiert hat.

Seit mehr als einem Jahrzehnt sind staatliche und private Unternehmen auf einer globalen Einkaufstour. Sie kaufen in zahlreichen Ländern Fabriken zur Lebensmittelverarbeitung, Land und Getreidesilos. Denn China kann sich allen Bemühungen zum Trotz nicht selbst versorgen. Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln übersteigt die landwirtschaftliche Produktion. Die Volksrepublik muss laut der japanischen Zeitung Nikkei Asia knapp ein Viertel seines Lebensmittelbedarfs importieren.

Dürre und Konflikte gefährden die Versorgung

Die Lebensmittelsicherheit ist seit langem ein großes Thema in China, dessen Agrarfläche pro Kopf weit unter dem Weltdurchschnitt liegt. Durch die rapide Urbanisierung und Industrialisierung wird diese Fläche immer kleiner, während die Bevölkerung noch leicht wächst. Nach Angaben des chinesischen Ministeriums für natürliche Ressourcen waren Ende 2019 nur noch 13 Prozent der Fläche Chinas für die Landwirtschaft geeignet, sechs Prozentpunkte weniger als zehn Jahre zuvor.

Darüber hinaus haben aufgrund der Klimakrise Überschwemmungen, Dürren und Hitzewellen zugenommen, wodurch die Erntemenge immer weniger verlässlich ist. Dieses Jahr ist es besonders schlimm: Anhaltende Hitze und Dürre in Zentral- und Südwestchina, gepaart mit Überschwemmungen im Nordosten bedrohen die Getreideernte im Herbst mit einem Volumen von Hunderten Millionen Tonnen. Nach einer Notfallsitzung mehrerer Ministerien im August wurde ein umfangreiches Maßnahmenpaket verkündet, um Ausfälle bei der Herbsternte zu minimieren, darunter Hilfsgelder und die Entsendung von Experten in betroffene Regionen (China.Table berichtete).

Xi will mehr Lebensmittel im Land produzieren

Trotz dieser Schwierigkeiten sind Lebensmittelimporte in China umstritten, laufen sie doch Xi Jinpings Anspruch zuwider, Abhängigkeiten gegenüber dem Ausland zu minimieren. “Die Lebensmittel des chinesischen Volkes müssen von Chinesen hergestellt werden und in ihren Händen bleiben”, sagte der Staatschef im Dezember im Staatsfernsehen.

Am 6. März wies Xi einem Bericht einer Staatszeitung zufolge die Vorstellung zurück, dass die Weltmärkte den Bedarf seines Landes decken könnten. Doch ist Xis Ziel, angesichts schrumpfender Ackerflächen und der steigenden Nachfrage einer wachsenden Mittelschicht überhaupt zu erreichen? Der nächstbeste Weg ist aus dieser Perspektive, so viel wie möglich mithilfe eigener Unternehmen aus dem Ausland nach China zu bringen. Hier kommen die Direktinvestitionen von Cofco & Co. ins Spiel.

Eigene Lebensmittelproduktion in Übersee

Seit 2014 hat Cofco eine Reihe multinationaler Getreidekonzerne übernommen. Auch besitzt der Staatskonzern Häfen, Terminals und Lagereinrichtungen in den wichtigsten Getreideanbaugebieten der Welt. Im April bekam Cofco International Brasil nach eigenen Angaben eine 25-jährige Konzession für ein neues Terminal für landwirtschaftliches Schüttgut im brasilianischen Hafen Santos. 60 Prozent der Getreide- und Ölsaaten-Vermögenswerte des Konzerns befinden sich demnach in Südamerika, vor allem in Argentinien und Brasilien. Aus Argentinien heraus ist Cofco der größte Exporteur von Getreide und Ölsaaten.

Das Unternehmen ist in vielen Länder aktiv: In Südamerika, Nordamerika und am Schwarzen Meer. “In der Schwarzmeerregion beziehen, lagern, verarbeiten und exportieren wir Weizen, Mais, Gerste und Ölsaaten aus der Ukraine und Russland”, teilte der Konzern vor dem Ukraine-Krieg mit. Das Überseegeschäft des Konzerns liegt laut Nikkei Asia bei über 100 Millionen Tonnen im Jahr.

Übernahmewelle durch Cofco & Co.

Nikkei nennt ein paar Beispiele für Cofco-Übernahmen seit 2014: das Hongkonger Unternehmen Nobel Agri, der niederländische Getreidehändler Nidera, die Getreidehandelsabteilung von Criddle & Co. in Großbritannien, das chilenische Weingut Bisquertt Vineyard und den französischen Weinproduzenten Chateau de Viaud, sowie 80 Prozent des australischen Zuckerherstellers Tully Sugar.

Hinzu kommen andere Firmen: In den letzten Jahren kaufte zum Beispiel Shuanghui International Holdings den amerikanischen Fleischproduzenten Smithfield Foods. ChemChina, das unter anderem Agrochemikalien produziert, übernahm das im gleichen Bereich operierende Schweizer Unternehmen Syngenta. ChemChina gehört – ebenso wie Cofco – in Brasilien und Argentinien zu den führenden Firmen in seiner Branche.

Chinesische Unternehmen, darunter Cofco und lokale Getreideunternehmen, hätten ihre internationalen Übernahmen in den letzten Jahren beschleunigt, zitierte Nikkei Asia Hu Bingchuan vom Institut für ländliche Entwicklung an der staatsnahen Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften. “Auch ohne den Ukraine-Krieg konzentrierte sich der globale Lebensmittelhandel zunehmend”, so Hu demnach. “Denn nur mehr Konzentration führt zu mehr Effizienz.” Auf diese Weise verankern sich Cofco & Co. immer stärker in den globalen Lieferketten für Agrarprodukte. Cofco etwa liefert nicht nur nach China, sondern auch in die EU, mit Distributionszentren in Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, den Niederlanden, Rumänien, Ungarn, sowie dem Vereinigten Königreich und der Türkei.

Widerstand bei Landerwerb durch chinesische Firmen

Schwieriger hatten es Chinas Konzerne beim Kauf von Agrarland im Ausland. Sie stießen schon in den 1990er Jahren in vielen Ländern auf Widerstand. Vor allem, weil China vor allem staatlich kontrollierte Firmen im Rahmen der “Going-Out”-Politik ins Ausland schickte – darunter das inzwischen auf der Sanktionsliste der USA und EU stehende Xinjiang Production and Construction Corps (XPCC).

Ein aktuelles Beispiel aus den USA: Der Senat des US-Bundesstaates North Dakota debattierte im August über den Gesetzesvorschlag des Senators Mike Rounds, Unternehmen mit Verbindungen zu China und anderen Ländern den Kauf von Land oder landwirtschaftlichen Betrieben in den USA zu verbieten. Auslöser war der Kauf von gut 120 Hektar Ackerland und einer Maismühle nahe der Kleinstadt Grand Forks in dem Bundesstaat durch die US-Tochter des privaten chinesischen Agrarunternehmens Fufeng. Der Fall beschäftigt aufgrund der Nähe des Areals zu einer Militäreinrichtung inzwischen mehrere Gerichte und Bundesbehörden, Ausgang offen.

Die Ernährungssicherheit dürfte auch auf dem anstehenden 20. Parteitag der Kommunistischen Partei wieder ein Thema sein. Was China plant, ist durchaus von Bedeutung für die gesamte Welt. So lagern in chinesischen Speichern Schätzungen zufolge schon jetzt mehr als die Hälfte der weltweiten Getreide- und Reisreserven. Das größte Risiko besteht laut Bloomberg darin, dass die Produktionsausfälle dieses Jahres den ohnehin schon hohen Importbedarf Chinas noch weiter steigern – und damit den Preisdruck in der übrigen Welt verstärken könnten. Dieser Druck ist durch den Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Lieferausfälle schon jetzt sehr hoch.

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News

Leichte Erholung der Wirtschaft

Chinas Wirtschaft zeigte im August leichte Anzeichen einer Erholung. Die Lage bleibt jedoch angespannt und fragil. Die Industrieproduktion, Einzelhandelsumsätze und Anlageinvestitionen wuchsen stärker als prognostiziert. Allerdings ist der Anstieg der Einzelhandelsumsätze statistisch bedingt und die höhere Industrieproduktion ging teilweise auf einen Anstieg der Stromproduktion aufgrund der Hitzewelle und somit auf einen Einmaleffekt zurück, wie Bloomberg berichtet. Auch die Auto-Produktion stieg an. Analysten gehen mittlerweile von einem Wachstum von 3,5 Prozent aus. Die Regierung hatte ein Ziel von 5,5 Prozent festgesetzt.

Belastet wird der Ausblick vor allem vom schrumpfenden Immobiliensektor, der mit sinkenden Hauspreisen, Investitionen und Verkäufen zu kämpfen hat. So brachen die Immobilieninvestitionen im August um 13,8 Prozent ein und damit so stark wie seit Dezember 2021 nicht mehr, wie die Nachrichtenagentur Reuters auf der Grundlage offizieller Daten berechnet hat. Die Schwäche des Immobiliensektors wirkt sich auch auf andere Industrien wie die Zementproduktion aus. Im August wurde 13 Prozent weniger Zement hergestellt im Vergleich zum Vorjahr. Die Preise für neue Eigenheime fielen um 1,3 Prozent – das ist sogar der stärkste Rückgang seit August 2015. Schon im Juli hatte es ein Minus gegeben, das aber mit 0,9 Prozent kleiner ausgefallen war.

Der Immobilienmarkt war über Jahre ein wichtiger Konjunkturmotor. Er schlittert jedoch seit Mitte 2020 von einer Krise in die nächste (China.Table berichtete). Ein Grund: Die Aufsichtsbehörden sind eingeschritten, um die hohe Verschuldung der Bauträger zu reduzieren. Viele Projekte wurden daher gestoppt. In den ersten acht Monaten des Jahres gingen die Immobilien-Verkäufe nach Fläche im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 23,0 Prozent zurück, was auf eine weiterhin schwache Nachfrage hinweist. nib/rtr

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Xi will “Farb-Revolutionen” abwehren

Chinas Präsident Xi Jinping hat auf dem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) zur gemeinsamen Abwehr von sogenannten Farb-Revolutionen aufgerufen. Die Mitgliedsstaaten sollten Versuche ausländischer Mächte verhindern, sich in die internen Angelegenheiten der SCO-Mitglieder einzumischen. Als Farb-Revolutionen werden Proteste gegen autoritäre Regierungen bezeichnet, die zu Regimewechsel in Serbien, Georgien, der Ukraine, dem Libanon und Kirgisien führten. Die Volksrepublik beschuldigt die USA seit längerem, weltweit Farb-Revolutionen zu unterstützen, um ihre Vormachtstellung zu sichern. Xi lud die SCO-Länder ein, sich Chinas globaler Sicherheits-Initiative anzuschließen.

Die bisherigen Mitglieder wollen zudem das wirtschafts- und sicherheitspolitische Bündnis vergrößern, um eine Gegenmacht gegen westliche Bündnisse zu schaffen. Iran will im Jahr 2023 als vollwertiges Mitglied am SCO-Gipfel teilnehmen. Belarus hat den Beitrittsprozess gestartet und die Türkei hat Interesse an einer Mitgliedschaft bekundet. Ägypten, Saudi-Arabien und Katar sind als Dialogpartner neu dazugestoßen. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait, Myanmar, Bahrain und die Malediven sollen in Kürze einen Prozess beginnen, um Dialogpartner der SCO zu werden. Allerdings gilt die SCO anders als beispielsweise die NATO nicht als einheitlicher Block. Es gibt Konflikte zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten, wie die Grenzkonflikte zwischen Indien und China. Zudem sind die SCO-Abkommen nicht rechtsverbindlich. nib

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  • Shanghai Cooperation Organisation
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Sanktionen gegen Chefs von Boeing Defense und Raytheon

China hat Sanktionen gegen die Vorsitzenden der US-Rüstungskonzerne Boeing Defense und Raytheon, Ted Colbert und Gregory Hayes, verhängt. Die Strafmaßnahmen seien eine Antwort auf Rüstungsverträge, die die beiden Unternehmen kürzlich mit Taiwan abgeschlossen hätten. Die chinesische Seite gab keine Details zu den Sanktionen bekannt oder wie diese durchgesetzt werden sollen. Das ist jedoch kein unübliches Vorgehen bei chinesischen Strafmaßnahmen. Keines der beiden Unternehmen verkauft Rüstungsgüter an China, doch beide sind im zivilen Luftfahrtgeschäft in der Volksrepublik aktiv. Peking hatte schon in der Vergangenheit Sanktionen gegen Raytheon, Boeing Defense und nicht näher bezeichnete Personen verhängt, die an Waffenverkäufen an Taiwan beteiligt gewesen sein sollen. nib

  • China-Sanktionen
  • Geopolitik
  • Militär
  • Taiwan

Opel stoppt geplante Expansion in China

Opel legt die vor gut einem Jahr angekündigte Expansion in China auf Eis. Angesichts der aktuellen Herausforderungen für die Automobilindustrie sei es für Opel wichtiger denn je, sich auf klare Prioritäten zu konzentrieren, erklärte das Unternehmen am Freitag auf Anfrage. “Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des erforderlichen Volumens, um einen wirklichen Effekt zu erzielen, lässt Opel die Pläne für einen Markteintritt in China derzeit ruhen.” Der zum italienisch-amerikanischen Stellantis-Konzern gehörende Rüsselsheimer Autobauer bereite jedoch weiterhin den Eintritt in neue Märkte vor, die schon mit kleineren Volumina eine gute Profitabilität versprächen.

Hintergrund der Entscheidung sind laut Handelsblatt wachsende geopolitische Spannungen zwischen der kommunistischen Führung in China auf der einen und den USA sowie der Europäischen Union auf der anderen Seite. Nationalistische Tendenzen in China, die drakonische Null-Covid-Politik und die Zuspitzung des Konflikts um die Unabhängigkeit von Taiwan erschwerten Opel den Markteintritt in die größte Absatzregion der Welt, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Unternehmenskreise. Zudem fehle es Opel aktuell an attraktiven Modellen, die sich spürbar von jenen der Konkurrenz unterschieden, um in China wirklich erfolgreich zu sein. rtr/nib

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Presseschau

Chinas Präsident geht auf Distanz zu Putin WELT
Gipfeltreffen in Usbekistan: Xi warnt vor Volksaufständen und “Einmischung” aus dem Ausland SPIEGEL
Is China reexporting Russian gas to Europe? DW
Russia’s security chief begins two-day visit to China on Sunday REUTERS
“Großer Sprung nach hinten”: China macht dicht N-TV
Analyse vom China-Versteher: Greift China Taiwan an? Immer wieder kursiert eine 2027 als Jahreszahl FOCUS
A new threat from China faces Taiwan’s military: Trolls with drones CNN
China Values UN Relationship Despite Human Rights Criticism BLOOMBERG
Ban on Chinese officials visiting Queen’s coffin reversed, angering MPs SMH
Taiwan “specially invited” to sign Queen’s condolence book THEGUARDIAN
Video zeigt dramatische Bilder: Chinesischer Wolkenkratzer in Flammen – Feuerinferno wütet über zahlreiche Etagen – Brand gelöscht RND
Türkei rückt Richtung Putin und China: Erdogan will SCO-Bündnis beitreten MERKUR
Pentagon Pushes Defense Companies to Limit Use of Chinese Supplies WSJ
Technologie-Konkurrenz: Nvidia-Exportverbot direkte Bedrohung für China und seine KI-Ambitionen FINANZMARKTWELT
Kehrtwende: Opel legt Expansion nach China auf Eis MANAGER-MAGAZIN
Bus-Unfall auf dem Weg zur Covid-Quarantäne: 27 Tote in China KURIER
Südostküste des Inselstaats: Zweites Erdbeben erschüttert Taiwan TAGESSCHAU
Taifun in Japan: Wetterdienst warnt vor “nie dagewesener” Gefahr – indes Tsunami-Warnung für Taiwan MERKUR
Menschenhandel: Chinas gekaufte Bräute aus Vietnam TAGESSCHAU
Beijing-backed Chinese language schools in UK to be replaced with teachers from Taiwan THEGUARDIAN
Chinas Wirtschaft wächst stärker als erwartet FAZ
New South Korean President Tries to Make His Mark on Foreign Policy NYTIMES
China’s Factories Accelerate Robotics Push as Workforce Shrinks WSJ
The empire of China’s copper tycoon is wobbling FORTUNE

Heads

Rolf Langhammer – Ahnenforschung in China

Rolf Langhammer, Wirtschaftswissenschaftler mit tiefer China-Kenntnis.
Rolf Langhammer, Wirtschaftswissenschaftler mit tiefer China-Kenntnis.

Vor zwanzig Jahren begab sich Rolf Langhammer auf eine Reise. Sie führte ihn bis ins China des frühen 20. Jahrhunderts, in ein zersplittertes, von Warlords regiertes Land zwischen Tradition und kultureller Erneuerung. Und schließlich sogar bis ins neuzeitliche Shanghai. Orientieren konnte er sich anhand der vielen Spuren, die sein Großvater während der Jahre im Ausland hinterlassen hatte: Briefwechsel mit der Familie in Deutschland, eine Passagierliste und ein Visum. Aus einem Dachbodenfund wurde Detektivarbeit und Rolf Langhammer zum Ahnenforscher.

Langhammer, 75, war lange Professor am Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Sein Spezialgebiet sind Entwicklungs- und Handelsfragen, besonders im asiatischen Raum. Er diente als Berater sowohl für eine Reihe internationaler Organisationen (EU, Weltbank, OECD) als auch für die Bundesministerien für Wirtschaft und wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Heute ist Rolf Langhammer vor allem als Gutachter und in der Wissenschaftskommunikation tätig. Dass es zwischen Deutschland und China quasi keine Forschungsbeziehungen gibt, bedrückt ihn. Doch trotz der vielen Probleme ist die Volksrepublik für ihn weiterhin ein wichtiger Themenschwerpunkt.

Handel mit chinesischem Haar

Als sein Großvater starb, war Langhammer selbst erst ein paar Monate alt. “Zum Glück gibt es noch viele Postkarten aus der Zeit”, sagt er. Als die Dokumente damals auf einem Dachboden auftauchten, ist er alles durchgegangen, er hat recherchiert und sich Stadtpläne von damals besorgt. Er wollte verstehen, wer sein Großvater war. Auf der Passagierliste des Reichspostdampfers “Bayern”, einem vergilbten Papierstück aus dem Jahre 1906, steht: “Von Europa nach Japan.” Eine Zeile tiefer: “Nach Shanghai”. Und dann: O. J. Langhammer. “Das ist er. Oskar Johannes Langhammer. Mein Großvater”, sagt Rolf Langhammer.

Der Großvater war in China lange für ein Hamburger Handelshaus tätig. Import, Export. Ein besonders gefragtes Gut war chinesisches Haar – für den Perückenmarkt in Europa. Hin und wieder verschickte der Großvater Dollarnoten zu den Verwandten im von der Hyperinflation gebeutelten Deutschland.

Der Großvater öffnet noch heute Türen

Dass Langhammer selbst einmal nach Shanghai fliegen und sich auf die Spuren seines Großvaters begeben würde, stand außer Frage. Er legte den Stadtplan von 1930 auf einen aktuellen, verglich Straßennamen und Häuserfronten – bis er 2012 vor dem Haus stand, das sein Großvater bewohnt hatte. So gewaltig die Veränderungen in Stadt und Land auch sind, das Haus im Art Déco-Stil sei dasselbe geblieben. Was ihm dabei durch den Kopf ging? “Wie gut es uns als Enkelgeneration doch geht.”

Wenn Langhammer heute nach China reist, nimmt er gerne die Aufenthaltsgenehmigung seines Großvaters mit – ein 1920 vom Warlord Chen Jiongming ausgestelltes Dokument. Augenzwinkernd sagt Langhammer, dass jeder Grenzbeamte vor Ehrfurcht erzittert, wenn das Dokument vorgezeigt wird. Das ist natürlich ein Scherz. Aber das Dokument findet bei seinen Kontakten im Land viel Anklang. “Jeder Chinese, dem ich das bislang zeigte, betrachtete mich sofort als alten Freund Chinas. Mit seiner Unterschrift und dem Schreiben geht man in China durch eine offene Tür”, sagt Langhammer. Die Chinesen seien eben sehr traditionsbewusst. Tim Winter

  • Export
  • Gesellschaft
  • Handel
  • Import

Personalien

Michael Hartl ist neu als Investment und Research Analyst bei Mosaic Venture Lab in Taipeh. Hartl war zuvor ebenfalls als Analyst bei Movtec Capital Partners tätig.

Tang Xing hat seinen Posten als CTO von Alibabas Auslands-E-Commerce-Geschäften und General Manager des AliExpress Basic Platform Center aufgegeben. Medienberichten zufolge plant Tang die Neugründung einer eigenen Firma. Um den freiwilligen Abgang des CTOs hatten es zuvor bereits Gerüchte gegeben.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Zur Sprache

Rückenansichtsmord

bèiyǐngshā - Rückenansichtsmord

Im Alltagstrott stapfen Sie durch die Fußgängerzone oder daddeln beim Schlangestehen an der Supermarktkasse gelangweilt am Handy … und dann das! Die Rücken-Silhouette eines gut gebauten Beau oder einer verführerischen Schönheit bringt Ihr Blut in Wallung und romantische Fantasien ins Rollen. Sie sind gedanklich schon auf der Suche nach einer pfiffigen Flirt-Punchline, doch dann: cut. Die Realität stellt Sie unter die kalte Dusche. Das Blatt wendet sich nämlich genau in dem Moment, als der beziehungsweise die schöne Fremde sich Ihnen zuwendet … und sich in der Vorderansicht als herbe Enttäuschung herausstellt.

Schon mal erlebt? Beim nächsten Mal müssen Sie beim Teilen einer solchen Story nicht mehr lange in der Wortkiste wühlen. Denn im Chinesischen gibt es einen passenden Begriff für genau dieses Szenario. 背影杀 bèiyǐngshā – wörtlich “Rückensilhouettenmord” (von背bèi “Rücken”, 影 yǐng “Schatten, Silhouette” und杀 shā “töten, killen”) lautet das Zauberwort. Es bringt in drei Silben genau das auf den Punkt, wofür man im Deutschen (sowie wohl auch in den meisten anderen Sprachen) einen kompletten Satz benötigt: das Zusammentreffen mit einem Mann/einer Frau, der/die nur von hinten gut aussieht (oder als Eselsbrücke einfach: hinten hui, vorne pfui). Und auch für die beschriebenen Protagonisten und Protagonistinnen, die romantischen Fantasien per Kehrtwende den Dolchstoß verpassen, gibt es im Chinesischen einen eigenen Namen, nämlich 背影杀手bèiyǐng shāshǒu – Rückenansichtskiller.

Chinesischer Slang: Weitere “Killer”

Im chinesischen Slang lauern uns übrigens noch weitere solcher “Killer” mit raffinierten Mordwerkzeugen oder mörderischen Strategien auf, die der Liebe auf den zweiten Blick ein jähes Ende bereiten. Auch für sie haben die Chinesen schlagfertiges Vokabular zur Beweissicherung definiert.

Im Profiling der visuellen Trickbetrüger kennt das Chinesische zum Beispiel noch den Mittelscheitelkiller (中分杀手 zhōngfēn shāshǒu). Gemeint sind – meist weibliche – Zeitgenossen, die ihre lange Mähne durch einen akkuraten Mittelscheitel (中分刘海 zhōngfēn liúhǎi) zielsicher genau so steuern, dass die Haare einen Großteil der äußeren Wangenpartie bedecken, wodurch der Anschein eines schmalen Gesichts geweckt wird – und das gilt in China als Schönheitsideal.

Einer Frisurenmasche bedient sich auch ein weiterer Schurke, nämlich der Pony-Killer (刘海杀手 liúhǎi shāshǒu) – gemeint sind natürlich Ponys auf der Stirn und nicht im Stall. Dieser modische Kniff kaschiert gekonnt eine unschöne oder unreine Stirnpartie und gaukelt so dem Betrachter auf Fotos oder in Natura makellose Schönheit vor. Endgegner für Pony-Mörder sind aber leider unerwartete Windböen, doch das nur am Rande. Und: Mittelscheitel- und Ponymord lassen sich natürlich auch super zum Serienmord – sprich doppelter Anwendung – kombinieren. Aber das ist nur etwas für Profikiller.

bèiyǐngshā: Rückenansischtsmord auch als Kompliment

Auf der Fahndungsliste der Optikpolizei findet sich außerdem noch der Sonnenbrillenmord (墨镜杀mòjìngshā). Dabei werden schwarze Panda-Augenringe nach durchzechten Nächten oder tief hängende Tränensäcke nach durchlebten Leben durch verdunkelte Gläser kaschiert und so jugendliche Frische vorgetäuscht. Unter Cyberkriminalität fallen dagegen die perfiden Tricks der Selfie-Killer (自拍杀手 zìpāi shāshǒu), die digitale Filter und Bildbearbeitung so meisterhaft beherrschen, dass sie uns im On-/Offline-Vergleich bei der ersten realen Begegnung ein böses Erwachen bescheren. Und spätestens seit Corona sorgt auch der Mund- und Nasenschutzmörder (口罩杀手 kǒuzhào shāshǒu) für den einen oder anderen Realitätsschock, wenn neue Bekanntschaften bei überschaubarem Infektionsgeschehen erstmals lasziv die Maske abstreifen und uns so die Kugel geben.

Wie es Kriminalfälle manchmal so an sich haben, nimmt unsere mörderische Sprachgeschichte am Schluss aber sogar noch eine überraschende semantische Wendung. Denn neuerdings wird der “Rückenanblickskill” auch als Kompliment gebraucht! Chinesischen Wortakrobaten ist es mittlerweile oft schnuppe, ob sich hinter einem perfekten Rücken am Ende auch tatsächlich ein ähnlich entzückendes Gesicht verbirgt. 背影杀bèiyǐngshā wird deshalb auch als Kompliment verwendet, für alle Augenschmäuse, die schmachtenden Betrachtern allein schon durch ihre perfekte Rückansicht den Rest geben (sodass der Vorderanblick uns eigentlich auch gestohlen bleiben kann). 背影杀bèiyǐngshā ist in China mittlerweile sogar Namenspate für ein eigenes Fotogenre, bei dem entzückende Rückenansichten im Fokus stehen. Als verwandte Begriffe haben sich auch noch der “Smilekiller” (微笑杀wēixiàoshā) – jemand, der mit einem unwiderstehlichen Lächeln die Umwelt gefügig macht – sowie die “Profilkiller” (mit “l” für Profil) durchgesetzt – Mitmenschen oder Stars mit einem unwiderstehlichen Gesichtsprofil (侧颜杀 cèyánshā) beziehungsweise mit einer unschlagbaren seitlichen Silhouettenansicht (侧影杀 cèyǐngshā).

Vielleicht sollten wir aber auch gar nicht so ein Mordsaufheben um alle Optik machen. Schließlich hat ja jeder auch so seine Schokoladenseite – alles nur eine Frage des Blickwinkels eben.

Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

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China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Sinologe Mühlhahn: “Xi hat keine guten Lösungen”
    • China kauft sich in Lieferketten für Nahrungsmittel ein
    • Wirtschaft kommt nur langsam in Schwung
    • Xi warnt vor Farb-Revolutionen
    • Sanktionen gegen US-Rüstungs-Chefs
    • Opel legt Expansions-Pläne auf Eis
    • Im Portrait: Rolf Langhammer – Wirtschaftsexperte und Hobby-Ahnenforscher
    • Zur Sprache: Rückenansichtsmord
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    es ist der China-Termin des Jahres: Am 16. Oktober findet der 20. Parteitag der KP Chinas statt. Xi Jinping wird sich zum dritten Mal zum Generalsekretär wählen lassen und die Amtszeitbegrenzung aufheben. Ein historischer Einschnitt. Doch was passiert hinter den Kulissen der Kommunistischen Partei? Da wird, wie in wohl jeder Partei, heftig um Posten und Einfluss gerungen. Michael Radunski sprach mit dem Sinologen Klaus Mühlhahn über die unterschiedlichen Strömungen in der KP, den steilen Weg an die Spitze und warum Xi Jinping zwar an politischem Einfluss verloren hat, aber beim Volk noch sehr beliebt ist.

    Nach zwei Amtszeiten Xi Jinpings steht China am Scheideweg. Die geopolitischen Spannungen nehmen zu, die Null-Covid-Politik und die Probleme im Immobiliensektor bremsen das Wachstum stark ab und könnten den Präsidenten in die Bredouille bringen. Xi gibt dabei kein gutes Bild ab, so Mühlhahn. Eine Strategie, wie man die grundlegenden Probleme angehen will, sei nicht erkennbar. Und dennoch rechnet der China-Experte mit einer Öffnung des Landes nach dem Parteitag.

    1,4 Milliarden Menschen zu ernähren, ist keine leichte Aufgabe. In China ist die Versorgung mit Lebensmitteln seit jeher ein sensibles Thema. Das Land besitzt im Verhältnis zu seiner Bevölkerungsgröße sehr wenig Agrarland. Der Klimawandel verschärft die Situation dazu noch weiter. Durch die Hitzewellen und Dürren drohen dieses Jahr Ernteausfälle. Um seine Bevölkerung zu ernähren, geht der Staat weltweit auf Shoppingtour. In zahlreichen Ländern besitzt China bereits Fabriken zur Lebensmittelverarbeitung, Land und Getreidesilos. Wie China dabei vorgeht und welche Konsequenzen das für andere Länder hat, berichtet Christiane Kühl. 

    Ihr
    Nico Beckert
    Bild von Nico  Beckert

    Interview

    “Xi Jinping hat in der Partei deutlich an Macht verloren”

    Klaus Mühlhahn spricht über Xi Jinping, den anstehenden Parteitag der KP und mehr.
    Klaus Mühlhahn

    Herr Mühlhahn, am 16. Oktober beginnt in Peking der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas. Was sind die großen Themen?

    Ohne Zweifel die dritte Amtszeit von Xi Jinping. Das ist groß. Aber wirklich spannend sind andere Fragen.

    Nämlich…

    Wie wird das neue Politbüro aussehen? Wie das Zentralkomitee? Überall wird es einen enormen Personalaustausch geben. Und Köpfe bestimmen nun mal politische Ausrichtungen.

    Aber es dringt leider nichts nach außen. Was bedeutet das: große Geschlossenheit in der KP China oder heftige Kämpfe hinter den Kulissen?

    Gute Frage. Zwei Parteitage zurück, als Xi Jinping an die Macht kam, kursierten öffentlich etliche Namen. Xi war klar, auch Li Keqiang. Das ist dieses Mal völlig anders.

    Xi ist wieder klar. Er wird an der Spitze der Partei bleiben.

    Ja, durchaus. Aber schon den neuen Ministerpräsidenten werden Sie mir wohl nicht mehr nennen können, oder? Und das wenige Wochen vor dem Parteitag. Das ist doch sehr ungewöhnlich und hat es schon lange nicht mehr gegeben.

    Und Sie haben sich gekonnt um meine Frage gedrückt: Was steckt aus Ihrer Sicht hinter der aktuellen Verschwiegenheit?

    Also, der Termin für den Parteitag steht fest. Das heißt, die Entscheidungen sind nun gefallen. Dennoch vermute ich, dass es intern heftige Grabenkämpfe um die einzelnen Posten gegeben hat.

    Heftige Grabenkämpfe – was bedeutet das für das große Ganze?

    Das würde darauf hindeuten, dass Xi Jinping nicht einfach bestimmen konnte und dass Xi doch nicht so unangefochten in der Partei ist, wie viele im Ausland glauben.

    Wenn es keine klaren Ansagen gibt, sondern mehrere Kandidaten, kommt es umso mehr auf den Auswahlprozess an. Wie muss man sich das vorstellen?

    Hart, sehr hart. Das fängt im Grunde schon vor dem eigentlichen Auswahlprozess an.

    Warum?

    Wenn sie in Chinas Politik etwas werden wollen, haben sie nur ein ganz kleines Zeitfenster. Nehmen wir an, Sie wollen ins Politbüro, dann können Sie das nur in vier bestimmten Jahren ihres Lebens schaffen: Sie müssen zwischen Ende fünfzig, Anfang sechzig Jahre alt sein. Andernfalls können sie aufgrund der strikten Altersbegrenzung gar nicht zwei Amtszeiten à fünf Jahre schaffen.

    Der Druck für einen Karrierepolitiker muss enorm sein.

    Und auch die Folgen für das Land sind gravierend. Denn es bedeutet: Wegen dieser Regel kommen selbst in einem riesigen Land wie China nur ganz wenige Leute für die politische Führung infrage. Vielleicht gerade mal einige 100 Leute. Das sorgt für einen unglaublichen Druck auf die handelnden Personen.

    Und dann muss ich ja auch noch einen Posten abbekommen. Nur wie?

    Innerhalb der Partei gibt es verschiedene Gruppierungen, die jeweils versuchen, ihre eigenen Kandidaten durchzubringen.

    Wen gibt es da so alles?

    Beispielsweise den chinesischen Jugendverband. Der ist aktuell beispielsweise durch Li Keqiang und dessen Leute prominent vertreten. Eine andere große Gruppe sind die Prinzlinge, also Leute wie Xi Jinping, deren Eltern schon Führungspositionen innerhalb der Partei innehatten. Zudem gibt es die einflussreiche Shanghai-Gruppe. Auch die Inlandsprovinzen bilden eine Gruppe, um sich eng untereinander abzustimmen und ihre ganz eigenen Interessen durchzusetzen. Und zwischen all diesen Gruppen findet ein kompliziertes Auswählen statt.

    Aufgrund dieser Vielfalt ist es undenkbar, dass alle Mitglieder des Politbüros beispielsweise aus der Shanghai-Gruppe kommen, so mächtig dieser Verbund auch sein mag. Also selbst in so einem undemokratischen Ein-Parteienstaat wie China, mit stark autokratischen Tendenzen, muss Xi Jinping die verschiedenen Interessen ausbalancieren.

    Also ist Xi Jinping nicht der viel zitierte Alleinherrscher? Als er vor zwei Jahren die Amtszeitbegrenzung für sich aufhob, glaubten viele, jetzt schwebt er endgültig über allem. Wie hat sich die Lage seither verändert?

    Xi hat in der Partei deutlich an Autorität und Glaubwürdigkeit verloren. Und das hat vor allem zwei Gründe. Erstens: Die Corona-Pandemie hat das Land enorm gebeutelt. Und Xis Covid-Politik steht sehr in der Kritik. Und zweitens: Die wirtschaftliche Situation ist sehr angespannt. Das beides zusammen setzt Xi unter Druck und schwächt insgesamt seine Position.  

    Warum hat Xi überhaupt die Amtszeitbegrenzung aufgehoben?

    Tja, das liegt wohl daran, wie die Amtszeit- und Altersbegrenzung von der Führung selbst wahrgenommen wird. Sie dürfen nur zwei Mal antreten und müssen zudem um die 60 Jahre alt sein, um in die Führung zu kommen. Da liegt es doch nahe, ein solches System als Hemmnis anzusehen. Vergleichen wir es mit Amerika: Dort wären die beiden letzten Präsidenten schon vor dem Auswahlprozess rausgefallen. Auch zahlreiche Senatoren. Und auch bei uns in Deutschland müssten ebenfalls viele aktive Politiker gehen.

    Was wollen Sie damit sagen: Diese Regeln sind Quatsch?

    Das habe ich nicht gesagt. Aber man muss die offizielle Argumentation zur Kenntnis nehmen- und die wird jenseits von Xi Jinping durchaus von vielen in China nachvollzogen: In einer akuten Krisenlage sollte ein Präsident nicht einfach wegen einer bürokratischen Regel aus dem Amt entfernt werden.

    Aber die Aufhebung gilt nur für Xi, und nicht generell.

    Die Verfassungsänderung gilt nicht nur für Xi, sondern generell für jeden zukünftigen Präsidenten. Trotzdem liegt hier ein Problem. Die Willkürlichkeit, mit der die Änderung durchgesetzt wurde. Xi denkt offenbar, dass es derzeit keinen verlässlichen Nachfolger für ihn gibt. Es ist doch sehr auffällig, dass auch überhaupt keine andere Person herangezogen wird für diese Position. Ich denke, das ist der entscheidende Punkt: Xis Glaube an die eigene Unersetzlichkeit.

    Und das sehen Sie auch so? 

    Möglichst objektiv gesehen: Mit Xi Jinping steht jemand an der Spitze Chinas, der das Land mit einer wahnsinnigen Energie und Konsequenz führt – das gilt auch, wenn man die Richtung, in der er das Land führt, nicht gutheißt. Der Mann hat jeden Tag öffentliche Termine und reist kreuz und quer durchs Land. Xi bewältigt ein irres Arbeitspensum.

    Gehört wohl zum Posten des Staatspräsidenten dazu.

    Nicht unbedingt. Für seinen Vorgänger Hu Jintao trifft das beispielsweise nicht zu, der sich weit weniger in der Öffentlichkeit zeigte. Und der vielfach bewunderte Deng Xiaoping verbrachte den halben Tag in Zhongnanhai mit Mahjong-Spielen. Xi ist zudem sehr volksnah, er hat ja geradezu populistische Züge. Zudem hat er den riesigen Apparat voll im Griff. Das ist erstaunlich, angesichts der Größe des Landes. Das gelingt nicht jedem. Aus dieser Perspektive muss man sagen: Xi Jinping ist ein effektiver Präsident. Deshalb hat er in der chinesischen Bevölkerung immer noch großen Rückhalt trotz der oben angesprochenen Fehler bei der Bekämpfung von Covid, die oft auch unteren Ebenen angelastet werden.

    Oha, mit diesem Urteil werden Sie einige Leser vor den Kopf stoßen.

    Das muss ich aushalten. Aber es gibt natürlich auch noch meine externe Perspektive als westlicher Ausländer auf Xi.

    Und die sieht anders aus?

    Absolut. Hier muss man feststellen, dass Xi in vielen Bereichen äußerst brutal und aggressiv vorgeht, etwa bei den Themen wie Xinjiang, Taiwan oder Hongkong. Hier geht er viele und auch große Risiken ein.

    Was sind die größten Risiken für Xi?

    Aktuell ist es ganz klar die schlechte wirtschaftliche Lage. Xi weiß, dass ohne wirtschaftliches Wachstum die gesamte Regierung enorm angreifbar wird – nicht nur für Kritik. Das ist ja der Deal mit der Bevölkerung, die für Wirtschaftswachstum die Einschränkung politischer Rechte in Kauf nimmt. Wenn das nicht mehr gilt, wenn Banken zusammenbrechen, eine Immobilienkrise Ersparnisse vernichtet, wenn die Menschen nicht mehr ihr Geld bekommen, wenn die Preise steigen – all das wird Xi in große Bredouille bringen.

    Und wie schlägt er sich?

    Man muss feststellen, dass Xi in diesem Bereich keine guten Lösungen hat. Man hat den Eindruck, dass jede Brandstelle hektisch gelöscht wird. Aber eine Strategie, wie man die grundlegenden Probleme angehen will, ist nicht erkennbar.

    Spielen die geopolitischen Entwicklungen – die Rivalität zu den USA, der Ukraine-Krieg, Taiwan oder das Südchinesische Meer – keine Rolle auf dem Parteitag?

    Doch, durchaus – und zwar in vielerlei Hinsicht. Auch bei der Auswahl des Personals wird das Internationale eine wichtige Rolle spielen, weil die Sorge groß ist, dass die aktuellen Verwerfungen zunehmen. Aus meiner Sicht gibt es kein Szenario, in dem China nicht auf die Welt angewiesen ist.

    Das heißt, Sie rechnen nach dem Parteitag mit einer Öffnung?

    Ja. Das liegt auch an den Leuten, die jetzt nachrücken. Schauen Sie, Xi Jinping gehört zur letzten Generation, die noch von der Kulturrevolution betroffen war. Die neue Garde wurde danach geboren. Sie haben in den liberalen 1980er Jahren studiert, viele davon 1989 an der Peking Universität, als die Demonstrationen waren. Diese Generation ist ganz anders sozialisiert.

    Sie haben 1989 angesprochen. Damals kam es ja zu einem Bruch in der Art, wie das Ausland auf China geblickt hat – und viele Chinesen fühlen ihr Land ungerecht bewertet.

    Richtig, und das gilt bis heute. Deshalb glaube ich, die neue Generation wird kosmopolitischer sein, aber nicht zwangsläufig weniger nationalistisch. Nationalismus war in jenen Jahren der Kitt und ist es auch heute noch, der die Spannungen und Risse innerhalb Chinas überbrückt. Die Politik gegenüber den USA wird sich nicht unbedingt verbessern, aber es gibt eine Chance zu mehr Offenheit.

    Auch in Europa wird die Haltung gegenüber China derzeit sehr viel kritischer.

    Es ist ja auch nicht falsch, gegenüber China kritisch zu sein. Aber es ist wichtig, dass wir auch in der jetzigen Phase in Kontakt bleiben – und sei es auch nur, um sich über Differenzen auszutauschen. Die Amerikaner machen das sehr viel besser, sie führen trotz ihrer verbalen Aufrüstung weiterhin intensive vertrauliche Gespräche mit den Chinesen. Bei uns in Deutschland ist aktuell das Misstrauen derart groß, dass fast jedes Gespräch als Komplizenschaft gedeutet wird.

    Was bedeutet der Parteitag also für Europa und Deutschland?

    Vor allem im Hinblick auf die neue Führungsgeneration sehe ich große Chancen für uns Europäer auf eine bessere Zusammenarbeit. Wir brauchen wieder Dialog. Europa kann es sich nicht leisten, dass China zu einer vollkommenen Blackbox wird.

    Klaus Mühlhahn ist Sinologe, Gesellschafts- und Kulturwissenschaftler. Seit Juni 2020 ist er Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Seine neusten Bücher sind:

    • Zsm. mit Julia Haes: Hongkong: Umkämpfe Metropole Von 1841 bis heute, Herder Verlag, Mai 2022.
    • Geschichte des Modernen China – Von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart, C.H. Beck, Mai 2021.
    • 20. Parteitag
    • Innenpolitik der KP China
    • KP Chinas
    • Xi Jinping

    Analyse

    Lebensmittel aus aller Welt

    Im April wurde durch Kämpfe zwischen ukrainischen und russischen Soldaten eine Sonnenblumen-Ölmühle des chinesischen Lebensmittelkonzerns Cofco Group in der Nähe der inzwischen weitgehend zerstörten Hafenstadt Mariupol zerstört. Ein Cofco-Getreideterminal in der Stadt Mykolaiv war von einem Angriff bedroht, blieb aber letztlich verschont. Durch diese Vorfälle erst wurde im Westen bekannt, wie viel China in die ukrainische Lebensmittelindustrie investiert hat.

    Seit mehr als einem Jahrzehnt sind staatliche und private Unternehmen auf einer globalen Einkaufstour. Sie kaufen in zahlreichen Ländern Fabriken zur Lebensmittelverarbeitung, Land und Getreidesilos. Denn China kann sich allen Bemühungen zum Trotz nicht selbst versorgen. Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln übersteigt die landwirtschaftliche Produktion. Die Volksrepublik muss laut der japanischen Zeitung Nikkei Asia knapp ein Viertel seines Lebensmittelbedarfs importieren.

    Dürre und Konflikte gefährden die Versorgung

    Die Lebensmittelsicherheit ist seit langem ein großes Thema in China, dessen Agrarfläche pro Kopf weit unter dem Weltdurchschnitt liegt. Durch die rapide Urbanisierung und Industrialisierung wird diese Fläche immer kleiner, während die Bevölkerung noch leicht wächst. Nach Angaben des chinesischen Ministeriums für natürliche Ressourcen waren Ende 2019 nur noch 13 Prozent der Fläche Chinas für die Landwirtschaft geeignet, sechs Prozentpunkte weniger als zehn Jahre zuvor.

    Darüber hinaus haben aufgrund der Klimakrise Überschwemmungen, Dürren und Hitzewellen zugenommen, wodurch die Erntemenge immer weniger verlässlich ist. Dieses Jahr ist es besonders schlimm: Anhaltende Hitze und Dürre in Zentral- und Südwestchina, gepaart mit Überschwemmungen im Nordosten bedrohen die Getreideernte im Herbst mit einem Volumen von Hunderten Millionen Tonnen. Nach einer Notfallsitzung mehrerer Ministerien im August wurde ein umfangreiches Maßnahmenpaket verkündet, um Ausfälle bei der Herbsternte zu minimieren, darunter Hilfsgelder und die Entsendung von Experten in betroffene Regionen (China.Table berichtete).

    Xi will mehr Lebensmittel im Land produzieren

    Trotz dieser Schwierigkeiten sind Lebensmittelimporte in China umstritten, laufen sie doch Xi Jinpings Anspruch zuwider, Abhängigkeiten gegenüber dem Ausland zu minimieren. “Die Lebensmittel des chinesischen Volkes müssen von Chinesen hergestellt werden und in ihren Händen bleiben”, sagte der Staatschef im Dezember im Staatsfernsehen.

    Am 6. März wies Xi einem Bericht einer Staatszeitung zufolge die Vorstellung zurück, dass die Weltmärkte den Bedarf seines Landes decken könnten. Doch ist Xis Ziel, angesichts schrumpfender Ackerflächen und der steigenden Nachfrage einer wachsenden Mittelschicht überhaupt zu erreichen? Der nächstbeste Weg ist aus dieser Perspektive, so viel wie möglich mithilfe eigener Unternehmen aus dem Ausland nach China zu bringen. Hier kommen die Direktinvestitionen von Cofco & Co. ins Spiel.

    Eigene Lebensmittelproduktion in Übersee

    Seit 2014 hat Cofco eine Reihe multinationaler Getreidekonzerne übernommen. Auch besitzt der Staatskonzern Häfen, Terminals und Lagereinrichtungen in den wichtigsten Getreideanbaugebieten der Welt. Im April bekam Cofco International Brasil nach eigenen Angaben eine 25-jährige Konzession für ein neues Terminal für landwirtschaftliches Schüttgut im brasilianischen Hafen Santos. 60 Prozent der Getreide- und Ölsaaten-Vermögenswerte des Konzerns befinden sich demnach in Südamerika, vor allem in Argentinien und Brasilien. Aus Argentinien heraus ist Cofco der größte Exporteur von Getreide und Ölsaaten.

    Das Unternehmen ist in vielen Länder aktiv: In Südamerika, Nordamerika und am Schwarzen Meer. “In der Schwarzmeerregion beziehen, lagern, verarbeiten und exportieren wir Weizen, Mais, Gerste und Ölsaaten aus der Ukraine und Russland”, teilte der Konzern vor dem Ukraine-Krieg mit. Das Überseegeschäft des Konzerns liegt laut Nikkei Asia bei über 100 Millionen Tonnen im Jahr.

    Übernahmewelle durch Cofco & Co.

    Nikkei nennt ein paar Beispiele für Cofco-Übernahmen seit 2014: das Hongkonger Unternehmen Nobel Agri, der niederländische Getreidehändler Nidera, die Getreidehandelsabteilung von Criddle & Co. in Großbritannien, das chilenische Weingut Bisquertt Vineyard und den französischen Weinproduzenten Chateau de Viaud, sowie 80 Prozent des australischen Zuckerherstellers Tully Sugar.

    Hinzu kommen andere Firmen: In den letzten Jahren kaufte zum Beispiel Shuanghui International Holdings den amerikanischen Fleischproduzenten Smithfield Foods. ChemChina, das unter anderem Agrochemikalien produziert, übernahm das im gleichen Bereich operierende Schweizer Unternehmen Syngenta. ChemChina gehört – ebenso wie Cofco – in Brasilien und Argentinien zu den führenden Firmen in seiner Branche.

    Chinesische Unternehmen, darunter Cofco und lokale Getreideunternehmen, hätten ihre internationalen Übernahmen in den letzten Jahren beschleunigt, zitierte Nikkei Asia Hu Bingchuan vom Institut für ländliche Entwicklung an der staatsnahen Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften. “Auch ohne den Ukraine-Krieg konzentrierte sich der globale Lebensmittelhandel zunehmend”, so Hu demnach. “Denn nur mehr Konzentration führt zu mehr Effizienz.” Auf diese Weise verankern sich Cofco & Co. immer stärker in den globalen Lieferketten für Agrarprodukte. Cofco etwa liefert nicht nur nach China, sondern auch in die EU, mit Distributionszentren in Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, den Niederlanden, Rumänien, Ungarn, sowie dem Vereinigten Königreich und der Türkei.

    Widerstand bei Landerwerb durch chinesische Firmen

    Schwieriger hatten es Chinas Konzerne beim Kauf von Agrarland im Ausland. Sie stießen schon in den 1990er Jahren in vielen Ländern auf Widerstand. Vor allem, weil China vor allem staatlich kontrollierte Firmen im Rahmen der “Going-Out”-Politik ins Ausland schickte – darunter das inzwischen auf der Sanktionsliste der USA und EU stehende Xinjiang Production and Construction Corps (XPCC).

    Ein aktuelles Beispiel aus den USA: Der Senat des US-Bundesstaates North Dakota debattierte im August über den Gesetzesvorschlag des Senators Mike Rounds, Unternehmen mit Verbindungen zu China und anderen Ländern den Kauf von Land oder landwirtschaftlichen Betrieben in den USA zu verbieten. Auslöser war der Kauf von gut 120 Hektar Ackerland und einer Maismühle nahe der Kleinstadt Grand Forks in dem Bundesstaat durch die US-Tochter des privaten chinesischen Agrarunternehmens Fufeng. Der Fall beschäftigt aufgrund der Nähe des Areals zu einer Militäreinrichtung inzwischen mehrere Gerichte und Bundesbehörden, Ausgang offen.

    Die Ernährungssicherheit dürfte auch auf dem anstehenden 20. Parteitag der Kommunistischen Partei wieder ein Thema sein. Was China plant, ist durchaus von Bedeutung für die gesamte Welt. So lagern in chinesischen Speichern Schätzungen zufolge schon jetzt mehr als die Hälfte der weltweiten Getreide- und Reisreserven. Das größte Risiko besteht laut Bloomberg darin, dass die Produktionsausfälle dieses Jahres den ohnehin schon hohen Importbedarf Chinas noch weiter steigern – und damit den Preisdruck in der übrigen Welt verstärken könnten. Dieser Druck ist durch den Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Lieferausfälle schon jetzt sehr hoch.

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    News

    Leichte Erholung der Wirtschaft

    Chinas Wirtschaft zeigte im August leichte Anzeichen einer Erholung. Die Lage bleibt jedoch angespannt und fragil. Die Industrieproduktion, Einzelhandelsumsätze und Anlageinvestitionen wuchsen stärker als prognostiziert. Allerdings ist der Anstieg der Einzelhandelsumsätze statistisch bedingt und die höhere Industrieproduktion ging teilweise auf einen Anstieg der Stromproduktion aufgrund der Hitzewelle und somit auf einen Einmaleffekt zurück, wie Bloomberg berichtet. Auch die Auto-Produktion stieg an. Analysten gehen mittlerweile von einem Wachstum von 3,5 Prozent aus. Die Regierung hatte ein Ziel von 5,5 Prozent festgesetzt.

    Belastet wird der Ausblick vor allem vom schrumpfenden Immobiliensektor, der mit sinkenden Hauspreisen, Investitionen und Verkäufen zu kämpfen hat. So brachen die Immobilieninvestitionen im August um 13,8 Prozent ein und damit so stark wie seit Dezember 2021 nicht mehr, wie die Nachrichtenagentur Reuters auf der Grundlage offizieller Daten berechnet hat. Die Schwäche des Immobiliensektors wirkt sich auch auf andere Industrien wie die Zementproduktion aus. Im August wurde 13 Prozent weniger Zement hergestellt im Vergleich zum Vorjahr. Die Preise für neue Eigenheime fielen um 1,3 Prozent – das ist sogar der stärkste Rückgang seit August 2015. Schon im Juli hatte es ein Minus gegeben, das aber mit 0,9 Prozent kleiner ausgefallen war.

    Der Immobilienmarkt war über Jahre ein wichtiger Konjunkturmotor. Er schlittert jedoch seit Mitte 2020 von einer Krise in die nächste (China.Table berichtete). Ein Grund: Die Aufsichtsbehörden sind eingeschritten, um die hohe Verschuldung der Bauträger zu reduzieren. Viele Projekte wurden daher gestoppt. In den ersten acht Monaten des Jahres gingen die Immobilien-Verkäufe nach Fläche im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 23,0 Prozent zurück, was auf eine weiterhin schwache Nachfrage hinweist. nib/rtr

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    Xi will “Farb-Revolutionen” abwehren

    Chinas Präsident Xi Jinping hat auf dem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) zur gemeinsamen Abwehr von sogenannten Farb-Revolutionen aufgerufen. Die Mitgliedsstaaten sollten Versuche ausländischer Mächte verhindern, sich in die internen Angelegenheiten der SCO-Mitglieder einzumischen. Als Farb-Revolutionen werden Proteste gegen autoritäre Regierungen bezeichnet, die zu Regimewechsel in Serbien, Georgien, der Ukraine, dem Libanon und Kirgisien führten. Die Volksrepublik beschuldigt die USA seit längerem, weltweit Farb-Revolutionen zu unterstützen, um ihre Vormachtstellung zu sichern. Xi lud die SCO-Länder ein, sich Chinas globaler Sicherheits-Initiative anzuschließen.

    Die bisherigen Mitglieder wollen zudem das wirtschafts- und sicherheitspolitische Bündnis vergrößern, um eine Gegenmacht gegen westliche Bündnisse zu schaffen. Iran will im Jahr 2023 als vollwertiges Mitglied am SCO-Gipfel teilnehmen. Belarus hat den Beitrittsprozess gestartet und die Türkei hat Interesse an einer Mitgliedschaft bekundet. Ägypten, Saudi-Arabien und Katar sind als Dialogpartner neu dazugestoßen. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait, Myanmar, Bahrain und die Malediven sollen in Kürze einen Prozess beginnen, um Dialogpartner der SCO zu werden. Allerdings gilt die SCO anders als beispielsweise die NATO nicht als einheitlicher Block. Es gibt Konflikte zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten, wie die Grenzkonflikte zwischen Indien und China. Zudem sind die SCO-Abkommen nicht rechtsverbindlich. nib

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    Sanktionen gegen Chefs von Boeing Defense und Raytheon

    China hat Sanktionen gegen die Vorsitzenden der US-Rüstungskonzerne Boeing Defense und Raytheon, Ted Colbert und Gregory Hayes, verhängt. Die Strafmaßnahmen seien eine Antwort auf Rüstungsverträge, die die beiden Unternehmen kürzlich mit Taiwan abgeschlossen hätten. Die chinesische Seite gab keine Details zu den Sanktionen bekannt oder wie diese durchgesetzt werden sollen. Das ist jedoch kein unübliches Vorgehen bei chinesischen Strafmaßnahmen. Keines der beiden Unternehmen verkauft Rüstungsgüter an China, doch beide sind im zivilen Luftfahrtgeschäft in der Volksrepublik aktiv. Peking hatte schon in der Vergangenheit Sanktionen gegen Raytheon, Boeing Defense und nicht näher bezeichnete Personen verhängt, die an Waffenverkäufen an Taiwan beteiligt gewesen sein sollen. nib

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    Opel stoppt geplante Expansion in China

    Opel legt die vor gut einem Jahr angekündigte Expansion in China auf Eis. Angesichts der aktuellen Herausforderungen für die Automobilindustrie sei es für Opel wichtiger denn je, sich auf klare Prioritäten zu konzentrieren, erklärte das Unternehmen am Freitag auf Anfrage. “Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des erforderlichen Volumens, um einen wirklichen Effekt zu erzielen, lässt Opel die Pläne für einen Markteintritt in China derzeit ruhen.” Der zum italienisch-amerikanischen Stellantis-Konzern gehörende Rüsselsheimer Autobauer bereite jedoch weiterhin den Eintritt in neue Märkte vor, die schon mit kleineren Volumina eine gute Profitabilität versprächen.

    Hintergrund der Entscheidung sind laut Handelsblatt wachsende geopolitische Spannungen zwischen der kommunistischen Führung in China auf der einen und den USA sowie der Europäischen Union auf der anderen Seite. Nationalistische Tendenzen in China, die drakonische Null-Covid-Politik und die Zuspitzung des Konflikts um die Unabhängigkeit von Taiwan erschwerten Opel den Markteintritt in die größte Absatzregion der Welt, berichtete die Zeitung unter Berufung auf Unternehmenskreise. Zudem fehle es Opel aktuell an attraktiven Modellen, die sich spürbar von jenen der Konkurrenz unterschieden, um in China wirklich erfolgreich zu sein. rtr/nib

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    Presseschau

    Chinas Präsident geht auf Distanz zu Putin WELT
    Gipfeltreffen in Usbekistan: Xi warnt vor Volksaufständen und “Einmischung” aus dem Ausland SPIEGEL
    Is China reexporting Russian gas to Europe? DW
    Russia’s security chief begins two-day visit to China on Sunday REUTERS
    “Großer Sprung nach hinten”: China macht dicht N-TV
    Analyse vom China-Versteher: Greift China Taiwan an? Immer wieder kursiert eine 2027 als Jahreszahl FOCUS
    A new threat from China faces Taiwan’s military: Trolls with drones CNN
    China Values UN Relationship Despite Human Rights Criticism BLOOMBERG
    Ban on Chinese officials visiting Queen’s coffin reversed, angering MPs SMH
    Taiwan “specially invited” to sign Queen’s condolence book THEGUARDIAN
    Video zeigt dramatische Bilder: Chinesischer Wolkenkratzer in Flammen – Feuerinferno wütet über zahlreiche Etagen – Brand gelöscht RND
    Türkei rückt Richtung Putin und China: Erdogan will SCO-Bündnis beitreten MERKUR
    Pentagon Pushes Defense Companies to Limit Use of Chinese Supplies WSJ
    Technologie-Konkurrenz: Nvidia-Exportverbot direkte Bedrohung für China und seine KI-Ambitionen FINANZMARKTWELT
    Kehrtwende: Opel legt Expansion nach China auf Eis MANAGER-MAGAZIN
    Bus-Unfall auf dem Weg zur Covid-Quarantäne: 27 Tote in China KURIER
    Südostküste des Inselstaats: Zweites Erdbeben erschüttert Taiwan TAGESSCHAU
    Taifun in Japan: Wetterdienst warnt vor “nie dagewesener” Gefahr – indes Tsunami-Warnung für Taiwan MERKUR
    Menschenhandel: Chinas gekaufte Bräute aus Vietnam TAGESSCHAU
    Beijing-backed Chinese language schools in UK to be replaced with teachers from Taiwan THEGUARDIAN
    Chinas Wirtschaft wächst stärker als erwartet FAZ
    New South Korean President Tries to Make His Mark on Foreign Policy NYTIMES
    China’s Factories Accelerate Robotics Push as Workforce Shrinks WSJ
    The empire of China’s copper tycoon is wobbling FORTUNE

    Heads

    Rolf Langhammer – Ahnenforschung in China

    Rolf Langhammer, Wirtschaftswissenschaftler mit tiefer China-Kenntnis.
    Rolf Langhammer, Wirtschaftswissenschaftler mit tiefer China-Kenntnis.

    Vor zwanzig Jahren begab sich Rolf Langhammer auf eine Reise. Sie führte ihn bis ins China des frühen 20. Jahrhunderts, in ein zersplittertes, von Warlords regiertes Land zwischen Tradition und kultureller Erneuerung. Und schließlich sogar bis ins neuzeitliche Shanghai. Orientieren konnte er sich anhand der vielen Spuren, die sein Großvater während der Jahre im Ausland hinterlassen hatte: Briefwechsel mit der Familie in Deutschland, eine Passagierliste und ein Visum. Aus einem Dachbodenfund wurde Detektivarbeit und Rolf Langhammer zum Ahnenforscher.

    Langhammer, 75, war lange Professor am Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Sein Spezialgebiet sind Entwicklungs- und Handelsfragen, besonders im asiatischen Raum. Er diente als Berater sowohl für eine Reihe internationaler Organisationen (EU, Weltbank, OECD) als auch für die Bundesministerien für Wirtschaft und wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Heute ist Rolf Langhammer vor allem als Gutachter und in der Wissenschaftskommunikation tätig. Dass es zwischen Deutschland und China quasi keine Forschungsbeziehungen gibt, bedrückt ihn. Doch trotz der vielen Probleme ist die Volksrepublik für ihn weiterhin ein wichtiger Themenschwerpunkt.

    Handel mit chinesischem Haar

    Als sein Großvater starb, war Langhammer selbst erst ein paar Monate alt. “Zum Glück gibt es noch viele Postkarten aus der Zeit”, sagt er. Als die Dokumente damals auf einem Dachboden auftauchten, ist er alles durchgegangen, er hat recherchiert und sich Stadtpläne von damals besorgt. Er wollte verstehen, wer sein Großvater war. Auf der Passagierliste des Reichspostdampfers “Bayern”, einem vergilbten Papierstück aus dem Jahre 1906, steht: “Von Europa nach Japan.” Eine Zeile tiefer: “Nach Shanghai”. Und dann: O. J. Langhammer. “Das ist er. Oskar Johannes Langhammer. Mein Großvater”, sagt Rolf Langhammer.

    Der Großvater war in China lange für ein Hamburger Handelshaus tätig. Import, Export. Ein besonders gefragtes Gut war chinesisches Haar – für den Perückenmarkt in Europa. Hin und wieder verschickte der Großvater Dollarnoten zu den Verwandten im von der Hyperinflation gebeutelten Deutschland.

    Der Großvater öffnet noch heute Türen

    Dass Langhammer selbst einmal nach Shanghai fliegen und sich auf die Spuren seines Großvaters begeben würde, stand außer Frage. Er legte den Stadtplan von 1930 auf einen aktuellen, verglich Straßennamen und Häuserfronten – bis er 2012 vor dem Haus stand, das sein Großvater bewohnt hatte. So gewaltig die Veränderungen in Stadt und Land auch sind, das Haus im Art Déco-Stil sei dasselbe geblieben. Was ihm dabei durch den Kopf ging? “Wie gut es uns als Enkelgeneration doch geht.”

    Wenn Langhammer heute nach China reist, nimmt er gerne die Aufenthaltsgenehmigung seines Großvaters mit – ein 1920 vom Warlord Chen Jiongming ausgestelltes Dokument. Augenzwinkernd sagt Langhammer, dass jeder Grenzbeamte vor Ehrfurcht erzittert, wenn das Dokument vorgezeigt wird. Das ist natürlich ein Scherz. Aber das Dokument findet bei seinen Kontakten im Land viel Anklang. “Jeder Chinese, dem ich das bislang zeigte, betrachtete mich sofort als alten Freund Chinas. Mit seiner Unterschrift und dem Schreiben geht man in China durch eine offene Tür”, sagt Langhammer. Die Chinesen seien eben sehr traditionsbewusst. Tim Winter

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    Personalien

    Michael Hartl ist neu als Investment und Research Analyst bei Mosaic Venture Lab in Taipeh. Hartl war zuvor ebenfalls als Analyst bei Movtec Capital Partners tätig.

    Tang Xing hat seinen Posten als CTO von Alibabas Auslands-E-Commerce-Geschäften und General Manager des AliExpress Basic Platform Center aufgegeben. Medienberichten zufolge plant Tang die Neugründung einer eigenen Firma. Um den freiwilligen Abgang des CTOs hatten es zuvor bereits Gerüchte gegeben.

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    Rückenansichtsmord

    bèiyǐngshā - Rückenansichtsmord

    Im Alltagstrott stapfen Sie durch die Fußgängerzone oder daddeln beim Schlangestehen an der Supermarktkasse gelangweilt am Handy … und dann das! Die Rücken-Silhouette eines gut gebauten Beau oder einer verführerischen Schönheit bringt Ihr Blut in Wallung und romantische Fantasien ins Rollen. Sie sind gedanklich schon auf der Suche nach einer pfiffigen Flirt-Punchline, doch dann: cut. Die Realität stellt Sie unter die kalte Dusche. Das Blatt wendet sich nämlich genau in dem Moment, als der beziehungsweise die schöne Fremde sich Ihnen zuwendet … und sich in der Vorderansicht als herbe Enttäuschung herausstellt.

    Schon mal erlebt? Beim nächsten Mal müssen Sie beim Teilen einer solchen Story nicht mehr lange in der Wortkiste wühlen. Denn im Chinesischen gibt es einen passenden Begriff für genau dieses Szenario. 背影杀 bèiyǐngshā – wörtlich “Rückensilhouettenmord” (von背bèi “Rücken”, 影 yǐng “Schatten, Silhouette” und杀 shā “töten, killen”) lautet das Zauberwort. Es bringt in drei Silben genau das auf den Punkt, wofür man im Deutschen (sowie wohl auch in den meisten anderen Sprachen) einen kompletten Satz benötigt: das Zusammentreffen mit einem Mann/einer Frau, der/die nur von hinten gut aussieht (oder als Eselsbrücke einfach: hinten hui, vorne pfui). Und auch für die beschriebenen Protagonisten und Protagonistinnen, die romantischen Fantasien per Kehrtwende den Dolchstoß verpassen, gibt es im Chinesischen einen eigenen Namen, nämlich 背影杀手bèiyǐng shāshǒu – Rückenansichtskiller.

    Chinesischer Slang: Weitere “Killer”

    Im chinesischen Slang lauern uns übrigens noch weitere solcher “Killer” mit raffinierten Mordwerkzeugen oder mörderischen Strategien auf, die der Liebe auf den zweiten Blick ein jähes Ende bereiten. Auch für sie haben die Chinesen schlagfertiges Vokabular zur Beweissicherung definiert.

    Im Profiling der visuellen Trickbetrüger kennt das Chinesische zum Beispiel noch den Mittelscheitelkiller (中分杀手 zhōngfēn shāshǒu). Gemeint sind – meist weibliche – Zeitgenossen, die ihre lange Mähne durch einen akkuraten Mittelscheitel (中分刘海 zhōngfēn liúhǎi) zielsicher genau so steuern, dass die Haare einen Großteil der äußeren Wangenpartie bedecken, wodurch der Anschein eines schmalen Gesichts geweckt wird – und das gilt in China als Schönheitsideal.

    Einer Frisurenmasche bedient sich auch ein weiterer Schurke, nämlich der Pony-Killer (刘海杀手 liúhǎi shāshǒu) – gemeint sind natürlich Ponys auf der Stirn und nicht im Stall. Dieser modische Kniff kaschiert gekonnt eine unschöne oder unreine Stirnpartie und gaukelt so dem Betrachter auf Fotos oder in Natura makellose Schönheit vor. Endgegner für Pony-Mörder sind aber leider unerwartete Windböen, doch das nur am Rande. Und: Mittelscheitel- und Ponymord lassen sich natürlich auch super zum Serienmord – sprich doppelter Anwendung – kombinieren. Aber das ist nur etwas für Profikiller.

    bèiyǐngshā: Rückenansischtsmord auch als Kompliment

    Auf der Fahndungsliste der Optikpolizei findet sich außerdem noch der Sonnenbrillenmord (墨镜杀mòjìngshā). Dabei werden schwarze Panda-Augenringe nach durchzechten Nächten oder tief hängende Tränensäcke nach durchlebten Leben durch verdunkelte Gläser kaschiert und so jugendliche Frische vorgetäuscht. Unter Cyberkriminalität fallen dagegen die perfiden Tricks der Selfie-Killer (自拍杀手 zìpāi shāshǒu), die digitale Filter und Bildbearbeitung so meisterhaft beherrschen, dass sie uns im On-/Offline-Vergleich bei der ersten realen Begegnung ein böses Erwachen bescheren. Und spätestens seit Corona sorgt auch der Mund- und Nasenschutzmörder (口罩杀手 kǒuzhào shāshǒu) für den einen oder anderen Realitätsschock, wenn neue Bekanntschaften bei überschaubarem Infektionsgeschehen erstmals lasziv die Maske abstreifen und uns so die Kugel geben.

    Wie es Kriminalfälle manchmal so an sich haben, nimmt unsere mörderische Sprachgeschichte am Schluss aber sogar noch eine überraschende semantische Wendung. Denn neuerdings wird der “Rückenanblickskill” auch als Kompliment gebraucht! Chinesischen Wortakrobaten ist es mittlerweile oft schnuppe, ob sich hinter einem perfekten Rücken am Ende auch tatsächlich ein ähnlich entzückendes Gesicht verbirgt. 背影杀bèiyǐngshā wird deshalb auch als Kompliment verwendet, für alle Augenschmäuse, die schmachtenden Betrachtern allein schon durch ihre perfekte Rückansicht den Rest geben (sodass der Vorderanblick uns eigentlich auch gestohlen bleiben kann). 背影杀bèiyǐngshā ist in China mittlerweile sogar Namenspate für ein eigenes Fotogenre, bei dem entzückende Rückenansichten im Fokus stehen. Als verwandte Begriffe haben sich auch noch der “Smilekiller” (微笑杀wēixiàoshā) – jemand, der mit einem unwiderstehlichen Lächeln die Umwelt gefügig macht – sowie die “Profilkiller” (mit “l” für Profil) durchgesetzt – Mitmenschen oder Stars mit einem unwiderstehlichen Gesichtsprofil (侧颜杀 cèyánshā) beziehungsweise mit einer unschlagbaren seitlichen Silhouettenansicht (侧影杀 cèyǐngshā).

    Vielleicht sollten wir aber auch gar nicht so ein Mordsaufheben um alle Optik machen. Schließlich hat ja jeder auch so seine Schokoladenseite – alles nur eine Frage des Blickwinkels eben.

    Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

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