auf gut 120 Seiten beschreiben Wissenschaftler:innen im Auftrag der WHO ihre Suche nach dem Ausgangspunkt des Coronavirus in Wuhan – aufspüren konnten sie ihn allerdings nicht. “Wir haben den Ursprung des Virus noch nicht gefunden”, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. Alle Thesen lägen noch auf dem Tisch.
In dem lang erwarteten Bericht kommt das Team zu dem Schluss, dass das Virus außer in Fledermäusen auch in Schuppentieren seinen Ursprung haben könnte. Die Wissenschaftler:innen betonten, dass weitere Studien unabdingbar seien, um der Sache richtig auf den Grund gehen zu können. Die Theorie, dass das Virus aus einem Labor entwichen sein könnte, bezeichneten sie jedoch als “extrem unwahrscheinlich”.
Wissenschaftler:innen um das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel haben indes erstmals 100 chinesische Kreditverträge mit Entwicklungs- und Schwellenländern genauer unter die Lupe nehmen können – und fanden Geheimhaltungsklauseln und möglichen politischen Einfluss Pekings in den Staaten. Nico Beckert konnte die Studie vorab für China.Table einsehen und analysieren.
Das wirtschaftliche Drama um den im Suezkanal havarierten Frachter “Ever Given” hat in Peking die Alarmglocken schrillen lassen. Denn eine andere Meeresenge ist noch viel gefährlicher für die Versorgung Chinas: Die Straße von Malakka bei Singapur. Peking sucht nach Alternativen zu dem See-Nadelöhr, schreibt Frank Sieren.
Ted Hui war in Hongkong Parlamentarier, seit Dezember ist er mit seiner Familie auf der Flucht. Mit Marcel Grzanna hat er über sein Schicksal und das seiner Mitstreiter gesprochen.
Fast eine Woche lang blockierte das Containerschiff “Ever Given” das südliche Ende des Suez-Kanals und damit eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt. Das gigantische 200.000 Tonnen-Schiff war auf dem Weg von China nach Rotterdam gewesen und dann auf Grund gelaufen. Dem Kieler Institut für Weltwirtschaft zufolge fahren 98 Prozent der Containerschiffe durch den Suez-Kanal, wenn sie zwischen Deutschland und China unterwegs sind.
Dennoch ist eine andere Meeresenge noch viel gefährlicher für die Versorgung von China. Denn während durch den Suez-Kanal vor allem Produkte “Made in China”, aber auch Zulieferteile aus Europa transportiert werden, läuft ein Großteil der Öllieferung aus Saudi-Arabien und dem Irak durch die Straße von Malakka bei Singapur.
Durch die Meerenge nahe der gleichnamigen malaysischen Stadt, die den Indischen Ozean mit dem Pazifik verbindet, gehen 80 Prozent der chinesischen Öl-Importe – gut 20 Prozent des chinesischen Energiebedarfs. Würde es hier zu einer Blockade kommen, sei es durch eine Havarie, Terroristen oder einen militärischen Konflikt, wäre China, das Land, das am stärksten getroffen wäre.
Die Unterschiede zum Suez-Kanal sind groß: Während der Suez-Kanal knapp 200 Kilometer lang ist, ist die Straße von Malakka 900 Kilometer lang. Zwar ist die Meeresenge mit 2,7 Kilometer rund zehnmal breiter als der Kanal, der an der engsten Stelle nur 280 Meter breit ist. Aber dafür müssen jährlich sechsmal mehr Schiffe durch. Während jährlich weniger als 20.000 Schiffe den Suez-Kanal passieren, sind es in der Straße von Malakka rund 120.000.
Staatspräsident Xi Jinpings Vorgänger Hu Jintao sprach bereits vor 18 Jahren vom “Malakka-Dilemma”. Die Straße von Malakka ist eine der größten Achillesfersen für den Aufstieg Chinas. Chinesische Militärstrategen warnen schon seit Jahren, dass diese “Aorta des Indo-Pazifischen Raums” China in einer geopolitischen Krise äußerst verwundbar machen könnte. Eine gefährliche Abhängigkeit, auf die sich eine aufsteigende Weltmacht unmöglich auf Dauer einlassen kann. China ist massiv von Erdölimporten abhängig, rund 40 Prozent stammen aus Staaten um den Persischen Golf.
Erst diesen Monat hat Peking ein neues Kooperationsabkommen mit dem Iran geschlossen. Der Iran liefert erst drei Prozent des chinesischen Öls. Das soll sich nun ändern. Die Vereinbarung mit einer Laufzeit von 25 Jahren sieht vor, dass China 400 Milliarden Dollar in den iranischen Energie-, Verkehrs- und Bankensektor sowie Telekommunikationsbereich investiert. Im Gegenzug hat der Iran versprochen China mit günstigem Erdöl zu beliefern. Zu gemeinsam geplanten Projekten gehört auch der Ausbau des iranischen Hafens Bandar-e Jask in der Straße von Hormus. Das alles trotz der Sanktionen, die die USA gegen den Iran verhängt haben. Damit wird die Straße von Malakka ein noch größerer Brennpunkt, zumal der Ölbedarf Chinas stetig steigt. Bereits 2017 hat das boomende Land die USA als weltweit größten Ölimporteur überholt. Selbst im Coronajahr stiegen die Importe um mehr als sieben Prozent. Und 2020 überholte China erstmals Japan als der weltgrößte Importeur von Flüssiggas. Auch das wird überwiegend auf LNG-Schiffen transportiert.
Die Zugverbindung zwischen Europa und China, für die Peking unablässig wirbt, ist bei diesem Thema allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Obwohl 2020 über 56 Prozent mehr Container auf der Schiene transportiert wurden, sind es insgesamt nur rund 1,2 Millionen, also nur rund 60 Schiffsladungen voll. Es fahren aber wie gesagt 120.000 Schiffe jährlich durch die Straße von Malakka.
Vor allem Pipelines sind in der Lage, die Abhängigkeit zu verringern. Da kommen Chinas Nachbarländer wie Russland und Kasachstan ins Spiel.
Die Lieferungen aus Russland hat China in den letzten Jahren massiv ausgebaut. Inzwischen ist Russland mit einem Anteil von 15,3 Prozent der zweitgrößte Öl Lieferant Chinas, knapp hinter Saudi-Arabien. Der Irak folgt mit knapp zehn Prozent.
Deswegen sind neue Pipelines einer der wichtigsten strategischen Punkte der Belt and Road Initiative (BRI). Dazu gehören die die Kazakhstan-China-Pipeline, die Eastern-Siberian-Pacific-Ocean-Pipeline, die Myanmar-Yunnan-Pipeline und die Gwadar-Xinjiang-Pipeline. Letztere ist das spektakulärste Projekt. Die Pipeline soll vom pakistanischen Hafen Gwadar unmittelbar an der iranischen Grenze diagonal durch Pakistan von Südwesten nach Nordosten nach Kashgar in China verlaufen. Dazu müsste das Öl über einen 4.700 Meter hohen Pass gepumpt werden. Wie groß die Sorgen um die Straße von Malakka sind, zeigt das Peking bereit wäre, fünfmal höhere Kosten pro Barrel zu akzeptieren, wenn das Öl durch die Pakistan-Pipeline transportiert werden könnte. Ein Baubeginn steht jedoch noch nicht fest.
Seit 2017 sind hingegen schon der Tiefseehafen von Kyaukpyu im Golf von Bengalen und eine strategische Pipeline in Betrieb, die Öl aus Afrika und dem Nahen Osten quer durch Myanmar nach China pumpt und damit die Straße von Malakka vermeidet.
Der sogenannte “China-Myanmar Economic Corridor” verkürzt zudem die Transportzeit, die von Saudi-Arabien durch die Malakka-Meerenge derzeit zwischen 30 und 33 Tagen beträgt, um 30 Prozent. Die Kosten: 1,5 Milliarden US-Dollar. Der jüngste politische Coup in Myanmar und immer wieder aufflammende Proteste gegen China machen die Zusammenarbeit jedoch schwierig.
Schon lange hofft Peking auch auf den Bau eines neuen Kanals in Südthailand, wo das Land zwischen dem Golf von Thailand und die Andamanensee nur rund 40 Kilometer breit ist. Der Kra-Kanal (auch Thai-Kanal oder Kra-Isthmus-Kanal genannt) würde, ähnlich wie einst der Panamakanal, die Schifffahrtswege nicht nur verkürzen – in diesem Fall um bis zu sechs Tage – sondern auch die globalen Machtverhältnisse neu justieren. Bangkok prüft noch, scheut aber seinen Anteil der hohen Kosten von 28 Milliarden US-Dollar und befürchtet angesichts der Investitionen von China zu abhängig von Peking zu werden. In jedem Fall jedoch soll es eine “Landbrücke” mit zwei neuen Häfen, eine Autobahn und eine Zugverbindung geben.
Immer wichtiger wird für Peking auch die Nordostpassage, die vom Nordpazifik über die Beringstraße entlang der russischen Nordmeerküste in den nordöstlichen Atlantik führt. Wenn der Klimawandel weiter fortschreitet, könnten die Seewege im arktischen Meer schon Mitte des 21. Jahrhunderts eisfrei sein und den Gütertransport zwischen Asien und Europa deutlich verkürzen. Die Nordostpassage ist schon heute im Sommer befahrbar. Laut der Agentur Germany Trade & Invest nahm der Schiffverkehr auf der Nordostpassage zwischen 2016 und 2019 um 430 Prozent auf 31,5 Millionen Tonnen zu; davon waren 60 Prozent russisches Flüssiggas. Die Nordwestpassage könnte ihr bald folgen.
Seit den frühen 2000er-Jahren hat China mehr als 2.000 Kreditverträge mit Entwicklungs- und Schwellenländern abgeschlossen. Über die Belt and Road Initiative (BRI) finanziert Peking Infrastrukturprojekte in dutzenden Ländern. Bei Energieprojekten gehören die chinesischen Entwicklungsbanken seit Jahren zu den größten Geldgebern. China hält beispielsweise mindestens 21 Prozent der Schulden der afrikanischen Länder. Dem Forscherteam um das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel ist es nun erstmals gelungen, 100 Kreditverträge chinesischer Entwicklungsbanken (84), der Zentralregierung (4), staatlicher Geschäftsbanken (8) und Lieferantenkredite (4) an 24 Staaten in Höhe von mehr als 36 Milliarden US-Dollar auszuwerten und sie in einer Datenbank aufzubereiten.
Normalerweise unterliegen solche Verträge – nicht nur chinesische – strenger Geheimhaltung. Die Forscher:innen haben die chinesischen Verträge mit 142 Verträgen Kameruns verglichen, die der afrikanische Staat mit privaten sowie bi- und multilateralen Gebern abgeschlossen und veröffentlicht hat.
Alle Kreditverträge, die China nach 2014 mit Partnerstaaten abgeschlossen hat, enthalten “weitreichende Vertraulichkeitsklauseln“, so die Studie. Das Jahr 2014 markiert hier einen deutlichen Wendepunkt. Die meisten dieser Klauseln verpflichten den Kreditnehmer, die Vertragsbedingungen und mitunter sogar die Existenz der Schulden geheim zu halten. Zum Vergleich: Nur zwei der 142 Kreditverträge der Vergleichsstichprobe aus Kamerun enthalten ähnlich starke Vertraulichkeitsklauseln.
Diese Geheimhaltung führt dazu, dass die wahre Verschuldung eines Staats schwer einzuschätzen ist. Drohende Überschuldungen könnten somit nicht frühzeitig genug wahrgenommen werden, warnen die Forscher:innen. Sie kritisieren jedoch auch, dass etwas über ein Drittel der Verträge aus der kamerunischen Vergleichsstichprobe Vertraulichkeitsklauseln enthalten, wenn auch schwächer ausformuliert. Zwar teilen Gläubiger gewisse Informationen der Öffentlichkeit und anderen Gläubigern mit, es gäbe jedoch keine einheitlichen Transparenzstandards.
Laut der Studie versucht China, sich Vorteile gegenüber anderen Kreditgebern zu verschaffen. In fast 75 Prozent der analysierten chinesischen Kreditverträge wurden Umschuldungs-Klauseln enthüllt. Sie verpflichten den Schuldnerstaat, die chinesischen Kredite im Falle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit weiterhin zu bedienen, statt sie, wie andere Kredite auch, in Umschuldungsprogramme aufzunehmen. Kein einziger Vertrag aus der Vergleichsstichprobe enthält solche Klauseln. China würde theoretisch davon profitieren, wenn ein anderer Kreditgeber einen Schuldenerlass gewährt. Doch Regierungen seien “abgeneigt, Schuldenerleichterungen zu gewähren, wenn sie am Ende andere Gläubiger subventionieren”, so die Autor:innen. Pocht China auf die Einhaltung der Umschuldungsklausel, wird der Schuldner kaum eine Umschuldung von anderen Gebern erhalten.
Schon in der Vergangenheit stand dieser Konflikt Schuldenerleichterungen im Weg. Allerdings hat China im letzten Jahr erstmals auf G20-Ebene zugestimmt, seine Forderungen an die ärmsten staatlichen Schuldner gemeinsam mit den Mitgliedern des Pariser Clubs umzustrukturieren. Hier zeigt sich also: Was in den Kreditverträgen steht, wird von Peking nicht zwingend auch umgesetzt.
Peking könnte über spezielle Vertragsklauseln auch Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik der Schuldner nehmen, so die Studie. Wenn das Schuldnerland seine Politik “signifikant” verändere, könne Peking bei 90 Prozent der Krediten auf eine sofortige Rückzahlung bestehen. Bei den Verträgen der China Development Bank sei das sogar möglich, wenn das Partnerland seine diplomatischen Beziehungen mit China abbricht – sich also beispielsweise Taiwan zuwendet. Viele Kreditverträge würden nicht definieren, was unter einer signifikanten Veränderung von Gesetzen zu verstehen sei. Oft habe China das Recht, zu entscheiden, was signifikant bedeutet, so Sebastian Horn vom IfW gegenüber China.Table. Dass Peking der größte Kreditgeber einer Vielzahl von Staaten ist, ihnen also Alternativen fehlen, zeigt die potentielle Macht solcher Klauseln.
Auch bei Arbeitsrecht oder Umweltschutz könnten Pekings Vertragsklauseln Verbesserungen in den Schuldnerstaaten verhindern. 30 Prozent der chinesischen Kreditverträge enthalten sogenannte Stabilisierungsklauseln. Konkret heißt das: Sollte das Schuldnerland Gesetze einführen, die sich auf Projekte auswirken, die mit chinesischen Krediten finanziert werden, müsste der Schuldnerstaat den chinesischen Geldgeber entschädigen – beispielsweise in Form von Steuererleichterungen oder Konzessionsverlängerungen.
Das kann zu einer kostspieligen Angelegenheit werden, die Gesetzesveränderungen im Arbeitsrecht oder beim Umweltschutz verhindern könnte. Doch auch westliche Staaten nutzen solche Stabilisierungsklauseln. Laut Vergleichsstichprobe aus Kamerun kommen sie dort sogar häufiger vor als in den chinesischen Verträgen. Allerdings seien die Klauseln der chinesischen Exim-Bank die schärfsten, so die Autor:innen.
Chinas Kreditverträge “unterscheiden sich nicht in der Art, sondern im Ausmaß von kommerziellen und anderen bilateralen Kreditgebern“, heißt es in der Untersuchung. Alle Gläubiger versuchen, die “Aussicht auf Rückzahlung mit allen ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Mitteln zu maximieren“. China bestreite dabei jedoch auch neue Wege. Ein Grund dafür könnte sein, dass China einer der größten Geber ist. Generell ist das Ausfallrisiko bei Entwicklungsländern hoch. Die Klauseln dienen dementsprechend als Absicherung. Sie “erlauben es manchen Hochrisikoländern wie Venezuela, der Demokratischen Republik Kongo oder Sierra Leone erst, so große Kredite überhaupt zu erhalten”, sagt Sebastian Horn vom IfW. Das hohe Ausfallrisiko versuche China durch Vertragsklauseln zu minimieren.
Ob und in wie vielen Fällen China die Vertragsklauseln auch umsetzt, können die Autor:innen nicht abschätzen, da es nicht Fokus der Studie war. Es gibt jedoch anekdotische Belege: Als die neue Regierung Argentiniens ein chinesisch finanziertes Staudammprojekt aufgrund von Umweltbedenken stoppen wollte, drohte die China Development Bank, die Finanzierung anderer laufender Projekte im Land zu stoppen. Argentiniens Regierung lenkte schnell ein.
Die Wissenschaftler:innen warnen auch davor, dass einige der Kreditklauseln in Schulden- und Finanzkrisen zum Problem werden könnten. Ein erster Schritt zu mehr Kooperation und Koordination könnte Chinas Bekenntnis zum G20 Common Framework sein, der zu einem Schuldenerlass für die ärmsten Länder führen soll.
Auch hat China schon in der Vergangenheit eine “wichtige Rolle” beispielsweise bei der Unterstützung afrikanischer Staaten und ihren Schulden gespielt. Zwischen 2000 und 2019 hat Peking die Schulden von zehn afrikanischen Staaten in Höhe von 7,5 Milliarden US-Dollar “umgeschichtet” – das heißt, den Schuldendienst verlängert oder geringere Zinsen angesetzt. Zudem hat China 3,4 Milliarden US-Dollar afrikanischer Schulden erlassen.
Generell fordert das Forscherteam um das IfW, dass Staatsschulden mit Blick auf ihre Höhe und ihre Kreditkonditionen transparent und öffentlich sein müssen, damit Bürgerinnen und Bürger ihre Regierungen dafür zur Rechenschaft ziehen können.
Das Ende des Hongkonger Wahlrechtssystems, wie er es kannte, nahm Ted Hui aus sicherer Distanz mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis. Während in Peking der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses am Dienstag einstimmig (167:0) eine Gesetzesreform in Kraft setzte, die der Volksrepublik China die endgültige Kontrolle über die Besetzung aller politischen Schlüsselstellen in Hongkong verschafft, organisiert Hui sein neues Leben im Exil. Bis September 2020 war der 38-Jährige ein demokratisch gewählter Abgeordneter im Legislativrat der Stadt, dem Hongkonger Parlament. Seit Anfang Dezember befindet er sich auf der Flucht vor den Behörden, die wegen Verstößen gegen das Nationale Sicherheitsgesetz gegen ihn ermitteln. Über Dänemark und Großbritannien hatte Hui Anfang März mit Frau und zwei Kindern Australien erreicht.
Mit dem Beschluss des Ständigen Ausschusses gehen der demokratischen Opposition in Hongkong auch die letzten Werkzeuge verloren, um auf die politische Zukunft der Metropole relevant Einfluss nehmen zu können. Das Parlament wird von 70 auf 90 Sitze vergrößert, der Ausschuss zur Wahl des Regierungschefs oder der Regierungschefin wächst um 25 Prozent auf 1500 Wahlberechtigte an. Die zusätzlichen Mandate will die chinesische Regierung an Lobbyisten vergeben, die für Pekings Interessen garantierte Mehrheiten schaffen.
“Wir (Demokraten) haben unsere Sitze im Parlament, sämtliche Einflussnahme auf Hongkongs Politik, unsere Freiheit und den zivilen Raum verloren”, bilanziert Hui im Telefongespräch mit China.Table, mehr als anderthalb Jahre nach dem Beginn der Protestbewegung in Hongkong gegen die zunehmend autoritären Strukturen, die Peking der Stadt aufzwingt. Eigentlich ist das ein düsteres Fazit nach vielen Monaten eines ungleichen Kampfes zwischen Student:innen, pro-demokratischen Oppositionellen, politisch Interessierten wie Uninteressierten sowie einigen Radikalen auf der einen und die vielleicht widerstandsfähigste Diktatur der Welt auf der anderen Seite, entschlossen und gewaltbereit. Doch Hui ist sicher, “dass die Bewegung die Herzen der Menschen gewonnen hat.” Bis zu zwei Millionen Menschen waren anfänglich gemeinsam auf die Straßen gegangen.
Der Bewegung sei es gelungen, das Regime so unter Druck zu setzen, dass es nur auf Kosten eines enormen internationalen Reputationsverlusts in der Lage gewesen ist, seine Macht zu behaupten. Der Preis, den Hui ebenso wie zahlreiche andere Politiker:innen und Studentenführer:innen persönlich dafür zahlen, ist jedoch hoch. Viele müssen mit langen Gefängnisstrafen rechnen. Auch Ted Huis Welt ist komplett aus den Angeln gehoben. Eine Rückkehr nach Hongkong? Scheint für viele Jahre ausgeschlossen zu sein, wenn nicht zeitlebens. “Es ist schmerzhaft, nicht mehr nach Hause zu können und für die Kinder hart zu verstehen, dass wir vielleicht nie wieder zurückgehen. Aber in Australien fühle ich mich vor einer willkürlichen Festnahme sicher”, sagt er.
Das Nationale Sicherheitsgesetz in Hongkong gibt Staat und Ermittlern seit Mitte vergangenen Jahres die rechtliche Grundlage, jeden Oppositionellen oder Aktivisten anzuklagen. Das Sicherheitsbüro spricht in einer Stellungnahme gegenüber China.Table von neun Anschuldigungen in vier Fällen gegen Hui, u.a. “Sachbeschädigung, Zugang zu Computern in betrügerischer Absicht, der Versuch der Rechtsbeugung und Missachtung des Gerichts”. Hui wird diese Vorwürfe kaum ausräumen können, weil das vage formulierte Sicherheitsgesetz den Ermittlern ausreichend Spielraum lässt, um die Vorwürfe zu konstruieren. Die Anschuldigungen stehen auch im Zusammenhang mit Huis Beteiligung an der Organisation inoffizieller Vorwahlen des demokratischen Lagers im vergangenen Jahr. Die Behörden werten das als eine Verschwörung zur Untergrabung der Staatsmacht. Mögliches Strafmaß: Lebenslang.
Während 53 seiner Mitstreiter Anfang Januar festgenommen wurden, kam Hui den Behörden zuvor. Im Dezember war er einer offiziellen Einladung dänischer Politiker zu einer vermeintlichen Konferenz in Kopenhagen gefolgt (China.Table berichtete). Die Veranstaltung war frei erfunden. Mit der schriftlichen Einladung aber bewegte Hui die Behörden in Hongkong dazu, ihm seinen konfiszierten Reisepass auszuhändigen. Die Polizei ermittelt wegen Betrugs. Hui flog nach Dänemark, seine Familie kurz darauf nach London. Dort trafen sie sich wieder.
Ein Dutzend weiterer Aktivisten, die sogenannten “Hongkong 12”, waren im vergangenen Jahr mit ihrem Fluchtversuch gescheitert. Ihr Schnellboot, das sie aus Hongkong nach Taiwan bringen sollte, war von chinesischen Sicherheitskräften aufgehalten worden. Monatelang waren die Mitglieder der Gruppe in Shenzhen inhaftiert. Acht von ihnen wurden am vergangenen Montag an die Behörden in Hongkong übergeben, darunter Andy Li, Migründer der Kampagne Fight for Freedom – Stand for Hong Kong, eine Crowdfunding-Plattform, die rund zwei Millionen Euro zur Unterstützung der Proteste einsammelte. Schon am heutigen Mittwoch beginnt der Prozess gegen ihn, ohne dass er persönlich anwesend ist. Li wird bis zum Ende einer zweiwöchigen Quarantäne getrennt von den sieben anderen in einer Psychiatrie festgehalten, berichtet die Tageszeitung Apple Daily. Zwei der “Hongkong 12” waren bereits im Dezember von China ausgeliefert worden, zwei andere sitzen noch immer in Shenzhen in Haft.
Man werde “die Aufenthaltsorte der flüchtigen Straftäter auf verschiedene gesetzeskonforme Weise ermitteln und (die Straftäter) verfolgen”, kündigt das Sicherheitsbüro an. Doch trotz der Drohung macht Hui weiter Politik. In England traf er mit Nathan Law zusammen, einem früheren Hongkonger Studentenführer, der 2016 ebenfalls ins Parlament der Stadt gewählt wurde. Im Jahr darauf saß Law eine achtmonatige Haftstrafe ab für seine zentrale Rolle bei den Protesten von 2014. Im vergangenen Sommer ging er ins Exil nach Großbritannien aus Angst vor einer weiteren Verurteilung. Wochenlang erörterten Hui und Law gemeinsam mit sechs anderen Flüchtigen, darunter Glacier Kwong als einzige Frau, die Strategie für die Zukunft. Hui ist mit Abstand der Älteste der Gruppe, deren Mitglieder im Schnitt jünger als 30 Jahre sind. Er sagte zu, für die Lobbyarbeit nach Australien zu gehen, während die anderen in Nordamerika und Europa tätig bleiben. Die Aktivisten versuchen, an ihren Standorten Einfluss zu nehmen auf die China-Politik ihrer Gastländer.
In der vergangenen Woche tauschten sich Hui und Law mit dem Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) der Europäischen Union in einer Videokonferenz aus. Es war ein günstiger Zeitpunkt, um mit den 27 EU-Botschaftern der Mitgliedsstaaten ins Gespräch zu kommen. Das Gremium war kurz zuvor von China sanktioniert worden, nachdem die EU ihrerseits Sanktionen gegen chinesische Funktionäre wegen der Menschenrechtsverbrechen an den Uiguren in Xinjiang verhängt hatte. Entsprechend interessiert waren die Europäer an den Einschätzungen der beiden Hongkonger Politiker. Aus der geplanten halben Stunde wurden 60 Minuten. Law und Hui appellierten unter anderem an die EU-Vertreter, die Ratifizierung des Investitionsabkommens CAI mit China durch das EU-Parlament an härtere Bedingungen zu knüpfen.
Die Lobbyarbeit der Gruppe wird auch die deutsche Politik erreichen, die als tragendes Element der europäischen Haltung gegenüber China gilt. Seit seiner Flucht hat Ted Hui mit zahlreichen EU-Abgeordneten gesprochen. Seine Schlussfolgerung: Deutschland muss als größte Volkswirtschaft des Kontinents mehr tun für die Menschenrechte. CAI habe vor allem der deutschen Industrie gedient. “Das ist für mich nur schwer nachzuvollziehen, dass Deutschland mit seiner großen Verhandlungsmasse seine Handelsinteressen priorisiert. Anfangs hatte ich das Gefühl, Deutschland würde unser Anliegen sehr unterstützen. Aber der Wind hat sich offenbar gedreht“, sagt Hui. Die Gruppe wolle den Austausch mit der deutschen Politik deshalb unbedingt verstärken.
Vor wenigen Tagen dann veröffentlichte die achtköpfige Gruppe die 2021 Hongkong Charter. Das Dokument ist ein Aufruf zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. In 25 Punkten klagt es die Kommunistische Partei der Volksrepublik China für ihre autoritäre Politik an. Es fordert das Ende politischer Unterdrückung und die Selbstbestimmung der Bürger:innen Hongkongs. Und es ruft zu weltweiten Allianzen auf, um sich Pekings “globaler Aggression” entgegenzustellen. Der Aufruf soll Mut machen, “besonders der Hongkong Diaspora überall im Ausland”, sagt Hui. “Es ist unser Signal zu zeigen, dass wir da sind und dass wir weitermachen.” Dazu überbrückten die Autoren des Papiers ihre politischen Differenzen. Sie stammen aus drei Lagern der demokratischen Opposition. Spätestens das Exil hat sie endgültig vereint.
Die Bezeichnung 2021 Hongkong Charter ist nicht zufällig gewählt. Die Jahreszahl im Titel ist inspiriert durch die Charter 08, die der spätere Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo vor den Olympischen Spielen in Peking im Jahr 2008 initiiert hatte und dafür in Haft ging, in der er später verstarb. Unterschreiben kann das Papier prinzipiell jeder, aber in erster Linie sollen es Hongkonger:innen sein, die ihre Solidarität bekunden wollen. Für die Aktivisten:innen steht viel auf dem Spiel. Sie wollen herausfinden, ob sie Einzelkämpfer sind oder breite Unterstützung finden unter ihren Landsleuten im Ausland. Rund 600 Individuen und drei Dutzend Organisationen und Gruppen haben bislang unterzeichnet.
China macht Fortschritte bei der Ausgestaltung des neuen Emissionshandels. Diese Woche gab das Umweltministerium eine konkretere Regulierung für das neue System sowie eine Verordnung für die Emissions-Berichterstattung der beteiligten Staatsfirmen heraus. Beides weist darauf hin, dass das System nun Zähne bekommt. Die Regulierung des Emissionshandels wird ab sofort statt auf Ministeriums- auf Staatsratsebene gehoben – was eine größere Durchsetzungskraft bedeutet (die höchste Ebene sind vom Nationalen Volkskongress verabschiedete Gesetze). Sie beinhalten bereits Strafen für Nichteinhaltung der Regeln. Der Entwurf wird nun aber erst einmal beraten. Auch die Regeln zur Berichterstattung beinhalten Strafzahlungen für falsche Daten.
Der Entwurf der neuen Staatsrats-Verordnung zum Emissionshandel vom Dienstag beinhaltet unter anderem einen möglichen Emissionshandel-Fonds. Dieser könnte künftige Auktionserlöse in nationale Projekte zur Emissionsreduktion stecken. Noch werden die Emissionsquoten kostenlos vergeben – der Fonds deutet also darauf hin, dass sich dies ändern könnte. “Wir sehen einen signifikanten Anstieg der Strafen für unvollständige, gefälschte oder unvollständige Aufzeichnungen und Berichte”, schrieb Liu Hongqiao, Beraterin und Autorin für den Newsletter Carbon Brief, auf Twitter. Auch seien gegenüber der provisorischen Regeln vom Dezember neue Vergehen mitsamt Geldstrafen hinzugefügt worden, darunter Betrug und Marktmanipulation oder illegale Transaktionen.
Außerdem veröffentlichte das Umweltministerium am Montag neue Regeln, die Falschmeldungen von Emissionen verhindern sollen. Dies richte sich gegen “Dutzende staatseigene Unternehmen, die ihre eigenen Tochtergesellschaften mit der Überprüfung ihres CO2-Ausstoßes beauftragt haben”, schreibt Stian Reklev, Gründer der Website Carbon Pulse, ebenfalls auf Twitter. So haben laut Reklev einige der großen staatlichen Energieversorger eine Hierarchie von CO2-Tochtergesellschaften aufgebaut – Handel, Beratung sowie das für die Kohlenstoff-Berichterstattung zentrale MRV-Wesen (Measurement, Reporting and Verification). Mit diesen konnten sie bislang ihre eigenen Emissionen überprüfen, doch jetzt will die Regierung diesem Treiben offenbar einen Riegel vorschieben.
Die neuen Berichterstattungs-Regeln enthalten genaue Deadlines für die Meldung der Emissionen für jedes Jahr, so Yan Qin, Analystin bei der Carbon-Research-Firma Refinitiv auf Twitter. Demnach müssen die Firmen bis zum 30. April ihre Emissionsdaten für 2020 vorlegen, die bis Ende Juni verifiziert werden.
Im Sommer soll der Handel mit Zertifikaten an der Shanghai Environment and Energy Exchange starten. Bislang müssen 2.225 staatliche Firmen aus dem Energiesektor an dem System teilnehmen. Die Meldebehörde für teilnehmende Unternehmen in Wuhan arbeitet bereits, erste Emissionsquoten sind ebenfalls bereits vergeben. Es wird davon ausgegangen, dass der Emissionshandel schrittweise ausgebaut wird. ck
Der chinesische Pharmahersteller CanSino Biologics führt nach eigenen Angaben mit mehreren EU-Ländern Gespräche über eine mögliche Bestellung seines Covid-19-Impfstoffes. Drei Mitgliedstaaten der Europäischen Union hätten sich an den in Tianjin ansässigen Impfstoffentwickler gewandt, um einen möglichen Kauf zu erörtern, bestätigte Pierre Morgon, der als Senior Vice President von CanSino für das internationale Geschäft verantwortlich ist, China.Table. Um welche EU-Länder es sich dabei handelte, wollte Morgon mit Verweis auf die laufenden Gespräche nicht preisgeben.
Der Vektor-Impfstoff von CanSino, der in einer Dosis verabreicht wird, hat Medienberichten zufolge bereits eine Notzulassung in Ungarn erhalten. Das ungarische Institut für Pharmazie und Ernährung erteilte die Zulassung für den Impfstoff mit dem Handelsnamen Convidecia auf der Grundlage von Zwischenergebnissen einer Phase-III-Studie, wie Reuters berichtete.
Für CanSino wäre der Verkauf des Impfstoffes an Ungarn ein erster Schritt in die EU – bisher ist das Vakzin aus Tianjin außerhalb Chinas nur in Pakistan und Mexiko zugelassen. Das Projekt von CanSino hatte dadurch Aufmerksamkeit erregt, dass das Unternehmen schon seit Juni 2020 experimentell an Armeeangehörige in China verimpft hat.
Ungarn hat als einziger EU-Staat Notzulassungen für chinesische Impfstoffe erlassen, ohne auf eine Bewertung durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA zu warten. In Ungarn kommt bereits der Sinopharm-Impfstoff zum Einsatz. ari
Der Smartphonehersteller Xiaomi enthüllt Pläne, ein eigenes Elektroauto auf den Markt zu bringen. In den kommenden zehn Jahren will Xiaomi-Chef Lei Jun “smarte E-Autos” bauen und investiert dafür umgerechnet 10 Milliarden US-Dollar (100 Billionen Yuan) in ein eigenes Xiaomi-E-Auto, berichtet Bloomberg.
Xiaomis Pläne konkurrieren mit einer großen Anzahl von Autoherstellern wie Nio, Xpeng oder Tesla, die alle einen Teil des Kuchens vom größten EV-Markt China abhaben möchten. Auch der chinesische Suchriese Baidu und Geely Automobile Holdings Ltd. sollen sich ebenfalls zusammengetan haben, um Elektroautos zu bauen. Die Verkäufe von Elektrofahrzeugen in China könnten allein in diesem Jahr um mehr als 50 Prozent zunehmen, da die Verbraucher sauberere Autos bevorzugen und die Kosten sinken, schätzt das Forschungsunternehmen Canalys.
Laut dem Branchenmagazin Technode, kommt Xiaomis Plan nicht ganz überraschend. Bereits 2018 sollen intern bei Xiaomi die Chancen auf dem Automarkt bewertet worden sein. Damals noch unter den Namen “Micar” – in Anlehnung an Xiaomis Namensgebung für seine Smartphone- und Elektronik-Serie. Inspirationen für ein E-Auto soll Lei Jun sich allerdings bereits 2013 bei Tesla Chef Elon Musk geholt haben. Der Aktienkurs von Xiaomi stieg kurz nach Veröffentlichung des Berichts um neun Prozent. niw
Die EU-Kommission hat sich auf endgültige Antidumping-Zölle für Aluminiumstrangpresserzeugnisse mit Ursprung in China verständigt. Die Einfuhrzölle liegen zwischen 21,2 und 32,1 Prozent, wie die Brüsseler Behörde gestern in ihrem Amtsblatt mitteilte. Betroffen davon sind beispielsweise Stangen, Stäbe, Profile und Hohlprofile sowie Rohre, wie es in dem entsprechenden Regulierungspapier heißt. Auch Erzeugnisse, die zu Konstruktionszwecken vorgearbeitet sind, fallen darunter. Ausgenommen sind der EU-Kommission zufolge unter anderem Waren, die zu Unterbaugruppen zusammengefügt sind und geschweißte Rohre.
Die EU hatte bereits im Oktober vergangenen Jahres einen vorläufigen Antidumping-Zoll auf die Aluminiumstrangpresserzeugnisse aus China erlassen – dieser wurde mit der Entscheidung nun bestätigt. Gültig ist die Regelung für fünf Jahre. Hintergrund der Antidumping-Zölle ist eine Untersuchung der EU-Kommission, die im Februar 2020 eingeleitet wurde, nachdem der europäische Verband European Aluminium eine Beschwerde eingereicht hatte.
Die Untersuchung habe ergeben, dass unlautere Handelspraktiken chinesischer Exporteure der EU-Industrie erheblichen Schaden zugefügt hätten, so die EU-Kommission. Maßnahmen zur Bekämpfung der Praktiken seien notwendig und im Interesse der EU. Der Sektor leide unter “vielen Verzerrungen, die durch Überkapazitäten in China und andere staatlich bedingte Praktiken verursacht werden”, kritisierte die Behörde. Die EU-Kommission arbeitet zudem an vorläufigen Antidumping-Zöllen für bestimmte flachgewalzte Aluminium-Produkte mit Ursprung in China zu erheben. Die Zollsätze sollen zwischen 19,6 und 47,3 Prozent liegen und Mitte April bekanntgegeben werden. ari
China will den Bau neuer Strecken für Hochgeschwindigkeitszüge künftig an striktere Bedingungen knüpfen, um die Schulden für Regionalregierungen zu mindern, wie aus einer neuen Richtlinie des Staatsrates hervorgeht. Laut einem Bericht des Wirtschaftsportals Caixin sollen neue Strecken nur zu Städten gebaut werden, die mehr als 15 Millionen eingehende und ausgehende Fahrten pro Jahr verzeichnen. Streckenerweiterungen sollen nur möglich sein, wenn bisherige Trassen zu mindestens 80 Prozent ausgelastet sind.
Auch eine strengere Kontrolle des Verkehrsaufkommens und eine Bestrafung von Behördenvertretern, die Daten fälschen, ist geplant, so der Bericht. Der Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes half Regionalregierungen in der Vergangenheit dabei, hohe Wachstumszahlen zu erzielen. Laut Caixin fahren die meisten Strecken aber Verluste ein – Ausnahmen bilden die verkehrsreichsten Verbindungen zwischen den größten Städten. nib
Der Spezialchemiekonzern Covestro aus Leverkusen wird Guangzhou Automobile (GAC) in Design- und Materialfrage beraten, wie das Unternehmen mitteilte. Die angekündigte Zusammenarbeit basiere auf einer schon vorausgegangene Kooperation mit GAC, bei der Covestro Sitzrücklehnen für die E-Autos für GAC hergestellt hat. China ist Covestros zweitgrößter Markt mit einem Umsatz von 2,25 Milliarden Euro im vergangenen Jahr, dies entspricht rund 21 Prozent des Gesamtumsatzes. Die kumulierten Investitionen von Covestro in China beliefen sich Ende 2019 auf mehr als 3,6 Milliarden Euro. Covestro entstand 2015 aus der Abspaltung des Geschäftsbereichs Bayer MaterialScience von der Bayer AG. niw
Der Katzenjammer war vorprogrammiert. Die mittlerweile klar erkennbare Chinapolitik der Administration Biden zwingt auch die Europäer dazu, verstärkt über ihre Chinapolitik nachzudenken. Bislang zeigt sich allerdings nur eine den amerikanischen Erwartungen folgende Aggressionsbereitschaft. Mit einer erfolgsorientierten und konstruktiven Politik hat das wenig zu tun. Gerade in Deutschland könnte das Thema nach einem möglichen Regierungswechsel besondere Brisanz entwickeln. China macht es uns dabei nicht unbedingt einfach.
Klar ist derzeit nur eines: Der ökonomische Aufstieg Chinas hat machtpolitische Folgen und das Potential die geopolitischen Gewichte des 21. Jahrhunderts grundsätzlich zu verschieben. Neu ist dieser Gedanke nun wahrlich nicht, aber je deutlicher die Konsequenzen dieser Entwicklung spürbar werden, desto mehr steigt die Unruhe unter westlichen Politikern, Unternehmern und Kommentatoren. Die Bereitschaft, in Extremen zu denken, nimmt zu: Hat Matthias Döpfner recht, der eine enge Anlehnung an die USA fordert, oder im Gegenteil Stefan Baron, der es bei einem missverständlichen, aber schlichten “Ami go home” belässt? Oder doch eher Sigmar Gabriel, der im China.Table der vergangenen Woche zwar sachlich über den “Abschied vom Atlantik” nachdenkt, am Ende aber doch wieder nur in die ewigen Hoffnungsgesänge auf ein endlich handlungsfähiges Europa auf Augenhöhe mit Washington einstimmt?
Zunächst sollten wir uns nicht dem Größenwahn hingeben, den Aufstieg Chinas “managen” zu können. China lässt sich nicht von außen managen, genauso wenig wie es sich übrigens eindämmen lässt. Unsere amerikanischen Freunde haben das noch nicht verstanden und geben sich dem Irrglauben hin, es sei noch an der Zeit die notwendigen Schritte zu ergreifen, um dem machtpolitischen Aufstieg Chinas Einhalt zu gebieten. Und nur weil sie an den Hammer ihres Militärs glauben, glauben Sie auch, China sei ein Nagel, den man nur wieder einzuschlagen brauche. Zwischen dem Hammer und dem Nagel liegt in diesem Fall allerdings der eigene Daumen.
In der Politik steigt derweil die Frustration und damit auch die Bereitschaft, zu immer härteren Formulierungen in der Chinapolitik zu greifen. Chinas zunehmend selbstbewusstes außenpolitisches Verhalten leistet dieser Kritikwut mit den üblichen Reizthemen bereitwillig Vorschub: Kritik an Chinas Politik in Tibet, Xinjiang, Hongkong und dem Indopazifik gehört heute ins Standardrepertoire einer moralisierenden Außenpolitik, die mit klarem Wertebezug zwar, aber ansonsten durchaus ohne Sachkompetenz auskommt. China-Bashing hat Hochkonjunktur. Und Sanktionen sind auch dieses Mal wieder nur die Fortsetzung hilfloser Politik mit rechthaberischen Mitteln. Der Westen könnte das in Anbetracht seiner Sanktionsbilanz schon wissen, China wird es erst noch lernen müssen.
Europäische Selbstermahnungen wirken zunehmend unbeholfen. Die vom französischen Präsidenten geforderte “strategische Autonomie” findet sich in der Realität nicht einmal im Ansatz wieder – weder gegenüber China noch gegenüber den USA. Transatlantische Träume haben auch unter Joe Biden den Beigeschmack von Albträumen. Denn man muss kein Experte sein, um einen schlichten Sachverhalt zu erkennen: Die USA reden über Werte, sie meinen aber geopolitischen Einfluss. Die Europäer tun es ihnen gleich, sie meinen aber wirtschaftliche Interessen. Doppelte Standards werden in beiden Fällen gesetzt.
An anderer Stelle sieht das sogar der deutsche Außenminister in einem seiner klareren Statements ein: Maas wolle eine weitere Eskalation der Beziehungen mit Russland vermeiden, zitiert ihn die Deutsche Welle. Maas weiter: “Unsere Haltung zu Nord Stream 2 ist bekannt. Wenn die beteiligten Firmen ihre Aktivitäten stoppen würden, muss das keine konkreten Auswirkungen auf den Fall Nawalny haben. Wir halten es nicht für richtig, Russland wirtschaftlich zu isolieren. Eine wirtschaftliche Isolation Russlands würde geostrategisch dazu führen, dass man Russland und China immer weiter zusammentreibt. Und das kann nicht in unserem strategischen Interesse sein. Es könnte eher noch schwieriger werden, überhaupt noch über solche Themen mit Russland zu sprechen.” Da hat er nun mal ausgesprochen recht. Aber wer das sagt, sollte eigentlich genau dasselbe über Sanktionen gegen China sagen. Die Doppelmoral der deutschen Außenpolitik und ihrer führenden Vertreter ist immer wieder bemerkenswert.
Wie also könnte eine weniger moralisierende Chinapolitik aussehen? Idealerweise sollte sie aus mindestens drei Schritten bestehen.
Militärische Muskelspiele sind derzeit im Westpazifik an der Tagesordnung. Provoziert durch außenpolitisches Nachtreten einer schon fast aus dem Amt entlassenen US-Regierung wegen Taiwan, revanchiert sich Peking mit einer gezielten Verletzung des von Taiwan beanspruchten Luftraums. Daraufhin verlegt der neue amerikanische Präsident als Zeichen seiner Handlungsfähigkeit mit der “USS Theodore Roosevelt” einen zweiten Flugzeugträger in die Straße von Taiwan. Und plötzlich wollen auch die Europäer dabei sein: Die Franzosen mit ihrem Atom-U-Boot “Émeraude” und die Briten mit ihrem Flugzeugträger “HMS Queen Elizabeth”. Selbst die Deutschen wollen mit einer Fregatte Flagge zeigen – wenn sie es denn über Wasser in das südostasiatische Seengebiet schafft. Symbolische Machtpolitik nach Vorbild des 19. Jahrhunderts, so als wüsste man nicht um die Risiken einer Zufallskonfrontation mit katastrophalen Folgen. Europa ist keine pazifische Macht und wäre gut beraten, sowohl die USA als auch China zu einer Reduktion militärischer Konfliktpotentiale zu drängen.
In der Kunst der Diplomatie kommt es darauf an, Dinge auch einmal unausgesprochen zu lassen, gerade wenn sie offensichtlich sind. Chinadebatten im Westen leiden an einem Übermaß an verbaler Kritikwut. Das soll nicht heißen, dass die China-Kritik aus westlicher Sicht nicht berechtigt ist. Aber was kann China-Bashing wirklich bewirken bzw. verbessern? Nehmen wir nur das derzeit beliebteste Beispiel: Die Vorgänge in Xinjiang als Anlass für Sanktionen zu nehmen, wie es die Europäische Union gerade getan hat, sichert innenpolitischen Zuspruch und medialen Applaus, aber es hilft den Menschen in den betroffenen Regionen nicht. Stattdessen verleitet es China nur zu Trotzreaktionen und stellt sicher, dass auch der letzte Dialogkanal verstopft wird.
Ein Grundproblem wird offensichtlich: Politiker wissen sehr genau, was man zu Hause, in ihren Wahlkreisen und Parteigremien von ihnen erwartet und welche Sprache man hören will. Wer China laut kritisiert, kann sich des Applauses sicher sein. Häufig geht es dabei gar nicht primär um China, sondern um Sichtbarkeit in den deutschen und europäischen Medien und um Zuspruch in der jeweiligen Innenpolitik.
Statt markiger Worte ist das Bohren dicker Bretter angesagt. Wer nur mit der westlichen Wertebrille auch China schaut, muss nichts mehr lernen über dieses komplexe und für uns paradoxe Land, weil das Urteil ohnehin von vornherein feststeht. Wer aber für sich in Anspruch nimmt, auf innenpolitische Vorgänge in China Einfluss nehmen zu wollen, der muss alles Erdenkliche tun, um Dialogkanäle offenzuhalten und sie nicht durch provokante und überzogen aggressive Sprache zu verschließen.
Statt auf aggressive Anklagen und militärische Drohgebärden zu setzen, scheint eine derzeit weniger beliebte Strategie langfristig doch das Potential zum Königsweg zu haben: Kann man also mit China nicht über Hongkong, Xinjiang und Tibet sprechen? Natürlich kann man das. Aber der Ton macht die Musik. Wer das Land nicht gleich mit markigen Worten auf die Anklagebank setzt, hat zumindest die Chance, Gehör zu finden – und vielleicht auch in stiller Diplomatie den ein oder anderen Erfolg zu verbuchen.
Wer anerkennt, dass die großen globalen Probleme unserer Zeit nur gemeinsam mit China und nicht ohne oder gegen China gelöst werden können, müsste eigentlich ohne großes Nachdenken selbst auf die Idee kommen, dass man mit diesem Land und seiner Regierung reden, verhandeln, vielleicht auch streiten muss, um Lösungen zu finden, die für alle Seiten akzeptabel sind. Nur so wird sich die gemeinsame Erarbeitung globaler Güter sicherstellen lassen. Nur so werden sich Frieden und Wohlstand erhalten lassen.
Es ist höchste Zeit, dass Chinapolitik im Westen als ständige und dauerhafte Managementaufgabe und nicht als Problem gesehen wird, dass mit aller Macht, schnell und endgültig nach einer Lösung verlangt. Den Untergang des Abendlandes bedeutet der Aufstieg Chinas nicht, wohl aber die Notwendigkeit, die fatalen machtpolitischen Denkmuster des 20. Jahrhunderts in die Mottenkiste der Geschichte zu verbannen.
Eberhard Sandschneider, war von 1998 bis 2020 Professor für Politik Chinas und internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Heute ist er Partner bei der Beratungsfirma “Berlin Global Advisors”.
auf gut 120 Seiten beschreiben Wissenschaftler:innen im Auftrag der WHO ihre Suche nach dem Ausgangspunkt des Coronavirus in Wuhan – aufspüren konnten sie ihn allerdings nicht. “Wir haben den Ursprung des Virus noch nicht gefunden”, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. Alle Thesen lägen noch auf dem Tisch.
In dem lang erwarteten Bericht kommt das Team zu dem Schluss, dass das Virus außer in Fledermäusen auch in Schuppentieren seinen Ursprung haben könnte. Die Wissenschaftler:innen betonten, dass weitere Studien unabdingbar seien, um der Sache richtig auf den Grund gehen zu können. Die Theorie, dass das Virus aus einem Labor entwichen sein könnte, bezeichneten sie jedoch als “extrem unwahrscheinlich”.
Wissenschaftler:innen um das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel haben indes erstmals 100 chinesische Kreditverträge mit Entwicklungs- und Schwellenländern genauer unter die Lupe nehmen können – und fanden Geheimhaltungsklauseln und möglichen politischen Einfluss Pekings in den Staaten. Nico Beckert konnte die Studie vorab für China.Table einsehen und analysieren.
Das wirtschaftliche Drama um den im Suezkanal havarierten Frachter “Ever Given” hat in Peking die Alarmglocken schrillen lassen. Denn eine andere Meeresenge ist noch viel gefährlicher für die Versorgung Chinas: Die Straße von Malakka bei Singapur. Peking sucht nach Alternativen zu dem See-Nadelöhr, schreibt Frank Sieren.
Ted Hui war in Hongkong Parlamentarier, seit Dezember ist er mit seiner Familie auf der Flucht. Mit Marcel Grzanna hat er über sein Schicksal und das seiner Mitstreiter gesprochen.
Fast eine Woche lang blockierte das Containerschiff “Ever Given” das südliche Ende des Suez-Kanals und damit eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt. Das gigantische 200.000 Tonnen-Schiff war auf dem Weg von China nach Rotterdam gewesen und dann auf Grund gelaufen. Dem Kieler Institut für Weltwirtschaft zufolge fahren 98 Prozent der Containerschiffe durch den Suez-Kanal, wenn sie zwischen Deutschland und China unterwegs sind.
Dennoch ist eine andere Meeresenge noch viel gefährlicher für die Versorgung von China. Denn während durch den Suez-Kanal vor allem Produkte “Made in China”, aber auch Zulieferteile aus Europa transportiert werden, läuft ein Großteil der Öllieferung aus Saudi-Arabien und dem Irak durch die Straße von Malakka bei Singapur.
Durch die Meerenge nahe der gleichnamigen malaysischen Stadt, die den Indischen Ozean mit dem Pazifik verbindet, gehen 80 Prozent der chinesischen Öl-Importe – gut 20 Prozent des chinesischen Energiebedarfs. Würde es hier zu einer Blockade kommen, sei es durch eine Havarie, Terroristen oder einen militärischen Konflikt, wäre China, das Land, das am stärksten getroffen wäre.
Die Unterschiede zum Suez-Kanal sind groß: Während der Suez-Kanal knapp 200 Kilometer lang ist, ist die Straße von Malakka 900 Kilometer lang. Zwar ist die Meeresenge mit 2,7 Kilometer rund zehnmal breiter als der Kanal, der an der engsten Stelle nur 280 Meter breit ist. Aber dafür müssen jährlich sechsmal mehr Schiffe durch. Während jährlich weniger als 20.000 Schiffe den Suez-Kanal passieren, sind es in der Straße von Malakka rund 120.000.
Staatspräsident Xi Jinpings Vorgänger Hu Jintao sprach bereits vor 18 Jahren vom “Malakka-Dilemma”. Die Straße von Malakka ist eine der größten Achillesfersen für den Aufstieg Chinas. Chinesische Militärstrategen warnen schon seit Jahren, dass diese “Aorta des Indo-Pazifischen Raums” China in einer geopolitischen Krise äußerst verwundbar machen könnte. Eine gefährliche Abhängigkeit, auf die sich eine aufsteigende Weltmacht unmöglich auf Dauer einlassen kann. China ist massiv von Erdölimporten abhängig, rund 40 Prozent stammen aus Staaten um den Persischen Golf.
Erst diesen Monat hat Peking ein neues Kooperationsabkommen mit dem Iran geschlossen. Der Iran liefert erst drei Prozent des chinesischen Öls. Das soll sich nun ändern. Die Vereinbarung mit einer Laufzeit von 25 Jahren sieht vor, dass China 400 Milliarden Dollar in den iranischen Energie-, Verkehrs- und Bankensektor sowie Telekommunikationsbereich investiert. Im Gegenzug hat der Iran versprochen China mit günstigem Erdöl zu beliefern. Zu gemeinsam geplanten Projekten gehört auch der Ausbau des iranischen Hafens Bandar-e Jask in der Straße von Hormus. Das alles trotz der Sanktionen, die die USA gegen den Iran verhängt haben. Damit wird die Straße von Malakka ein noch größerer Brennpunkt, zumal der Ölbedarf Chinas stetig steigt. Bereits 2017 hat das boomende Land die USA als weltweit größten Ölimporteur überholt. Selbst im Coronajahr stiegen die Importe um mehr als sieben Prozent. Und 2020 überholte China erstmals Japan als der weltgrößte Importeur von Flüssiggas. Auch das wird überwiegend auf LNG-Schiffen transportiert.
Die Zugverbindung zwischen Europa und China, für die Peking unablässig wirbt, ist bei diesem Thema allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Obwohl 2020 über 56 Prozent mehr Container auf der Schiene transportiert wurden, sind es insgesamt nur rund 1,2 Millionen, also nur rund 60 Schiffsladungen voll. Es fahren aber wie gesagt 120.000 Schiffe jährlich durch die Straße von Malakka.
Vor allem Pipelines sind in der Lage, die Abhängigkeit zu verringern. Da kommen Chinas Nachbarländer wie Russland und Kasachstan ins Spiel.
Die Lieferungen aus Russland hat China in den letzten Jahren massiv ausgebaut. Inzwischen ist Russland mit einem Anteil von 15,3 Prozent der zweitgrößte Öl Lieferant Chinas, knapp hinter Saudi-Arabien. Der Irak folgt mit knapp zehn Prozent.
Deswegen sind neue Pipelines einer der wichtigsten strategischen Punkte der Belt and Road Initiative (BRI). Dazu gehören die die Kazakhstan-China-Pipeline, die Eastern-Siberian-Pacific-Ocean-Pipeline, die Myanmar-Yunnan-Pipeline und die Gwadar-Xinjiang-Pipeline. Letztere ist das spektakulärste Projekt. Die Pipeline soll vom pakistanischen Hafen Gwadar unmittelbar an der iranischen Grenze diagonal durch Pakistan von Südwesten nach Nordosten nach Kashgar in China verlaufen. Dazu müsste das Öl über einen 4.700 Meter hohen Pass gepumpt werden. Wie groß die Sorgen um die Straße von Malakka sind, zeigt das Peking bereit wäre, fünfmal höhere Kosten pro Barrel zu akzeptieren, wenn das Öl durch die Pakistan-Pipeline transportiert werden könnte. Ein Baubeginn steht jedoch noch nicht fest.
Seit 2017 sind hingegen schon der Tiefseehafen von Kyaukpyu im Golf von Bengalen und eine strategische Pipeline in Betrieb, die Öl aus Afrika und dem Nahen Osten quer durch Myanmar nach China pumpt und damit die Straße von Malakka vermeidet.
Der sogenannte “China-Myanmar Economic Corridor” verkürzt zudem die Transportzeit, die von Saudi-Arabien durch die Malakka-Meerenge derzeit zwischen 30 und 33 Tagen beträgt, um 30 Prozent. Die Kosten: 1,5 Milliarden US-Dollar. Der jüngste politische Coup in Myanmar und immer wieder aufflammende Proteste gegen China machen die Zusammenarbeit jedoch schwierig.
Schon lange hofft Peking auch auf den Bau eines neuen Kanals in Südthailand, wo das Land zwischen dem Golf von Thailand und die Andamanensee nur rund 40 Kilometer breit ist. Der Kra-Kanal (auch Thai-Kanal oder Kra-Isthmus-Kanal genannt) würde, ähnlich wie einst der Panamakanal, die Schifffahrtswege nicht nur verkürzen – in diesem Fall um bis zu sechs Tage – sondern auch die globalen Machtverhältnisse neu justieren. Bangkok prüft noch, scheut aber seinen Anteil der hohen Kosten von 28 Milliarden US-Dollar und befürchtet angesichts der Investitionen von China zu abhängig von Peking zu werden. In jedem Fall jedoch soll es eine “Landbrücke” mit zwei neuen Häfen, eine Autobahn und eine Zugverbindung geben.
Immer wichtiger wird für Peking auch die Nordostpassage, die vom Nordpazifik über die Beringstraße entlang der russischen Nordmeerküste in den nordöstlichen Atlantik führt. Wenn der Klimawandel weiter fortschreitet, könnten die Seewege im arktischen Meer schon Mitte des 21. Jahrhunderts eisfrei sein und den Gütertransport zwischen Asien und Europa deutlich verkürzen. Die Nordostpassage ist schon heute im Sommer befahrbar. Laut der Agentur Germany Trade & Invest nahm der Schiffverkehr auf der Nordostpassage zwischen 2016 und 2019 um 430 Prozent auf 31,5 Millionen Tonnen zu; davon waren 60 Prozent russisches Flüssiggas. Die Nordwestpassage könnte ihr bald folgen.
Seit den frühen 2000er-Jahren hat China mehr als 2.000 Kreditverträge mit Entwicklungs- und Schwellenländern abgeschlossen. Über die Belt and Road Initiative (BRI) finanziert Peking Infrastrukturprojekte in dutzenden Ländern. Bei Energieprojekten gehören die chinesischen Entwicklungsbanken seit Jahren zu den größten Geldgebern. China hält beispielsweise mindestens 21 Prozent der Schulden der afrikanischen Länder. Dem Forscherteam um das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel ist es nun erstmals gelungen, 100 Kreditverträge chinesischer Entwicklungsbanken (84), der Zentralregierung (4), staatlicher Geschäftsbanken (8) und Lieferantenkredite (4) an 24 Staaten in Höhe von mehr als 36 Milliarden US-Dollar auszuwerten und sie in einer Datenbank aufzubereiten.
Normalerweise unterliegen solche Verträge – nicht nur chinesische – strenger Geheimhaltung. Die Forscher:innen haben die chinesischen Verträge mit 142 Verträgen Kameruns verglichen, die der afrikanische Staat mit privaten sowie bi- und multilateralen Gebern abgeschlossen und veröffentlicht hat.
Alle Kreditverträge, die China nach 2014 mit Partnerstaaten abgeschlossen hat, enthalten “weitreichende Vertraulichkeitsklauseln“, so die Studie. Das Jahr 2014 markiert hier einen deutlichen Wendepunkt. Die meisten dieser Klauseln verpflichten den Kreditnehmer, die Vertragsbedingungen und mitunter sogar die Existenz der Schulden geheim zu halten. Zum Vergleich: Nur zwei der 142 Kreditverträge der Vergleichsstichprobe aus Kamerun enthalten ähnlich starke Vertraulichkeitsklauseln.
Diese Geheimhaltung führt dazu, dass die wahre Verschuldung eines Staats schwer einzuschätzen ist. Drohende Überschuldungen könnten somit nicht frühzeitig genug wahrgenommen werden, warnen die Forscher:innen. Sie kritisieren jedoch auch, dass etwas über ein Drittel der Verträge aus der kamerunischen Vergleichsstichprobe Vertraulichkeitsklauseln enthalten, wenn auch schwächer ausformuliert. Zwar teilen Gläubiger gewisse Informationen der Öffentlichkeit und anderen Gläubigern mit, es gäbe jedoch keine einheitlichen Transparenzstandards.
Laut der Studie versucht China, sich Vorteile gegenüber anderen Kreditgebern zu verschaffen. In fast 75 Prozent der analysierten chinesischen Kreditverträge wurden Umschuldungs-Klauseln enthüllt. Sie verpflichten den Schuldnerstaat, die chinesischen Kredite im Falle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit weiterhin zu bedienen, statt sie, wie andere Kredite auch, in Umschuldungsprogramme aufzunehmen. Kein einziger Vertrag aus der Vergleichsstichprobe enthält solche Klauseln. China würde theoretisch davon profitieren, wenn ein anderer Kreditgeber einen Schuldenerlass gewährt. Doch Regierungen seien “abgeneigt, Schuldenerleichterungen zu gewähren, wenn sie am Ende andere Gläubiger subventionieren”, so die Autor:innen. Pocht China auf die Einhaltung der Umschuldungsklausel, wird der Schuldner kaum eine Umschuldung von anderen Gebern erhalten.
Schon in der Vergangenheit stand dieser Konflikt Schuldenerleichterungen im Weg. Allerdings hat China im letzten Jahr erstmals auf G20-Ebene zugestimmt, seine Forderungen an die ärmsten staatlichen Schuldner gemeinsam mit den Mitgliedern des Pariser Clubs umzustrukturieren. Hier zeigt sich also: Was in den Kreditverträgen steht, wird von Peking nicht zwingend auch umgesetzt.
Peking könnte über spezielle Vertragsklauseln auch Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik der Schuldner nehmen, so die Studie. Wenn das Schuldnerland seine Politik “signifikant” verändere, könne Peking bei 90 Prozent der Krediten auf eine sofortige Rückzahlung bestehen. Bei den Verträgen der China Development Bank sei das sogar möglich, wenn das Partnerland seine diplomatischen Beziehungen mit China abbricht – sich also beispielsweise Taiwan zuwendet. Viele Kreditverträge würden nicht definieren, was unter einer signifikanten Veränderung von Gesetzen zu verstehen sei. Oft habe China das Recht, zu entscheiden, was signifikant bedeutet, so Sebastian Horn vom IfW gegenüber China.Table. Dass Peking der größte Kreditgeber einer Vielzahl von Staaten ist, ihnen also Alternativen fehlen, zeigt die potentielle Macht solcher Klauseln.
Auch bei Arbeitsrecht oder Umweltschutz könnten Pekings Vertragsklauseln Verbesserungen in den Schuldnerstaaten verhindern. 30 Prozent der chinesischen Kreditverträge enthalten sogenannte Stabilisierungsklauseln. Konkret heißt das: Sollte das Schuldnerland Gesetze einführen, die sich auf Projekte auswirken, die mit chinesischen Krediten finanziert werden, müsste der Schuldnerstaat den chinesischen Geldgeber entschädigen – beispielsweise in Form von Steuererleichterungen oder Konzessionsverlängerungen.
Das kann zu einer kostspieligen Angelegenheit werden, die Gesetzesveränderungen im Arbeitsrecht oder beim Umweltschutz verhindern könnte. Doch auch westliche Staaten nutzen solche Stabilisierungsklauseln. Laut Vergleichsstichprobe aus Kamerun kommen sie dort sogar häufiger vor als in den chinesischen Verträgen. Allerdings seien die Klauseln der chinesischen Exim-Bank die schärfsten, so die Autor:innen.
Chinas Kreditverträge “unterscheiden sich nicht in der Art, sondern im Ausmaß von kommerziellen und anderen bilateralen Kreditgebern“, heißt es in der Untersuchung. Alle Gläubiger versuchen, die “Aussicht auf Rückzahlung mit allen ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Mitteln zu maximieren“. China bestreite dabei jedoch auch neue Wege. Ein Grund dafür könnte sein, dass China einer der größten Geber ist. Generell ist das Ausfallrisiko bei Entwicklungsländern hoch. Die Klauseln dienen dementsprechend als Absicherung. Sie “erlauben es manchen Hochrisikoländern wie Venezuela, der Demokratischen Republik Kongo oder Sierra Leone erst, so große Kredite überhaupt zu erhalten”, sagt Sebastian Horn vom IfW. Das hohe Ausfallrisiko versuche China durch Vertragsklauseln zu minimieren.
Ob und in wie vielen Fällen China die Vertragsklauseln auch umsetzt, können die Autor:innen nicht abschätzen, da es nicht Fokus der Studie war. Es gibt jedoch anekdotische Belege: Als die neue Regierung Argentiniens ein chinesisch finanziertes Staudammprojekt aufgrund von Umweltbedenken stoppen wollte, drohte die China Development Bank, die Finanzierung anderer laufender Projekte im Land zu stoppen. Argentiniens Regierung lenkte schnell ein.
Die Wissenschaftler:innen warnen auch davor, dass einige der Kreditklauseln in Schulden- und Finanzkrisen zum Problem werden könnten. Ein erster Schritt zu mehr Kooperation und Koordination könnte Chinas Bekenntnis zum G20 Common Framework sein, der zu einem Schuldenerlass für die ärmsten Länder führen soll.
Auch hat China schon in der Vergangenheit eine “wichtige Rolle” beispielsweise bei der Unterstützung afrikanischer Staaten und ihren Schulden gespielt. Zwischen 2000 und 2019 hat Peking die Schulden von zehn afrikanischen Staaten in Höhe von 7,5 Milliarden US-Dollar “umgeschichtet” – das heißt, den Schuldendienst verlängert oder geringere Zinsen angesetzt. Zudem hat China 3,4 Milliarden US-Dollar afrikanischer Schulden erlassen.
Generell fordert das Forscherteam um das IfW, dass Staatsschulden mit Blick auf ihre Höhe und ihre Kreditkonditionen transparent und öffentlich sein müssen, damit Bürgerinnen und Bürger ihre Regierungen dafür zur Rechenschaft ziehen können.
Das Ende des Hongkonger Wahlrechtssystems, wie er es kannte, nahm Ted Hui aus sicherer Distanz mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis. Während in Peking der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses am Dienstag einstimmig (167:0) eine Gesetzesreform in Kraft setzte, die der Volksrepublik China die endgültige Kontrolle über die Besetzung aller politischen Schlüsselstellen in Hongkong verschafft, organisiert Hui sein neues Leben im Exil. Bis September 2020 war der 38-Jährige ein demokratisch gewählter Abgeordneter im Legislativrat der Stadt, dem Hongkonger Parlament. Seit Anfang Dezember befindet er sich auf der Flucht vor den Behörden, die wegen Verstößen gegen das Nationale Sicherheitsgesetz gegen ihn ermitteln. Über Dänemark und Großbritannien hatte Hui Anfang März mit Frau und zwei Kindern Australien erreicht.
Mit dem Beschluss des Ständigen Ausschusses gehen der demokratischen Opposition in Hongkong auch die letzten Werkzeuge verloren, um auf die politische Zukunft der Metropole relevant Einfluss nehmen zu können. Das Parlament wird von 70 auf 90 Sitze vergrößert, der Ausschuss zur Wahl des Regierungschefs oder der Regierungschefin wächst um 25 Prozent auf 1500 Wahlberechtigte an. Die zusätzlichen Mandate will die chinesische Regierung an Lobbyisten vergeben, die für Pekings Interessen garantierte Mehrheiten schaffen.
“Wir (Demokraten) haben unsere Sitze im Parlament, sämtliche Einflussnahme auf Hongkongs Politik, unsere Freiheit und den zivilen Raum verloren”, bilanziert Hui im Telefongespräch mit China.Table, mehr als anderthalb Jahre nach dem Beginn der Protestbewegung in Hongkong gegen die zunehmend autoritären Strukturen, die Peking der Stadt aufzwingt. Eigentlich ist das ein düsteres Fazit nach vielen Monaten eines ungleichen Kampfes zwischen Student:innen, pro-demokratischen Oppositionellen, politisch Interessierten wie Uninteressierten sowie einigen Radikalen auf der einen und die vielleicht widerstandsfähigste Diktatur der Welt auf der anderen Seite, entschlossen und gewaltbereit. Doch Hui ist sicher, “dass die Bewegung die Herzen der Menschen gewonnen hat.” Bis zu zwei Millionen Menschen waren anfänglich gemeinsam auf die Straßen gegangen.
Der Bewegung sei es gelungen, das Regime so unter Druck zu setzen, dass es nur auf Kosten eines enormen internationalen Reputationsverlusts in der Lage gewesen ist, seine Macht zu behaupten. Der Preis, den Hui ebenso wie zahlreiche andere Politiker:innen und Studentenführer:innen persönlich dafür zahlen, ist jedoch hoch. Viele müssen mit langen Gefängnisstrafen rechnen. Auch Ted Huis Welt ist komplett aus den Angeln gehoben. Eine Rückkehr nach Hongkong? Scheint für viele Jahre ausgeschlossen zu sein, wenn nicht zeitlebens. “Es ist schmerzhaft, nicht mehr nach Hause zu können und für die Kinder hart zu verstehen, dass wir vielleicht nie wieder zurückgehen. Aber in Australien fühle ich mich vor einer willkürlichen Festnahme sicher”, sagt er.
Das Nationale Sicherheitsgesetz in Hongkong gibt Staat und Ermittlern seit Mitte vergangenen Jahres die rechtliche Grundlage, jeden Oppositionellen oder Aktivisten anzuklagen. Das Sicherheitsbüro spricht in einer Stellungnahme gegenüber China.Table von neun Anschuldigungen in vier Fällen gegen Hui, u.a. “Sachbeschädigung, Zugang zu Computern in betrügerischer Absicht, der Versuch der Rechtsbeugung und Missachtung des Gerichts”. Hui wird diese Vorwürfe kaum ausräumen können, weil das vage formulierte Sicherheitsgesetz den Ermittlern ausreichend Spielraum lässt, um die Vorwürfe zu konstruieren. Die Anschuldigungen stehen auch im Zusammenhang mit Huis Beteiligung an der Organisation inoffizieller Vorwahlen des demokratischen Lagers im vergangenen Jahr. Die Behörden werten das als eine Verschwörung zur Untergrabung der Staatsmacht. Mögliches Strafmaß: Lebenslang.
Während 53 seiner Mitstreiter Anfang Januar festgenommen wurden, kam Hui den Behörden zuvor. Im Dezember war er einer offiziellen Einladung dänischer Politiker zu einer vermeintlichen Konferenz in Kopenhagen gefolgt (China.Table berichtete). Die Veranstaltung war frei erfunden. Mit der schriftlichen Einladung aber bewegte Hui die Behörden in Hongkong dazu, ihm seinen konfiszierten Reisepass auszuhändigen. Die Polizei ermittelt wegen Betrugs. Hui flog nach Dänemark, seine Familie kurz darauf nach London. Dort trafen sie sich wieder.
Ein Dutzend weiterer Aktivisten, die sogenannten “Hongkong 12”, waren im vergangenen Jahr mit ihrem Fluchtversuch gescheitert. Ihr Schnellboot, das sie aus Hongkong nach Taiwan bringen sollte, war von chinesischen Sicherheitskräften aufgehalten worden. Monatelang waren die Mitglieder der Gruppe in Shenzhen inhaftiert. Acht von ihnen wurden am vergangenen Montag an die Behörden in Hongkong übergeben, darunter Andy Li, Migründer der Kampagne Fight for Freedom – Stand for Hong Kong, eine Crowdfunding-Plattform, die rund zwei Millionen Euro zur Unterstützung der Proteste einsammelte. Schon am heutigen Mittwoch beginnt der Prozess gegen ihn, ohne dass er persönlich anwesend ist. Li wird bis zum Ende einer zweiwöchigen Quarantäne getrennt von den sieben anderen in einer Psychiatrie festgehalten, berichtet die Tageszeitung Apple Daily. Zwei der “Hongkong 12” waren bereits im Dezember von China ausgeliefert worden, zwei andere sitzen noch immer in Shenzhen in Haft.
Man werde “die Aufenthaltsorte der flüchtigen Straftäter auf verschiedene gesetzeskonforme Weise ermitteln und (die Straftäter) verfolgen”, kündigt das Sicherheitsbüro an. Doch trotz der Drohung macht Hui weiter Politik. In England traf er mit Nathan Law zusammen, einem früheren Hongkonger Studentenführer, der 2016 ebenfalls ins Parlament der Stadt gewählt wurde. Im Jahr darauf saß Law eine achtmonatige Haftstrafe ab für seine zentrale Rolle bei den Protesten von 2014. Im vergangenen Sommer ging er ins Exil nach Großbritannien aus Angst vor einer weiteren Verurteilung. Wochenlang erörterten Hui und Law gemeinsam mit sechs anderen Flüchtigen, darunter Glacier Kwong als einzige Frau, die Strategie für die Zukunft. Hui ist mit Abstand der Älteste der Gruppe, deren Mitglieder im Schnitt jünger als 30 Jahre sind. Er sagte zu, für die Lobbyarbeit nach Australien zu gehen, während die anderen in Nordamerika und Europa tätig bleiben. Die Aktivisten versuchen, an ihren Standorten Einfluss zu nehmen auf die China-Politik ihrer Gastländer.
In der vergangenen Woche tauschten sich Hui und Law mit dem Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) der Europäischen Union in einer Videokonferenz aus. Es war ein günstiger Zeitpunkt, um mit den 27 EU-Botschaftern der Mitgliedsstaaten ins Gespräch zu kommen. Das Gremium war kurz zuvor von China sanktioniert worden, nachdem die EU ihrerseits Sanktionen gegen chinesische Funktionäre wegen der Menschenrechtsverbrechen an den Uiguren in Xinjiang verhängt hatte. Entsprechend interessiert waren die Europäer an den Einschätzungen der beiden Hongkonger Politiker. Aus der geplanten halben Stunde wurden 60 Minuten. Law und Hui appellierten unter anderem an die EU-Vertreter, die Ratifizierung des Investitionsabkommens CAI mit China durch das EU-Parlament an härtere Bedingungen zu knüpfen.
Die Lobbyarbeit der Gruppe wird auch die deutsche Politik erreichen, die als tragendes Element der europäischen Haltung gegenüber China gilt. Seit seiner Flucht hat Ted Hui mit zahlreichen EU-Abgeordneten gesprochen. Seine Schlussfolgerung: Deutschland muss als größte Volkswirtschaft des Kontinents mehr tun für die Menschenrechte. CAI habe vor allem der deutschen Industrie gedient. “Das ist für mich nur schwer nachzuvollziehen, dass Deutschland mit seiner großen Verhandlungsmasse seine Handelsinteressen priorisiert. Anfangs hatte ich das Gefühl, Deutschland würde unser Anliegen sehr unterstützen. Aber der Wind hat sich offenbar gedreht“, sagt Hui. Die Gruppe wolle den Austausch mit der deutschen Politik deshalb unbedingt verstärken.
Vor wenigen Tagen dann veröffentlichte die achtköpfige Gruppe die 2021 Hongkong Charter. Das Dokument ist ein Aufruf zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. In 25 Punkten klagt es die Kommunistische Partei der Volksrepublik China für ihre autoritäre Politik an. Es fordert das Ende politischer Unterdrückung und die Selbstbestimmung der Bürger:innen Hongkongs. Und es ruft zu weltweiten Allianzen auf, um sich Pekings “globaler Aggression” entgegenzustellen. Der Aufruf soll Mut machen, “besonders der Hongkong Diaspora überall im Ausland”, sagt Hui. “Es ist unser Signal zu zeigen, dass wir da sind und dass wir weitermachen.” Dazu überbrückten die Autoren des Papiers ihre politischen Differenzen. Sie stammen aus drei Lagern der demokratischen Opposition. Spätestens das Exil hat sie endgültig vereint.
Die Bezeichnung 2021 Hongkong Charter ist nicht zufällig gewählt. Die Jahreszahl im Titel ist inspiriert durch die Charter 08, die der spätere Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo vor den Olympischen Spielen in Peking im Jahr 2008 initiiert hatte und dafür in Haft ging, in der er später verstarb. Unterschreiben kann das Papier prinzipiell jeder, aber in erster Linie sollen es Hongkonger:innen sein, die ihre Solidarität bekunden wollen. Für die Aktivisten:innen steht viel auf dem Spiel. Sie wollen herausfinden, ob sie Einzelkämpfer sind oder breite Unterstützung finden unter ihren Landsleuten im Ausland. Rund 600 Individuen und drei Dutzend Organisationen und Gruppen haben bislang unterzeichnet.
China macht Fortschritte bei der Ausgestaltung des neuen Emissionshandels. Diese Woche gab das Umweltministerium eine konkretere Regulierung für das neue System sowie eine Verordnung für die Emissions-Berichterstattung der beteiligten Staatsfirmen heraus. Beides weist darauf hin, dass das System nun Zähne bekommt. Die Regulierung des Emissionshandels wird ab sofort statt auf Ministeriums- auf Staatsratsebene gehoben – was eine größere Durchsetzungskraft bedeutet (die höchste Ebene sind vom Nationalen Volkskongress verabschiedete Gesetze). Sie beinhalten bereits Strafen für Nichteinhaltung der Regeln. Der Entwurf wird nun aber erst einmal beraten. Auch die Regeln zur Berichterstattung beinhalten Strafzahlungen für falsche Daten.
Der Entwurf der neuen Staatsrats-Verordnung zum Emissionshandel vom Dienstag beinhaltet unter anderem einen möglichen Emissionshandel-Fonds. Dieser könnte künftige Auktionserlöse in nationale Projekte zur Emissionsreduktion stecken. Noch werden die Emissionsquoten kostenlos vergeben – der Fonds deutet also darauf hin, dass sich dies ändern könnte. “Wir sehen einen signifikanten Anstieg der Strafen für unvollständige, gefälschte oder unvollständige Aufzeichnungen und Berichte”, schrieb Liu Hongqiao, Beraterin und Autorin für den Newsletter Carbon Brief, auf Twitter. Auch seien gegenüber der provisorischen Regeln vom Dezember neue Vergehen mitsamt Geldstrafen hinzugefügt worden, darunter Betrug und Marktmanipulation oder illegale Transaktionen.
Außerdem veröffentlichte das Umweltministerium am Montag neue Regeln, die Falschmeldungen von Emissionen verhindern sollen. Dies richte sich gegen “Dutzende staatseigene Unternehmen, die ihre eigenen Tochtergesellschaften mit der Überprüfung ihres CO2-Ausstoßes beauftragt haben”, schreibt Stian Reklev, Gründer der Website Carbon Pulse, ebenfalls auf Twitter. So haben laut Reklev einige der großen staatlichen Energieversorger eine Hierarchie von CO2-Tochtergesellschaften aufgebaut – Handel, Beratung sowie das für die Kohlenstoff-Berichterstattung zentrale MRV-Wesen (Measurement, Reporting and Verification). Mit diesen konnten sie bislang ihre eigenen Emissionen überprüfen, doch jetzt will die Regierung diesem Treiben offenbar einen Riegel vorschieben.
Die neuen Berichterstattungs-Regeln enthalten genaue Deadlines für die Meldung der Emissionen für jedes Jahr, so Yan Qin, Analystin bei der Carbon-Research-Firma Refinitiv auf Twitter. Demnach müssen die Firmen bis zum 30. April ihre Emissionsdaten für 2020 vorlegen, die bis Ende Juni verifiziert werden.
Im Sommer soll der Handel mit Zertifikaten an der Shanghai Environment and Energy Exchange starten. Bislang müssen 2.225 staatliche Firmen aus dem Energiesektor an dem System teilnehmen. Die Meldebehörde für teilnehmende Unternehmen in Wuhan arbeitet bereits, erste Emissionsquoten sind ebenfalls bereits vergeben. Es wird davon ausgegangen, dass der Emissionshandel schrittweise ausgebaut wird. ck
Der chinesische Pharmahersteller CanSino Biologics führt nach eigenen Angaben mit mehreren EU-Ländern Gespräche über eine mögliche Bestellung seines Covid-19-Impfstoffes. Drei Mitgliedstaaten der Europäischen Union hätten sich an den in Tianjin ansässigen Impfstoffentwickler gewandt, um einen möglichen Kauf zu erörtern, bestätigte Pierre Morgon, der als Senior Vice President von CanSino für das internationale Geschäft verantwortlich ist, China.Table. Um welche EU-Länder es sich dabei handelte, wollte Morgon mit Verweis auf die laufenden Gespräche nicht preisgeben.
Der Vektor-Impfstoff von CanSino, der in einer Dosis verabreicht wird, hat Medienberichten zufolge bereits eine Notzulassung in Ungarn erhalten. Das ungarische Institut für Pharmazie und Ernährung erteilte die Zulassung für den Impfstoff mit dem Handelsnamen Convidecia auf der Grundlage von Zwischenergebnissen einer Phase-III-Studie, wie Reuters berichtete.
Für CanSino wäre der Verkauf des Impfstoffes an Ungarn ein erster Schritt in die EU – bisher ist das Vakzin aus Tianjin außerhalb Chinas nur in Pakistan und Mexiko zugelassen. Das Projekt von CanSino hatte dadurch Aufmerksamkeit erregt, dass das Unternehmen schon seit Juni 2020 experimentell an Armeeangehörige in China verimpft hat.
Ungarn hat als einziger EU-Staat Notzulassungen für chinesische Impfstoffe erlassen, ohne auf eine Bewertung durch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA zu warten. In Ungarn kommt bereits der Sinopharm-Impfstoff zum Einsatz. ari
Der Smartphonehersteller Xiaomi enthüllt Pläne, ein eigenes Elektroauto auf den Markt zu bringen. In den kommenden zehn Jahren will Xiaomi-Chef Lei Jun “smarte E-Autos” bauen und investiert dafür umgerechnet 10 Milliarden US-Dollar (100 Billionen Yuan) in ein eigenes Xiaomi-E-Auto, berichtet Bloomberg.
Xiaomis Pläne konkurrieren mit einer großen Anzahl von Autoherstellern wie Nio, Xpeng oder Tesla, die alle einen Teil des Kuchens vom größten EV-Markt China abhaben möchten. Auch der chinesische Suchriese Baidu und Geely Automobile Holdings Ltd. sollen sich ebenfalls zusammengetan haben, um Elektroautos zu bauen. Die Verkäufe von Elektrofahrzeugen in China könnten allein in diesem Jahr um mehr als 50 Prozent zunehmen, da die Verbraucher sauberere Autos bevorzugen und die Kosten sinken, schätzt das Forschungsunternehmen Canalys.
Laut dem Branchenmagazin Technode, kommt Xiaomis Plan nicht ganz überraschend. Bereits 2018 sollen intern bei Xiaomi die Chancen auf dem Automarkt bewertet worden sein. Damals noch unter den Namen “Micar” – in Anlehnung an Xiaomis Namensgebung für seine Smartphone- und Elektronik-Serie. Inspirationen für ein E-Auto soll Lei Jun sich allerdings bereits 2013 bei Tesla Chef Elon Musk geholt haben. Der Aktienkurs von Xiaomi stieg kurz nach Veröffentlichung des Berichts um neun Prozent. niw
Die EU-Kommission hat sich auf endgültige Antidumping-Zölle für Aluminiumstrangpresserzeugnisse mit Ursprung in China verständigt. Die Einfuhrzölle liegen zwischen 21,2 und 32,1 Prozent, wie die Brüsseler Behörde gestern in ihrem Amtsblatt mitteilte. Betroffen davon sind beispielsweise Stangen, Stäbe, Profile und Hohlprofile sowie Rohre, wie es in dem entsprechenden Regulierungspapier heißt. Auch Erzeugnisse, die zu Konstruktionszwecken vorgearbeitet sind, fallen darunter. Ausgenommen sind der EU-Kommission zufolge unter anderem Waren, die zu Unterbaugruppen zusammengefügt sind und geschweißte Rohre.
Die EU hatte bereits im Oktober vergangenen Jahres einen vorläufigen Antidumping-Zoll auf die Aluminiumstrangpresserzeugnisse aus China erlassen – dieser wurde mit der Entscheidung nun bestätigt. Gültig ist die Regelung für fünf Jahre. Hintergrund der Antidumping-Zölle ist eine Untersuchung der EU-Kommission, die im Februar 2020 eingeleitet wurde, nachdem der europäische Verband European Aluminium eine Beschwerde eingereicht hatte.
Die Untersuchung habe ergeben, dass unlautere Handelspraktiken chinesischer Exporteure der EU-Industrie erheblichen Schaden zugefügt hätten, so die EU-Kommission. Maßnahmen zur Bekämpfung der Praktiken seien notwendig und im Interesse der EU. Der Sektor leide unter “vielen Verzerrungen, die durch Überkapazitäten in China und andere staatlich bedingte Praktiken verursacht werden”, kritisierte die Behörde. Die EU-Kommission arbeitet zudem an vorläufigen Antidumping-Zöllen für bestimmte flachgewalzte Aluminium-Produkte mit Ursprung in China zu erheben. Die Zollsätze sollen zwischen 19,6 und 47,3 Prozent liegen und Mitte April bekanntgegeben werden. ari
China will den Bau neuer Strecken für Hochgeschwindigkeitszüge künftig an striktere Bedingungen knüpfen, um die Schulden für Regionalregierungen zu mindern, wie aus einer neuen Richtlinie des Staatsrates hervorgeht. Laut einem Bericht des Wirtschaftsportals Caixin sollen neue Strecken nur zu Städten gebaut werden, die mehr als 15 Millionen eingehende und ausgehende Fahrten pro Jahr verzeichnen. Streckenerweiterungen sollen nur möglich sein, wenn bisherige Trassen zu mindestens 80 Prozent ausgelastet sind.
Auch eine strengere Kontrolle des Verkehrsaufkommens und eine Bestrafung von Behördenvertretern, die Daten fälschen, ist geplant, so der Bericht. Der Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes half Regionalregierungen in der Vergangenheit dabei, hohe Wachstumszahlen zu erzielen. Laut Caixin fahren die meisten Strecken aber Verluste ein – Ausnahmen bilden die verkehrsreichsten Verbindungen zwischen den größten Städten. nib
Der Spezialchemiekonzern Covestro aus Leverkusen wird Guangzhou Automobile (GAC) in Design- und Materialfrage beraten, wie das Unternehmen mitteilte. Die angekündigte Zusammenarbeit basiere auf einer schon vorausgegangene Kooperation mit GAC, bei der Covestro Sitzrücklehnen für die E-Autos für GAC hergestellt hat. China ist Covestros zweitgrößter Markt mit einem Umsatz von 2,25 Milliarden Euro im vergangenen Jahr, dies entspricht rund 21 Prozent des Gesamtumsatzes. Die kumulierten Investitionen von Covestro in China beliefen sich Ende 2019 auf mehr als 3,6 Milliarden Euro. Covestro entstand 2015 aus der Abspaltung des Geschäftsbereichs Bayer MaterialScience von der Bayer AG. niw
Der Katzenjammer war vorprogrammiert. Die mittlerweile klar erkennbare Chinapolitik der Administration Biden zwingt auch die Europäer dazu, verstärkt über ihre Chinapolitik nachzudenken. Bislang zeigt sich allerdings nur eine den amerikanischen Erwartungen folgende Aggressionsbereitschaft. Mit einer erfolgsorientierten und konstruktiven Politik hat das wenig zu tun. Gerade in Deutschland könnte das Thema nach einem möglichen Regierungswechsel besondere Brisanz entwickeln. China macht es uns dabei nicht unbedingt einfach.
Klar ist derzeit nur eines: Der ökonomische Aufstieg Chinas hat machtpolitische Folgen und das Potential die geopolitischen Gewichte des 21. Jahrhunderts grundsätzlich zu verschieben. Neu ist dieser Gedanke nun wahrlich nicht, aber je deutlicher die Konsequenzen dieser Entwicklung spürbar werden, desto mehr steigt die Unruhe unter westlichen Politikern, Unternehmern und Kommentatoren. Die Bereitschaft, in Extremen zu denken, nimmt zu: Hat Matthias Döpfner recht, der eine enge Anlehnung an die USA fordert, oder im Gegenteil Stefan Baron, der es bei einem missverständlichen, aber schlichten “Ami go home” belässt? Oder doch eher Sigmar Gabriel, der im China.Table der vergangenen Woche zwar sachlich über den “Abschied vom Atlantik” nachdenkt, am Ende aber doch wieder nur in die ewigen Hoffnungsgesänge auf ein endlich handlungsfähiges Europa auf Augenhöhe mit Washington einstimmt?
Zunächst sollten wir uns nicht dem Größenwahn hingeben, den Aufstieg Chinas “managen” zu können. China lässt sich nicht von außen managen, genauso wenig wie es sich übrigens eindämmen lässt. Unsere amerikanischen Freunde haben das noch nicht verstanden und geben sich dem Irrglauben hin, es sei noch an der Zeit die notwendigen Schritte zu ergreifen, um dem machtpolitischen Aufstieg Chinas Einhalt zu gebieten. Und nur weil sie an den Hammer ihres Militärs glauben, glauben Sie auch, China sei ein Nagel, den man nur wieder einzuschlagen brauche. Zwischen dem Hammer und dem Nagel liegt in diesem Fall allerdings der eigene Daumen.
In der Politik steigt derweil die Frustration und damit auch die Bereitschaft, zu immer härteren Formulierungen in der Chinapolitik zu greifen. Chinas zunehmend selbstbewusstes außenpolitisches Verhalten leistet dieser Kritikwut mit den üblichen Reizthemen bereitwillig Vorschub: Kritik an Chinas Politik in Tibet, Xinjiang, Hongkong und dem Indopazifik gehört heute ins Standardrepertoire einer moralisierenden Außenpolitik, die mit klarem Wertebezug zwar, aber ansonsten durchaus ohne Sachkompetenz auskommt. China-Bashing hat Hochkonjunktur. Und Sanktionen sind auch dieses Mal wieder nur die Fortsetzung hilfloser Politik mit rechthaberischen Mitteln. Der Westen könnte das in Anbetracht seiner Sanktionsbilanz schon wissen, China wird es erst noch lernen müssen.
Europäische Selbstermahnungen wirken zunehmend unbeholfen. Die vom französischen Präsidenten geforderte “strategische Autonomie” findet sich in der Realität nicht einmal im Ansatz wieder – weder gegenüber China noch gegenüber den USA. Transatlantische Träume haben auch unter Joe Biden den Beigeschmack von Albträumen. Denn man muss kein Experte sein, um einen schlichten Sachverhalt zu erkennen: Die USA reden über Werte, sie meinen aber geopolitischen Einfluss. Die Europäer tun es ihnen gleich, sie meinen aber wirtschaftliche Interessen. Doppelte Standards werden in beiden Fällen gesetzt.
An anderer Stelle sieht das sogar der deutsche Außenminister in einem seiner klareren Statements ein: Maas wolle eine weitere Eskalation der Beziehungen mit Russland vermeiden, zitiert ihn die Deutsche Welle. Maas weiter: “Unsere Haltung zu Nord Stream 2 ist bekannt. Wenn die beteiligten Firmen ihre Aktivitäten stoppen würden, muss das keine konkreten Auswirkungen auf den Fall Nawalny haben. Wir halten es nicht für richtig, Russland wirtschaftlich zu isolieren. Eine wirtschaftliche Isolation Russlands würde geostrategisch dazu führen, dass man Russland und China immer weiter zusammentreibt. Und das kann nicht in unserem strategischen Interesse sein. Es könnte eher noch schwieriger werden, überhaupt noch über solche Themen mit Russland zu sprechen.” Da hat er nun mal ausgesprochen recht. Aber wer das sagt, sollte eigentlich genau dasselbe über Sanktionen gegen China sagen. Die Doppelmoral der deutschen Außenpolitik und ihrer führenden Vertreter ist immer wieder bemerkenswert.
Wie also könnte eine weniger moralisierende Chinapolitik aussehen? Idealerweise sollte sie aus mindestens drei Schritten bestehen.
Militärische Muskelspiele sind derzeit im Westpazifik an der Tagesordnung. Provoziert durch außenpolitisches Nachtreten einer schon fast aus dem Amt entlassenen US-Regierung wegen Taiwan, revanchiert sich Peking mit einer gezielten Verletzung des von Taiwan beanspruchten Luftraums. Daraufhin verlegt der neue amerikanische Präsident als Zeichen seiner Handlungsfähigkeit mit der “USS Theodore Roosevelt” einen zweiten Flugzeugträger in die Straße von Taiwan. Und plötzlich wollen auch die Europäer dabei sein: Die Franzosen mit ihrem Atom-U-Boot “Émeraude” und die Briten mit ihrem Flugzeugträger “HMS Queen Elizabeth”. Selbst die Deutschen wollen mit einer Fregatte Flagge zeigen – wenn sie es denn über Wasser in das südostasiatische Seengebiet schafft. Symbolische Machtpolitik nach Vorbild des 19. Jahrhunderts, so als wüsste man nicht um die Risiken einer Zufallskonfrontation mit katastrophalen Folgen. Europa ist keine pazifische Macht und wäre gut beraten, sowohl die USA als auch China zu einer Reduktion militärischer Konfliktpotentiale zu drängen.
In der Kunst der Diplomatie kommt es darauf an, Dinge auch einmal unausgesprochen zu lassen, gerade wenn sie offensichtlich sind. Chinadebatten im Westen leiden an einem Übermaß an verbaler Kritikwut. Das soll nicht heißen, dass die China-Kritik aus westlicher Sicht nicht berechtigt ist. Aber was kann China-Bashing wirklich bewirken bzw. verbessern? Nehmen wir nur das derzeit beliebteste Beispiel: Die Vorgänge in Xinjiang als Anlass für Sanktionen zu nehmen, wie es die Europäische Union gerade getan hat, sichert innenpolitischen Zuspruch und medialen Applaus, aber es hilft den Menschen in den betroffenen Regionen nicht. Stattdessen verleitet es China nur zu Trotzreaktionen und stellt sicher, dass auch der letzte Dialogkanal verstopft wird.
Ein Grundproblem wird offensichtlich: Politiker wissen sehr genau, was man zu Hause, in ihren Wahlkreisen und Parteigremien von ihnen erwartet und welche Sprache man hören will. Wer China laut kritisiert, kann sich des Applauses sicher sein. Häufig geht es dabei gar nicht primär um China, sondern um Sichtbarkeit in den deutschen und europäischen Medien und um Zuspruch in der jeweiligen Innenpolitik.
Statt markiger Worte ist das Bohren dicker Bretter angesagt. Wer nur mit der westlichen Wertebrille auch China schaut, muss nichts mehr lernen über dieses komplexe und für uns paradoxe Land, weil das Urteil ohnehin von vornherein feststeht. Wer aber für sich in Anspruch nimmt, auf innenpolitische Vorgänge in China Einfluss nehmen zu wollen, der muss alles Erdenkliche tun, um Dialogkanäle offenzuhalten und sie nicht durch provokante und überzogen aggressive Sprache zu verschließen.
Statt auf aggressive Anklagen und militärische Drohgebärden zu setzen, scheint eine derzeit weniger beliebte Strategie langfristig doch das Potential zum Königsweg zu haben: Kann man also mit China nicht über Hongkong, Xinjiang und Tibet sprechen? Natürlich kann man das. Aber der Ton macht die Musik. Wer das Land nicht gleich mit markigen Worten auf die Anklagebank setzt, hat zumindest die Chance, Gehör zu finden – und vielleicht auch in stiller Diplomatie den ein oder anderen Erfolg zu verbuchen.
Wer anerkennt, dass die großen globalen Probleme unserer Zeit nur gemeinsam mit China und nicht ohne oder gegen China gelöst werden können, müsste eigentlich ohne großes Nachdenken selbst auf die Idee kommen, dass man mit diesem Land und seiner Regierung reden, verhandeln, vielleicht auch streiten muss, um Lösungen zu finden, die für alle Seiten akzeptabel sind. Nur so wird sich die gemeinsame Erarbeitung globaler Güter sicherstellen lassen. Nur so werden sich Frieden und Wohlstand erhalten lassen.
Es ist höchste Zeit, dass Chinapolitik im Westen als ständige und dauerhafte Managementaufgabe und nicht als Problem gesehen wird, dass mit aller Macht, schnell und endgültig nach einer Lösung verlangt. Den Untergang des Abendlandes bedeutet der Aufstieg Chinas nicht, wohl aber die Notwendigkeit, die fatalen machtpolitischen Denkmuster des 20. Jahrhunderts in die Mottenkiste der Geschichte zu verbannen.
Eberhard Sandschneider, war von 1998 bis 2020 Professor für Politik Chinas und internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Heute ist er Partner bei der Beratungsfirma “Berlin Global Advisors”.