in Peking wächst die Unruhe. Auch am Montag steigt die Zahl der Corona-Neuinfektionen weiter, im östlichen Bezirk Chaoyang werden Massentests durchgeführt, erste Wohnblöcke abgeriegelt. Es kommt zu Hamsterkäufen und leeren Regalen in den Supermärkten. Die Menschen fürchten einen Lockdown wie in Shanghai. In unseren News lesen Sie, warum selbst die städtischen Behörden vor “düsteren Zeiten” für Chinas Hauptstadt warnen.
Und während Chinas Staatspräsident Xi Jinping eisern an seiner Null-Covid-Strategie festhält, müssen andere die Zeche zahlen: für die unzähligen Coronatests jeden Tag, für Kontrollen in Wohnsiedlungen, an Straßenecken, Bezirks- und Stadtgrenzen oder für den Bau ganzer Isolierstationen. Ganz zu schweigen von ausbleibenden Einnahmen und Steuerzahlungen: Allein Shanghai steht für 3,8 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts. Christiane Kühl hat sich angeschaut, wie hoch schon jetzt die Gesamtkosten der chinesischen Zero-Covid-Politik sind und welche Branchen besonders unter den rigiden Vorgaben der Führung in Peking leiden.
In unserer zweiten Analyse werfen wir einen Blick auf die Konventionen gegen Zwangsarbeit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Peking hatte diese relativ überraschend in der vergangenen Woche ratifiziert. Beobachter sind sich leider jetzt schon sicher: Einen nachhaltig positiven Effekt auf die Arbeiter vor Ort wird das nicht haben.
Zu guter Letzt möchte ich Sie noch auf unseren heutigen Standpunkt von Stefan Sack aufmerksam machen. Der frühere Vize-Präsident der Europäischen Handelskammer in Shanghai blickt auf die Idee “Wandel durch Handel” und kommt zu dem Schluss: Der Ansatz ist aufgegangen – nur nicht so, wie es sich der Westen erhofft habe. Es sei der Westen, der sich den chinesischen Befindlichkeiten anpasse. Und Sack fordert ein Umdenken.
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!
Zehntausende Betten für Isolierstationen, regelmäßige Coronatests für 25 Millionen Menschen, Barrieren, Kontrollen – und dazu noch entgangene Steuereinnahmen durch all die Geschäftsschließungen: Die Kosten der Null-Covid-Politik für Chinas Kommunen sind immens. In Shanghai geht es derzeit nur in ganz wenigen Wirtschaftszweigen halbwegs produktiv zu. Im Hafen etwa, an der Börse – oder bei Online-Lieferdiensten für Nahrungsmittel. Allein ein Monat Lockdown werde einem Bericht der South China Morning Post zufolge Shanghais aggregiertes Realeinkommen um 2,7 Prozent reduzieren.
Die Zeitung zitiert zudem ein Papier von Forschenden der Universitäten Tsinghua und Zhejiang sowie der Chinese University of Hong Kong und der US-Universität Princeton, wonach Chinas Null-Covid-Politik das Land wohl mindestens 46 Milliarden US-Dollar pro Monat kosten werde – an verlorener Wirtschaftsleistung. Das entspräche etwa 3,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, so die Studie. Die März-Produktion mancher Industriegüter ging im Vergleich zum Vorjahresmonat dramatisch zurück: Die Rohstahlproduktion sank um 6,4 Prozent, die Automobil-Fertigung um 4,9 Prozent. Gebeutelt sind außerdem der Konsumsektor, Dienstleistungen und das fragmentierte Logistikgewerbe.
Derweil nimmt die Zahl der Städte mit Coronavirus-Beschränkungen weiter zu. Bis zum 11. April hatten 87 der 100 größten Städte Chinas irgendeine Form von Bewegungsbeschränkungen verhängt, so die Wirtschaftsexperten von Gavekal Dragonomics. Die Beschränkungen variieren von “wer eine Stadt betreten oder verlassen darf” bis hin zu vollständigen Lockdowns wie in Shanghai. Nur in 13 der 100 größten Städte des Landes gäbe es aktuell gar keine Einschränkungen.
Aber während immer mehr Städte Sperren verhängen, ließ die Härte kommunaler Lockdowns etwas nach. Von Ende März bis zum 13. April ging die Zahl der Großstädte mit strikten Lockdowns laut Gavekal von 14 auf sechs zurück. Damit schrumpfte auch der Anteil komplett abgeriegelter Städte an der Wirtschaftsleistung Chinas von 14 auf acht Prozent. Doch dieser Anteil kann angesichts der hohen Übertragungsrate der Omikron-Variante jederzeit wieder steigen. Und Shanghai allein repräsentiert schon 3,8 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsproduktes.
Der lange Lockdown der Metropole könnte Chinas monatliche Wirtschaftsleistung um zweieinhalb bis drei Prozent reduzieren, schätzt der Ökonomieprofessor Michael Song von der University of Hong Kong – auf Basis des in der Studie der vier Universitäten angewandten Modells, das die Lkw-Ströme aus 315 Städten bis zurück in den Januar 2019 unter die Lupe genommen hatte. Demnach werden sowohl die mit der Stadt verbundenen Lastwagenströme als auch das Realeinkommen von Shanghai um 54 Prozent zurückgehen. Der Lkw-Verkehr macht laut Statistiken des Verkehrsministeriums rund drei Viertel des gesamten nationalen Frachtaufkommens aus – und ist daher laut Song ein nützlicher Indikator. Er schätzt, dass ein Ein-Monats-Lockdown der vier größten Städte – Peking, Shanghai, Shenzhen und Guangzhou – das BIP um 8,6 Prozent abschmelzen würde.
Chinas strenge Covid-19-Sperren und Reisebeschränkungen haben zu einem Albtraum für den Logistiksektor geführt – was wiederum Produktion, Binnenhandel und Exporte belastet, eigentlich die gesamte Wirtschaft. Der Lkw-Verkehr quer durchs Land sei seit Mitte März um 40 Prozent zurückgegangen, schrieb Ernan Cui von Gavekal. In Shanghai liege er bei nur noch 15 Prozent des normalen Niveaus. Fast alle der gut 17 Millionen chinesischen Trucker sind Eigentümer: Rund 90 Prozent besitzen eigene Lastwagen. “Es stehen immer weniger Lkw-Fahrer zur Verfügung, die keine Reisegeschichte ohne irgendeine Art von Covid-Kontaktrisiko haben”, schreibt Cui. Lieferzeiten würden immer länger, Transportkosten steigen. Hinzu kommen Berichte von Truckern, die an Ortsgrenzen vorübergehend in ihren Lkw-Führerhäuschen festsaßen. Bei manchen klebte das Gesundheitspersonal gar die Türen zu.
Am schlimmsten betroffen von Covid-Maßnahmen ist der Transport in der Produktionshochburg des Jangtse-Deltas. Der Staatsrat sagte daher mehr spezielle Fahrzeugpässe für den Verkehr von Lastwagen zwischen Shanghai und den Nachbarstädten wie Suzhou und Hangzhou zu. Das Transportministerium ordnete zudem an, dass auf den Hauptspuren von Autobahnen im Delta keine Kontrollpunkte mehr für Covid-Tests eingerichtet werden, damit der Transport reibungsloser verlaufe. Die Provinzregierung von Jiangsu hatte kurz vorher die Aufhebung von Sperren an mehr als 50 Autobahnkreuzen verfügt. Auch die lokale EU-Kammer hatte gefordert, die Regeln für Trucker im Delta zu vereinheitlichen.
Chinas Vize-Ministerpräsident Liu He ordnete zudem die Einführung eines landesweit anerkannten Covid-19-Testpasses an, damit Lkw-Fahrer Rohstoffe, Komponenten, Lebensmittel und lebensnotwendige Güter zwischen den Provinzen ausliefern können, ohne bei jedem Stopp auf Ergebnisse warten zu müssen.
Es geht die Furcht um, dass nach einem noch halbwegs robusten ersten Quartal mit 4,8 Prozent Wachstum gegenüber dem Vorjahreszeitraum (China.Table berichtete) nun ab April der Einbruch folgen könnte. Anfang April ermahnte Ministerpräsident Li Keqiang die lokalen Behörden, dass sie bei der Stabilisierung der Wirtschaft größere “Dringlichkeit” zeigen sollten. Staatschef Xi Jinping zeigte sich derweil weiter unbeeindruckt von den Problemen. In seiner Rede auf dem Wirtschaftsforum von Bo’ao am Donnerstag betonte Xi, dass die chinesische Wirtschaft trotz der derzeitigen Herausforderungen eine “starke Widerstandsfähigkeit” und ein “enormes Potenzial” aufweise.
Xi hält stoisch an seiner Null-Covid-Politik fest. Doch die Lokalregierungen sind es, die all die Straßensperren und sonstigen Lockdown-Maßnahmen durchsetzen müssen. Sie sind besonders gebeutelt, da sie seit 2021 große Teile der Kosten selbst tragen müssen. Kosten, die durch die hohe Übertragbarkeit der Omikron-Variante immer weiter steigen. Detaillierte Daten über die tatsächlichen Ausgaben der Kommunen gibt es bislang kaum. Aber Suzhou musste bereits im Februar nach eigenen Angaben 120 Millionen Yuan (17 Millionen Euro) zur Bekämpfung eines Ausbruchs ausgeben, der am 13. Februar begann – für Schutzausrüstung, PCR-Tests, Infrastruktur und medizinische Versorgung. Und das war ein kleiner Ausbruch gewesen. Man mag sich vorstellen, wie viel Geld Shanghai derzeit berappen muss.
Auch Hilfsmaßnahmen für die lokale Wirtschaft kosten Geld: Die Regierungen in Shenzhen und Dongguan senkten im März Gebühren und Steuern, um die von der Pandemie betroffenen Unternehmen zu entlasten. Dongguan sagte, es werde jedem Haushalt in den von einem Ausbruch betroffenen Gebieten 1.000 Yuan anbieten.
China hat in der vergangenen Woche zwei Konventionen der Internationalen Arbeitsagentur (ILO) gegen Zwangsarbeit ratifiziert (China.Table berichtete). Der Schritt kam überraschend – seit Jahrzehnten wird mit der Volksrepublik über Zugeständnisse in dem Bereich verhandelt. Denn es handelt sich dabei um zwei altehrwürdige ILO-Übereinkommen:
Die ILO gehört zu den Vereinten Nationen (UN). Sie besteht schon seit 1919, ist also über hundert Jahre alt. Sie arbeitet darauf hin, den sozialen Rahmen für Arbeiter zu verbessern. Dafür setzt sie vor allem Regeln und Normen. Die Übereinkommen über Zwangsarbeit gehören daher zu den Grundpfeilern ihrer Projekte. Sie ächten “jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat”. Bis zur vergangenen Woche hat China seine Unterschrift verweigert. Kein Wunder in einem Land, das erst 2013 seine Arbeitslager formal geschlossen hat, nur um wenig später in Xinjiang neue zu eröffnen.
Echte Verbesserungen für die Arbeiter vor Ort erwarten Beobachter auch nun jedoch nicht. Der Schritt sei eine “diplomatische Entscheidung” gewesen, die zu keinen bedeutenden Veränderungen führen werde, sagte Aidan Chau von der Nichtregierungsorganisation China Labour Bulletin gegenüber China.Table. Die in Hongkong sitzende Organisation setzt sich für Arbeitnehmerrechte in der Volksrepublik ein.
Die Erfahrung zeige, dass China zwar viele Abkommen unterschreibt, die Praxis im Land sich aber nur unwesentlich verändert. So hat China auch das Übereinkommen über Sicherheit im Bauwesen von 1988 ratifiziert, so Chau. “Wir beobachten aber weiterhin, dass Arbeitsunfälle auf Baustellen wie beispielsweise Kran-Einstürze in China weit verbreitet sind.” Große Fortschritte bei den Interessen und Rechten der Arbeiter könne es nur durch Tarifverhandlungen geben, so Chau. Unabhängige Gewerkschaften gibt es in China aber nicht. Andere Formen von Arbeitnehmerorganisationen sind in China ebenfalls schwach aufgestellt.
Die ILO hat auch kaum Möglichkeiten, die Anwendung der Konventionen zu überprüfen. China weist den Vorwurf der Zwangsarbeit – vor allem in der Region Xinjiang – zurück. Vor-Ort-Untersuchungen durch unabhängige Experten wird Peking kaum zustimmen.
Ganz zufällig ist der Zeitpunkt der Ratifizierung nicht gewählt. Im Mai steht erstmals ein Besuch der Hohen Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Michelle Bachelet, in China an – auch in der Region Xinjiang. Mit der Ratifizierung wolle China nun signalisieren, dass der Schutz der Arbeitnehmerrechte ernst genommen wird, sagte Surya Deva, Rechtsprofessor an der Macquarie University in Australien, der Zeitung South China Morning Post.
Deva zufolge ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die ILO-Konventionen vor Ort die Abschaffung der Zwangsarbeit bewirkt. Peking mache den Schritt aus Kalkül: “um die Beziehungen zur EU angesichts der zunehmenden Kluft mit den USA wegen der russischen Invasion in die Ukraine zu verbessern und zu versuchen, CAI wiederzubeleben”. Dass die Volksrepublik die ILO-Konventionen nicht ratifizieren wollte, war bislang einer der Hauptkritikpunkte an dem Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und China (CAI).
Dieser Kritikpunkt ist zwar ausgeräumt, aber das allein reicht eben nicht. CAI liegt seit mehr als einem Jahr auf Eis. Ausschlaggebend waren im März 2021 gegenseitige Sanktionen. Brüssel hatte diese wegen Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren gegen mehrere führende Beamte in Xinjiang verhängt. Peking reagierte mit Strafmaßnahmen unter anderem gegen EU-Abgeordnete.
Könnte die Zustimmung zu den Abkommen nun Bewegung in das CAI-Patt bringen? Eher nein. “Die Ratifizierung der ILO-Konventionen ist zwar eine große Geste Pekings gegenüber Brüssel, beseitigt aber nicht die Haupthindernisse für die CAI-Ratifizierung”, sagt Merics-Analyst Grzegorz Stec. CAI bleibe wegen ganz anderer Hindernisse weiterhin blockiert: wegen der gegenseitigen Sanktionen und des Handelsstreits um Litauen. “Keines dieser Probleme dürfte auf absehbare Zeit gelöst werden, auch im Kontext der politischen Spannungen um die Ausrichtung Pekings mit Moskau”, so Stec.
Peking scheine sich gegenüber der EU in einem “Schadensbegrenzungsmodus” zu befinden. Der EU-China-Gipfel lief nicht sonderlich gut (China.Table berichtete). Auch die ILO-Abkommen helfen Stec zufolge derzeit nicht viel. Der Fokus der EU-China-Beziehungen verschiebe sich vermehrt in Richtung “systemische Rivalität”. Für die Führung in Peking könnte es schwierig werden, die Beziehung zu Brüssel zu verbessern, erklärt Stec.
Auch vom EU-Handelskommissar kam eine klare Absage an Fortschritte bei der Anwendung des CAI wegen der Ratifizierung der ILO-Konvention. Die EU messe der ILO zwar große Bedeutung bei und begrüße den Schritt. Aber solange die Sanktionen gegen EU-Parlamentarier in Kraft seien, werde CAI nicht wiederbelebt.
Chinas harter Kurs gegen das Coronavirus wird nach Ansicht des Münchner Ifo-Instituts die Konjunktur in Deutschland bremsen. “Die Folgen des China-Lockdowns werden die deutsche Wirtschaft in den nächsten Monaten treffen“, sagte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe am Montag der Nachrichtenagentur Reuters. “Das wird die Lieferkettenprobleme der Industrie verschärfen und die Verfügbarkeit von Waren im Einzelhandel einschränken.” Vor allem die Logistik werde darunter leiden. “Das wird sich noch mal deutlich verschärfen.”
Bislang zeigten sich die deutschen Betriebe jedoch überaus stabil – angesichts des Kriegs in der Ukraine und den Auswirkungen der Lockdowns in China. “Die deutsche Wirtschaft zeigt sich robust gegenüber der Unsicherheit”, erläuterte Wohlrabe. “Für das erste Quartal sehen wir keine Rezession.” Auch für das laufende zweite Quartal zeichne sich kein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts ab.
Wohlrabe betonte aber, dass es weiter Engpässe bei wichtigen Gütern gebe. “Die Lieferkettenprobleme der Industrie bleiben auch im April groß.” Rund 75 Prozent der Firmen klagten darüber, nach gut 80 Prozent im März. “Die Erwartungen der Industrie haben sich etwas verbessert, sind aber noch stark von Pessimismus geprägt.”
Die Unternehmen versuchen, die gestiegenen Kosten an Kunden weiterzureichen. “Viele Firmen haben weitere Preiserhöhungen angekündigt”, sagte der Ifo-Fachmann. “Das zieht sich jetzt durch die gesamte Wirtschaft.” rtr
In Peking steigt die Zahl der Corona-Neuinfektionen weiter an. Am Montag meldeten die Behörden 29 neue Fälle. Damit steigt die Gesamtzahl seit Freitag auf 70. Nun drohen auch in der chinesischen Hauptstadt massive Einschränkungen. Ab Dienstag wurde eine Ausweitung der Massentests in zehn weiteren Stadtteilen und einer Wirtschaftszone angekündigt, wie Reuters unter Berufung auf einen Regierungsbeamten berichtete. Die Massentests sollen demnach bis Samstag dauern.
Im größten Stadtteil Chaoyang wurden zu Wochenbeginn einzelne Wohnblöcke sowie mehrere Nachbarschaften abgeriegelt. Die Bewohner der jeweiligen Anlagen dürfen das Gebiet bis auf Weiteres nicht verlassen. Auch einige Restaurants und Unterhaltungsstätten wurden bereits geschlossen. Die Angst vor strengen Ausgangssperren führte am Montag zu Hamsterkäufen und leeren Regalen in den Supermärkten.
Pekings Behörden warnten am Montag vor “düsteren” Zeiten, nachdem am Sonntag 22 neue Infektionsfälle gemeldet wurden. Die Behörden fürchten, dass das Virus sich schon seit einer Woche unentdeckt in der 21-Millionen-Metropole verbreitet hat und nun deutlich mehr Fälle entdeckt werden könnten. Erste Beobachtungen deuteten darauf hin, dass vor allem “Schulen, Reisegruppen und viele Familien” betroffen seien, sagte ein Behördenvertreter. Bei einem Viertel der Infizierten handelt es sich demnach um über 60-Jährige, von denen die Hälfte ungeimpft ist.
In einem ersten Schritt müssen sich alle 3,5 Millionen Einwohner des Bezirks Chaoyang testen lassen (China.Table berichtete). Am Montag fanden die ersten Kontrollen statt, weitere Test werden am Mittwoch und Freitag durchgeführt.
Zudem hat Pekings Verwaltung strenge Kontrollen für die Einreise in die Stadt verhängt: Wer nach Peking will, muss einen negativen Covid-Test vorweisen, der nicht älter sein darf als 48 Stunden. Wer in den vergangenen zwei Wochen Städte oder Landkreise besucht hat, in denen mindestens ein Coronafall gemeldet wurde, darf gar nicht einreisen.
Mit dem schnellen Vorgehen wollen die Pekinger Behörden zeigen, dass man aus dem Coronavirus-Ausbruch in Shanghai und anderen Provinzen gelernt habe (China.Table berichtete). Dort wird der Ärger über die harschen Maßnahmen immer größer: Am Wochenende sorgte ein Video mit dem Titel “Stimme des April” (四月之声) für Aufsehen (China.Table berichtete).
Ob ein Lockdown über ganz Peking oder auch nur einige Bezirke verhängt werde, hänge von der Ausbreitung des Virus ab, sagte ein Experte des nationalen Gesundheitsamtes der Zeitung “Global Times”. “Wenn die Ergebnisse der Tests in Chaoyang und anderen Teilen herauskommen, wird es uns ein besseres Bild von der gesamten epidemischen Lage in Peking geben”, sagte der Funktionär. “Weitere Maßnahmen werden entsprechend folgen.” Im Chaoyang-Distrikt liegen die ausländischen Botschaften und leben die meisten Ausländer in Peking. rad
Die EU-Kommission will im Herbst ihren lang erwarteten Vorschlag für ein Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit vorlegen. Es werde davon ausgegangen, dass im September eine Vorlage für ein eigenständiges Gesetz präsentiert werden könne, teilte eine Vertreterin der EU-Generaldirektion für Handel am Montag im Handelsausschuss des Europaparlaments mit. Die EU-Kommission arbeite derzeit an einem detaillierten Konzept, genauere Angaben zum Inhalt des Importverbots gebe es jedoch noch nicht.
Das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit müsse sich auf einen robusten Rahmen und internationale Standards stützen. Dass einzelne Länder wie China durch die Gesetzgebung herausgepickt würden, müsste vermieden werden.
Das Importverbot für Waren, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden, war vergangenes Jahr von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen während ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union angekündigt worden. Eigentlich wurde davon ausgegangen, dass das Importverbot Teil des EU-Lieferkettengesetzes werden würde – der von der Brüsseler Behörde vorgelegte Entwurf dazu ließ das Einfuhrverbot dann jedoch außen vor (China.Table berichtete).
Offen sei vor allem noch die Frage, wie mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) bei dem Importverbot umgegangen werde. Es müsse verhältnismäßig gestaltet werden. KMU auszuschließen, sei aber auch nicht “die beste Antwort”, erklärte die Beamtin vor dem Ausschuss.
Das EU-Lieferkettengesetz lässt KMU weitgehend außen vor. Der Entwurf der EU-Kommission sieht mehrere Grenzen vor: Firmen in der EU sind betroffen, wenn sie weltweit einen Jahresumsatz von mehr als 150 Millionen Euro erwirtschaften und mehr als 500 Mitarbeitende haben. Strengere Regeln gibt es für Unternehmen, die in Sektoren arbeiten, bei denen das Risiko von Ausbeutung und Umweltzerstörung höher ist. Hier sind 250 Angestellte und ein Umsatz von 40 Millionen Euro vorgesehen. ari
Die Regierung will offenbar der Wirtschaft helfen, indem sie mit billiger Kohle die Energiepreise drückt. Die Förderung soll in diesem Jahr um sieben Prozent steigen, berichtet die Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf Medienberichte. Das sind 300 Millionen Tonnen mehr als im Vorjahr. Dabei handelt es sich seit 2020 um den zweiten hohen Anstieg in Folge. Im Rahmen der Konjunkturförderung sei auch der Bau neuer Kohlekraftwerke geplant.
Den Ausstieg aus fossilen Energieträgern hebt sich die Führung offenbar für Jahre ohne Krisen und Probleme auf. China hat sich ohnehin nie zu einem gleichmäßigen Abbau der Kohleförderung verpflichtet, sondern nur ihren Höhepunkt für das Jahr 2030 in Aussicht gestellt. fin
Die Europäische Union und die USA haben China wegen der mutmaßlichen Verbreitung von “Desinformationen” über die russische Invasion in der Ukraine kritisiert und davor gewarnt, dass eine stillschweigende Unterstützung Moskaus nicht ohne Folgen bleiben werde. “Staatsmedien haben die Lügen und Verschwörungstheorien des Kremls nachgeplappert, einschließlich absurder Behauptungen, dass die Ukraine, die Nato und die EU eine Sicherheitsbedrohung für Russland darstellen”, beklagte die stellvertretende US-Außenministerin Wendy Sherman zum Ende ihrer mehrtägigen Gespräche mit hochrangigen EU-Vertretern in Brüssel. Dabei ging es neben Chinas Rolle im Ukraine-Krieg unter anderem auch um Themen wie Taiwan, den wirtschaftlichen Druck vonseiten Pekings und den Indo-Pazifik, wie aus einer gemeinsamen Erklärung hervorging.
Beide Seiten setzten sich das Ziel, die chinesische Führung bei Gesprächen in der Frage der Umgehung der Russland-Sanktionen auf den Zahn zu fühlen. Eine Umgehung der Strafmaßnahmen hätte “Konsequenzen für unsere jeweiligen Beziehungen”. Wie die Konsequenzen konkret aussehen, erklärten beide Seiten nicht. Auch die Frage, ob die EU und die USA dabei dieselben Vorstellungen haben, blieb bei einer Pressekonferenz von Sherman und dem Generalsekretär des Europäischen Auswärtigen Dienstes, Stefano Sannino, unbeantwortet.
Taiwan zeigte indes Unterstützung für die Ukraine: Der taiwanische Außenminister Joseph Wu telefonierte mit Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko. “Der Kampfgeist des Bürgermeisters von Kiew ist bewundernswert. Champ, wir werden Ihnen und Ihren Leuten weiterhin zur Seite stehen. Die Freiheit wird siegen!”, schrieb Wu auf Twitter. ari
Der spanische Diplomat Jorge Toledo Albiñana soll neuer Botschafter der Europäischen Union in China werden. Das erfuhr China.Table am Donnerstag aus EU-Kreisen. Toledo ist derzeit spanischer Botschafter in Japan. Der 57-Jährige würde dem Franzosen Nicolas Chapuis als EU-Botschafter in Peking nachfolgen, der gegen Herbst seinen Posten verlässt. Der Europäische Auswärtige Dienst (EEAS) bestätigte die Personalie zunächst nicht.
Mit Toledo kommt ein zweiter hochrangiger europäischer Vertreter von Tokio nach China: Auch die neue deutsche Botschafterin in Peking, Patricia Flor, war vor ihrem Einsatz in der Volksrepublik in der japanischen Hauptstadt tätig (China.Table berichtete). Sie war dort EU-Botschafterin. Toledo wurde in Ludwigshafen geboren und war bereits auf verschiedenen diplomatischen Posten für Spanien und die EU im Einsatz. ari
Wenn deutsche Kanzler oder Kanzlerinnen nach Chinas reisten, trugen sie immer die Wunschvorstellung Wandel durch Handel im Gepäck. Die Logik dahinter: Durch immer engere Geschäftsbeziehungen zwischen China und dem Westen würde die Volksrepublik schrittweise liberaler werden, irgendwann sogar vielleicht demokratisch.
China würde sich nach der wirtschaftlichen Öffnung unter Deng Xiaoping und dem beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg automatisch dem gewinnbringenden System der freiheitlichen Demokratien und einer regelbasierten Weltordnung anschließen, so die Überzeugung.
Und tatsächlich ist das Prinzip Wandel durch Handel 20 Jahre nach Chinas Eintritt in die Welthandelsorganisation aufgegangen. Nur nicht so, wie wir es antizipiert hatten, sondern genau andersherum. Durch den Handel mit China haben vor allem auch wir Deutschen damit begonnen, uns zu wandeln.
Wir sind aus unserem schönen Traum bitter erwacht. Die Abhängigkeiten unserer Lieferketten und die Gier nach neuen Wachstumsmärkten haben uns in eine Situation manövriert, in der wir heute unser Verhalten chinesischen Befindlichkeiten anpassen. Unsere Abhängigkeiten vom chinesischen Markt sind inzwischen so groß, dass Peking sie im “Divide et Impera”-Verfahren – Teile und Herrsche – gegen uns ausspielt. Wir müssen uns endlich eingestehen und darüber diskutieren, dass wir uns mittlerweile so verhalten, um chinesischen Bestrafungen zu entgehen.
Wir lassen Vorsicht walten, wenn wir Kommentare mit China-Bezug in Sozialmedien posten. Firmenbosse beißen sich auf die Zunge, um nahezu jede öffentliche Kritik an China zu vermeiden. Und selbst unsere Regierung ist extrem darauf bedacht, Hongkonger Menschenrechtsaktivisten, Exil-Dissidenten oder geschweige denn dem Dalai Lama eine allzu große Bühne zu bieten, wenn überhaupt. Wir nehmen hin, dass westliche Online-Plattformen in China gesperrt sind, während Chinas Propagandamaschine hierzulande Twitter und Co. nutzt, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Das Selbstvertrauen des Westens in seine eigene Stärke, das nach dem Kalten Krieg offenbar ins Unermessliche stieg, scheint viele blind gemacht zu haben. Dass die Volksrepublik jedoch anderes im Sinn hat, als nur westliche Waren zu kaufen und westliche Werte anzunehmen, kam uns offenbar nicht in den Sinn. China hat es seit dem WTO-Beitritt exzellent verstanden, diese für sich zu instrumentalisieren.
Der chinesische Traum, den Präsident Xi Jinping als Vision formuliert hat, befeuert Stolz auf Gewesenes, aber auch den Anspruch auf die Spitze. Dies ist per se nicht verwerflich. Als Westen müssen wir uns aber im Klaren darüber sein, dass diesem chinesischen Traum der Aufstieg einer Kollektivität zugrunde liegt, der auf einem anderen Wertesystem fußt, statt Freiheit und persönlicher Entwicklung des Einzelnen fördert.
Hätten wir wissen können, auf welchem Fundament der chinesische Traum wachsen soll? Vergessen scheinen Vorzeichen wie das Dokument Nr. 9, für dessen Veröffnetlichung die Journalistin Gao Yu zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Demokratie und Journalismus nach westlichem Vorbild, eine Zivilgesellschaft, universelle Werte wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie wurden im Dokument Nr. 9 ebenso klar abgelehnt wie ein ökonomisches System, das mehr von Privatwirtschaft als Sozialismus geprägt wird. Ein Blick in die chinesische Verfassung (Art.7), die das Primat der Staatswirtschaft festhält, wäre auch von Nutzen gewesen.
Ja, wir hätten dies alles wissen können und müssen. Wir hätten mehr Druck auf die Einhaltung eines weltumspannenden Regelwerks machen können, statt auf Wandel durch Handel im Zuge wachsender Verflechtung zu hoffen. Ohne westliche Investitionen war und ist China auch heute noch nicht in der Lage, das Versprechen einzulösen, seiner riesigen Bevölkerung einen moderaten Wohlstand zu verschaffen.
Stattdessen haben sich westliche Unternehmen jahrzehntelang mit Zugangsbeschränkungen zum chinesischen Markt durch Joint Venture-Erfordernisse, erzwungene Wissenstransfers oder ausgeschlossene Industrien abgefunden, während chinesische Unternehmen Hafenanlagen und Stromnetze in Europa erwarben, oder Autobahnen und andere Infrastruktur bauen durften.
Die Hoffnung, dass China dem Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) beitritt, hat sich auch nach 20 Jahren WTO-Mitgliedschaft bis heute nicht erfüllt. Die de facto Unmöglichkeit bei wichtigen Vergaben in China als ausländische Firma zum Zug zu kommen, wurde zu lange ignoriert. Erst seit wenigen Jahren scheint Reziprozität überhaupt Teil unserer Diktion zu sein.
Zu spät. Mittlerweile sind Mammutkonzerne in China entstanden, die (nicht nur, aber auch) durch Transfer von Know-how aus dem Ausland mächtig geworden sind und durch ihre staatliche Unterstützung Wettbewerbsvorteile weit über den chinesischen Markt hinaus genießen.
Ich bin während meiner Zeit in der Europäischen Handelskammer für die Verwendung des Begriffs Reziprozität mehr als einmal kritisiert worden. Heute ist klar, dass sie die richtige, regelbasierte Grundlage für friedliche Koexistenz und gemeinsame Entwicklung ist. Auch die Lösung globaler Probleme funktioniert im Zusammenarbeit mit China.
Kein Akteur – natürlich auch der Westen nicht – sollte Rosinen aus den Regelwerken picken dürfen, die einseitige Vorteile versprechen. Doch genau das haben wir China jahrzehntelang zugestanden. In unseren demokratisch verfassten Gesellschaften müssen wir deshalb definieren, welchen Preis wir für Wachstum und Wohlstand zu zahlen bereit sind und entsprechende Linien ziehen. Der Krieg in der Ukraine gibt uns gerade ein gutes Beispiel dafür, dass wir solche klaren Grenzen benötigen und behaupten müssen.
Stefan Sack, 54, arbeitete früher als Unternehmensberater bei McKinsey, ehe er 2005 nach China ging. Dort war er in zahlreichen leitenden Positionen bei internationalen Unternehmen tätig. Zwischen 2013 und 2016 war er Vize-Präsident der Europäischen Handelskammer in Shanghai. Seit Ende vergangenen Jahres lebt Sack in Hamburg.
“Ich habe gehofft, dass wir nach zwei Jahren Corona jetzt mal in ruhigeres Fahrwasser kommen”, gesteht Ulrich Ackermann. Es kam anders. Seine Abteilung Außenwirtschaft beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) hat momentan besonders viel zu tun. Aktuell die zentralen Themen: die Sanktionen gegen Russland und die Implikationen, auch für den Handel mit China. Bei Ackermann und seinem Team können sich die mehr als 3.400 Mitgliedsunternehmen melden, wenn sie Fragen haben zu Zöllen, Export-Regeln oder Rahmenbedingungen auf ausländischen Märkten.
“Im Endeffekt sind wir eine Art Beratungsunternehmen für unsere Mitglieder in allen Fragen rund um die Themen Export und Außenwirtschaft”, beschreibt Ackermann seine Aufgabe. Und an Anfragen mangelt es nicht. Gerade bekam der 63-Jährige einen Anruf eines Mitgliedsunternehmens, das dringend einen neuen Stahllieferanten sucht, der Markt sei wie leergefegt. “Wer weiß denn schon, dass 20 Prozent der in Westeuropa verarbeiteten Stahlbrammen aus Russland und der Ukraine kommen?”, fragt Ackermann. Für Nicht-Expert:innen: Eine Bramme ist ein gegossener, länglicher Block.
Vor allem die vielen mittelständischen Unternehmen der Branche schätzten die Expertise des VDMA. 15 Expert:innen für die Regionen der Welt und alle relevanten Sachthemen sitzen in seiner Abteilung in Frankfurt am Main. Zusätzliche Unterstützung bekommen sie aus dem Berliner Standort und den VDMA-Auslandsbüros, darunter auch zwei in China. Das Land ist extrem wichtig für die Branche, 2020 lieferten deutsche Unternehmen dorthin Maschinenbau-Produkte im Wert von über 18 Milliarden Euro. Sanktionen gegen China hätten enorme Auswirkungen.
Mit Sorge blickt Ackermann deshalb auf das Verhalten Xi Jinpings gegenüber Putin, aber auch auf das Verhältnis zu Taiwan. “Freihandel setzt einfach stabile Rahmenbedingungen voraus”, sagt der gebürtige Frankfurter. Märkte faszinieren ihn seit Jahrzehnten. Schon seine Diplomarbeit in Volkswirtschaftslehre schrieb Ackermann 1986 über eine mögliche Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs. Direkt im Anschluss landete er beim VDMA, beschäftigte sich dort mit dem damals entstehenden EG-Binnenmarkt. Seit 2005 steuert er nun die Außenwirtschaftsabteilung durch unsichere Zeiten.
Unsicherheit präge aktuell auch den chinesischen Markt. Durch die strengen Coronavirus-Einreiseregeln seien besonders kleine und mittelständische Firmen in ihrem Geschäft eingeschränkt. “Viele sagen uns, wir verlieren gerade ein Stück weit den Zugang zum Markt”, verrät er. “Es geht nichts darüber, wirklich vor Ort zu sein.” Er möchte selbst unbedingt bald wieder nach China fahren. Die landschaftlich schönen Regionen habe er sich bisher aufgehoben. “Touristisch war ich noch nie in China unterwegs, dafür kenne ich die Industriegebiete sehr gut”, erzählt er schmunzelnd. Paul Meerkamp
in Peking wächst die Unruhe. Auch am Montag steigt die Zahl der Corona-Neuinfektionen weiter, im östlichen Bezirk Chaoyang werden Massentests durchgeführt, erste Wohnblöcke abgeriegelt. Es kommt zu Hamsterkäufen und leeren Regalen in den Supermärkten. Die Menschen fürchten einen Lockdown wie in Shanghai. In unseren News lesen Sie, warum selbst die städtischen Behörden vor “düsteren Zeiten” für Chinas Hauptstadt warnen.
Und während Chinas Staatspräsident Xi Jinping eisern an seiner Null-Covid-Strategie festhält, müssen andere die Zeche zahlen: für die unzähligen Coronatests jeden Tag, für Kontrollen in Wohnsiedlungen, an Straßenecken, Bezirks- und Stadtgrenzen oder für den Bau ganzer Isolierstationen. Ganz zu schweigen von ausbleibenden Einnahmen und Steuerzahlungen: Allein Shanghai steht für 3,8 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts. Christiane Kühl hat sich angeschaut, wie hoch schon jetzt die Gesamtkosten der chinesischen Zero-Covid-Politik sind und welche Branchen besonders unter den rigiden Vorgaben der Führung in Peking leiden.
In unserer zweiten Analyse werfen wir einen Blick auf die Konventionen gegen Zwangsarbeit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Peking hatte diese relativ überraschend in der vergangenen Woche ratifiziert. Beobachter sind sich leider jetzt schon sicher: Einen nachhaltig positiven Effekt auf die Arbeiter vor Ort wird das nicht haben.
Zu guter Letzt möchte ich Sie noch auf unseren heutigen Standpunkt von Stefan Sack aufmerksam machen. Der frühere Vize-Präsident der Europäischen Handelskammer in Shanghai blickt auf die Idee “Wandel durch Handel” und kommt zu dem Schluss: Der Ansatz ist aufgegangen – nur nicht so, wie es sich der Westen erhofft habe. Es sei der Westen, der sich den chinesischen Befindlichkeiten anpasse. Und Sack fordert ein Umdenken.
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!
Zehntausende Betten für Isolierstationen, regelmäßige Coronatests für 25 Millionen Menschen, Barrieren, Kontrollen – und dazu noch entgangene Steuereinnahmen durch all die Geschäftsschließungen: Die Kosten der Null-Covid-Politik für Chinas Kommunen sind immens. In Shanghai geht es derzeit nur in ganz wenigen Wirtschaftszweigen halbwegs produktiv zu. Im Hafen etwa, an der Börse – oder bei Online-Lieferdiensten für Nahrungsmittel. Allein ein Monat Lockdown werde einem Bericht der South China Morning Post zufolge Shanghais aggregiertes Realeinkommen um 2,7 Prozent reduzieren.
Die Zeitung zitiert zudem ein Papier von Forschenden der Universitäten Tsinghua und Zhejiang sowie der Chinese University of Hong Kong und der US-Universität Princeton, wonach Chinas Null-Covid-Politik das Land wohl mindestens 46 Milliarden US-Dollar pro Monat kosten werde – an verlorener Wirtschaftsleistung. Das entspräche etwa 3,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, so die Studie. Die März-Produktion mancher Industriegüter ging im Vergleich zum Vorjahresmonat dramatisch zurück: Die Rohstahlproduktion sank um 6,4 Prozent, die Automobil-Fertigung um 4,9 Prozent. Gebeutelt sind außerdem der Konsumsektor, Dienstleistungen und das fragmentierte Logistikgewerbe.
Derweil nimmt die Zahl der Städte mit Coronavirus-Beschränkungen weiter zu. Bis zum 11. April hatten 87 der 100 größten Städte Chinas irgendeine Form von Bewegungsbeschränkungen verhängt, so die Wirtschaftsexperten von Gavekal Dragonomics. Die Beschränkungen variieren von “wer eine Stadt betreten oder verlassen darf” bis hin zu vollständigen Lockdowns wie in Shanghai. Nur in 13 der 100 größten Städte des Landes gäbe es aktuell gar keine Einschränkungen.
Aber während immer mehr Städte Sperren verhängen, ließ die Härte kommunaler Lockdowns etwas nach. Von Ende März bis zum 13. April ging die Zahl der Großstädte mit strikten Lockdowns laut Gavekal von 14 auf sechs zurück. Damit schrumpfte auch der Anteil komplett abgeriegelter Städte an der Wirtschaftsleistung Chinas von 14 auf acht Prozent. Doch dieser Anteil kann angesichts der hohen Übertragungsrate der Omikron-Variante jederzeit wieder steigen. Und Shanghai allein repräsentiert schon 3,8 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsproduktes.
Der lange Lockdown der Metropole könnte Chinas monatliche Wirtschaftsleistung um zweieinhalb bis drei Prozent reduzieren, schätzt der Ökonomieprofessor Michael Song von der University of Hong Kong – auf Basis des in der Studie der vier Universitäten angewandten Modells, das die Lkw-Ströme aus 315 Städten bis zurück in den Januar 2019 unter die Lupe genommen hatte. Demnach werden sowohl die mit der Stadt verbundenen Lastwagenströme als auch das Realeinkommen von Shanghai um 54 Prozent zurückgehen. Der Lkw-Verkehr macht laut Statistiken des Verkehrsministeriums rund drei Viertel des gesamten nationalen Frachtaufkommens aus – und ist daher laut Song ein nützlicher Indikator. Er schätzt, dass ein Ein-Monats-Lockdown der vier größten Städte – Peking, Shanghai, Shenzhen und Guangzhou – das BIP um 8,6 Prozent abschmelzen würde.
Chinas strenge Covid-19-Sperren und Reisebeschränkungen haben zu einem Albtraum für den Logistiksektor geführt – was wiederum Produktion, Binnenhandel und Exporte belastet, eigentlich die gesamte Wirtschaft. Der Lkw-Verkehr quer durchs Land sei seit Mitte März um 40 Prozent zurückgegangen, schrieb Ernan Cui von Gavekal. In Shanghai liege er bei nur noch 15 Prozent des normalen Niveaus. Fast alle der gut 17 Millionen chinesischen Trucker sind Eigentümer: Rund 90 Prozent besitzen eigene Lastwagen. “Es stehen immer weniger Lkw-Fahrer zur Verfügung, die keine Reisegeschichte ohne irgendeine Art von Covid-Kontaktrisiko haben”, schreibt Cui. Lieferzeiten würden immer länger, Transportkosten steigen. Hinzu kommen Berichte von Truckern, die an Ortsgrenzen vorübergehend in ihren Lkw-Führerhäuschen festsaßen. Bei manchen klebte das Gesundheitspersonal gar die Türen zu.
Am schlimmsten betroffen von Covid-Maßnahmen ist der Transport in der Produktionshochburg des Jangtse-Deltas. Der Staatsrat sagte daher mehr spezielle Fahrzeugpässe für den Verkehr von Lastwagen zwischen Shanghai und den Nachbarstädten wie Suzhou und Hangzhou zu. Das Transportministerium ordnete zudem an, dass auf den Hauptspuren von Autobahnen im Delta keine Kontrollpunkte mehr für Covid-Tests eingerichtet werden, damit der Transport reibungsloser verlaufe. Die Provinzregierung von Jiangsu hatte kurz vorher die Aufhebung von Sperren an mehr als 50 Autobahnkreuzen verfügt. Auch die lokale EU-Kammer hatte gefordert, die Regeln für Trucker im Delta zu vereinheitlichen.
Chinas Vize-Ministerpräsident Liu He ordnete zudem die Einführung eines landesweit anerkannten Covid-19-Testpasses an, damit Lkw-Fahrer Rohstoffe, Komponenten, Lebensmittel und lebensnotwendige Güter zwischen den Provinzen ausliefern können, ohne bei jedem Stopp auf Ergebnisse warten zu müssen.
Es geht die Furcht um, dass nach einem noch halbwegs robusten ersten Quartal mit 4,8 Prozent Wachstum gegenüber dem Vorjahreszeitraum (China.Table berichtete) nun ab April der Einbruch folgen könnte. Anfang April ermahnte Ministerpräsident Li Keqiang die lokalen Behörden, dass sie bei der Stabilisierung der Wirtschaft größere “Dringlichkeit” zeigen sollten. Staatschef Xi Jinping zeigte sich derweil weiter unbeeindruckt von den Problemen. In seiner Rede auf dem Wirtschaftsforum von Bo’ao am Donnerstag betonte Xi, dass die chinesische Wirtschaft trotz der derzeitigen Herausforderungen eine “starke Widerstandsfähigkeit” und ein “enormes Potenzial” aufweise.
Xi hält stoisch an seiner Null-Covid-Politik fest. Doch die Lokalregierungen sind es, die all die Straßensperren und sonstigen Lockdown-Maßnahmen durchsetzen müssen. Sie sind besonders gebeutelt, da sie seit 2021 große Teile der Kosten selbst tragen müssen. Kosten, die durch die hohe Übertragbarkeit der Omikron-Variante immer weiter steigen. Detaillierte Daten über die tatsächlichen Ausgaben der Kommunen gibt es bislang kaum. Aber Suzhou musste bereits im Februar nach eigenen Angaben 120 Millionen Yuan (17 Millionen Euro) zur Bekämpfung eines Ausbruchs ausgeben, der am 13. Februar begann – für Schutzausrüstung, PCR-Tests, Infrastruktur und medizinische Versorgung. Und das war ein kleiner Ausbruch gewesen. Man mag sich vorstellen, wie viel Geld Shanghai derzeit berappen muss.
Auch Hilfsmaßnahmen für die lokale Wirtschaft kosten Geld: Die Regierungen in Shenzhen und Dongguan senkten im März Gebühren und Steuern, um die von der Pandemie betroffenen Unternehmen zu entlasten. Dongguan sagte, es werde jedem Haushalt in den von einem Ausbruch betroffenen Gebieten 1.000 Yuan anbieten.
China hat in der vergangenen Woche zwei Konventionen der Internationalen Arbeitsagentur (ILO) gegen Zwangsarbeit ratifiziert (China.Table berichtete). Der Schritt kam überraschend – seit Jahrzehnten wird mit der Volksrepublik über Zugeständnisse in dem Bereich verhandelt. Denn es handelt sich dabei um zwei altehrwürdige ILO-Übereinkommen:
Die ILO gehört zu den Vereinten Nationen (UN). Sie besteht schon seit 1919, ist also über hundert Jahre alt. Sie arbeitet darauf hin, den sozialen Rahmen für Arbeiter zu verbessern. Dafür setzt sie vor allem Regeln und Normen. Die Übereinkommen über Zwangsarbeit gehören daher zu den Grundpfeilern ihrer Projekte. Sie ächten “jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat”. Bis zur vergangenen Woche hat China seine Unterschrift verweigert. Kein Wunder in einem Land, das erst 2013 seine Arbeitslager formal geschlossen hat, nur um wenig später in Xinjiang neue zu eröffnen.
Echte Verbesserungen für die Arbeiter vor Ort erwarten Beobachter auch nun jedoch nicht. Der Schritt sei eine “diplomatische Entscheidung” gewesen, die zu keinen bedeutenden Veränderungen führen werde, sagte Aidan Chau von der Nichtregierungsorganisation China Labour Bulletin gegenüber China.Table. Die in Hongkong sitzende Organisation setzt sich für Arbeitnehmerrechte in der Volksrepublik ein.
Die Erfahrung zeige, dass China zwar viele Abkommen unterschreibt, die Praxis im Land sich aber nur unwesentlich verändert. So hat China auch das Übereinkommen über Sicherheit im Bauwesen von 1988 ratifiziert, so Chau. “Wir beobachten aber weiterhin, dass Arbeitsunfälle auf Baustellen wie beispielsweise Kran-Einstürze in China weit verbreitet sind.” Große Fortschritte bei den Interessen und Rechten der Arbeiter könne es nur durch Tarifverhandlungen geben, so Chau. Unabhängige Gewerkschaften gibt es in China aber nicht. Andere Formen von Arbeitnehmerorganisationen sind in China ebenfalls schwach aufgestellt.
Die ILO hat auch kaum Möglichkeiten, die Anwendung der Konventionen zu überprüfen. China weist den Vorwurf der Zwangsarbeit – vor allem in der Region Xinjiang – zurück. Vor-Ort-Untersuchungen durch unabhängige Experten wird Peking kaum zustimmen.
Ganz zufällig ist der Zeitpunkt der Ratifizierung nicht gewählt. Im Mai steht erstmals ein Besuch der Hohen Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Michelle Bachelet, in China an – auch in der Region Xinjiang. Mit der Ratifizierung wolle China nun signalisieren, dass der Schutz der Arbeitnehmerrechte ernst genommen wird, sagte Surya Deva, Rechtsprofessor an der Macquarie University in Australien, der Zeitung South China Morning Post.
Deva zufolge ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die ILO-Konventionen vor Ort die Abschaffung der Zwangsarbeit bewirkt. Peking mache den Schritt aus Kalkül: “um die Beziehungen zur EU angesichts der zunehmenden Kluft mit den USA wegen der russischen Invasion in die Ukraine zu verbessern und zu versuchen, CAI wiederzubeleben”. Dass die Volksrepublik die ILO-Konventionen nicht ratifizieren wollte, war bislang einer der Hauptkritikpunkte an dem Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und China (CAI).
Dieser Kritikpunkt ist zwar ausgeräumt, aber das allein reicht eben nicht. CAI liegt seit mehr als einem Jahr auf Eis. Ausschlaggebend waren im März 2021 gegenseitige Sanktionen. Brüssel hatte diese wegen Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren gegen mehrere führende Beamte in Xinjiang verhängt. Peking reagierte mit Strafmaßnahmen unter anderem gegen EU-Abgeordnete.
Könnte die Zustimmung zu den Abkommen nun Bewegung in das CAI-Patt bringen? Eher nein. “Die Ratifizierung der ILO-Konventionen ist zwar eine große Geste Pekings gegenüber Brüssel, beseitigt aber nicht die Haupthindernisse für die CAI-Ratifizierung”, sagt Merics-Analyst Grzegorz Stec. CAI bleibe wegen ganz anderer Hindernisse weiterhin blockiert: wegen der gegenseitigen Sanktionen und des Handelsstreits um Litauen. “Keines dieser Probleme dürfte auf absehbare Zeit gelöst werden, auch im Kontext der politischen Spannungen um die Ausrichtung Pekings mit Moskau”, so Stec.
Peking scheine sich gegenüber der EU in einem “Schadensbegrenzungsmodus” zu befinden. Der EU-China-Gipfel lief nicht sonderlich gut (China.Table berichtete). Auch die ILO-Abkommen helfen Stec zufolge derzeit nicht viel. Der Fokus der EU-China-Beziehungen verschiebe sich vermehrt in Richtung “systemische Rivalität”. Für die Führung in Peking könnte es schwierig werden, die Beziehung zu Brüssel zu verbessern, erklärt Stec.
Auch vom EU-Handelskommissar kam eine klare Absage an Fortschritte bei der Anwendung des CAI wegen der Ratifizierung der ILO-Konvention. Die EU messe der ILO zwar große Bedeutung bei und begrüße den Schritt. Aber solange die Sanktionen gegen EU-Parlamentarier in Kraft seien, werde CAI nicht wiederbelebt.
Chinas harter Kurs gegen das Coronavirus wird nach Ansicht des Münchner Ifo-Instituts die Konjunktur in Deutschland bremsen. “Die Folgen des China-Lockdowns werden die deutsche Wirtschaft in den nächsten Monaten treffen“, sagte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe am Montag der Nachrichtenagentur Reuters. “Das wird die Lieferkettenprobleme der Industrie verschärfen und die Verfügbarkeit von Waren im Einzelhandel einschränken.” Vor allem die Logistik werde darunter leiden. “Das wird sich noch mal deutlich verschärfen.”
Bislang zeigten sich die deutschen Betriebe jedoch überaus stabil – angesichts des Kriegs in der Ukraine und den Auswirkungen der Lockdowns in China. “Die deutsche Wirtschaft zeigt sich robust gegenüber der Unsicherheit”, erläuterte Wohlrabe. “Für das erste Quartal sehen wir keine Rezession.” Auch für das laufende zweite Quartal zeichne sich kein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts ab.
Wohlrabe betonte aber, dass es weiter Engpässe bei wichtigen Gütern gebe. “Die Lieferkettenprobleme der Industrie bleiben auch im April groß.” Rund 75 Prozent der Firmen klagten darüber, nach gut 80 Prozent im März. “Die Erwartungen der Industrie haben sich etwas verbessert, sind aber noch stark von Pessimismus geprägt.”
Die Unternehmen versuchen, die gestiegenen Kosten an Kunden weiterzureichen. “Viele Firmen haben weitere Preiserhöhungen angekündigt”, sagte der Ifo-Fachmann. “Das zieht sich jetzt durch die gesamte Wirtschaft.” rtr
In Peking steigt die Zahl der Corona-Neuinfektionen weiter an. Am Montag meldeten die Behörden 29 neue Fälle. Damit steigt die Gesamtzahl seit Freitag auf 70. Nun drohen auch in der chinesischen Hauptstadt massive Einschränkungen. Ab Dienstag wurde eine Ausweitung der Massentests in zehn weiteren Stadtteilen und einer Wirtschaftszone angekündigt, wie Reuters unter Berufung auf einen Regierungsbeamten berichtete. Die Massentests sollen demnach bis Samstag dauern.
Im größten Stadtteil Chaoyang wurden zu Wochenbeginn einzelne Wohnblöcke sowie mehrere Nachbarschaften abgeriegelt. Die Bewohner der jeweiligen Anlagen dürfen das Gebiet bis auf Weiteres nicht verlassen. Auch einige Restaurants und Unterhaltungsstätten wurden bereits geschlossen. Die Angst vor strengen Ausgangssperren führte am Montag zu Hamsterkäufen und leeren Regalen in den Supermärkten.
Pekings Behörden warnten am Montag vor “düsteren” Zeiten, nachdem am Sonntag 22 neue Infektionsfälle gemeldet wurden. Die Behörden fürchten, dass das Virus sich schon seit einer Woche unentdeckt in der 21-Millionen-Metropole verbreitet hat und nun deutlich mehr Fälle entdeckt werden könnten. Erste Beobachtungen deuteten darauf hin, dass vor allem “Schulen, Reisegruppen und viele Familien” betroffen seien, sagte ein Behördenvertreter. Bei einem Viertel der Infizierten handelt es sich demnach um über 60-Jährige, von denen die Hälfte ungeimpft ist.
In einem ersten Schritt müssen sich alle 3,5 Millionen Einwohner des Bezirks Chaoyang testen lassen (China.Table berichtete). Am Montag fanden die ersten Kontrollen statt, weitere Test werden am Mittwoch und Freitag durchgeführt.
Zudem hat Pekings Verwaltung strenge Kontrollen für die Einreise in die Stadt verhängt: Wer nach Peking will, muss einen negativen Covid-Test vorweisen, der nicht älter sein darf als 48 Stunden. Wer in den vergangenen zwei Wochen Städte oder Landkreise besucht hat, in denen mindestens ein Coronafall gemeldet wurde, darf gar nicht einreisen.
Mit dem schnellen Vorgehen wollen die Pekinger Behörden zeigen, dass man aus dem Coronavirus-Ausbruch in Shanghai und anderen Provinzen gelernt habe (China.Table berichtete). Dort wird der Ärger über die harschen Maßnahmen immer größer: Am Wochenende sorgte ein Video mit dem Titel “Stimme des April” (四月之声) für Aufsehen (China.Table berichtete).
Ob ein Lockdown über ganz Peking oder auch nur einige Bezirke verhängt werde, hänge von der Ausbreitung des Virus ab, sagte ein Experte des nationalen Gesundheitsamtes der Zeitung “Global Times”. “Wenn die Ergebnisse der Tests in Chaoyang und anderen Teilen herauskommen, wird es uns ein besseres Bild von der gesamten epidemischen Lage in Peking geben”, sagte der Funktionär. “Weitere Maßnahmen werden entsprechend folgen.” Im Chaoyang-Distrikt liegen die ausländischen Botschaften und leben die meisten Ausländer in Peking. rad
Die EU-Kommission will im Herbst ihren lang erwarteten Vorschlag für ein Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit vorlegen. Es werde davon ausgegangen, dass im September eine Vorlage für ein eigenständiges Gesetz präsentiert werden könne, teilte eine Vertreterin der EU-Generaldirektion für Handel am Montag im Handelsausschuss des Europaparlaments mit. Die EU-Kommission arbeite derzeit an einem detaillierten Konzept, genauere Angaben zum Inhalt des Importverbots gebe es jedoch noch nicht.
Das Verbot von Produkten aus Zwangsarbeit müsse sich auf einen robusten Rahmen und internationale Standards stützen. Dass einzelne Länder wie China durch die Gesetzgebung herausgepickt würden, müsste vermieden werden.
Das Importverbot für Waren, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden, war vergangenes Jahr von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen während ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union angekündigt worden. Eigentlich wurde davon ausgegangen, dass das Importverbot Teil des EU-Lieferkettengesetzes werden würde – der von der Brüsseler Behörde vorgelegte Entwurf dazu ließ das Einfuhrverbot dann jedoch außen vor (China.Table berichtete).
Offen sei vor allem noch die Frage, wie mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) bei dem Importverbot umgegangen werde. Es müsse verhältnismäßig gestaltet werden. KMU auszuschließen, sei aber auch nicht “die beste Antwort”, erklärte die Beamtin vor dem Ausschuss.
Das EU-Lieferkettengesetz lässt KMU weitgehend außen vor. Der Entwurf der EU-Kommission sieht mehrere Grenzen vor: Firmen in der EU sind betroffen, wenn sie weltweit einen Jahresumsatz von mehr als 150 Millionen Euro erwirtschaften und mehr als 500 Mitarbeitende haben. Strengere Regeln gibt es für Unternehmen, die in Sektoren arbeiten, bei denen das Risiko von Ausbeutung und Umweltzerstörung höher ist. Hier sind 250 Angestellte und ein Umsatz von 40 Millionen Euro vorgesehen. ari
Die Regierung will offenbar der Wirtschaft helfen, indem sie mit billiger Kohle die Energiepreise drückt. Die Förderung soll in diesem Jahr um sieben Prozent steigen, berichtet die Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf Medienberichte. Das sind 300 Millionen Tonnen mehr als im Vorjahr. Dabei handelt es sich seit 2020 um den zweiten hohen Anstieg in Folge. Im Rahmen der Konjunkturförderung sei auch der Bau neuer Kohlekraftwerke geplant.
Den Ausstieg aus fossilen Energieträgern hebt sich die Führung offenbar für Jahre ohne Krisen und Probleme auf. China hat sich ohnehin nie zu einem gleichmäßigen Abbau der Kohleförderung verpflichtet, sondern nur ihren Höhepunkt für das Jahr 2030 in Aussicht gestellt. fin
Die Europäische Union und die USA haben China wegen der mutmaßlichen Verbreitung von “Desinformationen” über die russische Invasion in der Ukraine kritisiert und davor gewarnt, dass eine stillschweigende Unterstützung Moskaus nicht ohne Folgen bleiben werde. “Staatsmedien haben die Lügen und Verschwörungstheorien des Kremls nachgeplappert, einschließlich absurder Behauptungen, dass die Ukraine, die Nato und die EU eine Sicherheitsbedrohung für Russland darstellen”, beklagte die stellvertretende US-Außenministerin Wendy Sherman zum Ende ihrer mehrtägigen Gespräche mit hochrangigen EU-Vertretern in Brüssel. Dabei ging es neben Chinas Rolle im Ukraine-Krieg unter anderem auch um Themen wie Taiwan, den wirtschaftlichen Druck vonseiten Pekings und den Indo-Pazifik, wie aus einer gemeinsamen Erklärung hervorging.
Beide Seiten setzten sich das Ziel, die chinesische Führung bei Gesprächen in der Frage der Umgehung der Russland-Sanktionen auf den Zahn zu fühlen. Eine Umgehung der Strafmaßnahmen hätte “Konsequenzen für unsere jeweiligen Beziehungen”. Wie die Konsequenzen konkret aussehen, erklärten beide Seiten nicht. Auch die Frage, ob die EU und die USA dabei dieselben Vorstellungen haben, blieb bei einer Pressekonferenz von Sherman und dem Generalsekretär des Europäischen Auswärtigen Dienstes, Stefano Sannino, unbeantwortet.
Taiwan zeigte indes Unterstützung für die Ukraine: Der taiwanische Außenminister Joseph Wu telefonierte mit Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko. “Der Kampfgeist des Bürgermeisters von Kiew ist bewundernswert. Champ, wir werden Ihnen und Ihren Leuten weiterhin zur Seite stehen. Die Freiheit wird siegen!”, schrieb Wu auf Twitter. ari
Der spanische Diplomat Jorge Toledo Albiñana soll neuer Botschafter der Europäischen Union in China werden. Das erfuhr China.Table am Donnerstag aus EU-Kreisen. Toledo ist derzeit spanischer Botschafter in Japan. Der 57-Jährige würde dem Franzosen Nicolas Chapuis als EU-Botschafter in Peking nachfolgen, der gegen Herbst seinen Posten verlässt. Der Europäische Auswärtige Dienst (EEAS) bestätigte die Personalie zunächst nicht.
Mit Toledo kommt ein zweiter hochrangiger europäischer Vertreter von Tokio nach China: Auch die neue deutsche Botschafterin in Peking, Patricia Flor, war vor ihrem Einsatz in der Volksrepublik in der japanischen Hauptstadt tätig (China.Table berichtete). Sie war dort EU-Botschafterin. Toledo wurde in Ludwigshafen geboren und war bereits auf verschiedenen diplomatischen Posten für Spanien und die EU im Einsatz. ari
Wenn deutsche Kanzler oder Kanzlerinnen nach Chinas reisten, trugen sie immer die Wunschvorstellung Wandel durch Handel im Gepäck. Die Logik dahinter: Durch immer engere Geschäftsbeziehungen zwischen China und dem Westen würde die Volksrepublik schrittweise liberaler werden, irgendwann sogar vielleicht demokratisch.
China würde sich nach der wirtschaftlichen Öffnung unter Deng Xiaoping und dem beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg automatisch dem gewinnbringenden System der freiheitlichen Demokratien und einer regelbasierten Weltordnung anschließen, so die Überzeugung.
Und tatsächlich ist das Prinzip Wandel durch Handel 20 Jahre nach Chinas Eintritt in die Welthandelsorganisation aufgegangen. Nur nicht so, wie wir es antizipiert hatten, sondern genau andersherum. Durch den Handel mit China haben vor allem auch wir Deutschen damit begonnen, uns zu wandeln.
Wir sind aus unserem schönen Traum bitter erwacht. Die Abhängigkeiten unserer Lieferketten und die Gier nach neuen Wachstumsmärkten haben uns in eine Situation manövriert, in der wir heute unser Verhalten chinesischen Befindlichkeiten anpassen. Unsere Abhängigkeiten vom chinesischen Markt sind inzwischen so groß, dass Peking sie im “Divide et Impera”-Verfahren – Teile und Herrsche – gegen uns ausspielt. Wir müssen uns endlich eingestehen und darüber diskutieren, dass wir uns mittlerweile so verhalten, um chinesischen Bestrafungen zu entgehen.
Wir lassen Vorsicht walten, wenn wir Kommentare mit China-Bezug in Sozialmedien posten. Firmenbosse beißen sich auf die Zunge, um nahezu jede öffentliche Kritik an China zu vermeiden. Und selbst unsere Regierung ist extrem darauf bedacht, Hongkonger Menschenrechtsaktivisten, Exil-Dissidenten oder geschweige denn dem Dalai Lama eine allzu große Bühne zu bieten, wenn überhaupt. Wir nehmen hin, dass westliche Online-Plattformen in China gesperrt sind, während Chinas Propagandamaschine hierzulande Twitter und Co. nutzt, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Das Selbstvertrauen des Westens in seine eigene Stärke, das nach dem Kalten Krieg offenbar ins Unermessliche stieg, scheint viele blind gemacht zu haben. Dass die Volksrepublik jedoch anderes im Sinn hat, als nur westliche Waren zu kaufen und westliche Werte anzunehmen, kam uns offenbar nicht in den Sinn. China hat es seit dem WTO-Beitritt exzellent verstanden, diese für sich zu instrumentalisieren.
Der chinesische Traum, den Präsident Xi Jinping als Vision formuliert hat, befeuert Stolz auf Gewesenes, aber auch den Anspruch auf die Spitze. Dies ist per se nicht verwerflich. Als Westen müssen wir uns aber im Klaren darüber sein, dass diesem chinesischen Traum der Aufstieg einer Kollektivität zugrunde liegt, der auf einem anderen Wertesystem fußt, statt Freiheit und persönlicher Entwicklung des Einzelnen fördert.
Hätten wir wissen können, auf welchem Fundament der chinesische Traum wachsen soll? Vergessen scheinen Vorzeichen wie das Dokument Nr. 9, für dessen Veröffnetlichung die Journalistin Gao Yu zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Demokratie und Journalismus nach westlichem Vorbild, eine Zivilgesellschaft, universelle Werte wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie wurden im Dokument Nr. 9 ebenso klar abgelehnt wie ein ökonomisches System, das mehr von Privatwirtschaft als Sozialismus geprägt wird. Ein Blick in die chinesische Verfassung (Art.7), die das Primat der Staatswirtschaft festhält, wäre auch von Nutzen gewesen.
Ja, wir hätten dies alles wissen können und müssen. Wir hätten mehr Druck auf die Einhaltung eines weltumspannenden Regelwerks machen können, statt auf Wandel durch Handel im Zuge wachsender Verflechtung zu hoffen. Ohne westliche Investitionen war und ist China auch heute noch nicht in der Lage, das Versprechen einzulösen, seiner riesigen Bevölkerung einen moderaten Wohlstand zu verschaffen.
Stattdessen haben sich westliche Unternehmen jahrzehntelang mit Zugangsbeschränkungen zum chinesischen Markt durch Joint Venture-Erfordernisse, erzwungene Wissenstransfers oder ausgeschlossene Industrien abgefunden, während chinesische Unternehmen Hafenanlagen und Stromnetze in Europa erwarben, oder Autobahnen und andere Infrastruktur bauen durften.
Die Hoffnung, dass China dem Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) beitritt, hat sich auch nach 20 Jahren WTO-Mitgliedschaft bis heute nicht erfüllt. Die de facto Unmöglichkeit bei wichtigen Vergaben in China als ausländische Firma zum Zug zu kommen, wurde zu lange ignoriert. Erst seit wenigen Jahren scheint Reziprozität überhaupt Teil unserer Diktion zu sein.
Zu spät. Mittlerweile sind Mammutkonzerne in China entstanden, die (nicht nur, aber auch) durch Transfer von Know-how aus dem Ausland mächtig geworden sind und durch ihre staatliche Unterstützung Wettbewerbsvorteile weit über den chinesischen Markt hinaus genießen.
Ich bin während meiner Zeit in der Europäischen Handelskammer für die Verwendung des Begriffs Reziprozität mehr als einmal kritisiert worden. Heute ist klar, dass sie die richtige, regelbasierte Grundlage für friedliche Koexistenz und gemeinsame Entwicklung ist. Auch die Lösung globaler Probleme funktioniert im Zusammenarbeit mit China.
Kein Akteur – natürlich auch der Westen nicht – sollte Rosinen aus den Regelwerken picken dürfen, die einseitige Vorteile versprechen. Doch genau das haben wir China jahrzehntelang zugestanden. In unseren demokratisch verfassten Gesellschaften müssen wir deshalb definieren, welchen Preis wir für Wachstum und Wohlstand zu zahlen bereit sind und entsprechende Linien ziehen. Der Krieg in der Ukraine gibt uns gerade ein gutes Beispiel dafür, dass wir solche klaren Grenzen benötigen und behaupten müssen.
Stefan Sack, 54, arbeitete früher als Unternehmensberater bei McKinsey, ehe er 2005 nach China ging. Dort war er in zahlreichen leitenden Positionen bei internationalen Unternehmen tätig. Zwischen 2013 und 2016 war er Vize-Präsident der Europäischen Handelskammer in Shanghai. Seit Ende vergangenen Jahres lebt Sack in Hamburg.
“Ich habe gehofft, dass wir nach zwei Jahren Corona jetzt mal in ruhigeres Fahrwasser kommen”, gesteht Ulrich Ackermann. Es kam anders. Seine Abteilung Außenwirtschaft beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) hat momentan besonders viel zu tun. Aktuell die zentralen Themen: die Sanktionen gegen Russland und die Implikationen, auch für den Handel mit China. Bei Ackermann und seinem Team können sich die mehr als 3.400 Mitgliedsunternehmen melden, wenn sie Fragen haben zu Zöllen, Export-Regeln oder Rahmenbedingungen auf ausländischen Märkten.
“Im Endeffekt sind wir eine Art Beratungsunternehmen für unsere Mitglieder in allen Fragen rund um die Themen Export und Außenwirtschaft”, beschreibt Ackermann seine Aufgabe. Und an Anfragen mangelt es nicht. Gerade bekam der 63-Jährige einen Anruf eines Mitgliedsunternehmens, das dringend einen neuen Stahllieferanten sucht, der Markt sei wie leergefegt. “Wer weiß denn schon, dass 20 Prozent der in Westeuropa verarbeiteten Stahlbrammen aus Russland und der Ukraine kommen?”, fragt Ackermann. Für Nicht-Expert:innen: Eine Bramme ist ein gegossener, länglicher Block.
Vor allem die vielen mittelständischen Unternehmen der Branche schätzten die Expertise des VDMA. 15 Expert:innen für die Regionen der Welt und alle relevanten Sachthemen sitzen in seiner Abteilung in Frankfurt am Main. Zusätzliche Unterstützung bekommen sie aus dem Berliner Standort und den VDMA-Auslandsbüros, darunter auch zwei in China. Das Land ist extrem wichtig für die Branche, 2020 lieferten deutsche Unternehmen dorthin Maschinenbau-Produkte im Wert von über 18 Milliarden Euro. Sanktionen gegen China hätten enorme Auswirkungen.
Mit Sorge blickt Ackermann deshalb auf das Verhalten Xi Jinpings gegenüber Putin, aber auch auf das Verhältnis zu Taiwan. “Freihandel setzt einfach stabile Rahmenbedingungen voraus”, sagt der gebürtige Frankfurter. Märkte faszinieren ihn seit Jahrzehnten. Schon seine Diplomarbeit in Volkswirtschaftslehre schrieb Ackermann 1986 über eine mögliche Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs. Direkt im Anschluss landete er beim VDMA, beschäftigte sich dort mit dem damals entstehenden EG-Binnenmarkt. Seit 2005 steuert er nun die Außenwirtschaftsabteilung durch unsichere Zeiten.
Unsicherheit präge aktuell auch den chinesischen Markt. Durch die strengen Coronavirus-Einreiseregeln seien besonders kleine und mittelständische Firmen in ihrem Geschäft eingeschränkt. “Viele sagen uns, wir verlieren gerade ein Stück weit den Zugang zum Markt”, verrät er. “Es geht nichts darüber, wirklich vor Ort zu sein.” Er möchte selbst unbedingt bald wieder nach China fahren. Die landschaftlich schönen Regionen habe er sich bisher aufgehoben. “Touristisch war ich noch nie in China unterwegs, dafür kenne ich die Industriegebiete sehr gut”, erzählt er schmunzelnd. Paul Meerkamp