bislang galt: Deutsche Autos verkaufen sich auf dem chinesischen Markt bestens. Aber umgekehrt? Eher unwahrscheinlich. Die Automarke Nio will nun das Gegenteil beweisen und bereitet den Einstieg in den gesamten europäischen Markt vor, auch in Deutschland. Der Vize-Europachef von Nio, Zhang Hui, erklärt im Interview, wie er das größte Hindernis beim Markteinstieg überwinden will: das Fehlen einer etablierten Marke.
Im Westen ist von Shitstorms und Cancel Culture die Rede, in China nennt sich das Pendant der Online-Hetzjagd “Rénròu Sōusuo 人肉搜索”, übersetzt: “Menschenfleischsuche“. Davor graut es nicht nur Promis, sondern auch Firmen, vor allem westlichen. Große Namen wie Daimler mussten eine solche Hetzjagd im chinesischen Netz schon über sich ergehen lassen. In der Volksrepublik bekommt das Ganze jedoch eine spezielle Note. Dort ist die Beleidigung der chinesischen Kultur oder des chinesischen Volkes gar zur größtmöglichen Sünde geworden. Und der Interpretationsspielraum ist groß.
Unser Autor Fabian Peltsch hat sich Chinas nationalistische Cancel Culture näher angesehen und analysiert: Online-Hetzkampagnen entspringen zum Teil tatsächlich einer patriotischen Stimmung, zum Teil sind sie aber auch von der Regierung orchestriert.
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!
Herr Zhang, welches Image soll Nio in Europa haben?
Ganz oben steht unsere Mission ‘shape a joyful lifestyle’. Das ist der Grund, warum William Li 2014 dieses Unternehmen gegründet hat. Er wollte mithilfe der Technologien im Bereich Smart Electric Vehicle eine Plattform erschaffen, auf der Nio und die sogenannten ‘User von Nio’ miteinander ein positives Lebensgefühl, Freude und ihre Erfahrungen mit der Marke teilen und sich weiterentwickeln können. Es ist uns gelungen, dieses Image in China zu etablieren. Uns ist wichtig, dieses Image nun auch im europäischen Markt zu haben.
Wie soll so ein Image transportiert werden?
Unterschiedliche Aspekte führen zu diesem Image. Nio ist eine Premium-Marke. Wir bestehen auf die höchsten Qualitätsstandards. Der zweite Aspekt ist die Sicherheit. Der ES8, den wir seit Ende September auf dem norwegischen Markt haben, erhielt fünf Sterne beim EuroNCAP Crashtest. Punkt drei ist das Design. Auf diesen Säulen ruht das Image. Daneben steht unsere User-Community. Das Community-Feeling, das wir in China schon haben, soll es auch in Europa geben.
Europäische Kunden gelten als weniger technikaffin als chinesische. Wie soll hierzulande das Communitybuilding funktionieren?
Ich würde nicht sagen, dass die europäische Gesellschaft weniger Erfahrung mit Communitys hat. Youtube, Facebook, WhatsApp, Airbnb, Miles and More, Payback schaffen das bereits. Es geht nun darum, das auch im Mobilitätsbereich zu machen. Die Autoindustrie hat jedoch seit 130 Jahren eine andere Wertschöpfungskette. Das heißt andererseits nicht, dass man das nicht ändern kann. In Norwegen wollten wir vor dem Start ein User Advisory Board (UAB) gründen. Ziel war es, 200 User zu finden, weil Norwegen mit 5,5 Millionen Einwohnern ein kleines Land ist. Wir haben aber sogar 600 Bewerbungen bekommen. Nach der Eröffnung vom Nio House in Oslo kommen inzwischen bis zu 2.000 Besucher pro Tag. Viele davon nehmen an Events und Aktivitäten im Nio House teil. Wenn die Themen richtig und wichtig sind, ziehen wir eine Gruppe von Leuten an, auf deren Basis wir die Community gründen können.
Europäische Kunden sind chinesischen Marken gegenüber sehr kritisch. Wie wollen sie die Akzeptanz erhöhen?
Wir müssen Fakten schaffen.
Dafür müssen die Leute ins Auto.
Das gehört zu unserer Strategie. Wir wollen den Menschen die Möglichkeit bieten, über Testfahrten und andere Kanäle Zugang zum Fahrzeug zu bekommen. In China gibt es ein Sprichwort: ‘Etwas tausendmal zu hören ist nicht so überzeugend, wie es einmal gesehen zu haben.’
Wie kommen die Pläne in Europa voran?
Wir haben in Norwegen angefangen. 2022 starten wir in Deutschland und Schweden. Aber auch die anderen europäischen Märkte werden kommen. Zu den Stückzahlen kann ich keine genauen Angaben machen, aber wir wollen in naher Zukunft ein signifikanter Player im Premiumsegment sein. Das ist unser Ziel. In Europa haben wir derzeit rund 200 Mitarbeiter, verteilt auf unsere Standorte in München, Oxford und Oslo. In München ist unser europäisches und globales Headquarter für das Design. In Oxford betreiben wir Forschung und Entwicklung im Bereich ‘advanced engineering’ und in Oslo befindet sich die erste Vertriebs- und Service-Zentrale.
Was bedeutet ‘advanced engineering’?
Das bezieht sich auf die Fahrzeugarchitektur. Im Silicon Valley und in Shanghai forschen wir an der Künstlichen Intelligenz.
Wie laufen Verkauf und Vertrieb in Europa ab?
Für den Vertrieb haben wir sowohl ein Nio House als auch einen Nio Space. Das erste Nio House ist in Oslo. Es ist das erste außerhalb Chinas. Dort präsentieren wir die Autos und kommen mit den Kunden zusammen. Es wird also auch als Community-Place genutzt. Der Nio Space ist der zweite Point-of-sale. Es ist eine verkleinerte Form des Nio House. Für den Service haben wir ein Hybrid Modell. Einerseits ein eigener Service, andererseits ein Partner-Netzwerk. Das erste Nio Servicecenter wird zeitnah in Norwegen eröffnet.
Ihre Mitbewerber haben in beinahe jedem Ort Niederlassungen. Ist das ein Ziel von Nio?
Wie die Kollegen aus Wolfsburg aufgestellt sind, ist historisch bedingt. Uns ist bewusst, dass die Dichte des Netzwerks eine Rolle spielt. Deswegen wollen wir neue Formen anbieten – beispielsweise einen Service-Wagen. Den haben wir schon auf dem norwegischen Markt gelauncht. Das Partnernetzwerk dient dazu, dass wir zusätzlich in geografischer Nähe zum Kunden sind. Uns ist aber klar, dass nicht über Nacht ein paar tausend Service-Standorte entstehen. Wir glauben aber, dass wir über digitale Tools ein ähnliches Ergebnis erreichen können, wie der Wettbewerb.
Gibt es Unterschiede zwischen europäischen und chinesischen Nio-Modellen?
Im Grund genommen nicht. Weil wir für die Fahrzeuge von Beginn an ein internationales Design angestrebt haben. Es gibt keine Autos, die exklusiv nur für Europa oder China entwickelt werden. Wir passen nur Details an, die für die Funktionalität des Autos essentiell sind. Die Ladeklappe zum Beispiel. Aufgrund der unterschiedlichen Ladestandards in China und Europa sind die anders gebaut.
Chinesische Autos haben meist kein fest integriertes Navi.
In Europa haben wir unseren Navi-Service-Provider. Wir arbeiten für den ES8 mit TomTom zusammen.
Auch das klassische Autoradio gibt es in China nicht.
Wir haben ein Digitalradio im Angebot. Wir brauchen den lokalen Content und die lokalen Partner für unsere Kunden in Europa.
Firmengründer Li hat eine Produktion in Europa nicht ausgeschlossen. Die Beteiligung an Lotus hat deswegen die Spekulationen angeheizt.
Aktuell kann ich nur sagen, dass wir derzeit keine Produktion in Europa planen. Lotus ist ein anderes Thema. Nio Capital hat sich an Lotus beteiligt. Das ist eine unabhängige Firma, die den Namen Nio trägt – auch wenn Nio natürlich beteiligt ist.
War die globale Strategie von Nio von Anfang an geplant?
Das kann ich nur bestätigen. Es war von Anfang an das Ziel, ein globales Unternehmen aufzubauen. Eine Premiummarke muss global präsent sein. Es ist aber auch klar, dass dieses Ziel Schritt für Schritt erreicht werden muss. Von 2014 bis 2018 haben wir uns auf die Entwicklung des ersten Fahrzeugs konzentriert. Jetzt ist die Zeit gekommen, um ins Ausland zu gehen, was wir mit dem Markteintritt in Norwegen auch getan haben.
Was haben sie bisher in Europa gelernt?
Erstens, dass technische Anpassungen gemacht werden müssen: der Ladeanschluss, die Content-Provider, das Navi. Zweitens, dass Europa kein einzelner Markt ist, sondern aus 47 Ländern besteht, die von regionalen Kulturunterschieden geprägt sind. Und drittens haben wir gelernt, dass ein lokales Team für die lokalen Kunden wichtig ist. Der europäische Markt ist außerdem anders geprägt als der chinesische. Die Art unterscheidet sich von Land zu Land. Ein Beispiel: In China werden über 90 Prozent der Autos an Privatkunden verkauft. In Deutschland sind sechzig bis siebzig Prozent der Premium-Autos Dienstwagen. Das macht einen großen Unterschied in Bezug auf Angebot und Service.
Im Oktober sind die Verkaufszahlen eingebrochen. Woran lag das?
Die Zahlen im Oktober sind auf ein Fabrikupdate, das wir durchgeführt haben, zurückzuführen. In der einzigen Fabrik, in der wir Fahrzeuge herstellen, sind dadurch die Produktionsstückzahlen zurückgegangen.
Die Halbleiter-Knappheit war kein Grund?
Sicherlich ist auch Nio ein Unternehmen, das darunter leidet. Unsere Verkaufszahlen sind aber noch nicht zehn oder zwanzig Mal so hoch wie die mancher Mitbewerber. Wir hoffen, wie die ganze Industrie, dass sich die Situation Mitte nächsten Jahres deutlich verbessert hat.
Startups in der Mobilitätsbranche brauchen viel Geld und Know-how. Sie haben prominente Investoren. Was haben die, außer Geld, eingebracht?
Investoren sind Investoren. Nio funktioniert eigenständig. Aber zusätzlich bringen die jeweiligen Investoren Netzwerke in der gesamten Wertschöpfungskette mit ein. Sie erleichtern den Zugang zu bestimmten Ecosystemen. Gemeinsam können so bessere Kooperationen erreicht werden.
Die chinesische Elektroautomarke Nio hat bis einschließlich November 80.940 Autos ausgeliefert – vor allem in China. Hinter der Firma stehen große Investoren wie Tencent und Baidu; sie gilt deshalb als das bekannteste Start-up im chinesischen Mobilitätssektor. Nio wurde daher von Anfang an immer wieder in einem Atemzug mit Tesla genannt. Nach einer Kursrallye war die Marke an der Börse zwischenzeitlich sogar mehr wert als BMW. Im Jahr 2022 werden erste Modelle auch in Deutschland zu haben sein.
Zhang Hui ist ein Globetrotter. Der 49-Jährige lebt und arbeitet hauptsächlich in München, wo Nio sein globales Design-Headquarter hat. Regelmäßiges Pendeln nach Oslo und Shanghai ist daher Pflicht. Zhang kennt es nicht anders. Er hat in Peking, Pforzheim und Utah Wirtschaft studiert. Im Jahr 2002 begann seine Karriere beim Maschinenbauer Voith AG (Heidenheim) und dem Automobilzulieferer Kiekert (Heiligenhaus). 2010 übernahm er den Posten als General Managers bei Lotus China. Nach einem Zwischenspiel als Vorstandsmitglied beim Elektronikhersteller Leoni kam er zu Nio, wo er seit dem Jahr 2016 als Vice President Europe tätig ist.
Dass sie wegen eines Fotos als “Verräterin Chinas” gebrandmarkt würde, hatte Chen Man nicht kommen sehen. Nachdem die 41-jährige Starfotografin aus Peking ein asiatisches Modell für eine Handtaschen-Werbung von Dior abgelichtet hatte, stand sie Mitte November plötzlich am Internet-Pranger: Chen bediene mit ihren Bildern westliche Klischees chinesischer Frauen, schrieben empörte User auf chinesischen Social-Media-Kanälen wie Weibo. Die Augen seien zu schmal, die Wangenknochen zu hoch, das Make-up und die Kleidung erinnern an eine “gruselige Konkubine” aus der Qing-Dynastie. Chinesische Schönheit sehe anders aus.
Auch die staatliche Zeitung Beijing Daily stimmte in den Chor der Entrüstung ein: Das Foto “verzerre die chinesische Kultur”. Daraufhin entschuldigte sich Chen für ihre “Rücksichtslosigkeit” und “Ignoranz”. Die “Rénròu Sōusuo 人肉搜索”, die “Menschenfleischsuche”, wie man eine Online-Hetzjagd in China nennt, war da jedoch bereits in vollem Gange. Die User arbeiteten sich systematisch durch Chens Portfolio und sammelten Beweisfotos, die Rückschlüsse auf ihre vermeintlich unpatriotische Haltung zulassen.
Bilder eines leicht bekleideten Models auf dem Drei-Schluchten-Damm, die Chen bereits 2008 veröffentlicht hatte, galten plötzlich als “antichinesisch”. Um “die Gefühle der Chinesen nicht weiter zu verletzen”, löschte die weltweit gefragte Fashion-Fotografin alle “problematischen” Bilder aus ihrem Werk. “In der Zwischenzeit werde ich mich besser über die chinesische Geschichte informieren und den selbstbewussten Geist der neuen Ära Chinas als Inspirationsquelle nutzen, um die chinesische Geschichte durch meine Arbeit zu erzählen”, erklärte Chen in einem offenen Brief auf Weibo. Eine Selbstkritik wie aus dem Parteileitfaden.
Auch in den USA und in Europa gibt es die Tendenz, die Absender von unkorrekten Äußerungen zu brandmarken und möglichst zum Schweigen bringen. Dafür hat sich in den vergangenen Jahren der Begriff “Cancel Culture” etabliert. Wer etwas Unpassendes sagt, wird von der Netzgemeinde scharf kritisiert und seine Meinung “ausgelöscht” oder “rückgängig gemacht”, sprich: gecancelt. Es gibt diese Tendenz in allen Lagern von links bis rechts und von religiös bis liberal. In China ist ihre Ausprägung als patriotische Bewegung besonders stark.
Chinas nationalistische Cancel Culture macht heute vor niemandem Halt. Davon kann auch die Wirtschaftswelt ein Lied singen. Die Liste der Unternehmen, die bereits dafür abgestraft wurden, die “Gefühle des chinesischen Volkes” verletzt zu haben, wird mit jedem Monat länger. VW, H&M, Nike, Zara, Burberry, Adidas, Puma, Dolce & Gabbana und sogar die US-Basketball-Liga NBA sind nur einige Beispiele internationaler Player, die in China öffentlich angeprangert und boykottiert wurden.
Mal war der Stein des Anstoßes die Verwendung eines Dalai-Lama-Zitats, mal die vermeintlich böswillige Dreistigkeit, Taiwan auf der Firmenwebseite als eigenständiges Land zu kennzeichnen. “Jeder, der das chinesische Volk beleidigt, sollte darauf vorbereitet sein, den Preis zu bezahlen”, kommentierte Hua Chunying, die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums Anfang des Jahres die kollektive Wut über H&Ms Ankündigung, keine in Zwangsarbeit geerntete Baumwolle aus Xinjiang mehr verwenden zu wollen (China.Table berichtete).
Was bei solchen Online-Hetzkampagnen tatsächlich auf das chinesische Volk zurückgeht und was von der Regierung orchestriert wird, sei sei oft schwer zu bestimmen, erklärt Adam Ni, Vorstandsmitglied beim China Policy Center, einem unabhängigen australischen China-Think Tank. In dem von Ni herausgegebenen Blog “The China Story” und seiner dortigen Online-Kolumne “Neican 内参” hat sich der Jurist intensiv mit dem Phänomen des chinesischen Cyber-Nationalismus auseinandergesetzt. “Ich denke, dass sich die Regierungsaktivitäten und die Empörung der Internet-User gegenseitig bedingen und befeuern.”
Dass die chinesische Regierung seit Mitte der Nullerjahre gezielt das Meinungsbild in Online-Foren und sozialen Netzwerken mit bezahlten Kommentatoren manipuliert, ist kein Geheimnis. Oft werden diese Keyboard-Krieger als “Wumao 五毛” bezeichnet, ein Begriff, der suggeriert, dass sie für jeden ihrer Kommentare mit 0,5 Yuan entlohnt werden, umgerechnet sieben Cent. Das Bild des willenlosen Cyber-Söldners ist jedoch veraltet. Die lautesten und aggressivsten Stimmen in Chinas Online-Community sind heute oftmals Digital Natives aus der Mittelschicht, die über VPN-Kanäle Zugang zu westlichen Medien und Netzwerken haben. Man nennt sie auch “Little Pinks”, 小粉红 xiǎo fěnhóng”, nach der Farbe eines Online-Forums, in dem sich die jungen Cyber-Nationalisten früher oft tummelten.
Laut einer Umfrage von Asian Barometer Survey (ABS) legt die “Generation Z” der zwischen 1990 und 2000 geborenen Chinesen großen Wert auf persönlichen Selbstausdruck. Gleichzeitig sind sie mit der Propagandamaschinerie von Xi Jinping aufgewachsen, der die “Verjüngung der chinesischen Nation” heraufbeschwört. Sie unterstellt “ausländischen Kräften”, Chinas Aufstieg zu sabotieren. Die Spannungen mit dem Westen und die Überzeugung, dass China die Covid-Pandemie besser gemeistert habe als der Rest der Welt, erfüllt die jungen Chinesen mit Stolz, zugleich aber auch mit Trotz gegen die Außenwelt. Hier ist eine explosive Mischung entstanden, die schnell in offene Aggression umschlagen kann.
Eine bekannte Vertreterin der patriotischen Online-Bewegung ist die Bloggerin Guyanmuchan, die auf Weibo rund 6,5 Millionen Follower hat, aber auch auf westlichen Portalen wie Twitter Stimmung gegen die “Feinde Chinas” macht. Die Ästhetik ihres Kanals ist Teenie-gerecht, Memes und niedliche Comic-Figuren treffen dort auf Überschriften wie “Europa ist nur ein Hund an der Leine der USA”.
Der Staat bedient dieses nationalistische Sentiment gezielt, in dem er seine eigene Propaganda zusehends verjüngt. Regierungskanäle nutzen längst auch Internet-Slang. Staatlich produzierte Cartoons machen sich über den Westen lustig. “Rote” Rapsongs feiern die Errungenschaften der KPCh. Teilweise werden die Kommentare und Essays aus dem Little-Pink-Universum von offiziellen Medien aufgegriffen und weiterverbreitet. “Oft beginnt eine Hetzkampagne mit ehrlicher Empörung. Wenn der Staat aber eine eigene Agenda zum jeweiligen Thema hat, gießt er weiter Öl ins Feuer”, erläutert Adam Ni. Darin liege auch der große Unterschied zur westlichen Ausprägung der sogenannten Cancel Culture. “In China mischt die Regierung vorne mit.”
Weil sie eine Stimmung der Angst erzeugen, verglichen Kritiker wie der in Shanghai und New York lebende Schriftsteller Xia Shang die Internet-Hetzer bereits mit den Roten Garden. Für Adam Ni geht dieser Vergleich zu weit: “Während der Kulturrevolution waren die Konsequenzen schrecklicher als heute”, erklärt der Blogger. Im Land habe Chaos geherrscht, Menschen seien ganz real ermordet worden. “Viele Funktionäre haben das Leid damals am eigenen Leib erfahren. Dass so etwas noch einmal passiert, will die Partei unbedingt vermeiden.” Die heutige Situation gleiche eher einem Dampfkochtopf, bei dem Peking den Deckel fest in der Hand hält, so Ni. “Die Regierung weiß ganz genau, wie man den Druck jederzeit wieder rausnimmt.”
Das kann etwa passieren, wenn eine staatliche Zeitung selbst plötzlich Opfer des Online-Mobs wird, zum Beispiel weil sie gegenüber dem Ausland eine gefühlt zu weiche Position vertreten hat. Dann werden kritische Kommentare und Accounts von den Zensoren gelöscht und beschwichtigende Artikel als Gegengewicht lanciert. “Es ist ziemlich offensichtlich, dass die Little Pinks nicht dazu beitragen, Chinas Image in der Welt zu verbessern”, erläutert Ni. Andererseits benutzt die Regierung die Empörung der Massen gezielt, um außenpolitische Positionen zu rechtfertigen, etwa wenn sie erklärt, dass die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung der Covid-Pandemie “die Gefühle des chinesischen Volkes” verletze.
Wie zerbrechlich diese Gefühle sind, besingt mittlerweile sogar ein Popsong. Die beiden auf Taiwan lebenden Musiker Namewee und Kimberly Chen haben mit “Fragile” im Oktober eine musikalische Parodie auf die “gläsernen Herzen” der chinesischen Online-Krieger veröffentlicht, die bei der kleinsten Kritik zu zerspringen drohen. “Tut mir leid, dass ich deine Gefühle verletzt habe”, heißt es im Refrain. “Ich höre, wie dein fragiles Selbstwertgefühl in 1000 Teile zerbricht.” Das Musikvideo ist voller Querverweise, von der Baumwolle, die auf den H&M-Skandal Bezug nimmt, bis hin zu Winnie The Pooh, dessen Ähnlichkeit mit Xi Jinping immer noch eines der vielen Tabus in der chinesischen Internet-Landschaft darstellt. Dort wurde der Song mitsamt der Künstler-Accounts erwartungsgemäß umgehend gelöscht. Die beiden Musiker nehmen es auf die leichte Schulter. Die australische Staatsbürgerin Kimberly Chen erklärt, ihr blieben ja immer noch Instagram und Facebook. Und der aus Singapur stammende Rapper Namewee schreibt in einem Beitrag auf Instagram, dass nicht er es war, der geblockt wurde: “Diejenigen, die wirklich geblockt sind, sind jene, die nicht das Recht haben, in Freiheit Musik zu hören.”
Chinesische Investoren besitzen einen größeren Teil der Daimler-Aktien als bisher bekannt. Daimlers chinesisches Partnerunternehmen BAIC hat rund zwei Jahre nach dem Erwerb die genaue Höhe seiner Beteiligung an dem Stuttgarter Autobauer offengelegt. BAIC besitze demnach einen Stimmrechtsanteil von 9,98 Prozent, wie am Montag im Zusammenhang mit dem Börsengang der Lastwagensparte von Daimler bekannt wurde. Bisher war von einem Anteil in der Größenordnung von fünf Prozent die Rede. Da auch der Geely-Gründer Li Shufu einen Anteil von gut neun Prozent hält, befinden sich knapp 20 Prozent des Premiumherstellers in chinesischer Hand.
Die Beziehung beruht durchaus auf Gegenseitigkeit. Daimler hält umgekehrt 9,55 Prozent an der in Hongkong notierten BAIC-Tochter BAIC Motor. Der Dax-Konzern erklärte, er begrüße das Bekenntnis des langjährigen Partners, mit dem Mercedes-Benz in einem Joint Venture Autos für den weltweit größten Markt baut und verkauft. “Die Beteiligung von BAIC an Daimler spiegelt das Bekenntnis zu unserer gemeinsamen erfolgreichen Allianz bei Produktion und Entwicklung im weltweit größten Pkw-Markt wider”, erklärte Daimler-Chef Ola Källenius. BAIC und Daimler seien übereingekommen, dass BAIC seinen Anteil an Daimler nicht weiter erhöhen wird, so das Unternehmen. rtr/fin
Der Aufsichtsrat von Volkswagen hat wie erwartet den erfahrenen Manager Ralf Brandstätter zum China-Vorstand ernannt. Er übernimmt das Ressort am 1. August 2022. Schon ab Januar wird Brandstätter Vorstand mit Zuständigkeit für Pkw. Brandstätter leitet damit sowohl das wichtige China-Geschäft als auch die Kernmarke. Brandstätter übernimmt die Verantwortung für China von Konzernchef Herbert Diess. Der 53-Jährige soll diesen formal entlasten und erhält zugleich vom Aufsichtsrat den Auftrag, die zunehmenden Probleme auf dem größten Automarkt der Welt anzupacken (China.Table berichtete). fin
BMW strebt den Ausbau seines China-Engagements an. Der Autobauer bereitet nach eigenen Angaben die Fertigung des X5 in der Volksrepublik vor. Um die starke weltweite Nachfrage für das Modell zu bedienen, weite BMW die globale Produktion des X5 aus, teilt ein Sprecher mit. Eine lokale Produktion in China sei deshalb geplant. Ein Startdatum nannte der Autobauer zunächst nicht. Bislang wurde der Geländewagen ausschließlich im US-Werk Spartanburg gebaut und nach China exportiert. Zuvor hatte das “Handelsblatt” darüber berichtet. rtr
Der weltweit führende Chiphersteller Taiwan Semiconductor Manufacturing (TSMC) soll laut Medienberichten den Bau eines Werks in Deutschland erwägen. Erstmals hatte sich TSMC-Konzernchef Mark Liu im Juli bei einer Hauptversammlung in Taipeh offiziell dazu geäußert, dass TSMC über einen Produktionsstandort in Deutschland nachdenkt (China.Table berichtete).
Faktoren wie Subventionen, Kundennachfrage sowie das nötige Personal beeinflussen die endgültige Entscheidung für einen Standort in Deutschland, so Lora Ho, Senior Vice President of Europe und Asia Sales bei TSMC am Rande eines Technologieforums in Taipeh. TSMC befinde sich in frühen Gesprächen mit der deutschen Regierung über die mögliche Errichtung eines Werks in Deutschland, erfuhr die Nachrichtenagentur Bloomberg. Der weltweit größte Auftragschiphersteller produziert bisher vor allem in Taiwan, hat aber im vergangenen Jahr erste Schritte unternommen, um im Ausland zu expandieren und dadurch seine Kapazitäten zu erhöhen. Vor dem Hintergrund der weltweiten Lieferkettenprobleme und des damit verbundenen Mangels an Computerchips will TSMC damit die Nachfrage aus Ländern decken, die daran arbeiten, die heimische Halbleiterproduktion auszubauen.
So will die EU in der ersten Hälfte des kommenden Jahres schon ein europäisches Chipgesetz vorstellen. Das Papier soll auch eine Strategie umreißen, um die Halbleiterproduktion in der EU anzukurbeln. So ist eines der Ziele bis 2030, etwa 20 Prozent der weltweiten Halbleiterproduktion auszumachen. In den USA baut TSMC derzeit eine zwölf Milliarden US-Dollar teure Anlage in Arizona. In Japan will es sieben Milliarden US-Dollar investieren. niw
Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, wie anfällig globale Lieferketten sein können. Die Unterbrechungen der globalen Lieferketten haben in vielen Ländern Diskussionen über deren Abhängigkeit von Importgütern und ausländischen Anbietern ausgelöst. Einige Politiker*innen haben daher Unternehmen dazu aufgefordert, ihre Produktion zurückzuverlagern, um die Abhängigkeit von anderen (Konkurrenz-)Ländern zu reduzieren.
Auch China betrachtet die (potenzielle) Bedrohung seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit als Problem. Dies liegt nicht nur daran, dass China selbst direkt von den Unterbrechungen der Lieferketten betroffen ist. Als Weltfabrik für fast alle global gehandelten Waren oder/und deren Komponenten ist China natürlich daran interessiert, die globalen Märkte hindernisfrei zu bedienen. Da viele Unternehmen in China immer noch stark auf importierte (Hightech-)Produkte angewiesen sind, ist China auch daran interessiert, die Versorgung von ausländischen Schlüsselkomponenten zu sichern.
Die indirekte (potenzielle) Bedrohung der chinesischen Wirtschaft durch die Pandemie spielt hier ebenfalls eine Rolle. Einerseits verstärken viele, vor allem westliche, Länder ihre eigenen industriellen Kapazitäten, um ihre technologische Souveränität und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu gewährleisten. Dies kann die bereits bestehenden wirtschaftlichen und politischen Spannungen zwischen China und westlichen Ländern wie der Europäischen Union (EU) und den Vereinigten Staaten (USA) weiter anheizen. Auch die Schwierigkeiten chinesischer Unternehmen bei der Beschaffung von Schlüsselkomponenten aus dem Ausland können sich weiter verschärfen. Andererseits könnten multinationale Unternehmen (MNU), die von Unterbrechungen der Lieferketten betroffen sind, ihre Geschäftstätigkeit aus China heraus verlagern. Dies wäre für China mit einem Verlust von finanziellen Ressourcen, fortschrittlichem Wissen, Technologien und Arbeitsplätzen verbunden.
Diese direkten und indirekten Bedrohungen haben China auf die Risiken aufmerksam gemacht, die mit dem zunehmenden globalen Wettbewerb um (finanzielle) Ressourcen, Talente, Technologien und Märkte sowie der zunehmenden wirtschaftlichen und politischen Unsicherheit verbunden sind. In seinem 14. Fünfjahresplan (2021-2025) betont China daher die Absicht, erstens seine technologische Innovationsfähigkeit zu fördern, um seine Eigenständigkeit in Wissenschaft und Technologie zu gewährleisten, und zweitens den inländischen Wirtschaftskreislauf als Kernelement der Entwicklungsstrategie des doppelten Wirtschaftskreislaufs zu fördern, um die wirtschaftliche Unabhängigkeit sicherzustellen.
China will seine Forschungs- und Entwicklungsausgaben deutlich erhöhen und die Rolle der (chinesischen) Unternehmen bei Innovationen stärken. Sowohl die Umsetzung als auch die Kommerzialisierung neuer Forschungsergebnisse und Technologien sollen verstärkt werden. Technologisch führende ausländische Unternehmen und globale Talente sollen angezogen werden, um China in kritischen Technologiebereichen zu einer technologischen Spitzenposition zu verhelfen.
China will die inländische Nachfrage und das inländische Angebot steigern und fördern, dass Angebot und Nachfrage sowie vor- und nachgelagerte Produktionsstufen entlang der Lieferketten effizienter aufeinander abstimmen. Chinas eigene industrielle Basis soll weiter gestärkt und modernisiert werden. Der Vorteil seiner Marktgröße soll genutzt werden, um globale Ressourcen anzuziehen. Gleichzeitig soll das erhöhte inländische Angebot an innovativen und hochwertigen Produkten Chinas Rolle als führende Produktions- und Handelsmacht stärken.
Kurz gesagt, China setzt auf mehr inländische Innovation, inländische Produktion und inländische Nachfrage und wird bei der Förderung des internationalen Handels und der Investitionen in Zukunft noch “selektiver” vorgehen als bisher, um seine Entwicklungsziele zu erreichen. Seine Politik wird daher einen starken Einfluss auf die Umgestaltung der künftigen globalen Lieferketten haben. Für MNU, deren Investitionen in China oder Exporte nach China von der chinesischen Regierung als kritisch angesehen werden, wird es schwieriger werden, in China wie gewohnt Geschäfte zu machen. Und die Unterstützung für chinesische Direktinvestitionen im Ausland wird noch stärker darauf ausgerichtet werden, die technologischen Fähigkeiten der eigenen Wirtschaft zu stärken und somit langfristig die Position chinesischer Unternehmen in den globalen Lieferketten zu verbessern.
Chinas Politik wird daher für MNU, die in/mit China Geschäfte machen, sowie für ihre Zulieferer und Kunden eine Herausforderung darstellen. Dies wird die Neigung westlicher Länder weiter verstärken, ihrerseits ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit und technologische Souveränität durch Entkopplung zu fördern.
In einer Zeit erheblicher wirtschaftlicher und politischer Spannungen zwischen China und den westlichen Ländern sowie zunehmender geopolitischer Konflikte und Unsicherheiten können solche Politiken Chinas, der EU und der USA das gegenseitige Vertrauen weiter schwächen, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit verringern und letztlich zu einer kostspieligen wirtschaftlichen Entkopplung und einer weniger effizienten Re-Nationalisierung globaler Lieferketten führen.
Sicherlich sind die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen China und der EU/den USA kompliziert und durch zahlreiche Konflikte belastet. Eine weitgehende wirtschaftliche und technologische Entkopplung voneinander ist jedoch kaum der beste Weg, um mit diesen Konflikten umzugehen. Um die Vorteile der Globalisierung für den weltweiten Wohlstand und die Nachhaltigkeit zu nutzen, sind offene bilaterale und multilaterale Dialoge und Zusammenarbeit unerlässlich.
Für solche Dialoge ist es entscheidend, nicht nur die Interessen des eigenen Landes zu verstehen, sondern auch mehr über die Ansichten der anderen Seite zu erfahren. Dazu soll das Global China Conversation #5 “Reshaping Global Industrial Chains: Optionen for China” beitragen.
Wan-Hsin Liu ist eine Senior Researcherin in den Forschungszentren “Internationaler Handel und Investitionen” und “Innovation und internationaler Wettbewerb” am Kiel Institut für Weltwirtschaft. Außerdem ist sie Koordinatorin am Kieler Zentrum für Globalisierung.
Dieser Beitrag gehört in den Kontext der “Global China Conversations” des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag diskutieren Qiyuan Xu, Vizedirektor am Institut für Weltwirtschaft und Politik an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (CASS-IWEP) und Rolf J. Langhammer, ehemaliger Vizepräsident am Kiel Institut für Weltwirtschaft, im Rahmen dieses Formats über das Thema: “Reshaping Global Industrial Chains: Options for China”. China.Table ist Medienpartner der Veranstaltungsreihe.
Vanessa Chang ist die neue Direktorin des Shanghaier Studios von BMW Group Designworks. Chang arbeitet seit gut zehn Jahren für das Design-Beratungsunternehmen, das seit 1995 zu BMW gehört. Designworks berät neben BMW, Mini und Rolls-Royce auch Kunden aus anderen Branchen wie Starlux Airlines, Niu Technologies oder 3M.
David Fan wird bei dem italienisch-japanischen Autozulieferer Marelli ab Januar der Executive Vice President und President der China-Tochter. Marelli stellt Einspritzsysteme her. Fan kommt von Nexteer, einem amerikanischen Autozulieferer.
Rafael Suchan wurde als CEO der Chiho Environmental Group freigestellt. Es handelt sich dabei um die Muttergesellschaft des deutschen Unternehmens Scholz Recycling. Suchan war bis dahin einer von fünf Geschäftsführern der deutschen Tochter. Zu den Gründen für die Freistellung erklärte der Konzern lediglich, er untersuche derzeit eine Reihe von geplanten Transaktionen, an denen Suchan beteiligt war. Der deutsche Stahlschrottrecycler Scholz hatte zuletzt mehrere Projekte und Kooperationen zum Recycling von Altautos, Schrotten und Batterien in China vorangetrieben. Suchan hatte die Leitung von Chiho erst im März 2020 übernommen.
bislang galt: Deutsche Autos verkaufen sich auf dem chinesischen Markt bestens. Aber umgekehrt? Eher unwahrscheinlich. Die Automarke Nio will nun das Gegenteil beweisen und bereitet den Einstieg in den gesamten europäischen Markt vor, auch in Deutschland. Der Vize-Europachef von Nio, Zhang Hui, erklärt im Interview, wie er das größte Hindernis beim Markteinstieg überwinden will: das Fehlen einer etablierten Marke.
Im Westen ist von Shitstorms und Cancel Culture die Rede, in China nennt sich das Pendant der Online-Hetzjagd “Rénròu Sōusuo 人肉搜索”, übersetzt: “Menschenfleischsuche“. Davor graut es nicht nur Promis, sondern auch Firmen, vor allem westlichen. Große Namen wie Daimler mussten eine solche Hetzjagd im chinesischen Netz schon über sich ergehen lassen. In der Volksrepublik bekommt das Ganze jedoch eine spezielle Note. Dort ist die Beleidigung der chinesischen Kultur oder des chinesischen Volkes gar zur größtmöglichen Sünde geworden. Und der Interpretationsspielraum ist groß.
Unser Autor Fabian Peltsch hat sich Chinas nationalistische Cancel Culture näher angesehen und analysiert: Online-Hetzkampagnen entspringen zum Teil tatsächlich einer patriotischen Stimmung, zum Teil sind sie aber auch von der Regierung orchestriert.
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!
Herr Zhang, welches Image soll Nio in Europa haben?
Ganz oben steht unsere Mission ‘shape a joyful lifestyle’. Das ist der Grund, warum William Li 2014 dieses Unternehmen gegründet hat. Er wollte mithilfe der Technologien im Bereich Smart Electric Vehicle eine Plattform erschaffen, auf der Nio und die sogenannten ‘User von Nio’ miteinander ein positives Lebensgefühl, Freude und ihre Erfahrungen mit der Marke teilen und sich weiterentwickeln können. Es ist uns gelungen, dieses Image in China zu etablieren. Uns ist wichtig, dieses Image nun auch im europäischen Markt zu haben.
Wie soll so ein Image transportiert werden?
Unterschiedliche Aspekte führen zu diesem Image. Nio ist eine Premium-Marke. Wir bestehen auf die höchsten Qualitätsstandards. Der zweite Aspekt ist die Sicherheit. Der ES8, den wir seit Ende September auf dem norwegischen Markt haben, erhielt fünf Sterne beim EuroNCAP Crashtest. Punkt drei ist das Design. Auf diesen Säulen ruht das Image. Daneben steht unsere User-Community. Das Community-Feeling, das wir in China schon haben, soll es auch in Europa geben.
Europäische Kunden gelten als weniger technikaffin als chinesische. Wie soll hierzulande das Communitybuilding funktionieren?
Ich würde nicht sagen, dass die europäische Gesellschaft weniger Erfahrung mit Communitys hat. Youtube, Facebook, WhatsApp, Airbnb, Miles and More, Payback schaffen das bereits. Es geht nun darum, das auch im Mobilitätsbereich zu machen. Die Autoindustrie hat jedoch seit 130 Jahren eine andere Wertschöpfungskette. Das heißt andererseits nicht, dass man das nicht ändern kann. In Norwegen wollten wir vor dem Start ein User Advisory Board (UAB) gründen. Ziel war es, 200 User zu finden, weil Norwegen mit 5,5 Millionen Einwohnern ein kleines Land ist. Wir haben aber sogar 600 Bewerbungen bekommen. Nach der Eröffnung vom Nio House in Oslo kommen inzwischen bis zu 2.000 Besucher pro Tag. Viele davon nehmen an Events und Aktivitäten im Nio House teil. Wenn die Themen richtig und wichtig sind, ziehen wir eine Gruppe von Leuten an, auf deren Basis wir die Community gründen können.
Europäische Kunden sind chinesischen Marken gegenüber sehr kritisch. Wie wollen sie die Akzeptanz erhöhen?
Wir müssen Fakten schaffen.
Dafür müssen die Leute ins Auto.
Das gehört zu unserer Strategie. Wir wollen den Menschen die Möglichkeit bieten, über Testfahrten und andere Kanäle Zugang zum Fahrzeug zu bekommen. In China gibt es ein Sprichwort: ‘Etwas tausendmal zu hören ist nicht so überzeugend, wie es einmal gesehen zu haben.’
Wie kommen die Pläne in Europa voran?
Wir haben in Norwegen angefangen. 2022 starten wir in Deutschland und Schweden. Aber auch die anderen europäischen Märkte werden kommen. Zu den Stückzahlen kann ich keine genauen Angaben machen, aber wir wollen in naher Zukunft ein signifikanter Player im Premiumsegment sein. Das ist unser Ziel. In Europa haben wir derzeit rund 200 Mitarbeiter, verteilt auf unsere Standorte in München, Oxford und Oslo. In München ist unser europäisches und globales Headquarter für das Design. In Oxford betreiben wir Forschung und Entwicklung im Bereich ‘advanced engineering’ und in Oslo befindet sich die erste Vertriebs- und Service-Zentrale.
Was bedeutet ‘advanced engineering’?
Das bezieht sich auf die Fahrzeugarchitektur. Im Silicon Valley und in Shanghai forschen wir an der Künstlichen Intelligenz.
Wie laufen Verkauf und Vertrieb in Europa ab?
Für den Vertrieb haben wir sowohl ein Nio House als auch einen Nio Space. Das erste Nio House ist in Oslo. Es ist das erste außerhalb Chinas. Dort präsentieren wir die Autos und kommen mit den Kunden zusammen. Es wird also auch als Community-Place genutzt. Der Nio Space ist der zweite Point-of-sale. Es ist eine verkleinerte Form des Nio House. Für den Service haben wir ein Hybrid Modell. Einerseits ein eigener Service, andererseits ein Partner-Netzwerk. Das erste Nio Servicecenter wird zeitnah in Norwegen eröffnet.
Ihre Mitbewerber haben in beinahe jedem Ort Niederlassungen. Ist das ein Ziel von Nio?
Wie die Kollegen aus Wolfsburg aufgestellt sind, ist historisch bedingt. Uns ist bewusst, dass die Dichte des Netzwerks eine Rolle spielt. Deswegen wollen wir neue Formen anbieten – beispielsweise einen Service-Wagen. Den haben wir schon auf dem norwegischen Markt gelauncht. Das Partnernetzwerk dient dazu, dass wir zusätzlich in geografischer Nähe zum Kunden sind. Uns ist aber klar, dass nicht über Nacht ein paar tausend Service-Standorte entstehen. Wir glauben aber, dass wir über digitale Tools ein ähnliches Ergebnis erreichen können, wie der Wettbewerb.
Gibt es Unterschiede zwischen europäischen und chinesischen Nio-Modellen?
Im Grund genommen nicht. Weil wir für die Fahrzeuge von Beginn an ein internationales Design angestrebt haben. Es gibt keine Autos, die exklusiv nur für Europa oder China entwickelt werden. Wir passen nur Details an, die für die Funktionalität des Autos essentiell sind. Die Ladeklappe zum Beispiel. Aufgrund der unterschiedlichen Ladestandards in China und Europa sind die anders gebaut.
Chinesische Autos haben meist kein fest integriertes Navi.
In Europa haben wir unseren Navi-Service-Provider. Wir arbeiten für den ES8 mit TomTom zusammen.
Auch das klassische Autoradio gibt es in China nicht.
Wir haben ein Digitalradio im Angebot. Wir brauchen den lokalen Content und die lokalen Partner für unsere Kunden in Europa.
Firmengründer Li hat eine Produktion in Europa nicht ausgeschlossen. Die Beteiligung an Lotus hat deswegen die Spekulationen angeheizt.
Aktuell kann ich nur sagen, dass wir derzeit keine Produktion in Europa planen. Lotus ist ein anderes Thema. Nio Capital hat sich an Lotus beteiligt. Das ist eine unabhängige Firma, die den Namen Nio trägt – auch wenn Nio natürlich beteiligt ist.
War die globale Strategie von Nio von Anfang an geplant?
Das kann ich nur bestätigen. Es war von Anfang an das Ziel, ein globales Unternehmen aufzubauen. Eine Premiummarke muss global präsent sein. Es ist aber auch klar, dass dieses Ziel Schritt für Schritt erreicht werden muss. Von 2014 bis 2018 haben wir uns auf die Entwicklung des ersten Fahrzeugs konzentriert. Jetzt ist die Zeit gekommen, um ins Ausland zu gehen, was wir mit dem Markteintritt in Norwegen auch getan haben.
Was haben sie bisher in Europa gelernt?
Erstens, dass technische Anpassungen gemacht werden müssen: der Ladeanschluss, die Content-Provider, das Navi. Zweitens, dass Europa kein einzelner Markt ist, sondern aus 47 Ländern besteht, die von regionalen Kulturunterschieden geprägt sind. Und drittens haben wir gelernt, dass ein lokales Team für die lokalen Kunden wichtig ist. Der europäische Markt ist außerdem anders geprägt als der chinesische. Die Art unterscheidet sich von Land zu Land. Ein Beispiel: In China werden über 90 Prozent der Autos an Privatkunden verkauft. In Deutschland sind sechzig bis siebzig Prozent der Premium-Autos Dienstwagen. Das macht einen großen Unterschied in Bezug auf Angebot und Service.
Im Oktober sind die Verkaufszahlen eingebrochen. Woran lag das?
Die Zahlen im Oktober sind auf ein Fabrikupdate, das wir durchgeführt haben, zurückzuführen. In der einzigen Fabrik, in der wir Fahrzeuge herstellen, sind dadurch die Produktionsstückzahlen zurückgegangen.
Die Halbleiter-Knappheit war kein Grund?
Sicherlich ist auch Nio ein Unternehmen, das darunter leidet. Unsere Verkaufszahlen sind aber noch nicht zehn oder zwanzig Mal so hoch wie die mancher Mitbewerber. Wir hoffen, wie die ganze Industrie, dass sich die Situation Mitte nächsten Jahres deutlich verbessert hat.
Startups in der Mobilitätsbranche brauchen viel Geld und Know-how. Sie haben prominente Investoren. Was haben die, außer Geld, eingebracht?
Investoren sind Investoren. Nio funktioniert eigenständig. Aber zusätzlich bringen die jeweiligen Investoren Netzwerke in der gesamten Wertschöpfungskette mit ein. Sie erleichtern den Zugang zu bestimmten Ecosystemen. Gemeinsam können so bessere Kooperationen erreicht werden.
Die chinesische Elektroautomarke Nio hat bis einschließlich November 80.940 Autos ausgeliefert – vor allem in China. Hinter der Firma stehen große Investoren wie Tencent und Baidu; sie gilt deshalb als das bekannteste Start-up im chinesischen Mobilitätssektor. Nio wurde daher von Anfang an immer wieder in einem Atemzug mit Tesla genannt. Nach einer Kursrallye war die Marke an der Börse zwischenzeitlich sogar mehr wert als BMW. Im Jahr 2022 werden erste Modelle auch in Deutschland zu haben sein.
Zhang Hui ist ein Globetrotter. Der 49-Jährige lebt und arbeitet hauptsächlich in München, wo Nio sein globales Design-Headquarter hat. Regelmäßiges Pendeln nach Oslo und Shanghai ist daher Pflicht. Zhang kennt es nicht anders. Er hat in Peking, Pforzheim und Utah Wirtschaft studiert. Im Jahr 2002 begann seine Karriere beim Maschinenbauer Voith AG (Heidenheim) und dem Automobilzulieferer Kiekert (Heiligenhaus). 2010 übernahm er den Posten als General Managers bei Lotus China. Nach einem Zwischenspiel als Vorstandsmitglied beim Elektronikhersteller Leoni kam er zu Nio, wo er seit dem Jahr 2016 als Vice President Europe tätig ist.
Dass sie wegen eines Fotos als “Verräterin Chinas” gebrandmarkt würde, hatte Chen Man nicht kommen sehen. Nachdem die 41-jährige Starfotografin aus Peking ein asiatisches Modell für eine Handtaschen-Werbung von Dior abgelichtet hatte, stand sie Mitte November plötzlich am Internet-Pranger: Chen bediene mit ihren Bildern westliche Klischees chinesischer Frauen, schrieben empörte User auf chinesischen Social-Media-Kanälen wie Weibo. Die Augen seien zu schmal, die Wangenknochen zu hoch, das Make-up und die Kleidung erinnern an eine “gruselige Konkubine” aus der Qing-Dynastie. Chinesische Schönheit sehe anders aus.
Auch die staatliche Zeitung Beijing Daily stimmte in den Chor der Entrüstung ein: Das Foto “verzerre die chinesische Kultur”. Daraufhin entschuldigte sich Chen für ihre “Rücksichtslosigkeit” und “Ignoranz”. Die “Rénròu Sōusuo 人肉搜索”, die “Menschenfleischsuche”, wie man eine Online-Hetzjagd in China nennt, war da jedoch bereits in vollem Gange. Die User arbeiteten sich systematisch durch Chens Portfolio und sammelten Beweisfotos, die Rückschlüsse auf ihre vermeintlich unpatriotische Haltung zulassen.
Bilder eines leicht bekleideten Models auf dem Drei-Schluchten-Damm, die Chen bereits 2008 veröffentlicht hatte, galten plötzlich als “antichinesisch”. Um “die Gefühle der Chinesen nicht weiter zu verletzen”, löschte die weltweit gefragte Fashion-Fotografin alle “problematischen” Bilder aus ihrem Werk. “In der Zwischenzeit werde ich mich besser über die chinesische Geschichte informieren und den selbstbewussten Geist der neuen Ära Chinas als Inspirationsquelle nutzen, um die chinesische Geschichte durch meine Arbeit zu erzählen”, erklärte Chen in einem offenen Brief auf Weibo. Eine Selbstkritik wie aus dem Parteileitfaden.
Auch in den USA und in Europa gibt es die Tendenz, die Absender von unkorrekten Äußerungen zu brandmarken und möglichst zum Schweigen bringen. Dafür hat sich in den vergangenen Jahren der Begriff “Cancel Culture” etabliert. Wer etwas Unpassendes sagt, wird von der Netzgemeinde scharf kritisiert und seine Meinung “ausgelöscht” oder “rückgängig gemacht”, sprich: gecancelt. Es gibt diese Tendenz in allen Lagern von links bis rechts und von religiös bis liberal. In China ist ihre Ausprägung als patriotische Bewegung besonders stark.
Chinas nationalistische Cancel Culture macht heute vor niemandem Halt. Davon kann auch die Wirtschaftswelt ein Lied singen. Die Liste der Unternehmen, die bereits dafür abgestraft wurden, die “Gefühle des chinesischen Volkes” verletzt zu haben, wird mit jedem Monat länger. VW, H&M, Nike, Zara, Burberry, Adidas, Puma, Dolce & Gabbana und sogar die US-Basketball-Liga NBA sind nur einige Beispiele internationaler Player, die in China öffentlich angeprangert und boykottiert wurden.
Mal war der Stein des Anstoßes die Verwendung eines Dalai-Lama-Zitats, mal die vermeintlich böswillige Dreistigkeit, Taiwan auf der Firmenwebseite als eigenständiges Land zu kennzeichnen. “Jeder, der das chinesische Volk beleidigt, sollte darauf vorbereitet sein, den Preis zu bezahlen”, kommentierte Hua Chunying, die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums Anfang des Jahres die kollektive Wut über H&Ms Ankündigung, keine in Zwangsarbeit geerntete Baumwolle aus Xinjiang mehr verwenden zu wollen (China.Table berichtete).
Was bei solchen Online-Hetzkampagnen tatsächlich auf das chinesische Volk zurückgeht und was von der Regierung orchestriert wird, sei sei oft schwer zu bestimmen, erklärt Adam Ni, Vorstandsmitglied beim China Policy Center, einem unabhängigen australischen China-Think Tank. In dem von Ni herausgegebenen Blog “The China Story” und seiner dortigen Online-Kolumne “Neican 内参” hat sich der Jurist intensiv mit dem Phänomen des chinesischen Cyber-Nationalismus auseinandergesetzt. “Ich denke, dass sich die Regierungsaktivitäten und die Empörung der Internet-User gegenseitig bedingen und befeuern.”
Dass die chinesische Regierung seit Mitte der Nullerjahre gezielt das Meinungsbild in Online-Foren und sozialen Netzwerken mit bezahlten Kommentatoren manipuliert, ist kein Geheimnis. Oft werden diese Keyboard-Krieger als “Wumao 五毛” bezeichnet, ein Begriff, der suggeriert, dass sie für jeden ihrer Kommentare mit 0,5 Yuan entlohnt werden, umgerechnet sieben Cent. Das Bild des willenlosen Cyber-Söldners ist jedoch veraltet. Die lautesten und aggressivsten Stimmen in Chinas Online-Community sind heute oftmals Digital Natives aus der Mittelschicht, die über VPN-Kanäle Zugang zu westlichen Medien und Netzwerken haben. Man nennt sie auch “Little Pinks”, 小粉红 xiǎo fěnhóng”, nach der Farbe eines Online-Forums, in dem sich die jungen Cyber-Nationalisten früher oft tummelten.
Laut einer Umfrage von Asian Barometer Survey (ABS) legt die “Generation Z” der zwischen 1990 und 2000 geborenen Chinesen großen Wert auf persönlichen Selbstausdruck. Gleichzeitig sind sie mit der Propagandamaschinerie von Xi Jinping aufgewachsen, der die “Verjüngung der chinesischen Nation” heraufbeschwört. Sie unterstellt “ausländischen Kräften”, Chinas Aufstieg zu sabotieren. Die Spannungen mit dem Westen und die Überzeugung, dass China die Covid-Pandemie besser gemeistert habe als der Rest der Welt, erfüllt die jungen Chinesen mit Stolz, zugleich aber auch mit Trotz gegen die Außenwelt. Hier ist eine explosive Mischung entstanden, die schnell in offene Aggression umschlagen kann.
Eine bekannte Vertreterin der patriotischen Online-Bewegung ist die Bloggerin Guyanmuchan, die auf Weibo rund 6,5 Millionen Follower hat, aber auch auf westlichen Portalen wie Twitter Stimmung gegen die “Feinde Chinas” macht. Die Ästhetik ihres Kanals ist Teenie-gerecht, Memes und niedliche Comic-Figuren treffen dort auf Überschriften wie “Europa ist nur ein Hund an der Leine der USA”.
Der Staat bedient dieses nationalistische Sentiment gezielt, in dem er seine eigene Propaganda zusehends verjüngt. Regierungskanäle nutzen längst auch Internet-Slang. Staatlich produzierte Cartoons machen sich über den Westen lustig. “Rote” Rapsongs feiern die Errungenschaften der KPCh. Teilweise werden die Kommentare und Essays aus dem Little-Pink-Universum von offiziellen Medien aufgegriffen und weiterverbreitet. “Oft beginnt eine Hetzkampagne mit ehrlicher Empörung. Wenn der Staat aber eine eigene Agenda zum jeweiligen Thema hat, gießt er weiter Öl ins Feuer”, erläutert Adam Ni. Darin liege auch der große Unterschied zur westlichen Ausprägung der sogenannten Cancel Culture. “In China mischt die Regierung vorne mit.”
Weil sie eine Stimmung der Angst erzeugen, verglichen Kritiker wie der in Shanghai und New York lebende Schriftsteller Xia Shang die Internet-Hetzer bereits mit den Roten Garden. Für Adam Ni geht dieser Vergleich zu weit: “Während der Kulturrevolution waren die Konsequenzen schrecklicher als heute”, erklärt der Blogger. Im Land habe Chaos geherrscht, Menschen seien ganz real ermordet worden. “Viele Funktionäre haben das Leid damals am eigenen Leib erfahren. Dass so etwas noch einmal passiert, will die Partei unbedingt vermeiden.” Die heutige Situation gleiche eher einem Dampfkochtopf, bei dem Peking den Deckel fest in der Hand hält, so Ni. “Die Regierung weiß ganz genau, wie man den Druck jederzeit wieder rausnimmt.”
Das kann etwa passieren, wenn eine staatliche Zeitung selbst plötzlich Opfer des Online-Mobs wird, zum Beispiel weil sie gegenüber dem Ausland eine gefühlt zu weiche Position vertreten hat. Dann werden kritische Kommentare und Accounts von den Zensoren gelöscht und beschwichtigende Artikel als Gegengewicht lanciert. “Es ist ziemlich offensichtlich, dass die Little Pinks nicht dazu beitragen, Chinas Image in der Welt zu verbessern”, erläutert Ni. Andererseits benutzt die Regierung die Empörung der Massen gezielt, um außenpolitische Positionen zu rechtfertigen, etwa wenn sie erklärt, dass die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung der Covid-Pandemie “die Gefühle des chinesischen Volkes” verletze.
Wie zerbrechlich diese Gefühle sind, besingt mittlerweile sogar ein Popsong. Die beiden auf Taiwan lebenden Musiker Namewee und Kimberly Chen haben mit “Fragile” im Oktober eine musikalische Parodie auf die “gläsernen Herzen” der chinesischen Online-Krieger veröffentlicht, die bei der kleinsten Kritik zu zerspringen drohen. “Tut mir leid, dass ich deine Gefühle verletzt habe”, heißt es im Refrain. “Ich höre, wie dein fragiles Selbstwertgefühl in 1000 Teile zerbricht.” Das Musikvideo ist voller Querverweise, von der Baumwolle, die auf den H&M-Skandal Bezug nimmt, bis hin zu Winnie The Pooh, dessen Ähnlichkeit mit Xi Jinping immer noch eines der vielen Tabus in der chinesischen Internet-Landschaft darstellt. Dort wurde der Song mitsamt der Künstler-Accounts erwartungsgemäß umgehend gelöscht. Die beiden Musiker nehmen es auf die leichte Schulter. Die australische Staatsbürgerin Kimberly Chen erklärt, ihr blieben ja immer noch Instagram und Facebook. Und der aus Singapur stammende Rapper Namewee schreibt in einem Beitrag auf Instagram, dass nicht er es war, der geblockt wurde: “Diejenigen, die wirklich geblockt sind, sind jene, die nicht das Recht haben, in Freiheit Musik zu hören.”
Chinesische Investoren besitzen einen größeren Teil der Daimler-Aktien als bisher bekannt. Daimlers chinesisches Partnerunternehmen BAIC hat rund zwei Jahre nach dem Erwerb die genaue Höhe seiner Beteiligung an dem Stuttgarter Autobauer offengelegt. BAIC besitze demnach einen Stimmrechtsanteil von 9,98 Prozent, wie am Montag im Zusammenhang mit dem Börsengang der Lastwagensparte von Daimler bekannt wurde. Bisher war von einem Anteil in der Größenordnung von fünf Prozent die Rede. Da auch der Geely-Gründer Li Shufu einen Anteil von gut neun Prozent hält, befinden sich knapp 20 Prozent des Premiumherstellers in chinesischer Hand.
Die Beziehung beruht durchaus auf Gegenseitigkeit. Daimler hält umgekehrt 9,55 Prozent an der in Hongkong notierten BAIC-Tochter BAIC Motor. Der Dax-Konzern erklärte, er begrüße das Bekenntnis des langjährigen Partners, mit dem Mercedes-Benz in einem Joint Venture Autos für den weltweit größten Markt baut und verkauft. “Die Beteiligung von BAIC an Daimler spiegelt das Bekenntnis zu unserer gemeinsamen erfolgreichen Allianz bei Produktion und Entwicklung im weltweit größten Pkw-Markt wider”, erklärte Daimler-Chef Ola Källenius. BAIC und Daimler seien übereingekommen, dass BAIC seinen Anteil an Daimler nicht weiter erhöhen wird, so das Unternehmen. rtr/fin
Der Aufsichtsrat von Volkswagen hat wie erwartet den erfahrenen Manager Ralf Brandstätter zum China-Vorstand ernannt. Er übernimmt das Ressort am 1. August 2022. Schon ab Januar wird Brandstätter Vorstand mit Zuständigkeit für Pkw. Brandstätter leitet damit sowohl das wichtige China-Geschäft als auch die Kernmarke. Brandstätter übernimmt die Verantwortung für China von Konzernchef Herbert Diess. Der 53-Jährige soll diesen formal entlasten und erhält zugleich vom Aufsichtsrat den Auftrag, die zunehmenden Probleme auf dem größten Automarkt der Welt anzupacken (China.Table berichtete). fin
BMW strebt den Ausbau seines China-Engagements an. Der Autobauer bereitet nach eigenen Angaben die Fertigung des X5 in der Volksrepublik vor. Um die starke weltweite Nachfrage für das Modell zu bedienen, weite BMW die globale Produktion des X5 aus, teilt ein Sprecher mit. Eine lokale Produktion in China sei deshalb geplant. Ein Startdatum nannte der Autobauer zunächst nicht. Bislang wurde der Geländewagen ausschließlich im US-Werk Spartanburg gebaut und nach China exportiert. Zuvor hatte das “Handelsblatt” darüber berichtet. rtr
Der weltweit führende Chiphersteller Taiwan Semiconductor Manufacturing (TSMC) soll laut Medienberichten den Bau eines Werks in Deutschland erwägen. Erstmals hatte sich TSMC-Konzernchef Mark Liu im Juli bei einer Hauptversammlung in Taipeh offiziell dazu geäußert, dass TSMC über einen Produktionsstandort in Deutschland nachdenkt (China.Table berichtete).
Faktoren wie Subventionen, Kundennachfrage sowie das nötige Personal beeinflussen die endgültige Entscheidung für einen Standort in Deutschland, so Lora Ho, Senior Vice President of Europe und Asia Sales bei TSMC am Rande eines Technologieforums in Taipeh. TSMC befinde sich in frühen Gesprächen mit der deutschen Regierung über die mögliche Errichtung eines Werks in Deutschland, erfuhr die Nachrichtenagentur Bloomberg. Der weltweit größte Auftragschiphersteller produziert bisher vor allem in Taiwan, hat aber im vergangenen Jahr erste Schritte unternommen, um im Ausland zu expandieren und dadurch seine Kapazitäten zu erhöhen. Vor dem Hintergrund der weltweiten Lieferkettenprobleme und des damit verbundenen Mangels an Computerchips will TSMC damit die Nachfrage aus Ländern decken, die daran arbeiten, die heimische Halbleiterproduktion auszubauen.
So will die EU in der ersten Hälfte des kommenden Jahres schon ein europäisches Chipgesetz vorstellen. Das Papier soll auch eine Strategie umreißen, um die Halbleiterproduktion in der EU anzukurbeln. So ist eines der Ziele bis 2030, etwa 20 Prozent der weltweiten Halbleiterproduktion auszumachen. In den USA baut TSMC derzeit eine zwölf Milliarden US-Dollar teure Anlage in Arizona. In Japan will es sieben Milliarden US-Dollar investieren. niw
Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, wie anfällig globale Lieferketten sein können. Die Unterbrechungen der globalen Lieferketten haben in vielen Ländern Diskussionen über deren Abhängigkeit von Importgütern und ausländischen Anbietern ausgelöst. Einige Politiker*innen haben daher Unternehmen dazu aufgefordert, ihre Produktion zurückzuverlagern, um die Abhängigkeit von anderen (Konkurrenz-)Ländern zu reduzieren.
Auch China betrachtet die (potenzielle) Bedrohung seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit als Problem. Dies liegt nicht nur daran, dass China selbst direkt von den Unterbrechungen der Lieferketten betroffen ist. Als Weltfabrik für fast alle global gehandelten Waren oder/und deren Komponenten ist China natürlich daran interessiert, die globalen Märkte hindernisfrei zu bedienen. Da viele Unternehmen in China immer noch stark auf importierte (Hightech-)Produkte angewiesen sind, ist China auch daran interessiert, die Versorgung von ausländischen Schlüsselkomponenten zu sichern.
Die indirekte (potenzielle) Bedrohung der chinesischen Wirtschaft durch die Pandemie spielt hier ebenfalls eine Rolle. Einerseits verstärken viele, vor allem westliche, Länder ihre eigenen industriellen Kapazitäten, um ihre technologische Souveränität und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu gewährleisten. Dies kann die bereits bestehenden wirtschaftlichen und politischen Spannungen zwischen China und westlichen Ländern wie der Europäischen Union (EU) und den Vereinigten Staaten (USA) weiter anheizen. Auch die Schwierigkeiten chinesischer Unternehmen bei der Beschaffung von Schlüsselkomponenten aus dem Ausland können sich weiter verschärfen. Andererseits könnten multinationale Unternehmen (MNU), die von Unterbrechungen der Lieferketten betroffen sind, ihre Geschäftstätigkeit aus China heraus verlagern. Dies wäre für China mit einem Verlust von finanziellen Ressourcen, fortschrittlichem Wissen, Technologien und Arbeitsplätzen verbunden.
Diese direkten und indirekten Bedrohungen haben China auf die Risiken aufmerksam gemacht, die mit dem zunehmenden globalen Wettbewerb um (finanzielle) Ressourcen, Talente, Technologien und Märkte sowie der zunehmenden wirtschaftlichen und politischen Unsicherheit verbunden sind. In seinem 14. Fünfjahresplan (2021-2025) betont China daher die Absicht, erstens seine technologische Innovationsfähigkeit zu fördern, um seine Eigenständigkeit in Wissenschaft und Technologie zu gewährleisten, und zweitens den inländischen Wirtschaftskreislauf als Kernelement der Entwicklungsstrategie des doppelten Wirtschaftskreislaufs zu fördern, um die wirtschaftliche Unabhängigkeit sicherzustellen.
China will seine Forschungs- und Entwicklungsausgaben deutlich erhöhen und die Rolle der (chinesischen) Unternehmen bei Innovationen stärken. Sowohl die Umsetzung als auch die Kommerzialisierung neuer Forschungsergebnisse und Technologien sollen verstärkt werden. Technologisch führende ausländische Unternehmen und globale Talente sollen angezogen werden, um China in kritischen Technologiebereichen zu einer technologischen Spitzenposition zu verhelfen.
China will die inländische Nachfrage und das inländische Angebot steigern und fördern, dass Angebot und Nachfrage sowie vor- und nachgelagerte Produktionsstufen entlang der Lieferketten effizienter aufeinander abstimmen. Chinas eigene industrielle Basis soll weiter gestärkt und modernisiert werden. Der Vorteil seiner Marktgröße soll genutzt werden, um globale Ressourcen anzuziehen. Gleichzeitig soll das erhöhte inländische Angebot an innovativen und hochwertigen Produkten Chinas Rolle als führende Produktions- und Handelsmacht stärken.
Kurz gesagt, China setzt auf mehr inländische Innovation, inländische Produktion und inländische Nachfrage und wird bei der Förderung des internationalen Handels und der Investitionen in Zukunft noch “selektiver” vorgehen als bisher, um seine Entwicklungsziele zu erreichen. Seine Politik wird daher einen starken Einfluss auf die Umgestaltung der künftigen globalen Lieferketten haben. Für MNU, deren Investitionen in China oder Exporte nach China von der chinesischen Regierung als kritisch angesehen werden, wird es schwieriger werden, in China wie gewohnt Geschäfte zu machen. Und die Unterstützung für chinesische Direktinvestitionen im Ausland wird noch stärker darauf ausgerichtet werden, die technologischen Fähigkeiten der eigenen Wirtschaft zu stärken und somit langfristig die Position chinesischer Unternehmen in den globalen Lieferketten zu verbessern.
Chinas Politik wird daher für MNU, die in/mit China Geschäfte machen, sowie für ihre Zulieferer und Kunden eine Herausforderung darstellen. Dies wird die Neigung westlicher Länder weiter verstärken, ihrerseits ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit und technologische Souveränität durch Entkopplung zu fördern.
In einer Zeit erheblicher wirtschaftlicher und politischer Spannungen zwischen China und den westlichen Ländern sowie zunehmender geopolitischer Konflikte und Unsicherheiten können solche Politiken Chinas, der EU und der USA das gegenseitige Vertrauen weiter schwächen, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit verringern und letztlich zu einer kostspieligen wirtschaftlichen Entkopplung und einer weniger effizienten Re-Nationalisierung globaler Lieferketten führen.
Sicherlich sind die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen China und der EU/den USA kompliziert und durch zahlreiche Konflikte belastet. Eine weitgehende wirtschaftliche und technologische Entkopplung voneinander ist jedoch kaum der beste Weg, um mit diesen Konflikten umzugehen. Um die Vorteile der Globalisierung für den weltweiten Wohlstand und die Nachhaltigkeit zu nutzen, sind offene bilaterale und multilaterale Dialoge und Zusammenarbeit unerlässlich.
Für solche Dialoge ist es entscheidend, nicht nur die Interessen des eigenen Landes zu verstehen, sondern auch mehr über die Ansichten der anderen Seite zu erfahren. Dazu soll das Global China Conversation #5 “Reshaping Global Industrial Chains: Optionen for China” beitragen.
Wan-Hsin Liu ist eine Senior Researcherin in den Forschungszentren “Internationaler Handel und Investitionen” und “Innovation und internationaler Wettbewerb” am Kiel Institut für Weltwirtschaft. Außerdem ist sie Koordinatorin am Kieler Zentrum für Globalisierung.
Dieser Beitrag gehört in den Kontext der “Global China Conversations” des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag diskutieren Qiyuan Xu, Vizedirektor am Institut für Weltwirtschaft und Politik an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (CASS-IWEP) und Rolf J. Langhammer, ehemaliger Vizepräsident am Kiel Institut für Weltwirtschaft, im Rahmen dieses Formats über das Thema: “Reshaping Global Industrial Chains: Options for China”. China.Table ist Medienpartner der Veranstaltungsreihe.
Vanessa Chang ist die neue Direktorin des Shanghaier Studios von BMW Group Designworks. Chang arbeitet seit gut zehn Jahren für das Design-Beratungsunternehmen, das seit 1995 zu BMW gehört. Designworks berät neben BMW, Mini und Rolls-Royce auch Kunden aus anderen Branchen wie Starlux Airlines, Niu Technologies oder 3M.
David Fan wird bei dem italienisch-japanischen Autozulieferer Marelli ab Januar der Executive Vice President und President der China-Tochter. Marelli stellt Einspritzsysteme her. Fan kommt von Nexteer, einem amerikanischen Autozulieferer.
Rafael Suchan wurde als CEO der Chiho Environmental Group freigestellt. Es handelt sich dabei um die Muttergesellschaft des deutschen Unternehmens Scholz Recycling. Suchan war bis dahin einer von fünf Geschäftsführern der deutschen Tochter. Zu den Gründen für die Freistellung erklärte der Konzern lediglich, er untersuche derzeit eine Reihe von geplanten Transaktionen, an denen Suchan beteiligt war. Der deutsche Stahlschrottrecycler Scholz hatte zuletzt mehrere Projekte und Kooperationen zum Recycling von Altautos, Schrotten und Batterien in China vorangetrieben. Suchan hatte die Leitung von Chiho erst im März 2020 übernommen.