Table.Briefing: China

Illegale Polizeistationen + Elmos-Übernahme + Xis Klimapolitik

  • Der lange Arm der chinesischen Polizei
  • Elmos-Verkauf schürt Ängste
  • Klimapolitik in Xis dritter Amtszeit
  • Termine der kommenden Woche
  • Neue Lockdown-Welle
  • Dramatische Lage in Foxconn-Werk
  • Peking will “friedliche Koexistenz” mit USA
  • C919 ab Dezember im Einsatz
  • Johnny Erling über Xis Angst vor freien Fragen
Liebe Leserin, lieber Leser,

der Fall von zwei illegalen chinesischen Polizeistationen in den Niederlanden und der jüngste Angriff eines Botschaftsmitarbeiters in Manchester zeigen: Regimekritische Chinesen werden auch in Europa drangsaliert. China soll mindestens 54 Übersee-Polizeistationen in 30 Ländern betreiben. Den chinesischen Sicherheitsbehörden arbeiten wohl auch Botschaftsmitarbeiter oder Auslandsstudente zu. Marcel Grzanna berichtet in seiner Analyse unter anderem über einen chinesischen Dokumentarfilmer, der in Deutschland lebt und mit regelmäßigen Einschüchterungen umgehen muss. Die deutsche Polizei kann ihm nicht helfen – solange keine Straftat begangen wurde, ist sie machtlos.

Nicht machtlos ist der deutsche Staat bei Investitionen in kritische Infrastruktur oder Unternehmen. Zumindest in der Theorie. Nachdem sich der Kanzler im Cosco-Debakel durchgesetzt und den Deal ermöglicht hat, ist die Aufmerksam von Medien und Öffentlichkeit geschärft. So rückt der nächste Fall ins Blickfeld: Die Übernahme einer Fabrik des Dortmunder Chipherstellers Elmos durch chinesische Investoren. Doch es gibt relevante Unterschiede, erklärt Finn Mayer-Kuckuk.

Würde China den unbedingten Entschluss fassen, den Klimaschutz mit voller Kraft voranzutreiben – für die Welt wäre es ein riesiger Gewinn. Bald würden Technologien in Masse produziert und preiswerter werden. Emissionen würden erheblich gesenkt. Xis bisherige Klimapolitik wirkt auf den ersten Blick positiv. Das liegt auch daran, dass Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel ein wichtiger Faktor für den Machterhalt der Kommunistischen Partei darstellen. Aber überschätzen sollte man Xis Ambitionen nicht. Denn es gibt auch viele Rückschritte, wie Nico Beckert in seiner Klima-Analyse zu Xis dritter Amtszeit beleuchtet.

Heute ist es undenkbar, aber es gab mal eine Zeit, in der Chinas Staatschefs ausführlich Interviews gaben. Hinter den Mauern von Pekings Machtzentrum Zhongnanhai ließ sich einst der damalige Staats- und Regierungschef Jiang Zemin befragen. Das Interview führte der damalige Welt-Korrespondent und heutige China.Table-Kolumnist Johnny Erling. Er hat spannende Video-Interviews und Anekdoten hervorgeholt. Sein Fazit: In der Ära von Xi Jinping ist durchgeplante Inszenierung alles.

Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre bei diesen spannenden Themen. Und ein schönes Wochenende.

Ihre
Julia Fiedler
Bild von Julia  Fiedler

Analyse

Illegale Jagd auf Dissidenten

Polizeiopfer Yang Weidong mit Mutter Xue Yinxian.

Mit der chinesischen Polizei hat Yang Weidong in seiner Vergangenheit schon reichlich zu tun gehabt. Als Dokumentarfilmer wurde er durch eine Serie Hunderter Interviews bekannt, die Chinas politische und gesellschaftliche Entwicklung kritisch beleuchtete. Das Projekt rückte ihn zunehmend in den Fokus der Sicherheitsbehörden.

Das war nichts Neues für ihn. Schon nachdem seine Mutter, die Ärztin Xue Yinxian, über die Dopingpraktiken im chinesischen Sport ausgepackt hatte, musste sich die Familie an regelmäßige Besuche durch die Polizei gewöhnen. Zum Beispiel 2007, ein Jahr vor Olympia in Peking. Beamte warnten seine Mutter davor, über Doping in China zu sprechen. Es kam zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf der Vater auf den Kopf stürzte und drei Monate später verstarb.

Seit einigen Jahren leben Mutter, Sohn und dessen Frau in Deutschland. Im Oktober 2017 erhielten sie politisches Asyl. Die chinesischen Sicherheitskräfte hat Yang Weidong dennoch weiterhin im Nacken. Nicht unmittelbar, sondern durch Mitarbeiter von Botschaft oder Konsulaten oder auch durch chinesische Auslandsstudenten. Yang erinnert sich, dass seine Frau und er einmal dicht bedrängt wurden von jungen Chinesen, die ihm sagten, man wisse, wo er wohne.

“Sie wollen uns zermürben”

“Hinter solchen Warnungen steckt die chinesische Polizei”, vermutet Yang im Gespräch mit China.Table. “Sie wollen uns Angst machen und zermürben, damit wir einknicken. Dafür benutzen sie unter anderem Studenten als Werkzeug”, sagt er. Dreimal hat Yang in den vergangenen zwölf Monaten die deutsche Polizei informiert. Seine Mutter, seine Frau und er fühlen sich bedroht. Doch die hiesigen Behörden seien machtlos, solange keine Straftat begangen werde, lautete die Antwort. Immerhin versprachen die Beamten, verstärkt Streife zu fahren in der Nähe des Wohnortes.

Offenbar wissen die chinesischen Behörden über jeden Schritt und Tritt des Regimekritikers in Deutschland Bescheid, auch über die Anzeigen bei der Polizei. Im Juli rief Wang Weidongs Bruder aus Shandong an und riet ihm, die Mutter zurück in die Heimat zu bringen, statt mit den deutschen Behörden zu kooperieren.

Dass die Sicherheitskräfte in der Volksrepublik informiert sind, ist laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders auch das Resultat illegaler chinesischer Polizeioperationen im Ausland. Die Organisation hat bislang 54 sogenannte Übersee-Polizeistationen (ÜPS) der Volksrepublik in 30 Staaten ausgemacht. Allein in Spanien, wo die Organisation ihren Sitz hat, identifizierte sie neun solcher Standorte. In Deutschland sei eine illegale ÜPS in Frankfurt ansässig.

Hunderttausende Chinesen zur Rückkehr bewegt

Nun veröffentlichten niederländische Medien Details über zwei Stationen in Holland. In Amsterdam seien zwei frühere chinesische Polizisten aus der bezirksfreien Stadt Lishui in Zhejiang im verschleierten Einsatz, berichtete der Fernsehsender RTL. In Rotterdam sei ein früherer Militär-Angehöriger in einem herkömmlichen Wohnblock für die Sicherheitsbehörden aus Fuzhou in Südchina aktiv. Das niederländische Außenministerium kündigte eine genaue Untersuchung an.

Die Safeguard Defenders berichten, dass die informellen Polizeistationen anfänglich dafür eingerichtet worden seien, um Auslandschinesen vor Betrügereien durch ihre Landsleute zu bewahren. Vor allem Betrugsfälle per Telefon oder über das Internet in den chinesischen Auslandsgemeinden hätten massiv zugenommen. Die Behörden wollten Verdächtige zur Rückkehr nach China bewegen.

So sei es allein im Zeitraum von April 2021 bis Juli 2022 gelungen, rund 230.000 Chinesinnen und Chinesen aus dem internationalen Ausland in die Volksrepublik zu lotsen. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, dem die Polizeikräfte generell unterstellt sind, hatte im April dieses Jahres öffentlich verkündet, dass die Operation ein voller Erfolg sei. Die Behörden bedienen sich nicht nur der Unterstützung von Studenten oder Mitarbeitern der Botschaft, sondern Organisationen der sogenannten Einheitsfront (China.Table berichtete).

Chinas Polizei verstößt in Europa gegen Gesetze

Diese ist fast so alt wie die Partei selbst und ist vornehmlich dafür verantwortlich, politischen Dissens im In-, aber zunehmend auch im Ausland zu marginalisieren. Unzählige chinesische Auslandsvereinigungen sorgen in Deutschland und fast jedem anderen Land der Welt dafür, dass Auslandschinesen nicht ausscheren, sondern nach außen hin stets die Parteilinie vertreten. Sie werden auch konkret instrumentalisiert, um bei ausländischen Partnern Informationen zu sammeln und ihrerseits zu streuen.

In Peking scheint man sich im Recht zu fühlen. Europa sei sehr zögerlich, Kriminelle an China auszuliefern. “Ich wüsste nicht, was daran falsch sein sollte, Kriminelle unter Druck zu setzen, damit sie sich der Justiz stellen”, sagte ein Mitarbeiter des chinesischen Außenministeriums der spanischen Tageszeitung El Correo. Trotz fehlender Vereinbarungen sieht die Volksrepublik China offenbar Rechtfertigung genug, um internationales Recht zu brechen.

Nicht öffentlich kommuniziert wird von den Behörden dagegen die Tatsache, dass es keineswegs nur Betrüger sind, die im Ausland aufgespürt werden, sondern auch politische Dissidenten wie Yang Weidong. Auch niederländische Medien berichten über Regimekritiker, die von den illegalen Polizeistationen unter Druck gesetzt worden sind. Laut Safeguard Defenders verstoßen die angewandten Methoden eindeutig gegen internationale Menschenrechtsgesetze und die territoriale Souveränität einzelner Länder.

Innenministerium: Keine Toleranz

Auch das Innenministerium in Berlin stellt klar, dass es kein bilaterales Abkommen zwischen Deutschland und China über den Betrieb der ÜPS gibt. Doch es weicht der Frage aus, ob es von den geheimen Operationen Kenntnis hat. “Die Bundesregierung toleriert nicht die Ausübung fremder Staatsgewalt und entsprechend verfügen chinesische Stellen über keinerlei Exekutivbefugnisse auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland”, heißt es. “Die Bundesregierung wirkt darauf hin, dass sich die chinesischen diplomatischen Vertretungen bei ihren Aktivitäten in Deutschland im Rahmen des Wiener Übereinkommens für diplomatische Beziehungen und des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen bewegen.”

Wie genau das gelingen soll, bleibt fraglich. China nimmt sich mit zunehmender wirtschaftlicher Bedeutung immer öfter das Recht heraus, internationale Vereinbarungen zu brechen. Das Selbstverständnis machte kürzlich der chinesische Generalkonsul in Manchester deutlich (China.Table berichtete). Zuerst wurde er gegen einen pro-demokratischen Demonstranten aus Hongkong handgreiflich. Dann sagte er gegenüber britischen Medien, es sei die Pflicht eines jeden Diplomaten, so zu handeln. Schließlich sei sein Staatschef beleidigt worden.

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Wie schwer wiegt die Elmos-Übernahme?

Nur wenige Tage nach der Entscheidung über den Cosco-Einstieg in Hamburg löst eine weitere potenzielle Übernahme mit chinesischer Beteiligung eine neue Debatte aus. Es geht hier um den Kauf einer Fabrik des Dortmunder Halbleiterherstellers Elmos Semiconductor. Bereits im Dezember vergangenen Jahres hat das Unternehmen bekanntgegeben, seine Wafer-Fertigung an den schwedisch-chinesischen Konkurrenten Silex Microsystems abzutreten. Die Regierung will den Verkauf nun genehmigen, berichtet nun das Handelsblatt am Donnerstag aus Berliner Regierungskreisen. Die Übernahme ist genehmigungspflichtig.

Die Regierung sieht in der Übernahme bisher offenbar kein Problem. Das hat eine Reihe von guten Gründen:

  • Die Technik von Elmos ist veraltet – China wird hier nichts Neues lernen.
  • Der Standort ist nicht sonderlich profitabel und würde ohne einen Investor möglicherweise nicht überleben.
  • Das Geschäft ist sehr klein; der Kaufpreis sollte lediglich 77,5 Millionen Euro betragen.
  • Elmos sollte Eigentümer der Gebäude bleiben und wird sie an den neuen Betreiber vermieten.
  • Silex Microsystems wurde in Schweden gegründet und wird weiterhin von dort verwaltet.

Silex aus Järfälla bei Stockholm befindet sich jedoch in der Hand des chinesischen Chiphersteller Cellwise Microelectronics. Cellwise teile am Freitag mit, noch keinen Bescheid des Bundeswirtschaftsministeriums erhalten zu haben.

Die Firma Elmos befindet sich derzeit nicht unbedingt im Aufwind, obwohl die Eckdaten zunächst vielversprechend klingen. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Chips, wie sie in der Autoindustrie zum Einsatz kommen. Ein Fokus des Unternehmens liegt auf Bausteinen, die einen festgeschriebenen Code ausführen. Damit unterscheiden sie sich von Prozessoren, die beliebigen Code ausführen können, und Speicherchips, die gar keinen Code ausführen können. Für Autos sind sie nützlich und zudem noch preiswert.

Doch das Werk in Dortmund produziert Halbleiterbausteine mit 350 Nanometern Strukturbreite. Das wirkt heute sehr grob. Die technologische Front hat sich gerade auf 7 Nanometer Strukturbreite für hochleistungsfähige Chips verschoben. In der Autoindustrie kommen in fortschrittlichen Modellen derzeit typischerweise Chips mit 90 Nanometern Strukturbreite zum Einsatz, auch wenn das Segment mit über 250 Nanometern weiter eine erhebliche Rolle spielt.

Die Genehmigung des Geschäfts spräche gegen den Trend, im Halbleitergeschäft mehr Produktion nach Europa zurückzuholen. Die EU und Deutschland setzen derzeit alle Hebel in Bewegung, um wieder mehr Halbleiterfertigung im Inland anzusiedeln (China.Table berichtete). Ein Werk aus der Hand zu geben, das ausgerechnet Chips für die gebeutelte Autoindustrie (China.Table berichtete) herstellt, passt da nicht ins Konzept.

Satirische Titelseite der Tageszeitung taz zur derzeitigen Haltung gegenüber dem der Volksrepublik: Drogen sind OK, wenn sie bloß nicht aus China kommen.

Seit Russlands Einmarsch in die Ukraine hat sich die Sensibilität für die Abhängigkeit von Autokratien zudem stark erhöht. In den kommenden Monaten sind weitere Diskussionen dieser Art zu erwarten, wenn Medien und Politiker weitere Beispiele für die Übertragung wichtiger Anlagegüter an fremde Mächte aufdecken (China.Table berichtete).

TSMC kommt unter anderem wegen Auto-Chips

Auto-Halbleiter bleiben derweil ein Thema, das Industrie und Regierung umtreibt. Der taiwanische Chip-Marktführer TSMC befindet sich in Gesprächen über die Ansiedlung einer Fabrik in der EU. Hier soll es unter anderem um die Arten von Chips gehen, die in den kommenden Jahren von der Fahrzeugindustrie nachgefragt werden. In der engeren Auswahl befindet sich derzeit eine Gewerbefläche bei Dresden (China.Table berichtete zuerst über den ostdeutschen Standort).

In Japan errichtet TSMC bereits zusammen mit Sony ein Werk in Hinblick auf Abnehmer wie Toyota und Nissan. Ein TSMC-Werk in Deutschland befände sich nicht nur in einer anderen Größenordnung als die Elmos-Fabrik, sie befände sich auf einem völlig anderen Level. TSMC ist Technikführer mit Geschäftsbeziehungen zu Industriegrößen in allen Branchen.

Das Misstrauen gegen China-Partnerschaften nimmt jedoch unabhängig davon zu. Der Bundesnachrichtendienst warnt dem Handelsblatt-Bericht zufolge davor, die Elmos-Fabrik an Silex abzugeben. Deutschland und die EU sind bisher gegenüber China noch vergleichsweise offen. Die US-Regierung unter Joe Biden hat bereits eine Blockade gegen die chinesische Halbleiterindustrie errichtet. Nicht nur Technikaustausch, auch gegenseitige Geschäfte sind kaum mehr möglich.

Auch Anbieter aus Drittländern ziehen sich zum Teil aus China zurück, weil sie den Zorn der USA fürchten. So erwägt der südkoreanische Hersteller SK Hynix, seine Fabrik in Wuxi abzustoßen. Der Betrieb ist ohne Überschneidung mit US-Partnern kaum möglich. Die Übernahme eines US-Halbleiterstandorts durch einen chinesischen Spieler ist heute kaum noch denkbar. Selbst, wenn er so klein wäre wie Elmos in Dortmund.

Wann greift das Ministerium ein, wann nicht?

Der Fall Elmos weckt Erinnerungen an Aixtron, einen Mittelständler aus Aachen, der 2016 zum Verkauf stand. Das zuvor in der Öffentlichkeit unbekannte Unternehmen sollte für einen dreistelligen Millionenbetrag an den staatlichen Fujian Grand Chip Investment Fund aus Xiamen gehen. Das Wirtschaftsministerium bescheinigte der Übernahme zunächst die Unbedenklichkeit. Es war dann ein Veto aus Amerika, einem wichtigen Markt für Aixtron, das den Deal zu Fall brachte. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ließ die Investition erneut prüfen und untersagte sie diesmal.

Aixtron ist zwar wertvoller und vitaler als Elmos. Doch die Lehre aus dem Vorgang war damals grundsätzlich, bei solchen Geschäften nochmals deutlich vorsichtiger zu prüfen, zumal der andere große Weckruf in Form der Übernahme des Roboterherstellers Kuka im gleichen Jahr begann. Heute ist Aixtron übrigens froh, nicht an den staatlichen Finanzinvestor mit den strategischen Hintergedanken verkauft worden zu sein. Das Unternehmen hat ohne chinesisches Geld seinen Weg in die Technik-Zukunft gefunden.

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Xis dritte Amtszeit: Klima wichtig, Wachstum wichtiger

Die Politik von Chinas Staatschef Xi Jinping sorgt unter Klimaschutzaktivisten für Hoffnungen und Ängste gleichermaßen

Die Klima-Bilanz von Chinas neuem und alten KP-Generalsekretär Xi Jinping sieht auf den ersten Blick sehr erfolgreich aus. In seinen neuneinhalb Jahren als Staatschef hat China:

  • in den letzten vier Quartalen die CO2-Emissionen gesenkt
  • allein im vergangenen Jahr so viele neue Wind- und Solar-Kapazitäten zugebaut, wie ganz Deutschland insgesamt vorweisen kann
  • im September 2020 seine Klimaziele verkündet: Ab 2030 die CO2-Emissionen nicht weiter steigen zu lassen
  • und 2060 CO2-Neutralität zu erreichen
  • im September 2021 vor der UNO verkündet, keine neuen Kohlekraftwerke mehr im Ausland zu bauen (Climate.Table berichtete)

“Klimaschutz wichtig für den Machterhalt”

Doch Fachleute warnen davor, Chinas grüne Ambitionen zu überschätzen. Aus ihrer Sicht dient die Umwelt- und Klimapolitik unter Xi dem Machterhalt der Kommunistischen Partei; der CO₂-Rückgang beruht teilweise auf der Covid-Krise; der Wachstumszwang der Wirtschaft ist weiter ungebrochen. Die Kohlelobby ist immer noch stark. Und auf dem anstehenden UN-Klimagipfel (COP27) ist von China wohl keine entscheidende Bewegung zu erwarten.

Die Verringerung der CO₂-Emissionen und der langfristige Kohleausstieg “gehören auf jeden Fall zu den wichtigsten Punkten auf Xis politischer Agenda”, sagt Nis Grünberg, Analyst des China-Think-Tanks Merics. “Xi sieht den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel als eine Voraussetzung für den langfristigen Machterhalt der Partei und der jetzigen Regierungsform”.

Vier Quartale mit sinkenden Emissionen

Immerhin: Seit Xis Amtsantritt 2013 sind die CO₂-Emissionen weniger stark gestiegen als in den Jahren zuvor. In den letzten vier Quartalen sanken sie sogar leicht (China.Table berichtete). Der Kohleverbrauch wurde – auf einem hohen Niveau – stabilisiert. Und die Erneuerbaren Energien werden in rasanter Geschwindigkeit ausgebaut.

China: CO2-Emissionen sinken 4. Quartal in Folge

Allerdings sind das alles relative Erfolge. Die Emissionen Chinas lagen laut Berechnungen von Carbon Brief auch im März 2022 noch bei fast 12,2 Milliarden Tonnen CO₂. In zwei der letzten vier Quartale war der Rückgang nur minimal (siehe Grafik). Die pro-Kopf-Emissionen liegen seit 2018 über dem EU-Schnitt. China ist inzwischen weltweit auch historisch der zweitgrößte Verschmutzer.

Der Erfolg bei den sinkenden CO2-Emissionen beruht zu Teilen auch auf der Immobilien-Krise und den regelmäßigen Covid-Lockdowns. Ob sich der Rückgang weiter fortsetzt, ist offen.

60 Aktionspläne: Intern ist Klimapolitik wichtig

Der schnelle Ausbau der Erneuerbaren bietet eine große Chance, sind sich Lauri Myllyvirta und Xing Zhang, China-Expert:innen beim Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) sicher. Er könnte sogar so schnell gehen, dass die zusätzliche Energienachfrage der kommenden Jahre komplett durch saubere Energieträger gedeckt werden könnte. Dafür darf die Stromnachfrage aber nicht stärker als vier Prozent pro Jahr wachsen.

Intern gilt Klimapolitik in China als wichtig. Seit Verkünden der Klimaziele haben die Zentralregierung und die Provinzen mehr als 60 Aktionspläne für die einzelnen Sektoren herausgegeben. Auf der internationalen Ebene und der COP27 wird es aber vermutlich keine größeren neuen Versprechen geben. Der Klimasondergesandte Xie Zhenhua sagte jüngst, die Implementierung und Umsetzung bestehender Klimaziele müsse bei der COP im Fokus stehen (China.Table berichtete).

Xi Jinping selbst sucht die COP bisher nicht als große Bühne. Seine großen Klimapläne – die 2030/60-Ziele und den Kohleausstieg im Ausland – hat er vor der UN-Vollversammlung verkündet. China will sich nicht auf der COP von anderen Ländern drängen lassen, sondern vor dem heimischen Publikum als eigenständiger Akteur wahrgenommen werden.

Bei COP wenig zu erwarten – Methan-Strategie steht noch aus

Auch das Klimathema muss sich Xis geopolitischer Strategie unterordnen. Noch auf der COP26 in Glasgow verkündete der chinesische Delegationsleiter Xie, dass die Volksrepublik trotz aller geopolitischen Spannungen an den Klima-Gesprächen mit den USA festhalten werde. Ein halbes Jahr später, nach dem umstrittenen Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Taiwan, setzte China diese Gespräche aus. Sie könnten jetzt auf der COP27 möglicherweise wieder aufgenommen werden.

Allerdings will China noch in diesem Jahr eine Strategie zur Reduzierung der Methanemissionen vorstellen. “Das ist der zusätzliche Beitrag Chinas über unsere NDCs hinaus”, sagte Xie kürzlich in einem Interview. Die Methanemissionen im Öl- und Gassektor sowie der Landwirtschaft und der Abfallentsorgung sollen “kontrolliert” werden, so Xie. Den Kohle-Sektor, der den größten Teil der Methan-Emissionen verursachte, nannte Xie nicht.

Krisen könnten nächsten Fünfjahresplan beeinflussen

Auch hinsichtlich einer dritten Amtszeit Xis sind Analysten nicht allzu optimistisch, dass sich China schneller in Richtung Paris-Konformität bewegen wird. Die Erneuerbaren Energien werden wahrscheinlich noch schneller ausgebaut. Aber die Kohle wird mittelfristig ein wichtiger Bestandteil der Energieversorgung bleiben. Ob es beim Klimaschutz eine Beschleunigung geben wird, “wird aber auch von realpolitischen Faktoren getrieben, seien es Wirtschaftskrisen oder internationale Spannungen”, sagt Grünberg. “Je unsicherer die Gesamtlage, desto unsicherer wird auch die grüne Wende”.

Die zunehmenden Konflikte zwischen China und den USA sowie der EU könnten kaum zu einem ungünstigeren Zeitpunkt kommen. Denn schon im nächsten Jahr starten die internen Debatten um den nächsten Fünfjahresplan Chinas. Falls die geopolitischen Spannungen und die Corona- und Wirtschaftskrise innerhalb Chinas anhalten, könnten Pekings Klima-Ambitionen für den nächsten Fünfjahresplan gering ausfallen. Sollte China dann noch immer keine konkreten Zahlen für den Emissionspeak bis 2030 benennen, um sich klima- und industriepolitische Spielräume zu erhalten, wird der Pfad ab 2030 hin zur Klimaneutralität noch steiler als er ohnehin schon ist.

China und der Klimawandel: Im Vergleich mit der EU, den USA und Indien ist zu sehen, dass die Emissionen stark verringert werden müssen, um de Klimaziele zu erreichen.

Versäumnisse bei der Energiewende und Stärke der Kohle-Lobby

Xi ist zwar der mächtigste Mann Chinas und hat die Macht im letzten Jahrzehnt immer stärker auf seine Person konzentriert. Doch beim Klimaschutz kann und will er nicht durchregieren. Die Volksrepublik ist noch immer zu abhängig von der Kohle. Dabei hätte das Land den Willen, die technischen Möglichkeiten und die Unterstützung der führenden Politiker, um die Energiewende schneller voranzubringen, so Grünberg von Merics. “Das ist auch eines der Ziele, die Xi Jinping persönlich wichtig sind”, sagt der Forscher. “Doch die Kohle-Lobby schafft es bei jeder Krise, sei es die Hitzewelle dieses Jahr oder die Stromkrise 2021, Kohle als die sicherste Basis des Energiesystems zu forcieren, und damit den Ausstieg zu verzögern”.

Auch seien Reformen des Strommarktes zu langsam vorangetrieben worden. “In diesem Bereich hätte China sehr viel erreichen können bei der Senkung der CO₂-Emissionen”, so Grünberg. Die Kohle hatte jahrelang Vorrang in Chinas Energiesystem. Das liegt auch an den mächtigen Interessen der Kohleindustrie und der Provinzen. Letztere wirken als Bindeglied zwischen der Zentralregierung und der lokalen Ebene, auf der die Klimapolitik häufig umgesetzt wird. Die Provinzen verfolgen dabei auch eigene Ziele und können beispielsweise den Kohleausstieg verlangsamen.

Wachstum ist zentrale Legitimation der Regierung

Und auch Xi muss unterschiedliche Ziele unter einen Hut bringen: Das Wirtschaftswachstum ist die zentrale Legitimation seiner Regierung und der Kommunistischen Partei. Die sichere Stromversorgung der Industrie und der Klimaschutz stehen auf seiner Agenda ähnlich weit oben. In Krisenzeiten sind Wachstum und Energiesicherheit jedoch wichtiger. In den CO₂-intensiven Branchen Kohle, Bau und Schwerindustrie sind über 60 Millionen Menschen beschäftigt (China.Table berichtete). Wiederholt mahnt Xi in politischen Reden einen vorsichtigen Wandel an. “Das Neue muss erst erschaffen werden, bevor das Alte weggeworfen wird”, sagte er auf dem jüngsten Parteitag zu Chinas Energieversorgung.

  • Energie
  • Handel
  • Klima
  • Kohlekraft

Termine

31.10.2022, 18:00 Uhr (01:00 Uhr Beijing time)
SOAS China-Institute, Webinar: Reinventing the Belt and Road Mehr

02.11.2022, 17:00 Uhr (0:00 Uhr Beijing time)
Fairbank Center for Chinese Studies, Webinar: Critical Issues Confronting China featuring Winston Ma – Blockchain Technology, Crypto Regulation, and US-China Competition for Digital Currency Supremacy Mehr

02.11.2022, 16 Uhr
Deutsch-Chinesische Wirtschaftsvereinigung e.V., Vortrag: Joint Ventures in China: Revival oder Einbahnstraße? Mehr

02.11.2022, 18:30 Uhr (01:30 Uhr Beijing time)
Konfuzius-Institut Bremen, Vortrag: Dr. Jürgen Schoer: “Ökonomische Grundlagen einer neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts” Mehr

03.11.2022, 21:00 Uhr
Fairbank Center for Chinese Studies, Webinar: Modern China Lecture Series featuring Taisu Zhang: The Ideological Foundations of Qing Taxation: Belief Systems, Politics, and Institutions Mehr

03.11.2022, 02:20 Uhr (09:20 Uhr Beijing time)
South China Morning Post, Konferenz: Hongkong – ASEAN Summit 2022 Mehr

04.11.2022, 15:00 Uhr (22:00 Uhr Beijing time)
Washington International Trade Association, Webinar: No Chips for You! America’s New Export Controls on Semiconductors and Their Implications for Global Trade Mehr

News

Lockdown wird verschärft – Proteste in Tibet

In mehreren Städten und Regionen Chinas sind neue Lockdowns in Kraft getreten. Bestehende Maßnahmen zur Virus-Eindämmung wurden verschärft. Nachdem die Gesundheitsbehörden am Donnerstag den dritten Tag in Folge jeweils mehr als 1000 neue Covid-19-Fälle gemeldet hatten, wurden Viertel und Straßenzüge in mehreren Städten als Hochrisikogebiete abgeriegelt. Menschen dürfen ihre Wohnungen dort teilweise nicht mehr verlassen.

Zu den am stärksten von den Lockdown-Regeln betroffenen Kommunen zählen das wirtschaftsstarke Guangzhou im Süden, das Corona-Epizentrum Wuhan sowie Xining, die Hauptstadt der Provinz Qinghai. Bereits zu Wochenbeginn waren in 28 chinesischen Städten mehr oder weniger strenge Lockdowns in Kraft. Den Analysten des Finanzinstituts Nomura zufolge waren damit rund 207,7 Millionen Menschen in Regionen betroffen, die etwa 25,6 Billionen Yuan (rund 3,5 Billionen Euro) oder rund ein Viertel des chinesischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften.

Wie BBC berichtet, haben in Lhasa am Mittwochnachmittag hunderte Menschen gegen die strikten Corona-Maßnahmen protestiert. Bei den Demonstranten soll es sich demnach in der Mehrzahl um Han-Chinesen gehandelt haben. Die tibetische Hauptstadt steht seit drei Monaten unter einem Lockdown. Seit 2008 kam es hier nicht mehr zu Protesten dieser Größenordnung. rtr/fpe

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Foxconn-Mitarbeiter ohne Essen und Medikamente

Nach Informationen der “Financial Times” ist die Lage nach dem Covid-Ausbruch in der weltweit größten iPhone-Fabrik in Zhengzhou dramatischer als bisher bekannt. Unter Berufung auf Videomaterial berichtet die Zeitung, dass es den Mitarbeitern bereits an Essen und Medikamenten mangelt. Die Videos, mit denen die Betroffenen an die Öffentlichkeit gehen wollten, wurden von den chinesischen Behörden gelöscht.

Mitte der Woche hatte der Apple-Zulieferer Foxconn erklärt, aufgrund von 23 Corona-Fällen die Produktion drosseln zu müssen. Zudem habe das Unternehmen die Kantinen des Werks geschlossen und die Schlafsäle abgeriegelt. In dem für Apple wichtigen Werk arbeiten rund 300.000 Mitarbeiter. Die Beschäftigten dürfen das Werksgelände seit fast drei Wochen nicht mehr verlassen. Laut Financial Times sind mehrere zehntausend Mitarbeiter mit Corona infiziert. fpe

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Versöhnliche Töne Richtung Washington

Xi Jinping hat sich für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den USA und China ausgesprochen. Das berichtet die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua. In seiner Gratulationsnachricht zum jährlichen Gala-Dinner der amerikanischen Stiftung National Committee on U.S.-China Relations schrieb er, dass China bereit sei, mit den USA in der neuen Ära “in gegenseitigem Respekt und friedlicher Koexistenz” zusammenzuarbeiten. Eine Stärkung der Kommunikation und Kooperation zwischen den Weltmächten würde helfen, die globale Stabilität und Sicherheit zu erhöhen sowie Weltfrieden und Entwicklung zu fördern.

Die Stimmung zwischen Peking und Washington ist aktuell sehr angespannt. Neben den weit entfernt liegenden Standpunkten der beiden Länder zu Russlands Krieg in der Ukraine und zu Taiwan liegt dies unter anderem auch an den scharfen Chip-Regulierungen der US-Regierung. Diese werden massive Auswirkungen auf den Sektor in China haben und stellen damit ein Hemmnis für Chinas Entwicklung dar (China.Table berichtete).

Auch Joe Biden äußerte sich zu den Beziehungen. Bei einem Treffen mit Mitarbeitern des US-Verteidigungsministeriums sagte er, dass die USA ihren militärischen Vorsprung behalten müssten, aber keinen Konflikt anstreben. Die USA suchten jedoch den Wettbewerb mit China, der auch heftig ausfallen könne, so Biden.

In wenigen Wochen gibt es möglicherweise ein Treffen der beiden Staatsmänner. Beide werden beim G20-Gipfel auf Bali erwartet. Bestätigt ist das Treffen aber noch nicht. jul

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Mit Verspätung: Die C919 hebt ab

Das erste vollständig in China entwickelte Passagierflugzeug Comac C919 geht im Dezember in Betrieb. Das berichtet das Luftfahrtportal Aerotelegraph. Die China-Eastern-Tochter OTT wird den Flieger demnach Mitte Dezember in Empfang nehmen.

Der Flugzeughersteller Comac erhielt die Musterzulassung und damit die Erlaubnis zur Auslieferung Ende September, deutlich später als geplant. Ihren Jungfernflug absolvierte die Maschine bereits 2017. Eigentlich sollte die C919 bereits 2016 in Betrieb gehen. Neben den erheblichen Verzögerungen schoss auch der Preis in die Höhe. Das Flugzeug soll etwa doppelt so viel kosten wie geplant, umgerechnet 95 Millionen Euro (China.Table berichtete). Die C919 ist damit aber immer noch deutlich günstiger als andere Modelle in ihrem Segment und kostet fast 20 Prozent weniger als Airbus 320 Neo oder Boeing 737 Max.

Bisher sollen 815 Bestellungen von 28 Kunden vorliegen, alle aus China. Die Volksrepublik ist der größte Flugzeugmarkt der Welt. Experten schätzen, dass das Land in den kommenden beiden Jahrzehnten 4.300 neue Flugzeuge im Wert von 480 Milliarden US-Dollar benötigt. jul

  • Comac
  • Industrie
  • Luftfahrt

Presseschau

“Aggressive Bemühungen”: USA halten China trotz Russlands Krieg für größte Gefahr N-TV
Schreiben von Xi Jinping: China fordert bessere Zusammenarbeit mit USA ZDF
Biden administration expects deal with allies on China export curbs soon REUTERS
Deutschland hält am Taiwan-Tabu fest – und beugt das Knie vor Xi WELT
Chip-Hersteller: Bundesregierung will offenbar weiteren China-Deal genehmigen WELT
“Beziehungen zu China sind wichtig für die deutsche Wirtschaft”, betont der BASF-Chef WELT
Siemens riskiert eine neue China-Abhängigkeit HANDELSBLATT
Griechenland: Im Hafen von Piräus ist China der Boss DW
Steigende Corona-Infektionen: Neue Lockdown-Welle in China TAGESSCHAU
Null-Covid-Chaos bei Foxconn: Eingeschlossene Arbeiter in China betteln um Essen N-TV
China Covid: Videos emerge of rare protests in Tibet BBC
Russia’s Lavrov holds call with Chinese counterpart, thanks for support on Ukraine REUTERS
China can use its leverage with Russia to prevent a nuclear war FT
Trumpf-Chefin zu China: “Attacke auf Taiwan muss die rote Linie sein” FAZ
Taiwan Braces for ‘Grim’ Times After China’s Xi Extends Power WSJ
Russia’s Sechin says Taiwan will return to China “on schedule” REUTERS
Größter Schadstoffemittent der Welt: Die Klimabilanz des Xi Jinping RND
Ireland orders China to shut illegal ‘police station’ in Dublin POLITICO
iPhone-Absatz steigt in China, während alle andere großen Marken rückläufig sind MACERKOPF
China’s Huawei slows its long decline under U.S. sanctions as revenues improve REUTERS

Kolumne

Die Angst des Tormanns Xi vor freien Fragen

Von Johnny Erling
Johnny Erling schreibt die Kolumne für die China.Table Professional Briefings

Gemeinhin wird Xi Jinping in ausländischen Biografien heute als “der mächtigste Mann der Welt” beschrieben. Das ist erst recht so, seit er auf dem 20. Parteitag seine Amtszeit um weitere fünf Jahre verlängern und alle wichtigen Parteiämter mit engen Gefolgsleuten besetzen konnte. Zum zweiten Mal in seiner Amtszeit hat Xi die Partei-Verfassung ändern lassen und lässt nun alle 97 Millionen KP-Mitglieder doppelt darauf einschwören, ihn als “Kern und zugleich die zentrale Autorität der Parteiführung” zu verteidigen (两个维护). Seit seinem unaufhaltsamen Aufstieg zur absoluten Macht verweigert sich Xi jedoch allen Interviews oder öffentlichen Dialogen, offenbar aus Furcht, sich Blöße geben zu können. Alles ist bei ihm minutiös inszeniert. Das zeigte sich auch beim jüngsten Parteitag, den er, offenbar um Risiken zu vermeiden, bis ins letzte Detail vorbereiten ließ.    

Die ritualisierte Szene wiederholt sich alle fünf Jahre. Und auch vergangenen Sonntag spielte sie wieder im Volkskongress – sicherlich nicht zum letzten Mal. Sofort nach Ende des 20. Parteitags trat der auf weitere fünf Jahre bestätigte Parteichef mit sechs auserwählten Gefolgsleuten für seinen Ständigen Ausschuss des Politbüros vor die im Saal wartenden Journalisten. Bis auf Xis neue innere Führung auf dem Podium waren alle anderen Covid-bedingt vermummt.   

Für die Vorstellung von Chinas neuer innerer Führung wählte Xi auf dem 18. und auf dem 19. Parteitag (2017) die “Östliche Halle” des Volkskongresses aus, mit der für China stehenden Großen Mauer als Hintergrundbild.
Zu seiner Vorstellung nach dem 20. Parteitag 2022 wählte Xi die “Goldene Halle” des Volkskongresses aus. Vor rotem Hintergrund und Hammer- und Sichel-Emblem als Symbol für die Macht der Partei.

Es war seine Demonstration unverhüllter imperialer Macht, bei der den Reportern nur die Rolle von Claqueuren zufiel. Xi wählte für das Treffen den “Goldenen Prunksaal” der Großen Halle des Volkes (人民大会堂金色大厅). 2012 und 2017 hatte dem Selbstdarsteller noch die “Östliche Große Halle” ( 东大厅 ) ausgereicht, mit ihrem Riesenwandbild der Großen Mauer, dem Symbol für China. Diesmal zelebrierte er seinen in TV live übertragenen Auftritt vor rot gefärbtem Hintergrund und dem Parteiemblem Hammer und Sichel. Soll heißen: Xi ist die personifizierte Macht der Partei.  

Ende 2012 hatte er sich als neuer Parteichef mit seinen Mannen im Schlepptau noch als “primus inter pares” vorgestellt. 2017 setzte er sich als “Kern” der Führung vom Kollektiv ab. Nun wuchs der 69-jährige Xi darüber hinaus. “Alleinherrscher Xi” schrieb die Weltpresse, und nennt die anderen Mitglieder des Politbüro-Ausschusses seine “Loyalisten.” Mutige Blogger verlangten spottend die Umbenennung des Ausschusses in “Xi-Sekretariat.”   

Fälschlicherweise wird Xis Auftritt vor Journalisten immer wieder als Pressekonferenz bezeichnet. Pekings amtliche Lesart spricht von “Begegnung mit in- und ausländischen Journalisten” (同中外记者见面). Seit Xi 2012 zum Parteichef Chinas aufgerückt ist, hat der Partei- und Staatschef weder Pressekonferenzen noch Interviews gegeben. 

Xi überlässt nichts dem Zufall

So entzog sich Xi auch diesmal wieder kniffligen Fragen der Presse, nicht nur solchen, die das Ausland interessiert hätten. Mutige chinesische Blogger wollten, im Katz und Maus-Spiel mit den Häschern der Zensur, von Xi wissen, warum er sich immer systematischer auf alte Seilschaften als seine neue Machtbasis stützt. Sie zählten vier seiner engen Mitarbeiter aus der Zeit als Provinzchef von Zhejiang 2003 bis 2007 auf, die er in die Parteispitze geholt hat. Neben Li Qiang (李强) und Cai Qi (蔡奇), die dem Politbüro-Ausschuss angehören, sind es Chen Min’er (陈敏尔) und Huang Kunming (黄坤明), die im Politbüro sitzen. Online machen Spitznamen wie Xis “Zhejiang-Club” oder seine “Shanghai-Fraktion” derzeit Furore. Im Netz kursiert eine Liste mit den Namen von 19 hohen Parteifunktionären, die mit Xi zu tun hatten, als er 2007 Parteichef von Shanghai war. Drei seien im Politbüro-Ausschuss gelandet, acht im Zentralkomitee, sieben seien ZK-Nachrücker und einer gehöre zu den ZK-Disziplinaraufsehern. 

2014 durften noch positiv gemeinte Karikaturen über Xi erscheinen. Hier Xi und sein chinesischer Traum auf dem Titelblatt der zur Volkszeitung gehörenden Zeitung “Satire und Humor”. Inzwischen dürfen auch solche Zeichnungen nicht mehr veröffentlicht werden. Sie vertragen sich nicht mit der Würde des “Kerns der Partei”.

Xi hat von Anfang an dafür gesorgt, dass es so kommt und hat alle Vorbereitungen, Wahlen und Beschlüsse des 20. Parteitags gelenkt und überwacht. Er erlaubte diese Woche seinem Propagandaapparat, erstaunliches zu enthüllen. Etwa, wie die Nominierung der 2300 Parteitagsdelegierten vor sich ging, wie die Neuwahl des ZK und der KP-Führer, oder zu welchen 50 Änderungen es in den Parteistatuten kam. Auf die einigte sich die Partei in elf Arbeitskonferenzen, bei denen jeweils Xi den Vorsitz hatte.    

Er überließ nichts dem Zufall, noch traute er parteiinternen Empfehlungen oder Nominierungen. Im März 2021 ließ er eine übergeordnete ZK-Sonderkommission zur Überprüfung der Nominierung aller 2300 Parteitags-Delegierten gründen. Er machte sich zum Leiter (2021年3月… 中央政治局会议 决定成立二十大干部考察领导小组,习近平总书记亲自担任组长). 45 Inspektoren-Gruppen des ZK und acht aus der Militärkommission durchforsteten für ihn monatelang Verhalten und Ansichten jedes Kandidaten überall in China. Es ging nicht nur darum, wie loyal sie Xi ergeben sind, sondern etwa auch, wie engagiert sie seinem Kurs folgen, um “feststellen zu können, ob sie den Mut haben und sich darauf verstehen, gegen die Sanktionen des Westens und der USA anzukämpfen und Chinas nationale Sicherheit zu verteidigen.” (注重了解在应对美西方制裁、维护国家安全等问题上是否敢于斗争、善于斗争)

Kein Wunder, dass alle Delegierten auf dem Parteitag mit Ja stimmten. Noch bedenklicher macht, dass Xinhua verrät, wie Entscheidungen über die Auswahl und Aufgaben einer Person vor allem “von dem kompletten System von Standards und perfektionierten Prozeduren der Partei abhängt und auf keinen Fall nur vom einfachen Wahlergebnis.” (党的领导和民主是统一的,不是对立的….不能简单以票取人”…我们党…有一套完整的体制,选人用人标准). 

Xi entpuppt sich als Kontrollfreak. Das mag der Grund sein, warum er weder chinesischen noch ausländischen Reportern freie Interviews gibt, die ein Element der Unberechenbarkeit enthalten. Als ihn CCTV 2017 überraschend einmal in einer Fragerunde mit russischen Korrespondenten zeigte, verriet mir ein Teilnehmer später: Sie hätten ihre Fragen vorher einreichen müssen, die ihnen von Xis Büro schriftlich beantwortet wurden. Bei einem kurze Foto-op tat Xi dann so, als höre und beantworte er sie zum ersten Mal.   

“Onkel Xi” sperrt die Macht in den Käfig des Rechts. Die Karikatur erschien auf dem Titelblatt der zur Volkszeitung gehörenden Zeitung “Satire und Humor”.

2014 erlebte ich, wie es einem Journalisten gelang, Xi spontan eine Frage zu stellen. Es war beim Besuch von US-Präsident Barack Obama. Nach acht Stunden Zwiegesprächen erzielten beide Präsidenten einen Durchbruch in ihrem monatelang verhandelten Klimaschutzabkommen. Die chinesische Seite willigte ein, dass Xi sowie Obama im Volkskongress im Anschluss an ihre Statements Fragen von Journalisten beantworten würden. Ausgemacht war, dass ein USA-Korrespondent Obama, und eine chinesische Journalistin Xi befragen dürften. Als Preis für Chinas Entgegenkommen wurde die Pressekonferenz nicht live im TV übertragen. 

So entging dem chinesischen TV-Publikum, dass sich New York Times-Reporter Mark Landler nicht an die Vereinbarung hielt. Er fragte zwar zuerst Obama, wandte sich dann aber plötzlich an Xi, wollte dessen Meinung zur Lage in Hongkong und zu Chinas Aufenthalts- und Visastopps für Peking nicht genehme US-Journalisten wissen.

Ich saß nur wenige Meter entfernt und sah, wie Xi in Erklärungsnot geriet. Er spielte auf Zeit, verlangte zuerst die nächste Frage einer chinesischen Journalistin zu hören, auf die er offenbar vorbereitet war. Nach langatmiger Antwort reagierte er auf Landler in rätselhafter Weise: “Wenn ein Auto auf der Straße zusammenbricht, sollten seine Insassen zuerst aussteigen, um nachzuschauen, wo das Problem liegt.” Dann zitierte er ein Sprichwort: “Derjenige, der dem Tiger eine Schelle übergestreift hat, soll sie ihm wieder abnehmen.” Es dauerte, bis die Zuhörer verstanden: Diejenigen, die das Problem verursacht (also China verärgert) hätten, sollten erstmal selbst nach einer Lösung suchen. 

Die Macht hat Xi verändert

Die Mischung aus der Befürchtung, sich eine Blöße geben zu können, gepaart mit Überheblichkeit, dass Xi als Führer Chinas es nicht nötig habe, scheint der Grund zu sein, dass er sich seit 2012 nicht interviewen lässt. Seine Vorgänger waren anders. Mao Zedong antwortete Edgar Snow selbst mitten in der fremdenfeindlichen Kulturrevolution. Deng Xiaoping stellte sich 1980 zwei Tage lang den bohrenden Fragen von Starjournalistin Oriana Fallaci. Solche Interviews sind bis heute spannende Lektüre.

Staatspräsident Jiang Zemin scheute sich nicht, am 2. Mai 1990, zehn Monate nach dem Tiananmen-Massaker, gegenüber US-Starjournalistin Barbara Walters und später gegenüber Mike Wallace in “60 Minutes” Stellung zu nehmen. Er lieferte sich 1998 in der Großen Halle des Volkes ein live übertragenes Rededuell mit US-Präsident Bill Clinton. Auch ich durfte als Pekinger Korrespondent 2001 Jiang zusammen mit meinem damaligen Chefredakteur für die Welt interviewen. Das war etwas Besonderes, aber normal. 

Seit seinem Machtantritt 2012 gibt Xi den Medien keine persönlichen Interviews. Das war bei seinen Vorgängern anders. Hier begrüßt Parteichef Jiang Zemin 2001 den damaligen Chefredakteur der Welt am Sonntag und (links) den Pekinger Korrespondenten der Zeitung in Zhongnanhai zum Interview.

Seit der Ära Xi ist alles anders geworden. Dabei hatte er es sich vor 2012 als Provinzführer erlaubt, offenherzig mit chinesischen Zeitungen und lokalen TV-Sendern zu sprechen. Doch mit immer mehr Macht veränderte sich Xi. Auf die Würde seiner Person bedacht, ließ er nach 2017 selbst positiv gemeinte, harmlose Karikaturen wieder verbieten, obwohl er sie zu Anfang seines Aufstiegs toleriert hatte. Zur gleichen Zeit begann er, immer ideologischer zu sprechen und zu schreiben. Peter Handkes sprichwörtliche Angst des Torwarts beim Elfmeter scheint beim “mächtigsten Mann der Welt” einzusetzen, sobald es um freie Interviews mit Medien und offen geführte Dialoge geht.   

  • 20. Parteitag
  • KP Chinas
  • Tiananmen-Massaker
  • Xi Jinping

Personalien

Alexander Klause hat bei Daimler China die Rolle des Senior Strategic Buyer für die Bereiche Powertrain und Electric Drive Units übernommen. Zuvor war er bei Daimler für das globale Beschaffungsmanagement der Kategorie eDrive zuständig. Für seine neue Rolle wechselt er von Stuttgart nach Peking.

Zhang Youxia und He Weidong wurden am Sonntag zu stellvertretenden Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission ernannt. Zhang gilt als enger Verbündeter von Xi Jinping. Er trat mit 18 Jahren in die Armee ein und diente während des chinesisch-vietnamesischen Krieges 1979 als Kompaniechef. Während Xis Amtszeit leitete Zhang die Allgemeine Rüstungsabteilung der Volksbefreiungsarmee, zu der auch Chinas Projekte der bemannten Raumfahrt gehören. He wiederum beaufsichtigte die Militärmanöver rund um Taiwan, die Peking im August aus Protest gegen den Besuch von Nancy Pelosi veranlasst hatte. Die Zentrale Militärkommission wird von Präsident Xi Jinping geleitet, der damit Chinas zwei Millionen Mann starker Volksbefreiungsarmee vorsteht.

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Dessert

Wer sich nicht ganz schnell im Schlick vergräbt, landet im Körbchen. In Tangdaowan, an der Westküste von Qingdao, haben sich hunderte Bewohner vor der Küste versammelt. Sie sammeln Austern, Shrimps und Krebse. Die Meeresfrüchte-Jagd muss aber schnell gehen, bevor das Meer nach wenigen Stunden wieder alles überspült.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Der lange Arm der chinesischen Polizei
    • Elmos-Verkauf schürt Ängste
    • Klimapolitik in Xis dritter Amtszeit
    • Termine der kommenden Woche
    • Neue Lockdown-Welle
    • Dramatische Lage in Foxconn-Werk
    • Peking will “friedliche Koexistenz” mit USA
    • C919 ab Dezember im Einsatz
    • Johnny Erling über Xis Angst vor freien Fragen
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    der Fall von zwei illegalen chinesischen Polizeistationen in den Niederlanden und der jüngste Angriff eines Botschaftsmitarbeiters in Manchester zeigen: Regimekritische Chinesen werden auch in Europa drangsaliert. China soll mindestens 54 Übersee-Polizeistationen in 30 Ländern betreiben. Den chinesischen Sicherheitsbehörden arbeiten wohl auch Botschaftsmitarbeiter oder Auslandsstudente zu. Marcel Grzanna berichtet in seiner Analyse unter anderem über einen chinesischen Dokumentarfilmer, der in Deutschland lebt und mit regelmäßigen Einschüchterungen umgehen muss. Die deutsche Polizei kann ihm nicht helfen – solange keine Straftat begangen wurde, ist sie machtlos.

    Nicht machtlos ist der deutsche Staat bei Investitionen in kritische Infrastruktur oder Unternehmen. Zumindest in der Theorie. Nachdem sich der Kanzler im Cosco-Debakel durchgesetzt und den Deal ermöglicht hat, ist die Aufmerksam von Medien und Öffentlichkeit geschärft. So rückt der nächste Fall ins Blickfeld: Die Übernahme einer Fabrik des Dortmunder Chipherstellers Elmos durch chinesische Investoren. Doch es gibt relevante Unterschiede, erklärt Finn Mayer-Kuckuk.

    Würde China den unbedingten Entschluss fassen, den Klimaschutz mit voller Kraft voranzutreiben – für die Welt wäre es ein riesiger Gewinn. Bald würden Technologien in Masse produziert und preiswerter werden. Emissionen würden erheblich gesenkt. Xis bisherige Klimapolitik wirkt auf den ersten Blick positiv. Das liegt auch daran, dass Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel ein wichtiger Faktor für den Machterhalt der Kommunistischen Partei darstellen. Aber überschätzen sollte man Xis Ambitionen nicht. Denn es gibt auch viele Rückschritte, wie Nico Beckert in seiner Klima-Analyse zu Xis dritter Amtszeit beleuchtet.

    Heute ist es undenkbar, aber es gab mal eine Zeit, in der Chinas Staatschefs ausführlich Interviews gaben. Hinter den Mauern von Pekings Machtzentrum Zhongnanhai ließ sich einst der damalige Staats- und Regierungschef Jiang Zemin befragen. Das Interview führte der damalige Welt-Korrespondent und heutige China.Table-Kolumnist Johnny Erling. Er hat spannende Video-Interviews und Anekdoten hervorgeholt. Sein Fazit: In der Ära von Xi Jinping ist durchgeplante Inszenierung alles.

    Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre bei diesen spannenden Themen. Und ein schönes Wochenende.

    Ihre
    Julia Fiedler
    Bild von Julia  Fiedler

    Analyse

    Illegale Jagd auf Dissidenten

    Polizeiopfer Yang Weidong mit Mutter Xue Yinxian.

    Mit der chinesischen Polizei hat Yang Weidong in seiner Vergangenheit schon reichlich zu tun gehabt. Als Dokumentarfilmer wurde er durch eine Serie Hunderter Interviews bekannt, die Chinas politische und gesellschaftliche Entwicklung kritisch beleuchtete. Das Projekt rückte ihn zunehmend in den Fokus der Sicherheitsbehörden.

    Das war nichts Neues für ihn. Schon nachdem seine Mutter, die Ärztin Xue Yinxian, über die Dopingpraktiken im chinesischen Sport ausgepackt hatte, musste sich die Familie an regelmäßige Besuche durch die Polizei gewöhnen. Zum Beispiel 2007, ein Jahr vor Olympia in Peking. Beamte warnten seine Mutter davor, über Doping in China zu sprechen. Es kam zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf der Vater auf den Kopf stürzte und drei Monate später verstarb.

    Seit einigen Jahren leben Mutter, Sohn und dessen Frau in Deutschland. Im Oktober 2017 erhielten sie politisches Asyl. Die chinesischen Sicherheitskräfte hat Yang Weidong dennoch weiterhin im Nacken. Nicht unmittelbar, sondern durch Mitarbeiter von Botschaft oder Konsulaten oder auch durch chinesische Auslandsstudenten. Yang erinnert sich, dass seine Frau und er einmal dicht bedrängt wurden von jungen Chinesen, die ihm sagten, man wisse, wo er wohne.

    “Sie wollen uns zermürben”

    “Hinter solchen Warnungen steckt die chinesische Polizei”, vermutet Yang im Gespräch mit China.Table. “Sie wollen uns Angst machen und zermürben, damit wir einknicken. Dafür benutzen sie unter anderem Studenten als Werkzeug”, sagt er. Dreimal hat Yang in den vergangenen zwölf Monaten die deutsche Polizei informiert. Seine Mutter, seine Frau und er fühlen sich bedroht. Doch die hiesigen Behörden seien machtlos, solange keine Straftat begangen werde, lautete die Antwort. Immerhin versprachen die Beamten, verstärkt Streife zu fahren in der Nähe des Wohnortes.

    Offenbar wissen die chinesischen Behörden über jeden Schritt und Tritt des Regimekritikers in Deutschland Bescheid, auch über die Anzeigen bei der Polizei. Im Juli rief Wang Weidongs Bruder aus Shandong an und riet ihm, die Mutter zurück in die Heimat zu bringen, statt mit den deutschen Behörden zu kooperieren.

    Dass die Sicherheitskräfte in der Volksrepublik informiert sind, ist laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Safeguard Defenders auch das Resultat illegaler chinesischer Polizeioperationen im Ausland. Die Organisation hat bislang 54 sogenannte Übersee-Polizeistationen (ÜPS) der Volksrepublik in 30 Staaten ausgemacht. Allein in Spanien, wo die Organisation ihren Sitz hat, identifizierte sie neun solcher Standorte. In Deutschland sei eine illegale ÜPS in Frankfurt ansässig.

    Hunderttausende Chinesen zur Rückkehr bewegt

    Nun veröffentlichten niederländische Medien Details über zwei Stationen in Holland. In Amsterdam seien zwei frühere chinesische Polizisten aus der bezirksfreien Stadt Lishui in Zhejiang im verschleierten Einsatz, berichtete der Fernsehsender RTL. In Rotterdam sei ein früherer Militär-Angehöriger in einem herkömmlichen Wohnblock für die Sicherheitsbehörden aus Fuzhou in Südchina aktiv. Das niederländische Außenministerium kündigte eine genaue Untersuchung an.

    Die Safeguard Defenders berichten, dass die informellen Polizeistationen anfänglich dafür eingerichtet worden seien, um Auslandschinesen vor Betrügereien durch ihre Landsleute zu bewahren. Vor allem Betrugsfälle per Telefon oder über das Internet in den chinesischen Auslandsgemeinden hätten massiv zugenommen. Die Behörden wollten Verdächtige zur Rückkehr nach China bewegen.

    So sei es allein im Zeitraum von April 2021 bis Juli 2022 gelungen, rund 230.000 Chinesinnen und Chinesen aus dem internationalen Ausland in die Volksrepublik zu lotsen. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, dem die Polizeikräfte generell unterstellt sind, hatte im April dieses Jahres öffentlich verkündet, dass die Operation ein voller Erfolg sei. Die Behörden bedienen sich nicht nur der Unterstützung von Studenten oder Mitarbeitern der Botschaft, sondern Organisationen der sogenannten Einheitsfront (China.Table berichtete).

    Chinas Polizei verstößt in Europa gegen Gesetze

    Diese ist fast so alt wie die Partei selbst und ist vornehmlich dafür verantwortlich, politischen Dissens im In-, aber zunehmend auch im Ausland zu marginalisieren. Unzählige chinesische Auslandsvereinigungen sorgen in Deutschland und fast jedem anderen Land der Welt dafür, dass Auslandschinesen nicht ausscheren, sondern nach außen hin stets die Parteilinie vertreten. Sie werden auch konkret instrumentalisiert, um bei ausländischen Partnern Informationen zu sammeln und ihrerseits zu streuen.

    In Peking scheint man sich im Recht zu fühlen. Europa sei sehr zögerlich, Kriminelle an China auszuliefern. “Ich wüsste nicht, was daran falsch sein sollte, Kriminelle unter Druck zu setzen, damit sie sich der Justiz stellen”, sagte ein Mitarbeiter des chinesischen Außenministeriums der spanischen Tageszeitung El Correo. Trotz fehlender Vereinbarungen sieht die Volksrepublik China offenbar Rechtfertigung genug, um internationales Recht zu brechen.

    Nicht öffentlich kommuniziert wird von den Behörden dagegen die Tatsache, dass es keineswegs nur Betrüger sind, die im Ausland aufgespürt werden, sondern auch politische Dissidenten wie Yang Weidong. Auch niederländische Medien berichten über Regimekritiker, die von den illegalen Polizeistationen unter Druck gesetzt worden sind. Laut Safeguard Defenders verstoßen die angewandten Methoden eindeutig gegen internationale Menschenrechtsgesetze und die territoriale Souveränität einzelner Länder.

    Innenministerium: Keine Toleranz

    Auch das Innenministerium in Berlin stellt klar, dass es kein bilaterales Abkommen zwischen Deutschland und China über den Betrieb der ÜPS gibt. Doch es weicht der Frage aus, ob es von den geheimen Operationen Kenntnis hat. “Die Bundesregierung toleriert nicht die Ausübung fremder Staatsgewalt und entsprechend verfügen chinesische Stellen über keinerlei Exekutivbefugnisse auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland”, heißt es. “Die Bundesregierung wirkt darauf hin, dass sich die chinesischen diplomatischen Vertretungen bei ihren Aktivitäten in Deutschland im Rahmen des Wiener Übereinkommens für diplomatische Beziehungen und des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen bewegen.”

    Wie genau das gelingen soll, bleibt fraglich. China nimmt sich mit zunehmender wirtschaftlicher Bedeutung immer öfter das Recht heraus, internationale Vereinbarungen zu brechen. Das Selbstverständnis machte kürzlich der chinesische Generalkonsul in Manchester deutlich (China.Table berichtete). Zuerst wurde er gegen einen pro-demokratischen Demonstranten aus Hongkong handgreiflich. Dann sagte er gegenüber britischen Medien, es sei die Pflicht eines jeden Diplomaten, so zu handeln. Schließlich sei sein Staatschef beleidigt worden.

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    Wie schwer wiegt die Elmos-Übernahme?

    Nur wenige Tage nach der Entscheidung über den Cosco-Einstieg in Hamburg löst eine weitere potenzielle Übernahme mit chinesischer Beteiligung eine neue Debatte aus. Es geht hier um den Kauf einer Fabrik des Dortmunder Halbleiterherstellers Elmos Semiconductor. Bereits im Dezember vergangenen Jahres hat das Unternehmen bekanntgegeben, seine Wafer-Fertigung an den schwedisch-chinesischen Konkurrenten Silex Microsystems abzutreten. Die Regierung will den Verkauf nun genehmigen, berichtet nun das Handelsblatt am Donnerstag aus Berliner Regierungskreisen. Die Übernahme ist genehmigungspflichtig.

    Die Regierung sieht in der Übernahme bisher offenbar kein Problem. Das hat eine Reihe von guten Gründen:

    • Die Technik von Elmos ist veraltet – China wird hier nichts Neues lernen.
    • Der Standort ist nicht sonderlich profitabel und würde ohne einen Investor möglicherweise nicht überleben.
    • Das Geschäft ist sehr klein; der Kaufpreis sollte lediglich 77,5 Millionen Euro betragen.
    • Elmos sollte Eigentümer der Gebäude bleiben und wird sie an den neuen Betreiber vermieten.
    • Silex Microsystems wurde in Schweden gegründet und wird weiterhin von dort verwaltet.

    Silex aus Järfälla bei Stockholm befindet sich jedoch in der Hand des chinesischen Chiphersteller Cellwise Microelectronics. Cellwise teile am Freitag mit, noch keinen Bescheid des Bundeswirtschaftsministeriums erhalten zu haben.

    Die Firma Elmos befindet sich derzeit nicht unbedingt im Aufwind, obwohl die Eckdaten zunächst vielversprechend klingen. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Chips, wie sie in der Autoindustrie zum Einsatz kommen. Ein Fokus des Unternehmens liegt auf Bausteinen, die einen festgeschriebenen Code ausführen. Damit unterscheiden sie sich von Prozessoren, die beliebigen Code ausführen können, und Speicherchips, die gar keinen Code ausführen können. Für Autos sind sie nützlich und zudem noch preiswert.

    Doch das Werk in Dortmund produziert Halbleiterbausteine mit 350 Nanometern Strukturbreite. Das wirkt heute sehr grob. Die technologische Front hat sich gerade auf 7 Nanometer Strukturbreite für hochleistungsfähige Chips verschoben. In der Autoindustrie kommen in fortschrittlichen Modellen derzeit typischerweise Chips mit 90 Nanometern Strukturbreite zum Einsatz, auch wenn das Segment mit über 250 Nanometern weiter eine erhebliche Rolle spielt.

    Die Genehmigung des Geschäfts spräche gegen den Trend, im Halbleitergeschäft mehr Produktion nach Europa zurückzuholen. Die EU und Deutschland setzen derzeit alle Hebel in Bewegung, um wieder mehr Halbleiterfertigung im Inland anzusiedeln (China.Table berichtete). Ein Werk aus der Hand zu geben, das ausgerechnet Chips für die gebeutelte Autoindustrie (China.Table berichtete) herstellt, passt da nicht ins Konzept.

    Satirische Titelseite der Tageszeitung taz zur derzeitigen Haltung gegenüber dem der Volksrepublik: Drogen sind OK, wenn sie bloß nicht aus China kommen.

    Seit Russlands Einmarsch in die Ukraine hat sich die Sensibilität für die Abhängigkeit von Autokratien zudem stark erhöht. In den kommenden Monaten sind weitere Diskussionen dieser Art zu erwarten, wenn Medien und Politiker weitere Beispiele für die Übertragung wichtiger Anlagegüter an fremde Mächte aufdecken (China.Table berichtete).

    TSMC kommt unter anderem wegen Auto-Chips

    Auto-Halbleiter bleiben derweil ein Thema, das Industrie und Regierung umtreibt. Der taiwanische Chip-Marktführer TSMC befindet sich in Gesprächen über die Ansiedlung einer Fabrik in der EU. Hier soll es unter anderem um die Arten von Chips gehen, die in den kommenden Jahren von der Fahrzeugindustrie nachgefragt werden. In der engeren Auswahl befindet sich derzeit eine Gewerbefläche bei Dresden (China.Table berichtete zuerst über den ostdeutschen Standort).

    In Japan errichtet TSMC bereits zusammen mit Sony ein Werk in Hinblick auf Abnehmer wie Toyota und Nissan. Ein TSMC-Werk in Deutschland befände sich nicht nur in einer anderen Größenordnung als die Elmos-Fabrik, sie befände sich auf einem völlig anderen Level. TSMC ist Technikführer mit Geschäftsbeziehungen zu Industriegrößen in allen Branchen.

    Das Misstrauen gegen China-Partnerschaften nimmt jedoch unabhängig davon zu. Der Bundesnachrichtendienst warnt dem Handelsblatt-Bericht zufolge davor, die Elmos-Fabrik an Silex abzugeben. Deutschland und die EU sind bisher gegenüber China noch vergleichsweise offen. Die US-Regierung unter Joe Biden hat bereits eine Blockade gegen die chinesische Halbleiterindustrie errichtet. Nicht nur Technikaustausch, auch gegenseitige Geschäfte sind kaum mehr möglich.

    Auch Anbieter aus Drittländern ziehen sich zum Teil aus China zurück, weil sie den Zorn der USA fürchten. So erwägt der südkoreanische Hersteller SK Hynix, seine Fabrik in Wuxi abzustoßen. Der Betrieb ist ohne Überschneidung mit US-Partnern kaum möglich. Die Übernahme eines US-Halbleiterstandorts durch einen chinesischen Spieler ist heute kaum noch denkbar. Selbst, wenn er so klein wäre wie Elmos in Dortmund.

    Wann greift das Ministerium ein, wann nicht?

    Der Fall Elmos weckt Erinnerungen an Aixtron, einen Mittelständler aus Aachen, der 2016 zum Verkauf stand. Das zuvor in der Öffentlichkeit unbekannte Unternehmen sollte für einen dreistelligen Millionenbetrag an den staatlichen Fujian Grand Chip Investment Fund aus Xiamen gehen. Das Wirtschaftsministerium bescheinigte der Übernahme zunächst die Unbedenklichkeit. Es war dann ein Veto aus Amerika, einem wichtigen Markt für Aixtron, das den Deal zu Fall brachte. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ließ die Investition erneut prüfen und untersagte sie diesmal.

    Aixtron ist zwar wertvoller und vitaler als Elmos. Doch die Lehre aus dem Vorgang war damals grundsätzlich, bei solchen Geschäften nochmals deutlich vorsichtiger zu prüfen, zumal der andere große Weckruf in Form der Übernahme des Roboterherstellers Kuka im gleichen Jahr begann. Heute ist Aixtron übrigens froh, nicht an den staatlichen Finanzinvestor mit den strategischen Hintergedanken verkauft worden zu sein. Das Unternehmen hat ohne chinesisches Geld seinen Weg in die Technik-Zukunft gefunden.

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    Xis dritte Amtszeit: Klima wichtig, Wachstum wichtiger

    Die Politik von Chinas Staatschef Xi Jinping sorgt unter Klimaschutzaktivisten für Hoffnungen und Ängste gleichermaßen

    Die Klima-Bilanz von Chinas neuem und alten KP-Generalsekretär Xi Jinping sieht auf den ersten Blick sehr erfolgreich aus. In seinen neuneinhalb Jahren als Staatschef hat China:

    • in den letzten vier Quartalen die CO2-Emissionen gesenkt
    • allein im vergangenen Jahr so viele neue Wind- und Solar-Kapazitäten zugebaut, wie ganz Deutschland insgesamt vorweisen kann
    • im September 2020 seine Klimaziele verkündet: Ab 2030 die CO2-Emissionen nicht weiter steigen zu lassen
    • und 2060 CO2-Neutralität zu erreichen
    • im September 2021 vor der UNO verkündet, keine neuen Kohlekraftwerke mehr im Ausland zu bauen (Climate.Table berichtete)

    “Klimaschutz wichtig für den Machterhalt”

    Doch Fachleute warnen davor, Chinas grüne Ambitionen zu überschätzen. Aus ihrer Sicht dient die Umwelt- und Klimapolitik unter Xi dem Machterhalt der Kommunistischen Partei; der CO₂-Rückgang beruht teilweise auf der Covid-Krise; der Wachstumszwang der Wirtschaft ist weiter ungebrochen. Die Kohlelobby ist immer noch stark. Und auf dem anstehenden UN-Klimagipfel (COP27) ist von China wohl keine entscheidende Bewegung zu erwarten.

    Die Verringerung der CO₂-Emissionen und der langfristige Kohleausstieg “gehören auf jeden Fall zu den wichtigsten Punkten auf Xis politischer Agenda”, sagt Nis Grünberg, Analyst des China-Think-Tanks Merics. “Xi sieht den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel als eine Voraussetzung für den langfristigen Machterhalt der Partei und der jetzigen Regierungsform”.

    Vier Quartale mit sinkenden Emissionen

    Immerhin: Seit Xis Amtsantritt 2013 sind die CO₂-Emissionen weniger stark gestiegen als in den Jahren zuvor. In den letzten vier Quartalen sanken sie sogar leicht (China.Table berichtete). Der Kohleverbrauch wurde – auf einem hohen Niveau – stabilisiert. Und die Erneuerbaren Energien werden in rasanter Geschwindigkeit ausgebaut.

    China: CO2-Emissionen sinken 4. Quartal in Folge

    Allerdings sind das alles relative Erfolge. Die Emissionen Chinas lagen laut Berechnungen von Carbon Brief auch im März 2022 noch bei fast 12,2 Milliarden Tonnen CO₂. In zwei der letzten vier Quartale war der Rückgang nur minimal (siehe Grafik). Die pro-Kopf-Emissionen liegen seit 2018 über dem EU-Schnitt. China ist inzwischen weltweit auch historisch der zweitgrößte Verschmutzer.

    Der Erfolg bei den sinkenden CO2-Emissionen beruht zu Teilen auch auf der Immobilien-Krise und den regelmäßigen Covid-Lockdowns. Ob sich der Rückgang weiter fortsetzt, ist offen.

    60 Aktionspläne: Intern ist Klimapolitik wichtig

    Der schnelle Ausbau der Erneuerbaren bietet eine große Chance, sind sich Lauri Myllyvirta und Xing Zhang, China-Expert:innen beim Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) sicher. Er könnte sogar so schnell gehen, dass die zusätzliche Energienachfrage der kommenden Jahre komplett durch saubere Energieträger gedeckt werden könnte. Dafür darf die Stromnachfrage aber nicht stärker als vier Prozent pro Jahr wachsen.

    Intern gilt Klimapolitik in China als wichtig. Seit Verkünden der Klimaziele haben die Zentralregierung und die Provinzen mehr als 60 Aktionspläne für die einzelnen Sektoren herausgegeben. Auf der internationalen Ebene und der COP27 wird es aber vermutlich keine größeren neuen Versprechen geben. Der Klimasondergesandte Xie Zhenhua sagte jüngst, die Implementierung und Umsetzung bestehender Klimaziele müsse bei der COP im Fokus stehen (China.Table berichtete).

    Xi Jinping selbst sucht die COP bisher nicht als große Bühne. Seine großen Klimapläne – die 2030/60-Ziele und den Kohleausstieg im Ausland – hat er vor der UN-Vollversammlung verkündet. China will sich nicht auf der COP von anderen Ländern drängen lassen, sondern vor dem heimischen Publikum als eigenständiger Akteur wahrgenommen werden.

    Bei COP wenig zu erwarten – Methan-Strategie steht noch aus

    Auch das Klimathema muss sich Xis geopolitischer Strategie unterordnen. Noch auf der COP26 in Glasgow verkündete der chinesische Delegationsleiter Xie, dass die Volksrepublik trotz aller geopolitischen Spannungen an den Klima-Gesprächen mit den USA festhalten werde. Ein halbes Jahr später, nach dem umstrittenen Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Taiwan, setzte China diese Gespräche aus. Sie könnten jetzt auf der COP27 möglicherweise wieder aufgenommen werden.

    Allerdings will China noch in diesem Jahr eine Strategie zur Reduzierung der Methanemissionen vorstellen. “Das ist der zusätzliche Beitrag Chinas über unsere NDCs hinaus”, sagte Xie kürzlich in einem Interview. Die Methanemissionen im Öl- und Gassektor sowie der Landwirtschaft und der Abfallentsorgung sollen “kontrolliert” werden, so Xie. Den Kohle-Sektor, der den größten Teil der Methan-Emissionen verursachte, nannte Xie nicht.

    Krisen könnten nächsten Fünfjahresplan beeinflussen

    Auch hinsichtlich einer dritten Amtszeit Xis sind Analysten nicht allzu optimistisch, dass sich China schneller in Richtung Paris-Konformität bewegen wird. Die Erneuerbaren Energien werden wahrscheinlich noch schneller ausgebaut. Aber die Kohle wird mittelfristig ein wichtiger Bestandteil der Energieversorgung bleiben. Ob es beim Klimaschutz eine Beschleunigung geben wird, “wird aber auch von realpolitischen Faktoren getrieben, seien es Wirtschaftskrisen oder internationale Spannungen”, sagt Grünberg. “Je unsicherer die Gesamtlage, desto unsicherer wird auch die grüne Wende”.

    Die zunehmenden Konflikte zwischen China und den USA sowie der EU könnten kaum zu einem ungünstigeren Zeitpunkt kommen. Denn schon im nächsten Jahr starten die internen Debatten um den nächsten Fünfjahresplan Chinas. Falls die geopolitischen Spannungen und die Corona- und Wirtschaftskrise innerhalb Chinas anhalten, könnten Pekings Klima-Ambitionen für den nächsten Fünfjahresplan gering ausfallen. Sollte China dann noch immer keine konkreten Zahlen für den Emissionspeak bis 2030 benennen, um sich klima- und industriepolitische Spielräume zu erhalten, wird der Pfad ab 2030 hin zur Klimaneutralität noch steiler als er ohnehin schon ist.

    China und der Klimawandel: Im Vergleich mit der EU, den USA und Indien ist zu sehen, dass die Emissionen stark verringert werden müssen, um de Klimaziele zu erreichen.

    Versäumnisse bei der Energiewende und Stärke der Kohle-Lobby

    Xi ist zwar der mächtigste Mann Chinas und hat die Macht im letzten Jahrzehnt immer stärker auf seine Person konzentriert. Doch beim Klimaschutz kann und will er nicht durchregieren. Die Volksrepublik ist noch immer zu abhängig von der Kohle. Dabei hätte das Land den Willen, die technischen Möglichkeiten und die Unterstützung der führenden Politiker, um die Energiewende schneller voranzubringen, so Grünberg von Merics. “Das ist auch eines der Ziele, die Xi Jinping persönlich wichtig sind”, sagt der Forscher. “Doch die Kohle-Lobby schafft es bei jeder Krise, sei es die Hitzewelle dieses Jahr oder die Stromkrise 2021, Kohle als die sicherste Basis des Energiesystems zu forcieren, und damit den Ausstieg zu verzögern”.

    Auch seien Reformen des Strommarktes zu langsam vorangetrieben worden. “In diesem Bereich hätte China sehr viel erreichen können bei der Senkung der CO₂-Emissionen”, so Grünberg. Die Kohle hatte jahrelang Vorrang in Chinas Energiesystem. Das liegt auch an den mächtigen Interessen der Kohleindustrie und der Provinzen. Letztere wirken als Bindeglied zwischen der Zentralregierung und der lokalen Ebene, auf der die Klimapolitik häufig umgesetzt wird. Die Provinzen verfolgen dabei auch eigene Ziele und können beispielsweise den Kohleausstieg verlangsamen.

    Wachstum ist zentrale Legitimation der Regierung

    Und auch Xi muss unterschiedliche Ziele unter einen Hut bringen: Das Wirtschaftswachstum ist die zentrale Legitimation seiner Regierung und der Kommunistischen Partei. Die sichere Stromversorgung der Industrie und der Klimaschutz stehen auf seiner Agenda ähnlich weit oben. In Krisenzeiten sind Wachstum und Energiesicherheit jedoch wichtiger. In den CO₂-intensiven Branchen Kohle, Bau und Schwerindustrie sind über 60 Millionen Menschen beschäftigt (China.Table berichtete). Wiederholt mahnt Xi in politischen Reden einen vorsichtigen Wandel an. “Das Neue muss erst erschaffen werden, bevor das Alte weggeworfen wird”, sagte er auf dem jüngsten Parteitag zu Chinas Energieversorgung.

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    Termine

    31.10.2022, 18:00 Uhr (01:00 Uhr Beijing time)
    SOAS China-Institute, Webinar: Reinventing the Belt and Road Mehr

    02.11.2022, 17:00 Uhr (0:00 Uhr Beijing time)
    Fairbank Center for Chinese Studies, Webinar: Critical Issues Confronting China featuring Winston Ma – Blockchain Technology, Crypto Regulation, and US-China Competition for Digital Currency Supremacy Mehr

    02.11.2022, 16 Uhr
    Deutsch-Chinesische Wirtschaftsvereinigung e.V., Vortrag: Joint Ventures in China: Revival oder Einbahnstraße? Mehr

    02.11.2022, 18:30 Uhr (01:30 Uhr Beijing time)
    Konfuzius-Institut Bremen, Vortrag: Dr. Jürgen Schoer: “Ökonomische Grundlagen einer neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts” Mehr

    03.11.2022, 21:00 Uhr
    Fairbank Center for Chinese Studies, Webinar: Modern China Lecture Series featuring Taisu Zhang: The Ideological Foundations of Qing Taxation: Belief Systems, Politics, and Institutions Mehr

    03.11.2022, 02:20 Uhr (09:20 Uhr Beijing time)
    South China Morning Post, Konferenz: Hongkong – ASEAN Summit 2022 Mehr

    04.11.2022, 15:00 Uhr (22:00 Uhr Beijing time)
    Washington International Trade Association, Webinar: No Chips for You! America’s New Export Controls on Semiconductors and Their Implications for Global Trade Mehr

    News

    Lockdown wird verschärft – Proteste in Tibet

    In mehreren Städten und Regionen Chinas sind neue Lockdowns in Kraft getreten. Bestehende Maßnahmen zur Virus-Eindämmung wurden verschärft. Nachdem die Gesundheitsbehörden am Donnerstag den dritten Tag in Folge jeweils mehr als 1000 neue Covid-19-Fälle gemeldet hatten, wurden Viertel und Straßenzüge in mehreren Städten als Hochrisikogebiete abgeriegelt. Menschen dürfen ihre Wohnungen dort teilweise nicht mehr verlassen.

    Zu den am stärksten von den Lockdown-Regeln betroffenen Kommunen zählen das wirtschaftsstarke Guangzhou im Süden, das Corona-Epizentrum Wuhan sowie Xining, die Hauptstadt der Provinz Qinghai. Bereits zu Wochenbeginn waren in 28 chinesischen Städten mehr oder weniger strenge Lockdowns in Kraft. Den Analysten des Finanzinstituts Nomura zufolge waren damit rund 207,7 Millionen Menschen in Regionen betroffen, die etwa 25,6 Billionen Yuan (rund 3,5 Billionen Euro) oder rund ein Viertel des chinesischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften.

    Wie BBC berichtet, haben in Lhasa am Mittwochnachmittag hunderte Menschen gegen die strikten Corona-Maßnahmen protestiert. Bei den Demonstranten soll es sich demnach in der Mehrzahl um Han-Chinesen gehandelt haben. Die tibetische Hauptstadt steht seit drei Monaten unter einem Lockdown. Seit 2008 kam es hier nicht mehr zu Protesten dieser Größenordnung. rtr/fpe

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    Foxconn-Mitarbeiter ohne Essen und Medikamente

    Nach Informationen der “Financial Times” ist die Lage nach dem Covid-Ausbruch in der weltweit größten iPhone-Fabrik in Zhengzhou dramatischer als bisher bekannt. Unter Berufung auf Videomaterial berichtet die Zeitung, dass es den Mitarbeitern bereits an Essen und Medikamenten mangelt. Die Videos, mit denen die Betroffenen an die Öffentlichkeit gehen wollten, wurden von den chinesischen Behörden gelöscht.

    Mitte der Woche hatte der Apple-Zulieferer Foxconn erklärt, aufgrund von 23 Corona-Fällen die Produktion drosseln zu müssen. Zudem habe das Unternehmen die Kantinen des Werks geschlossen und die Schlafsäle abgeriegelt. In dem für Apple wichtigen Werk arbeiten rund 300.000 Mitarbeiter. Die Beschäftigten dürfen das Werksgelände seit fast drei Wochen nicht mehr verlassen. Laut Financial Times sind mehrere zehntausend Mitarbeiter mit Corona infiziert. fpe

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    Versöhnliche Töne Richtung Washington

    Xi Jinping hat sich für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den USA und China ausgesprochen. Das berichtet die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua. In seiner Gratulationsnachricht zum jährlichen Gala-Dinner der amerikanischen Stiftung National Committee on U.S.-China Relations schrieb er, dass China bereit sei, mit den USA in der neuen Ära “in gegenseitigem Respekt und friedlicher Koexistenz” zusammenzuarbeiten. Eine Stärkung der Kommunikation und Kooperation zwischen den Weltmächten würde helfen, die globale Stabilität und Sicherheit zu erhöhen sowie Weltfrieden und Entwicklung zu fördern.

    Die Stimmung zwischen Peking und Washington ist aktuell sehr angespannt. Neben den weit entfernt liegenden Standpunkten der beiden Länder zu Russlands Krieg in der Ukraine und zu Taiwan liegt dies unter anderem auch an den scharfen Chip-Regulierungen der US-Regierung. Diese werden massive Auswirkungen auf den Sektor in China haben und stellen damit ein Hemmnis für Chinas Entwicklung dar (China.Table berichtete).

    Auch Joe Biden äußerte sich zu den Beziehungen. Bei einem Treffen mit Mitarbeitern des US-Verteidigungsministeriums sagte er, dass die USA ihren militärischen Vorsprung behalten müssten, aber keinen Konflikt anstreben. Die USA suchten jedoch den Wettbewerb mit China, der auch heftig ausfallen könne, so Biden.

    In wenigen Wochen gibt es möglicherweise ein Treffen der beiden Staatsmänner. Beide werden beim G20-Gipfel auf Bali erwartet. Bestätigt ist das Treffen aber noch nicht. jul

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    Mit Verspätung: Die C919 hebt ab

    Das erste vollständig in China entwickelte Passagierflugzeug Comac C919 geht im Dezember in Betrieb. Das berichtet das Luftfahrtportal Aerotelegraph. Die China-Eastern-Tochter OTT wird den Flieger demnach Mitte Dezember in Empfang nehmen.

    Der Flugzeughersteller Comac erhielt die Musterzulassung und damit die Erlaubnis zur Auslieferung Ende September, deutlich später als geplant. Ihren Jungfernflug absolvierte die Maschine bereits 2017. Eigentlich sollte die C919 bereits 2016 in Betrieb gehen. Neben den erheblichen Verzögerungen schoss auch der Preis in die Höhe. Das Flugzeug soll etwa doppelt so viel kosten wie geplant, umgerechnet 95 Millionen Euro (China.Table berichtete). Die C919 ist damit aber immer noch deutlich günstiger als andere Modelle in ihrem Segment und kostet fast 20 Prozent weniger als Airbus 320 Neo oder Boeing 737 Max.

    Bisher sollen 815 Bestellungen von 28 Kunden vorliegen, alle aus China. Die Volksrepublik ist der größte Flugzeugmarkt der Welt. Experten schätzen, dass das Land in den kommenden beiden Jahrzehnten 4.300 neue Flugzeuge im Wert von 480 Milliarden US-Dollar benötigt. jul

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    Presseschau

    “Aggressive Bemühungen”: USA halten China trotz Russlands Krieg für größte Gefahr N-TV
    Schreiben von Xi Jinping: China fordert bessere Zusammenarbeit mit USA ZDF
    Biden administration expects deal with allies on China export curbs soon REUTERS
    Deutschland hält am Taiwan-Tabu fest – und beugt das Knie vor Xi WELT
    Chip-Hersteller: Bundesregierung will offenbar weiteren China-Deal genehmigen WELT
    “Beziehungen zu China sind wichtig für die deutsche Wirtschaft”, betont der BASF-Chef WELT
    Siemens riskiert eine neue China-Abhängigkeit HANDELSBLATT
    Griechenland: Im Hafen von Piräus ist China der Boss DW
    Steigende Corona-Infektionen: Neue Lockdown-Welle in China TAGESSCHAU
    Null-Covid-Chaos bei Foxconn: Eingeschlossene Arbeiter in China betteln um Essen N-TV
    China Covid: Videos emerge of rare protests in Tibet BBC
    Russia’s Lavrov holds call with Chinese counterpart, thanks for support on Ukraine REUTERS
    China can use its leverage with Russia to prevent a nuclear war FT
    Trumpf-Chefin zu China: “Attacke auf Taiwan muss die rote Linie sein” FAZ
    Taiwan Braces for ‘Grim’ Times After China’s Xi Extends Power WSJ
    Russia’s Sechin says Taiwan will return to China “on schedule” REUTERS
    Größter Schadstoffemittent der Welt: Die Klimabilanz des Xi Jinping RND
    Ireland orders China to shut illegal ‘police station’ in Dublin POLITICO
    iPhone-Absatz steigt in China, während alle andere großen Marken rückläufig sind MACERKOPF
    China’s Huawei slows its long decline under U.S. sanctions as revenues improve REUTERS

    Kolumne

    Die Angst des Tormanns Xi vor freien Fragen

    Von Johnny Erling
    Johnny Erling schreibt die Kolumne für die China.Table Professional Briefings

    Gemeinhin wird Xi Jinping in ausländischen Biografien heute als “der mächtigste Mann der Welt” beschrieben. Das ist erst recht so, seit er auf dem 20. Parteitag seine Amtszeit um weitere fünf Jahre verlängern und alle wichtigen Parteiämter mit engen Gefolgsleuten besetzen konnte. Zum zweiten Mal in seiner Amtszeit hat Xi die Partei-Verfassung ändern lassen und lässt nun alle 97 Millionen KP-Mitglieder doppelt darauf einschwören, ihn als “Kern und zugleich die zentrale Autorität der Parteiführung” zu verteidigen (两个维护). Seit seinem unaufhaltsamen Aufstieg zur absoluten Macht verweigert sich Xi jedoch allen Interviews oder öffentlichen Dialogen, offenbar aus Furcht, sich Blöße geben zu können. Alles ist bei ihm minutiös inszeniert. Das zeigte sich auch beim jüngsten Parteitag, den er, offenbar um Risiken zu vermeiden, bis ins letzte Detail vorbereiten ließ.    

    Die ritualisierte Szene wiederholt sich alle fünf Jahre. Und auch vergangenen Sonntag spielte sie wieder im Volkskongress – sicherlich nicht zum letzten Mal. Sofort nach Ende des 20. Parteitags trat der auf weitere fünf Jahre bestätigte Parteichef mit sechs auserwählten Gefolgsleuten für seinen Ständigen Ausschuss des Politbüros vor die im Saal wartenden Journalisten. Bis auf Xis neue innere Führung auf dem Podium waren alle anderen Covid-bedingt vermummt.   

    Für die Vorstellung von Chinas neuer innerer Führung wählte Xi auf dem 18. und auf dem 19. Parteitag (2017) die “Östliche Halle” des Volkskongresses aus, mit der für China stehenden Großen Mauer als Hintergrundbild.
    Zu seiner Vorstellung nach dem 20. Parteitag 2022 wählte Xi die “Goldene Halle” des Volkskongresses aus. Vor rotem Hintergrund und Hammer- und Sichel-Emblem als Symbol für die Macht der Partei.

    Es war seine Demonstration unverhüllter imperialer Macht, bei der den Reportern nur die Rolle von Claqueuren zufiel. Xi wählte für das Treffen den “Goldenen Prunksaal” der Großen Halle des Volkes (人民大会堂金色大厅). 2012 und 2017 hatte dem Selbstdarsteller noch die “Östliche Große Halle” ( 东大厅 ) ausgereicht, mit ihrem Riesenwandbild der Großen Mauer, dem Symbol für China. Diesmal zelebrierte er seinen in TV live übertragenen Auftritt vor rot gefärbtem Hintergrund und dem Parteiemblem Hammer und Sichel. Soll heißen: Xi ist die personifizierte Macht der Partei.  

    Ende 2012 hatte er sich als neuer Parteichef mit seinen Mannen im Schlepptau noch als “primus inter pares” vorgestellt. 2017 setzte er sich als “Kern” der Führung vom Kollektiv ab. Nun wuchs der 69-jährige Xi darüber hinaus. “Alleinherrscher Xi” schrieb die Weltpresse, und nennt die anderen Mitglieder des Politbüro-Ausschusses seine “Loyalisten.” Mutige Blogger verlangten spottend die Umbenennung des Ausschusses in “Xi-Sekretariat.”   

    Fälschlicherweise wird Xis Auftritt vor Journalisten immer wieder als Pressekonferenz bezeichnet. Pekings amtliche Lesart spricht von “Begegnung mit in- und ausländischen Journalisten” (同中外记者见面). Seit Xi 2012 zum Parteichef Chinas aufgerückt ist, hat der Partei- und Staatschef weder Pressekonferenzen noch Interviews gegeben. 

    Xi überlässt nichts dem Zufall

    So entzog sich Xi auch diesmal wieder kniffligen Fragen der Presse, nicht nur solchen, die das Ausland interessiert hätten. Mutige chinesische Blogger wollten, im Katz und Maus-Spiel mit den Häschern der Zensur, von Xi wissen, warum er sich immer systematischer auf alte Seilschaften als seine neue Machtbasis stützt. Sie zählten vier seiner engen Mitarbeiter aus der Zeit als Provinzchef von Zhejiang 2003 bis 2007 auf, die er in die Parteispitze geholt hat. Neben Li Qiang (李强) und Cai Qi (蔡奇), die dem Politbüro-Ausschuss angehören, sind es Chen Min’er (陈敏尔) und Huang Kunming (黄坤明), die im Politbüro sitzen. Online machen Spitznamen wie Xis “Zhejiang-Club” oder seine “Shanghai-Fraktion” derzeit Furore. Im Netz kursiert eine Liste mit den Namen von 19 hohen Parteifunktionären, die mit Xi zu tun hatten, als er 2007 Parteichef von Shanghai war. Drei seien im Politbüro-Ausschuss gelandet, acht im Zentralkomitee, sieben seien ZK-Nachrücker und einer gehöre zu den ZK-Disziplinaraufsehern. 

    2014 durften noch positiv gemeinte Karikaturen über Xi erscheinen. Hier Xi und sein chinesischer Traum auf dem Titelblatt der zur Volkszeitung gehörenden Zeitung “Satire und Humor”. Inzwischen dürfen auch solche Zeichnungen nicht mehr veröffentlicht werden. Sie vertragen sich nicht mit der Würde des “Kerns der Partei”.

    Xi hat von Anfang an dafür gesorgt, dass es so kommt und hat alle Vorbereitungen, Wahlen und Beschlüsse des 20. Parteitags gelenkt und überwacht. Er erlaubte diese Woche seinem Propagandaapparat, erstaunliches zu enthüllen. Etwa, wie die Nominierung der 2300 Parteitagsdelegierten vor sich ging, wie die Neuwahl des ZK und der KP-Führer, oder zu welchen 50 Änderungen es in den Parteistatuten kam. Auf die einigte sich die Partei in elf Arbeitskonferenzen, bei denen jeweils Xi den Vorsitz hatte.    

    Er überließ nichts dem Zufall, noch traute er parteiinternen Empfehlungen oder Nominierungen. Im März 2021 ließ er eine übergeordnete ZK-Sonderkommission zur Überprüfung der Nominierung aller 2300 Parteitags-Delegierten gründen. Er machte sich zum Leiter (2021年3月… 中央政治局会议 决定成立二十大干部考察领导小组,习近平总书记亲自担任组长). 45 Inspektoren-Gruppen des ZK und acht aus der Militärkommission durchforsteten für ihn monatelang Verhalten und Ansichten jedes Kandidaten überall in China. Es ging nicht nur darum, wie loyal sie Xi ergeben sind, sondern etwa auch, wie engagiert sie seinem Kurs folgen, um “feststellen zu können, ob sie den Mut haben und sich darauf verstehen, gegen die Sanktionen des Westens und der USA anzukämpfen und Chinas nationale Sicherheit zu verteidigen.” (注重了解在应对美西方制裁、维护国家安全等问题上是否敢于斗争、善于斗争)

    Kein Wunder, dass alle Delegierten auf dem Parteitag mit Ja stimmten. Noch bedenklicher macht, dass Xinhua verrät, wie Entscheidungen über die Auswahl und Aufgaben einer Person vor allem “von dem kompletten System von Standards und perfektionierten Prozeduren der Partei abhängt und auf keinen Fall nur vom einfachen Wahlergebnis.” (党的领导和民主是统一的,不是对立的….不能简单以票取人”…我们党…有一套完整的体制,选人用人标准). 

    Xi entpuppt sich als Kontrollfreak. Das mag der Grund sein, warum er weder chinesischen noch ausländischen Reportern freie Interviews gibt, die ein Element der Unberechenbarkeit enthalten. Als ihn CCTV 2017 überraschend einmal in einer Fragerunde mit russischen Korrespondenten zeigte, verriet mir ein Teilnehmer später: Sie hätten ihre Fragen vorher einreichen müssen, die ihnen von Xis Büro schriftlich beantwortet wurden. Bei einem kurze Foto-op tat Xi dann so, als höre und beantworte er sie zum ersten Mal.   

    “Onkel Xi” sperrt die Macht in den Käfig des Rechts. Die Karikatur erschien auf dem Titelblatt der zur Volkszeitung gehörenden Zeitung “Satire und Humor”.

    2014 erlebte ich, wie es einem Journalisten gelang, Xi spontan eine Frage zu stellen. Es war beim Besuch von US-Präsident Barack Obama. Nach acht Stunden Zwiegesprächen erzielten beide Präsidenten einen Durchbruch in ihrem monatelang verhandelten Klimaschutzabkommen. Die chinesische Seite willigte ein, dass Xi sowie Obama im Volkskongress im Anschluss an ihre Statements Fragen von Journalisten beantworten würden. Ausgemacht war, dass ein USA-Korrespondent Obama, und eine chinesische Journalistin Xi befragen dürften. Als Preis für Chinas Entgegenkommen wurde die Pressekonferenz nicht live im TV übertragen. 

    So entging dem chinesischen TV-Publikum, dass sich New York Times-Reporter Mark Landler nicht an die Vereinbarung hielt. Er fragte zwar zuerst Obama, wandte sich dann aber plötzlich an Xi, wollte dessen Meinung zur Lage in Hongkong und zu Chinas Aufenthalts- und Visastopps für Peking nicht genehme US-Journalisten wissen.

    Ich saß nur wenige Meter entfernt und sah, wie Xi in Erklärungsnot geriet. Er spielte auf Zeit, verlangte zuerst die nächste Frage einer chinesischen Journalistin zu hören, auf die er offenbar vorbereitet war. Nach langatmiger Antwort reagierte er auf Landler in rätselhafter Weise: “Wenn ein Auto auf der Straße zusammenbricht, sollten seine Insassen zuerst aussteigen, um nachzuschauen, wo das Problem liegt.” Dann zitierte er ein Sprichwort: “Derjenige, der dem Tiger eine Schelle übergestreift hat, soll sie ihm wieder abnehmen.” Es dauerte, bis die Zuhörer verstanden: Diejenigen, die das Problem verursacht (also China verärgert) hätten, sollten erstmal selbst nach einer Lösung suchen. 

    Die Macht hat Xi verändert

    Die Mischung aus der Befürchtung, sich eine Blöße geben zu können, gepaart mit Überheblichkeit, dass Xi als Führer Chinas es nicht nötig habe, scheint der Grund zu sein, dass er sich seit 2012 nicht interviewen lässt. Seine Vorgänger waren anders. Mao Zedong antwortete Edgar Snow selbst mitten in der fremdenfeindlichen Kulturrevolution. Deng Xiaoping stellte sich 1980 zwei Tage lang den bohrenden Fragen von Starjournalistin Oriana Fallaci. Solche Interviews sind bis heute spannende Lektüre.

    Staatspräsident Jiang Zemin scheute sich nicht, am 2. Mai 1990, zehn Monate nach dem Tiananmen-Massaker, gegenüber US-Starjournalistin Barbara Walters und später gegenüber Mike Wallace in “60 Minutes” Stellung zu nehmen. Er lieferte sich 1998 in der Großen Halle des Volkes ein live übertragenes Rededuell mit US-Präsident Bill Clinton. Auch ich durfte als Pekinger Korrespondent 2001 Jiang zusammen mit meinem damaligen Chefredakteur für die Welt interviewen. Das war etwas Besonderes, aber normal. 

    Seit seinem Machtantritt 2012 gibt Xi den Medien keine persönlichen Interviews. Das war bei seinen Vorgängern anders. Hier begrüßt Parteichef Jiang Zemin 2001 den damaligen Chefredakteur der Welt am Sonntag und (links) den Pekinger Korrespondenten der Zeitung in Zhongnanhai zum Interview.

    Seit der Ära Xi ist alles anders geworden. Dabei hatte er es sich vor 2012 als Provinzführer erlaubt, offenherzig mit chinesischen Zeitungen und lokalen TV-Sendern zu sprechen. Doch mit immer mehr Macht veränderte sich Xi. Auf die Würde seiner Person bedacht, ließ er nach 2017 selbst positiv gemeinte, harmlose Karikaturen wieder verbieten, obwohl er sie zu Anfang seines Aufstiegs toleriert hatte. Zur gleichen Zeit begann er, immer ideologischer zu sprechen und zu schreiben. Peter Handkes sprichwörtliche Angst des Torwarts beim Elfmeter scheint beim “mächtigsten Mann der Welt” einzusetzen, sobald es um freie Interviews mit Medien und offen geführte Dialoge geht.   

    • 20. Parteitag
    • KP Chinas
    • Tiananmen-Massaker
    • Xi Jinping

    Personalien

    Alexander Klause hat bei Daimler China die Rolle des Senior Strategic Buyer für die Bereiche Powertrain und Electric Drive Units übernommen. Zuvor war er bei Daimler für das globale Beschaffungsmanagement der Kategorie eDrive zuständig. Für seine neue Rolle wechselt er von Stuttgart nach Peking.

    Zhang Youxia und He Weidong wurden am Sonntag zu stellvertretenden Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission ernannt. Zhang gilt als enger Verbündeter von Xi Jinping. Er trat mit 18 Jahren in die Armee ein und diente während des chinesisch-vietnamesischen Krieges 1979 als Kompaniechef. Während Xis Amtszeit leitete Zhang die Allgemeine Rüstungsabteilung der Volksbefreiungsarmee, zu der auch Chinas Projekte der bemannten Raumfahrt gehören. He wiederum beaufsichtigte die Militärmanöver rund um Taiwan, die Peking im August aus Protest gegen den Besuch von Nancy Pelosi veranlasst hatte. Die Zentrale Militärkommission wird von Präsident Xi Jinping geleitet, der damit Chinas zwei Millionen Mann starker Volksbefreiungsarmee vorsteht.

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    Dessert

    Wer sich nicht ganz schnell im Schlick vergräbt, landet im Körbchen. In Tangdaowan, an der Westküste von Qingdao, haben sich hunderte Bewohner vor der Küste versammelt. Sie sammeln Austern, Shrimps und Krebse. Die Meeresfrüchte-Jagd muss aber schnell gehen, bevor das Meer nach wenigen Stunden wieder alles überspült.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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