Table.Briefing: China

“Gemeinsamer Wohlstand” + Vorläufiges Ende der Peng-Saga

  • In China steigt die Ungleichheit
  • Funktionäre diktieren Antworten bei Peng-Interview
  • Chinas mRNA-Impfstoff kommt nur langsam voran
  • Litauens Außenminister: Prinzipien kosten
  • Bachelet-Besuch in Xinjiang
  • Im Porträt: Fackelläuferin Dinigeer Yilamujiang
Liebe Leserin, lieber Leser,

“Prinzipien kosten etwas”, sagte Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis bei einem Besuch in Australien. Und sein Staat geht mit gutem Beispiel voran. Litauen nimmt in Kauf, einen hohen wirtschaftlichen Preis dafür zu zahlen, sich seine strategischen Entscheidungen nicht von Peking diktieren zu lassen. Denn genau darum geht es der Regierung in Vilnius, wenn es diplomatische Beziehungen zum Inseltstaat Taiwan vertieft und andere Staaten aufruft, es ihr gleich zu tun.

Bei den Menschenrechten verhält es sich ähnlich. Wenn westliche Demokratien glaubwürdig etwas gegen systematische Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Xinjiang tun wollen, dann müssen sie bereit sein, den Preis dafür zu zahlen. Auch wir als Bürgerinnen und Bürger eines demokratischen Staates sollten uns direkt angesprochen fühlen. Wir sind der Staat, und als Konsumenten werden wir den Preis zahlen für unsere Prinzipien.

Dabei sollte uns aber eines klar sein: Zahlen müssen wir am Ende sowieso. Die Frage ist nur, in welcher Währung wir das tun müssen. Denn je länger es Europas Demokratien vermeiden, rote Grenzen zu ziehen und zu verteidigen, desto tiefer rutschen wir in eine wirtschaftliche Abhängigkeit. Seine potenzielle Stärke wird ein autokratisches System dann dazu nutzen, unsere Bürgerrechte in seinem Sinne neu zu definieren.

Das glauben Sie nicht? Schauen Sie auf die Angst unserer Dax-Konzerne, auch nur einen falschen Satz im Bezug auf China zu äußern. Wenn die gleiche Angst auch unsere Politik erreicht, dann werden wir uns zurücksehnen nach dem Scheideweg, an dem wir heute stehen.

Ihr
Marcel Grzanna
Bild von Marcel  Grzanna

Analyse

Der beschwerliche Weg zum “Gemeinsamen Wohlstand”

Ungleichheit in China: Suppenspeisung für Bedürftige anlässliche Chinesisch Neujahr
Suppenspeisung für Bedürftige anlässlich des Chinesischen Neujahrsfestes in Xi’an

“Common Prosperity”, die Erreichung eines gemeinsamen Wohlstands, wird im Jahr des Tigers eines der Top-Themen auf der politischen Agenda Pekings bleiben. Zum Jahresende will sich Xi erneut zum Präsidenten wählen lassen. Alles deutet darauf hin, dass er die Bekämpfung der Ungleichheit vor seiner Wiederwahl – zumindest verbal – groß aufziehen wird, um sich als Mann des einfachen Volkes zu präsentieren.

Xi hat dem “Gemeinsamen Wohlstand” große Bedeutung zugemessen. In Reden mahnte er vor einer drohenden “Polarisierung der Gesellschaft” und einer “unüberbrückbaren Kluft” durch die steigende Ungleichheit (China.Table berichtete). Bisher sind erst wenige konkrete Details darüber bekannt, wie die Führung “gemeinsamen Wohlstand” herstellen will. Was sind die Ursachen der Ungleichheit in China? Und lässt sich aus Ihnen ableiten, was die Regierung vorhat?

Die Ungleichheit in China nimmt zu

Die Ungleichheit in China hat viele Facetten. Während die einen in Luxusautos durch die Großstädte fahren, müssen sich die anderen als schlecht bezahlte Lieferboten durch den dichten Verkehr schlagen. Während eine kleine Oberschicht Rolex-Uhren und Gucci-Taschen anhäuft, herrscht im ländlichen Raum häufig noch Armut und Perspektivlosigkeit: Millionen Kinder von Wanderarbeitern leben von ihren Eltern getrennt und haben kaum Aufstiegschancen (China.Table berichtete).

Auch in den Zahlen spiegelt sich die zunehmende Ungleichheit. Die reichsten zehn Prozent der Chinesen hielten in den frühen 1990er Jahren gut 40 bis 50 Prozent des gesamten Vermögens. 2019 waren es hingegen schon 70 Prozent. Bei den Einkommen liegt der Gini-Koeffizient nach offiziellen Zahlen bei 0,47. Schon Werte von 0,4 gelten als Warnsignal zu hoher Ungleichheit.

Die Ursachen der Ungleichheit in China sind vielfältig. “Chinas Reformpolitik zielte vom Beginn an darauf ab, dass zuerst eine kleine Gruppe von Menschen reicher werden sollte”, sagt die Ökonomin Wan-Hsin Liu vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Sie sollten das Wachstum ankurbeln und Arbeitsplätze und somit Wohlstand für Millionen schaffen. Doch während Chinas Aufstieg beispiellos ist, wurde der Wohlstand ungleich verteilt.

Lohnarbeit macht in China nicht reich

Chinas geringe Löhne tragen zu dieser Ungleichheit bei. Zwar sind die Löhne in den letzten Jahren gestiegen. Doch bei der Verteilung des Bruttoinlandsprodukts schneiden Arbeiter:innen in China noch immer schlecht ab. Im Vergleich zu Unternehmen oder dem Staat erhalten sie nur einen geringen Teil der Wirtschaftsleistung als Löhne oder Transferzahlungen. Lag der Lohnanteil am BIP Mitte der 1990er-Jahre noch bei über 51 Prozent, ist er seitdem auf circa 40 Prozent gesunken – und geringer als in anderen Schwellenländern (China.Table berichtete).

China befindet sich hier in einer Zwickmühle. Denn die geringen Löhne tragen maßgeblich zur Exportstärke des Landes bei. “Chinas Exportwettbewerbsfähigkeit hängt davon ab, dass den Arbeitnehmern ­- sei es durch Löhne oder Sozialtransfers – ein relativ geringer Anteil ihrer Produktion zugewiesen wird”, schreibt Michael Pettis, Finanzprofessor an der Peking Universität.

Ganz anders sieht es am oberen Ende der Einkommensskala aus. Politisch gut vernetzte Bürger haben jahrelange von ihren Verbindungen profitiert, sagt Sebastian Heilmann, Professor für Politik und Wirtschaft Chinas an der Universität Trier. Durch die Privatisierung öffentlichen Eigentums, beispielsweise von Unternehmensanteilen und Immobilien, konnten gut Vernetzte oft ein großes Vermögen aufbauen, so Heilmann.

China: Mangel an Chancengleichheit

Das System der Haushaltsregistrierung (Hukou) ist eine weitere klassische Ursache der Ungleichheit. Es degradiert über 200 Millionen Wanderarbeiter:innen zu Bürgern zweiter Klasse. Sie sind von städtischen Sozialleistungen wie Krankenversicherungen, dem Rentensystem und dem Zugang zu öffentlichen Schulen weitgehend ausgeschlossen. Bei den Renten ist der Einkommens-Unterschied besonders stark. Menschen mit Wohnregistrierung in Städten erhalten im Durchschnitt eine jährliche Rente von umgerechnet 5.580 Euro. Wanderarbeiter und Bewohner ländlicher Regionen erhalten hingegen durchschnittlich nur eine Rente von knapp 280 Euro – pro Jahr.

Das Hukou-System zementiert die Ungleichheit, weil es den Zugang zu guter Bildung erschwert. Wanderarbeiter:innen können ihre Kinder häufig nicht an die öffentlichen, städtische Schulen schicken. Sie müssen auf teure Privatschulen zurückgreifen, die häufig schlechter sind als die öffentlichen. Und lassen die Wanderarbeiter:innen ihre Kinder in den Dörfern zurück, sind die Bildungschancen noch schlechter, weil das ländliche Bildungssystem weit hinterherhinkt (China.Table berichtete). Über 70 Prozent der städtischen Schüler werden zum Studium zugelassen, im Vergleich zu weniger als fünf Prozent der ländlichen Schüler, wie die Beratungsagentur Trivium China kürzlich errechnet hat. Millionen von Kindern sind so die Aufstiegschancen verbaut.

China verteilt jetzt den Wohlstand kaum um

Weltweit nutzen Staaten das Steuer- und Sozialsystem, um Ungleichheit zumindest etwas zu verringern. In China haben diese Verteilungsmechanismen “den immer größeren Einkommensunterschieden kaum entgegengesteuert”, so Liu. In der Volksrepublik zahlen die unteren 50 Prozent der Einkommensbezieher mehr Steuern als die oberen 50 Prozent, wie The Wire China berichtet. Denn indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer oder Konsumsteuern dominieren das Steuersystem. Sie treffen Geringverdiener jedoch besonders stark, da sie einen größeren Teil ihres Einkommens für den Konsum aufwenden müssen.

Direkte Steuern auf (hohe) Löhne und Einkommen, Kapitalerträge oder Immobilien sind in China hingegen gering oder werden gar nicht erst erhoben. Dadurch ist das Steuersystem indirekt eine der Ursachen der Ungleichheit. “Arbeitnehmer mit einem Monatsgehalt von ein paar Tausend Yuan müssen Einkommenssteuer zahlen, aber diejenigen, die ein Immobilien-Vermögen von mehreren Millionen Yuan besitzen, brauchen das nicht zu tun”, sagt Yi Xianrong, ein ehemaliger Forscher an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften gegenüber der South China Morning Post.

Auch Chinas Sozialwesen trägt wenig zur Verringerung der Ungleichheit bei. Weniger als zehn Prozent der Arbeitssuchenden erhalten Beiträge aus Chinas Arbeitslosenversicherung. Und die Volksrepublik gibt nur zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für das Gesundheitssystem des Landes aus – verglichen mit circa acht Prozent in entwickelten Ländern. “Staatliche Umverteilung hat kaum einen Effekt auf den Gini-Index in China. Zum Vergleich: In Deutschland verringert die staatliche Umverteilung den Gini-Index um 0,19″, sagt Bin Yan, Berater bei der Consulting-Firma Sinolytics.

Behutsame Reformen zur Umverteilung in China

Reformen zur Überwindung der Ungleichheit könnten das China, wie wir es kennen, grundlegend verändern. Denn um die “Ungleichheit zu überwinden, braucht China weitreichende und langfristige Maßnahmen”, sagt Liu. Experten sind sich jedoch relativ einig, dass es zunächst nur behutsame Reformen geben wird.

Liu geht davon aus, dass es zu schrittweisen Änderungen im Steuersystem kommen wird, da “sie vergleichsweise einfacher sind als Reformen des Hukou-Systems oder des Sozial- und Bildungssystems”. Eine Erbschafts- und Immobiliensteuer wird derzeit schon diskutiert. Auch Yan von Sinolytics hält die behutsame Einführung einer Immobiliensteuer und einer Kapitalertragssteuer für wahrscheinlich. Auch einen Ausbau der Sozialleistungen hält der Sinolytics-Berater für wahrscheinlich, beispielsweise in den Bereichen öffentliche Bildung und bei erschwinglichem Wohnraum. Die Kampagnen zur Bekämpfung aller Formen illegaler Einkünfte könnten in Zukunft intensiviert werden, so Yan.

Doris Fischer, Professorin für China Business and Economics an der Universität Würzburg, ist hingegen skeptisch, was Steuerreformen angeht. Stattdessen betone Peking die Umverteilung durch Philanthropie. “Aber Wohltätigkeit überlässt es den Firmen, zu entscheiden, wo sie helfen. Das hat wenig mit grundlegenden Reformen zu tun”, sagt Fischer. Sie mutmaßt, dass kein Wohlfahrtstaat über die Garantien einer Versorgung grundlegender Bedürfnisse hinaus aufgebaut werden wird. Das könne man aus den bisherigen Dokumenten zum “Gemeinsamen Wohlstand” nicht herauslesen. Es wird also eher um Nahrung und ein Dach über dem Kopf gehen als um einen ordentlichen Lebensstandard für Sozialhilfeempfänger.

Umverteilung von Unternehmen zu Haushalten wahrscheinlich

Pettis geht davon aus, dass Peking die Löhne zur Minderung der Ungleichheit nicht anheben werde, da dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Exporte sinke. Allerdings hält er Steuererhöhungen für realistisch. Unternehmen müssten sich darauf einstellen, dass Peking, die Einkommen, die “es als überschüssige Gewinne von Unternehmen und Wohlhabenden ansieht, in Form von Steuertransfers und Spenden an die chinesischen Haushalte der Mittel- und Arbeiterklasse” weitergeben wird.

Beim System der Haushaltsregistrierung plant Peking zwar Reformen. Doch sie sind ein “riskantes Thema”, dass “große Bevölkerungsbewegungen auslösen” könnte, sagt Heilmann. Für eine reele Umverteilung seien zudem “Maßnahmen erforderlich, die Zugriffsprivilegien der staats- und parteinahen Klientel systematisch beschneiden”. Auch das sei ein “riskanter Vorgang” für die KP. Falls Xi mit der Umverteilung Ernst machen will, “wird er auf hartnäckige, zunächst stille Widerstände in den Reihen der politischen und wirtschaftlichen Eliten treffen”. Diese Widerstände könnten sogar seine Position gefährden und zu einer “innenpolitischen Destabilisierung Chinas” beitragen, so die Einschätzung Heilmanns.

Insgesamt hat Peking erkannt, dass “die Erreichung eines gemeinsamen Wohlstands ein langfristiges Ziel” ist, sagt Liu. Peking wird ihrer Meinung nach behutsam vorgehen, aber langfristig trotzdem “Reformen mit unterschiedlicher Intensität in vielen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, institutionellen und politischen Bereichen” durchführen.

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Peng Shuai: Vorläufiges Ende einer bedrückenden Saga

Peng Shuai gab während der olympischen Winterspiele 2022 in Peking ihr erstes offizielles Interview in der französischen Sportzeitung L'Equipe. Auf dem Bild ist sie als Zuschauerin beim olympischen Eiskunstlauf zu sehen.
Als wäre nichts gewesen: Peng Shuai weilt am Montag unter den Zuschauern beim olympischen Eiskunstlauf.

Das vorerst letzte Kapitel der bedrückenden Saga um die chinesische Tennisspielerin Peng Shuai ist geschrieben. Nicht von ihr persönlich, sondern von Wang Kan, dem Stabschef des chinesischen Olympischen Komitees. Wang hatte die Rolle des Übersetzers übernommen, als Peng mit Journalisten der französischen Sportzeitung L’Equipe am Samstag in einem Pekinger Hotel zusammentraf. Es war Pengs erstes offizielles Interview seit ihren Vergewaltigungsvorwürfen gegen den früheren chinesischen Vize-Premierminister Zhang Gaoli.

Die Fragen waren im Vorfeld abgesprochen worden. Wangs Übersetzungen mussten wortwörtlich von der Zeitung veröffentlicht werden. So lauteten die Bedingungen für das Interview. Die Essenz: Peng Shuai sei niemals von irgendwem sexuell genötigt, geschweige denn vergewaltigt worden. Ihre konkrete Beschreibung eines privaten Treffens mit Zhang und seiner Frau, in dessen Verlauf der mächtige Funktionär die zweimalige Wimbledon-Sieger zum Sex genötigt haben soll, sei ein “enormes Missverständnis”.

“Ich habe niemals gesagt, dass irgendwer mich irgendwie sexuell belästigt hat”, erklärte Peng den Journalisten. Tatsächlich stimmt das. Jedenfalls dann, wenn dieser Satz wortwörtlich aufzufassen ist. Denn ihre Vorwürfe waren ausschließlich online zu lesen. Und das auch nur für weniger als eine halbe Stunde am 2. November 2021. Dann verschwand der Originalpost aus ihrem Konto. Warum er gelöscht wurde? “Weil ich es wollte”, behauptet sie heute.

“Ich würde gern wissen: warum diese Besorgnis?”

Die Sportwelt, aber auch Politker und Menschenrechtsorganisationen reagierten seinerzeit mit großer Sorge. #WhereisPengShuai entwickelte sich zum Synonym für die internationale Empörung über das öffentliche Verschwinden der 36-Jährigen. Auch darauf sprachen sie die französischen Journalisten nun an. Und auch darauf folgte eine halbgare Antwort: “Jeder konnte mich sehen.” Gemeint war damit eine Videokonferenz mit dem IOC-Präsidenten Thomas Bach, bei der Peng vor einer Wand aus Kuscheltieren als gutgelaunte Athletin auftrat.

Der Zeitschrift L’Equipe sagte Peng nun, sie habe nicht gedacht, dass es eine solche Sorge um sie geben würde. “Und ich würde gern wissen: warum diese Besorgnis?” Die Antwort darauf geben Exilchinesen. Der Künstler Ai Weiwei, der nach Kritik an der chinesischen Führung einst selbst monatelang von der Bildfläche verschwunden war, sagte der britischen Zeitung Guardian: “Sie (Peng) befindet sich in den sehr sicheren Händen der Kommunistischen Partei. Sie werden sicher dafür sorgen, dass sie sich exakt so verhält, wie es die Partei will.

Ai hält es für möglich, dass Peng Shuai bereits zu der Erkenntnis gekommen ist, dass es ein Fehler gewesen sein könnte, “diese tiefe, dunkle Beziehung (zu Zhang Gaoli) offenzulegen.” Sie habe damit die Sicherheit ihrer Familie und Freunde sowie ihre Karriere aufs Spiel gesetzt. “Sie hat ihren Geist verloren. Sie ist ein anderer Mensch geworden. Und was immer sie uns sagt, es ist nicht die Wahrheit.”

Derweil wundert sich der chinesische Menschenrechtsanwalt Teng Biao aus dem US-Exil über Pengs Forderung in dem Interview, der Sport, “dürfe nicht politisiert werden”. Diesen Satz beten die obersten Parteigenossen seit den Sommerspielen 2008 wie ein Mantra herunter. “Ist es nicht seltsam, dass ein Mensch während eines erzwungenen Auftritts die Propaganda der KP nachplappert?”

Teng war wegen seiner Arbeit als Anwalt ebenfalls über Monate festgehalten worden. Es sei ein probates Mittel der Staatssicherheit, den Opfern ein Angstszenario zu zeichnen, sagte Teng kurz nach dem Verschwinden von Peng in einem Gespräch mit China.Table. “Ziel ist es, dass die Angst der Opfer so groß wird, dass sie bereit sind, alles zu tun, um die Konsequenzen zu vermeiden.”

Peng spricht erstmals über mögliches Ende ihrer Laufbahn

Solche Sorgen macht man sich beim Internationalen Olympischen Komitee offenbar nicht. Am Samstagabend hatte Thomas Bach die Tennisspielerin wie vor Monaten verabredet zum Essen getroffen. Auch hier sah sich ein chinesischer Funktionär mit eingeladen und saß ebenfalls am Tisch. Es ging in dem Austausch um vergleichsweise belanglose Inhalte. Der frühere Weltklasse-Fechter und die ehemalige Nummer eins der Weltrangliste im Doppel sprachen unter anderem über ihre Erfahrungen als Topathleten bei den Olympischen Spielen, wie ein IOC-Sprecher sagte.

Um die Vorwürfe sexueller Übergriffe oder das Rätsel um Pengs widersprüchliche Aussagen ging es dabei nicht. Das IOC sei eine Sportorganisation, hieß es. Eine unabhängige Untersuchung hält das Komitee nur für notwendig, wenn Peng Shuai ausdrücklich darum bitte. Es sei verabredet worden, auch in der Zukunft in Kontakt zu bleiben. Es sei sogar ihr Besuch des IOC-Hauptquartiers in Lausanne in der Schweiz geplant. Wann sie reisen darf und ob sie alleine oder in Begleitung chinesischer Funktionäre kommen wird, steht noch nicht fest.

Das Interview in der L’Equipe sorgte derweil international für Aufsehen. Allerdings war die Reaktion in weiten Teilen Europas und Nordamerikas kritisch. Zumal das Frage-und-Antwort-Prozedere unter den gegebenen Umständen nicht dazu beitrug, Licht ins Dunkel zu bringen. Neu war jedoch Pengs Ankündigung, dass sie aus Altersgründen sehr wahrscheinlich ihre Karriere beenden werde. Weitere Reisen ins Ausland wären damit auf absehbare Zeit nicht mehr notwendig.

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Chinas mRNA-Impfstoff macht nur langsame Fortschritte

China ist der Entwicklung eines eigenen mRNA-Impfstoffs gegen das Coronavirus einen Schritt näher gekommen. Für Arcov, wie der am weitesten entwickelte Kandidat unter Chinas mRNA-Impfstoffen heißt, wurden am 24. Januar neue Daten einer klinischen Phase-1-Studie veröffentlicht (China.Table berichtete). Demnach konnte bei den meisten Teilnehmern nach zwei Impfungen eine “hohe Konzentration” an Antikörpern festgestellt werden. Auch seinen keine schwerwiegenden Nebenwirkungen verzeichnet worden. Die Wissenschaftler erklärten auch, dass es noch zu früh sei, um den Erfolg genau zu beurteilen.

Damit die Wirksamkeit geklärt und der Impfstoff zugelassen werden kann, braucht es zunächst eine Großstudie, an der mehrere Zehntausend Menschen teilnehmen müssen. Jedoch hatten sich solche Tests zuletzt immer weiter verzögert, weil es nach Angaben der beteiligten Unternehmen schwierig war, noch genügend komplett ungeimpfte Teilnehmer zu finden. Diese Hürde scheint nun überwunden. Der gemeinsam von der Academy of Military Science, Walvax Biotechnology und Suzhou Abogen Biosciences entwickelte Impfstoff wird demnach derzeit an 28.000 Teilnehmer in Mexiko und Indonesien verabreicht. Laut der Datenbank clinicaltrials.gov soll diese Phase-3-Studie jedoch erst im Mai 2023 beendet sein.

China will Eigenständigkeit bei mRNA-Impfstoffen

Bisher hat sich Peking zum Schutz seiner Bevölkerung auf inaktivierte Impfstoffe verlassen, die auf einer traditionellen Technologie beruhen, aber gegen die Omikron- und Delta-Varianten viel weniger wirksam sind. Eigentlich könnte es schon längst einen mRNA-Impfstoff in China geben. Das Shanghaier Unternehmen Fosun besitzt seit eineinhalb Jahren die Exklusivrechte für den Vertrieb des Impfstoffs von Biontech im Großraum China. Doch die Lieferungen wurden bislang auf Hongkong, Macau und Taiwan beschränkt, weil auf dem chinesischen Festland  bisher die behördliche Zulassung verweigert wurde. 

Analysten glauben, dass China auf einen einheimischen Impfstoff wartet, um sich nicht vom Ausland abhängig machen zu müssen. Die wirksamsten mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna sind deshalb für Chinesen nicht zugänglich. Ob Arcov ähnlich wirksam ist wie die Präparate der westlichen Konkurrenz, bleibt unklar. An der jüngsten Phase-1-Studie nahmen 120 Freiwillige in einem Krankenhaus in Hangzhou teil. Die Teilnehmer wurden in Gruppen aufgeteilt und erhielten zwei unterschiedlich starke Dosen im Abstand von 28 Tagen. Die Studie ergab, dass 15mcg die wirksamste Dosis war, die etwa doppelt so viele neutralisierende Antikörper erzeugte, wie sie normalerweise bei genesenen Covid-19-Patienten gefunden werden.

Versuche mit dem Impfstoff von Pfizer/Biontech hatten zuvor gezeigt, dass er die dreifache Menge an neutralisierenden Antikörpern erzeugen kann. Chinesische Experten verwiesen jedoch darauf, dass ein unterschiedliches Analyseverfahren verwendet wurde, weshalb die Arcov-Ergebnisse nicht vergleichbar seien.  Die Ergebnisse der ersten Arcov-Studien seien “ziemlich normal” und hätten “keine offensichtlichen Warnsignale” aufgewiesen, zitierte die Hongkonger Zeitung South China Morning Post John Moore, Professor für Mikrobiologie und Immunologie am Weill Cornell Medical College in New York. Die Frage, ob der chinesische Impfstoff etwas taugt, wollte der Experte jedoch lieber noch nicht beantworten.

Chinesische Medien üben sich in Erwartungsmanagement

Die Chinesen hoffen zwar, dass ihr Präparat ähnlich erfolgreich sein wird wie Moderna oder Biontech. Dass jedoch auch ein Fehlschlag möglich ist, musste der deutsche Entwickler Curevac schmerzlich erfahren, als er im Juni letzten Jahres in der Spätphase der Versuche mit seinem mRNA-Impfstoff gescheitert war. Peking übt sich lieber schon jetzt in Erwartungsmanagement. So verbreiten chinesische Staatsmedien seit Wochen Berichte, wonach mit einem Ende der strengen Null-Covid-Strategie auch nach den Olympischen Winterspielen nicht zu rechnen sei. Daran werde sich auch nichts ändern, sollte die Bevölkerung mit einem neuen Impfstoff geschützt werden. “Früher dachten wir, COVID-19 könne im Wesentlichen durch Impfstoffe eingedämmt werden, aber jetzt scheint es, dass es keine einfache Methode zur Kontrolle gibt”, sagte Wu Zunyou, leitender Epidemiologe des chinesischen Zentrums für Seuchenkontrolle und Prävention, am Sonntag in einem Interview mit der Staatszeitung Global Times

Laut Wu sei es auch keine gute Idee, auf eine Durchseuchung der Bevölkerung zu setzen. So halte die Immunität bei einer Grippe-Infektion laut des Experten bis zu einem Jahr an, während sie nach einer Infektion mit Corona in der Regel nur etwa drei bis sechs Monate bestünde. Zwar gebe es auch bei der Influenza Variationen, diese seien aber regelmäßig und ihr Variationszyklus relativ lang. Das Coronavirus verändere sich dagegen noch ständig, weshalb kaum absehbar sei, wie sich die Pandemie weiter entwickele. Das Coronavirus bleibe zudem auch in der eigentlich milderen Omikron-Variante deutlich gefährlicher als die Grippe, weil anders als bei der Influenza die oberen und nicht die unteren Atemwege angegriffen würden. Eine Lungenentzündung sei somit viel wahrscheinlicher. Gregor Koppenburg/Jörn Petring 

  • Fosun

News

Litauens Regierung fordert geschlossene Haltung gegen China

Wegen chinesischen Sanktionen ruft Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis zum Schulterschluss demokratischer Staaten gegen “Störer der globalen Ordnung” wie China und Russland auf. Einen Tag vor dem Treffen der Quad-Staaten Australien, Japan, Indien und USA sagte Landsbergis in der australischen Hauptstadt Canberra, Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik China müssten immer wieder thematisiert werden. Für ihre Prinzipien sollten die liberalen Demokratien bereit sein, “einen Preis zu bezahlen”, sagte der Außenminister auf einer Veranstaltung.

Tatsächlich folgte kurz darauf die Ankündigung von chinesischer Seite, diverse litauische Branchen mit Importverboten zu belegen. Nachdem der chinesische Zoll bereits wochenlang etliche Produkte aus dem EU-Mitgliedstaat nicht mehr abgefertigt hatte, ist die Einfuhr von Rindfleisch, Alkohol und Milchprodukten aus Litauen nun offiziell verboten. Ob die Ankündigung mit den aktuellen Äußerungen zusammenhängen, ist unklar. Litauen hatte bisher nur geringe Mengen dieser Güter in die Volksrepublik ausgeführt. Die Sanktionen sind eine Strafe für die Eröffnung eines “Taiwan-Büros” in Vilnius. (China.Table berichtete)

In seiner Rede im Presseclub kritisierte Landsbergis “Leute, die nicht über bestimmte Probleme reden wollen”. Um beispielsweise Produkte, die unter Zwangsarbeit in Xinjiang produziert werden, aus den Lieferketten fernzuhalten, werde “jeder” bezahlen müssen. “Erwarten Sie nicht, dass die Lösungen für diese Probleme kostenlos sind”, sagte der Außenminister. Landsbergis kritisierte damit auch die EU-Kommission, die bis Ende des Monats ein Lieferkettengesetz vorstellen will. Schon jetzt ist klar: Das viel diskutierte Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit wird nicht enthalten sein (China.Table berichtete).

Der litauische Außenminister ermutigte derweil auch andere Staaten, ihre diplomatischen Beziehungen zu Taiwan auszubauen. Der demokratische Inselstaat hatte kürzlich in der litauischen Hauptstadt Vilnius eine Vertretung mit dem Namen “Taiwan-Büro” eröffnet. Er wäre nicht überrascht, wenn andere Staaten diesem Beispiel folgten, sagte Landsbergis. grz

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Uno fordert Zugang für Bachelet

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, hat Chinas Präsidenten Xi Jinping dazu aufgefordert, Uno-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet einen “glaubwürdigen” Besuch in China zu ermöglichen. Guterres hatte sich am Samstag am Rande der Spiele in Peking mit dem chinesischen Präsidenten und Außenminister Wang Yi getroffen. “Der Generalsekretär machte deutlich, dass er erwartet, dass die Kontakte zwischen dem Büro der Kommissarin für Menschenrechte und den chinesischen Behörden einen glaubhaften Besuch der Kommissarin in China und Xinjiang ermöglichen werden”, teilte die Uno mit. Menschenrechts-Chefin Michelle Bachelet bemüht sich seit mehr als zwei Jahren um einen Zugang zu Xinjiang, um dort die Vorwürfe von Misshandlungen an der muslimischen Minderheit der Uiguren untersuchen zu können. rtr

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    Dinigeer Yilamujiang – Die unbekannte Berühmtheit

    Dinigeer Yilamujiang

    Kurz nach ihrem ersten olympischen Wettkampf brach Dinigeer Yilamujiang das strenge Protokoll der Organisatoren. Entgegen ihrer Verpflichtung tauchte sie nicht in der sogenannten Mixed Zone auf. Dort warten Journalisten aus aller Welt und bekommen die Möglichkeit, die Sportler um ein Interview zu bitten. Wer nicht mit den Reportern reden will, muss nicht. Aber durch die Mixed Zone muss eigentlich jeder. Es sei denn, ein medizinischer Notfall verhindert das. Yilamujiang war gesund – und blieb dennoch fern.

    Unter normalen Umständen hätten sich wohl wenige Journalisten, zumal aus dem Ausland, für die 20-jährige Skilangläuferin des chinesischen Teams interessiert. Sie landete auf Platz 43 im sogenannten Skiathlon, dessen 15-km-Distanz zur Hälfte im klassischen und zur anderen Hälfte im freien Stil zurückgelegt werden muss. Yilamujiangs Platzierung war erwartbar. In ihrer noch jungen internationalen Laufbahn auf Spitzenniveau lief sie erst einmal in die Top 20, ansonsten unter ferner liefen.

    Aber es waren keine normalen Umstände. Yilamujiang hatte rund 19 Stunden zuvor gemeinsam mit dem gleichermaßen unbekannten Nordischen Kombinierer Zhao Jiawen das Olympische Feuer bei der Eröffnungsfeier entzündet. Es gilt als eine große Ehre, weil sie nur ganz wenigen Menschen auf der Welt vorbehalten bleibt. Viele Reporter hätten wissen wollen, was ihr durch den Kopf ging und was sie fühlte. Schließlich wurde ihr Auftritt vor Hunderten Millionen Menschen an den TV-Bildschirmen zu einem Politikum.

    Dinigeer Yilamujiang ist uigurischer Abstammung und erfährt als solche eine besondere Aufmerksamkeit in der Welt. Denn Millionen Uiguren werden in China verfolgt, in Umerziehungslager gesperrt und als potenzielle Terroristen von der chinesischen Regierung gebrandmarkt. “Genozid” nennen verschiedene Regierungen, Parlemente und Politiker:innen demokratischer Staaten die dortigen Menschenrechtsverbrechen. Wenn eine Frau dieser Ethnie das Olympische Feuer entfacht, ist es nur logisch, dass sich daran eine hochpolitische Debatte entzündet.

    Dem einzigen Medium, dem sie schließlich Rede und Antwort stand, war die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua. “Ich war so aufgeregt, als ich erfahren habe, dass wir die Flamme entzünden sollen. Das ist eine riesige Ehre für mich”, sagte sie dem Sprachrohr der Regierung. “Dieser Moment wird mir für jeden Tag meines restlichen Lebens Kraft geben.”

    Ein paar 1000 Kilometer entfernt heulten Yilamujiangs Mutter und einige weitere Frauen Rotz und Wasser in eine Kamera. Männer waren nicht zu sehen in der kurzen Sequenz. Dabei wäre es schön gewesen zu erleben, wie ihr Vater auf die Fernsehbilder aus der Hauptstadt reagierte. Denn er soll es gewesen sein, der die Tochter als Langlauftrainer mit Wintersport in Kontakt brachte. Ihr Vater war selbst Leistungssportler, heißt es.

    Als Jugendliche schaffte Yilamujiang, deren uigurischer Nachname Ilhamjan lautet, den Sprung in den Nationalkader. 2018 feiert sie ihr internationales Debüt bei einem Sprintrennen im norwegischen Beitostölen. Sie landete damals auf Platz als 184. Im vergangenen Jahr nahm sie bereits an den Weltmeisterschaften in Oberstdorf teil. Mit der chinesischen Mannschaft erreichte sie im Teamsprint Rang 13.

    China hat alles für mich getan, was es tun konnte. Was mir jetzt nur noch übrig bleibt, ist hart zu trainieren und dem Land Ruhm zu verschaffen”, sagte sie vor den Olympischen Spielen einer Tageszeitung in Xinjiang. Ihr Ziel sei es, eine Olympiamedaille zu gewinnen. Der Traum wird in diesem Jahr nicht in Erfüllung gehen. Dafür reicht ihr Leistungsvermögen schlicht nicht aus. Berühmtheit hat sie seit vergangenem Freitag dennoch erlangt. Und vielleicht war ihre Rolle als Fackelträgerin, die das Feuer entzündete, dem Staat schon Genugtuung genug. grz

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    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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      “Prinzipien kosten etwas”, sagte Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis bei einem Besuch in Australien. Und sein Staat geht mit gutem Beispiel voran. Litauen nimmt in Kauf, einen hohen wirtschaftlichen Preis dafür zu zahlen, sich seine strategischen Entscheidungen nicht von Peking diktieren zu lassen. Denn genau darum geht es der Regierung in Vilnius, wenn es diplomatische Beziehungen zum Inseltstaat Taiwan vertieft und andere Staaten aufruft, es ihr gleich zu tun.

      Bei den Menschenrechten verhält es sich ähnlich. Wenn westliche Demokratien glaubwürdig etwas gegen systematische Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Xinjiang tun wollen, dann müssen sie bereit sein, den Preis dafür zu zahlen. Auch wir als Bürgerinnen und Bürger eines demokratischen Staates sollten uns direkt angesprochen fühlen. Wir sind der Staat, und als Konsumenten werden wir den Preis zahlen für unsere Prinzipien.

      Dabei sollte uns aber eines klar sein: Zahlen müssen wir am Ende sowieso. Die Frage ist nur, in welcher Währung wir das tun müssen. Denn je länger es Europas Demokratien vermeiden, rote Grenzen zu ziehen und zu verteidigen, desto tiefer rutschen wir in eine wirtschaftliche Abhängigkeit. Seine potenzielle Stärke wird ein autokratisches System dann dazu nutzen, unsere Bürgerrechte in seinem Sinne neu zu definieren.

      Das glauben Sie nicht? Schauen Sie auf die Angst unserer Dax-Konzerne, auch nur einen falschen Satz im Bezug auf China zu äußern. Wenn die gleiche Angst auch unsere Politik erreicht, dann werden wir uns zurücksehnen nach dem Scheideweg, an dem wir heute stehen.

      Ihr
      Marcel Grzanna
      Bild von Marcel  Grzanna

      Analyse

      Der beschwerliche Weg zum “Gemeinsamen Wohlstand”

      Ungleichheit in China: Suppenspeisung für Bedürftige anlässliche Chinesisch Neujahr
      Suppenspeisung für Bedürftige anlässlich des Chinesischen Neujahrsfestes in Xi’an

      “Common Prosperity”, die Erreichung eines gemeinsamen Wohlstands, wird im Jahr des Tigers eines der Top-Themen auf der politischen Agenda Pekings bleiben. Zum Jahresende will sich Xi erneut zum Präsidenten wählen lassen. Alles deutet darauf hin, dass er die Bekämpfung der Ungleichheit vor seiner Wiederwahl – zumindest verbal – groß aufziehen wird, um sich als Mann des einfachen Volkes zu präsentieren.

      Xi hat dem “Gemeinsamen Wohlstand” große Bedeutung zugemessen. In Reden mahnte er vor einer drohenden “Polarisierung der Gesellschaft” und einer “unüberbrückbaren Kluft” durch die steigende Ungleichheit (China.Table berichtete). Bisher sind erst wenige konkrete Details darüber bekannt, wie die Führung “gemeinsamen Wohlstand” herstellen will. Was sind die Ursachen der Ungleichheit in China? Und lässt sich aus Ihnen ableiten, was die Regierung vorhat?

      Die Ungleichheit in China nimmt zu

      Die Ungleichheit in China hat viele Facetten. Während die einen in Luxusautos durch die Großstädte fahren, müssen sich die anderen als schlecht bezahlte Lieferboten durch den dichten Verkehr schlagen. Während eine kleine Oberschicht Rolex-Uhren und Gucci-Taschen anhäuft, herrscht im ländlichen Raum häufig noch Armut und Perspektivlosigkeit: Millionen Kinder von Wanderarbeitern leben von ihren Eltern getrennt und haben kaum Aufstiegschancen (China.Table berichtete).

      Auch in den Zahlen spiegelt sich die zunehmende Ungleichheit. Die reichsten zehn Prozent der Chinesen hielten in den frühen 1990er Jahren gut 40 bis 50 Prozent des gesamten Vermögens. 2019 waren es hingegen schon 70 Prozent. Bei den Einkommen liegt der Gini-Koeffizient nach offiziellen Zahlen bei 0,47. Schon Werte von 0,4 gelten als Warnsignal zu hoher Ungleichheit.

      Die Ursachen der Ungleichheit in China sind vielfältig. “Chinas Reformpolitik zielte vom Beginn an darauf ab, dass zuerst eine kleine Gruppe von Menschen reicher werden sollte”, sagt die Ökonomin Wan-Hsin Liu vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Sie sollten das Wachstum ankurbeln und Arbeitsplätze und somit Wohlstand für Millionen schaffen. Doch während Chinas Aufstieg beispiellos ist, wurde der Wohlstand ungleich verteilt.

      Lohnarbeit macht in China nicht reich

      Chinas geringe Löhne tragen zu dieser Ungleichheit bei. Zwar sind die Löhne in den letzten Jahren gestiegen. Doch bei der Verteilung des Bruttoinlandsprodukts schneiden Arbeiter:innen in China noch immer schlecht ab. Im Vergleich zu Unternehmen oder dem Staat erhalten sie nur einen geringen Teil der Wirtschaftsleistung als Löhne oder Transferzahlungen. Lag der Lohnanteil am BIP Mitte der 1990er-Jahre noch bei über 51 Prozent, ist er seitdem auf circa 40 Prozent gesunken – und geringer als in anderen Schwellenländern (China.Table berichtete).

      China befindet sich hier in einer Zwickmühle. Denn die geringen Löhne tragen maßgeblich zur Exportstärke des Landes bei. “Chinas Exportwettbewerbsfähigkeit hängt davon ab, dass den Arbeitnehmern ­- sei es durch Löhne oder Sozialtransfers – ein relativ geringer Anteil ihrer Produktion zugewiesen wird”, schreibt Michael Pettis, Finanzprofessor an der Peking Universität.

      Ganz anders sieht es am oberen Ende der Einkommensskala aus. Politisch gut vernetzte Bürger haben jahrelange von ihren Verbindungen profitiert, sagt Sebastian Heilmann, Professor für Politik und Wirtschaft Chinas an der Universität Trier. Durch die Privatisierung öffentlichen Eigentums, beispielsweise von Unternehmensanteilen und Immobilien, konnten gut Vernetzte oft ein großes Vermögen aufbauen, so Heilmann.

      China: Mangel an Chancengleichheit

      Das System der Haushaltsregistrierung (Hukou) ist eine weitere klassische Ursache der Ungleichheit. Es degradiert über 200 Millionen Wanderarbeiter:innen zu Bürgern zweiter Klasse. Sie sind von städtischen Sozialleistungen wie Krankenversicherungen, dem Rentensystem und dem Zugang zu öffentlichen Schulen weitgehend ausgeschlossen. Bei den Renten ist der Einkommens-Unterschied besonders stark. Menschen mit Wohnregistrierung in Städten erhalten im Durchschnitt eine jährliche Rente von umgerechnet 5.580 Euro. Wanderarbeiter und Bewohner ländlicher Regionen erhalten hingegen durchschnittlich nur eine Rente von knapp 280 Euro – pro Jahr.

      Das Hukou-System zementiert die Ungleichheit, weil es den Zugang zu guter Bildung erschwert. Wanderarbeiter:innen können ihre Kinder häufig nicht an die öffentlichen, städtische Schulen schicken. Sie müssen auf teure Privatschulen zurückgreifen, die häufig schlechter sind als die öffentlichen. Und lassen die Wanderarbeiter:innen ihre Kinder in den Dörfern zurück, sind die Bildungschancen noch schlechter, weil das ländliche Bildungssystem weit hinterherhinkt (China.Table berichtete). Über 70 Prozent der städtischen Schüler werden zum Studium zugelassen, im Vergleich zu weniger als fünf Prozent der ländlichen Schüler, wie die Beratungsagentur Trivium China kürzlich errechnet hat. Millionen von Kindern sind so die Aufstiegschancen verbaut.

      China verteilt jetzt den Wohlstand kaum um

      Weltweit nutzen Staaten das Steuer- und Sozialsystem, um Ungleichheit zumindest etwas zu verringern. In China haben diese Verteilungsmechanismen “den immer größeren Einkommensunterschieden kaum entgegengesteuert”, so Liu. In der Volksrepublik zahlen die unteren 50 Prozent der Einkommensbezieher mehr Steuern als die oberen 50 Prozent, wie The Wire China berichtet. Denn indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer oder Konsumsteuern dominieren das Steuersystem. Sie treffen Geringverdiener jedoch besonders stark, da sie einen größeren Teil ihres Einkommens für den Konsum aufwenden müssen.

      Direkte Steuern auf (hohe) Löhne und Einkommen, Kapitalerträge oder Immobilien sind in China hingegen gering oder werden gar nicht erst erhoben. Dadurch ist das Steuersystem indirekt eine der Ursachen der Ungleichheit. “Arbeitnehmer mit einem Monatsgehalt von ein paar Tausend Yuan müssen Einkommenssteuer zahlen, aber diejenigen, die ein Immobilien-Vermögen von mehreren Millionen Yuan besitzen, brauchen das nicht zu tun”, sagt Yi Xianrong, ein ehemaliger Forscher an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften gegenüber der South China Morning Post.

      Auch Chinas Sozialwesen trägt wenig zur Verringerung der Ungleichheit bei. Weniger als zehn Prozent der Arbeitssuchenden erhalten Beiträge aus Chinas Arbeitslosenversicherung. Und die Volksrepublik gibt nur zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für das Gesundheitssystem des Landes aus – verglichen mit circa acht Prozent in entwickelten Ländern. “Staatliche Umverteilung hat kaum einen Effekt auf den Gini-Index in China. Zum Vergleich: In Deutschland verringert die staatliche Umverteilung den Gini-Index um 0,19″, sagt Bin Yan, Berater bei der Consulting-Firma Sinolytics.

      Behutsame Reformen zur Umverteilung in China

      Reformen zur Überwindung der Ungleichheit könnten das China, wie wir es kennen, grundlegend verändern. Denn um die “Ungleichheit zu überwinden, braucht China weitreichende und langfristige Maßnahmen”, sagt Liu. Experten sind sich jedoch relativ einig, dass es zunächst nur behutsame Reformen geben wird.

      Liu geht davon aus, dass es zu schrittweisen Änderungen im Steuersystem kommen wird, da “sie vergleichsweise einfacher sind als Reformen des Hukou-Systems oder des Sozial- und Bildungssystems”. Eine Erbschafts- und Immobiliensteuer wird derzeit schon diskutiert. Auch Yan von Sinolytics hält die behutsame Einführung einer Immobiliensteuer und einer Kapitalertragssteuer für wahrscheinlich. Auch einen Ausbau der Sozialleistungen hält der Sinolytics-Berater für wahrscheinlich, beispielsweise in den Bereichen öffentliche Bildung und bei erschwinglichem Wohnraum. Die Kampagnen zur Bekämpfung aller Formen illegaler Einkünfte könnten in Zukunft intensiviert werden, so Yan.

      Doris Fischer, Professorin für China Business and Economics an der Universität Würzburg, ist hingegen skeptisch, was Steuerreformen angeht. Stattdessen betone Peking die Umverteilung durch Philanthropie. “Aber Wohltätigkeit überlässt es den Firmen, zu entscheiden, wo sie helfen. Das hat wenig mit grundlegenden Reformen zu tun”, sagt Fischer. Sie mutmaßt, dass kein Wohlfahrtstaat über die Garantien einer Versorgung grundlegender Bedürfnisse hinaus aufgebaut werden wird. Das könne man aus den bisherigen Dokumenten zum “Gemeinsamen Wohlstand” nicht herauslesen. Es wird also eher um Nahrung und ein Dach über dem Kopf gehen als um einen ordentlichen Lebensstandard für Sozialhilfeempfänger.

      Umverteilung von Unternehmen zu Haushalten wahrscheinlich

      Pettis geht davon aus, dass Peking die Löhne zur Minderung der Ungleichheit nicht anheben werde, da dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Exporte sinke. Allerdings hält er Steuererhöhungen für realistisch. Unternehmen müssten sich darauf einstellen, dass Peking, die Einkommen, die “es als überschüssige Gewinne von Unternehmen und Wohlhabenden ansieht, in Form von Steuertransfers und Spenden an die chinesischen Haushalte der Mittel- und Arbeiterklasse” weitergeben wird.

      Beim System der Haushaltsregistrierung plant Peking zwar Reformen. Doch sie sind ein “riskantes Thema”, dass “große Bevölkerungsbewegungen auslösen” könnte, sagt Heilmann. Für eine reele Umverteilung seien zudem “Maßnahmen erforderlich, die Zugriffsprivilegien der staats- und parteinahen Klientel systematisch beschneiden”. Auch das sei ein “riskanter Vorgang” für die KP. Falls Xi mit der Umverteilung Ernst machen will, “wird er auf hartnäckige, zunächst stille Widerstände in den Reihen der politischen und wirtschaftlichen Eliten treffen”. Diese Widerstände könnten sogar seine Position gefährden und zu einer “innenpolitischen Destabilisierung Chinas” beitragen, so die Einschätzung Heilmanns.

      Insgesamt hat Peking erkannt, dass “die Erreichung eines gemeinsamen Wohlstands ein langfristiges Ziel” ist, sagt Liu. Peking wird ihrer Meinung nach behutsam vorgehen, aber langfristig trotzdem “Reformen mit unterschiedlicher Intensität in vielen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, institutionellen und politischen Bereichen” durchführen.

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      Peng Shuai: Vorläufiges Ende einer bedrückenden Saga

      Peng Shuai gab während der olympischen Winterspiele 2022 in Peking ihr erstes offizielles Interview in der französischen Sportzeitung L'Equipe. Auf dem Bild ist sie als Zuschauerin beim olympischen Eiskunstlauf zu sehen.
      Als wäre nichts gewesen: Peng Shuai weilt am Montag unter den Zuschauern beim olympischen Eiskunstlauf.

      Das vorerst letzte Kapitel der bedrückenden Saga um die chinesische Tennisspielerin Peng Shuai ist geschrieben. Nicht von ihr persönlich, sondern von Wang Kan, dem Stabschef des chinesischen Olympischen Komitees. Wang hatte die Rolle des Übersetzers übernommen, als Peng mit Journalisten der französischen Sportzeitung L’Equipe am Samstag in einem Pekinger Hotel zusammentraf. Es war Pengs erstes offizielles Interview seit ihren Vergewaltigungsvorwürfen gegen den früheren chinesischen Vize-Premierminister Zhang Gaoli.

      Die Fragen waren im Vorfeld abgesprochen worden. Wangs Übersetzungen mussten wortwörtlich von der Zeitung veröffentlicht werden. So lauteten die Bedingungen für das Interview. Die Essenz: Peng Shuai sei niemals von irgendwem sexuell genötigt, geschweige denn vergewaltigt worden. Ihre konkrete Beschreibung eines privaten Treffens mit Zhang und seiner Frau, in dessen Verlauf der mächtige Funktionär die zweimalige Wimbledon-Sieger zum Sex genötigt haben soll, sei ein “enormes Missverständnis”.

      “Ich habe niemals gesagt, dass irgendwer mich irgendwie sexuell belästigt hat”, erklärte Peng den Journalisten. Tatsächlich stimmt das. Jedenfalls dann, wenn dieser Satz wortwörtlich aufzufassen ist. Denn ihre Vorwürfe waren ausschließlich online zu lesen. Und das auch nur für weniger als eine halbe Stunde am 2. November 2021. Dann verschwand der Originalpost aus ihrem Konto. Warum er gelöscht wurde? “Weil ich es wollte”, behauptet sie heute.

      “Ich würde gern wissen: warum diese Besorgnis?”

      Die Sportwelt, aber auch Politker und Menschenrechtsorganisationen reagierten seinerzeit mit großer Sorge. #WhereisPengShuai entwickelte sich zum Synonym für die internationale Empörung über das öffentliche Verschwinden der 36-Jährigen. Auch darauf sprachen sie die französischen Journalisten nun an. Und auch darauf folgte eine halbgare Antwort: “Jeder konnte mich sehen.” Gemeint war damit eine Videokonferenz mit dem IOC-Präsidenten Thomas Bach, bei der Peng vor einer Wand aus Kuscheltieren als gutgelaunte Athletin auftrat.

      Der Zeitschrift L’Equipe sagte Peng nun, sie habe nicht gedacht, dass es eine solche Sorge um sie geben würde. “Und ich würde gern wissen: warum diese Besorgnis?” Die Antwort darauf geben Exilchinesen. Der Künstler Ai Weiwei, der nach Kritik an der chinesischen Führung einst selbst monatelang von der Bildfläche verschwunden war, sagte der britischen Zeitung Guardian: “Sie (Peng) befindet sich in den sehr sicheren Händen der Kommunistischen Partei. Sie werden sicher dafür sorgen, dass sie sich exakt so verhält, wie es die Partei will.

      Ai hält es für möglich, dass Peng Shuai bereits zu der Erkenntnis gekommen ist, dass es ein Fehler gewesen sein könnte, “diese tiefe, dunkle Beziehung (zu Zhang Gaoli) offenzulegen.” Sie habe damit die Sicherheit ihrer Familie und Freunde sowie ihre Karriere aufs Spiel gesetzt. “Sie hat ihren Geist verloren. Sie ist ein anderer Mensch geworden. Und was immer sie uns sagt, es ist nicht die Wahrheit.”

      Derweil wundert sich der chinesische Menschenrechtsanwalt Teng Biao aus dem US-Exil über Pengs Forderung in dem Interview, der Sport, “dürfe nicht politisiert werden”. Diesen Satz beten die obersten Parteigenossen seit den Sommerspielen 2008 wie ein Mantra herunter. “Ist es nicht seltsam, dass ein Mensch während eines erzwungenen Auftritts die Propaganda der KP nachplappert?”

      Teng war wegen seiner Arbeit als Anwalt ebenfalls über Monate festgehalten worden. Es sei ein probates Mittel der Staatssicherheit, den Opfern ein Angstszenario zu zeichnen, sagte Teng kurz nach dem Verschwinden von Peng in einem Gespräch mit China.Table. “Ziel ist es, dass die Angst der Opfer so groß wird, dass sie bereit sind, alles zu tun, um die Konsequenzen zu vermeiden.”

      Peng spricht erstmals über mögliches Ende ihrer Laufbahn

      Solche Sorgen macht man sich beim Internationalen Olympischen Komitee offenbar nicht. Am Samstagabend hatte Thomas Bach die Tennisspielerin wie vor Monaten verabredet zum Essen getroffen. Auch hier sah sich ein chinesischer Funktionär mit eingeladen und saß ebenfalls am Tisch. Es ging in dem Austausch um vergleichsweise belanglose Inhalte. Der frühere Weltklasse-Fechter und die ehemalige Nummer eins der Weltrangliste im Doppel sprachen unter anderem über ihre Erfahrungen als Topathleten bei den Olympischen Spielen, wie ein IOC-Sprecher sagte.

      Um die Vorwürfe sexueller Übergriffe oder das Rätsel um Pengs widersprüchliche Aussagen ging es dabei nicht. Das IOC sei eine Sportorganisation, hieß es. Eine unabhängige Untersuchung hält das Komitee nur für notwendig, wenn Peng Shuai ausdrücklich darum bitte. Es sei verabredet worden, auch in der Zukunft in Kontakt zu bleiben. Es sei sogar ihr Besuch des IOC-Hauptquartiers in Lausanne in der Schweiz geplant. Wann sie reisen darf und ob sie alleine oder in Begleitung chinesischer Funktionäre kommen wird, steht noch nicht fest.

      Das Interview in der L’Equipe sorgte derweil international für Aufsehen. Allerdings war die Reaktion in weiten Teilen Europas und Nordamerikas kritisch. Zumal das Frage-und-Antwort-Prozedere unter den gegebenen Umständen nicht dazu beitrug, Licht ins Dunkel zu bringen. Neu war jedoch Pengs Ankündigung, dass sie aus Altersgründen sehr wahrscheinlich ihre Karriere beenden werde. Weitere Reisen ins Ausland wären damit auf absehbare Zeit nicht mehr notwendig.

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      Chinas mRNA-Impfstoff macht nur langsame Fortschritte

      China ist der Entwicklung eines eigenen mRNA-Impfstoffs gegen das Coronavirus einen Schritt näher gekommen. Für Arcov, wie der am weitesten entwickelte Kandidat unter Chinas mRNA-Impfstoffen heißt, wurden am 24. Januar neue Daten einer klinischen Phase-1-Studie veröffentlicht (China.Table berichtete). Demnach konnte bei den meisten Teilnehmern nach zwei Impfungen eine “hohe Konzentration” an Antikörpern festgestellt werden. Auch seinen keine schwerwiegenden Nebenwirkungen verzeichnet worden. Die Wissenschaftler erklärten auch, dass es noch zu früh sei, um den Erfolg genau zu beurteilen.

      Damit die Wirksamkeit geklärt und der Impfstoff zugelassen werden kann, braucht es zunächst eine Großstudie, an der mehrere Zehntausend Menschen teilnehmen müssen. Jedoch hatten sich solche Tests zuletzt immer weiter verzögert, weil es nach Angaben der beteiligten Unternehmen schwierig war, noch genügend komplett ungeimpfte Teilnehmer zu finden. Diese Hürde scheint nun überwunden. Der gemeinsam von der Academy of Military Science, Walvax Biotechnology und Suzhou Abogen Biosciences entwickelte Impfstoff wird demnach derzeit an 28.000 Teilnehmer in Mexiko und Indonesien verabreicht. Laut der Datenbank clinicaltrials.gov soll diese Phase-3-Studie jedoch erst im Mai 2023 beendet sein.

      China will Eigenständigkeit bei mRNA-Impfstoffen

      Bisher hat sich Peking zum Schutz seiner Bevölkerung auf inaktivierte Impfstoffe verlassen, die auf einer traditionellen Technologie beruhen, aber gegen die Omikron- und Delta-Varianten viel weniger wirksam sind. Eigentlich könnte es schon längst einen mRNA-Impfstoff in China geben. Das Shanghaier Unternehmen Fosun besitzt seit eineinhalb Jahren die Exklusivrechte für den Vertrieb des Impfstoffs von Biontech im Großraum China. Doch die Lieferungen wurden bislang auf Hongkong, Macau und Taiwan beschränkt, weil auf dem chinesischen Festland  bisher die behördliche Zulassung verweigert wurde. 

      Analysten glauben, dass China auf einen einheimischen Impfstoff wartet, um sich nicht vom Ausland abhängig machen zu müssen. Die wirksamsten mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna sind deshalb für Chinesen nicht zugänglich. Ob Arcov ähnlich wirksam ist wie die Präparate der westlichen Konkurrenz, bleibt unklar. An der jüngsten Phase-1-Studie nahmen 120 Freiwillige in einem Krankenhaus in Hangzhou teil. Die Teilnehmer wurden in Gruppen aufgeteilt und erhielten zwei unterschiedlich starke Dosen im Abstand von 28 Tagen. Die Studie ergab, dass 15mcg die wirksamste Dosis war, die etwa doppelt so viele neutralisierende Antikörper erzeugte, wie sie normalerweise bei genesenen Covid-19-Patienten gefunden werden.

      Versuche mit dem Impfstoff von Pfizer/Biontech hatten zuvor gezeigt, dass er die dreifache Menge an neutralisierenden Antikörpern erzeugen kann. Chinesische Experten verwiesen jedoch darauf, dass ein unterschiedliches Analyseverfahren verwendet wurde, weshalb die Arcov-Ergebnisse nicht vergleichbar seien.  Die Ergebnisse der ersten Arcov-Studien seien “ziemlich normal” und hätten “keine offensichtlichen Warnsignale” aufgewiesen, zitierte die Hongkonger Zeitung South China Morning Post John Moore, Professor für Mikrobiologie und Immunologie am Weill Cornell Medical College in New York. Die Frage, ob der chinesische Impfstoff etwas taugt, wollte der Experte jedoch lieber noch nicht beantworten.

      Chinesische Medien üben sich in Erwartungsmanagement

      Die Chinesen hoffen zwar, dass ihr Präparat ähnlich erfolgreich sein wird wie Moderna oder Biontech. Dass jedoch auch ein Fehlschlag möglich ist, musste der deutsche Entwickler Curevac schmerzlich erfahren, als er im Juni letzten Jahres in der Spätphase der Versuche mit seinem mRNA-Impfstoff gescheitert war. Peking übt sich lieber schon jetzt in Erwartungsmanagement. So verbreiten chinesische Staatsmedien seit Wochen Berichte, wonach mit einem Ende der strengen Null-Covid-Strategie auch nach den Olympischen Winterspielen nicht zu rechnen sei. Daran werde sich auch nichts ändern, sollte die Bevölkerung mit einem neuen Impfstoff geschützt werden. “Früher dachten wir, COVID-19 könne im Wesentlichen durch Impfstoffe eingedämmt werden, aber jetzt scheint es, dass es keine einfache Methode zur Kontrolle gibt”, sagte Wu Zunyou, leitender Epidemiologe des chinesischen Zentrums für Seuchenkontrolle und Prävention, am Sonntag in einem Interview mit der Staatszeitung Global Times

      Laut Wu sei es auch keine gute Idee, auf eine Durchseuchung der Bevölkerung zu setzen. So halte die Immunität bei einer Grippe-Infektion laut des Experten bis zu einem Jahr an, während sie nach einer Infektion mit Corona in der Regel nur etwa drei bis sechs Monate bestünde. Zwar gebe es auch bei der Influenza Variationen, diese seien aber regelmäßig und ihr Variationszyklus relativ lang. Das Coronavirus verändere sich dagegen noch ständig, weshalb kaum absehbar sei, wie sich die Pandemie weiter entwickele. Das Coronavirus bleibe zudem auch in der eigentlich milderen Omikron-Variante deutlich gefährlicher als die Grippe, weil anders als bei der Influenza die oberen und nicht die unteren Atemwege angegriffen würden. Eine Lungenentzündung sei somit viel wahrscheinlicher. Gregor Koppenburg/Jörn Petring 

      • Fosun

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      Litauens Regierung fordert geschlossene Haltung gegen China

      Wegen chinesischen Sanktionen ruft Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis zum Schulterschluss demokratischer Staaten gegen “Störer der globalen Ordnung” wie China und Russland auf. Einen Tag vor dem Treffen der Quad-Staaten Australien, Japan, Indien und USA sagte Landsbergis in der australischen Hauptstadt Canberra, Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik China müssten immer wieder thematisiert werden. Für ihre Prinzipien sollten die liberalen Demokratien bereit sein, “einen Preis zu bezahlen”, sagte der Außenminister auf einer Veranstaltung.

      Tatsächlich folgte kurz darauf die Ankündigung von chinesischer Seite, diverse litauische Branchen mit Importverboten zu belegen. Nachdem der chinesische Zoll bereits wochenlang etliche Produkte aus dem EU-Mitgliedstaat nicht mehr abgefertigt hatte, ist die Einfuhr von Rindfleisch, Alkohol und Milchprodukten aus Litauen nun offiziell verboten. Ob die Ankündigung mit den aktuellen Äußerungen zusammenhängen, ist unklar. Litauen hatte bisher nur geringe Mengen dieser Güter in die Volksrepublik ausgeführt. Die Sanktionen sind eine Strafe für die Eröffnung eines “Taiwan-Büros” in Vilnius. (China.Table berichtete)

      In seiner Rede im Presseclub kritisierte Landsbergis “Leute, die nicht über bestimmte Probleme reden wollen”. Um beispielsweise Produkte, die unter Zwangsarbeit in Xinjiang produziert werden, aus den Lieferketten fernzuhalten, werde “jeder” bezahlen müssen. “Erwarten Sie nicht, dass die Lösungen für diese Probleme kostenlos sind”, sagte der Außenminister. Landsbergis kritisierte damit auch die EU-Kommission, die bis Ende des Monats ein Lieferkettengesetz vorstellen will. Schon jetzt ist klar: Das viel diskutierte Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit wird nicht enthalten sein (China.Table berichtete).

      Der litauische Außenminister ermutigte derweil auch andere Staaten, ihre diplomatischen Beziehungen zu Taiwan auszubauen. Der demokratische Inselstaat hatte kürzlich in der litauischen Hauptstadt Vilnius eine Vertretung mit dem Namen “Taiwan-Büro” eröffnet. Er wäre nicht überrascht, wenn andere Staaten diesem Beispiel folgten, sagte Landsbergis. grz

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      Uno fordert Zugang für Bachelet

      Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, hat Chinas Präsidenten Xi Jinping dazu aufgefordert, Uno-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet einen “glaubwürdigen” Besuch in China zu ermöglichen. Guterres hatte sich am Samstag am Rande der Spiele in Peking mit dem chinesischen Präsidenten und Außenminister Wang Yi getroffen. “Der Generalsekretär machte deutlich, dass er erwartet, dass die Kontakte zwischen dem Büro der Kommissarin für Menschenrechte und den chinesischen Behörden einen glaubhaften Besuch der Kommissarin in China und Xinjiang ermöglichen werden”, teilte die Uno mit. Menschenrechts-Chefin Michelle Bachelet bemüht sich seit mehr als zwei Jahren um einen Zugang zu Xinjiang, um dort die Vorwürfe von Misshandlungen an der muslimischen Minderheit der Uiguren untersuchen zu können. rtr

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        Dinigeer Yilamujiang – Die unbekannte Berühmtheit

        Dinigeer Yilamujiang

        Kurz nach ihrem ersten olympischen Wettkampf brach Dinigeer Yilamujiang das strenge Protokoll der Organisatoren. Entgegen ihrer Verpflichtung tauchte sie nicht in der sogenannten Mixed Zone auf. Dort warten Journalisten aus aller Welt und bekommen die Möglichkeit, die Sportler um ein Interview zu bitten. Wer nicht mit den Reportern reden will, muss nicht. Aber durch die Mixed Zone muss eigentlich jeder. Es sei denn, ein medizinischer Notfall verhindert das. Yilamujiang war gesund – und blieb dennoch fern.

        Unter normalen Umständen hätten sich wohl wenige Journalisten, zumal aus dem Ausland, für die 20-jährige Skilangläuferin des chinesischen Teams interessiert. Sie landete auf Platz 43 im sogenannten Skiathlon, dessen 15-km-Distanz zur Hälfte im klassischen und zur anderen Hälfte im freien Stil zurückgelegt werden muss. Yilamujiangs Platzierung war erwartbar. In ihrer noch jungen internationalen Laufbahn auf Spitzenniveau lief sie erst einmal in die Top 20, ansonsten unter ferner liefen.

        Aber es waren keine normalen Umstände. Yilamujiang hatte rund 19 Stunden zuvor gemeinsam mit dem gleichermaßen unbekannten Nordischen Kombinierer Zhao Jiawen das Olympische Feuer bei der Eröffnungsfeier entzündet. Es gilt als eine große Ehre, weil sie nur ganz wenigen Menschen auf der Welt vorbehalten bleibt. Viele Reporter hätten wissen wollen, was ihr durch den Kopf ging und was sie fühlte. Schließlich wurde ihr Auftritt vor Hunderten Millionen Menschen an den TV-Bildschirmen zu einem Politikum.

        Dinigeer Yilamujiang ist uigurischer Abstammung und erfährt als solche eine besondere Aufmerksamkeit in der Welt. Denn Millionen Uiguren werden in China verfolgt, in Umerziehungslager gesperrt und als potenzielle Terroristen von der chinesischen Regierung gebrandmarkt. “Genozid” nennen verschiedene Regierungen, Parlemente und Politiker:innen demokratischer Staaten die dortigen Menschenrechtsverbrechen. Wenn eine Frau dieser Ethnie das Olympische Feuer entfacht, ist es nur logisch, dass sich daran eine hochpolitische Debatte entzündet.

        Dem einzigen Medium, dem sie schließlich Rede und Antwort stand, war die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua. “Ich war so aufgeregt, als ich erfahren habe, dass wir die Flamme entzünden sollen. Das ist eine riesige Ehre für mich”, sagte sie dem Sprachrohr der Regierung. “Dieser Moment wird mir für jeden Tag meines restlichen Lebens Kraft geben.”

        Ein paar 1000 Kilometer entfernt heulten Yilamujiangs Mutter und einige weitere Frauen Rotz und Wasser in eine Kamera. Männer waren nicht zu sehen in der kurzen Sequenz. Dabei wäre es schön gewesen zu erleben, wie ihr Vater auf die Fernsehbilder aus der Hauptstadt reagierte. Denn er soll es gewesen sein, der die Tochter als Langlauftrainer mit Wintersport in Kontakt brachte. Ihr Vater war selbst Leistungssportler, heißt es.

        Als Jugendliche schaffte Yilamujiang, deren uigurischer Nachname Ilhamjan lautet, den Sprung in den Nationalkader. 2018 feiert sie ihr internationales Debüt bei einem Sprintrennen im norwegischen Beitostölen. Sie landete damals auf Platz als 184. Im vergangenen Jahr nahm sie bereits an den Weltmeisterschaften in Oberstdorf teil. Mit der chinesischen Mannschaft erreichte sie im Teamsprint Rang 13.

        China hat alles für mich getan, was es tun konnte. Was mir jetzt nur noch übrig bleibt, ist hart zu trainieren und dem Land Ruhm zu verschaffen”, sagte sie vor den Olympischen Spielen einer Tageszeitung in Xinjiang. Ihr Ziel sei es, eine Olympiamedaille zu gewinnen. Der Traum wird in diesem Jahr nicht in Erfüllung gehen. Dafür reicht ihr Leistungsvermögen schlicht nicht aus. Berühmtheit hat sie seit vergangenem Freitag dennoch erlangt. Und vielleicht war ihre Rolle als Fackelträgerin, die das Feuer entzündete, dem Staat schon Genugtuung genug. grz

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        China.Table Redaktion

        CHINA.TABLE REDAKTION

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