Table.Briefing: China

Festnahmen in Hongkong – Klaus Mühlhahn im Interview

  • Weiterer Schlag gegen Hongkonger Presse
  • Jahresrück- und Ausblick mit Klaus Mühlhahn
  • Hochschwangere Frau von Klinik abgewiesen
  • Nächste Millionenstadt im Lockdown
  • Weltweit Demos für Olympia-Boykott
  • IOC: Menschenrechtler fordern Bachs Rücktritt
  • Japans Regierung meidet Winterspiele
  • Kritik an Daimler-Werbung wegen asiatischer Augen
  • Ma Xingrui wird neuer Parteichef in Xinjiang
Liebe Leserin, lieber Leser,

wer Deutschland als Diktatur empfindet, was ist dessen Meinung nach eigentlich die Volksrepublik China? Wer nicht verstehen möchte, wo die Unterschiede liegen, der bekommt seit anderthalb Jahren am Fallbeispiel Hongkong die Autokratisierung einer Demokratie in Echtzeit serviert. Die radikale Vorgehensweise der dortigen Regierung gegen alles, was minimal von der staatlichen Linie abweicht, sollte hierzulande als mahnendes Beispiel an Grundschulen gelehrt werden. Damit künftige Generationen lernen, wann ein Staat wirklich autoritäre Züge entwickelt.

Im fiktionalen Handbuch für Autokraten hat die Hongkonger Regierung über die Feiertage ein weiteres Kapitel erfolgreich abgeschlossen: die endgültige Zerschlagung kritischer Medien. Jetzt widmet sich die Stadtspitze dem nächsten “bösen Element”: der ausländischen Presse. Deswegen widmen wir uns heute analytisch den Hintergründen und dem Zeitpunkt der jüngsten Entdemokratisierungswelle.

Passend dazu erklärt uns der Sinologe Klaus Mühlhahn im Interview, weshalb er glaubt, dass sich die Diktatur in der Volksrepublik im Jahr 2022 weiter verfestigen wird. Er ergründet im Gespräch mit Finn Mayer-Kuckuk, wie sich die immer größere Gereiztheit in Peking auf die Weltpolitik auswirken wird.

Alles in allem sind das keine guten Aussichten für den Geist der Demokratie auf dieser Welt. Dennoch wünsche ich Ihnen allen ein gutes neues Jahr.

Ihr
Marcel Grzanna
Bild von Marcel  Grzanna

Analyse

Festnahmen in Hongkong: Alle Jahre wieder

Kritische Hongkonger Medien sind bereits kaltgestellt. Jetzt widmet sich die Regierung der Stadt zunehmend der Diskreditierung ausländischer Berichterstattung. Sicherheitschef John Lee attackierte das Wall Street Journal für dessen Kritik an den Festnahmen von sieben amtierenden und ehemaligen Angestellten des Onlineportals Stand News kurz vor dem Jahreswechsel. Die Zeitung würde falsch informieren, ihre Berichterstattung ein “neues Level an Ekelhaftigkeit” erreichen, wetterte Lee in altbekannter KP-Manier.

In der Volksrepublik organisiert die Kommunistische Partei schon seit Jahren aggressive Kampagnen gegen die Arbeit von ausländischen Journalist:innen. Mit wachsendem autoritären Einfluss auf die Sonderverwaltungszone findet Pekings Strategie zunehmend auch in Hongkong Anwendung. “Wenn Sie wirklich an der Pressefreiheit interessiert sind, sollten Sie Maßnahmen gegen Menschen unterstützen, die die Medien unrechtmäßig als Instrument zur Verfolgung ihrer politischen oder persönlichen Vorteile ausgenutzt haben”, schrieb Lee an das Blatt. Das Wall Street Journal hatte die Razzia gegen Stand News am 28. Dezember seinerseits als “Ekelhaftigkeit” bezeichnet.

Das Vorgehen der Behörden erinnerte an den Fall der Tageszeitung Apple Daily, die schon im Frühjahr des vergangenen Jahres ihre Produktion eingestellt hatte (China.Table berichtete). Erneut wurden Redaktionsräume durchsucht, Dokumente und Computer beschlagnahmt, Konten eingefroren. Wie Apple Daily beendete auch Stand News umgehend seine Produktion, um die verbliebenen Mitarbeiter:innen vor möglicher Strafverfolgung zu schützen. Kurz darauf warfen vorsichtshalber auch die Citizen News das Handtuch (China.Table berichtete), ein Projekt, das als Sammelbecken regierungskritischer Journalist:innen vor fünf Jahren gegründet worden war.

Festnahmen nicht auf Basis des Sicherheitsgesetzes

Jeglicher kritischer Polit-Berichterstattung Hongkonger Medien ist damit der Boden entzogen. Zumal auch die viele Jahre unabhängige South China Morning Post zunehmend auf Regierungslinie umschwenkt. Deren Nachrichtenchef Yonden Lhatoo hatte dem Westen in einem Kommentar Doppelmoral vorgeworfen, weil er Pressefreiheit predigte, während Wikileaks-Gründer Julian Assange in den USA der Prozess droht.

Die Bundesregierung hatte den neuerlichen Schlag gegen pro-demokratische Kräfte in Hongkong als “stetige Erosion” von Pluralismus, Meinungs- und Pressefreiheit kritisiert. In einer Stellungnahme machte das Auswärtige Amt besonders die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes für die Entwicklung verantwortlich. Tatsächlich hat das Gesetz, das 2020 in Kraft trat, den Spielraum für die Willkür von Ermittlern dramatisch erweitert. Allerdings berufen sich die Behörden im Fall von Stand News gar nicht auf das Nationale Sicherheitsgesetz, sondern auf eine veraltete Klausel der Rechtsverordnung aus der Kolonialzeit.

Die Klausel war bis 2020 jahrzehntelang nicht mehr angewendet worden, weil sie internationalen Menschenrechtsstandards widerspricht. 2003 hatte die Hongkonger Regierung diese Diskrepanz selbst festgestellt. Die Regelung ermöglicht es den Behörden, auch friedliche Äußerungen, die Demokratie lediglich allgemein propagieren, als aufrührerische Aktivität zu brandmarken und zu ahnden. “Mit den Festnahmen bei Stand News kehrt die Regierung zu einem (…) Verständnis (des Begriffs) Aufruhr zurück, der negative Presse mit krimineller Aktivität gleichsetzt“, kommentierte Tom Kellogg vom Asian Law Center der Georgetown University in Washington.

Kellogg glaubt, dass die Behörden mit der Anwendung der besagten Klausel verhindern wollen, dass örtliche Medien über Hongkonger Aktivist:innen berichten, die aus dem Exil im Ausland gegen die Regierung arbeiten. “Sie möchte wichtige Aktivistenführer, die jetzt im Exil oder im Gefängnis sind, aus allen Aspekten des bürgerlichen und öffentlichen Lebens in Hongkong ausschließen”, schrieb Kellogg auf Twitter.

Auch Hongkong nutzt Weihnachtszeit für Razzien

Dass die Razzia gegen Stand News vergangene Woche stattfand ist, kein Zufall. Alle Jahre wieder nutzte schon die chinesische Regierung die Weihnachtszeit zu einem entschlossenen Vorgehen gegen kritische Stimmen im Land. Viele Auslandskorrespondent:innen befinden sich über die Feiertage in ihren Heimatländern. Die dortigen Redaktionen sind meist nur spärlich besetzt. Und die Aufmerksamkeit westlicher Nachrichtenkonsumenten für Neuigkeiten aus China und anderswo hält sich in dieser Zeit deutlich in Grenzen.

Unter diesen Umständen erzeugen Festnahmen von chinesischen Dissidenten oder Gerichtsurteile gegen Aktivistinnen weniger Echo und Empörung. Die Praxis bewährt sich in China seit vielen Jahren. 2007 beispielsweise verhafteten die Behörden in Peking kurz vor dem Jahreswechsel den Sacharow-Preisträger Hu Jia. Im Jahr 2009 wurde der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo am 1. Weihnachtsfeiertag zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Liu überlebte die Haft nicht. Er verstarb acht Jahre später an Leberkrebs. Ein aktuelleres Beispiel ist die Bloggerin Zhang Zhan, die Ende Dezember 2020 von einem Gericht in Shanghai zu vier Jahren Haft verurteilt wurde.

Die sogenannte “Jingle Bells”-Taktik etabliert sich inzwischen auch in Hongkong, wo die Kommunistische Partei, entgegen ihrer vertraglichen Zusage, den Menschen kaum noch demokratische Bürgerrechte gewährt und von der Hongkonger Regierung bedingungslosen Gehorsam verlangt.

Schon vor zwei Jahren nutzten die Sicherheitskräfte die kollektive westliche Auszeit rund um das Fest der Liebe zu einer beispiellosen Verhaftungswelle unter Anhänger:innen der pro-demokratischen Protestbewegung. 336 Festnahmen wurden innerhalb von vier Tagen während der Weihnachtswoche gemacht. Das böse Spiel setzte sich auch im vergangenen Monat fort. Die Hongkong University musste die “Säule der Schande”, die an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 erinnerte, “aus rechtlichen Gründen” von ihrem Campus entfernen. An Heiligabend wurde dann auch die “Göttin der Demokratie” vom Gelände der Chinese University of Hong Kong entfernt.

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    “Die alten Regeln gelten nicht mehr”

    China: Sinologe Klaus Mühlhahn ist Präsident der Zeppelin Universität
    Sinologe Klaus Mühlhahn ist Präsident der Zeppelin Universität

    Der Fall Continental bewegt derzeit die Gemüter. Erstmals greift China die Autoindustrie seines Partnerlandes Deutschland an. Was sagt uns das?

    Tatsächlich deutet sich hier eine neue Vorgehensweise in der Handelspolitik an. China beginnt jetzt ebenfalls, die Lieferketten als politisches Instrument einzusetzen. Güter mit Vorprodukten aus Litauen sollen als solche gekennzeichnet werden, und dann dürften solche Produkte nicht mehr nach China verkauft werden. Diese politische Instrumentalisierung der Lieferketten ist zuerst von Donald Trump im großen Maßstab eingesetzt worden. Neu ist aber nun, dass China diese Praxis aufgreift. China will sein wirtschaftliches Gewicht auch politisch nutzen.

    Zugleich sieht es so aus, als nehme die Berechenbarkeit des Verhaltens auf allen Seiten ab.

    Das ist ohnehin ein großes Risiko für die Zukunft und insbesondere für das Jahr 2022. Die Staaten und Institutionen sind lange Zeit ungeschriebenen und geschriebenen Regeln gefolgt, die das Miteinander in der Welt in den letzten drei Jahrzehnten beherrscht haben. China war hier sogar ein vergleichsweise verlässlicher Spieler. Diese Ära endet nun. Die Regeln gelten so nicht mehr. Dadurch schwindet die Berechenbarkeit. Niemand weiß jedoch, wie die neuen Spielregeln lauten werden. Daher steigt die Gefahr von unbeabsichtigten Nebenwirkungen sowohl für die Wirtschaft Chinas als auch für die Wirtschaft in der Welt.

    Die Akteure verhalten sich zunehmend unvorhersehbar.

    Das sieht man ja jetzt auch an den Ereignissen um Litauen. China ist gereizter geworden. Zugleich ist das Land jetzt eher bereit, Risiken einzugehen. Litauen ist ein schönes Land – ich will es jetzt keinesfalls zurücksetzen – aber es ist eben auch ein sehr kleines Land. Chinas heftige Reaktion steht in keinem Verhältnis zum politischen Gewicht Litauens. Wenn China überhaupt nicht reagiert hätte, wäre der mögliche Schaden für alle Seiten minimal geblieben. China hat überraschend gereizt auf ein sekundäres Thema reagiert.

    Warum hat das große China die Aktionen des kleinen Litauen nicht souverän übersehen?

    Früher hätte China vermutlich so reagiert. Es hätte den Vorgang offiziell als unwichtig dargestellt und hinter den Kulissen versucht, Litauen zu isolieren. Heute geht man damit in die Öffentlichkeit und bewirkt genau das Gegenteil: Die Affäre wird zu einer europäischen und deutschen Angelegenheit.

    Weshalb diese Eskalation?

    In der Außenwirtschaftspolitik Chinas wird Xi Jinpings Handschrift als Präsident immer deutlicher. Wir sehen überhaupt nur noch wenige andere Entscheidungsträger. Das war früher definitiv anders, es gab eine Vielzahl von Außenpolitikern, die gemeinsam die Politik geprägt haben. Ich glaube schon, dass der derzeitige Kurs sehr viel damit zu tun hat, dass Xi die Außenpolitik für sich als Schwerpunkt definiert hat. Hier will er punkten, indem er die Stärke und das Selbstbewusstsein Chinas zur Schau stellt.

    Wobei die Frage bleibt, warum ein geschickter Stratege wie Xi eine so wenig subtile Außenpolitik betreibt.

    Xi Jinping ist in der Tat ein sehr kluger Stratege. Er ist aber auch sehr ambitioniert. In der Außenpolitik sehen wir eine deutliche Abkehr von der Vergangenheit. Unter seinen Vorgängern herrschte Konsens, international vorsichtig zu agieren. Da gab es eigentlich nie ein deutliches Wort. Jetzt ist China im Vergleich dazu regelrecht streitlustig geworden. Dahinter steckt auch eine Botschaft an die Massen. Xi präsentiert sein China als betont selbstbewusstes Land.

    Die Botschaft geht also nach innen?

    Was von außen oft übersehen wird, sind die großen Herausforderungen, vor denen die Führung steht. Es herrscht da meiner Meinung nach eine Art Krisenbewusstsein. Im kommenden Jahr werden 1,2 Millionen Hochschulabsolventen den Arbeitsmarkt betreten, für die es eigentlich keine Beschäftigungsmöglichkeiten gibt. Über das außenpolitische Gehabe lassen sich diese Verwerfungen im Innern übertünchen. Die Rhetorik von der nationalen Größe wird hier ganz gezielt eingesetzt.

    Der Nationalismus wird zudem untrennbar mit einem Kult um die Person Xi vermischt. Installiert er sich als Alleinherrscher?

    Wir sehen zumindest eine klare Konsolidierung in der Partei. Auf dem 6. Plenum wurden viele Weichen gestellt. Bei der Resolution zur Geschichte der Partei ging es ja weniger um die Geschichte als um die Zukunft. Aber noch weit wichtiger als der Inhalt ist überhaupt das Zustandekommen der Resolution. Nur die stärksten Führungspersönlichkeiten konnten so etwas durchzusetzen. Auch in China ist die Resolution Ergebnis eines langwierigen Diskussionsprozesses voller Risiken. Das einheitliche Bild, das dabei entsteht, ist bemerkenswert. Aus China dringen fast keine anderen Stimmen nach außen.

    Gibt es die anderen Stimmen nicht mehr? Sind die anderen Meinungen bereits verstummt oder hören wir sie bloß nicht?

    Wir stehen vor etwas, das ich die “epistemische Herausforderung” nennen würde. Also der Frage, was wir überhaupt von dem Land angesichts der Isolation noch wissen können und wie wir uns das Wissen verschaffen. Wir lesen aus China nur noch die offiziellen Verlautbarungen, egal, wo wir hinschauen. Darauf basiert dann unsere China-Analyse. Im Endeffekt machen wir alle Kaffeesatzleserei mit einer sehr begrenzten Zahl an Dokumenten. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden als Hauptstadtjournalist die deutsche Politik nur auf Basis der Parteiprogramme und der offiziellen Presseerklärungen analysieren.

    Das Ergebnis wäre in der Tat ziemlich dürftig.

    Und doch machen wir gerade genau das in Bezug auf China. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir Kommentatoren sagen: Das ist eine Blackbox, und was darin stattfindet, wissen wir nicht wirklich. Wir können ja auch nicht mehr hinfahren.

    Das Ende des persönlichen Austauschs war vielleicht eine der einschneidendsten Änderungen der vergangenen zwei Jahre. Können die Akteure im Umgang mit China überhaupt noch informierte Entscheidungen treffen?

    Genaue Informationen sind für die Risikoabschätzung ganz wichtig. Und jetzt tun wir das im Grunde genommen auf Basis einer sehr begrenzten Datenlage. Wir stehen  gemeinsam vor der Herausforderung, uns neue Zugänge und Informationsquellen zu erschließen.

    Auch die neue Bundesregierung steht vor diesem Problem. Es gibt kaum Kanäle, über die sich im Vorfeld einer Entscheidung ausloten lässt, was mit China geht und was nicht.

    Hier steigt die Gefahr, dass Maßnahmen nicht die erhoffte Wirkung erzielen. Das kann potenziell problematisch werden bei einer Bundesregierung, die in Bezug auf China sich noch keine klare Position erarbeitet hat. Die verschiedenen Ministerien müssten jetzt zügig mit der Wirtschaft ins Gespräch kommen und daraus eine Strategie formen. Doch ich glaube, das wird noch Zeit brauchen. Die Gefahr ist nun, dass man sich in dieser Zeit auf deutscher Seite aufgrund von Unerfahrenheit vergaloppiert oder ins Fettnäpfchen tritt.

    So steigt auch die Gefahr fataler Fehleinschätzungen.

    Als Historiker erinnert mich die heutige Lage immer mehr an die Situation vor dem Ersten Weltkrieg. Wir haben dieselbe Unübersichtlichkeit, dieselbe Dominanz nationaler Interessen. Wir haben dieselbe Bereitschaft, Handel als Waffe zu nutzen, womit man Gemeinsamkeiten reduziert und Unterschiede herausstellt. Wir brauchen bei aller gegenseitiger Kritik einen Fokus auf Gemeinsamkeiten. Es ist richtig, dass Werte im Verhältnis zu China eine Rolle spielen sollen. Aber man braucht auch eine realistische Abwägung aller Ziele. Am Ende sind Pragmatismus gefragt und eine Orientierung an realen Erfolgen statt an Rhetorik.

    Was können wir tun, um wieder mehr Gesprächskanäle zu öffnen?

    Auf jeden Fall wird es dringend nötig sein, wieder ins Gespräch zu kommen und bisher ungenutzte Kontakte zu aktivieren. Hier lassen sich beispielsweise auch Vertreter der chinesischen Wirtschaft oder Wissenschaft ansprechen. Diesen Dialog sollten wir viel öfter führen, und das tun wir eigentlich überhaupt nicht mehr. Wir befinden uns wie gesagt in einer Krise der Informationsbeschaffung. Wir müssen viel mehr darüber in Erfahrung bringen, was auf der chinesischen Seite los ist.

    Was können wir denn über die Vorgänge in der Partei wissen? 2022 bringt uns beispielsweise einen der Parteitage, die nur alle fünf Jahre stattfinden.

    Das wird der wichtigste Parteitag in einer sehr langen Zeit. Ein großer Teil des Führungspersonals auch unterhalb des Politbüros wird wahrscheinlich ausgetauscht werden. So etwas hat es zuletzt in den 80er-Jahren gegeben. Die Reformpolitik-Generation tritt ab. Hinterher werden wir eine noch größere Kontrolle durch Xi Jinping sehen. Und natürlich die offizielle Entfristung seiner Amtszeit. Dadurch rückt er noch mehr in den Vordergrund. Die Vielfalt in der Partei wird immer weniger sichtbar.

    Wir sehen das Ende des politischen Systems von Deng Xiaoping, das kollektive Herrschaft mit Elementen gegenseitiger Überwachung vorgesehen hat. Die Partei macht diesen Rückbau weiterhin mit?

    Sie macht das mit, aber es steigen auch die Risiken für Xi Jinping. Denn was für ihn gut ist, ist nicht notwendigerweise für die Partei gut. Die kollektive Führung und Konsensorientierung war das Geheimnis des Erfolgs der Partei. Die Begrenzung der Amtszeiten war hier ein wichtiges Element. Dieses lange Austarieren und Suchen nach Gemeinsamkeit hinter geschlossenen Türen, das die Politik in China früher bestimmt hat, das ist mehr oder weniger weg. Damit stellt sich die Frage: Kann die Partei in der Zukunft da noch erfolgreich sein? Oder degeneriert dieses System in ein persönliches Regiment mit allen Risiken.

    Was China schadet, schadet heutzutage aber auch Deutschland.

    Während der Ton aggressiver wird, steigt andererseits die Vernetzung der Welt immer mehr an. Die jungen Menschen in China sind auch weiterhin sehr stark an der Welt interessiert, am Reisen, am Austausch, an westlicher Musik, an Filmen. Es kann dem System schwer schaden, wenn der Zugang zur Welt begrenzt wird. Auch wenn nur wenig nach außen dringt, ist ziemlich klar, dass da nicht alle begeistert sind.

    Klaus Mühlhahn ist Professor für Chinastudien an der Freien Universität Berlin und seit Juni 2020 für fünf Jahre Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Er hat einen Hintergrund in Sozial- und Geschichtswissenschaften. Im Jahr 2021 sind von ihm erschienen: “The Chinese Communist Party: A Century in Ten Lives” und “Geschichte des modernen China: Von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart”. Für 2022 plant er zusammen mit Julia Haes die Veröffentlichung des Buches “Hongkong: Umkämpfte Metropole von 1841 bis heute”.  

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      Corona-Maßnahmen: Hospital weist hochschwangere Frau ab

      Eine menschliche Tragödie aus dem Lockdown in Xi’an schlägt in China hohe Wellen und führt zu einer Debatte über die Verhältnismäßigkeit der Coronavirus-Vorschriften. Die Stadtverwaltung der 13-Millionen-Einwohnerstadt hat den leitenden Angestellten eines örtlichen Krankenhauses entlassen und weitere Mitarbeiter:innen suspendiert. Anlass war der Tod eines ungeborenen Kindes, deren Mutter im achten Monat der Schwangerschaft vom Krankenhaus am Samstagabend abgewiesen worden war. Die Frau hatte einen Covid-19-Test vorgelegt, dessen Gültigkeit vier Stunden zuvor abgelaufen war.

      Im Internet kursierte ein Video der offenbar hochschwangere Frau vor dem Xi’an Gaoxin Krankenhaus in Xi’an, der Blut an den Beinen herunterläuft. Zwei Stunden lang soll ihr der Eintritt trotz der Notlage verwehrt geblieben sein, heißt es. Das chinesische Nachrichtenportal City Link zitierte einen nicht namentlich genannten Mitarbeiter der Klinik, der sagte: “Wir haben das getan, was man uns gesagt hat.”

      Dennoch schob die Verwaltung die Verantwortung für die Tragödie auf das Krankenhaus. In einer Stellungnahme der Behörden hieß es, das Krankenhaus solle sich öffentlich entschuldigen und seine Arbeitsabläufe hinterfragen und verbessern. Die Disziplinarkommission der Stadt verwarnte zudem zwei hochrangige Parteifunktionäre, darunter den Direktor der städtischen Gesundheitskommission. grz

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        Weitere Millionen-Stadt im Lockdown

        Nach der Millionenmetropole Xi’an hat eine weitere chinesische Großstadt den kompletten Lockdown verhängt. Die 1,17 Millionen Bürger von Yuzhou in der zentralchinesischen Provinz Henan dürfen seit Montagabend ihre Häuser und Wohnungen nicht mehr verlassen. Die Einhaltung der Ausgangssperre wird laut Angaben der lokalen Behörden mit Wachposten kontrolliert.

        In Yuzhou waren in den vergangenen Tagen gerade einmal drei neue Corona-Fälle gemeldet worden. China fährt nach wie vor eine strikte Null-Covid-Strategie. Selbst bei einer geringen Anzahl von Fällen werden Ausgangssperren, Reisebeschränkungen, Kontaktnachverfolgungen und Massentests verordnet.

        In der nördlichen Millionenmetropole Xi’an ist seit zwei Wochen ein Komplett-Lockdown in Kraft (China.Table berichtete). Im Dezember war es dort zum größten Coronavirus-Ausbruch in China seit dem Beginn der Epidemie gekommen. Insgesamt verzeichnete die Stadt mehr als 1.600 Infektionsfälle. Laut offiziellen Angaben ist die Zahl der Neuinfektionen jedoch wieder rückläufig. fpe

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          Weltweiter Aufruf zu Olympia-Boykott

          Auch in Berlin gab es Demonstrationen gegen die Olympischen Winterspiele. Dabei wurde deren Boykott gefordert.
          Auch in Berlin wurde gegen die Olympischen Winterspiele demonstriert und zu deren Boykott aufgerufen

          Uigurische und tibetische Interessengruppen haben am Dienstag weltweit für einen politischen Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking (4. bis 20. Februar) geworben. Genau einen Monat vor der Eröffnungsfeier versammelten sich Tausende Demonstrant:innen unter anderem in Berlin, New York, Paris, Washington, Brüssel, London, Brisbane und Chicago, um auf die dramatische Menschenrechtssituation in der Volksrepublik aufmerksam zu machen.

          In Berlin marschierten rund 300 Teilnehmer verschiedener Organisationen vom Brandenburger Tor zum Auswärtigen Amt. Unter dem Motto #NoBeijing2022 beteiligten sich neben der International Campaign for Tibet Deutschland (ICT) und dem Weltkongress der Uiguren (WUC) auch die Gesellschaft für bedrohte Völker sowie Vertreter von muslimischen Verbänden und der Hongkonger Exil-Bevölkerung an dem Protest.

          “Menschenrechtspolitik heißt nicht nur Kritik zu äußern, sondern Konsequenzen zu ziehen. Nur dann ist Menschenrechtspolitik auch glaubwürdig”, sagte ICT Deutschland-Geschäftsführer Kai Müller im Gespräch mit China.Table. Kritische Worte würden in Peking nicht ernst genommen. Deshalb müssten Taten folgen. Vor allem die Bundesregierung sei gefordert, in Europa voranzugehen. Zumal das Ausland mehr Bereitschaft von Berlin erwarte, sein politisches Kapital auch einzusetzen.

          Müller sprach sich zudem gegen einen sportlichen Boykott der Winterspiele aus. Die Athlet:innen seien selbst Betroffene, die man für Fehlentscheidungen seitens der Sportverbände nicht bestrafen dürfe. “Die erneute Vergabe der Olympischen Spiele an Peking war verantwortungslos und das Resultat mangelnder Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen in Tibet im Vorfeld der Sommerspiele 2008″, so Müller. grz

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            Organisation fordert Rücktritt von IOC-Präsident Bach

            Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat den Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Thomas Bach zum Rücktritt aufgefordert. Angesichts der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen dürften in China keine Olympischen Spiele stattfinden. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Wenzel Michalski, Human-Rights-Watch-Direktor für Deutschland: “Wenn selbst die Wirtschaft jetzt schon fordert, die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang auch von Unternehmerseite anzuprangern, dann spätestens muss einem Herrn Bach und den anderen klar sein, dass ihre Zeit gekommen ist.”

            Vier Wochen vor Beginn der Olympischen Winterspiele in Peking betonte Michalski: “Die müssen zurücktreten und einer neuen Generation von menschenrechtsbewussten Funktionären das Feld überlassen.” China steht unter anderem wegen Menschenrechtsverletzungen im Umgang mit den Minderheiten der Uiguren und der Tibeter in der Kritik. Hinzu kommen die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong sowie zunehmende Drohungen gegen Taiwan.

            In diesem Jahr stehen gleich mehrere Sportereignisse in Ländern mit Menschenrechtsproblemen an, neben den Olympischen Winterspielen in China auch die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. HRW-Direktor Michalski forderte denn auch, die Macht dieser Sportverbände müsste “jetzt eigentlich gebrochen werden, denn sie haben gezeigt, dass sie nur unverantwortlich und geldgierig handeln”.

            FDP-Menschenrechtspolitiker Peter Heidt sagt: “Es ist mich für ein Wahnsinn, in China jetzt diese Winterspiele durchzuführen. Ich weiß, die Sportler bereiten sich darauf vor. Aber eigentlich müssten wir diese Winterspiele komplett boykottieren.” Heidt sagte ebenfalls im Deutschlandradio, dass er derzeit an einem Antrag arbeite, damit Deutschland die Spiele zumindest diplomatisch boykottiere. Es sei aber nicht leicht, in der Regierungskoalition die richtige Formulierung zu finden. Bislang hat die Bundesregierung keine einheitliche Haltung zu diesem Thema gefunden (China.Table berichtete).

            Angesichts der Menschenrechtsverletzungen in China haben die USA, Australien, Großbritannien und Kanada einen diplomatischen Boykott der Spiele angekündigt. Sie werden keine Politiker zu den Wettkämpfen schicken. IOC-Chef Thomas Bach sieht die Situation offenbar anders. Er hatte zuletzt gar von großem internationalen Rückhalt gesprochen. “Die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für diese Olympischen Winterspiele ist offensichtlich und höchst willkommen”, sagte der Deutsche in seiner Neujahrsansprache. Die Winterspiele werden vom 4. bis 20. Februar stattfinden. rad

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              Japans Regierung hält sich von den Winterspielen fern

              Japan will keine Regierungsmitglieder zu den Olympischen Winterspielen nach Peking entsenden. Man halte es für wichtig, “dass universelle Werte wie Freiheit, Respekt für Menschenrechte sowie Gewaltenteilung in China gesichert sind”, sagte Japans Regierungssprecher Hirokazu Matsuno. Den Begriff “diplomatischer Boykott” verwendete Matsuno dabei jedoch bewusst nicht. Die Politikerin und Sportlerin Seiko Hashimoto, Leiterin des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele Tokio 2020, werde nach Peking reisen. Hinter den Kompromissen stecke der Versuch, China nicht allzu sehr vor den Kopf zu stoßen, kommentieren japanische Medien. Es sei allerdings fraglich, ob China das Manöver wie gewünscht als freundliche Geste auffasse.

              Peking hatte immer wieder die Unterstützung Japans für die Winterspiele eingefordert. China habe sich Japans Sommerspielen gegenüber solidarisch gezeigt und Hilfe angeboten, nachdem die Spiele von Tokio aufgrund der Pandemie von 2020 auf 2021 verschoben wurden, kommentierte die chinesische Staatszeitung Global Times.

              Anfang Dezember erklärten die USA, wegen zahlreicher Menschenrechtsverletzungen durch die chinesische Regierung keine Regierungsvertreter zu den Winterspielen zu schicken (China.Table berichtete). Auch Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland, Belgien und Litauen schlossen sich daraufhin dem diplomatischen Boykott der USA an. Die EU-Länder und auch Deutschland haben sich noch nicht einheitlich zu einem Boykott der Winterspiele geäußert (China.Table berichtete). Die Spiele in Peking finden vom 4. bis 20. Februar statt. niw

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                Daimler wegen Werbung in der Kritik

                Werbefotos mit chinesischen Models haben in China eine Diskussion über die Korrektheit der Verwendung betont asiatischer Looks ausgelöst. Der Gesamteindruck der Bilder fördere schädliche Stereotype über Asiaten, lauten die Vorwürfe auf der Sozialplattform Weibo. Unter anderem betroffen ist eine Kampagne des Autoherstellers Daimler. Auch der chinesische Snack-Versender Three Squirrels war von der Kritik betroffen.

                In China hat sich wie in westlichen Ländern die Empfindlichkeit gegenüber Symbolen, die als rassistisch oder anderweitig als ausgrenzend empfunden werden können, in den vergangenen Jahren enorm gesteigert (China.Table berichtete). Auch die Luxusmarke Dior sah sich bereits mit dem Vorwurf konfrontiert, in der Augenform seiner Models auf westliche Vorurteile über chinesisches Aussehen zurückzugreifen. Walmart, Dolce & Gabbana sowie Hennes & Mauritz waren zuletzt ebenfalls vom Verbrauchernationalismus betroffen. Solche Vorgänge sind durchaus relevant für das Markenimage. fin

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                  Portrait

                  Ma Xingrui – Neuer Parteichef in Xinjiang

                  Ma Xingrui wechselt von seinem Posten als Gouverneur von Guangdong als Parteichef nach Xinjiang
                  Ma Xingrui wechselt von seinem Posten als Gouverneur von Guangdong als Parteichef nach Xinjiang

                  Wenn die KP die Top-Posten in der Autonomen Region Xinjiang neu besetzt, sind das keine gewöhnlichen Personalien. Xinjiang ist noch vor Tibet die administrativ heikelste Provinz. Wer sich dort bewährt, hat Chancen für den Aufstieg in die nationale Führungsspitze.

                  Deshalb erregen derzeit zwei Personalentscheidungen Aufsehen. Chen Quanguo (66) verlässt seinen Posten als Generalsekretär der KP in Xinjiang. Auf ihn folgt Ma Xingrui (62), der bisher Gouverneur in der Südprovinz Guangdong war.

                  Chen bleiben nach Posten in Tibet und Xinjiang eine Aufgabe im Politbüro. Er wird seine Zeit in Zukunft nicht mehr in Urumqi, sondern in Peking verbringen. Aus Sicht seiner Parteikollegen hat er seine Aufgaben in Tibet und Xinjiang bestens erledigt. So hat er das Wirtschaftswachstum hochgetrieben und die Armut bekämpft. Das ist ein wichtiger Baustein der Propagandakampagne, die das Wirken der Regierung in Xinjiang als Segen für die Bevölkerung darstellt.

                  Xinjiang als Übungsplatz für Unterdrücker

                  Was Menschenrechtsgruppen in Rage versetzt, gilt ebenfalls als voller Erfolg: Der Aufbau eines lückenlosen Überwachungsregimes, das für politische Grabesruhe sorgt. Chen wurde dafür von den USA und der EU mit Sanktionen belegt (China.Table berichtete). Das wiederum hatte zu Gegensanktionen geführt, die umgekehrt das vorläufige Ende des Investitionsabkommens CAI bewirkten. Chen ist damit zu einer weltgeschichtlich relevanten Person geworden.

                  Ma Xingrui soll nun aller Wahrscheinlichkeit nach das Programm aus Wirtschaftsförderung und politisch-kultureller Unterdrückung nun ebenso intensiv fortsetzen. Gelingt ihm das, winkt ihm eine Top-Rolle auf nationaler Ebene. Der Einsatz im tiefen Westen des Landes ist dabei für ihn ein Test seiner politischen Fähigkeiten. Er muss hier Eigenschaften beweisen, die er in seiner bisherigen Laufbahn kaum brauchte.

                  Es gibt in China kaum zwei Regionen mit so unterschiedlichen Bedingungen wie Guangdong und Xinjiang. Guangdong: eine der stärksten Volkswirtschaften der Welt, Chinas Tor zur Welt und immer wieder das Labor für Experimente mit Freiheit und Liberalisierung. Xinjiang: abgelegen, bewusst isoliert und Chinas Labor für Experimente mit totaler Überwachung.

                  Der neue Parteisekretär wird sich keine Schwäche leisten können. Das ist vermutlich die Probe, auf die ihn die Führung stellt: Als Technokrat war Ma bereits erfolgreich; in Xinjiang muss er nun zeigen, dass er auch grausam sein kann. Denn in seiner bisherigen Karriere hatte er es vor allem mit Sachfragen zu tun. Um auf der Karriereleiter noch weiter nach oben zu kommen, muss er die aus Peking vorgegebene Linie gegenüber dem einheimischen Volk der Uiguren rigoros durchsetzen.

                  Ma hatte den Jadehasen organisiert

                  Ma kommt aus der nördlich gelegenen Provinz Heilongjiang. Er ist Professor für Luft- und Raumfahrttechnik und hat einen großen Teil seiner Karriere in der Wissenschaftsverwaltung verbracht. In den 90er-Jahren hat er die Polytechnische Universität Harbin als Ko-Rektor geleitet. Das war sein Sprungbrett für eine Rolle als Vorsitzender der Chinesischen Akademie für Weltraumtechnologie (CAST). Im Jahr 2013 hat er Chinas erste Mondmission Chang’e 3 geleitet und erfolgreich den ersten Jadehasen landen lassen. Zeitgleich wurde er Leiter der chinesischen Atomenergiebehörde. Kurz darauf wurde er einer der Vizeminister für Industrie und Informationstechnik.

                  Ma war an diesem Punkt vom Wissenschaftler zu einem der wichtigsten Apparatschiks geworden. Er rückte ins Zentralkomitee der KP auf und ist seitdem Mitglied des innersten Zirkels. Damit begann die schrittweise Verschiebung seiner Aufgaben von Technikorganisation zu politischen Führungspositionen. Eine Übergangsstellung markiert hier seine Tätigkeit als Parteisekretär der Startup-Stadt Shenzhen. Von dort wurde er der erste Gouverneur von Guangdong, der nicht aus der Provinz stammt und kein Kantonesisch spricht.

                  Während die christliche Welt Weihnachten feierte, hielten nun die führenden Kader in der Autonomen Region Xinjiang ein Treffen ab. Danach gaben sie die “Neuanpassung der Leitungspositionen zentraler Organe” bekannt. Dem Wortlaut der Xinhua-Meldung zufolge gilt Mas Ernennung zum Parteisekretär ab sofort.

                  USA erlassen Gesetz gegen Zwangsarbeit aus Xinjiang

                  Seine Rolle ist auch deshalb besonders heikel, weil in den USA gerade ein eigenes Xinjiang-Gesetz wirksam wird. US-Präsident Joe Biden hat es am Tag vor Heiligabend unterzeichnet. Das Gesetz sieht vor, dass US-Firmen bei Importen aus Xinjiang nachweisen müssen, dass sie nicht in Zwangsarbeit hergestellt wurden. Xinjiang nimmt eine zentrale Stelle in zahlreichen Lieferketten ein (China.Table berichtete). Mangels Reisemöglichkeiten in das Gebiet lässt sich aber kaum noch sagen, an welchen Produkten Uiguren unfreiwillig oder unterbezahlt mitarbeiten.

                  Auch der US-Chiphersteller Intel ist jetzt in die Diskussion geraten. Er geriet sich in einer typischen Zwickmühle, in der sich auch andere westliche und japanische Unternehmen befinden. Der Halbleiterspezialist hatte zunächst von seinen Zulieferern verlangt, keine Waren aus Xinjiang zu beziehen. Damit hat er Kritik aus Peking auf sich gezogen – und sich für die Verletzung chinesischer Gefühle entschuldigt. Der Popstar Wang Junkai musste zudem seinen Werbevertrag mit Intel kündigen. Intel kann es also den USA und China nicht gleichzeitig recht machen.

                  Doch ungeachtet der trotzigen Linie Pekings wächst der Druck auf China beim Umgang mit den Uiguren, und das wird auch Mas Arbeit erheblich beeinflussen. Die chinesischen Regierungssprecher und die Propaganda bestehen darauf, dass die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang nur Lügen des Westens seien. Zwangsarbeit finde nicht statt. Zu Mas Auftrag könnte es nun gehören, nach der harten Unterdrückung und der Internierung von Millionen von Uiguren nun auch am Image der Provinz zu arbeiten, um den Druck zu mildern. Das soll vermutlich nicht mehr reale Freiheit für die uigurische Bevölkerung bringen. Ma muss also die Quadratur des Kreises schaffen. Finn Mayer-Kuckuk

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                    Licenses:
                      • Weiterer Schlag gegen Hongkonger Presse
                      • Jahresrück- und Ausblick mit Klaus Mühlhahn
                      • Hochschwangere Frau von Klinik abgewiesen
                      • Nächste Millionenstadt im Lockdown
                      • Weltweit Demos für Olympia-Boykott
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                      • Ma Xingrui wird neuer Parteichef in Xinjiang
                      Liebe Leserin, lieber Leser,

                      wer Deutschland als Diktatur empfindet, was ist dessen Meinung nach eigentlich die Volksrepublik China? Wer nicht verstehen möchte, wo die Unterschiede liegen, der bekommt seit anderthalb Jahren am Fallbeispiel Hongkong die Autokratisierung einer Demokratie in Echtzeit serviert. Die radikale Vorgehensweise der dortigen Regierung gegen alles, was minimal von der staatlichen Linie abweicht, sollte hierzulande als mahnendes Beispiel an Grundschulen gelehrt werden. Damit künftige Generationen lernen, wann ein Staat wirklich autoritäre Züge entwickelt.

                      Im fiktionalen Handbuch für Autokraten hat die Hongkonger Regierung über die Feiertage ein weiteres Kapitel erfolgreich abgeschlossen: die endgültige Zerschlagung kritischer Medien. Jetzt widmet sich die Stadtspitze dem nächsten “bösen Element”: der ausländischen Presse. Deswegen widmen wir uns heute analytisch den Hintergründen und dem Zeitpunkt der jüngsten Entdemokratisierungswelle.

                      Passend dazu erklärt uns der Sinologe Klaus Mühlhahn im Interview, weshalb er glaubt, dass sich die Diktatur in der Volksrepublik im Jahr 2022 weiter verfestigen wird. Er ergründet im Gespräch mit Finn Mayer-Kuckuk, wie sich die immer größere Gereiztheit in Peking auf die Weltpolitik auswirken wird.

                      Alles in allem sind das keine guten Aussichten für den Geist der Demokratie auf dieser Welt. Dennoch wünsche ich Ihnen allen ein gutes neues Jahr.

                      Ihr
                      Marcel Grzanna
                      Bild von Marcel  Grzanna

                      Analyse

                      Festnahmen in Hongkong: Alle Jahre wieder

                      Kritische Hongkonger Medien sind bereits kaltgestellt. Jetzt widmet sich die Regierung der Stadt zunehmend der Diskreditierung ausländischer Berichterstattung. Sicherheitschef John Lee attackierte das Wall Street Journal für dessen Kritik an den Festnahmen von sieben amtierenden und ehemaligen Angestellten des Onlineportals Stand News kurz vor dem Jahreswechsel. Die Zeitung würde falsch informieren, ihre Berichterstattung ein “neues Level an Ekelhaftigkeit” erreichen, wetterte Lee in altbekannter KP-Manier.

                      In der Volksrepublik organisiert die Kommunistische Partei schon seit Jahren aggressive Kampagnen gegen die Arbeit von ausländischen Journalist:innen. Mit wachsendem autoritären Einfluss auf die Sonderverwaltungszone findet Pekings Strategie zunehmend auch in Hongkong Anwendung. “Wenn Sie wirklich an der Pressefreiheit interessiert sind, sollten Sie Maßnahmen gegen Menschen unterstützen, die die Medien unrechtmäßig als Instrument zur Verfolgung ihrer politischen oder persönlichen Vorteile ausgenutzt haben”, schrieb Lee an das Blatt. Das Wall Street Journal hatte die Razzia gegen Stand News am 28. Dezember seinerseits als “Ekelhaftigkeit” bezeichnet.

                      Das Vorgehen der Behörden erinnerte an den Fall der Tageszeitung Apple Daily, die schon im Frühjahr des vergangenen Jahres ihre Produktion eingestellt hatte (China.Table berichtete). Erneut wurden Redaktionsräume durchsucht, Dokumente und Computer beschlagnahmt, Konten eingefroren. Wie Apple Daily beendete auch Stand News umgehend seine Produktion, um die verbliebenen Mitarbeiter:innen vor möglicher Strafverfolgung zu schützen. Kurz darauf warfen vorsichtshalber auch die Citizen News das Handtuch (China.Table berichtete), ein Projekt, das als Sammelbecken regierungskritischer Journalist:innen vor fünf Jahren gegründet worden war.

                      Festnahmen nicht auf Basis des Sicherheitsgesetzes

                      Jeglicher kritischer Polit-Berichterstattung Hongkonger Medien ist damit der Boden entzogen. Zumal auch die viele Jahre unabhängige South China Morning Post zunehmend auf Regierungslinie umschwenkt. Deren Nachrichtenchef Yonden Lhatoo hatte dem Westen in einem Kommentar Doppelmoral vorgeworfen, weil er Pressefreiheit predigte, während Wikileaks-Gründer Julian Assange in den USA der Prozess droht.

                      Die Bundesregierung hatte den neuerlichen Schlag gegen pro-demokratische Kräfte in Hongkong als “stetige Erosion” von Pluralismus, Meinungs- und Pressefreiheit kritisiert. In einer Stellungnahme machte das Auswärtige Amt besonders die Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes für die Entwicklung verantwortlich. Tatsächlich hat das Gesetz, das 2020 in Kraft trat, den Spielraum für die Willkür von Ermittlern dramatisch erweitert. Allerdings berufen sich die Behörden im Fall von Stand News gar nicht auf das Nationale Sicherheitsgesetz, sondern auf eine veraltete Klausel der Rechtsverordnung aus der Kolonialzeit.

                      Die Klausel war bis 2020 jahrzehntelang nicht mehr angewendet worden, weil sie internationalen Menschenrechtsstandards widerspricht. 2003 hatte die Hongkonger Regierung diese Diskrepanz selbst festgestellt. Die Regelung ermöglicht es den Behörden, auch friedliche Äußerungen, die Demokratie lediglich allgemein propagieren, als aufrührerische Aktivität zu brandmarken und zu ahnden. “Mit den Festnahmen bei Stand News kehrt die Regierung zu einem (…) Verständnis (des Begriffs) Aufruhr zurück, der negative Presse mit krimineller Aktivität gleichsetzt“, kommentierte Tom Kellogg vom Asian Law Center der Georgetown University in Washington.

                      Kellogg glaubt, dass die Behörden mit der Anwendung der besagten Klausel verhindern wollen, dass örtliche Medien über Hongkonger Aktivist:innen berichten, die aus dem Exil im Ausland gegen die Regierung arbeiten. “Sie möchte wichtige Aktivistenführer, die jetzt im Exil oder im Gefängnis sind, aus allen Aspekten des bürgerlichen und öffentlichen Lebens in Hongkong ausschließen”, schrieb Kellogg auf Twitter.

                      Auch Hongkong nutzt Weihnachtszeit für Razzien

                      Dass die Razzia gegen Stand News vergangene Woche stattfand ist, kein Zufall. Alle Jahre wieder nutzte schon die chinesische Regierung die Weihnachtszeit zu einem entschlossenen Vorgehen gegen kritische Stimmen im Land. Viele Auslandskorrespondent:innen befinden sich über die Feiertage in ihren Heimatländern. Die dortigen Redaktionen sind meist nur spärlich besetzt. Und die Aufmerksamkeit westlicher Nachrichtenkonsumenten für Neuigkeiten aus China und anderswo hält sich in dieser Zeit deutlich in Grenzen.

                      Unter diesen Umständen erzeugen Festnahmen von chinesischen Dissidenten oder Gerichtsurteile gegen Aktivistinnen weniger Echo und Empörung. Die Praxis bewährt sich in China seit vielen Jahren. 2007 beispielsweise verhafteten die Behörden in Peking kurz vor dem Jahreswechsel den Sacharow-Preisträger Hu Jia. Im Jahr 2009 wurde der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo am 1. Weihnachtsfeiertag zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Liu überlebte die Haft nicht. Er verstarb acht Jahre später an Leberkrebs. Ein aktuelleres Beispiel ist die Bloggerin Zhang Zhan, die Ende Dezember 2020 von einem Gericht in Shanghai zu vier Jahren Haft verurteilt wurde.

                      Die sogenannte “Jingle Bells”-Taktik etabliert sich inzwischen auch in Hongkong, wo die Kommunistische Partei, entgegen ihrer vertraglichen Zusage, den Menschen kaum noch demokratische Bürgerrechte gewährt und von der Hongkonger Regierung bedingungslosen Gehorsam verlangt.

                      Schon vor zwei Jahren nutzten die Sicherheitskräfte die kollektive westliche Auszeit rund um das Fest der Liebe zu einer beispiellosen Verhaftungswelle unter Anhänger:innen der pro-demokratischen Protestbewegung. 336 Festnahmen wurden innerhalb von vier Tagen während der Weihnachtswoche gemacht. Das böse Spiel setzte sich auch im vergangenen Monat fort. Die Hongkong University musste die “Säule der Schande”, die an das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 erinnerte, “aus rechtlichen Gründen” von ihrem Campus entfernen. An Heiligabend wurde dann auch die “Göttin der Demokratie” vom Gelände der Chinese University of Hong Kong entfernt.

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                        “Die alten Regeln gelten nicht mehr”

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                        Sinologe Klaus Mühlhahn ist Präsident der Zeppelin Universität

                        Der Fall Continental bewegt derzeit die Gemüter. Erstmals greift China die Autoindustrie seines Partnerlandes Deutschland an. Was sagt uns das?

                        Tatsächlich deutet sich hier eine neue Vorgehensweise in der Handelspolitik an. China beginnt jetzt ebenfalls, die Lieferketten als politisches Instrument einzusetzen. Güter mit Vorprodukten aus Litauen sollen als solche gekennzeichnet werden, und dann dürften solche Produkte nicht mehr nach China verkauft werden. Diese politische Instrumentalisierung der Lieferketten ist zuerst von Donald Trump im großen Maßstab eingesetzt worden. Neu ist aber nun, dass China diese Praxis aufgreift. China will sein wirtschaftliches Gewicht auch politisch nutzen.

                        Zugleich sieht es so aus, als nehme die Berechenbarkeit des Verhaltens auf allen Seiten ab.

                        Das ist ohnehin ein großes Risiko für die Zukunft und insbesondere für das Jahr 2022. Die Staaten und Institutionen sind lange Zeit ungeschriebenen und geschriebenen Regeln gefolgt, die das Miteinander in der Welt in den letzten drei Jahrzehnten beherrscht haben. China war hier sogar ein vergleichsweise verlässlicher Spieler. Diese Ära endet nun. Die Regeln gelten so nicht mehr. Dadurch schwindet die Berechenbarkeit. Niemand weiß jedoch, wie die neuen Spielregeln lauten werden. Daher steigt die Gefahr von unbeabsichtigten Nebenwirkungen sowohl für die Wirtschaft Chinas als auch für die Wirtschaft in der Welt.

                        Die Akteure verhalten sich zunehmend unvorhersehbar.

                        Das sieht man ja jetzt auch an den Ereignissen um Litauen. China ist gereizter geworden. Zugleich ist das Land jetzt eher bereit, Risiken einzugehen. Litauen ist ein schönes Land – ich will es jetzt keinesfalls zurücksetzen – aber es ist eben auch ein sehr kleines Land. Chinas heftige Reaktion steht in keinem Verhältnis zum politischen Gewicht Litauens. Wenn China überhaupt nicht reagiert hätte, wäre der mögliche Schaden für alle Seiten minimal geblieben. China hat überraschend gereizt auf ein sekundäres Thema reagiert.

                        Warum hat das große China die Aktionen des kleinen Litauen nicht souverän übersehen?

                        Früher hätte China vermutlich so reagiert. Es hätte den Vorgang offiziell als unwichtig dargestellt und hinter den Kulissen versucht, Litauen zu isolieren. Heute geht man damit in die Öffentlichkeit und bewirkt genau das Gegenteil: Die Affäre wird zu einer europäischen und deutschen Angelegenheit.

                        Weshalb diese Eskalation?

                        In der Außenwirtschaftspolitik Chinas wird Xi Jinpings Handschrift als Präsident immer deutlicher. Wir sehen überhaupt nur noch wenige andere Entscheidungsträger. Das war früher definitiv anders, es gab eine Vielzahl von Außenpolitikern, die gemeinsam die Politik geprägt haben. Ich glaube schon, dass der derzeitige Kurs sehr viel damit zu tun hat, dass Xi die Außenpolitik für sich als Schwerpunkt definiert hat. Hier will er punkten, indem er die Stärke und das Selbstbewusstsein Chinas zur Schau stellt.

                        Wobei die Frage bleibt, warum ein geschickter Stratege wie Xi eine so wenig subtile Außenpolitik betreibt.

                        Xi Jinping ist in der Tat ein sehr kluger Stratege. Er ist aber auch sehr ambitioniert. In der Außenpolitik sehen wir eine deutliche Abkehr von der Vergangenheit. Unter seinen Vorgängern herrschte Konsens, international vorsichtig zu agieren. Da gab es eigentlich nie ein deutliches Wort. Jetzt ist China im Vergleich dazu regelrecht streitlustig geworden. Dahinter steckt auch eine Botschaft an die Massen. Xi präsentiert sein China als betont selbstbewusstes Land.

                        Die Botschaft geht also nach innen?

                        Was von außen oft übersehen wird, sind die großen Herausforderungen, vor denen die Führung steht. Es herrscht da meiner Meinung nach eine Art Krisenbewusstsein. Im kommenden Jahr werden 1,2 Millionen Hochschulabsolventen den Arbeitsmarkt betreten, für die es eigentlich keine Beschäftigungsmöglichkeiten gibt. Über das außenpolitische Gehabe lassen sich diese Verwerfungen im Innern übertünchen. Die Rhetorik von der nationalen Größe wird hier ganz gezielt eingesetzt.

                        Der Nationalismus wird zudem untrennbar mit einem Kult um die Person Xi vermischt. Installiert er sich als Alleinherrscher?

                        Wir sehen zumindest eine klare Konsolidierung in der Partei. Auf dem 6. Plenum wurden viele Weichen gestellt. Bei der Resolution zur Geschichte der Partei ging es ja weniger um die Geschichte als um die Zukunft. Aber noch weit wichtiger als der Inhalt ist überhaupt das Zustandekommen der Resolution. Nur die stärksten Führungspersönlichkeiten konnten so etwas durchzusetzen. Auch in China ist die Resolution Ergebnis eines langwierigen Diskussionsprozesses voller Risiken. Das einheitliche Bild, das dabei entsteht, ist bemerkenswert. Aus China dringen fast keine anderen Stimmen nach außen.

                        Gibt es die anderen Stimmen nicht mehr? Sind die anderen Meinungen bereits verstummt oder hören wir sie bloß nicht?

                        Wir stehen vor etwas, das ich die “epistemische Herausforderung” nennen würde. Also der Frage, was wir überhaupt von dem Land angesichts der Isolation noch wissen können und wie wir uns das Wissen verschaffen. Wir lesen aus China nur noch die offiziellen Verlautbarungen, egal, wo wir hinschauen. Darauf basiert dann unsere China-Analyse. Im Endeffekt machen wir alle Kaffeesatzleserei mit einer sehr begrenzten Zahl an Dokumenten. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden als Hauptstadtjournalist die deutsche Politik nur auf Basis der Parteiprogramme und der offiziellen Presseerklärungen analysieren.

                        Das Ergebnis wäre in der Tat ziemlich dürftig.

                        Und doch machen wir gerade genau das in Bezug auf China. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir Kommentatoren sagen: Das ist eine Blackbox, und was darin stattfindet, wissen wir nicht wirklich. Wir können ja auch nicht mehr hinfahren.

                        Das Ende des persönlichen Austauschs war vielleicht eine der einschneidendsten Änderungen der vergangenen zwei Jahre. Können die Akteure im Umgang mit China überhaupt noch informierte Entscheidungen treffen?

                        Genaue Informationen sind für die Risikoabschätzung ganz wichtig. Und jetzt tun wir das im Grunde genommen auf Basis einer sehr begrenzten Datenlage. Wir stehen  gemeinsam vor der Herausforderung, uns neue Zugänge und Informationsquellen zu erschließen.

                        Auch die neue Bundesregierung steht vor diesem Problem. Es gibt kaum Kanäle, über die sich im Vorfeld einer Entscheidung ausloten lässt, was mit China geht und was nicht.

                        Hier steigt die Gefahr, dass Maßnahmen nicht die erhoffte Wirkung erzielen. Das kann potenziell problematisch werden bei einer Bundesregierung, die in Bezug auf China sich noch keine klare Position erarbeitet hat. Die verschiedenen Ministerien müssten jetzt zügig mit der Wirtschaft ins Gespräch kommen und daraus eine Strategie formen. Doch ich glaube, das wird noch Zeit brauchen. Die Gefahr ist nun, dass man sich in dieser Zeit auf deutscher Seite aufgrund von Unerfahrenheit vergaloppiert oder ins Fettnäpfchen tritt.

                        So steigt auch die Gefahr fataler Fehleinschätzungen.

                        Als Historiker erinnert mich die heutige Lage immer mehr an die Situation vor dem Ersten Weltkrieg. Wir haben dieselbe Unübersichtlichkeit, dieselbe Dominanz nationaler Interessen. Wir haben dieselbe Bereitschaft, Handel als Waffe zu nutzen, womit man Gemeinsamkeiten reduziert und Unterschiede herausstellt. Wir brauchen bei aller gegenseitiger Kritik einen Fokus auf Gemeinsamkeiten. Es ist richtig, dass Werte im Verhältnis zu China eine Rolle spielen sollen. Aber man braucht auch eine realistische Abwägung aller Ziele. Am Ende sind Pragmatismus gefragt und eine Orientierung an realen Erfolgen statt an Rhetorik.

                        Was können wir tun, um wieder mehr Gesprächskanäle zu öffnen?

                        Auf jeden Fall wird es dringend nötig sein, wieder ins Gespräch zu kommen und bisher ungenutzte Kontakte zu aktivieren. Hier lassen sich beispielsweise auch Vertreter der chinesischen Wirtschaft oder Wissenschaft ansprechen. Diesen Dialog sollten wir viel öfter führen, und das tun wir eigentlich überhaupt nicht mehr. Wir befinden uns wie gesagt in einer Krise der Informationsbeschaffung. Wir müssen viel mehr darüber in Erfahrung bringen, was auf der chinesischen Seite los ist.

                        Was können wir denn über die Vorgänge in der Partei wissen? 2022 bringt uns beispielsweise einen der Parteitage, die nur alle fünf Jahre stattfinden.

                        Das wird der wichtigste Parteitag in einer sehr langen Zeit. Ein großer Teil des Führungspersonals auch unterhalb des Politbüros wird wahrscheinlich ausgetauscht werden. So etwas hat es zuletzt in den 80er-Jahren gegeben. Die Reformpolitik-Generation tritt ab. Hinterher werden wir eine noch größere Kontrolle durch Xi Jinping sehen. Und natürlich die offizielle Entfristung seiner Amtszeit. Dadurch rückt er noch mehr in den Vordergrund. Die Vielfalt in der Partei wird immer weniger sichtbar.

                        Wir sehen das Ende des politischen Systems von Deng Xiaoping, das kollektive Herrschaft mit Elementen gegenseitiger Überwachung vorgesehen hat. Die Partei macht diesen Rückbau weiterhin mit?

                        Sie macht das mit, aber es steigen auch die Risiken für Xi Jinping. Denn was für ihn gut ist, ist nicht notwendigerweise für die Partei gut. Die kollektive Führung und Konsensorientierung war das Geheimnis des Erfolgs der Partei. Die Begrenzung der Amtszeiten war hier ein wichtiges Element. Dieses lange Austarieren und Suchen nach Gemeinsamkeit hinter geschlossenen Türen, das die Politik in China früher bestimmt hat, das ist mehr oder weniger weg. Damit stellt sich die Frage: Kann die Partei in der Zukunft da noch erfolgreich sein? Oder degeneriert dieses System in ein persönliches Regiment mit allen Risiken.

                        Was China schadet, schadet heutzutage aber auch Deutschland.

                        Während der Ton aggressiver wird, steigt andererseits die Vernetzung der Welt immer mehr an. Die jungen Menschen in China sind auch weiterhin sehr stark an der Welt interessiert, am Reisen, am Austausch, an westlicher Musik, an Filmen. Es kann dem System schwer schaden, wenn der Zugang zur Welt begrenzt wird. Auch wenn nur wenig nach außen dringt, ist ziemlich klar, dass da nicht alle begeistert sind.

                        Klaus Mühlhahn ist Professor für Chinastudien an der Freien Universität Berlin und seit Juni 2020 für fünf Jahre Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Er hat einen Hintergrund in Sozial- und Geschichtswissenschaften. Im Jahr 2021 sind von ihm erschienen: “The Chinese Communist Party: A Century in Ten Lives” und “Geschichte des modernen China: Von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart”. Für 2022 plant er zusammen mit Julia Haes die Veröffentlichung des Buches “Hongkong: Umkämpfte Metropole von 1841 bis heute”.  

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                          Corona-Maßnahmen: Hospital weist hochschwangere Frau ab

                          Eine menschliche Tragödie aus dem Lockdown in Xi’an schlägt in China hohe Wellen und führt zu einer Debatte über die Verhältnismäßigkeit der Coronavirus-Vorschriften. Die Stadtverwaltung der 13-Millionen-Einwohnerstadt hat den leitenden Angestellten eines örtlichen Krankenhauses entlassen und weitere Mitarbeiter:innen suspendiert. Anlass war der Tod eines ungeborenen Kindes, deren Mutter im achten Monat der Schwangerschaft vom Krankenhaus am Samstagabend abgewiesen worden war. Die Frau hatte einen Covid-19-Test vorgelegt, dessen Gültigkeit vier Stunden zuvor abgelaufen war.

                          Im Internet kursierte ein Video der offenbar hochschwangere Frau vor dem Xi’an Gaoxin Krankenhaus in Xi’an, der Blut an den Beinen herunterläuft. Zwei Stunden lang soll ihr der Eintritt trotz der Notlage verwehrt geblieben sein, heißt es. Das chinesische Nachrichtenportal City Link zitierte einen nicht namentlich genannten Mitarbeiter der Klinik, der sagte: “Wir haben das getan, was man uns gesagt hat.”

                          Dennoch schob die Verwaltung die Verantwortung für die Tragödie auf das Krankenhaus. In einer Stellungnahme der Behörden hieß es, das Krankenhaus solle sich öffentlich entschuldigen und seine Arbeitsabläufe hinterfragen und verbessern. Die Disziplinarkommission der Stadt verwarnte zudem zwei hochrangige Parteifunktionäre, darunter den Direktor der städtischen Gesundheitskommission. grz

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                            Weitere Millionen-Stadt im Lockdown

                            Nach der Millionenmetropole Xi’an hat eine weitere chinesische Großstadt den kompletten Lockdown verhängt. Die 1,17 Millionen Bürger von Yuzhou in der zentralchinesischen Provinz Henan dürfen seit Montagabend ihre Häuser und Wohnungen nicht mehr verlassen. Die Einhaltung der Ausgangssperre wird laut Angaben der lokalen Behörden mit Wachposten kontrolliert.

                            In Yuzhou waren in den vergangenen Tagen gerade einmal drei neue Corona-Fälle gemeldet worden. China fährt nach wie vor eine strikte Null-Covid-Strategie. Selbst bei einer geringen Anzahl von Fällen werden Ausgangssperren, Reisebeschränkungen, Kontaktnachverfolgungen und Massentests verordnet.

                            In der nördlichen Millionenmetropole Xi’an ist seit zwei Wochen ein Komplett-Lockdown in Kraft (China.Table berichtete). Im Dezember war es dort zum größten Coronavirus-Ausbruch in China seit dem Beginn der Epidemie gekommen. Insgesamt verzeichnete die Stadt mehr als 1.600 Infektionsfälle. Laut offiziellen Angaben ist die Zahl der Neuinfektionen jedoch wieder rückläufig. fpe

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                              Weltweiter Aufruf zu Olympia-Boykott

                              Auch in Berlin gab es Demonstrationen gegen die Olympischen Winterspiele. Dabei wurde deren Boykott gefordert.
                              Auch in Berlin wurde gegen die Olympischen Winterspiele demonstriert und zu deren Boykott aufgerufen

                              Uigurische und tibetische Interessengruppen haben am Dienstag weltweit für einen politischen Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking (4. bis 20. Februar) geworben. Genau einen Monat vor der Eröffnungsfeier versammelten sich Tausende Demonstrant:innen unter anderem in Berlin, New York, Paris, Washington, Brüssel, London, Brisbane und Chicago, um auf die dramatische Menschenrechtssituation in der Volksrepublik aufmerksam zu machen.

                              In Berlin marschierten rund 300 Teilnehmer verschiedener Organisationen vom Brandenburger Tor zum Auswärtigen Amt. Unter dem Motto #NoBeijing2022 beteiligten sich neben der International Campaign for Tibet Deutschland (ICT) und dem Weltkongress der Uiguren (WUC) auch die Gesellschaft für bedrohte Völker sowie Vertreter von muslimischen Verbänden und der Hongkonger Exil-Bevölkerung an dem Protest.

                              “Menschenrechtspolitik heißt nicht nur Kritik zu äußern, sondern Konsequenzen zu ziehen. Nur dann ist Menschenrechtspolitik auch glaubwürdig”, sagte ICT Deutschland-Geschäftsführer Kai Müller im Gespräch mit China.Table. Kritische Worte würden in Peking nicht ernst genommen. Deshalb müssten Taten folgen. Vor allem die Bundesregierung sei gefordert, in Europa voranzugehen. Zumal das Ausland mehr Bereitschaft von Berlin erwarte, sein politisches Kapital auch einzusetzen.

                              Müller sprach sich zudem gegen einen sportlichen Boykott der Winterspiele aus. Die Athlet:innen seien selbst Betroffene, die man für Fehlentscheidungen seitens der Sportverbände nicht bestrafen dürfe. “Die erneute Vergabe der Olympischen Spiele an Peking war verantwortungslos und das Resultat mangelnder Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen in Tibet im Vorfeld der Sommerspiele 2008″, so Müller. grz

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                                Organisation fordert Rücktritt von IOC-Präsident Bach

                                Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat den Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Thomas Bach zum Rücktritt aufgefordert. Angesichts der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen dürften in China keine Olympischen Spiele stattfinden. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Wenzel Michalski, Human-Rights-Watch-Direktor für Deutschland: “Wenn selbst die Wirtschaft jetzt schon fordert, die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang auch von Unternehmerseite anzuprangern, dann spätestens muss einem Herrn Bach und den anderen klar sein, dass ihre Zeit gekommen ist.”

                                Vier Wochen vor Beginn der Olympischen Winterspiele in Peking betonte Michalski: “Die müssen zurücktreten und einer neuen Generation von menschenrechtsbewussten Funktionären das Feld überlassen.” China steht unter anderem wegen Menschenrechtsverletzungen im Umgang mit den Minderheiten der Uiguren und der Tibeter in der Kritik. Hinzu kommen die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong sowie zunehmende Drohungen gegen Taiwan.

                                In diesem Jahr stehen gleich mehrere Sportereignisse in Ländern mit Menschenrechtsproblemen an, neben den Olympischen Winterspielen in China auch die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. HRW-Direktor Michalski forderte denn auch, die Macht dieser Sportverbände müsste “jetzt eigentlich gebrochen werden, denn sie haben gezeigt, dass sie nur unverantwortlich und geldgierig handeln”.

                                FDP-Menschenrechtspolitiker Peter Heidt sagt: “Es ist mich für ein Wahnsinn, in China jetzt diese Winterspiele durchzuführen. Ich weiß, die Sportler bereiten sich darauf vor. Aber eigentlich müssten wir diese Winterspiele komplett boykottieren.” Heidt sagte ebenfalls im Deutschlandradio, dass er derzeit an einem Antrag arbeite, damit Deutschland die Spiele zumindest diplomatisch boykottiere. Es sei aber nicht leicht, in der Regierungskoalition die richtige Formulierung zu finden. Bislang hat die Bundesregierung keine einheitliche Haltung zu diesem Thema gefunden (China.Table berichtete).

                                Angesichts der Menschenrechtsverletzungen in China haben die USA, Australien, Großbritannien und Kanada einen diplomatischen Boykott der Spiele angekündigt. Sie werden keine Politiker zu den Wettkämpfen schicken. IOC-Chef Thomas Bach sieht die Situation offenbar anders. Er hatte zuletzt gar von großem internationalen Rückhalt gesprochen. “Die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für diese Olympischen Winterspiele ist offensichtlich und höchst willkommen”, sagte der Deutsche in seiner Neujahrsansprache. Die Winterspiele werden vom 4. bis 20. Februar stattfinden. rad

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                                  Japans Regierung hält sich von den Winterspielen fern

                                  Japan will keine Regierungsmitglieder zu den Olympischen Winterspielen nach Peking entsenden. Man halte es für wichtig, “dass universelle Werte wie Freiheit, Respekt für Menschenrechte sowie Gewaltenteilung in China gesichert sind”, sagte Japans Regierungssprecher Hirokazu Matsuno. Den Begriff “diplomatischer Boykott” verwendete Matsuno dabei jedoch bewusst nicht. Die Politikerin und Sportlerin Seiko Hashimoto, Leiterin des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele Tokio 2020, werde nach Peking reisen. Hinter den Kompromissen stecke der Versuch, China nicht allzu sehr vor den Kopf zu stoßen, kommentieren japanische Medien. Es sei allerdings fraglich, ob China das Manöver wie gewünscht als freundliche Geste auffasse.

                                  Peking hatte immer wieder die Unterstützung Japans für die Winterspiele eingefordert. China habe sich Japans Sommerspielen gegenüber solidarisch gezeigt und Hilfe angeboten, nachdem die Spiele von Tokio aufgrund der Pandemie von 2020 auf 2021 verschoben wurden, kommentierte die chinesische Staatszeitung Global Times.

                                  Anfang Dezember erklärten die USA, wegen zahlreicher Menschenrechtsverletzungen durch die chinesische Regierung keine Regierungsvertreter zu den Winterspielen zu schicken (China.Table berichtete). Auch Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland, Belgien und Litauen schlossen sich daraufhin dem diplomatischen Boykott der USA an. Die EU-Länder und auch Deutschland haben sich noch nicht einheitlich zu einem Boykott der Winterspiele geäußert (China.Table berichtete). Die Spiele in Peking finden vom 4. bis 20. Februar statt. niw

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                                    Daimler wegen Werbung in der Kritik

                                    Werbefotos mit chinesischen Models haben in China eine Diskussion über die Korrektheit der Verwendung betont asiatischer Looks ausgelöst. Der Gesamteindruck der Bilder fördere schädliche Stereotype über Asiaten, lauten die Vorwürfe auf der Sozialplattform Weibo. Unter anderem betroffen ist eine Kampagne des Autoherstellers Daimler. Auch der chinesische Snack-Versender Three Squirrels war von der Kritik betroffen.

                                    In China hat sich wie in westlichen Ländern die Empfindlichkeit gegenüber Symbolen, die als rassistisch oder anderweitig als ausgrenzend empfunden werden können, in den vergangenen Jahren enorm gesteigert (China.Table berichtete). Auch die Luxusmarke Dior sah sich bereits mit dem Vorwurf konfrontiert, in der Augenform seiner Models auf westliche Vorurteile über chinesisches Aussehen zurückzugreifen. Walmart, Dolce & Gabbana sowie Hennes & Mauritz waren zuletzt ebenfalls vom Verbrauchernationalismus betroffen. Solche Vorgänge sind durchaus relevant für das Markenimage. fin

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                                      Ma Xingrui – Neuer Parteichef in Xinjiang

                                      Ma Xingrui wechselt von seinem Posten als Gouverneur von Guangdong als Parteichef nach Xinjiang
                                      Ma Xingrui wechselt von seinem Posten als Gouverneur von Guangdong als Parteichef nach Xinjiang

                                      Wenn die KP die Top-Posten in der Autonomen Region Xinjiang neu besetzt, sind das keine gewöhnlichen Personalien. Xinjiang ist noch vor Tibet die administrativ heikelste Provinz. Wer sich dort bewährt, hat Chancen für den Aufstieg in die nationale Führungsspitze.

                                      Deshalb erregen derzeit zwei Personalentscheidungen Aufsehen. Chen Quanguo (66) verlässt seinen Posten als Generalsekretär der KP in Xinjiang. Auf ihn folgt Ma Xingrui (62), der bisher Gouverneur in der Südprovinz Guangdong war.

                                      Chen bleiben nach Posten in Tibet und Xinjiang eine Aufgabe im Politbüro. Er wird seine Zeit in Zukunft nicht mehr in Urumqi, sondern in Peking verbringen. Aus Sicht seiner Parteikollegen hat er seine Aufgaben in Tibet und Xinjiang bestens erledigt. So hat er das Wirtschaftswachstum hochgetrieben und die Armut bekämpft. Das ist ein wichtiger Baustein der Propagandakampagne, die das Wirken der Regierung in Xinjiang als Segen für die Bevölkerung darstellt.

                                      Xinjiang als Übungsplatz für Unterdrücker

                                      Was Menschenrechtsgruppen in Rage versetzt, gilt ebenfalls als voller Erfolg: Der Aufbau eines lückenlosen Überwachungsregimes, das für politische Grabesruhe sorgt. Chen wurde dafür von den USA und der EU mit Sanktionen belegt (China.Table berichtete). Das wiederum hatte zu Gegensanktionen geführt, die umgekehrt das vorläufige Ende des Investitionsabkommens CAI bewirkten. Chen ist damit zu einer weltgeschichtlich relevanten Person geworden.

                                      Ma Xingrui soll nun aller Wahrscheinlichkeit nach das Programm aus Wirtschaftsförderung und politisch-kultureller Unterdrückung nun ebenso intensiv fortsetzen. Gelingt ihm das, winkt ihm eine Top-Rolle auf nationaler Ebene. Der Einsatz im tiefen Westen des Landes ist dabei für ihn ein Test seiner politischen Fähigkeiten. Er muss hier Eigenschaften beweisen, die er in seiner bisherigen Laufbahn kaum brauchte.

                                      Es gibt in China kaum zwei Regionen mit so unterschiedlichen Bedingungen wie Guangdong und Xinjiang. Guangdong: eine der stärksten Volkswirtschaften der Welt, Chinas Tor zur Welt und immer wieder das Labor für Experimente mit Freiheit und Liberalisierung. Xinjiang: abgelegen, bewusst isoliert und Chinas Labor für Experimente mit totaler Überwachung.

                                      Der neue Parteisekretär wird sich keine Schwäche leisten können. Das ist vermutlich die Probe, auf die ihn die Führung stellt: Als Technokrat war Ma bereits erfolgreich; in Xinjiang muss er nun zeigen, dass er auch grausam sein kann. Denn in seiner bisherigen Karriere hatte er es vor allem mit Sachfragen zu tun. Um auf der Karriereleiter noch weiter nach oben zu kommen, muss er die aus Peking vorgegebene Linie gegenüber dem einheimischen Volk der Uiguren rigoros durchsetzen.

                                      Ma hatte den Jadehasen organisiert

                                      Ma kommt aus der nördlich gelegenen Provinz Heilongjiang. Er ist Professor für Luft- und Raumfahrttechnik und hat einen großen Teil seiner Karriere in der Wissenschaftsverwaltung verbracht. In den 90er-Jahren hat er die Polytechnische Universität Harbin als Ko-Rektor geleitet. Das war sein Sprungbrett für eine Rolle als Vorsitzender der Chinesischen Akademie für Weltraumtechnologie (CAST). Im Jahr 2013 hat er Chinas erste Mondmission Chang’e 3 geleitet und erfolgreich den ersten Jadehasen landen lassen. Zeitgleich wurde er Leiter der chinesischen Atomenergiebehörde. Kurz darauf wurde er einer der Vizeminister für Industrie und Informationstechnik.

                                      Ma war an diesem Punkt vom Wissenschaftler zu einem der wichtigsten Apparatschiks geworden. Er rückte ins Zentralkomitee der KP auf und ist seitdem Mitglied des innersten Zirkels. Damit begann die schrittweise Verschiebung seiner Aufgaben von Technikorganisation zu politischen Führungspositionen. Eine Übergangsstellung markiert hier seine Tätigkeit als Parteisekretär der Startup-Stadt Shenzhen. Von dort wurde er der erste Gouverneur von Guangdong, der nicht aus der Provinz stammt und kein Kantonesisch spricht.

                                      Während die christliche Welt Weihnachten feierte, hielten nun die führenden Kader in der Autonomen Region Xinjiang ein Treffen ab. Danach gaben sie die “Neuanpassung der Leitungspositionen zentraler Organe” bekannt. Dem Wortlaut der Xinhua-Meldung zufolge gilt Mas Ernennung zum Parteisekretär ab sofort.

                                      USA erlassen Gesetz gegen Zwangsarbeit aus Xinjiang

                                      Seine Rolle ist auch deshalb besonders heikel, weil in den USA gerade ein eigenes Xinjiang-Gesetz wirksam wird. US-Präsident Joe Biden hat es am Tag vor Heiligabend unterzeichnet. Das Gesetz sieht vor, dass US-Firmen bei Importen aus Xinjiang nachweisen müssen, dass sie nicht in Zwangsarbeit hergestellt wurden. Xinjiang nimmt eine zentrale Stelle in zahlreichen Lieferketten ein (China.Table berichtete). Mangels Reisemöglichkeiten in das Gebiet lässt sich aber kaum noch sagen, an welchen Produkten Uiguren unfreiwillig oder unterbezahlt mitarbeiten.

                                      Auch der US-Chiphersteller Intel ist jetzt in die Diskussion geraten. Er geriet sich in einer typischen Zwickmühle, in der sich auch andere westliche und japanische Unternehmen befinden. Der Halbleiterspezialist hatte zunächst von seinen Zulieferern verlangt, keine Waren aus Xinjiang zu beziehen. Damit hat er Kritik aus Peking auf sich gezogen – und sich für die Verletzung chinesischer Gefühle entschuldigt. Der Popstar Wang Junkai musste zudem seinen Werbevertrag mit Intel kündigen. Intel kann es also den USA und China nicht gleichzeitig recht machen.

                                      Doch ungeachtet der trotzigen Linie Pekings wächst der Druck auf China beim Umgang mit den Uiguren, und das wird auch Mas Arbeit erheblich beeinflussen. Die chinesischen Regierungssprecher und die Propaganda bestehen darauf, dass die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang nur Lügen des Westens seien. Zwangsarbeit finde nicht statt. Zu Mas Auftrag könnte es nun gehören, nach der harten Unterdrückung und der Internierung von Millionen von Uiguren nun auch am Image der Provinz zu arbeiten, um den Druck zu mildern. Das soll vermutlich nicht mehr reale Freiheit für die uigurische Bevölkerung bringen. Ma muss also die Quadratur des Kreises schaffen. Finn Mayer-Kuckuk

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