Table.Briefing: China

Deutschlands Abhängigkeiten + Taiwans Manöver

  • Deutsche China-Beziehungen vor Zeitenwende
  • Taiwans Militär übt den Ernstfall
  • Gegenwind für Huawei in Deutschland
  • Shenzhen verordnet Closed-Loop-System
  • Arbeitsunfälle ernsthaftes Problem
  • Zoll setzt auf Freiwilligkeit gegen Affenpocken
  • Standpunkt: Gründe für weniger Geburten in Xinjiang
Liebe Leserin, lieber Leser,

spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine – und den Folgen, wie der drohenden Gasknappheit – wird sich Deutschland auch seiner China-Abhängigkeiten zunehmend bewusst. Außenministerin Baerbock und Wirtschaftsminister Habeck wollen einen neuen Kurs einschlagen. Und auch bei den deutschen Unternehmen setzt ein Umdenken ein. Das Problem: Gestaltet sich die Loslösung von Russland schon schwierig, wird es im Falle Chinas eine wahre Herkulesaufgabe. Denn Deutschlands Abhängigkeiten von China sind wesentlich größer und komplexer.

Nico Beckert analysiert, in welchen Bereichen die deutschen Abhängigkeiten am größten sind – und weshalb das viel zitierte “Decoupling” keine einfache Lösung sein wird. Da auch China sich unabhängiger von Deutschland machen will, lautet sein Fazit: Es steht eine Zeitenwende bevor.

Derweil befindet sich Taiwan in Alarmbereitschaft – im wahrsten Sinne des Wortes. David Demes zeigt, was das für die Menschen in Taiwan bedeutet und wie sich auch das Land für den Ernstfall wappnet: Am Montag heulten Sirenen auf, die Menschen mussten in Bunker – landesweit wurden Schutzmaßnahmen für einen chinesischen Raketenangriff geübt.

Zudem hält Taiwans Militär das Han-Kuang-Manöver ab. Mit mehr als 20 Schiffen und Flugzeugen wird für den Ernstfall geübt: ein Angriff der Volksrepublik China. Die Worte des Bürgermeisters von Taipeh stimmen jedenfalls nachdenklich. “Es ist notwendig, Vorbereitungen für den Kriegsfall zu treffen”, sagte Ko Wen-je am Montag.

Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht

Ihr
Michael Radunski
Bild von Michael  Radunski

Analyse

Abhängigkeiten sorgen für Zeitenwende im China-Geschäft

Die Auto-Industrie Deutschlands ist wie viele Branchen von China abhängig. Risiken steigen. Gleichzeitig nimmt Chinas Attraktivität ab.
Die Auto-Industrie ist wie viele Branchen von China abhängig. Risiken steigen. Gleichzeitig nimmt Chinas Attraktivität ab.

Über Jahre hinweg galt China als einer der bevorzugten Partner der deutschen Politik und Wirtschaft. Die Volksrepublik war Garant für deutsches Wachstum und ist längst zu Deutschlands größtem Handelspartner aufgestiegen. Auto- und Maschinenbauer machen in der Volksrepublik große Umsätze.

Doch vieles deutet darauf, dass das China-Engagement der deutschen Wirtschaft vor einem Wendepunkt steht. Die Corona-Lockdowns und der chinesische Fokus auf die eigene Wettbewerbsfähigkeit machen das Land zunehmend unattraktiver.

Russland zeigt Risiken durch große Abhängigkeiten

Hinzu kommt die neue Furcht vor zu großen Abhängigkeiten: Deutschlands Gas-Abhängigkeit von Russland wird im Winter wohl zu einer Rezession führen. Vor diesem Hintergrund werden auch die China-Abhängigkeiten Deutschlands neu bewertet. Außenministerin Annalena Baerbock sagte jüngst, es sei ihr “sehr ernst” mit der Reduzierung der Abhängigkeiten von China.

Leicht wird das nicht. “Europas wirtschaftliche Verflechtungen mit China sind wesentlicher komplexer” als jene mit Russland “und betreffen Sektoren mit einer tief verzweigten Wertschöpfungskette”, sagt Max Zenglein, Chefökonom beim China-Think-Tank Merics gegenüber China.Table.

Bei Seltenen Erden, Magnesium und anderen Rohstoffen gibt es gar kritische Abhängigkeiten (China.Table berichtete). Auch bei Industriegütern haben die Abhängigkeiten stark zugenommen. Laut Merics befinden sich die EU-Staaten in 103 Produktkategorien in einer “kritischen strategischen Abhängigkeit” von China. Das heißt: Die Staaten importieren mindestens 50 Prozent eines bestimmten Produkts aus China, zudem hat die Volksrepublik einen globalen Marktanteil von mindestens 30 Prozent. Dazu zählen beispielsweise pharmazeutische Produkte, Chemikalien und Elektronikteile wie bestimmte Leiterplatten, kleine Transformatoren oder Batteriezellen. Zahlreiche Branchen sind auf Vorleistungen aus China angewiesen.

Unternehmen aus Deutschland: Abhängigkeiten bei Vorleistungen aus China groß

Bei all diesen Produkten wäre es schwierig, kurzfristig andere Zulieferer zu finden. Einen Lieferstopp könnte die deutsche Wirtschaft kaum verkraften. Zenglein empfiehlt deshalb: “Es wäre durchaus hilfreich, wenn Politik und Wirtschaft Mechanismen ergreifen, um die Abhängigkeiten zu identifizieren und diese in kritischen Bereichen – beispielsweise bei erneuerbaren Energien, pharmazeutischen Grundstoffen oder Elektronikbauteilen – zu reduzieren.”

China verringert Abhängigkeit vom Westen

China macht das schon. Peking hat es sich zum Ziel gesetzt, technologisch an die Weltspitze zu rücken und westliche Anbieter zu überholen. Chinas Unternehmen sollen innovativer werden und eine Tech-Dominanz aufbauen, die zukünftig für Wachstum sorgt. “Im Falle von geopolitischen Eskalationen” wäre China dann besser gerüstet, sagt Zenglein.

Um technologisch aufzuholen, nutzt China auch ausländische Konzerne. Einige Forscher warnen deshalb, die deutsche Industrie dürfe nicht zu naiv agieren. “Ausländische Investoren müssen sich vergegenwärtigen, dass sie diesem Ziel dienen sollen”, sagt Rolf Langhammer vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) gegenüber China.Table. Als warnendes Beispiel diene die Autoindustrie. Deutsche Unternehmen “haben chinesischen Firmen das nötige Know-how geliefert, um von diesen zukünftig ersetzt werden zu können“, erklärt der Handelsexperte.

Was daraus folgt, zeigt eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW): “Deutschland hängt vor allem auf der Exportseite, aber auch importseitig, wesentlich stärker von China ab als umgekehrt.” Und Chinas Importe werden in Zukunft weiter sinken, wie die Prognose zeigt. Der Grund ist in Peking zu finden. “Die chinesische Regierung will ihre Abhängigkeiten vom Ausland durch die Dual-Circulation-Strategie weiter abbauen”, schreibt der Autor der Studie, Jürgen Matthes.

China verliert an Attraktivität

Doch nicht alle Entwicklungen gehen auf eine aktive Entscheidung Pekings zurück. So verliert China in letzter Zeit als Absatzmarkt wie auch im täglichen Geschäft zunehmend an Attraktivität. Unternehmen und Verbände beklagen die strikte Null-Covid-Politik und die zahlreichen Lockdowns. Laut einer Umfrage der EU-Handelskammer in China überlegt ein immer größerer Teil der Unternehmen, Investitionen aus China abzuziehen (China.Table berichtete). Für 77 Prozent der befragten Unternehmen hat China als Investitionsziel an Attraktivität verloren.

Und auch Unternehmen in Deutschland wollen ihre China-Abhängigkeit verringern. Fast jedes zweite Industrieunternehmen, das Vorleistungen aus der Volksrepublik bezieht, will seine Importe aus China reduzieren, zeigt eine Ifo-Studie vom April. Ob dieser Stimmungsumschwung allerdings auch “einen grundsätzlichen Strategiewechsel bei den europäischen Unternehmen einleiten wird, bleibt noch abzuwarten”, sagt Zenglein.

Warum Industrieunternehmen aus Deutschland ihre China-Abhängigkeiten senken wollen

“Globalisierung steht vor Neu-Aufstellung”

Doch global stehen die Zeichen auf Entflechtung. “Die Globalisierung steht am Anfang einer Neu-Aufstellung”, sagt Zenglein. Risikofaktoren müssten in den Kalkulationen der Unternehmen in Zukunft eine größere Rolle spielen. Dabei gehe es nicht um eine Abkopplung. Vielmehr plädiert Zenglein für eine Diversifizierung. Das “wird Zeit und vor allem Geld in Anspruch nehmen”.

Rolf Langhammer gibt zu bedenken, dass der chinesische Markt derzeit noch zu wichtig sei. “Unternehmen werden die Fokussierung auf den chinesischen Markt, wenn überhaupt, nur sehr langsam abbauen können”, meint der IfW-Forscher. Aber vor dem Hintergrund der neuen geopolitischen Realitäten “kann es noch kostspieliger werden, nicht zu reagieren“, sagt Zenglein.

Genau hier könnte die größte Herausforderung liegen. Denn die Firmen setzen lieber auf kurzfristige Gewinne denn auf langfristige Sicherheit. Schließlich steht man im Wettbewerb. Es ist das klassische Gefangenen-Dilemma: Gibt ein Unternehmen die Umsätze in China auf, eröffnen sich Chancen für Wettbewerber, die in die Lücke vorstoßen können und dem Unternehmen Marktanteile abnehmen. Ähnliches gilt für den Einkauf günstiger Vorprodukte und Rohstoffe aus China. Doch ob dieses Vorgehen langfristig den größten Nutzen bringt, steht spätestens nach dem Russland-Debakel infrage.

Werden die deutsche Politik und die Wirtschaft die richtigen Lehren ziehen und sich auf die neue Globalisierung einstellen? Eine neue China-Strategie des Außenministeriums könnte bald Aufschluss geben. Außenministerin Baerbock sagte jüngst, weil China ein Systemrivale sei, müssten wir klarstellen, dass wir nicht erpressbar sind, so “wie wir es bei der russischen Gasabhängigkeit waren”. Und auch Robert Habeck will einen neuen Kurs einschlagen. “Wir diversifizieren uns stärker und verringern unsere Abhängigkeiten auch von China”, sagte der Wirtschaftsminister kürzlich. Die Regierung wird sich an diesen Aussagen messen lassen müssen.

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Taiwan übt den Ernstfall

Trainieren für den Ernstfall: In Taiwan finden große Zivilschutz- und Militärmanöver statt.
Trainieren für den Ernstfall: In Taiwan finden große Zivilschutz- und Militärübungen statt.

Am Montag ertönten in Taiwans Hauptstadt Taipeh am frühen Nachmittag die Sirenen – testweise. Binnen weniger Minuten war das Leben von den Straßen verschwunden. Die Menschen zogen sich eiligst in Bunker und Keller zurück, um den Ernstfall eines Luftangriffs zu üben. Rund 30 Minuten lang waren die Straßen gespenstisch leer. Dann hatte der Spuk ein Ende, und das öffentliche Leben in Taiwan nahm wieder seinen gewohnten Lauf.

Die Flucht in die Bunker ist Teil der jährlichen Zivilschutzübung Wan An (萬安演習) in Taiwan. Die Teilnahme ist seit vielen Jahren verpflichtend, weil die Angst vor einem chinesischen Angriff auf die Insel omnipräsent ist. Die Behörden testen jedes Jahr ihr Alarmsystem: Sirenen und Nachrichten auf die Mobiltelefone der Menschen sollen ermöglichen, dass jeder Bürger die Möglichkeit hat, sich in Sicherheit zu bringen.

Staatspräsidentin Tsai Ing-wen hatte ihre Mitbürger vorsorglich daran erinnert, dass niemand in Panik verfallen, sondern sich gemäß der Anweisungen verhalten soll, wenn die Übung startet. Denn in diesem Jahr steht Wan An unter einem besonderen Stern.

“Notwendig, Vorbereitungen für den Kriegsfall zu treffen”

Selten schien die Kriegsgefahr in Taiwan in den vergangenen Jahrzehnten so real zu sein wie jetzt. Zumal die Ankündigung von Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, die Insel im August besuchen zu wollen, massive Drohungen aus Peking nach sich zog (China.Table berichtete). Die chinesische Regierung sieht Taiwan als untrennbaren Teil seines Territoriums und will den Inselstaat in die Volksrepublik integrieren – zur Not auch mit Gewalt.

“Es ist notwendig, Vorbereitungen für den Kriegsfall zu treffen”, sagte Taipehs Bürgermeister Ko Wen-je. “Chinesische Militärflugzeuge haben Taiwan in den letzten Jahren häufig belästigt, und im Februar ist der Krieg zwischen Russland und der Ukraine ausgebrochen. Das sollte uns daran erinnern, in Zeiten des Friedens wachsam zu bleiben”, warnte Ko.

Als die Warnsirenen im vielen Teilen Nordtaiwans gegen 13.30 Ortszeit zu heulen begannen, mussten Züge, U-Bahnen und Busse, aber auch alle Taxis die Fahrgastbeförderung sofort einstellen. In Taipeh mussten erstmals auch alle Autofahrer aus ihren Fahrzeugen aussteigen und im nächstgelegenen Luftschutzkeller Unterschlupf suchen. Wer den Alarm ignorierte, muss mit einer Geldstrafe von bis zu 150.000 Taiwan-Dollar, umgerechnet fast 5.000 Euro rechnen. Personen in Innenräumen waren angehalten, alle Fenster zu schließen, Lichtquellen auszuschalten und eine Schutzhaltung einzunehmen.

Militärmanöver Han Kuang hat begonnen

“Als Hauptstadt wird Taipeh im Falle eines Luftschlags die Hauptwucht des Angriffs tragen. Wir hoffen, dass das Krisenbewusstsein der Öffentlichkeit durch die Übung geschärft wird und die Bürger verstehen, dass ein Krieg einiger Vorbereitung bedarf”, teilt die Verkehrsbehörde in Taipeh mit.

Die Insel will optimal reagieren können im Ernstfall. Der Zivilschutz ist deshalb nur ein Teil der jährlichen Übungen. Auch das traditionelle Militärmanöver Han Kuang (漢光演習) hat in dieser Woche begonnen. Seit Montag werden die “Erhaltung der Kampfkraft und die Flugabwehr” intensiv trainiert, heißt es. Ab Mittwoch folgen dann “gemeinsame Abfangmanöver” von Heer, Marine und Luftwaffe, bei denen die Landung feindlicher Truppen aus der Luft und an der Küste trainiert werden soll. Zur “gemeinsamen territorialen Verteidigung” wird am Donnerstag und Freitag außerdem noch ein Gegenangriff geübt.

Praktischer und theoretischer Teil des Militärmanövers

Laut Angaben des Militärs liegen die Schwerpunkte in diesem Jahr auf der “Erhaltung der Kampfkraft, der Einbeziehung der Bevölkerung in die Unterstützung der Truppen, Stärkung der Kontrolle über die Meeresgebiete und die territoriale Verteidigung”. Ziel sei es, angreifende Truppen bereits auf möglichen Angriffsrouten abzufangen und auszuschalten.

Bei einem simulierten chinesischen Angriff auf die Westküste der Hauptinsel verlassen Kampfflugzeuge ihre Basen in Richtung Osten. Ersatzteile für die Maschinen sollen ebenfalls mit einem Transportflugzeug ausgeflogen werden, um Reparaturkapazitäten vorzuhalten. Um einen Angriff auf im Hafen liegende Schiffe zu verhindern, sollen Minensuchboote erst einen sicheren Korridor schaffen und die Marine ihre Schiffe dann auf hoher See in Sicherheit bringen.

Im theoretischen Teil des Manövers waren im Mai bereits Planspiele für die zivile Verteidigung durchgeführt worden, also den Einsatz der Zivilbevölkerung zur Unterstützung des Militärs. Man wolle Lehren aus dem Ukrainekrieg ziehen, um asymmetrische und kognitive Kriegsführung sowie die elektronische Kampfführung zu verbessern, sagte Generalmajor Lin Wen-huang gegenüber PTS News. Außerdem solle die Kampfkraft der Reserve verbessert werden. Erstmals nehmen am Han-Kuang-Manöver auch Reservisten teil, die das neue 14-tägige Auffrischungstraining durchlaufen haben (China.Table berichtete). 

Große Geschütze werden vor der Küste von Su’ao (蘇澳) in Nordosttaiwan aufgefahren. Dort sollen Luftwaffe und Marine gemeinsame Übungen mit mehr als 20 Schiffen und Flugzeugen durchführen. Es wird erwartet, dass Präsidentin Tsai das Manöver an Bord eines Raketenzerstörers beobachten wird.

China: politische Showeinlage

Staatliche Medien in der Volksrepublik belächeln Taiwans jährliche Militärmanöver regelmäßig als politische Showeinlage, die nur zum Ziel habe, eine “chinesische Bedrohung” heraufzubeschwören und sich noch mehr militärische Unterstützung aus den USA zu sichern. Chinas Militär scheint dennoch großes Interesse an dem Manöver zu haben. Japanische und taiwanische Medien berichten übereinstimmend, dass im Vorfeld des Manövers ein chinesisches Spionageschiff in der Gegend um Nordosttaiwan gesichtet wurde.

Chinas Zivilgesellschaft soll derweil nicht über die Militärübungen in Taiwan diskutieren. Auf dem chinesischen Microblogging-Dienst Weibo blieben am Sonntag Suchanfragen nach “Han-Kuang-Manöver” und “Manöver” ohne Ergebnis. Das Han-Kuang-Manöver wird seit 1984 durchgeführt. Vorläufer waren die gemeinsamen Militärmanöver mit den bis 1979 auf Taiwan stationierten amerikanischen Militärberatern der “Military Assistance Advisory Group” (MAAG).

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News

Huawei droht Rauswurf

Die vergangene Bundesregierung mit Peter Altmaier (CDU) als Wirtschaftsminister setzte noch auf einen moderaten Umgang mit dem umstrittenen chinesischen Telekommunikationskonzern Huawei. Man wolle schließlich kein Unternehmen “diskriminieren”, wie Altmaier hervorhob. Die jetzige Bundesregierung hingegen scheut den Konflikt nicht

Wie das Handelsblatt am Montag unter Verweis auf Angaben des Bundesinnenministeriums berichtet, könnte Berlin Netzbetreibern in Deutschland auftragen, kritische Bauteile von “nicht vertrauenswürdigen” Herstellern auszubauen. Selbst die Verwendung bereits verbauter Komponenten könne untersagt werden, “wenn der weitere Einsatz die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland voraussichtlich beeinträchtigt” sei, heißt es in dem Bericht. 

Das wäre vor allem für die deutschen Netzbetreiber ein großes Problem. Huawei ist der weltweit führende Telekommunikationsausrüster. Alle großen Netzbetreiber haben beim Netzausbau in den vergangenen Jahren auf chinesische Hersteller wie ZTE und Huawei gesetzt. Allein bei der Telekom kommen beim 4G-Netz rund 65 Prozent aller verbauten Komponenten von Huawei. Beim Ausbau des 5G-Netzwerkes sollte Huawei ursprünglich eine noch größere Rolle spielen. 5G ist die Grundlage für künftige Produktionsprozesse, in denen Maschinen selbstständig miteinander interagieren können. Selbstfahrende Autos basieren ebenso auf dieser Technik wie das Stromnetz. Ein Rauswurf der chinesischen Anbieter würde den ohnehin viel zu langsamen Ausbau des 5G-Netzwerkes noch weiter verzögern. 

Schon seit längerem wird Huawei verdächtigt, Daten der Nutzerinnen und Nutzer unbemerkt abzugreifen, Huawei-Technik könnte ein Einfallstor für chinesische Spionage oder Sabotage sein. Belege für eine solche Überwachung sind die westlichen Geheimdienste der Öffentlichkeit bislang schuldig geblieben. Dass dies aber technisch ohne weiteres möglich wäre, hat der Whistleblower Edward Snowden 2013 enthüllt. Allerdings war es Snowden zufolge die amerikanische NSA, die bei Systemen des US-Netzwerkausrüsters Cisco “Hintertürchen” einbaute, um fremde Daten auszuspähen.

Mehrere Länder, darunter die USA und Großbritannien, haben Huawei bereits vom Ausbau ihrer 5G-Netze ausgeschlossen. Die deutschen Netzbetreiber wollten bislang weiter auf das Unternehmen setzen. Doch inzwischen ist auch hierzulande die Stimmung gekippt. Unter dem Eindruck der russischen Aggression gegen die Ukraine und Deutschlands Abhängigkeit vom russischen Gas, bewertet die Bundesregierung die Risiken wirtschaftlicher Verflechtungen mit autoritären Staaten neu, darunter auch die Abhängigkeit von Chinaflee

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Shenzhen schickt 100 Unternehmen in Closed Loop

Die Stadt Shenzhen hat 100 großen Unternehmen ein Closed Loop System verordnet, um die Kontakte der Arbeiterschaft zu verringern. Die Maßnahme soll dazu dienen, die Covid-Infektionen in der Metropole zu reduzieren. Betroffen sind große Industrieunternehmen wie BYD, Foxconn, Huawei, ZTE, der Drohnenhersteller DJI oder auch der Ölkonzern CNOOC, wie der Nachrichtendienst Bloomberg berichtet. Die Maßnahme gilt demnach zunächst für sieben Tage. Die Arbeiter und Angestellten sollen dabei von Kontakten außerhalb der Fabriken und ihrer Büros abgeschirmt werden. Shenzhen hat in den vergangenen Tagen jeweils rund 20 neue Covid-Infektionen vermeldet.

Das System der Closed Loops wurde schon im Frühsommer während des großen Lockdowns in Shanghai praktiziert. Damals wurden zehntausende Arbeiterinnen und Arbeiter teils monatelang in den Fabriken isoliert, um Ansteckungen zu verhindern. Das System wurde auch von internationalen Firmen wie Tesla, Bosch und deutschen Mittelständlern angewandt. Teilweise kam es zu Protesten und Ausschreitungen. Die Zustände in den Fabriken waren teils sehr schlecht. Es gab Berichte, dass sich Schichtarbeiter bei Tesla die Betten teilen mussten (China.Table berichtete). nib

Arbeitssicherheit bleibt ernsthaftes Problem

8.870 Menschen sind nach offiziellen Angaben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres wegen Sicherheitsmängeln am Arbeitsplatz in China tödlich verunglückt. Insgesamt seien dem Amt für Notfall-Management 11.000 Zwischenfälle gemeldet worden, heißt es in der am Montag veröffentlichten Statistik. Diese Zahl sei zwar geringer im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Dennoch sei in manchen Provinzen die Zahl der Unglücke rapide gestiegen.

Die Arbeitssicherheit bleibt ein ernsthaftes Problem“, sagte ein Sprecher der Behörde. Riskant sind häufig Arbeiten in der BergbauIndustrie oder im Baugewerbe. Zeitdruck und Sparmaßnahmen beeinträchtigen dort oftmals die Umsetzung der nötigen Sicherheitsvorkehrungen. Besonders bei illegalen Projekten wird die Sicherheit oft massiv vernachlässigt.

Zugenommen hat die Zahl an “relativ große Unfällen” zwischen drei und neun Todesopfern im Westen und Nordwesten des Landes. Die Provinzen Xinjiang, Tibet, Qinghai, Gansu und Chongqing haben demnach eine deutliche Zunahme an Unfällen dieser Kategorie registriert, aber auch Liaoning im Nordosten. Hintergründe für die steigenden Zahlen in den besagten Provinzen und Regionen gab das Amt aber nicht bekannt.

China hat vor 20 Jahren die Gesetzgebung zur Erhöhung der Arbeitssicherheit geschaffen. Seitdem wurde das Gesetz mehrfach verschärft und die Strafen für die Verantwortlichen deutlich erhöht. grz

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Wang: Südchinesisches Meer keine Kampfarena

Chinas Außenminister Wang Yi hat die USA indirekt dazu aufgefordert, sich aus dem Südchinesischen Meer rauszuhalten. Das Gewässer sei keine Kampfarena für große Machtspiele und dürfe auch nicht zu einem Jagdgebiet für fremde Nationen werden, sagte Wang am Montag auf einer Videokonferenz anlässlich des 20. Jahrestages der Unterzeichnung der Declaration on the Conduct of Parties in the South China Sea, kurz DOC. Dabei handelt es sich um eine Richtlinie für die Asean-Staaten zum Umgang mit Streitigkeiten im Südchinesischen Meer. Wang forderte die südostasiatischen Länder auf, sich gemeinsam gegen die Beteiligung externer Mächte an Streitigkeiten zu wehren.

Chinas Außenminister beschuldigte “einige gewisse externe Mächte”, Konflikte absichtlich auszuweiten und Spannungen zu provozieren, wodurch die legitimen Rechte und Interessen der Küstenstaaten gefährdet würden. Wangs Vorwürfe zielen vor allem auf die USA. Die USA betrachten das Südchinesische Meer als entscheidend für ihre Indopazifik-Strategie und führen regelmäßig Operationen zur “Freiheit der Schifffahrt” (Fonop) durch, wie auch Marineübungen mit Verbündeten wie Japan und Australien.

Peking beansprucht den Großteil des Gewässers für sich. Das führt regelmäßig zu Konflikten, da Taiwan und die Asean-Mitglieder Brunei, Malaysia, die Philippinen und Vietnam eigene Ansprüche erheben, und die sich mit den chinesischen Forderungen überschneiden. Trotz eines internationalen Schiedsspruchs hat China in den vergangenen Jahren seine Kontrolle über das Südchinesische Meer drastisch ausgedehnt. rad

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Zoll wappnet das Land gegen Affenpocken

China setzt zum Fernhalten des Affenpocken-Virus aus dem eigenen Land auf die Kooperationsbereitschaft der Einreisenden. Der Zoll bittet an den Grenzen um freiwillige Meldungen von Infizierten oder Kontaktpersonen von Infizierten.

Die Hygienemaßnahmen für Fahrer und Fahrzeuge und für Container, die aus gefährdeten Gebieten einreisen oder eingeführt werden, soll an den Grenzen ebenfalls erhöht werden. Der Zoll kündigte im Bedarfsfall weitere Verschärfungen seiner Kontrollen an. Im Juni hatte die Nationale Gesundheitskommission Untersuchungen von Einreisenden aus Affenpocken-Risikogebieten angeordnet. Als solche gelten Länder, in denen binnen der vergangenen 21 Tage das Virus entdeckt worden ist.

Bislang ist das Virus in 75 Ländern weltweit nachgewiesen worden, in der Volksrepublik allerdings noch nicht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte Ende vergangener Woche eine “Notlage von internationaler Tragweite” ausgerufen, so wie sie es zuletzt im Januar 2020 nach Auftauchen des Coronavirus in China getan hatte. grz

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Presseschau

Rishi Sunak bezeichnet China als “größte Bedrohung” ZEIT
Wegen Pelosis geplanter Taiwan-Reise: China droht den USA mit “entschlossenen Maßnahmen” RND
Sagt Pelosi ihre Reise ab, wäre das ein Gewinn für China TAGESSPIEGEL
Taiwan holds drills amid Pelosi visit concern, China tension APNEWS
Chinas Drohungen gegen Taiwan: Die Bundesregierung bereitet sich den nächsten Krieg vor TAGESSPIEGEL
Top US general says China’s military has become more aggressive to US over last 5 years CNN
Einfallstor für China-Spionage: Huawei droht Rauswurf aus deutschem Netz NTV
CNN Exclusive: FBI investigation determined Chinese-made Huawei equipment could disrupt US nuclear arsenal communications CNN
Where China Is Changing Its Diplomatic Ways (at Least a Little) NYTIMES
Labor-Modul dockt an Chinas neue Raumstation an DEUTSCHLANDFUNK
Debris from China rocket launch to crash land – and no one knows where WASHINGTONPOST
Umgang mit Sanktionen: Spaltet Decoupling die Welt? HANDELSBLATT
Chinas Investitionen in Neue Seidenstraße gehen zurück EURACTIV
Monster-Sandsturm in China: Autofahrer saßen mehrere Stunden fest EURONEWS
China’s population will start shrinking sooner than expected, threatening its economy years ahead of schedule FORTUNE
China’s securities regulator denies report of a delisting survival plan CNBC
China issues highest heat alert for almost 70 cities in second heatwave this month CNN

Standpunkt

Warum schrumpft die uigurische Bevölkerung?

von Yi Fuxian
Yi Fuxian, leitender Forscher im Bereich Geburtshilfe und Gynäkologie an der Universität von Wisconsin-Madison. Hier schreibt er über Bevölkerungskontrolle und Familienplanung in Xinjiang.
Yi Fuxian, leitender Forscher im Bereich Geburtshilfe und Gynäkologie an der Universität von Wisconsin-Madison.

Nachdem Chen Quanguo 2016 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei in Xinjiang ernannt worden war, verhängte er Maßnahmen, die zu einem schockierenden Geburtenrückgang geführt haben. Einige Beobachter warfen der chinesischen Führung vor, durch erzwungene Sterilisationen und Abtreibungen einen Genozid gegen die meist muslimische Bevölkerungsgruppe der Uiguren zu führen. Der chinesische Außenminister Wang Yi tat die Anschuldigungen als “Schmierenkampagne” ab und argumentierte, die uigurische Bevölkerung Xinjiangs sei zwischen 2010 und 2018 stetig um 25 Prozent auf 12,7 Millionen gewachsen – und damit schneller als die Gesamtbevölkerung der Provinz.

Aber kürzlich veröffentlichte Volkszählungsdaten von 2020 stellen einen Schlag ins Gesicht des Ministers dar. Diese Zahlen zeigen, dass die uigurische Bevölkerung in Xinjiang seit 2010 auf lediglich 11,6 Millionen gewachsen ist – was einem 16-prozentigen Anstieg entspricht und damit unter der 19-prozentigen Steigerung der Gesamtbevölkerung Xinjiangs liegt. Noch schockierender ist, dass die Zahl der uigurischen Kinder bis vier Jahre nur 36 Prozent der Anzahl der Kinder zwischen fünf und neun Jahren erreichte.

Den einzigen vergleichbaren Fall gab es Anfang der 1990er-Jahre in der Provinz Shandong, als einige Parteikader versucht hatten, eine Kampagne zu starten, um “in 100 Tagen frei von Neugeborenen” zu sein. Im Jahr 2000 belief sich die Zahl der Fünf- bis Neunjährigen in der Stadt Tai’an auf nur 28 Prozent der Zahl der Zehn- bis 14-Jährigen. Und im Jahr 1980, als die chinesischen Behörden über die Ein-Kind-Politik diskutierten, gab es sogar den gruseligen Vorschlag, alle paar Jahre ein “neugeborenenfreies Jahr” einzuführen.

Familienplanung in Xinjiang später als im Rest Chinas

Um zu verstehen, warum die Geburtenzahl in Xinjiang zurückgegangen ist, hilft es, die Geschichte der dortigen Bevölkerungskontrolle zu betrachten: China hatte 1973 landesweit die Familienplanung und 1980 die Ein-Kind-Politik eingeführt. Aber für die ethnischen Minderheiten in Xinjiang kam die Familienplanung später. 1989 durften Minderheitenpaare in den Städten zwei Kinder haben. Paare im ländlichen Raum durften dies auch und wurden weniger häufig zu Abtreibungen und Sterilisationen gezwungen. Gemeinsam mit der geringeren Ausbildung führte diese “milde” Politik unter den Uiguren zu höheren Fruchtbarkeitsraten. Die landesweiten Raten lagen 1989, 2000 und 2010 bei 2,3, 1,22 und 1,18 Kindern pro Frau, und für uigurische Frauen bei 4,31, 2,0 und 1,84.

Chens Vorgänger Zhang Chunxian, der zwischen 2005 und 2010 Parteisekretär der Hunan-Provinz war, setzte sich stark für Bevölkerungskontrolle ein. Unter dem Motto, “die Familienplanung zu regeln, heißt, die Produktivität zu regeln”, startete er 2006 in Hunan eine entsprechende Kampagne. Dies betraf auch meine angeheiratete Cousine, die ein paar Tage vor der Geburt ihres ersten Kindes gezwungen wurde, abzutreiben, weil sie ihre Geburtserlaubnis nicht rechtzeitig beantragt hatte.

2010 wurde Zhang nach Xinjiang versetzt, und Hunans neuer Gouverneur Xu Shousheng schmiedete neue Pläne und weitere Aktionen zur Stärkung der Bevölkerungskontrolle in der Provinz. Im Januar 2011 veröffentlichte ich einen “Offenen Brief an den Sekretär und Gouverneur von Hunan zur Familienplanung” , wo ich Zhang und Xu euphemistisch kritisierte. Daraufhin luden mich die Behörden von Hunan ein, in der Provinz einen Vortrag zu halten. Damals schloss sich der inzwischen inhaftierte uigurische Ökonom und Menschenrechtsaktivist Ilham Tohti meinem Aufruf an, die Familienplanung für die Uiguren zu beenden.

Am 31. Juli 2014 veröffentlichte Zhang dann in der Parteizeitung Suche nach der Wahrheit einen Aufsatz und argumentierte, Xinjiang müsse “eine Familienplanungspolitik einführen, die für alle ethnischen Gruppen gleich ist” und “die Geburtenrate auf ein mittleres Niveau verringern und stabilisieren”. Ich war so besorgt, dass ich im März 2015 in der Zeitschrift Bevölkerung und Gesellschaft eine von anderen Wissenschaftlern überprüfte Antwort mit dem Titel “Angesichts der geringen Fruchtbarkeitsraten ethnischer Minderheiten müssen wir die Bevölkerungskontrolle dringend stoppen” veröffentlichte.

Letztlich hat Zhang die Familienplanung in Xinjiang doch nicht verschärft. Während seiner Amtszeit blieben die Geburtenraten in der Provinz stabil. Aber wir wissen, dass die Anzahl der Geburten unter Chen von 389.695 im Jahr 2017 auf 267.250 in 2018 und 159.528 in 2021 abgestürzt ist, was zwischen 2018 und 2021 eine Viertelmillion weniger Geburten bedeutet.

Xinjiang: systematische Abtreibungen unwahrscheinlich

Da die chinesischen Behörden schon lang dafür berüchtigt sind, Abtreibungen, Sterilisationen und intrauterine Eingriffe anzuordnen, liegt die Annahme nahe, dass der dramatische Geburtenrückgang in Xinjiang auf solche Maßnahmen zurückzuführen ist. Aber die Dinge liegen nicht so einfach, da es in der Provinz von 2017 bis 2020 etwas weniger Abtreibungen und intrauterine Eingriffe gab als von 2013 bis 2016; und obwohl 70.000 mehr Sterilisationen stattfanden, ist diese Zahl immer noch eine Zehnerpotenz kleiner als der Rückgang der Geburtenrate.

Angesichts dessen, dass Paare in Xinjiang zwei oder drei Kinder haben dürfen, ist es unwahrscheinlich, dass die Behörden bei Frauen, die nur ein oder zwei Kinder hatten, systematisch Abtreibungen, Ligaturen oder intrauterine Eingriffe durchgeführt haben. Warum lag dann die uigurische Fruchtbarkeitsrate im Jahr 2020 bei nur einem Kind pro Frau? Wahrscheinlich liegt dies daran, dass Chens brutales Durchgreifen (unter dem Vorwand des Kampfs gegen den islamistischen Extremismus) zu wirtschaftlicher Repression und steigender Arbeitslosigkeit geführt hat, wodurch die Ressourcen für Eltern verringert wurden. Da das ländliche Xinjiang unter schwerer kultureller Unterdrückung und wirtschaftlichen Einschränkungen litt, fiel die Fruchtbarkeitsrate 2020 verglichen mit den städtischen Gebieten auf ein ungewöhnlich niedriges Niveau.

Ein weiterer Grund für den Geburtenrückgang waren wohl auch verbesserte Bildungsmöglichkeiten, die einen Teil der Frauen dazu gebracht haben, Heirat und Schwangerschaft aufzuschieben. Die chinesischen Behörden haben massiv investiert, um in Xinjiang 15 Jahre kostenlose und verpflichtende Ausbildung einzuführen – verglichen mit neun Jahren im Gesamtland. Daraufhin stieg in Xinjiang die Einschreibungsrate für weiterführende Schulen von 69 Prozent im Jahr 2010 auf 99 Prozent in 2020, während dieser Wert landesweit von 83 auf nur 91 Prozent stieg. Natürlich mussten die Uiguren Zwangssterilisationen über sich ergehen lassen. Einen stärkeren Einfluss auf die Geburtenrate hat aber wohl dieser erzwungene kulturelle Wandel gehabt.

Durchgreifen in Xinjiang: schwere langfristige Probleme

Während die chinesischen Behörden die Fruchtbarkeitsrate sehr effektiv senken konnten, waren sie viel weniger erfolgreich dabei, sie wieder zu steigern. Die jüngste Zwei-Kind- und Drei-Kind-Politik war ein massiver Fehlschlag. Auch zukünftig werden alle Bemühungen zur Geburtenförderung in Xinjiang scheitern, wenn die sozioökonomische Vitalität der Region weiter abnimmt.

Diese Fehlschläge werden dazu führen, dass China seine geopolitischen Vorteile in Zentralasien verliert, wo das Land mit Russland um Einfluss ringt. Die chinesischen Regierenden haben Chen massiv gelobt, müssen aber erst noch verstehen, dass sein Durchgreifen in Xinjiang die Grundlage für schwere langfristige Probleme geschaffen hat.

Yi Fuxian, leitender Forscher im Bereich Geburtshilfe und Gynäkologie an der Universität von Wisconsin-Madison, ist Verfasser von Big Country with an Empty Nest(China Development Press 2013). Übersetzung: Harald Eckhoff.

Copyright: Project Syndicate, 2022.
www.project-syndicate.org

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Personalien

Die Schweizer Bank Credit Suisse hat Jance Hu zur neuen Geschäftsführerin ihres China-Geschäfts ernannt. Hu arbeitet seit zwei Jahrzehnten für die Credit Suisse und war bereits für die Sparten Investment Banking und Wertpapiere in China verantwortlich. Sie löst Zhenyi Tang als CEO ab.

Das amerikanische Entertainment-Unternehmen Endeavor hat Sum Huang als neuen Geschäftsführer seiner chinesischen Tochtergesellschaft vorgestellt. Huang ist Mitgründer der Shanghaier Content-Agentur XG Entertainment, bei der unter anderem Alibabas Investmentfirma CICC eingestiegen ist.

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Dessert

Mitglieder einer Forschungsexpedition in den tibetischen Siedlungsgebieten in Qinghai untersuchen seit Sonntag die ökologischen Zustände der Flussoberläufe von Yangtze und Lancang. Die Experten des Changjiang River Scientific Research Institute (CRSRI) interessieren sich unter anderem für die Hydrologie, die Erosionen des Erdreichs, Gletscher und Permafrost in der Region.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine – und den Folgen, wie der drohenden Gasknappheit – wird sich Deutschland auch seiner China-Abhängigkeiten zunehmend bewusst. Außenministerin Baerbock und Wirtschaftsminister Habeck wollen einen neuen Kurs einschlagen. Und auch bei den deutschen Unternehmen setzt ein Umdenken ein. Das Problem: Gestaltet sich die Loslösung von Russland schon schwierig, wird es im Falle Chinas eine wahre Herkulesaufgabe. Denn Deutschlands Abhängigkeiten von China sind wesentlich größer und komplexer.

    Nico Beckert analysiert, in welchen Bereichen die deutschen Abhängigkeiten am größten sind – und weshalb das viel zitierte “Decoupling” keine einfache Lösung sein wird. Da auch China sich unabhängiger von Deutschland machen will, lautet sein Fazit: Es steht eine Zeitenwende bevor.

    Derweil befindet sich Taiwan in Alarmbereitschaft – im wahrsten Sinne des Wortes. David Demes zeigt, was das für die Menschen in Taiwan bedeutet und wie sich auch das Land für den Ernstfall wappnet: Am Montag heulten Sirenen auf, die Menschen mussten in Bunker – landesweit wurden Schutzmaßnahmen für einen chinesischen Raketenangriff geübt.

    Zudem hält Taiwans Militär das Han-Kuang-Manöver ab. Mit mehr als 20 Schiffen und Flugzeugen wird für den Ernstfall geübt: ein Angriff der Volksrepublik China. Die Worte des Bürgermeisters von Taipeh stimmen jedenfalls nachdenklich. “Es ist notwendig, Vorbereitungen für den Kriegsfall zu treffen”, sagte Ko Wen-je am Montag.

    Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht

    Ihr
    Michael Radunski
    Bild von Michael  Radunski

    Analyse

    Abhängigkeiten sorgen für Zeitenwende im China-Geschäft

    Die Auto-Industrie Deutschlands ist wie viele Branchen von China abhängig. Risiken steigen. Gleichzeitig nimmt Chinas Attraktivität ab.
    Die Auto-Industrie ist wie viele Branchen von China abhängig. Risiken steigen. Gleichzeitig nimmt Chinas Attraktivität ab.

    Über Jahre hinweg galt China als einer der bevorzugten Partner der deutschen Politik und Wirtschaft. Die Volksrepublik war Garant für deutsches Wachstum und ist längst zu Deutschlands größtem Handelspartner aufgestiegen. Auto- und Maschinenbauer machen in der Volksrepublik große Umsätze.

    Doch vieles deutet darauf, dass das China-Engagement der deutschen Wirtschaft vor einem Wendepunkt steht. Die Corona-Lockdowns und der chinesische Fokus auf die eigene Wettbewerbsfähigkeit machen das Land zunehmend unattraktiver.

    Russland zeigt Risiken durch große Abhängigkeiten

    Hinzu kommt die neue Furcht vor zu großen Abhängigkeiten: Deutschlands Gas-Abhängigkeit von Russland wird im Winter wohl zu einer Rezession führen. Vor diesem Hintergrund werden auch die China-Abhängigkeiten Deutschlands neu bewertet. Außenministerin Annalena Baerbock sagte jüngst, es sei ihr “sehr ernst” mit der Reduzierung der Abhängigkeiten von China.

    Leicht wird das nicht. “Europas wirtschaftliche Verflechtungen mit China sind wesentlicher komplexer” als jene mit Russland “und betreffen Sektoren mit einer tief verzweigten Wertschöpfungskette”, sagt Max Zenglein, Chefökonom beim China-Think-Tank Merics gegenüber China.Table.

    Bei Seltenen Erden, Magnesium und anderen Rohstoffen gibt es gar kritische Abhängigkeiten (China.Table berichtete). Auch bei Industriegütern haben die Abhängigkeiten stark zugenommen. Laut Merics befinden sich die EU-Staaten in 103 Produktkategorien in einer “kritischen strategischen Abhängigkeit” von China. Das heißt: Die Staaten importieren mindestens 50 Prozent eines bestimmten Produkts aus China, zudem hat die Volksrepublik einen globalen Marktanteil von mindestens 30 Prozent. Dazu zählen beispielsweise pharmazeutische Produkte, Chemikalien und Elektronikteile wie bestimmte Leiterplatten, kleine Transformatoren oder Batteriezellen. Zahlreiche Branchen sind auf Vorleistungen aus China angewiesen.

    Unternehmen aus Deutschland: Abhängigkeiten bei Vorleistungen aus China groß

    Bei all diesen Produkten wäre es schwierig, kurzfristig andere Zulieferer zu finden. Einen Lieferstopp könnte die deutsche Wirtschaft kaum verkraften. Zenglein empfiehlt deshalb: “Es wäre durchaus hilfreich, wenn Politik und Wirtschaft Mechanismen ergreifen, um die Abhängigkeiten zu identifizieren und diese in kritischen Bereichen – beispielsweise bei erneuerbaren Energien, pharmazeutischen Grundstoffen oder Elektronikbauteilen – zu reduzieren.”

    China verringert Abhängigkeit vom Westen

    China macht das schon. Peking hat es sich zum Ziel gesetzt, technologisch an die Weltspitze zu rücken und westliche Anbieter zu überholen. Chinas Unternehmen sollen innovativer werden und eine Tech-Dominanz aufbauen, die zukünftig für Wachstum sorgt. “Im Falle von geopolitischen Eskalationen” wäre China dann besser gerüstet, sagt Zenglein.

    Um technologisch aufzuholen, nutzt China auch ausländische Konzerne. Einige Forscher warnen deshalb, die deutsche Industrie dürfe nicht zu naiv agieren. “Ausländische Investoren müssen sich vergegenwärtigen, dass sie diesem Ziel dienen sollen”, sagt Rolf Langhammer vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) gegenüber China.Table. Als warnendes Beispiel diene die Autoindustrie. Deutsche Unternehmen “haben chinesischen Firmen das nötige Know-how geliefert, um von diesen zukünftig ersetzt werden zu können“, erklärt der Handelsexperte.

    Was daraus folgt, zeigt eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW): “Deutschland hängt vor allem auf der Exportseite, aber auch importseitig, wesentlich stärker von China ab als umgekehrt.” Und Chinas Importe werden in Zukunft weiter sinken, wie die Prognose zeigt. Der Grund ist in Peking zu finden. “Die chinesische Regierung will ihre Abhängigkeiten vom Ausland durch die Dual-Circulation-Strategie weiter abbauen”, schreibt der Autor der Studie, Jürgen Matthes.

    China verliert an Attraktivität

    Doch nicht alle Entwicklungen gehen auf eine aktive Entscheidung Pekings zurück. So verliert China in letzter Zeit als Absatzmarkt wie auch im täglichen Geschäft zunehmend an Attraktivität. Unternehmen und Verbände beklagen die strikte Null-Covid-Politik und die zahlreichen Lockdowns. Laut einer Umfrage der EU-Handelskammer in China überlegt ein immer größerer Teil der Unternehmen, Investitionen aus China abzuziehen (China.Table berichtete). Für 77 Prozent der befragten Unternehmen hat China als Investitionsziel an Attraktivität verloren.

    Und auch Unternehmen in Deutschland wollen ihre China-Abhängigkeit verringern. Fast jedes zweite Industrieunternehmen, das Vorleistungen aus der Volksrepublik bezieht, will seine Importe aus China reduzieren, zeigt eine Ifo-Studie vom April. Ob dieser Stimmungsumschwung allerdings auch “einen grundsätzlichen Strategiewechsel bei den europäischen Unternehmen einleiten wird, bleibt noch abzuwarten”, sagt Zenglein.

    Warum Industrieunternehmen aus Deutschland ihre China-Abhängigkeiten senken wollen

    “Globalisierung steht vor Neu-Aufstellung”

    Doch global stehen die Zeichen auf Entflechtung. “Die Globalisierung steht am Anfang einer Neu-Aufstellung”, sagt Zenglein. Risikofaktoren müssten in den Kalkulationen der Unternehmen in Zukunft eine größere Rolle spielen. Dabei gehe es nicht um eine Abkopplung. Vielmehr plädiert Zenglein für eine Diversifizierung. Das “wird Zeit und vor allem Geld in Anspruch nehmen”.

    Rolf Langhammer gibt zu bedenken, dass der chinesische Markt derzeit noch zu wichtig sei. “Unternehmen werden die Fokussierung auf den chinesischen Markt, wenn überhaupt, nur sehr langsam abbauen können”, meint der IfW-Forscher. Aber vor dem Hintergrund der neuen geopolitischen Realitäten “kann es noch kostspieliger werden, nicht zu reagieren“, sagt Zenglein.

    Genau hier könnte die größte Herausforderung liegen. Denn die Firmen setzen lieber auf kurzfristige Gewinne denn auf langfristige Sicherheit. Schließlich steht man im Wettbewerb. Es ist das klassische Gefangenen-Dilemma: Gibt ein Unternehmen die Umsätze in China auf, eröffnen sich Chancen für Wettbewerber, die in die Lücke vorstoßen können und dem Unternehmen Marktanteile abnehmen. Ähnliches gilt für den Einkauf günstiger Vorprodukte und Rohstoffe aus China. Doch ob dieses Vorgehen langfristig den größten Nutzen bringt, steht spätestens nach dem Russland-Debakel infrage.

    Werden die deutsche Politik und die Wirtschaft die richtigen Lehren ziehen und sich auf die neue Globalisierung einstellen? Eine neue China-Strategie des Außenministeriums könnte bald Aufschluss geben. Außenministerin Baerbock sagte jüngst, weil China ein Systemrivale sei, müssten wir klarstellen, dass wir nicht erpressbar sind, so “wie wir es bei der russischen Gasabhängigkeit waren”. Und auch Robert Habeck will einen neuen Kurs einschlagen. “Wir diversifizieren uns stärker und verringern unsere Abhängigkeiten auch von China”, sagte der Wirtschaftsminister kürzlich. Die Regierung wird sich an diesen Aussagen messen lassen müssen.

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    Taiwan übt den Ernstfall

    Trainieren für den Ernstfall: In Taiwan finden große Zivilschutz- und Militärmanöver statt.
    Trainieren für den Ernstfall: In Taiwan finden große Zivilschutz- und Militärübungen statt.

    Am Montag ertönten in Taiwans Hauptstadt Taipeh am frühen Nachmittag die Sirenen – testweise. Binnen weniger Minuten war das Leben von den Straßen verschwunden. Die Menschen zogen sich eiligst in Bunker und Keller zurück, um den Ernstfall eines Luftangriffs zu üben. Rund 30 Minuten lang waren die Straßen gespenstisch leer. Dann hatte der Spuk ein Ende, und das öffentliche Leben in Taiwan nahm wieder seinen gewohnten Lauf.

    Die Flucht in die Bunker ist Teil der jährlichen Zivilschutzübung Wan An (萬安演習) in Taiwan. Die Teilnahme ist seit vielen Jahren verpflichtend, weil die Angst vor einem chinesischen Angriff auf die Insel omnipräsent ist. Die Behörden testen jedes Jahr ihr Alarmsystem: Sirenen und Nachrichten auf die Mobiltelefone der Menschen sollen ermöglichen, dass jeder Bürger die Möglichkeit hat, sich in Sicherheit zu bringen.

    Staatspräsidentin Tsai Ing-wen hatte ihre Mitbürger vorsorglich daran erinnert, dass niemand in Panik verfallen, sondern sich gemäß der Anweisungen verhalten soll, wenn die Übung startet. Denn in diesem Jahr steht Wan An unter einem besonderen Stern.

    “Notwendig, Vorbereitungen für den Kriegsfall zu treffen”

    Selten schien die Kriegsgefahr in Taiwan in den vergangenen Jahrzehnten so real zu sein wie jetzt. Zumal die Ankündigung von Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, die Insel im August besuchen zu wollen, massive Drohungen aus Peking nach sich zog (China.Table berichtete). Die chinesische Regierung sieht Taiwan als untrennbaren Teil seines Territoriums und will den Inselstaat in die Volksrepublik integrieren – zur Not auch mit Gewalt.

    “Es ist notwendig, Vorbereitungen für den Kriegsfall zu treffen”, sagte Taipehs Bürgermeister Ko Wen-je. “Chinesische Militärflugzeuge haben Taiwan in den letzten Jahren häufig belästigt, und im Februar ist der Krieg zwischen Russland und der Ukraine ausgebrochen. Das sollte uns daran erinnern, in Zeiten des Friedens wachsam zu bleiben”, warnte Ko.

    Als die Warnsirenen im vielen Teilen Nordtaiwans gegen 13.30 Ortszeit zu heulen begannen, mussten Züge, U-Bahnen und Busse, aber auch alle Taxis die Fahrgastbeförderung sofort einstellen. In Taipeh mussten erstmals auch alle Autofahrer aus ihren Fahrzeugen aussteigen und im nächstgelegenen Luftschutzkeller Unterschlupf suchen. Wer den Alarm ignorierte, muss mit einer Geldstrafe von bis zu 150.000 Taiwan-Dollar, umgerechnet fast 5.000 Euro rechnen. Personen in Innenräumen waren angehalten, alle Fenster zu schließen, Lichtquellen auszuschalten und eine Schutzhaltung einzunehmen.

    Militärmanöver Han Kuang hat begonnen

    “Als Hauptstadt wird Taipeh im Falle eines Luftschlags die Hauptwucht des Angriffs tragen. Wir hoffen, dass das Krisenbewusstsein der Öffentlichkeit durch die Übung geschärft wird und die Bürger verstehen, dass ein Krieg einiger Vorbereitung bedarf”, teilt die Verkehrsbehörde in Taipeh mit.

    Die Insel will optimal reagieren können im Ernstfall. Der Zivilschutz ist deshalb nur ein Teil der jährlichen Übungen. Auch das traditionelle Militärmanöver Han Kuang (漢光演習) hat in dieser Woche begonnen. Seit Montag werden die “Erhaltung der Kampfkraft und die Flugabwehr” intensiv trainiert, heißt es. Ab Mittwoch folgen dann “gemeinsame Abfangmanöver” von Heer, Marine und Luftwaffe, bei denen die Landung feindlicher Truppen aus der Luft und an der Küste trainiert werden soll. Zur “gemeinsamen territorialen Verteidigung” wird am Donnerstag und Freitag außerdem noch ein Gegenangriff geübt.

    Praktischer und theoretischer Teil des Militärmanövers

    Laut Angaben des Militärs liegen die Schwerpunkte in diesem Jahr auf der “Erhaltung der Kampfkraft, der Einbeziehung der Bevölkerung in die Unterstützung der Truppen, Stärkung der Kontrolle über die Meeresgebiete und die territoriale Verteidigung”. Ziel sei es, angreifende Truppen bereits auf möglichen Angriffsrouten abzufangen und auszuschalten.

    Bei einem simulierten chinesischen Angriff auf die Westküste der Hauptinsel verlassen Kampfflugzeuge ihre Basen in Richtung Osten. Ersatzteile für die Maschinen sollen ebenfalls mit einem Transportflugzeug ausgeflogen werden, um Reparaturkapazitäten vorzuhalten. Um einen Angriff auf im Hafen liegende Schiffe zu verhindern, sollen Minensuchboote erst einen sicheren Korridor schaffen und die Marine ihre Schiffe dann auf hoher See in Sicherheit bringen.

    Im theoretischen Teil des Manövers waren im Mai bereits Planspiele für die zivile Verteidigung durchgeführt worden, also den Einsatz der Zivilbevölkerung zur Unterstützung des Militärs. Man wolle Lehren aus dem Ukrainekrieg ziehen, um asymmetrische und kognitive Kriegsführung sowie die elektronische Kampfführung zu verbessern, sagte Generalmajor Lin Wen-huang gegenüber PTS News. Außerdem solle die Kampfkraft der Reserve verbessert werden. Erstmals nehmen am Han-Kuang-Manöver auch Reservisten teil, die das neue 14-tägige Auffrischungstraining durchlaufen haben (China.Table berichtete). 

    Große Geschütze werden vor der Küste von Su’ao (蘇澳) in Nordosttaiwan aufgefahren. Dort sollen Luftwaffe und Marine gemeinsame Übungen mit mehr als 20 Schiffen und Flugzeugen durchführen. Es wird erwartet, dass Präsidentin Tsai das Manöver an Bord eines Raketenzerstörers beobachten wird.

    China: politische Showeinlage

    Staatliche Medien in der Volksrepublik belächeln Taiwans jährliche Militärmanöver regelmäßig als politische Showeinlage, die nur zum Ziel habe, eine “chinesische Bedrohung” heraufzubeschwören und sich noch mehr militärische Unterstützung aus den USA zu sichern. Chinas Militär scheint dennoch großes Interesse an dem Manöver zu haben. Japanische und taiwanische Medien berichten übereinstimmend, dass im Vorfeld des Manövers ein chinesisches Spionageschiff in der Gegend um Nordosttaiwan gesichtet wurde.

    Chinas Zivilgesellschaft soll derweil nicht über die Militärübungen in Taiwan diskutieren. Auf dem chinesischen Microblogging-Dienst Weibo blieben am Sonntag Suchanfragen nach “Han-Kuang-Manöver” und “Manöver” ohne Ergebnis. Das Han-Kuang-Manöver wird seit 1984 durchgeführt. Vorläufer waren die gemeinsamen Militärmanöver mit den bis 1979 auf Taiwan stationierten amerikanischen Militärberatern der “Military Assistance Advisory Group” (MAAG).

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    News

    Huawei droht Rauswurf

    Die vergangene Bundesregierung mit Peter Altmaier (CDU) als Wirtschaftsminister setzte noch auf einen moderaten Umgang mit dem umstrittenen chinesischen Telekommunikationskonzern Huawei. Man wolle schließlich kein Unternehmen “diskriminieren”, wie Altmaier hervorhob. Die jetzige Bundesregierung hingegen scheut den Konflikt nicht

    Wie das Handelsblatt am Montag unter Verweis auf Angaben des Bundesinnenministeriums berichtet, könnte Berlin Netzbetreibern in Deutschland auftragen, kritische Bauteile von “nicht vertrauenswürdigen” Herstellern auszubauen. Selbst die Verwendung bereits verbauter Komponenten könne untersagt werden, “wenn der weitere Einsatz die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland voraussichtlich beeinträchtigt” sei, heißt es in dem Bericht. 

    Das wäre vor allem für die deutschen Netzbetreiber ein großes Problem. Huawei ist der weltweit führende Telekommunikationsausrüster. Alle großen Netzbetreiber haben beim Netzausbau in den vergangenen Jahren auf chinesische Hersteller wie ZTE und Huawei gesetzt. Allein bei der Telekom kommen beim 4G-Netz rund 65 Prozent aller verbauten Komponenten von Huawei. Beim Ausbau des 5G-Netzwerkes sollte Huawei ursprünglich eine noch größere Rolle spielen. 5G ist die Grundlage für künftige Produktionsprozesse, in denen Maschinen selbstständig miteinander interagieren können. Selbstfahrende Autos basieren ebenso auf dieser Technik wie das Stromnetz. Ein Rauswurf der chinesischen Anbieter würde den ohnehin viel zu langsamen Ausbau des 5G-Netzwerkes noch weiter verzögern. 

    Schon seit längerem wird Huawei verdächtigt, Daten der Nutzerinnen und Nutzer unbemerkt abzugreifen, Huawei-Technik könnte ein Einfallstor für chinesische Spionage oder Sabotage sein. Belege für eine solche Überwachung sind die westlichen Geheimdienste der Öffentlichkeit bislang schuldig geblieben. Dass dies aber technisch ohne weiteres möglich wäre, hat der Whistleblower Edward Snowden 2013 enthüllt. Allerdings war es Snowden zufolge die amerikanische NSA, die bei Systemen des US-Netzwerkausrüsters Cisco “Hintertürchen” einbaute, um fremde Daten auszuspähen.

    Mehrere Länder, darunter die USA und Großbritannien, haben Huawei bereits vom Ausbau ihrer 5G-Netze ausgeschlossen. Die deutschen Netzbetreiber wollten bislang weiter auf das Unternehmen setzen. Doch inzwischen ist auch hierzulande die Stimmung gekippt. Unter dem Eindruck der russischen Aggression gegen die Ukraine und Deutschlands Abhängigkeit vom russischen Gas, bewertet die Bundesregierung die Risiken wirtschaftlicher Verflechtungen mit autoritären Staaten neu, darunter auch die Abhängigkeit von Chinaflee

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    Shenzhen schickt 100 Unternehmen in Closed Loop

    Die Stadt Shenzhen hat 100 großen Unternehmen ein Closed Loop System verordnet, um die Kontakte der Arbeiterschaft zu verringern. Die Maßnahme soll dazu dienen, die Covid-Infektionen in der Metropole zu reduzieren. Betroffen sind große Industrieunternehmen wie BYD, Foxconn, Huawei, ZTE, der Drohnenhersteller DJI oder auch der Ölkonzern CNOOC, wie der Nachrichtendienst Bloomberg berichtet. Die Maßnahme gilt demnach zunächst für sieben Tage. Die Arbeiter und Angestellten sollen dabei von Kontakten außerhalb der Fabriken und ihrer Büros abgeschirmt werden. Shenzhen hat in den vergangenen Tagen jeweils rund 20 neue Covid-Infektionen vermeldet.

    Das System der Closed Loops wurde schon im Frühsommer während des großen Lockdowns in Shanghai praktiziert. Damals wurden zehntausende Arbeiterinnen und Arbeiter teils monatelang in den Fabriken isoliert, um Ansteckungen zu verhindern. Das System wurde auch von internationalen Firmen wie Tesla, Bosch und deutschen Mittelständlern angewandt. Teilweise kam es zu Protesten und Ausschreitungen. Die Zustände in den Fabriken waren teils sehr schlecht. Es gab Berichte, dass sich Schichtarbeiter bei Tesla die Betten teilen mussten (China.Table berichtete). nib

    Arbeitssicherheit bleibt ernsthaftes Problem

    8.870 Menschen sind nach offiziellen Angaben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres wegen Sicherheitsmängeln am Arbeitsplatz in China tödlich verunglückt. Insgesamt seien dem Amt für Notfall-Management 11.000 Zwischenfälle gemeldet worden, heißt es in der am Montag veröffentlichten Statistik. Diese Zahl sei zwar geringer im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Dennoch sei in manchen Provinzen die Zahl der Unglücke rapide gestiegen.

    Die Arbeitssicherheit bleibt ein ernsthaftes Problem“, sagte ein Sprecher der Behörde. Riskant sind häufig Arbeiten in der BergbauIndustrie oder im Baugewerbe. Zeitdruck und Sparmaßnahmen beeinträchtigen dort oftmals die Umsetzung der nötigen Sicherheitsvorkehrungen. Besonders bei illegalen Projekten wird die Sicherheit oft massiv vernachlässigt.

    Zugenommen hat die Zahl an “relativ große Unfällen” zwischen drei und neun Todesopfern im Westen und Nordwesten des Landes. Die Provinzen Xinjiang, Tibet, Qinghai, Gansu und Chongqing haben demnach eine deutliche Zunahme an Unfällen dieser Kategorie registriert, aber auch Liaoning im Nordosten. Hintergründe für die steigenden Zahlen in den besagten Provinzen und Regionen gab das Amt aber nicht bekannt.

    China hat vor 20 Jahren die Gesetzgebung zur Erhöhung der Arbeitssicherheit geschaffen. Seitdem wurde das Gesetz mehrfach verschärft und die Strafen für die Verantwortlichen deutlich erhöht. grz

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    Wang: Südchinesisches Meer keine Kampfarena

    Chinas Außenminister Wang Yi hat die USA indirekt dazu aufgefordert, sich aus dem Südchinesischen Meer rauszuhalten. Das Gewässer sei keine Kampfarena für große Machtspiele und dürfe auch nicht zu einem Jagdgebiet für fremde Nationen werden, sagte Wang am Montag auf einer Videokonferenz anlässlich des 20. Jahrestages der Unterzeichnung der Declaration on the Conduct of Parties in the South China Sea, kurz DOC. Dabei handelt es sich um eine Richtlinie für die Asean-Staaten zum Umgang mit Streitigkeiten im Südchinesischen Meer. Wang forderte die südostasiatischen Länder auf, sich gemeinsam gegen die Beteiligung externer Mächte an Streitigkeiten zu wehren.

    Chinas Außenminister beschuldigte “einige gewisse externe Mächte”, Konflikte absichtlich auszuweiten und Spannungen zu provozieren, wodurch die legitimen Rechte und Interessen der Küstenstaaten gefährdet würden. Wangs Vorwürfe zielen vor allem auf die USA. Die USA betrachten das Südchinesische Meer als entscheidend für ihre Indopazifik-Strategie und führen regelmäßig Operationen zur “Freiheit der Schifffahrt” (Fonop) durch, wie auch Marineübungen mit Verbündeten wie Japan und Australien.

    Peking beansprucht den Großteil des Gewässers für sich. Das führt regelmäßig zu Konflikten, da Taiwan und die Asean-Mitglieder Brunei, Malaysia, die Philippinen und Vietnam eigene Ansprüche erheben, und die sich mit den chinesischen Forderungen überschneiden. Trotz eines internationalen Schiedsspruchs hat China in den vergangenen Jahren seine Kontrolle über das Südchinesische Meer drastisch ausgedehnt. rad

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    Zoll wappnet das Land gegen Affenpocken

    China setzt zum Fernhalten des Affenpocken-Virus aus dem eigenen Land auf die Kooperationsbereitschaft der Einreisenden. Der Zoll bittet an den Grenzen um freiwillige Meldungen von Infizierten oder Kontaktpersonen von Infizierten.

    Die Hygienemaßnahmen für Fahrer und Fahrzeuge und für Container, die aus gefährdeten Gebieten einreisen oder eingeführt werden, soll an den Grenzen ebenfalls erhöht werden. Der Zoll kündigte im Bedarfsfall weitere Verschärfungen seiner Kontrollen an. Im Juni hatte die Nationale Gesundheitskommission Untersuchungen von Einreisenden aus Affenpocken-Risikogebieten angeordnet. Als solche gelten Länder, in denen binnen der vergangenen 21 Tage das Virus entdeckt worden ist.

    Bislang ist das Virus in 75 Ländern weltweit nachgewiesen worden, in der Volksrepublik allerdings noch nicht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte Ende vergangener Woche eine “Notlage von internationaler Tragweite” ausgerufen, so wie sie es zuletzt im Januar 2020 nach Auftauchen des Coronavirus in China getan hatte. grz

    • Gesundheit
    • WHO

    Presseschau

    Rishi Sunak bezeichnet China als “größte Bedrohung” ZEIT
    Wegen Pelosis geplanter Taiwan-Reise: China droht den USA mit “entschlossenen Maßnahmen” RND
    Sagt Pelosi ihre Reise ab, wäre das ein Gewinn für China TAGESSPIEGEL
    Taiwan holds drills amid Pelosi visit concern, China tension APNEWS
    Chinas Drohungen gegen Taiwan: Die Bundesregierung bereitet sich den nächsten Krieg vor TAGESSPIEGEL
    Top US general says China’s military has become more aggressive to US over last 5 years CNN
    Einfallstor für China-Spionage: Huawei droht Rauswurf aus deutschem Netz NTV
    CNN Exclusive: FBI investigation determined Chinese-made Huawei equipment could disrupt US nuclear arsenal communications CNN
    Where China Is Changing Its Diplomatic Ways (at Least a Little) NYTIMES
    Labor-Modul dockt an Chinas neue Raumstation an DEUTSCHLANDFUNK
    Debris from China rocket launch to crash land – and no one knows where WASHINGTONPOST
    Umgang mit Sanktionen: Spaltet Decoupling die Welt? HANDELSBLATT
    Chinas Investitionen in Neue Seidenstraße gehen zurück EURACTIV
    Monster-Sandsturm in China: Autofahrer saßen mehrere Stunden fest EURONEWS
    China’s population will start shrinking sooner than expected, threatening its economy years ahead of schedule FORTUNE
    China’s securities regulator denies report of a delisting survival plan CNBC
    China issues highest heat alert for almost 70 cities in second heatwave this month CNN

    Standpunkt

    Warum schrumpft die uigurische Bevölkerung?

    von Yi Fuxian
    Yi Fuxian, leitender Forscher im Bereich Geburtshilfe und Gynäkologie an der Universität von Wisconsin-Madison. Hier schreibt er über Bevölkerungskontrolle und Familienplanung in Xinjiang.
    Yi Fuxian, leitender Forscher im Bereich Geburtshilfe und Gynäkologie an der Universität von Wisconsin-Madison.

    Nachdem Chen Quanguo 2016 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei in Xinjiang ernannt worden war, verhängte er Maßnahmen, die zu einem schockierenden Geburtenrückgang geführt haben. Einige Beobachter warfen der chinesischen Führung vor, durch erzwungene Sterilisationen und Abtreibungen einen Genozid gegen die meist muslimische Bevölkerungsgruppe der Uiguren zu führen. Der chinesische Außenminister Wang Yi tat die Anschuldigungen als “Schmierenkampagne” ab und argumentierte, die uigurische Bevölkerung Xinjiangs sei zwischen 2010 und 2018 stetig um 25 Prozent auf 12,7 Millionen gewachsen – und damit schneller als die Gesamtbevölkerung der Provinz.

    Aber kürzlich veröffentlichte Volkszählungsdaten von 2020 stellen einen Schlag ins Gesicht des Ministers dar. Diese Zahlen zeigen, dass die uigurische Bevölkerung in Xinjiang seit 2010 auf lediglich 11,6 Millionen gewachsen ist – was einem 16-prozentigen Anstieg entspricht und damit unter der 19-prozentigen Steigerung der Gesamtbevölkerung Xinjiangs liegt. Noch schockierender ist, dass die Zahl der uigurischen Kinder bis vier Jahre nur 36 Prozent der Anzahl der Kinder zwischen fünf und neun Jahren erreichte.

    Den einzigen vergleichbaren Fall gab es Anfang der 1990er-Jahre in der Provinz Shandong, als einige Parteikader versucht hatten, eine Kampagne zu starten, um “in 100 Tagen frei von Neugeborenen” zu sein. Im Jahr 2000 belief sich die Zahl der Fünf- bis Neunjährigen in der Stadt Tai’an auf nur 28 Prozent der Zahl der Zehn- bis 14-Jährigen. Und im Jahr 1980, als die chinesischen Behörden über die Ein-Kind-Politik diskutierten, gab es sogar den gruseligen Vorschlag, alle paar Jahre ein “neugeborenenfreies Jahr” einzuführen.

    Familienplanung in Xinjiang später als im Rest Chinas

    Um zu verstehen, warum die Geburtenzahl in Xinjiang zurückgegangen ist, hilft es, die Geschichte der dortigen Bevölkerungskontrolle zu betrachten: China hatte 1973 landesweit die Familienplanung und 1980 die Ein-Kind-Politik eingeführt. Aber für die ethnischen Minderheiten in Xinjiang kam die Familienplanung später. 1989 durften Minderheitenpaare in den Städten zwei Kinder haben. Paare im ländlichen Raum durften dies auch und wurden weniger häufig zu Abtreibungen und Sterilisationen gezwungen. Gemeinsam mit der geringeren Ausbildung führte diese “milde” Politik unter den Uiguren zu höheren Fruchtbarkeitsraten. Die landesweiten Raten lagen 1989, 2000 und 2010 bei 2,3, 1,22 und 1,18 Kindern pro Frau, und für uigurische Frauen bei 4,31, 2,0 und 1,84.

    Chens Vorgänger Zhang Chunxian, der zwischen 2005 und 2010 Parteisekretär der Hunan-Provinz war, setzte sich stark für Bevölkerungskontrolle ein. Unter dem Motto, “die Familienplanung zu regeln, heißt, die Produktivität zu regeln”, startete er 2006 in Hunan eine entsprechende Kampagne. Dies betraf auch meine angeheiratete Cousine, die ein paar Tage vor der Geburt ihres ersten Kindes gezwungen wurde, abzutreiben, weil sie ihre Geburtserlaubnis nicht rechtzeitig beantragt hatte.

    2010 wurde Zhang nach Xinjiang versetzt, und Hunans neuer Gouverneur Xu Shousheng schmiedete neue Pläne und weitere Aktionen zur Stärkung der Bevölkerungskontrolle in der Provinz. Im Januar 2011 veröffentlichte ich einen “Offenen Brief an den Sekretär und Gouverneur von Hunan zur Familienplanung” , wo ich Zhang und Xu euphemistisch kritisierte. Daraufhin luden mich die Behörden von Hunan ein, in der Provinz einen Vortrag zu halten. Damals schloss sich der inzwischen inhaftierte uigurische Ökonom und Menschenrechtsaktivist Ilham Tohti meinem Aufruf an, die Familienplanung für die Uiguren zu beenden.

    Am 31. Juli 2014 veröffentlichte Zhang dann in der Parteizeitung Suche nach der Wahrheit einen Aufsatz und argumentierte, Xinjiang müsse “eine Familienplanungspolitik einführen, die für alle ethnischen Gruppen gleich ist” und “die Geburtenrate auf ein mittleres Niveau verringern und stabilisieren”. Ich war so besorgt, dass ich im März 2015 in der Zeitschrift Bevölkerung und Gesellschaft eine von anderen Wissenschaftlern überprüfte Antwort mit dem Titel “Angesichts der geringen Fruchtbarkeitsraten ethnischer Minderheiten müssen wir die Bevölkerungskontrolle dringend stoppen” veröffentlichte.

    Letztlich hat Zhang die Familienplanung in Xinjiang doch nicht verschärft. Während seiner Amtszeit blieben die Geburtenraten in der Provinz stabil. Aber wir wissen, dass die Anzahl der Geburten unter Chen von 389.695 im Jahr 2017 auf 267.250 in 2018 und 159.528 in 2021 abgestürzt ist, was zwischen 2018 und 2021 eine Viertelmillion weniger Geburten bedeutet.

    Xinjiang: systematische Abtreibungen unwahrscheinlich

    Da die chinesischen Behörden schon lang dafür berüchtigt sind, Abtreibungen, Sterilisationen und intrauterine Eingriffe anzuordnen, liegt die Annahme nahe, dass der dramatische Geburtenrückgang in Xinjiang auf solche Maßnahmen zurückzuführen ist. Aber die Dinge liegen nicht so einfach, da es in der Provinz von 2017 bis 2020 etwas weniger Abtreibungen und intrauterine Eingriffe gab als von 2013 bis 2016; und obwohl 70.000 mehr Sterilisationen stattfanden, ist diese Zahl immer noch eine Zehnerpotenz kleiner als der Rückgang der Geburtenrate.

    Angesichts dessen, dass Paare in Xinjiang zwei oder drei Kinder haben dürfen, ist es unwahrscheinlich, dass die Behörden bei Frauen, die nur ein oder zwei Kinder hatten, systematisch Abtreibungen, Ligaturen oder intrauterine Eingriffe durchgeführt haben. Warum lag dann die uigurische Fruchtbarkeitsrate im Jahr 2020 bei nur einem Kind pro Frau? Wahrscheinlich liegt dies daran, dass Chens brutales Durchgreifen (unter dem Vorwand des Kampfs gegen den islamistischen Extremismus) zu wirtschaftlicher Repression und steigender Arbeitslosigkeit geführt hat, wodurch die Ressourcen für Eltern verringert wurden. Da das ländliche Xinjiang unter schwerer kultureller Unterdrückung und wirtschaftlichen Einschränkungen litt, fiel die Fruchtbarkeitsrate 2020 verglichen mit den städtischen Gebieten auf ein ungewöhnlich niedriges Niveau.

    Ein weiterer Grund für den Geburtenrückgang waren wohl auch verbesserte Bildungsmöglichkeiten, die einen Teil der Frauen dazu gebracht haben, Heirat und Schwangerschaft aufzuschieben. Die chinesischen Behörden haben massiv investiert, um in Xinjiang 15 Jahre kostenlose und verpflichtende Ausbildung einzuführen – verglichen mit neun Jahren im Gesamtland. Daraufhin stieg in Xinjiang die Einschreibungsrate für weiterführende Schulen von 69 Prozent im Jahr 2010 auf 99 Prozent in 2020, während dieser Wert landesweit von 83 auf nur 91 Prozent stieg. Natürlich mussten die Uiguren Zwangssterilisationen über sich ergehen lassen. Einen stärkeren Einfluss auf die Geburtenrate hat aber wohl dieser erzwungene kulturelle Wandel gehabt.

    Durchgreifen in Xinjiang: schwere langfristige Probleme

    Während die chinesischen Behörden die Fruchtbarkeitsrate sehr effektiv senken konnten, waren sie viel weniger erfolgreich dabei, sie wieder zu steigern. Die jüngste Zwei-Kind- und Drei-Kind-Politik war ein massiver Fehlschlag. Auch zukünftig werden alle Bemühungen zur Geburtenförderung in Xinjiang scheitern, wenn die sozioökonomische Vitalität der Region weiter abnimmt.

    Diese Fehlschläge werden dazu führen, dass China seine geopolitischen Vorteile in Zentralasien verliert, wo das Land mit Russland um Einfluss ringt. Die chinesischen Regierenden haben Chen massiv gelobt, müssen aber erst noch verstehen, dass sein Durchgreifen in Xinjiang die Grundlage für schwere langfristige Probleme geschaffen hat.

    Yi Fuxian, leitender Forscher im Bereich Geburtshilfe und Gynäkologie an der Universität von Wisconsin-Madison, ist Verfasser von Big Country with an Empty Nest(China Development Press 2013). Übersetzung: Harald Eckhoff.

    Copyright: Project Syndicate, 2022.
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    Personalien

    Die Schweizer Bank Credit Suisse hat Jance Hu zur neuen Geschäftsführerin ihres China-Geschäfts ernannt. Hu arbeitet seit zwei Jahrzehnten für die Credit Suisse und war bereits für die Sparten Investment Banking und Wertpapiere in China verantwortlich. Sie löst Zhenyi Tang als CEO ab.

    Das amerikanische Entertainment-Unternehmen Endeavor hat Sum Huang als neuen Geschäftsführer seiner chinesischen Tochtergesellschaft vorgestellt. Huang ist Mitgründer der Shanghaier Content-Agentur XG Entertainment, bei der unter anderem Alibabas Investmentfirma CICC eingestiegen ist.

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    Mitglieder einer Forschungsexpedition in den tibetischen Siedlungsgebieten in Qinghai untersuchen seit Sonntag die ökologischen Zustände der Flussoberläufe von Yangtze und Lancang. Die Experten des Changjiang River Scientific Research Institute (CRSRI) interessieren sich unter anderem für die Hydrologie, die Erosionen des Erdreichs, Gletscher und Permafrost in der Region.

    China.Table Redaktion

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