Table.Briefing: China

Daimler, BYD und Denza + Mühlhahn: “Die alten Regeln gelten nicht mehr” + Einkommensteuer

  • Denza-Dilmma: Daimler braucht BYD
  • Jahresausblick mit China-Forscher Klaus Mühlhahn
  • Einkommensteuer: Änderungen aufgeschoben, nicht aufgeschoben
  • Joint-Venture-Pflicht fällt für Autobranche
  • Subventionen für E-Autos laufen aus
  • Tesla eröffnet Showroom in Xinjiang
  • Kritik an Daimler-Werbung wegen asiatischer Augen
  • Huawei und Seres stellen Hybridauto vor
Liebe Leserin, lieber Leser,

neues Jahr, neues Glück – allerdings nicht für Daimler. Eine einst hoch gepriesene deutsch-chinesische Partnerschaft befindet sich in einem halbtoten Zustand. Der Stuttgarter Konzern zieht sich daher größtenteils aus dem erfolglosen Gemeinschaftsunternehmen Denza mit BYD zurück. Dabei sind die Kräfte ungleich verteilt, analysiert Frank Sieren. In China ist Daimler auf einen technisch starken Partner wie BYD dringend angewiesen, während dieser auch aus eigener Kraft zu den erfolgreichsten Spielern gehört.

Im Interview blickt China-Forscher Klaus Mühlhahn auf die immer schwierigeren Beziehungen Deutschlands mit China und hebt dabei vor allem Pekings neue Vorgehensweise in der Handelspolitik hervor. Die Handschrift von Xi Jinping werde immer deutlicher, China beginne, Lieferketten als politisches Instrument einzusetzen. Chinas Präsident sei ein kluger Stratege, so Mühlhahn, aber eben auch ein Machtmensch. Entsprechend sorgenvoll blickt der Sinologe auf das anstehende Jahr. 

Für deutsche Expats gibt es aber auch gute Nachrichten: Just zum Jahreswechsel hat der chinesische Staatsrat allen ausländischen Angestellten in China ein unverhofftes Geschenk gemacht: Die geplante Umstellung des Steuerrechts wurde um ein Jahr verschoben. In Zeiten von nahezu vollständig geschlossenen Grenzen ist die Verschiebung ein unverhofftes Kooperationsangebot an die internationale Wirtschaft.

Lesen Sie selbst. 

Ihr
Felix Lee
Bild von Felix  Lee

Analyse

BYD expandiert ohne Daimler weiter

Mit Denza wollte Daimler der eigentlich “erfolgreichste Hersteller von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben in China werden”. Doch die gemeinsam mit dem chinesischen Autobauer BYD ins Leben gerufene Marke hat auf ganzer Linie enttäuscht. Seit Gründung von Shenzhen Denza New Energy Automotive – so der vollständige Name – im Jahr 2012 konnte das Joint Venture gerade mal 23.000 Einheiten verkaufen.

Der Marktanteil liegt bei mageren 0,02 Prozent. Erst war das Design nicht sehr anziehend. Doch auch nun, da es attraktive Fahrzeuge gibt, die bei BYD entworfen wurden, hebt die Marke nicht ab. Nun zieht Daimler die Konsequenzen (China.Table berichtete). Der deutsche Konzern verringert seinen Anteil an dem Gemeinschaftsunternehmen von 50 auf 10 Prozent. Die anderen 90 Prozent wird BYD halten. Bis März 2022 soll die Umschichtung abgeschlossen sein.

Zu konservativ für die Chinesen

Daimler-Chef Ola Källenius will mehr auf Luxus-Autos mit hohen Margen setzen, lautet die offizielle Sprachregelung. Dabei hätte ein erfolgreiches Mittelklasse-Fahrzeug Daimler gutgetan. Der ausschließlich in China angebotene fünftürige Mittelklassewagen von Denza war den chinesischen Käufern jedoch zu konservativ. Es fehlte an Glamour. Zudem gab es kaum aufregende Entertainment-Features. 

Solide Qualitätsarbeit allein reicht in China nicht. 2020 versuchten BYD und Daimler mit dem etwas schnittigeren Denza X das Ruder noch einmal herumzureißen. Doch auch der wahlweise vollelektrisch oder als 400 PS starker Plug-in-Hybrid erhältliche Premium-SUV blieb ein Ladenhüter. Gerade einmal etwas mehr als 4.000 Exemplare konnten abgesetzt werden. Zum Vergleich: Die chinesischen Konkurrenten Nio oder Xpeng verbuchen regelmäßig fünfstellige Absatzzahlen – im Monat. 

Dass Daimler nicht ganz das Handtuch wirft, hat damit zu tun, dass die Stuttgarter noch einen Fuß in der Tür behalten und weiter mit BYD kooperieren wollen. “Für unsere Zukunft ist die Weiterentwicklung der Position in China entscheidend”, erklärt Källenius im Interview mit der Wirtschaftswoche.

BYD (kurz für “Build Your Dreams”) werden gute Kontakte zu Chinas Führung nachgesagt. Das Autounternehmen, das gleichzeitig einer der beiden führenden E-Autobatteriehersteller weltweit ist, gilt zudem als einer der stärksten chinesischen Player. Der Aktienkurs ist im vergangenen Jahr um über 30 Prozent gestiegen. Der 1995 von dem Chemiker Wang Chuanfu gegründete Konzern hat mit den sogenannten Blade-Batterien die neue Generation der umweltfreundlicheren LFP-Batterien entscheidend geprägt. Sie ermöglichen Reichweiten von mehr als 1.000 Kilometern (China.Table berichtete). Die E-Autos von BYD verkaufen sich insgesamt sehr gut. Im Durchschnitt verkauft der Konzern rund 100.000 Fahrzeuge pro Monat. 

Daimler ist abhängig – BYD hat viele Pfeile im Köcher 

Die Verkäufe von E-Fahrzeugen konnte BYD in den ersten elf Monaten des Jahres 2021 um 217 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum steigern. Sie beliefen sich auf 509.838 Einheiten, das waren 160.848 Exemplare mehr als 2020. Für das eben angebrochene Jahr hat sich BYD einen Absatz von über 1,2 Millionen E-Fahrzeugen und einen Marktanteil in China von 25 Prozent zum Ziel gesetzt. Momentan liegt der Konzern bei 18 Prozent. Womöglich war es ein Fehler von Daimler, die Denza-Fahrzeuge selbst zu vermarkten und das nicht dem lokalen Platzhirsch zu überlassen.  

Das Flaggschiff von BYD ist die fünf Meter lange Limousine mit der Bezeichnung Han. Seit Einführung im Juli 2020 wurden über 150.000 Exemplare des Modells verkauft. Mit 12.841 Verkäufen im November 2021 erreichte der Han einen neuen Monatsrekord. 

Das rund 16.000 Euro teure Kompaktmodell Dolphin entwickelt sich ebenfalls zum Verkaufsschlager. Obwohl sich das Fahrzeug erst seit Sommer 2021 auf dem Markt befindet, konnte es allein im November 8.809 Einheiten absetzen. Im November gelang es BYD erstmals, bei den weltweiten E-Auto Verkäufen sogar den bisher führenden Hersteller Tesla zu überholen. Auf das Gesamtjahr 2021 gerechnet, liegt BYD allerdings noch hinter Tesla. Daimler hat weltweit nicht einmal halb so viele E-Autos verkauft wie BYD und muss sich an der Stückzahl (und nicht an der Marge) gemessen mit Platz sieben zufriedengeben. 

International sind vor allem die E-Busse von BYD beliebt. BYD-Busse fahren in so unterschiedlichen Ländern wie England, Spanien, Italien, Norwegen, Deutschland und Chile. Aber auch mit PKWs ist BYD auf Expansionskurs. Kurz vor Jahresende lieferte der Konzern in Norwegen den 1000. rein elektrischen BYD Tang SUV an einen Kunden aus. Frank Dunvold, CEO von RSA, dem BYD-Vertriebspartner in Norwegen, geht davon aus, dass die Nachfrage 2022 noch weiter steigen wird – obwohl der Wagen dort mit umgerechnet knapp 60.000 Euro nicht gerade als billig gilt.

BYD macht sich unabhängig von Chip-Lieferungen

2022 will Denza unter der Regie von BYD in China mehrere neue Modelle einführen. Gleichzeitig entwickelt BYD neben Autos und Batterien eine dritte Sparte: Chips. Mit seiner Chipsparte BYD Semiconductor konnte der Konzern in den ersten beiden Quartalen 2021 einen Wachstumszuwachs von rund 42 Prozent gegenüber dem Vorjahr verzeichnen. 47 Prozent des Umsatzes erzielt die BYD-Chipsparte mittlerweile in Übersee. 

BYD will trotz mehrmaliger Verzögerung noch dieses Jahr mit der Chip-Unit an die Börse. Eigentlich hatte das Unternehmen den Börsengang bereits Mitte August 2021 angepeilt, chinesische Behörden lehnten die Zulassung an der Shenzhen Stock Exchange jedoch ab. Der Grund sollen Ermittlungen gegen eine beteiligte Anwaltskanzlei gewesen sein.

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    • Autoindustrie

    “Die alten Regeln gelten nicht mehr”

    China: Sinologe Klaus Mühlhahn ist Präsident der Zeppelin Universität
    Sinologe Klaus Mühlhahn ist Präsident der Zeppelin Universität

    Der Fall Continental bewegt derzeit die Gemüter. Erstmals greift China die Autoindustrie seines Partnerlandes Deutschland an. Was sagt uns das?

    Tatsächlich deutet sich hier eine neue Vorgehensweise in der Handelspolitik an. China beginnt jetzt ebenfalls, die Lieferketten als politisches Instrument einzusetzen. Güter mit Vorprodukten aus Litauen sollen als solche gekennzeichnet werden, und dann dürften solche Produkte nicht mehr nach China verkauft werden. Diese politische Instrumentalisierung der Lieferketten ist zuerst von Donald Trump im großen Maßstab eingesetzt worden. Neu ist aber nun, dass China diese Praxis aufgreift. China will sein wirtschaftliches Gewicht auch politisch nutzen.

    Zugleich sieht es so aus, als nehme die Berechenbarkeit des Verhaltens auf allen Seiten ab.

    Das ist ohnehin ein großes Risiko für die Zukunft und insbesondere für das Jahr 2022. Die Staaten und Institutionen sind lange Zeit ungeschriebenen und geschriebenen Regeln gefolgt, die das Miteinander in der Welt in den letzten drei Jahrzehnten beherrscht haben. China war hier sogar ein vergleichsweise verlässlicher Spieler. Diese Ära endet nun. Die Regeln gelten so nicht mehr. Dadurch schwindet die Berechenbarkeit. Niemand weiß jedoch, wie die neuen Spielregeln lauten werden. Daher steigt die Gefahr von unbeabsichtigten Nebenwirkungen sowohl für die Wirtschaft Chinas als auch für die Wirtschaft in der Welt.

    Die Akteure verhalten sich zunehmend unvorhersehbar.

    Das sieht man ja jetzt auch an den Ereignissen um Litauen. China ist gereizter geworden. Zugleich ist das Land jetzt eher bereit, Risiken einzugehen. Litauen ist ein schönes Land – ich will es jetzt keinesfalls zurücksetzen – aber es ist eben auch ein sehr kleines Land. Chinas heftige Reaktion steht in keinem Verhältnis zum politischen Gewicht Litauens. Wenn China überhaupt nicht reagiert hätte, wäre der mögliche Schaden für alle Seiten minimal geblieben. China hat überraschend gereizt auf ein sekundäres Thema reagiert.

    Warum hat das große China die Aktionen des kleinen Litauen nicht souverän übersehen?

    Früher hätte China vermutlich so reagiert. Es hätte den Vorgang offiziell als unwichtig dargestellt und hinter den Kulissen versucht, Litauen zu isolieren. Heute geht man damit in die Öffentlichkeit und bewirkt genau das Gegenteil: Die Affäre wird zu einer europäischen und deutschen Angelegenheit.

    Weshalb diese Eskalation?

    In der Außenwirtschaftspolitik Chinas wird Xi Jinpings Handschrift als Präsident immer deutlicher. Wir sehen überhaupt nur noch wenige andere Entscheidungsträger. Das war früher definitiv anders, es gab eine Vielzahl von Außenpolitikern, die gemeinsam die Politik geprägt haben. Ich glaube schon, dass der derzeitige Kurs sehr viel damit zu tun hat, dass Xi die Außenpolitik für sich als Schwerpunkt definiert hat. Hier will er punkten, indem er die Stärke und das Selbstbewusstsein Chinas zur Schau stellt.

    Wobei die Frage bleibt, warum ein geschickter Stratege wie Xi eine so wenig subtile Außenpolitik betreibt.

    Xi Jinping ist in der Tat ein sehr kluger Stratege. Er ist aber auch sehr ambitioniert. In der Außenpolitik sehen wir eine deutliche Abkehr von der Vergangenheit. Unter seinen Vorgängern herrschte Konsens, international vorsichtig zu agieren. Da gab es eigentlich nie ein deutliches Wort. Jetzt ist China im Vergleich dazu regelrecht streitlustig geworden. Dahinter steckt auch eine Botschaft an die Massen. Xi präsentiert sein China als betont selbstbewusstes Land.

    Die Botschaft geht also nach innen?

    Was von außen oft übersehen wird, sind die großen Herausforderungen, vor denen die Führung steht. Es herrscht da meiner Meinung nach eine Art Krisenbewusstsein. Im kommenden Jahr werden 1,2 Millionen Hochschulabsolventen den Arbeitsmarkt betreten, für die es eigentlich keine Beschäftigungsmöglichkeiten gibt. Über das außenpolitische Gehabe lassen sich diese Verwerfungen im Innern übertünchen. Die Rhetorik von der nationalen Größe wird hier ganz gezielt eingesetzt.

    Der Nationalismus wird zudem untrennbar mit einem Kult um die Person Xi vermischt. Installiert er sich als Alleinherrscher?

    Wir sehen zumindest eine klare Konsolidierung in der Partei. Auf dem 6. Plenum wurden viele Weichen gestellt. Bei der Resolution zur Geschichte der Partei ging es ja weniger um die Geschichte als um die Zukunft. Aber noch weit wichtiger als der Inhalt ist überhaupt das Zustandekommen der Resolution. Nur die stärksten Führungspersönlichkeiten konnten so etwas durchzusetzen. Auch in China ist die Resolution Ergebnis eines langwierigen Diskussionsprozesses voller Risiken. Das einheitliche Bild, das dabei entsteht, ist bemerkenswert. Aus China dringen fast keine anderen Stimmen nach außen.

    Gibt es die anderen Stimmen nicht mehr? Sind die anderen Meinungen bereits verstummt oder hören wir sie bloß nicht?

    Wir stehen vor etwas, das ich die “epistemische Herausforderung” nennen würde. Also der Frage, was wir überhaupt von dem Land angesichts der Isolation noch wissen können und wie wir uns das Wissen verschaffen. Wir lesen aus China nur noch die offiziellen Verlautbarungen, egal, wo wir hinschauen. Darauf basiert dann unsere China-Analyse. Im Endeffekt machen wir alle Kaffeesatzleserei mit einer sehr begrenzten Zahl an Dokumenten. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden als Hauptstadtjournalist die deutsche Politik nur auf Basis der Parteiprogramme und der offiziellen Presseerklärungen analysieren.

    Das Ergebnis wäre in der Tat ziemlich dürftig.

    Und doch machen wir gerade genau das in Bezug auf China. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir Kommentatoren sagen: Das ist eine Blackbox, und was darin stattfindet, wissen wir nicht wirklich. Wir können ja auch nicht mehr hinfahren.

    Das Ende des persönlichen Austauschs war vielleicht eine der einschneidendsten Änderungen der vergangenen zwei Jahre. Können die Akteure im Umgang mit China überhaupt noch informierte Entscheidungen treffen?

    Genaue Informationen sind für die Risikoabschätzung ganz wichtig. Und jetzt tun wir das im Grunde genommen auf Basis einer sehr begrenzten Datenlage. Wir stehen  gemeinsam vor der Herausforderung, uns neue Zugänge und Informationsquellen zu erschließen.

    Auch die neue Bundesregierung steht vor diesem Problem. Es gibt kaum Kanäle, über die sich im Vorfeld einer Entscheidung ausloten lässt, was mit China geht und was nicht.

    Hier steigt die Gefahr, dass Maßnahmen nicht die erhoffte Wirkung erzielen. Das kann potenziell problematisch werden bei einer Bundesregierung, die in Bezug auf China sich noch keine klare Position erarbeitet hat. Die verschiedenen Ministerien müssten jetzt zügig mit der Wirtschaft ins Gespräch kommen und daraus eine Strategie formen. Doch ich glaube, das wird noch Zeit brauchen. Die Gefahr ist nun, dass man sich in dieser Zeit auf deutscher Seite aufgrund von Unerfahrenheit vergaloppiert oder ins Fettnäpfchen tritt.

    So steigt auch die Gefahr fataler Fehleinschätzungen.

    Als Historiker erinnert mich die heutige Lage immer mehr an die Situation vor dem Ersten Weltkrieg. Wir haben dieselbe Unübersichtlichkeit, dieselbe Dominanz nationaler Interessen. Wir haben dieselbe Bereitschaft, Handel als Waffe zu nutzen, womit man Gemeinsamkeiten reduziert und Unterschiede herausstellt. Wir brauchen bei aller gegenseitiger Kritik einen Fokus auf Gemeinsamkeiten. Es ist richtig, dass Werte im Verhältnis zu China eine Rolle spielen sollen. Aber man braucht auch eine realistische Abwägung aller Ziele. Am Ende sind Pragmatismus gefragt und eine Orientierung an realen Erfolgen statt an Rhetorik.

    Was können wir tun, um wieder mehr Gesprächskanäle zu öffnen?

    Auf jeden Fall wird es dringend nötig sein, wieder ins Gespräch zu kommen und bisher ungenutzte Kontakte zu aktivieren. Hier lassen sich beispielsweise auch Vertreter der chinesischen Wirtschaft oder Wissenschaft ansprechen. Diesen Dialog sollten wir viel öfter führen, und das tun wir eigentlich überhaupt nicht mehr. Wir befinden uns wie gesagt in einer Krise der Informationsbeschaffung. Wir müssen viel mehr darüber in Erfahrung bringen, was auf der chinesischen Seite los ist.

    Was können wir denn über die Vorgänge in der Partei wissen? 2022 bringt uns beispielsweise einen der Parteitage, die nur alle fünf Jahre stattfinden.

    Das wird der wichtigste Parteitag in einer sehr langen Zeit. Ein großer Teil des Führungspersonals auch unterhalb des Politbüros wird wahrscheinlich ausgetauscht werden. So etwas hat es zuletzt in den 80er-Jahren gegeben. Die Reformpolitik-Generation tritt ab. Hinterher werden wir eine noch größere Kontrolle durch Xi Jinping sehen. Und natürlich die offizielle Entfristung seiner Amtszeit. Dadurch rückt er noch mehr in den Vordergrund. Die Vielfalt in der Partei wird immer weniger sichtbar.

    Wir sehen das Ende des politischen Systems von Deng Xiaoping, das kollektive Herrschaft mit Elementen gegenseitiger Überwachung vorgesehen hat. Die Partei macht diesen Rückbau weiterhin mit?

    Sie macht das mit, aber es steigen auch die Risiken für Xi Jinping. Denn was für ihn gut ist, ist nicht notwendigerweise für die Partei gut. Die kollektive Führung und Konsensorientierung war das Geheimnis des Erfolgs der Partei. Die Begrenzung der Amtszeiten war hier ein wichtiges Element. Dieses lange Austarieren und Suchen nach Gemeinsamkeit hinter geschlossenen Türen, das die Politik in China früher bestimmt hat, das ist mehr oder weniger weg. Damit stellt sich die Frage: Kann die Partei in der Zukunft da noch erfolgreich sein? Oder degeneriert dieses System in ein persönliches Regiment mit allen Risiken.

    Was China schadet, schadet heutzutage aber auch Deutschland.

    Während der Ton aggressiver wird, steigt andererseits die Vernetzung der Welt immer mehr an. Die jungen Menschen in China sind auch weiterhin sehr stark an der Welt interessiert, am Reisen, am Austausch, an westlicher Musik, an Filmen. Es kann dem System schwer schaden, wenn der Zugang zur Welt begrenzt wird. Auch wenn nur wenig nach außen dringt, ist ziemlich klar, dass da nicht alle begeistert sind.

    Klaus Mühlhahn ist Professor für Chinastudien an der Freien Universität Berlin und seit Juni 2020 für fünf Jahre Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Er hat einen Hintergrund in Sozial- und Geschichtswissenschaften. Im Jahr 2021 sind von ihm erschienen: “The Chinese Communist Party: A Century in Ten Lives” und “Geschichte des modernen China: Von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart”. Für 2022 plant er zusammen mit Julia Haes die Veröffentlichung des Buches “Hongkong: Umkämpfte Metropole von 1841 bis heute”.  

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      • Xi Jinping

      Aufschub im Steuerrecht kommt Expats entgegen

      Der Wegfall von Steuererleichterungen für in China lebende Ausländer ist ein heiß diskutiertes Thema in der Expat-Community. Nun hat der Staatsrat unter Li Keqiang beschlossen, die Übergangsfrist bis Ende des neuen Jahres zu verlängern (China.Table berichtete). Im Jahr 2022 gelten demnach weiterhin die Regeln des vergangenen Jahres. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ab 2023 soll wie geplant die Angleichung an die Regeln für Inländer endgültig kommen.

      Die Auslandshandelskammern verbuchen die Verschiebung als einen Erfolg ihrer Lobbyarbeit. Sowohl die nationalen Kammern als auch die US-Außenhandelskammer (Amcham) sowie die EU-Handelskammer (European Chamber) hatten bei ihren chinesischen Regierungskontakten darauf hingearbeitet, die Steuerreform möglichst zu kippen. Nun gabe es zumindest einen Aufschub. “Die Verlängerung der nicht besteuerten Zuwendungen ist von größter Wichtigkeit nicht nur für eine große Zahl ausländischer Unternehmen, die erfahrene Expatriierte beschäftigen, sondern auch für China selbst”, sagt Jörg Wuttke, Präsident der EU-Kammer. Eine drohende Abwanderung von internationalem Fachpersonal könne so noch einmal abgewendet werden.

      Generell gilt die Entscheidung kurz vor Jahresende als positives Signal in Zeiten einer hartnäckigen Abriegelung der chinesischen Grenzen aufgrund der Corona-Pandemie. Gepaart mit den Bestrebungen der chinesischen Regierung hin zu mehr industrieller Eigenständigkeit hatten sich internationale Firmen immer weniger willkommen gefühlt. Statt der lange versprochenen Öffnung haben sie eher eine Verschiebung der bestehenden Restriktionen auf neue Felder erlebt.

      Neue Abzugsmöglichkeiten nur ein Tropfen auf dem heißen Stein

      Aus chinesischer Sicht war die Änderung des Steuerrechts dagegen ein logischer Schritt. Die Verpflichtungen der ausländischen Mitarbeiter würden sich damit den allgemein gültigen Regeln in China angleichen. Konkret geht es um eine Reihe von Leistungen des Arbeitgebers:

      • Wohnungsmiete
      • Schulgeld für die Kinder
      • Sprachschule
      • Verpflegung
      • Jahresboni

      Diese Nebenleistungen (benefits in kind, BIK) müssen in der Regel direkt vom Arbeitgeber bezahlt werden. Sie sollten für eine bessere Übersichtlichkeit nicht über das Konto des Arbeitnehmers laufen. Doch gerade bei den kleineren Posten erkennen die Finanzämter auch Rückerstattungen für Quittungen (Fapiao) an.

      Es sind innerhalb der neuen Regelungen zwar neue Abzugsmöglichkeiten vorgesehen. Der Effekt der Einsparungen würde aber bei weitem nicht an die bisher Abzugsmöglichkeiten heranreichen. Nach den neuen Regeln sollen abzugsfähig sein:

      • Miete
      • Schulgeld
      • Hypothekenzinsen
      • Krankheitskosten
      • Zuwendungen für Senioren in der Familie

      Die letzteren Punkte zeigen deutlich die Nähe zum einheimischen Steuerrecht. Sie kommen bei Expats nur selten vor. Der große Unterschied zum alten System: Vorher liefen diese Leistungen einfach komplett am Einkommen vorbei. Künftig gelten sie zwar als geldwerte Vorteile, doch lassen sich zumindest Freibeträge absetzen. Diese sind allerdings klein bemessen.

      So sind für Schulgeld 1000 Yuan im Monat abzugsfähig. Doch allein die Deutsche Schule in Peking kostet im ersten Jahr jedoch (je nach Einzelfall) über 25.000 Euro. Umgerechnet sind das rund 15.000 Yuan im Monat. Die Amcham schätzt, dass ein Mitarbeiter, der bisher 960.000 Yuan an Nebenleistungen im Jahr erhält, dafür künftig 785.000 Yuan mehr Steuern zahlen müsste. Das wären gut 100.000 Euro. Da die Arbeitsverträge oft eine Gleichstellung mit dem Heimatstandort versprechen, sind das in Zukunft dann zusätzliche Kosten für das Unternehmen.

      Der Standort China verliert an Attraktivität

      Die Grundzüge der Neuregelegung sind seit Anfang 2019 bekannt. Seit 2018 lief eine ursprünglich auf drei Jahre angelegt Übergangsfrist. Expats können derzeit wählen, ob sie nach dem alten oder dem neuen Verfahren versteuern wollen. Die reformierte Version hat jedoch nur wenig freiwillige Anhänger gefunden. Zahlen der Amcham zufolge hat sich eine überwältigende Mehrheit der Mitarbeiter für die bisherigen Vorteile entschieden.

      In vielen Fällen wird die Neuregelegung jedoch vor allem die Arbeitgeber betreffen. In Entsendeverträgen ist oft vorgesehen, dass die Firma die Mehrkosten trägt. Doch auch das ist für den Standort China relevant. Entsendungen sind für die Organisationen ohnehin teuer. Als Reaktion auf die steigenden Kosten wäre die betriebswirtschaftlich naheliegende Reaktion, Expat-Positionen abzubauen.

      Die Kammern warnen jedenfalls vor zwei Trends: Abwanderung von Expats, die die Kosten selbst tragen müssen, und einen Bedeutungsverlust des Standorts China. In China liegt der Regelsteuersatz mit 45 Prozent im asiatischen Vergleich bereits eher hoch. Der Wert rangiert auch über dem EU-Schnitt. Die Unternehmensberatung KPMG sieht China hier auf dem gleichen Level wie Deutschland. Die EU-Kammer erwartet nun, dass die freundliche Geste des Staatsrates “Chinas internationale Beziehungen insgesamt verbessern” wird.

      Mit der Streckung der Übergangsfrist ist eine Kernforderung der Kammern erfüllt. Sie wünschen sich darüber hinaus jedoch einen Erhalt unversteuerter Zuwendungen. Die Amcham in Shanghai erbittet zudem mehr Berechenbarkeit bei Regeländerungen. Eine Ankündigung sechs Monate im Voraus sei erforderlich, damit die Firmen sich darauf einstellen könnten. Dieser Vorlauf war bei der plötzlichen Entscheidung am Silvestertag zwar nicht gegeben. Doch immerhin ging der Schritt diesmal in die gewünschte Richtung.

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        • Finanzen
        • Steuern

        News

        Vollständige Übernahme von Autofirmen erlaubt

        Autohersteller dürfen sich in China künftig zu hundert Prozent in der Hand ausländischer Unternehmen befinden. Eine neue Fassung der betreffenden Negativliste trete am 1. Januar 2022 in Kraft, teilte die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission am Montag mit. Die Änderung ist seit der Version der Negativliste von 2020 beschlossene Sache und wurde seinerzeit schon angekündigt.

        China hat seine Beschränkungen für ausländische Investitionen in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgefahren. Die Liste nennt dennoch weiterhin 31 Branchen, in die internationale Unternehmen nicht oder nur begrenzt investieren dürfen. Dazu gehören Seltene Erden sowie die Medien- und die Filmbranche (China.Table berichtete). fin

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          • Autoindustrie

          Subventionen für E-Autos laufen aus

          China kürzt die Subventionen für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben im kommenden Jahr. Die Regierung hatte bereits im April 2020 angekündigt, die staatlichen Beihilfen für diese Autos schrittweise zu kürzen, erst um zehn Prozent, dann 20 Prozent und 2022 schließlich um 30 Prozent. Die Förderung läuft nun am 31. Dezember 2022 komplett aus, teilte das Finanzministerium auf seiner Internetseite mit. Fahrzeuge, die nach diesem Datum zugelassen werden, erhalten keinen Zuschuss mehr. Ziel sei ein “sanfter Subventionsrückgang” mit einem Übergang zu anderen wirksamen Instrumenten zur Förderung von Autos mit alternativen Antrieben.

          Unter die Fahrzeuge mit alternativen Antrieben (auch: New Energy Vehicles (NEV)) fallen Fahrzeuge mit Elektro-, Hybrid- und Wasserstoffantrieb. Zudem kündigte das Ministerium an, die Sicherheitskontrollen für solche Autos zu verstärken, um Unfälle zu vermeiden. China, weltgrößter Automarkt, hat das Ziel, dass bis 2025 ein Fünftel aller Neuzulassungen auf Elektro-, Hybrid- und Wasserstoffautos entfallen. rtr/fin

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            • Autoindustrie

            Tesla für Autohaus in Xinjiang kritisiert

            Elektroauto-Hersteller Tesla steht wegen der Eröffnung eines Showrooms in der chinesischen Provinz Xinjiang in der Kritik. Der US-Konzern hatte die Eröffnung vergangene Woche über den chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo bekannt gegeben. Menschenrechtsorganisationen und Politiker aus den USA und Europa warfen dem Unternehmen und ihrem Gründer Elon Musk unter anderem fehlendes Feingefühl vor. “Im Schatten der Konzentrationslager eröffnet Tesla mit großem Getöse ein Autohaus. Der Pakt zwischen westlichen Milliardären und dem chinesischen Regime läuft gut im Jahr 2022″, schrieb der französische EU-Abgeordnete Raphaël Glucksmann auf Twitter.

            Das Council on American-Islamic Relations (CAIR), die größte US-amerikanisch-muslimische Interessenvertretung, erklärte, Tesla unterstütze damit den “Völkermord” an den Uiguren. “Elon Musk muss den Tesla-Showroom in Xinjiang schließen”, forderte CAIR auf Twitter. Ähnlich äußerten sich ein führender Wirtschaftsverband und der republikanische Senator Marco Rubio. Er warf internationalen Konzernen vor, der Kommunistischen Partei Chinas bei der Vertuschung von Völkermord und Sklavenarbeit in der Region zu helfen.

            Tesla äußerte sich zu der Kritik zunächst nicht, wie Reuters berichtete. Der US-Autobauer hat in China derzeit noch weitere Probleme: Rund 200.000 Fahrzeuge müssen wegen möglicherweise sicherheitsgefährdender Mängel zurückgerufen werden. Wie Reuters meldete, wurde der Rückruf bei der chinesischen Marktaufsichtsbehörde für rund 20.000 importierte Model S und 36.000 importierte Model 3 gestartet. Zudem sollen rund 144.000 Model 3 betroffen sein, die in Shanghai produziert wurden. Solche Modelle werden auch nach Europa verschifft. Tesla musste in der vergangenen Woche bereits eine Rückruf-Aktion in den USA bekannt geben. ari

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              • Autoindustrie

              Daimler wegen Werbung in der Kritik

              Werbefotos mit chinesischen Models haben in China eine Diskussion über die Korrektheit der Verwendung betont asiatischer Looks ausgelöst. Der Gesamteindruck der Bilder fördere schädliche Stereotype über Asiaten, lauten die Vorwürfe auf der Sozialplattform Weibo. Unter anderem betroffen ist eine Kampagne des Autoherstellers Daimler. Auch der chinesische Snack-Versender Three Squirrels war von der Kritik betroffen.

              In China hat sich wie in westlichen Ländern die Empfindlichkeit gegenüber Symbolen, die als rassistisch oder anderweitig als ausgrenzend empfunden werden können, in den vergangenen Jahren enorm gesteigert (China.Table berichtete). Auch die Luxusmarke Dior sah sich bereits mit dem Vorwurf konfrontiert, in der Augenform seiner Models auf westliche Vorurteile über chinesisches Aussehen zurückzugreifen. Walmart, Dolce & Gabbana sowie Hennes & Mauritz waren zuletzt ebenfalls vom Verbrauchernationalismus betroffen. Solche Vorgänge sind durchaus relevant für das Markenimage. fin

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                • Autoindustrie

                Seres und Huawei stellen Hybridauto Aito M5 vor

                Huawei hat kurz vor Weihnachten mit dem Aito M5 einen Hybrid-SUV seines Partners Seres vorgestellt. Ein “Smart Device mit Rädern” nannte Vorstandsmitglied Richard Yu das Fahrzeug bei einer Produktvorstellung in Shenzhen. Es läuft mit dem universellen Betriebssystem Harmony OS des Konzerns. Das Auto soll ab Februar erhältlich sein und ist ins Huawei-Ökosystem eingebunden. So lässt es sich mit der Smartwatch des Unternehmens öffnen und starten.

                Huawei versichert zwar, keine Autos herstellen zu wollen. Doch das Unternehmen bewegt sich in der Praxis an der Grenze zum Einstieg ins Fahrzeuggeschäft. Viele Beobachter haben die Vorstellung des neuen Modells als Huawei-Produkteinführung wahrgenommen, schließlich erfolgte sie zwischen Präsentationen von Armbanduhren, digitalen Brillen und Handys der eigenen Marke. Tatsächlich will Huawei aber Dienstleister und Zulieferer für Hersteller von E-Autos werden und verwendet die Partnerschaft mit Seres als Testfall (China.Table berichtete).

                Der M5 ist das erste Auto der Marke Aito (傲图). Seres ist eine Tochtergesellschaft des Autokonzerns Sokon aus Chongqing (China.Table berichtete). Der Aito M5 soll rund 34.000 Euro kosten. Als Steckdosenhybrid fährt er auf kürzeren Strecken rein elektrisch, kann aber auch einen Benzinmotor zur Verlängerung der Reichweite zuschalten. Deutscher Importeur von Seres ist die Firma Indimo (China.Table berichtete). fin

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                  China.Table Redaktion

                  CHINA.TABLE REDAKTION

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                    neues Jahr, neues Glück – allerdings nicht für Daimler. Eine einst hoch gepriesene deutsch-chinesische Partnerschaft befindet sich in einem halbtoten Zustand. Der Stuttgarter Konzern zieht sich daher größtenteils aus dem erfolglosen Gemeinschaftsunternehmen Denza mit BYD zurück. Dabei sind die Kräfte ungleich verteilt, analysiert Frank Sieren. In China ist Daimler auf einen technisch starken Partner wie BYD dringend angewiesen, während dieser auch aus eigener Kraft zu den erfolgreichsten Spielern gehört.

                    Im Interview blickt China-Forscher Klaus Mühlhahn auf die immer schwierigeren Beziehungen Deutschlands mit China und hebt dabei vor allem Pekings neue Vorgehensweise in der Handelspolitik hervor. Die Handschrift von Xi Jinping werde immer deutlicher, China beginne, Lieferketten als politisches Instrument einzusetzen. Chinas Präsident sei ein kluger Stratege, so Mühlhahn, aber eben auch ein Machtmensch. Entsprechend sorgenvoll blickt der Sinologe auf das anstehende Jahr. 

                    Für deutsche Expats gibt es aber auch gute Nachrichten: Just zum Jahreswechsel hat der chinesische Staatsrat allen ausländischen Angestellten in China ein unverhofftes Geschenk gemacht: Die geplante Umstellung des Steuerrechts wurde um ein Jahr verschoben. In Zeiten von nahezu vollständig geschlossenen Grenzen ist die Verschiebung ein unverhofftes Kooperationsangebot an die internationale Wirtschaft.

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                    Ihr
                    Felix Lee
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                    Analyse

                    BYD expandiert ohne Daimler weiter

                    Mit Denza wollte Daimler der eigentlich “erfolgreichste Hersteller von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben in China werden”. Doch die gemeinsam mit dem chinesischen Autobauer BYD ins Leben gerufene Marke hat auf ganzer Linie enttäuscht. Seit Gründung von Shenzhen Denza New Energy Automotive – so der vollständige Name – im Jahr 2012 konnte das Joint Venture gerade mal 23.000 Einheiten verkaufen.

                    Der Marktanteil liegt bei mageren 0,02 Prozent. Erst war das Design nicht sehr anziehend. Doch auch nun, da es attraktive Fahrzeuge gibt, die bei BYD entworfen wurden, hebt die Marke nicht ab. Nun zieht Daimler die Konsequenzen (China.Table berichtete). Der deutsche Konzern verringert seinen Anteil an dem Gemeinschaftsunternehmen von 50 auf 10 Prozent. Die anderen 90 Prozent wird BYD halten. Bis März 2022 soll die Umschichtung abgeschlossen sein.

                    Zu konservativ für die Chinesen

                    Daimler-Chef Ola Källenius will mehr auf Luxus-Autos mit hohen Margen setzen, lautet die offizielle Sprachregelung. Dabei hätte ein erfolgreiches Mittelklasse-Fahrzeug Daimler gutgetan. Der ausschließlich in China angebotene fünftürige Mittelklassewagen von Denza war den chinesischen Käufern jedoch zu konservativ. Es fehlte an Glamour. Zudem gab es kaum aufregende Entertainment-Features. 

                    Solide Qualitätsarbeit allein reicht in China nicht. 2020 versuchten BYD und Daimler mit dem etwas schnittigeren Denza X das Ruder noch einmal herumzureißen. Doch auch der wahlweise vollelektrisch oder als 400 PS starker Plug-in-Hybrid erhältliche Premium-SUV blieb ein Ladenhüter. Gerade einmal etwas mehr als 4.000 Exemplare konnten abgesetzt werden. Zum Vergleich: Die chinesischen Konkurrenten Nio oder Xpeng verbuchen regelmäßig fünfstellige Absatzzahlen – im Monat. 

                    Dass Daimler nicht ganz das Handtuch wirft, hat damit zu tun, dass die Stuttgarter noch einen Fuß in der Tür behalten und weiter mit BYD kooperieren wollen. “Für unsere Zukunft ist die Weiterentwicklung der Position in China entscheidend”, erklärt Källenius im Interview mit der Wirtschaftswoche.

                    BYD (kurz für “Build Your Dreams”) werden gute Kontakte zu Chinas Führung nachgesagt. Das Autounternehmen, das gleichzeitig einer der beiden führenden E-Autobatteriehersteller weltweit ist, gilt zudem als einer der stärksten chinesischen Player. Der Aktienkurs ist im vergangenen Jahr um über 30 Prozent gestiegen. Der 1995 von dem Chemiker Wang Chuanfu gegründete Konzern hat mit den sogenannten Blade-Batterien die neue Generation der umweltfreundlicheren LFP-Batterien entscheidend geprägt. Sie ermöglichen Reichweiten von mehr als 1.000 Kilometern (China.Table berichtete). Die E-Autos von BYD verkaufen sich insgesamt sehr gut. Im Durchschnitt verkauft der Konzern rund 100.000 Fahrzeuge pro Monat. 

                    Daimler ist abhängig – BYD hat viele Pfeile im Köcher 

                    Die Verkäufe von E-Fahrzeugen konnte BYD in den ersten elf Monaten des Jahres 2021 um 217 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum steigern. Sie beliefen sich auf 509.838 Einheiten, das waren 160.848 Exemplare mehr als 2020. Für das eben angebrochene Jahr hat sich BYD einen Absatz von über 1,2 Millionen E-Fahrzeugen und einen Marktanteil in China von 25 Prozent zum Ziel gesetzt. Momentan liegt der Konzern bei 18 Prozent. Womöglich war es ein Fehler von Daimler, die Denza-Fahrzeuge selbst zu vermarkten und das nicht dem lokalen Platzhirsch zu überlassen.  

                    Das Flaggschiff von BYD ist die fünf Meter lange Limousine mit der Bezeichnung Han. Seit Einführung im Juli 2020 wurden über 150.000 Exemplare des Modells verkauft. Mit 12.841 Verkäufen im November 2021 erreichte der Han einen neuen Monatsrekord. 

                    Das rund 16.000 Euro teure Kompaktmodell Dolphin entwickelt sich ebenfalls zum Verkaufsschlager. Obwohl sich das Fahrzeug erst seit Sommer 2021 auf dem Markt befindet, konnte es allein im November 8.809 Einheiten absetzen. Im November gelang es BYD erstmals, bei den weltweiten E-Auto Verkäufen sogar den bisher führenden Hersteller Tesla zu überholen. Auf das Gesamtjahr 2021 gerechnet, liegt BYD allerdings noch hinter Tesla. Daimler hat weltweit nicht einmal halb so viele E-Autos verkauft wie BYD und muss sich an der Stückzahl (und nicht an der Marge) gemessen mit Platz sieben zufriedengeben. 

                    International sind vor allem die E-Busse von BYD beliebt. BYD-Busse fahren in so unterschiedlichen Ländern wie England, Spanien, Italien, Norwegen, Deutschland und Chile. Aber auch mit PKWs ist BYD auf Expansionskurs. Kurz vor Jahresende lieferte der Konzern in Norwegen den 1000. rein elektrischen BYD Tang SUV an einen Kunden aus. Frank Dunvold, CEO von RSA, dem BYD-Vertriebspartner in Norwegen, geht davon aus, dass die Nachfrage 2022 noch weiter steigen wird – obwohl der Wagen dort mit umgerechnet knapp 60.000 Euro nicht gerade als billig gilt.

                    BYD macht sich unabhängig von Chip-Lieferungen

                    2022 will Denza unter der Regie von BYD in China mehrere neue Modelle einführen. Gleichzeitig entwickelt BYD neben Autos und Batterien eine dritte Sparte: Chips. Mit seiner Chipsparte BYD Semiconductor konnte der Konzern in den ersten beiden Quartalen 2021 einen Wachstumszuwachs von rund 42 Prozent gegenüber dem Vorjahr verzeichnen. 47 Prozent des Umsatzes erzielt die BYD-Chipsparte mittlerweile in Übersee. 

                    BYD will trotz mehrmaliger Verzögerung noch dieses Jahr mit der Chip-Unit an die Börse. Eigentlich hatte das Unternehmen den Börsengang bereits Mitte August 2021 angepeilt, chinesische Behörden lehnten die Zulassung an der Shenzhen Stock Exchange jedoch ab. Der Grund sollen Ermittlungen gegen eine beteiligte Anwaltskanzlei gewesen sein.

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                      • Autoindustrie

                      “Die alten Regeln gelten nicht mehr”

                      China: Sinologe Klaus Mühlhahn ist Präsident der Zeppelin Universität
                      Sinologe Klaus Mühlhahn ist Präsident der Zeppelin Universität

                      Der Fall Continental bewegt derzeit die Gemüter. Erstmals greift China die Autoindustrie seines Partnerlandes Deutschland an. Was sagt uns das?

                      Tatsächlich deutet sich hier eine neue Vorgehensweise in der Handelspolitik an. China beginnt jetzt ebenfalls, die Lieferketten als politisches Instrument einzusetzen. Güter mit Vorprodukten aus Litauen sollen als solche gekennzeichnet werden, und dann dürften solche Produkte nicht mehr nach China verkauft werden. Diese politische Instrumentalisierung der Lieferketten ist zuerst von Donald Trump im großen Maßstab eingesetzt worden. Neu ist aber nun, dass China diese Praxis aufgreift. China will sein wirtschaftliches Gewicht auch politisch nutzen.

                      Zugleich sieht es so aus, als nehme die Berechenbarkeit des Verhaltens auf allen Seiten ab.

                      Das ist ohnehin ein großes Risiko für die Zukunft und insbesondere für das Jahr 2022. Die Staaten und Institutionen sind lange Zeit ungeschriebenen und geschriebenen Regeln gefolgt, die das Miteinander in der Welt in den letzten drei Jahrzehnten beherrscht haben. China war hier sogar ein vergleichsweise verlässlicher Spieler. Diese Ära endet nun. Die Regeln gelten so nicht mehr. Dadurch schwindet die Berechenbarkeit. Niemand weiß jedoch, wie die neuen Spielregeln lauten werden. Daher steigt die Gefahr von unbeabsichtigten Nebenwirkungen sowohl für die Wirtschaft Chinas als auch für die Wirtschaft in der Welt.

                      Die Akteure verhalten sich zunehmend unvorhersehbar.

                      Das sieht man ja jetzt auch an den Ereignissen um Litauen. China ist gereizter geworden. Zugleich ist das Land jetzt eher bereit, Risiken einzugehen. Litauen ist ein schönes Land – ich will es jetzt keinesfalls zurücksetzen – aber es ist eben auch ein sehr kleines Land. Chinas heftige Reaktion steht in keinem Verhältnis zum politischen Gewicht Litauens. Wenn China überhaupt nicht reagiert hätte, wäre der mögliche Schaden für alle Seiten minimal geblieben. China hat überraschend gereizt auf ein sekundäres Thema reagiert.

                      Warum hat das große China die Aktionen des kleinen Litauen nicht souverän übersehen?

                      Früher hätte China vermutlich so reagiert. Es hätte den Vorgang offiziell als unwichtig dargestellt und hinter den Kulissen versucht, Litauen zu isolieren. Heute geht man damit in die Öffentlichkeit und bewirkt genau das Gegenteil: Die Affäre wird zu einer europäischen und deutschen Angelegenheit.

                      Weshalb diese Eskalation?

                      In der Außenwirtschaftspolitik Chinas wird Xi Jinpings Handschrift als Präsident immer deutlicher. Wir sehen überhaupt nur noch wenige andere Entscheidungsträger. Das war früher definitiv anders, es gab eine Vielzahl von Außenpolitikern, die gemeinsam die Politik geprägt haben. Ich glaube schon, dass der derzeitige Kurs sehr viel damit zu tun hat, dass Xi die Außenpolitik für sich als Schwerpunkt definiert hat. Hier will er punkten, indem er die Stärke und das Selbstbewusstsein Chinas zur Schau stellt.

                      Wobei die Frage bleibt, warum ein geschickter Stratege wie Xi eine so wenig subtile Außenpolitik betreibt.

                      Xi Jinping ist in der Tat ein sehr kluger Stratege. Er ist aber auch sehr ambitioniert. In der Außenpolitik sehen wir eine deutliche Abkehr von der Vergangenheit. Unter seinen Vorgängern herrschte Konsens, international vorsichtig zu agieren. Da gab es eigentlich nie ein deutliches Wort. Jetzt ist China im Vergleich dazu regelrecht streitlustig geworden. Dahinter steckt auch eine Botschaft an die Massen. Xi präsentiert sein China als betont selbstbewusstes Land.

                      Die Botschaft geht also nach innen?

                      Was von außen oft übersehen wird, sind die großen Herausforderungen, vor denen die Führung steht. Es herrscht da meiner Meinung nach eine Art Krisenbewusstsein. Im kommenden Jahr werden 1,2 Millionen Hochschulabsolventen den Arbeitsmarkt betreten, für die es eigentlich keine Beschäftigungsmöglichkeiten gibt. Über das außenpolitische Gehabe lassen sich diese Verwerfungen im Innern übertünchen. Die Rhetorik von der nationalen Größe wird hier ganz gezielt eingesetzt.

                      Der Nationalismus wird zudem untrennbar mit einem Kult um die Person Xi vermischt. Installiert er sich als Alleinherrscher?

                      Wir sehen zumindest eine klare Konsolidierung in der Partei. Auf dem 6. Plenum wurden viele Weichen gestellt. Bei der Resolution zur Geschichte der Partei ging es ja weniger um die Geschichte als um die Zukunft. Aber noch weit wichtiger als der Inhalt ist überhaupt das Zustandekommen der Resolution. Nur die stärksten Führungspersönlichkeiten konnten so etwas durchzusetzen. Auch in China ist die Resolution Ergebnis eines langwierigen Diskussionsprozesses voller Risiken. Das einheitliche Bild, das dabei entsteht, ist bemerkenswert. Aus China dringen fast keine anderen Stimmen nach außen.

                      Gibt es die anderen Stimmen nicht mehr? Sind die anderen Meinungen bereits verstummt oder hören wir sie bloß nicht?

                      Wir stehen vor etwas, das ich die “epistemische Herausforderung” nennen würde. Also der Frage, was wir überhaupt von dem Land angesichts der Isolation noch wissen können und wie wir uns das Wissen verschaffen. Wir lesen aus China nur noch die offiziellen Verlautbarungen, egal, wo wir hinschauen. Darauf basiert dann unsere China-Analyse. Im Endeffekt machen wir alle Kaffeesatzleserei mit einer sehr begrenzten Zahl an Dokumenten. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden als Hauptstadtjournalist die deutsche Politik nur auf Basis der Parteiprogramme und der offiziellen Presseerklärungen analysieren.

                      Das Ergebnis wäre in der Tat ziemlich dürftig.

                      Und doch machen wir gerade genau das in Bezug auf China. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir Kommentatoren sagen: Das ist eine Blackbox, und was darin stattfindet, wissen wir nicht wirklich. Wir können ja auch nicht mehr hinfahren.

                      Das Ende des persönlichen Austauschs war vielleicht eine der einschneidendsten Änderungen der vergangenen zwei Jahre. Können die Akteure im Umgang mit China überhaupt noch informierte Entscheidungen treffen?

                      Genaue Informationen sind für die Risikoabschätzung ganz wichtig. Und jetzt tun wir das im Grunde genommen auf Basis einer sehr begrenzten Datenlage. Wir stehen  gemeinsam vor der Herausforderung, uns neue Zugänge und Informationsquellen zu erschließen.

                      Auch die neue Bundesregierung steht vor diesem Problem. Es gibt kaum Kanäle, über die sich im Vorfeld einer Entscheidung ausloten lässt, was mit China geht und was nicht.

                      Hier steigt die Gefahr, dass Maßnahmen nicht die erhoffte Wirkung erzielen. Das kann potenziell problematisch werden bei einer Bundesregierung, die in Bezug auf China sich noch keine klare Position erarbeitet hat. Die verschiedenen Ministerien müssten jetzt zügig mit der Wirtschaft ins Gespräch kommen und daraus eine Strategie formen. Doch ich glaube, das wird noch Zeit brauchen. Die Gefahr ist nun, dass man sich in dieser Zeit auf deutscher Seite aufgrund von Unerfahrenheit vergaloppiert oder ins Fettnäpfchen tritt.

                      So steigt auch die Gefahr fataler Fehleinschätzungen.

                      Als Historiker erinnert mich die heutige Lage immer mehr an die Situation vor dem Ersten Weltkrieg. Wir haben dieselbe Unübersichtlichkeit, dieselbe Dominanz nationaler Interessen. Wir haben dieselbe Bereitschaft, Handel als Waffe zu nutzen, womit man Gemeinsamkeiten reduziert und Unterschiede herausstellt. Wir brauchen bei aller gegenseitiger Kritik einen Fokus auf Gemeinsamkeiten. Es ist richtig, dass Werte im Verhältnis zu China eine Rolle spielen sollen. Aber man braucht auch eine realistische Abwägung aller Ziele. Am Ende sind Pragmatismus gefragt und eine Orientierung an realen Erfolgen statt an Rhetorik.

                      Was können wir tun, um wieder mehr Gesprächskanäle zu öffnen?

                      Auf jeden Fall wird es dringend nötig sein, wieder ins Gespräch zu kommen und bisher ungenutzte Kontakte zu aktivieren. Hier lassen sich beispielsweise auch Vertreter der chinesischen Wirtschaft oder Wissenschaft ansprechen. Diesen Dialog sollten wir viel öfter führen, und das tun wir eigentlich überhaupt nicht mehr. Wir befinden uns wie gesagt in einer Krise der Informationsbeschaffung. Wir müssen viel mehr darüber in Erfahrung bringen, was auf der chinesischen Seite los ist.

                      Was können wir denn über die Vorgänge in der Partei wissen? 2022 bringt uns beispielsweise einen der Parteitage, die nur alle fünf Jahre stattfinden.

                      Das wird der wichtigste Parteitag in einer sehr langen Zeit. Ein großer Teil des Führungspersonals auch unterhalb des Politbüros wird wahrscheinlich ausgetauscht werden. So etwas hat es zuletzt in den 80er-Jahren gegeben. Die Reformpolitik-Generation tritt ab. Hinterher werden wir eine noch größere Kontrolle durch Xi Jinping sehen. Und natürlich die offizielle Entfristung seiner Amtszeit. Dadurch rückt er noch mehr in den Vordergrund. Die Vielfalt in der Partei wird immer weniger sichtbar.

                      Wir sehen das Ende des politischen Systems von Deng Xiaoping, das kollektive Herrschaft mit Elementen gegenseitiger Überwachung vorgesehen hat. Die Partei macht diesen Rückbau weiterhin mit?

                      Sie macht das mit, aber es steigen auch die Risiken für Xi Jinping. Denn was für ihn gut ist, ist nicht notwendigerweise für die Partei gut. Die kollektive Führung und Konsensorientierung war das Geheimnis des Erfolgs der Partei. Die Begrenzung der Amtszeiten war hier ein wichtiges Element. Dieses lange Austarieren und Suchen nach Gemeinsamkeit hinter geschlossenen Türen, das die Politik in China früher bestimmt hat, das ist mehr oder weniger weg. Damit stellt sich die Frage: Kann die Partei in der Zukunft da noch erfolgreich sein? Oder degeneriert dieses System in ein persönliches Regiment mit allen Risiken.

                      Was China schadet, schadet heutzutage aber auch Deutschland.

                      Während der Ton aggressiver wird, steigt andererseits die Vernetzung der Welt immer mehr an. Die jungen Menschen in China sind auch weiterhin sehr stark an der Welt interessiert, am Reisen, am Austausch, an westlicher Musik, an Filmen. Es kann dem System schwer schaden, wenn der Zugang zur Welt begrenzt wird. Auch wenn nur wenig nach außen dringt, ist ziemlich klar, dass da nicht alle begeistert sind.

                      Klaus Mühlhahn ist Professor für Chinastudien an der Freien Universität Berlin und seit Juni 2020 für fünf Jahre Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Er hat einen Hintergrund in Sozial- und Geschichtswissenschaften. Im Jahr 2021 sind von ihm erschienen: “The Chinese Communist Party: A Century in Ten Lives” und “Geschichte des modernen China: Von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart”. Für 2022 plant er zusammen mit Julia Haes die Veröffentlichung des Buches “Hongkong: Umkämpfte Metropole von 1841 bis heute”.  

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                        Aufschub im Steuerrecht kommt Expats entgegen

                        Der Wegfall von Steuererleichterungen für in China lebende Ausländer ist ein heiß diskutiertes Thema in der Expat-Community. Nun hat der Staatsrat unter Li Keqiang beschlossen, die Übergangsfrist bis Ende des neuen Jahres zu verlängern (China.Table berichtete). Im Jahr 2022 gelten demnach weiterhin die Regeln des vergangenen Jahres. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ab 2023 soll wie geplant die Angleichung an die Regeln für Inländer endgültig kommen.

                        Die Auslandshandelskammern verbuchen die Verschiebung als einen Erfolg ihrer Lobbyarbeit. Sowohl die nationalen Kammern als auch die US-Außenhandelskammer (Amcham) sowie die EU-Handelskammer (European Chamber) hatten bei ihren chinesischen Regierungskontakten darauf hingearbeitet, die Steuerreform möglichst zu kippen. Nun gabe es zumindest einen Aufschub. “Die Verlängerung der nicht besteuerten Zuwendungen ist von größter Wichtigkeit nicht nur für eine große Zahl ausländischer Unternehmen, die erfahrene Expatriierte beschäftigen, sondern auch für China selbst”, sagt Jörg Wuttke, Präsident der EU-Kammer. Eine drohende Abwanderung von internationalem Fachpersonal könne so noch einmal abgewendet werden.

                        Generell gilt die Entscheidung kurz vor Jahresende als positives Signal in Zeiten einer hartnäckigen Abriegelung der chinesischen Grenzen aufgrund der Corona-Pandemie. Gepaart mit den Bestrebungen der chinesischen Regierung hin zu mehr industrieller Eigenständigkeit hatten sich internationale Firmen immer weniger willkommen gefühlt. Statt der lange versprochenen Öffnung haben sie eher eine Verschiebung der bestehenden Restriktionen auf neue Felder erlebt.

                        Neue Abzugsmöglichkeiten nur ein Tropfen auf dem heißen Stein

                        Aus chinesischer Sicht war die Änderung des Steuerrechts dagegen ein logischer Schritt. Die Verpflichtungen der ausländischen Mitarbeiter würden sich damit den allgemein gültigen Regeln in China angleichen. Konkret geht es um eine Reihe von Leistungen des Arbeitgebers:

                        • Wohnungsmiete
                        • Schulgeld für die Kinder
                        • Sprachschule
                        • Verpflegung
                        • Jahresboni

                        Diese Nebenleistungen (benefits in kind, BIK) müssen in der Regel direkt vom Arbeitgeber bezahlt werden. Sie sollten für eine bessere Übersichtlichkeit nicht über das Konto des Arbeitnehmers laufen. Doch gerade bei den kleineren Posten erkennen die Finanzämter auch Rückerstattungen für Quittungen (Fapiao) an.

                        Es sind innerhalb der neuen Regelungen zwar neue Abzugsmöglichkeiten vorgesehen. Der Effekt der Einsparungen würde aber bei weitem nicht an die bisher Abzugsmöglichkeiten heranreichen. Nach den neuen Regeln sollen abzugsfähig sein:

                        • Miete
                        • Schulgeld
                        • Hypothekenzinsen
                        • Krankheitskosten
                        • Zuwendungen für Senioren in der Familie

                        Die letzteren Punkte zeigen deutlich die Nähe zum einheimischen Steuerrecht. Sie kommen bei Expats nur selten vor. Der große Unterschied zum alten System: Vorher liefen diese Leistungen einfach komplett am Einkommen vorbei. Künftig gelten sie zwar als geldwerte Vorteile, doch lassen sich zumindest Freibeträge absetzen. Diese sind allerdings klein bemessen.

                        So sind für Schulgeld 1000 Yuan im Monat abzugsfähig. Doch allein die Deutsche Schule in Peking kostet im ersten Jahr jedoch (je nach Einzelfall) über 25.000 Euro. Umgerechnet sind das rund 15.000 Yuan im Monat. Die Amcham schätzt, dass ein Mitarbeiter, der bisher 960.000 Yuan an Nebenleistungen im Jahr erhält, dafür künftig 785.000 Yuan mehr Steuern zahlen müsste. Das wären gut 100.000 Euro. Da die Arbeitsverträge oft eine Gleichstellung mit dem Heimatstandort versprechen, sind das in Zukunft dann zusätzliche Kosten für das Unternehmen.

                        Der Standort China verliert an Attraktivität

                        Die Grundzüge der Neuregelegung sind seit Anfang 2019 bekannt. Seit 2018 lief eine ursprünglich auf drei Jahre angelegt Übergangsfrist. Expats können derzeit wählen, ob sie nach dem alten oder dem neuen Verfahren versteuern wollen. Die reformierte Version hat jedoch nur wenig freiwillige Anhänger gefunden. Zahlen der Amcham zufolge hat sich eine überwältigende Mehrheit der Mitarbeiter für die bisherigen Vorteile entschieden.

                        In vielen Fällen wird die Neuregelegung jedoch vor allem die Arbeitgeber betreffen. In Entsendeverträgen ist oft vorgesehen, dass die Firma die Mehrkosten trägt. Doch auch das ist für den Standort China relevant. Entsendungen sind für die Organisationen ohnehin teuer. Als Reaktion auf die steigenden Kosten wäre die betriebswirtschaftlich naheliegende Reaktion, Expat-Positionen abzubauen.

                        Die Kammern warnen jedenfalls vor zwei Trends: Abwanderung von Expats, die die Kosten selbst tragen müssen, und einen Bedeutungsverlust des Standorts China. In China liegt der Regelsteuersatz mit 45 Prozent im asiatischen Vergleich bereits eher hoch. Der Wert rangiert auch über dem EU-Schnitt. Die Unternehmensberatung KPMG sieht China hier auf dem gleichen Level wie Deutschland. Die EU-Kammer erwartet nun, dass die freundliche Geste des Staatsrates “Chinas internationale Beziehungen insgesamt verbessern” wird.

                        Mit der Streckung der Übergangsfrist ist eine Kernforderung der Kammern erfüllt. Sie wünschen sich darüber hinaus jedoch einen Erhalt unversteuerter Zuwendungen. Die Amcham in Shanghai erbittet zudem mehr Berechenbarkeit bei Regeländerungen. Eine Ankündigung sechs Monate im Voraus sei erforderlich, damit die Firmen sich darauf einstellen könnten. Dieser Vorlauf war bei der plötzlichen Entscheidung am Silvestertag zwar nicht gegeben. Doch immerhin ging der Schritt diesmal in die gewünschte Richtung.

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                          Vollständige Übernahme von Autofirmen erlaubt

                          Autohersteller dürfen sich in China künftig zu hundert Prozent in der Hand ausländischer Unternehmen befinden. Eine neue Fassung der betreffenden Negativliste trete am 1. Januar 2022 in Kraft, teilte die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission am Montag mit. Die Änderung ist seit der Version der Negativliste von 2020 beschlossene Sache und wurde seinerzeit schon angekündigt.

                          China hat seine Beschränkungen für ausländische Investitionen in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgefahren. Die Liste nennt dennoch weiterhin 31 Branchen, in die internationale Unternehmen nicht oder nur begrenzt investieren dürfen. Dazu gehören Seltene Erden sowie die Medien- und die Filmbranche (China.Table berichtete). fin

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                            Subventionen für E-Autos laufen aus

                            China kürzt die Subventionen für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben im kommenden Jahr. Die Regierung hatte bereits im April 2020 angekündigt, die staatlichen Beihilfen für diese Autos schrittweise zu kürzen, erst um zehn Prozent, dann 20 Prozent und 2022 schließlich um 30 Prozent. Die Förderung läuft nun am 31. Dezember 2022 komplett aus, teilte das Finanzministerium auf seiner Internetseite mit. Fahrzeuge, die nach diesem Datum zugelassen werden, erhalten keinen Zuschuss mehr. Ziel sei ein “sanfter Subventionsrückgang” mit einem Übergang zu anderen wirksamen Instrumenten zur Förderung von Autos mit alternativen Antrieben.

                            Unter die Fahrzeuge mit alternativen Antrieben (auch: New Energy Vehicles (NEV)) fallen Fahrzeuge mit Elektro-, Hybrid- und Wasserstoffantrieb. Zudem kündigte das Ministerium an, die Sicherheitskontrollen für solche Autos zu verstärken, um Unfälle zu vermeiden. China, weltgrößter Automarkt, hat das Ziel, dass bis 2025 ein Fünftel aller Neuzulassungen auf Elektro-, Hybrid- und Wasserstoffautos entfallen. rtr/fin

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                              • Autoindustrie

                              Tesla für Autohaus in Xinjiang kritisiert

                              Elektroauto-Hersteller Tesla steht wegen der Eröffnung eines Showrooms in der chinesischen Provinz Xinjiang in der Kritik. Der US-Konzern hatte die Eröffnung vergangene Woche über den chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo bekannt gegeben. Menschenrechtsorganisationen und Politiker aus den USA und Europa warfen dem Unternehmen und ihrem Gründer Elon Musk unter anderem fehlendes Feingefühl vor. “Im Schatten der Konzentrationslager eröffnet Tesla mit großem Getöse ein Autohaus. Der Pakt zwischen westlichen Milliardären und dem chinesischen Regime läuft gut im Jahr 2022″, schrieb der französische EU-Abgeordnete Raphaël Glucksmann auf Twitter.

                              Das Council on American-Islamic Relations (CAIR), die größte US-amerikanisch-muslimische Interessenvertretung, erklärte, Tesla unterstütze damit den “Völkermord” an den Uiguren. “Elon Musk muss den Tesla-Showroom in Xinjiang schließen”, forderte CAIR auf Twitter. Ähnlich äußerten sich ein führender Wirtschaftsverband und der republikanische Senator Marco Rubio. Er warf internationalen Konzernen vor, der Kommunistischen Partei Chinas bei der Vertuschung von Völkermord und Sklavenarbeit in der Region zu helfen.

                              Tesla äußerte sich zu der Kritik zunächst nicht, wie Reuters berichtete. Der US-Autobauer hat in China derzeit noch weitere Probleme: Rund 200.000 Fahrzeuge müssen wegen möglicherweise sicherheitsgefährdender Mängel zurückgerufen werden. Wie Reuters meldete, wurde der Rückruf bei der chinesischen Marktaufsichtsbehörde für rund 20.000 importierte Model S und 36.000 importierte Model 3 gestartet. Zudem sollen rund 144.000 Model 3 betroffen sein, die in Shanghai produziert wurden. Solche Modelle werden auch nach Europa verschifft. Tesla musste in der vergangenen Woche bereits eine Rückruf-Aktion in den USA bekannt geben. ari

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                                • Autoindustrie

                                Daimler wegen Werbung in der Kritik

                                Werbefotos mit chinesischen Models haben in China eine Diskussion über die Korrektheit der Verwendung betont asiatischer Looks ausgelöst. Der Gesamteindruck der Bilder fördere schädliche Stereotype über Asiaten, lauten die Vorwürfe auf der Sozialplattform Weibo. Unter anderem betroffen ist eine Kampagne des Autoherstellers Daimler. Auch der chinesische Snack-Versender Three Squirrels war von der Kritik betroffen.

                                In China hat sich wie in westlichen Ländern die Empfindlichkeit gegenüber Symbolen, die als rassistisch oder anderweitig als ausgrenzend empfunden werden können, in den vergangenen Jahren enorm gesteigert (China.Table berichtete). Auch die Luxusmarke Dior sah sich bereits mit dem Vorwurf konfrontiert, in der Augenform seiner Models auf westliche Vorurteile über chinesisches Aussehen zurückzugreifen. Walmart, Dolce & Gabbana sowie Hennes & Mauritz waren zuletzt ebenfalls vom Verbrauchernationalismus betroffen. Solche Vorgänge sind durchaus relevant für das Markenimage. fin

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                                  Seres und Huawei stellen Hybridauto Aito M5 vor

                                  Huawei hat kurz vor Weihnachten mit dem Aito M5 einen Hybrid-SUV seines Partners Seres vorgestellt. Ein “Smart Device mit Rädern” nannte Vorstandsmitglied Richard Yu das Fahrzeug bei einer Produktvorstellung in Shenzhen. Es läuft mit dem universellen Betriebssystem Harmony OS des Konzerns. Das Auto soll ab Februar erhältlich sein und ist ins Huawei-Ökosystem eingebunden. So lässt es sich mit der Smartwatch des Unternehmens öffnen und starten.

                                  Huawei versichert zwar, keine Autos herstellen zu wollen. Doch das Unternehmen bewegt sich in der Praxis an der Grenze zum Einstieg ins Fahrzeuggeschäft. Viele Beobachter haben die Vorstellung des neuen Modells als Huawei-Produkteinführung wahrgenommen, schließlich erfolgte sie zwischen Präsentationen von Armbanduhren, digitalen Brillen und Handys der eigenen Marke. Tatsächlich will Huawei aber Dienstleister und Zulieferer für Hersteller von E-Autos werden und verwendet die Partnerschaft mit Seres als Testfall (China.Table berichtete).

                                  Der M5 ist das erste Auto der Marke Aito (傲图). Seres ist eine Tochtergesellschaft des Autokonzerns Sokon aus Chongqing (China.Table berichtete). Der Aito M5 soll rund 34.000 Euro kosten. Als Steckdosenhybrid fährt er auf kürzeren Strecken rein elektrisch, kann aber auch einen Benzinmotor zur Verlängerung der Reichweite zuschalten. Deutscher Importeur von Seres ist die Firma Indimo (China.Table berichtete). fin

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