Table.Briefing: China

Charlie Weimers zu Taiwan + Ex-Interpol-Chef Meng + “Common prosperity”

  • Interview mit dem Europa-Abgeordneten Charlie Weimers
  • Vorwürfe der Gattin von Ex-Interpol-Chef Meng
  • Was steckt hinter der “Common prosperity”?
  • Pekings zwiespältige Haltung zu Krypto
  • China stuft diplomatische Beziehungen zu Litauen herab
  • Great Wall Motor mit neuer Zentrale in Deutschland
  • Xi zeigt sich friedlich bei Asean-Gipfel
  • Bundesbank über Folgen der Immobilienkrise
  • DB erhält Elektrobusse von BYD
  • Shang-Jin Wei: Reformen zur Rettung des Wachstums
Liebe Leserin, lieber Leser,

ein EU-Abgeordneter erläutert uns die Hintergründe eines denkwürdigen Treffens. Charlie Weimers gehörte zu den Parlamentariern, die sich Ende Oktober mit Taiwans Außenminister Joseph Wu getroffen haben. Aus Pekinger Sicht ein Tabubruch – für Weimers jedoch erst der Anfang. Weimers Position ist eindeutig: Jetzt, wo China seine Drohungen gegenüber der Insel hochfährt, sollte Europa Farbe bekennen. Die EU müsse klarmachen, dass ein Vorgehen gegen Taiwan ernste Konsequenzen haben würde. Die Möglichkeit für Europa gegenüber der Volksrepublik Standfestigkeit zu beweisen, sei größer denn je: Da das Vertrauen in China ohnehin erschüttert sei, gebe es weniger Bedenken, Peking zu verärgern.

Unser Pekinger Autorenteam nimmt sie heute mit in die Tiefen eines wahren Polit-Krimis. Im Oktober 2018 verschwand der erste chinesische Chef von Interpol plötzlich. Viele Tage fehlte jede Spur, ehe die Führung in Peking erklärte, man habe Meng Hongwei wegen Korruption verhaftet. Nun meldet sich Mengs Frau öffentlich zu Wort. In einem spektakulären Interview erklärt sie, dass ihr Mann einer Säuberungsaktion von Staatschef Xi Jinping zum Opfer gefallen sei. Es wird deutlich, dass Pekings Zugriff selbst an die Spitze internationaler Organisationen reicht.

Xi Jinping ist es mit der “historischen Resolution” gelungen, der Kommunistischen Partei seinen Stempel aufzudrücken. Als “Steuermann” thront er sicherer denn je an der Spitze der Partei. Das will Xi nutzen, um auch Chinas Gesellschaft und Wirtschaft nach seinen Ideen zu gestalten. “Gemeinsamer Wohlstand” nennt der Staatschef sein Prinzip, mit dem er weniger auf Umverteilung als auf Aufstiegschancen setzt. Nico Beckert hat die Schriften Xis zu diesem Thema für Sie unter die Lupe genommen.

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

Ihre
Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Interview

“China ist kein zuverlässiger Partner mehr”

Der schwedische EU-Abgeordnete Charlie Weimers im Interview zu EU und Taiwan
Der schwedische EU-Abgeordnete Charlie Weimers

Kürzlich hat eine Delegation des Europaparlaments Taipeh besucht, der taiwanische Außenminister Joseph Wu war in Brüssel. Gibt es derzeit eine besondere Dynamik für die EU-Taiwan-Beziehungen?

Ja. Darüber hinaus wurde in der Woche vor dem Besuch von Minister Wu auch die Empfehlung des Europaparlaments zu den EU-Taiwan-Beziehungen herausgegeben. Es gibt also auf jeden Fall einen Impuls dafür.

Wie sehen Sie den Besuch der Abgeordneten des Sonderausschusses für ausländische Einflussnahme auf demokratische Prozesse (INGE) in Taipeh?

Das ist eine großartige Gelegenheit, mehr über bewährte Verfahren zur Bekämpfung chinesischer Desinformation zu erfahren. Die EU und Taiwan sollten viel stärker zusammenarbeiten, um die besten Ansätze zur Förderung der Medienfreiheit und des Journalismus zu finden, unsere Zusammenarbeit im Bereich der Cybersicherheit zu vertiefen und gemeinsam die Widerstandsfähigkeit Taiwans und der Mitgliedsstaaten der EU zu stärken.

Es war die allererste Delegation, die Taiwan besuchte. Warum wurde nicht schon früher eine Delegation geschickt?

Im Jahr 2016 rissen Trump und der Brexit ein riesiges Loch in die Erzählung vom “Ende der Geschichte” (“The End of History and the Last Men”). Im folgenden Jahr war Präsident Xi Jinping der Liebling von Davos, was einige dazu veranlasste, die Fantasie zu hegen, dass China eine von den USA geführte internationale Ordnung ersetzen würde. Viele übersahen die Zeichen der Zeit und dachten fälschlicherweise, dass ihre wirtschaftliche Zukunft in China liege.

In den letzten fünf Jahren ist es unvermeidbar geworden, Chinas Kampfbereitschaft gegenüber Nachbarn im nahen Ausland, die brutale interne Repression, Merkantilismus, den verleumdenden Einfluss in internationalen Institutionen und Drittstaaten, den Personenkult um Präsident Xi, zunehmende staatliche Kontrolle über Märkte, den demografischen Rückgang sowie Vertuschung, Desinformation und mangelnde Transparenz über die Ursprünge von Covid-19 zu sehen. Kurz gesagt, China ist kein zuverlässiger Partner mehr. Deshalb gibt es weniger Bedenken, China wegen Taiwan zu verärgern.

Glauben Sie, dass es Vergeltungsmaßnahmen aus Peking für den INGE-Besuch geben wird?

Als Reaktion auf EU-Sanktionen gegen China wegen Menschenrechtsverletzungen gegen Uiguren hat China bereits Anfang des Jahres den Abgeordneten Raphaël Glucksmann (zusammen mit vier anderen EU-Abgeordneten) auf die schwarze Liste gesetzt. Im Oktober verweigerten sie einer US-Kongressdelegation Visa für China – es sei denn, sie stimmten zu, an einem bevorstehenden Besuch in Taiwan nicht teilzunehmen. Es ist durchaus möglich, dass sie auch die INGE-Abgeordneten sanktionieren.

Als Taiwans Außenminister Wu nach Brüssel reiste, gab es keine offiziellen Treffen mit Vertretern der EU-Kommission oder des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS). Hätten sich diese Ihrer Meinung nach mit Herrn Wu treffen sollen?

Ich denke, der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hätte sich mit Minister Wu treffen sollen.

Sind Sie als EU-Parlamentarier mit der Leistung des EEAS in Bezug auf die Taiwan-Politik zufrieden?

Der EEAS hat damit begonnen, sich an das aktuelle Umfeld anzupassen.

Sie haben Herrn Wu in Brüssel getroffen – was hat er Ihnen gesagt und was war seine Botschaft an die EU?

Es war ein zukunftsweisendes Treffen, das sich auf die im Taiwan-Bericht des Europäischen Parlaments skizzierten Themen konzentrierte: Stärkung der Handelsbeziehungen, Taiwans Beteiligung an internationalen Organisationen, akademischer Austausch und Sicherheit in der Taiwanstraße. Außenminister Wu forderte eine Zusammenarbeit bei der weiteren Vertiefung der Beziehungen, einschließlich der Aufnahme von Verhandlungen über ein Investitionsabkommen.

Wie kann die EU Taiwan unterstützen?

Die Empfehlung des Europäischen Parlaments zu den politischen Beziehungen und der Zusammenarbeit zwischen der EU und Taiwan enthält viele Beispiele:

  • Den Beginn einer Folgenabschätzung, öffentlichen Konsultation und einer Scoping-Übung zu einem bilateralen Investitionsabkommen (BIA) mit Taiwan.
  • Die EU muss Chinas Handeln auf das Schärfste verurteilen und betonen, dass Chinas Vorgehen gegen Taiwan Konsequenzen für die Beziehungen zwischen der EU und China haben wird.
  • Die EU muss sich trotz des chinesischen Drucks nachdrücklich für eine sinnvolle Teilnahme Taiwans als Beobachter an Sitzungen, Mechanismen und Aktivitäten internationaler Gremien, einschließlich der WHO, einsetzen.

Die INGE-Delegation ist nach Taipeh gereist, um sich über Desinformation und Cyber-Angriffe zu informieren. Sind bereits konkrete Projekte zwischen der EU und Taiwan geplant?

Beide Seiten untersuchen Wege der Partnerschaft, einschließlich der möglichen Schaffung eines gemeinsamen Zentrums für Desinformation in Taipeh.

Die EU-Kommission hält sich in der offiziellen Kommunikation an die “Ein-China-Politik”. Glauben Sie, das muss sich ändern? Braucht die EU einen härteren Tonfall, wenn es um Taiwan geht?

Sowohl die Mitgliedstaaten als auch die EU-Institutionen haben damit begonnen, sich an die Entwicklungen im Indo-Pazifik anzupassen. Vorreiter sind Mitgliedstaaten wie Litauen und die Tschechische Republik.

Welche Reaktion haben Sie von der EU-Kommission auf Ihren Taiwan-Bericht erhalten?

Die Reaktion wurde während der Plenarsitzung im Oktober von EU-Vizepräsidentin Margrethe Vestager im Namen des EU-Außenbeauftragten Borrell mitgeteilt. Diese war sehr positiv. Beispielsweise sagte sie, dass die Europäische Union ein Interesse an der Verbesserung der Beziehungen und der Zusammenarbeit mit Taiwan hat. Außerdem sollen ihrer Antwort zufolge die Handels- und Investitionsbeziehungen mit “diesem wichtigen Partner und Technologieführer” vertieft verfolgt werden.

INGE-Delegationsführer Glucksmann sagte in Taipeh, dass hochrangige Treffen zwischen EU und Taiwan erforderlich sind – glauben Sie, dass es in naher Zukunft mehrere Treffen geben wird?

Angesichts gemeinsamer Interessen in wichtigen Bereichen, wie Halbleiter, Handel, Cybersicherheit, wäre es ratsam, das zu tun.

Was könnte die EU in Taiwan besonders interessieren?

Kooperationen im Bereich Cybersicherheit und Halbleiter sind interessant. Taiwan ist aber auch für die internationale Gemeinschaft wertvoll. Taiwan hatte als Erster die Weltgesundheitsorganisation über eine mögliche Mensch-zu-Mensch-Übertragung von Corona informiert, während die KP Chinas solche Behauptungen weitere drei Wochen lang zurückwies.

In Ihrem Bericht wird auch aufgefordert, den Namen des European Economic and Trade Office in Taiwan zu ändern – warum ist der Name in diesem Fall so wichtig?

Der Bericht fordert die EU-Kommission und den EEAS auf, den Namen des Europäischen Wirtschafts- und Handelsbüros in Taiwan in “Büro der Europäischen Union in Taiwan” (“European Union Office in Taiwan”) zu ändern, um die große Bandbreite unserer Beziehungen mit der Insel besser widerzuspiegeln.

Charlie Weimers (39) ist konservativer Abgeordneter im Europaparlament. Der Schwede war zuletzt federführend für den ersten alleinstehenden Bericht des EU-Parlaments zu den Beziehungen zwischen Brüssel und Taipeh. In dem Papier fordern die EU-Abgeordneten eine engere Zusammenarbeit mit der Insel. Die Fragen beantwortete Reimers schriftlich.

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    Analyse

    Gattin des Ex-Interpol-Chefs Meng erhebt schwere Vorwürfe

    Im Oktober 2018 spielte sich ein Krimi vor den Augen der Weltöffentlichkeit ab. In der Hauptrolle: Meng Hongwei, der damalige Chef der mächtigen internationalen Polizeiorganisation Interpol. Der damals 64-Jährige war der erste Chinese auf diesem Posten. Doch dann verschwand er plötzlich. Über Nacht.

    Fast 14 Tage suchte seine eigene Behörde nach ihm. Man wusste nur, dass Meng in seine Heimat China gereist war. Dann lüftete Peking das Geheimnis um seinen Verbleib. Das Ministerium für öffentliche Sicherheit teilte mit, dass gegen den Interpol-Chef wegen des Verdachts ermittelt werde, “Bestechungsgelder angenommen” zu haben und in illegale Aktivitäten verwickelt gewesen zu sein. Nach dieser Verlautbarung erhielt Interpol umgehend ein angeblich von Meng aufgesetztes Schreiben, in dem dieser seinen sofortigen Rücktritt erklärte. 

    Als letztes Lebenszeichen aus China sandte Meng Hongwei seiner Frau Grace Meng noch ein Emoji-Piktogramm mit einem Messer als Botschaft auf ihr Handy. Vielleicht weil er wusste, dass das Spiel aus war.

    Meng Hongweis Ehefrau kritisiert Interpol und chinesische Regierung

    Erstmals seit der Festnahme ihres Mannes hat Grace Meng nun der US-Nachrichtenagentur AP ein ausführliches Interview gegeben, in dem sie schwere Vorwürfe sowohl gegen Interpol als auch gegen die chinesische Regierung erhebt. Sie habe seit der letzten SMS vor rund drei Jahren kein Wort mehr von ihrem Mann gehört, sagte sie in dem Gespräch. Auch Schreiben ihrer Anwälte an die chinesischen Behörden seien unbeantwortet geblieben. Sie sei sich nicht einmal sicher, ob ihr Mann noch lebe.

    Nach offiziellen Angaben war Meng Hongwei im Januar 2020 wegen der Annahme von Bestechungsgeldern in Höhe von mehr als zwei Millionen Dollar zu 13 Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden. Das Gericht erklärte, er habe sich schuldig bekannt und sein Bedauern ausgedrückt. Seine Frau, die Chinas Führung in dem Interview mit AP als “Monster” bezeichnet, hat eigenen Angaben zufolge seither aus dem Gefängnis keinen einzigen Brief von ihrem Mann erhalten. 

    Die Ehefrau äußerte sich zudem empört darüber, dass Interpol den Rücktritt ihres Mannes einfach so akzeptiert und keine weiteren Nachforschungen unternommen habe. “Kann jemand, der gewaltsam verschwunden ist, aus freiem Willen ein Rücktrittsschreiben verfassen?”, fragt sie. Die Polizeiorganisation und ihre Mitgliedstaaten hätten sich nicht einfach der Version beugen dürfen, die von Peking verbreitet wurde. Die Korruptions-Anschuldigungen gegen ihren Mann seien frei erfunden. Vielmehr sei er ausgeschaltet worden, weil er seine ranghohe Position genutzt habe, um auf Veränderungen hinzuwirken. 

    Grace Meng sieht Demokratie als Mittel gegen Korruption

    “Es ist ein Beispiel dafür, wie eine politische Meinungsverschiedenheit in eine kriminelle Angelegenheit verwandelt wird”, sagt Grace Meng. Und weiter: “Das Ausmaß der Korruption in China ist heute sehr ernst. Sie ist allgegenwärtig. Aber es gibt zwei verschiedene Meinungen darüber, wie das Problem gelöst werden kann. Die eine ist die jetzt angewandte Methode. Die andere ist, sich in Richtung einer konstitutionellen Demokratie zu bewegen, um das Problem an der Wurzel zu lösen.” 

    Grace Meng deutet somit an, dass ihr Mann Opfer eines Machtkampfes wurde. Eine Theorie, die bereits kurz nach dem Verschwinden des ehemaligen Interpol-Chefs von vielen Beobachtern geäußert wurde. Wenn Meng nur korrupt gewesen wäre, hätte Chinas Führung wohl kaum diesen beschämenden Schritt unternommen, und ihren gerade erst an der Spitze von Interpol installierten Mann selbst abgesägt. “Ich denke, es geht um mehr als Korruption”, sagte damals etwa der kritische Historiker Zhang Lifan. “Dahinter steckt ein politischer Machtkampf”. Nach seinen Informationen seien auch andere Vertreter des Polizeiministeriums damals verhaftet worden. 

    Vielfach wurde darauf verwiesen, dass Meng Hongwei seine Karriere im Pekinger Polizeiministerium gemacht hat. Dieses stand damals noch unter der Führung des später gestürzten und 2015 zu lebenslanger Haft verurteilten Sicherheitschefs Zhou Yongkang, der als gefährlicher Rivale von Staats- und Parteichef Xi Jinping galt. Meng Hongwei, so wurde vermutetet, könnte somit das Opfer einer breiten Aufräumaktion gewesen sein, mit der Xi seine Macht weiter zementieren wollte. 

    Grace Meng und ihre Familie haben nach ihren Angaben traumatische Jahre hinter sich. Vor allem ihre Kinder würden leiden. “Wenn sie jemanden an die Tür klopfen hören, sehen sie immer nach. Ich weiß, dass sie hoffen, dass die Person, die hereinkommt, ihr Vater sein wird. Aber jedes Mal, wenn sie merken, dass es nicht der Vater ist, senken sie leise den Kopf.” Joern Petring/Gregor Koppenburg 

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      “Common prosperity” – Chinas Pläne zur Umverteilung

      Chinas Führung hat den “gemeinsamen Wohlstand” (“Common Prosperity”) zu einem zentralen politischen Ziel der nächsten Jahrzehnte erklärt. Die wachsende Ungleichheit in China beunruhigt die politisch Verantwortlichen: Diese Ungleichheit dürfe nicht zu einer “unüberbrückbaren Kluft” werden, sagt Präsident Xi Jinping. Er mahnt, China müsse eine “Polarisierung der Gesellschaft verhindern, den gemeinsamen Wohlstand fördern” und soziale Stabilität verwirklichen.

      Zwar ist der Begriff des gemeinsamen Wohlstands nicht neu. Schon Mao Zedong und Deng Xiaoping haben ihn verwendet. Doch Xi könnte das alte Ziel wiederbeleben und damit sein politisches Erbe definieren. Die Konsequenzen des Konzepts “für die chinesische Politik, Gesellschaft und Wirtschaft werden wahrscheinlich weitreichend und lang anhaltend sein“, schreiben die Analysten der Beratungsagentur Trivium China.

      Die Ungleichheit in China nimmt zu

      Chinas Wirtschaftswachstum der letzten 40 Jahre hat Millionen Menschen ein besseres Leben ermöglicht. Doch gleichzeitig spaltete sich die einst homogene Gesellschaft zunehmend in Arm und Reich. China hat heute mehr Milliardäre als die USA, das Mutterland des Kapitalismus. Und während die einen ihren Reichtum mit teuren Autos, Gucci-Taschen und Luxusuhren zelebrieren, ist das Aufstiegsversprechen für die große Mehrheit zu einem fernen Traum geworden. Eine Heerschar von “Gig-Workern” schuftet zu geringen Löhnen, beispielsweise als Lieferbote. Ein Teil der Jugend ist desillusioniert und protestiert mit “Nichts-Tun” (China.Table berichtete).

      Die steigende Ungleichheit zeigt sich auch in Zahlen: Die reichsten zehn Prozent der Chinesen hielten in den frühen 1990er-Jahren gut 40 bis 50 Prozent des gesamten Vermögens. 2019 waren es 70 Prozent. Der als Indikator für Ungleichheit international verwendete Gini-Koeffizient zeigt Einkommensanteile der verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf. Liegt der Koeffizient bei null, verdienen alle Bürger das gleiche Einkommen. Liegt er bei eins, konzentriert sich das gesamte Einkommen auf eine einzelne Person. In China liegt der Koeffizient nach Daten des chinesischen Statistikamts bei 0,47. Schon ein Wert von 0,4 gilt als Warnsignal. Hinzu kommt ein massives Gefälle zwischen Stadt und Land. “Städtische Chinesen verdienen ungefähr 2,5-mal so viel wie ihre Mitbürger auf dem Land”, sagt der chinesische Ökonom Li Shi.

      Bisher gibt es noch keine konkreten Vorgaben, wie das Ziel des “gemeinsamen Wohlstands” erreicht werden soll. Ein Artikel Xis in der Parteizeitschrift Qiushi deutet aber mögliche Inhalte an. Seine Aussagen sind ein Mix aus Hilfe zur Selbsthilfe, Reformen für mehr Chancengleichheit und der Beschränkung von “exzessivem Reichtum“.

      “Wohlstand und Glück durch harte Arbeit”

      Xis Artikel verdeutlicht, dass es kaum zu einer radikalen Umverteilung kommen wird. In vielen Passagen steht der Einzelne im Mittelpunkt. Gemeinsamer Wohlstand und Glück entstünden durch “harte Arbeit”, schreibt Xi darin. Größere Aufstiegschancen in die Mittelklasse sollen durch bessere Bildung und Ausbildung erreicht werden. Der Staatschef spricht, ganz wie ein westlicher Kapitalist, vom “Humankapital”, das durch Investitionen erhöht werden soll.

      Auch solle die “Reform des Systems zur Registrierung von Haushalten vertieft” werden, sagt Xi. Durch eine Reform des rigiden Hukou-Systems aus der Mao-Ära soll die Chancengleichheit von Wanderarbeitern und ihre Kinder verbessert werden. Sie würden einen besseren Zugang zu Bildung und Gesundheitsvorsorge erhalten. Derzeit ist dieser Zugang sehr eingeschränkt und teuer. (China.Table berichtete).

      Ein Sozialstaat westlichen Vorbilds steht dagegen kaum auf der Agenda Xis. Bis 2035 soll zwar der Zugang zu “grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen” angeglichen sein. Dazu zählen die Verbesserung des Renten- und Gesundheitssystems sowie der Zugang zu einem System der sozialen Mindestsicherung. Auch die hohen Wohnkosten sollen bekämpft werden. Doch gleichzeitig warnt Xi vor “der Falle des Wohlfahrtsdenkens”, die ihm zufolge “Faulheit fördert”.

      Hohe Einkommen verdammt Xi Jinping nicht per se. Er hält an Dengs Maxime fest, dass einige Chinesen “zuerst reich werden” dürften. Doch die Reichen müssten die Ärmeren unterstützen, auch zu Wohlstand zu kommen. So ermutigt Xi Wohlhabende zum Spenden. “Exzessiv hohe Einkommen” solle der Staat “vernünftig begrenzen”, so Xi. Auch beim Steuersystem könnte es zu Reformen kommen: Xi nennt hier eine Verbesserung der Einkommenssteuern, die Einführung einer Grundsteuer und Anpassungen bei den Verbrauchersteuern als mögliche Lösungen.

      “Common Prosperity”: Viel Populismus, kaum echte Reformen

      Das Thema “Common Prosperity” hat unter Wirtschaftsvertretern schon für Unruhe gesorgt. Wohl auch, weil Xis Aussagen im Zusammenhang mit möglichen Wirtschaftsreformen am widersprüchlichsten sind. Einerseits will Xi der “unkontrollierten Expansion des Kapitals entgegentreten” und eine Negativliste für den Marktzugang in sensiblen Sektoren aufstellen. Andererseits will er die “geregelte und gesunde Entwicklung aller Arten des Kapitals erleichtern” und Unternehmertum fördern. Mit solchen Aussagen hält sich Xi viel Spielraum über die zukünftige Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik offen.

      So häufig die Führungskader den Begriff des “gemeinsamen Wohlstands” auch benutzen: Bisher geschah in China wenig, um eine wirksame Umverteilung zu erzielen. Zwar hat die Regierung die Tech-, Immobilien- und Nachhilfe-Sektoren stärker reguliert. Doch vieles davon geschah eher in Kampagnen-Form. Tech-Unternehmen zu gängeln und Milliardäre zu Philanthropie zu drängen, ist viel einfacher als echte Reformen anzuschieben.

      Eine echte Umverteilung bräuchte jedoch solch tiefere Reformen, ist Mary Gallagher überzeugt. Sie ist Direktorin des Center for Chinese Studies der Universität Michigan. Im Vergleich zu seinem Vorgänger Hu Jintao habe Xi nur sehr wenige echte Veränderungen auf den Weg gebracht. “Die Regierung Xi hat keine neuen Sozialreformen oder Gesetze umgesetzt, die die Aufteilung des Kuchens wesentlich verändern“, schreibt Gallagher. “Seine Pläne für die Grundsteuer wurden eingeschränkt, und die Hukou-Reform scheitert nach wie vor am Widerstand der lokalen Behörden und der Stadtbewohner.”

      Auch die Ziele eines Pilotprojekts zum gemeinsamen Wohlstand in der Provinz Zhejiang sind bisher sehr vage und wenig ambitioniert. Xi selbst bat in seinem Artikel um Geduld. Bis 2035 solle China “substanzielle Fortschritte” machen, bevor dann bis 2050 der “gemeinsame Wohlstand für alle” erreicht sein werde.

      Der Fokus des Präsidenten auf dem “gemeinsamen Wohlstand” könnte eine neue Ära in der chinesischen Politik einleiten, sagen die Berater von Trivium China. Xi Jinping könnte damit versuchen, den kommenden Jahrzehnten seinen Stempel aufzudrücken und mit der Reformära Deng Xiaopings zu brechen. Deswegen hält Xi die Inhalte auch noch so vage. So können sich vorerst alle Fraktionen der KP Chinas in dem Konzept wiederfinden. Die “Linken” begeistern sich für die Reduzierung der Ungleichheit, die “Rechten” sind angetan von der “Chancengleichheit” und dem Aufstiegsversprechen durch Fleiß. Was am Ende dabei herauskommt, ist völlig offen.

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        Pekings komplizierte Beziehung zu Krypto

        Wer Bitcoins schürfen will, braucht Strom. Kommt dieser vor allem aus der Kohleverbrennung, wird der Bitcoin-Abbau schnell zum Umweltproblem. Chinas Behörden wollen deshalb mit noch mehr Druck gegen Krypto-Mining vorgehen: Die Praxis sei “extrem schädlich” und gefährde die Bemühungen des Landes, seine CO2-Emissionen zu reduzieren, sagte die Sprecherin der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission, Meng Wei, am Dienstag. Institutionen, die verbilligten Strom “missbrauchten”, um Kryptowährungen zu schürfen, müssten mit einer Preiserhöhung rechnen. Nach ihren Anmerkungen fiel der Bitcoin-Preis um mehr als sieben Prozent auf 60.889 US-Dollar, dem niedrigsten Wert seit mehr als einer Woche. Auch die zweitgrößte Digitaldevise Ethereum rutschte am Dienstag um mehr als acht Prozent ab.

        Die Volksrepublik hatte dem Krypto-Mining eigentlich bereits im September offiziell den Stecker gezogen: Das Schürfen und der Handel mit den digitalen Währungen ist seither praktisch verboten. Illegal wird aber weitergeschürft, weshalb Peking nun nachlegte.

        China steht dem Wachstumsmarkt unabhängiger Kryptowährungen sehr kritisch gegenüber: Denn dezentral angelegte Kryptowährungen wie Bitcoin entziehen sich der Kontrolle des Staates (China.Table berichtete). Mit den digitalen Währungen wäre es möglich, große Mengen Geld außer Landes zu schaffen und die strengen Kapitalverkehrskontrollen Pekings zu unterlaufen. Diese sind Peking jedoch wichtig, weil die Führung so verhindern kann, dass das Land finanziell ausblutet, wie Russland in den 90er-Jahren.

        Zudem kann Peking so den Yuan stabil halten. 2017 wurden die Regeln noch einmal verschärft. Seitdem darf jeder Chinese nur maximal umgerechnet 50.000 US-Dollar im Jahr ins Ausland überweisen. Einzelüberweisungen von mehr als 50.000 Yuan (7.200 US-Dollar) müssen gemeldet werden. Davor waren noch 200.000 US-Dollar erlaubt. Diese Regelung wurde zwischenzeitlich vom Bitcoin-Handel unterlaufen – denn China war zeitweise die Heimat des weltgrößten Bitcoin-Handelsplatzes, BTC China. Das Land verfügte zudem über einige der größten Bitcoin-Minen des Planeten und kam zeitweise auf mehr Bitcoin-Wallet-Downloads als der Rest der Welt zusammen. 

        Wachstumsmarkt Krypto-Asset-Management

        So ganz kann aber auch Peking nicht von Krypto lassen – und lässt deshalb chinesische Unternehmen weiter Geschäfte damit machen, allerdings nur über Hongkong. Eines der führenden Unternehmen, das in China entstanden ist und nun weiter am Krypto-Boom teilhaben darf, ist die Huobi Group. Die 2013 von Leon Li, einem Absolventen der Pekinger Tsinghua-Universität, gegründete Firma, versteht sich als globaler Finanzdienstleister für digitale Vermögenswerte. Registriert ist Huobi auf den Seychellen. Im Jahr 2018 wurde das Unternehmen an der Börse in Hongkong notiert, nachdem es 74 Prozent am Hongkonger Elektronikhersteller Pantronics Holdings erworben hatte.  

        Heute unterhält die Gruppe Niederlassungen in den Vereinigten Staaten, Japan und Südkorea. Huobi betreibt auch eine eigene Krypto-Börse, Huobi Global, die eine eigene Kryptowährung, den Huobi Token, anbietet. Nach dem kompletten Krypto-Verbot, verkündete Huobi jedoch, keine Kunden mehr auf dem chinesischen Festland bedienen zu wollen. 

        Huobi konzentriert sich heute vor allem auf das globale Asset-Management von Kryptowährungen, also blockchainbasierte Dienstleistungen wie Treuhandgeschäfte, Kapitalmanagement und Krypto-Verwahrung. Aber auch in Bereichen wie Bildung, Marktforschung und Inkubation ist das Unternehmen laut eigenen Angaben tätig. “Wir fungieren als Brücke zwischen der traditionellen Finanzwelt und der Welt der virtuellen Vermögenswerte”, erklärt Lily Zhang, Chief Financial Officer von Huobi Tech.

        Es handelt sich hier auch ohne den chinesischen Heimatmarkt um ein attraktives Geschäftsfeld. Der Markt für Krypto-Asset-Management hatte im Jahr 2020 ein Volumen von rund 670 Millionen US-Dollar und könnte laut den Analysten von Allied Market Research bis 2030 auf 9,36 Milliarden US-Dollar anwachsen. 

        Im August 2020 erhielt Huobi von Hongkongs Marktaufsicht SFC die Genehmigung, Beratungen zu Wertpapieren und Vermögensverwaltung durchzuführen. Im vergangenen Dezember wurde die US-Tochtergesellschaft von Huobi Tech, Huobi Trust US, von der Financial Institutions Division des Nevada Department of Business and Industry lizenziert.

        Dieses Jahr veröffentlichte das Unternehmen ein Krypto-Asset-Management-Portfolio über die Tochtergesellschaft Huobi Asset Management. Das Angebot umfasst Bitcoin- und Ethereum-Tracker-Fonds sowie einen Multi-Asset-Fonds, der eine Kombination verschiedener Anlageklassen beinhaltet, darunter Aktien, festverzinsliche Wertpapiere und Krypto-Assets.

        NFT als Türöffner für die breite Masse

        Die Huobi Group hat zudem am 1. November einen eigenen Marktplatz für Non-Fungible Tokens (NFTs) eröffnet. Ein NFT ist ein Echtheitszertifikat für jede digitale Datei. Wer ein NFT kauft, kauft einen Token, beziehungsweise ein Objekt, das damit verknüpft ist. Das kann digitale Kunst sein, digitale Sammelkarten, Musik oder virtuelles Land, zum Beispiel innerhalb eines Computerspiels.

        Das NFT ist auf der Blockchain gespeichert und somit einzigartig authentifiziert und fälschungssicher. Im 1. Quartal des Jahres 2021 wurden bereits zehn Prozent des weltweiten Umsatzes im Kunstmarkt über NFTs erzielt. Im ersten Halbjahr 2021 wurden weltweit NFTs in Höhe von 2,5 Milliarden US-Dollar umgesetzt. “NFTs haben die Augen der Öffentlichkeit für die große Bandbreite an verfügbaren Blockchain-Anwendungen geöffnet”, erklärt Jeff Mei, Direktor der Strategieabteilung bei Huobi. “Das Konzept der NFTs als unveränderlicher Eigentumsnachweis ist äußerst kraftvoll, daher sind wir gespannt, wohin uns dieser NFT-Marktplatz führen wird.”

        Das Beispiel Huobi zeigt einmal mehr, dass China nicht auf den Finanzplatz Hongkong verzichten kann, weil es sich nicht von internationalen Entwicklungen abhängen lassen will – und diese Geschäfte sind in China nur in Hongkong möglich.

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          China stuft diplomatische Beziehungen zu Litauen herab

          China hat seine diplomatischen Beziehungen zu dem EU-Land Litauen herabgestuft. Die Beziehungen würden auf die Geschäftsträger-Ebene heruntergefahren, um Chinas “Souveränität und die grundlegenden Normen der internationalen Beziehungen zu bewahren”, teilte das Außenministerium am Sonntag in Peking mit. Geschäftsträger werden in der diplomatischen Rangordnung unter Botschaftern eingeordnet. Hintergrund ist die Eröffnung eines “Taiwan Vertretungsbüro” in Vilnius am vergangenen Donnerstag (China.Table berichtete).

          Litauen bedauerte den Schritt. Ministerpräsidentin Ingrida Simonyte betonte aber am Sonntag, Taiwans Repräsentanz habe keinen offiziellen diplomatischen Status. Die Eröffnung hätte niemanden überraschen dürfen. Dass Litauen seine wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zu Taiwan intensivieren wolle, sei im Regierungsprogramm angekündigt worden.

          Dennoch hatte China aus Protest bereits seinen Botschafter abgezogen, als Litauen im Juli Taiwan die Erlaubnis erteilte, in Vilnius eine Vertretung unter eigenem Namen zu führen. Außerdem stoppte China damals den Schienen-Frachtverkehr nach Litauen und erteilte dem Land fortan keine Einfuhrgenehmigungen mehr für Lebensmittel (China.Table berichtete). China sieht Taiwan als abtrünnige Provinz.

          Taiwans weltweite Vertretungen haben bislang einen eher informellen Status und werden als Wirtschafts- oder Kulturbüros von Taipeh bezeichnet. Dass es nun zwischen Litauen und Taiwan diplomatische Annäherungen gibt, verärgert Peking darum sehr. Die Annäherung ist auch ein Signal, wie wenig Erfolg China in seiner Osteuropapolitik bisher verbuchen kann. Unter dem sogenannten 17+1 Format, in dem Peking mit den Ländern in Mittel- und Osteuropa die Zusammenarbeit ausbauen wollte, gibt es immer mehr Kritik an Chinas Politik. Vor allem Chinas Umgang mit der Minderheit der Uiguren im Land, Pekings Vorgehen gegen Demokratieaktivisten in Hongkong und Chinas Impfdiplomatie stoßen in den Ländern auf Ablehnung. niw/ck

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            Great Wall Motor eröffnet Zentrale in München

            Der Autokonzern Great Wall Motor (GWM) hat in München seine neue Europazentrale eröffnet. Damit werde die Stadt zum zentralen Standort für den kontinentaleuropäischen Markt, teilte das Unternehmen mit. “Als einer der erfolgreichsten Automobilhersteller Chinas haben wir bereits in vielen internationalen Märkten erfolgreich Fuß gefasst. Der Start in Europa ist ein wichtiger Meilenstein für Great Wall Motor. Wir haben auch für diesen Markt ehrgeizige Ziele, sagte GWM-Chef Qiao Xianghua. In der Zentrale in der bayerischen Landeshauptstadt sollen ab dem kommenden Jahr rund 300 Angestellte arbeiten.

            Den Kunden gegenüber will GWM mit den beiden Automarken Wey und Ora auftreten (China.Table berichtete). Diese hatte der Konzern im September auf der IAA präsentiert. Beide Marken sollen vor allem durch ihre Nutzerorientierung überzeugen. Für Ora und Wey ist je eine App geplant, mit der die Nutzer mit der Marke und ihren Produkten interagieren können. Man wolle ein “Lifestyle-Ökosystem für europäische Nutzer”, das unter anderem einen Ladeservice und einen Wartungs- und Reparaturservice umfasse, teilte GWM mit. “Wir wollen das Auto zu einem emotionalen, intelligenten und bequemen dritten mobilen Raum machen”, sagt Qiao. Die Vernetzung von Fahrzeugen und mobilen Endgeräten wird zunehmend wichtiger (China.Table berichtete). ari

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              Xi bei Asean-Gipfel: China strebt keine Hegemonie an

              Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hat abermals beteuert, keine Machtpolitik zu betreiben. Die Volksrepublik wolle mit seinen Nachbarn friedlich auskommen, suche niemals Vorherrschaft und schikaniere als großes Land auch nicht kleinere Staaten, versicherte Xi am Montag bei einem virtuellen Treffen mit den Staats- und Regierungschefs der Asean-Staaten. China war, ist und wird immer ein guter Nachbar, guter Freund und guter Partner der Asean sein”, zitierten chinesische Staatsmedien Xi. Anlass für den Gipfel war der 30. Jahrestag der Kooperation Chinas mit dem Staatenverbund.

              Xi sagte Medienberichten zufolge, dass China und die Asean-Staaten “die Düsternis des Kalten Krieges abgelegt haben” und gemeinsam die regionale Stabilität aufrechterhalten würden. Xis Rede vorausgegangen waren etliche Auseinandersetzungen Chinas mit den Asean-Mitgliedern Philippinen, Malaysia und Vietnam in Seegebieten, in denen Chinas Territorialansprüche mit denen der Nachbarländer kollidieren. Xi geht mit seiner Rede also auf konkrete Ängste seiner südlichen Nachbarn ein.

              Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte betonte den Berichten zufolge, dass er die Auseinandersetzung “verabscheue” und Rechtsstaatlichkeit der einzige Ausweg sei. Duterte verwies auf das internationale Schiedsurteil aus dem Jahr 2016. In diesem in wurde festgestellt, dass Chinas maritimer Anspruch keine Rechtsgrundlage habe. Peking ignoriert den Beschluss allerdings. Das sieht nicht gut aus für die Beziehungen zwischen unseren Nationen, sagte Duterte in Richtung Chinas. Die Philippinen hatten vergangene Woche den Einsatz von drei chinesischen Küstenwachschiffen verurteilt. Diese sollen Wasserwerfer gegen philippinische Nachschubboote gebraucht haben.

              Eigentlich gilt Duterte als China-freundlich, seit seiner Amtsübernahme 2016 suchte der umstrittene Staatschef in der Hoffnung auf Investitionen und Handelsgeschäfte immer wieder den Schulterschluss mit Peking. In seiner Rede versprach Xi den Asean-Staaten zudem 1,5 Milliarden US-Dollar Entwicklungshilfe über drei Jahre, um die Pandemie zu bekämpfen und ihre Volkswirtschaften wieder in Schwung zu bringen. China wolle außerdem 150 Millionen Impfdosen spenden. ari

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                Bundesbank warnt vor Folgen einer Immobilienkrise

                Eine schwere Immobilienkrise in China würde auch die deutsche Wirtschaft treffen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der Bundesbank. Eine entsprechende Simulation zeige, dass von einer solchen Krise spürbare realwirtschaftliche Effekte auf Deutschland und andere Länder ausgehen könnten, schreibt die Bundesbank in ihrem am Montag veröffentlichten Monatsbericht November (Seite 14).

                Chinas Import würde der Simulation zufolge um ein Fünftel sinken. Der Exporteur Deutschland könnte das deutlich zu spüren bekommen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) würde allein durch die sinkende Nachfrage aus China um 0,6 Prozent zurückgehen. Die Autoren weisen aber darauf hin, dass ihr Modell die Auswirkungen vermutlich unterschätzt. Schließlich wirken die Ereignisse in China auch auf alle anderen Handelspartner Deutschlands, die dann vermutlich ebenfalls weniger bestellen. “Für einige Volkswirtschaften mit einer höheren Handelsabhängigkeit von China fallen die BIP-Verluste noch größer aus”, heißt es im Bericht. Für Japan liegen die BIP-Einbußen in dem Modell bei fast ein Prozent, für Südkorea sogar bei mehr als zwei Prozent. Für Australien lägen sie bei rund 1,6 Prozent.

                In ihrem Szenario orientiert sich die Bundesbank an der Immobilienkrise in den USA zwischen 2006 und 2009. Sie geht unter anderem von einer Halbierung der Wohnungsbauinvestitionen in China aus. Zudem nimmt sie an, dass die chinesischen Häuserpreise um ein Fünftel sinken.

                Die Zahlungsschwierigkeiten des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande hatten zuletzt Befürchtungen vor einer Immobilienkrise in China ausgelöst. Zuletzt hatte sich der Konzern mit überraschenden Zinsrückzahlungen wieder etwas Zeit verschafft (China.Table berichtete). rad

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                  BYD liefert Elektrobusse an Deutsche Bahn

                  Der chinesische Technologiekonzern Build Your Dreams (BYD) hat Elektrobusse an die Deutsche Bahn AG in Deutschland geliefert. Die Übergabe der fünf elektrischen 12-Meter-Busse habe in Ettlingen bei Karlsruhe stattgefunden, wie BYD am Montag mitteilte. DB hatte mit BYD im März 2021 einen Rahmenvertrag über die Einführung von Elektrobussen im Jahr 2021 und darüber hinaus geschlossen. Die Elektrobusse wurden von Oosterhoud in den Niederlanden bis zum Zielort gefahren. Sie sollen im Landkreis Karlsruhe eingesetzt werden. Eine Ladung der 422-KWh-Batterie soll BYD zufolge eine Reichweite von rund 400 Kilometern haben. ari

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                    Standpunkt

                    Warum sinkt Chinas Wachstumsrate so schnell?

                    von Shang-Jin Wei
                    Shang-Jin Wei über Chinas Wirtschaft und warum das Wachstum wegen der Covid-Politik nachlässt.
                    Professor für Finanzen und Wirtschaft an der Columbia Business School und der School of International and Public Affairs der Columbia University.

                    Anfang 2021 lag die Prognose unter 25 großen internationalen Banken und anderen professionellen Analysten für das chinesische BIP-Wachstum in diesem Jahr bei 8,3 Prozent. Im Gegensatz dazu lag das Wachstumsziel der chinesischen Regierung bei rund sechs Prozent. Wusste die Regierung etwas, das Außenstehende übersehen hatten? Hatte sie vor, etwas zu tun, das sie für wünschenswert hält – obwohl es das Wachstum beeinträchtigen könnte?

                    Da sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt hat, haben internationale Banken vor kurzem ihre Wachstumsprognosen für China für das Gesamtjahr nach unten korrigiert. Im dritten Quartal betrug das Wachstum nur noch 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr, nach 18,3 beziehungsweise 7,9 Prozent in den ersten beiden Quartalen. Das hohe Wachstum im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr ist größtenteils auf das negative Wachstum im ersten Quartal 2020 zurückzuführen, das durch pandemiebedingte Schließungen verursacht wurde. Das niedrige Wachstum im dritten Quartal gibt Anlass zur Sorge über die Wachstumsaussichten im vierten Quartal und im nächsten Jahr.

                    Ein Teil des Wachstumsrückgangs ist auf Chinas Null-Toleranz-Politik gegenüber Covid-19 zurückzuführen, die häufigere Abriegelungen als in den meisten anderen Ländern vorsieht. Eine Flut lokaler Covid-Ausbrüche im Sommer hat in mehreren chinesischen Städten zu Schließungen oder Reisebeschränkungen geführt. Diese haben nicht nur das Produktionsvolumen reduziert, sondern auch viele Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor stark beeinträchtigt, gerade als der Tourismus zu boomen begann.

                    Doch die Pandemie ist nicht der einzige Faktor für die Verlangsamung. Auch die grüne Industriepolitik der Regierung, die strengere Regulierung des Immobiliensektors und auf schwarze Listen gesetzte Online-Plattformen haben das Wachstum gebremst.

                    Nach ihrer Zusage, den Anstieg der CO2-Emissionen in China vor 2030 zu stoppen und bis 2060 eine Netto-Null-Emission zu erreichen, hat die Regierung die Stromerzeugung in Kohlekraftwerken energisch und oft abrupt reduziert, manchmal um bis zu 20 Prozent. Die daraus resultierenden Stromausfälle unterbrachen die Produktion in den betroffenen Fabriken.

                    Neue Regeln “Drei rote Linien” wurden verschärft

                    Darüber hinaus legt die im August 2020 eingeführte und in diesem Jahr verschärfte Politik der “drei roten Linien” Obergrenzen für den Verschuldungsgrad von Bauträgern, den Verschuldungsgrad im Verhältnis zum Fremdkapital, zum Eigenkapital und zur Liquidität fest. Da viele dieser Unternehmen eine oder mehrere der roten Linien nicht einhalten konnten, und Banken und Kapitalmärkte zögern neue Finanzmittel bereitzustellen, müssen sie Vermögenswerte verkaufen, ihre Geschäftstätigkeit reduzieren oder beides.

                    Evergrande ist vielleicht der bekannteste chinesische Immobilienentwickler, der in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist. Aber er ist nicht der einzige. Darüber hinaus kann ein Abschwung im Immobiliensektor leicht auf Branchen wie Stahl, Zement, Haushaltsgeräte und Möbel übergreifen.

                    Und schließlich haben die Entscheidungen der Behörden, Online-Bildungsunternehmen auf eine schwarze Liste zu setzen, die Kartellvorschriften zu verschärfen und ein weit gefasstes Datenschutzgesetz zu erlassen, dazu beigetragen, dass sich die Aktienkurse vieler börsennotierter Unternehmen der digitalen Wirtschaft in den letzten zwölf Monaten halbiert haben. Und die sinkenden Aktienbewertungen sind nur die Spitze des Eisbergs, denn viele Digitalfirmen und ihre Zulieferer mussten ihre Ambitionen und Pläne zurückschrauben. Hunderte von Online-Bildungsanbietern haben aufgegeben und ihre Mitarbeiter entlassen.

                    Die Ziele der Maßnahmen sind vernünftig, aber die Art und Weise, wie sie umgesetzt werden, verschlimmert ihre wirtschaftlichen Kosten. Eine Null-Covid-Strategie war in der Vor-Impf-Phase der Pandemie wohl vernünftig und verhalf China im letzten Jahr zu einer positiven Wirtschaftswachstumsrate. Da jedoch immer wieder neue Varianten auftauchen, werden alle Länder letztendlich lernen müssen, mit dem Coronavirus zu leben. Glücklicherweise werden die Kosten dafür immer überschaubarer, da die Impfquoten und die natürliche Immunität steigen.

                    Wenn China seine starken Durchführungskapazitäten nutzen will, dann scheint eine allgemeine Covid-19-Impfpflicht durchaus gerechtfertigt zu sein (da Impfverweigerer letztendlich anderen schaden könnten). Andererseits sind regelmäßige Abriegelungen und Grenzschließungen äußerst störend für die Wirtschaft und das Leben der Menschen und keine nachhaltige Strategie in der Pandemiephase nach der Impfung.

                    Klima – Kosten für Strukturwandel minimieren

                    Was die grüne Industriepolitik betrifft, so ist die Stromerzeugung der kohlenstoffintensivste Sektor in China. Auf ihn entfallen etwa 40 Prozent der energieverbrauchsbedingten Emissionen des Landes. Die Verringerung der Abhängigkeit von der Kohleverstromung ist daher ein wertvoller Beitrag zu den nationalen und globalen Bemühungen um eine Verringerung der Emissionen. Es gibt jedoch verschiedene Möglichkeiten, den Wandel zu bewältigen.

                    Chinas eigene Erfahrungen mit Wirtschaftsreformen deuten darauf hin, dass der Einsatz von Preissignalen und Marktkräften die Kosten des Strukturwandels tendenziell minimiert. Insbesondere könnte die Anhebung des chinesischen Kohlenstoffpreises auf ein ausreichend hohes Niveau und die Ankündigung eines vorhersehbaren Preispfades mit ausreichender Vorlaufzeit die Stromerzeuger und -verbraucher in die Lage versetzen, sich besser anzupassen und zurechtzufinden. Auf diese Weise würde die gleiche Menge an Emissionsreduzierungen mit einem wesentlich geringeren Verzicht auf BIP-Wachstum erreicht. Ein solcher Ansatz wäre auch weniger störend für die chinesischen Haushalte – einschließlich vieler Haushalte im Nordosten des Landes, die sich vor einem kalten Winter Sorgen um Heizung und Stromversorgung machen könnten.

                    Immobiliensektor nicht komplett abwürgen

                    Ebenso ist die Eindämmung des spekulativen Preisanstiegs bei Immobilien zwar ein wünschenswertes Ziel. Aber eine Beschränkung der Immobilienentwicklung trägt nicht unbedingt dazu bei, dieses Ziel zu erreichen. Angesichts der Tatsache, dass etwa 30 Prozent der chinesischen Wirtschaft mit dem Immobilien- und Bausektor steigt und fällt, könnte ein alternativer Weg die Anpassungsschmerzen abfedern. Die Förderung von erschwinglichem Wohnraum für einkommensschwache Familien und Zuwanderer aus ländlichen Gebieten könnte zum Beispiel die Nachfrage nach Möbeln, Haushaltsgeräten, Stahl und Zement ausgleichen.

                    Die Einschränkung von außerschulischen Lernprogrammen kann Kindern Zeit für Aktivitäten verschaffen, die Kreativität und sportliche Fähigkeiten fördern, und die finanzielle Belastung für Familien verringern, die sich bisher gezwungen sahen, Online-Bildungsinhalte für ihre Kinder zu kaufen. Es gibt also eine lobenswerte soziale Begründung für die neue Verordnung. Ihre relativ plötzliche Umsetzung schmälert jedoch nicht nur die Gewinne, die Aktienkurse und die Beschäftigung von Online-Bildungsunternehmen, sondern verdeutlicht auch das Risiko abrupter politischer Änderungen in anderen Sektoren, die sich auf die allgemeine Anlegerstimmung auswirken.

                    China kann das Vertrauen der Investoren wiederherstellen und zu seiner potenziellen Wachstumsrate zurückkehren. Um dies zu erreichen, wird das Land von Reformen profitieren, die sich darauf auswirken, wie neue Vorschriften und Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung diskutiert, geprüft und umgesetzt werden.

                    Shang-Jin Wei, der ehemalige Chefvolkswirt der Asiatischen Entwicklungsbank, ist Professor für Finanzen und Wirtschaft an der Columbia Business School und der School of International and Public Affairs der Columbia University. Übersetzung: Andreas Hubig.

                    Copyright: Project Syndicate, 2021.
                    www.project-syndicate.org

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                        Liebe Leserin, lieber Leser,

                        ein EU-Abgeordneter erläutert uns die Hintergründe eines denkwürdigen Treffens. Charlie Weimers gehörte zu den Parlamentariern, die sich Ende Oktober mit Taiwans Außenminister Joseph Wu getroffen haben. Aus Pekinger Sicht ein Tabubruch – für Weimers jedoch erst der Anfang. Weimers Position ist eindeutig: Jetzt, wo China seine Drohungen gegenüber der Insel hochfährt, sollte Europa Farbe bekennen. Die EU müsse klarmachen, dass ein Vorgehen gegen Taiwan ernste Konsequenzen haben würde. Die Möglichkeit für Europa gegenüber der Volksrepublik Standfestigkeit zu beweisen, sei größer denn je: Da das Vertrauen in China ohnehin erschüttert sei, gebe es weniger Bedenken, Peking zu verärgern.

                        Unser Pekinger Autorenteam nimmt sie heute mit in die Tiefen eines wahren Polit-Krimis. Im Oktober 2018 verschwand der erste chinesische Chef von Interpol plötzlich. Viele Tage fehlte jede Spur, ehe die Führung in Peking erklärte, man habe Meng Hongwei wegen Korruption verhaftet. Nun meldet sich Mengs Frau öffentlich zu Wort. In einem spektakulären Interview erklärt sie, dass ihr Mann einer Säuberungsaktion von Staatschef Xi Jinping zum Opfer gefallen sei. Es wird deutlich, dass Pekings Zugriff selbst an die Spitze internationaler Organisationen reicht.

                        Xi Jinping ist es mit der “historischen Resolution” gelungen, der Kommunistischen Partei seinen Stempel aufzudrücken. Als “Steuermann” thront er sicherer denn je an der Spitze der Partei. Das will Xi nutzen, um auch Chinas Gesellschaft und Wirtschaft nach seinen Ideen zu gestalten. “Gemeinsamer Wohlstand” nennt der Staatschef sein Prinzip, mit dem er weniger auf Umverteilung als auf Aufstiegschancen setzt. Nico Beckert hat die Schriften Xis zu diesem Thema für Sie unter die Lupe genommen.

                        Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

                        Ihre
                        Amelie Richter
                        Bild von Amelie  Richter

                        Interview

                        “China ist kein zuverlässiger Partner mehr”

                        Der schwedische EU-Abgeordnete Charlie Weimers im Interview zu EU und Taiwan
                        Der schwedische EU-Abgeordnete Charlie Weimers

                        Kürzlich hat eine Delegation des Europaparlaments Taipeh besucht, der taiwanische Außenminister Joseph Wu war in Brüssel. Gibt es derzeit eine besondere Dynamik für die EU-Taiwan-Beziehungen?

                        Ja. Darüber hinaus wurde in der Woche vor dem Besuch von Minister Wu auch die Empfehlung des Europaparlaments zu den EU-Taiwan-Beziehungen herausgegeben. Es gibt also auf jeden Fall einen Impuls dafür.

                        Wie sehen Sie den Besuch der Abgeordneten des Sonderausschusses für ausländische Einflussnahme auf demokratische Prozesse (INGE) in Taipeh?

                        Das ist eine großartige Gelegenheit, mehr über bewährte Verfahren zur Bekämpfung chinesischer Desinformation zu erfahren. Die EU und Taiwan sollten viel stärker zusammenarbeiten, um die besten Ansätze zur Förderung der Medienfreiheit und des Journalismus zu finden, unsere Zusammenarbeit im Bereich der Cybersicherheit zu vertiefen und gemeinsam die Widerstandsfähigkeit Taiwans und der Mitgliedsstaaten der EU zu stärken.

                        Es war die allererste Delegation, die Taiwan besuchte. Warum wurde nicht schon früher eine Delegation geschickt?

                        Im Jahr 2016 rissen Trump und der Brexit ein riesiges Loch in die Erzählung vom “Ende der Geschichte” (“The End of History and the Last Men”). Im folgenden Jahr war Präsident Xi Jinping der Liebling von Davos, was einige dazu veranlasste, die Fantasie zu hegen, dass China eine von den USA geführte internationale Ordnung ersetzen würde. Viele übersahen die Zeichen der Zeit und dachten fälschlicherweise, dass ihre wirtschaftliche Zukunft in China liege.

                        In den letzten fünf Jahren ist es unvermeidbar geworden, Chinas Kampfbereitschaft gegenüber Nachbarn im nahen Ausland, die brutale interne Repression, Merkantilismus, den verleumdenden Einfluss in internationalen Institutionen und Drittstaaten, den Personenkult um Präsident Xi, zunehmende staatliche Kontrolle über Märkte, den demografischen Rückgang sowie Vertuschung, Desinformation und mangelnde Transparenz über die Ursprünge von Covid-19 zu sehen. Kurz gesagt, China ist kein zuverlässiger Partner mehr. Deshalb gibt es weniger Bedenken, China wegen Taiwan zu verärgern.

                        Glauben Sie, dass es Vergeltungsmaßnahmen aus Peking für den INGE-Besuch geben wird?

                        Als Reaktion auf EU-Sanktionen gegen China wegen Menschenrechtsverletzungen gegen Uiguren hat China bereits Anfang des Jahres den Abgeordneten Raphaël Glucksmann (zusammen mit vier anderen EU-Abgeordneten) auf die schwarze Liste gesetzt. Im Oktober verweigerten sie einer US-Kongressdelegation Visa für China – es sei denn, sie stimmten zu, an einem bevorstehenden Besuch in Taiwan nicht teilzunehmen. Es ist durchaus möglich, dass sie auch die INGE-Abgeordneten sanktionieren.

                        Als Taiwans Außenminister Wu nach Brüssel reiste, gab es keine offiziellen Treffen mit Vertretern der EU-Kommission oder des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS). Hätten sich diese Ihrer Meinung nach mit Herrn Wu treffen sollen?

                        Ich denke, der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hätte sich mit Minister Wu treffen sollen.

                        Sind Sie als EU-Parlamentarier mit der Leistung des EEAS in Bezug auf die Taiwan-Politik zufrieden?

                        Der EEAS hat damit begonnen, sich an das aktuelle Umfeld anzupassen.

                        Sie haben Herrn Wu in Brüssel getroffen – was hat er Ihnen gesagt und was war seine Botschaft an die EU?

                        Es war ein zukunftsweisendes Treffen, das sich auf die im Taiwan-Bericht des Europäischen Parlaments skizzierten Themen konzentrierte: Stärkung der Handelsbeziehungen, Taiwans Beteiligung an internationalen Organisationen, akademischer Austausch und Sicherheit in der Taiwanstraße. Außenminister Wu forderte eine Zusammenarbeit bei der weiteren Vertiefung der Beziehungen, einschließlich der Aufnahme von Verhandlungen über ein Investitionsabkommen.

                        Wie kann die EU Taiwan unterstützen?

                        Die Empfehlung des Europäischen Parlaments zu den politischen Beziehungen und der Zusammenarbeit zwischen der EU und Taiwan enthält viele Beispiele:

                        • Den Beginn einer Folgenabschätzung, öffentlichen Konsultation und einer Scoping-Übung zu einem bilateralen Investitionsabkommen (BIA) mit Taiwan.
                        • Die EU muss Chinas Handeln auf das Schärfste verurteilen und betonen, dass Chinas Vorgehen gegen Taiwan Konsequenzen für die Beziehungen zwischen der EU und China haben wird.
                        • Die EU muss sich trotz des chinesischen Drucks nachdrücklich für eine sinnvolle Teilnahme Taiwans als Beobachter an Sitzungen, Mechanismen und Aktivitäten internationaler Gremien, einschließlich der WHO, einsetzen.

                        Die INGE-Delegation ist nach Taipeh gereist, um sich über Desinformation und Cyber-Angriffe zu informieren. Sind bereits konkrete Projekte zwischen der EU und Taiwan geplant?

                        Beide Seiten untersuchen Wege der Partnerschaft, einschließlich der möglichen Schaffung eines gemeinsamen Zentrums für Desinformation in Taipeh.

                        Die EU-Kommission hält sich in der offiziellen Kommunikation an die “Ein-China-Politik”. Glauben Sie, das muss sich ändern? Braucht die EU einen härteren Tonfall, wenn es um Taiwan geht?

                        Sowohl die Mitgliedstaaten als auch die EU-Institutionen haben damit begonnen, sich an die Entwicklungen im Indo-Pazifik anzupassen. Vorreiter sind Mitgliedstaaten wie Litauen und die Tschechische Republik.

                        Welche Reaktion haben Sie von der EU-Kommission auf Ihren Taiwan-Bericht erhalten?

                        Die Reaktion wurde während der Plenarsitzung im Oktober von EU-Vizepräsidentin Margrethe Vestager im Namen des EU-Außenbeauftragten Borrell mitgeteilt. Diese war sehr positiv. Beispielsweise sagte sie, dass die Europäische Union ein Interesse an der Verbesserung der Beziehungen und der Zusammenarbeit mit Taiwan hat. Außerdem sollen ihrer Antwort zufolge die Handels- und Investitionsbeziehungen mit “diesem wichtigen Partner und Technologieführer” vertieft verfolgt werden.

                        INGE-Delegationsführer Glucksmann sagte in Taipeh, dass hochrangige Treffen zwischen EU und Taiwan erforderlich sind – glauben Sie, dass es in naher Zukunft mehrere Treffen geben wird?

                        Angesichts gemeinsamer Interessen in wichtigen Bereichen, wie Halbleiter, Handel, Cybersicherheit, wäre es ratsam, das zu tun.

                        Was könnte die EU in Taiwan besonders interessieren?

                        Kooperationen im Bereich Cybersicherheit und Halbleiter sind interessant. Taiwan ist aber auch für die internationale Gemeinschaft wertvoll. Taiwan hatte als Erster die Weltgesundheitsorganisation über eine mögliche Mensch-zu-Mensch-Übertragung von Corona informiert, während die KP Chinas solche Behauptungen weitere drei Wochen lang zurückwies.

                        In Ihrem Bericht wird auch aufgefordert, den Namen des European Economic and Trade Office in Taiwan zu ändern – warum ist der Name in diesem Fall so wichtig?

                        Der Bericht fordert die EU-Kommission und den EEAS auf, den Namen des Europäischen Wirtschafts- und Handelsbüros in Taiwan in “Büro der Europäischen Union in Taiwan” (“European Union Office in Taiwan”) zu ändern, um die große Bandbreite unserer Beziehungen mit der Insel besser widerzuspiegeln.

                        Charlie Weimers (39) ist konservativer Abgeordneter im Europaparlament. Der Schwede war zuletzt federführend für den ersten alleinstehenden Bericht des EU-Parlaments zu den Beziehungen zwischen Brüssel und Taipeh. In dem Papier fordern die EU-Abgeordneten eine engere Zusammenarbeit mit der Insel. Die Fragen beantwortete Reimers schriftlich.

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                          Analyse

                          Gattin des Ex-Interpol-Chefs Meng erhebt schwere Vorwürfe

                          Im Oktober 2018 spielte sich ein Krimi vor den Augen der Weltöffentlichkeit ab. In der Hauptrolle: Meng Hongwei, der damalige Chef der mächtigen internationalen Polizeiorganisation Interpol. Der damals 64-Jährige war der erste Chinese auf diesem Posten. Doch dann verschwand er plötzlich. Über Nacht.

                          Fast 14 Tage suchte seine eigene Behörde nach ihm. Man wusste nur, dass Meng in seine Heimat China gereist war. Dann lüftete Peking das Geheimnis um seinen Verbleib. Das Ministerium für öffentliche Sicherheit teilte mit, dass gegen den Interpol-Chef wegen des Verdachts ermittelt werde, “Bestechungsgelder angenommen” zu haben und in illegale Aktivitäten verwickelt gewesen zu sein. Nach dieser Verlautbarung erhielt Interpol umgehend ein angeblich von Meng aufgesetztes Schreiben, in dem dieser seinen sofortigen Rücktritt erklärte. 

                          Als letztes Lebenszeichen aus China sandte Meng Hongwei seiner Frau Grace Meng noch ein Emoji-Piktogramm mit einem Messer als Botschaft auf ihr Handy. Vielleicht weil er wusste, dass das Spiel aus war.

                          Meng Hongweis Ehefrau kritisiert Interpol und chinesische Regierung

                          Erstmals seit der Festnahme ihres Mannes hat Grace Meng nun der US-Nachrichtenagentur AP ein ausführliches Interview gegeben, in dem sie schwere Vorwürfe sowohl gegen Interpol als auch gegen die chinesische Regierung erhebt. Sie habe seit der letzten SMS vor rund drei Jahren kein Wort mehr von ihrem Mann gehört, sagte sie in dem Gespräch. Auch Schreiben ihrer Anwälte an die chinesischen Behörden seien unbeantwortet geblieben. Sie sei sich nicht einmal sicher, ob ihr Mann noch lebe.

                          Nach offiziellen Angaben war Meng Hongwei im Januar 2020 wegen der Annahme von Bestechungsgeldern in Höhe von mehr als zwei Millionen Dollar zu 13 Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden. Das Gericht erklärte, er habe sich schuldig bekannt und sein Bedauern ausgedrückt. Seine Frau, die Chinas Führung in dem Interview mit AP als “Monster” bezeichnet, hat eigenen Angaben zufolge seither aus dem Gefängnis keinen einzigen Brief von ihrem Mann erhalten. 

                          Die Ehefrau äußerte sich zudem empört darüber, dass Interpol den Rücktritt ihres Mannes einfach so akzeptiert und keine weiteren Nachforschungen unternommen habe. “Kann jemand, der gewaltsam verschwunden ist, aus freiem Willen ein Rücktrittsschreiben verfassen?”, fragt sie. Die Polizeiorganisation und ihre Mitgliedstaaten hätten sich nicht einfach der Version beugen dürfen, die von Peking verbreitet wurde. Die Korruptions-Anschuldigungen gegen ihren Mann seien frei erfunden. Vielmehr sei er ausgeschaltet worden, weil er seine ranghohe Position genutzt habe, um auf Veränderungen hinzuwirken. 

                          Grace Meng sieht Demokratie als Mittel gegen Korruption

                          “Es ist ein Beispiel dafür, wie eine politische Meinungsverschiedenheit in eine kriminelle Angelegenheit verwandelt wird”, sagt Grace Meng. Und weiter: “Das Ausmaß der Korruption in China ist heute sehr ernst. Sie ist allgegenwärtig. Aber es gibt zwei verschiedene Meinungen darüber, wie das Problem gelöst werden kann. Die eine ist die jetzt angewandte Methode. Die andere ist, sich in Richtung einer konstitutionellen Demokratie zu bewegen, um das Problem an der Wurzel zu lösen.” 

                          Grace Meng deutet somit an, dass ihr Mann Opfer eines Machtkampfes wurde. Eine Theorie, die bereits kurz nach dem Verschwinden des ehemaligen Interpol-Chefs von vielen Beobachtern geäußert wurde. Wenn Meng nur korrupt gewesen wäre, hätte Chinas Führung wohl kaum diesen beschämenden Schritt unternommen, und ihren gerade erst an der Spitze von Interpol installierten Mann selbst abgesägt. “Ich denke, es geht um mehr als Korruption”, sagte damals etwa der kritische Historiker Zhang Lifan. “Dahinter steckt ein politischer Machtkampf”. Nach seinen Informationen seien auch andere Vertreter des Polizeiministeriums damals verhaftet worden. 

                          Vielfach wurde darauf verwiesen, dass Meng Hongwei seine Karriere im Pekinger Polizeiministerium gemacht hat. Dieses stand damals noch unter der Führung des später gestürzten und 2015 zu lebenslanger Haft verurteilten Sicherheitschefs Zhou Yongkang, der als gefährlicher Rivale von Staats- und Parteichef Xi Jinping galt. Meng Hongwei, so wurde vermutetet, könnte somit das Opfer einer breiten Aufräumaktion gewesen sein, mit der Xi seine Macht weiter zementieren wollte. 

                          Grace Meng und ihre Familie haben nach ihren Angaben traumatische Jahre hinter sich. Vor allem ihre Kinder würden leiden. “Wenn sie jemanden an die Tür klopfen hören, sehen sie immer nach. Ich weiß, dass sie hoffen, dass die Person, die hereinkommt, ihr Vater sein wird. Aber jedes Mal, wenn sie merken, dass es nicht der Vater ist, senken sie leise den Kopf.” Joern Petring/Gregor Koppenburg 

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                            “Common prosperity” – Chinas Pläne zur Umverteilung

                            Chinas Führung hat den “gemeinsamen Wohlstand” (“Common Prosperity”) zu einem zentralen politischen Ziel der nächsten Jahrzehnte erklärt. Die wachsende Ungleichheit in China beunruhigt die politisch Verantwortlichen: Diese Ungleichheit dürfe nicht zu einer “unüberbrückbaren Kluft” werden, sagt Präsident Xi Jinping. Er mahnt, China müsse eine “Polarisierung der Gesellschaft verhindern, den gemeinsamen Wohlstand fördern” und soziale Stabilität verwirklichen.

                            Zwar ist der Begriff des gemeinsamen Wohlstands nicht neu. Schon Mao Zedong und Deng Xiaoping haben ihn verwendet. Doch Xi könnte das alte Ziel wiederbeleben und damit sein politisches Erbe definieren. Die Konsequenzen des Konzepts “für die chinesische Politik, Gesellschaft und Wirtschaft werden wahrscheinlich weitreichend und lang anhaltend sein“, schreiben die Analysten der Beratungsagentur Trivium China.

                            Die Ungleichheit in China nimmt zu

                            Chinas Wirtschaftswachstum der letzten 40 Jahre hat Millionen Menschen ein besseres Leben ermöglicht. Doch gleichzeitig spaltete sich die einst homogene Gesellschaft zunehmend in Arm und Reich. China hat heute mehr Milliardäre als die USA, das Mutterland des Kapitalismus. Und während die einen ihren Reichtum mit teuren Autos, Gucci-Taschen und Luxusuhren zelebrieren, ist das Aufstiegsversprechen für die große Mehrheit zu einem fernen Traum geworden. Eine Heerschar von “Gig-Workern” schuftet zu geringen Löhnen, beispielsweise als Lieferbote. Ein Teil der Jugend ist desillusioniert und protestiert mit “Nichts-Tun” (China.Table berichtete).

                            Die steigende Ungleichheit zeigt sich auch in Zahlen: Die reichsten zehn Prozent der Chinesen hielten in den frühen 1990er-Jahren gut 40 bis 50 Prozent des gesamten Vermögens. 2019 waren es 70 Prozent. Der als Indikator für Ungleichheit international verwendete Gini-Koeffizient zeigt Einkommensanteile der verschiedenen Bevölkerungsgruppen auf. Liegt der Koeffizient bei null, verdienen alle Bürger das gleiche Einkommen. Liegt er bei eins, konzentriert sich das gesamte Einkommen auf eine einzelne Person. In China liegt der Koeffizient nach Daten des chinesischen Statistikamts bei 0,47. Schon ein Wert von 0,4 gilt als Warnsignal. Hinzu kommt ein massives Gefälle zwischen Stadt und Land. “Städtische Chinesen verdienen ungefähr 2,5-mal so viel wie ihre Mitbürger auf dem Land”, sagt der chinesische Ökonom Li Shi.

                            Bisher gibt es noch keine konkreten Vorgaben, wie das Ziel des “gemeinsamen Wohlstands” erreicht werden soll. Ein Artikel Xis in der Parteizeitschrift Qiushi deutet aber mögliche Inhalte an. Seine Aussagen sind ein Mix aus Hilfe zur Selbsthilfe, Reformen für mehr Chancengleichheit und der Beschränkung von “exzessivem Reichtum“.

                            “Wohlstand und Glück durch harte Arbeit”

                            Xis Artikel verdeutlicht, dass es kaum zu einer radikalen Umverteilung kommen wird. In vielen Passagen steht der Einzelne im Mittelpunkt. Gemeinsamer Wohlstand und Glück entstünden durch “harte Arbeit”, schreibt Xi darin. Größere Aufstiegschancen in die Mittelklasse sollen durch bessere Bildung und Ausbildung erreicht werden. Der Staatschef spricht, ganz wie ein westlicher Kapitalist, vom “Humankapital”, das durch Investitionen erhöht werden soll.

                            Auch solle die “Reform des Systems zur Registrierung von Haushalten vertieft” werden, sagt Xi. Durch eine Reform des rigiden Hukou-Systems aus der Mao-Ära soll die Chancengleichheit von Wanderarbeitern und ihre Kinder verbessert werden. Sie würden einen besseren Zugang zu Bildung und Gesundheitsvorsorge erhalten. Derzeit ist dieser Zugang sehr eingeschränkt und teuer. (China.Table berichtete).

                            Ein Sozialstaat westlichen Vorbilds steht dagegen kaum auf der Agenda Xis. Bis 2035 soll zwar der Zugang zu “grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen” angeglichen sein. Dazu zählen die Verbesserung des Renten- und Gesundheitssystems sowie der Zugang zu einem System der sozialen Mindestsicherung. Auch die hohen Wohnkosten sollen bekämpft werden. Doch gleichzeitig warnt Xi vor “der Falle des Wohlfahrtsdenkens”, die ihm zufolge “Faulheit fördert”.

                            Hohe Einkommen verdammt Xi Jinping nicht per se. Er hält an Dengs Maxime fest, dass einige Chinesen “zuerst reich werden” dürften. Doch die Reichen müssten die Ärmeren unterstützen, auch zu Wohlstand zu kommen. So ermutigt Xi Wohlhabende zum Spenden. “Exzessiv hohe Einkommen” solle der Staat “vernünftig begrenzen”, so Xi. Auch beim Steuersystem könnte es zu Reformen kommen: Xi nennt hier eine Verbesserung der Einkommenssteuern, die Einführung einer Grundsteuer und Anpassungen bei den Verbrauchersteuern als mögliche Lösungen.

                            “Common Prosperity”: Viel Populismus, kaum echte Reformen

                            Das Thema “Common Prosperity” hat unter Wirtschaftsvertretern schon für Unruhe gesorgt. Wohl auch, weil Xis Aussagen im Zusammenhang mit möglichen Wirtschaftsreformen am widersprüchlichsten sind. Einerseits will Xi der “unkontrollierten Expansion des Kapitals entgegentreten” und eine Negativliste für den Marktzugang in sensiblen Sektoren aufstellen. Andererseits will er die “geregelte und gesunde Entwicklung aller Arten des Kapitals erleichtern” und Unternehmertum fördern. Mit solchen Aussagen hält sich Xi viel Spielraum über die zukünftige Ausgestaltung der Wirtschaftspolitik offen.

                            So häufig die Führungskader den Begriff des “gemeinsamen Wohlstands” auch benutzen: Bisher geschah in China wenig, um eine wirksame Umverteilung zu erzielen. Zwar hat die Regierung die Tech-, Immobilien- und Nachhilfe-Sektoren stärker reguliert. Doch vieles davon geschah eher in Kampagnen-Form. Tech-Unternehmen zu gängeln und Milliardäre zu Philanthropie zu drängen, ist viel einfacher als echte Reformen anzuschieben.

                            Eine echte Umverteilung bräuchte jedoch solch tiefere Reformen, ist Mary Gallagher überzeugt. Sie ist Direktorin des Center for Chinese Studies der Universität Michigan. Im Vergleich zu seinem Vorgänger Hu Jintao habe Xi nur sehr wenige echte Veränderungen auf den Weg gebracht. “Die Regierung Xi hat keine neuen Sozialreformen oder Gesetze umgesetzt, die die Aufteilung des Kuchens wesentlich verändern“, schreibt Gallagher. “Seine Pläne für die Grundsteuer wurden eingeschränkt, und die Hukou-Reform scheitert nach wie vor am Widerstand der lokalen Behörden und der Stadtbewohner.”

                            Auch die Ziele eines Pilotprojekts zum gemeinsamen Wohlstand in der Provinz Zhejiang sind bisher sehr vage und wenig ambitioniert. Xi selbst bat in seinem Artikel um Geduld. Bis 2035 solle China “substanzielle Fortschritte” machen, bevor dann bis 2050 der “gemeinsame Wohlstand für alle” erreicht sein werde.

                            Der Fokus des Präsidenten auf dem “gemeinsamen Wohlstand” könnte eine neue Ära in der chinesischen Politik einleiten, sagen die Berater von Trivium China. Xi Jinping könnte damit versuchen, den kommenden Jahrzehnten seinen Stempel aufzudrücken und mit der Reformära Deng Xiaopings zu brechen. Deswegen hält Xi die Inhalte auch noch so vage. So können sich vorerst alle Fraktionen der KP Chinas in dem Konzept wiederfinden. Die “Linken” begeistern sich für die Reduzierung der Ungleichheit, die “Rechten” sind angetan von der “Chancengleichheit” und dem Aufstiegsversprechen durch Fleiß. Was am Ende dabei herauskommt, ist völlig offen.

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                              Pekings komplizierte Beziehung zu Krypto

                              Wer Bitcoins schürfen will, braucht Strom. Kommt dieser vor allem aus der Kohleverbrennung, wird der Bitcoin-Abbau schnell zum Umweltproblem. Chinas Behörden wollen deshalb mit noch mehr Druck gegen Krypto-Mining vorgehen: Die Praxis sei “extrem schädlich” und gefährde die Bemühungen des Landes, seine CO2-Emissionen zu reduzieren, sagte die Sprecherin der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission, Meng Wei, am Dienstag. Institutionen, die verbilligten Strom “missbrauchten”, um Kryptowährungen zu schürfen, müssten mit einer Preiserhöhung rechnen. Nach ihren Anmerkungen fiel der Bitcoin-Preis um mehr als sieben Prozent auf 60.889 US-Dollar, dem niedrigsten Wert seit mehr als einer Woche. Auch die zweitgrößte Digitaldevise Ethereum rutschte am Dienstag um mehr als acht Prozent ab.

                              Die Volksrepublik hatte dem Krypto-Mining eigentlich bereits im September offiziell den Stecker gezogen: Das Schürfen und der Handel mit den digitalen Währungen ist seither praktisch verboten. Illegal wird aber weitergeschürft, weshalb Peking nun nachlegte.

                              China steht dem Wachstumsmarkt unabhängiger Kryptowährungen sehr kritisch gegenüber: Denn dezentral angelegte Kryptowährungen wie Bitcoin entziehen sich der Kontrolle des Staates (China.Table berichtete). Mit den digitalen Währungen wäre es möglich, große Mengen Geld außer Landes zu schaffen und die strengen Kapitalverkehrskontrollen Pekings zu unterlaufen. Diese sind Peking jedoch wichtig, weil die Führung so verhindern kann, dass das Land finanziell ausblutet, wie Russland in den 90er-Jahren.

                              Zudem kann Peking so den Yuan stabil halten. 2017 wurden die Regeln noch einmal verschärft. Seitdem darf jeder Chinese nur maximal umgerechnet 50.000 US-Dollar im Jahr ins Ausland überweisen. Einzelüberweisungen von mehr als 50.000 Yuan (7.200 US-Dollar) müssen gemeldet werden. Davor waren noch 200.000 US-Dollar erlaubt. Diese Regelung wurde zwischenzeitlich vom Bitcoin-Handel unterlaufen – denn China war zeitweise die Heimat des weltgrößten Bitcoin-Handelsplatzes, BTC China. Das Land verfügte zudem über einige der größten Bitcoin-Minen des Planeten und kam zeitweise auf mehr Bitcoin-Wallet-Downloads als der Rest der Welt zusammen. 

                              Wachstumsmarkt Krypto-Asset-Management

                              So ganz kann aber auch Peking nicht von Krypto lassen – und lässt deshalb chinesische Unternehmen weiter Geschäfte damit machen, allerdings nur über Hongkong. Eines der führenden Unternehmen, das in China entstanden ist und nun weiter am Krypto-Boom teilhaben darf, ist die Huobi Group. Die 2013 von Leon Li, einem Absolventen der Pekinger Tsinghua-Universität, gegründete Firma, versteht sich als globaler Finanzdienstleister für digitale Vermögenswerte. Registriert ist Huobi auf den Seychellen. Im Jahr 2018 wurde das Unternehmen an der Börse in Hongkong notiert, nachdem es 74 Prozent am Hongkonger Elektronikhersteller Pantronics Holdings erworben hatte.  

                              Heute unterhält die Gruppe Niederlassungen in den Vereinigten Staaten, Japan und Südkorea. Huobi betreibt auch eine eigene Krypto-Börse, Huobi Global, die eine eigene Kryptowährung, den Huobi Token, anbietet. Nach dem kompletten Krypto-Verbot, verkündete Huobi jedoch, keine Kunden mehr auf dem chinesischen Festland bedienen zu wollen. 

                              Huobi konzentriert sich heute vor allem auf das globale Asset-Management von Kryptowährungen, also blockchainbasierte Dienstleistungen wie Treuhandgeschäfte, Kapitalmanagement und Krypto-Verwahrung. Aber auch in Bereichen wie Bildung, Marktforschung und Inkubation ist das Unternehmen laut eigenen Angaben tätig. “Wir fungieren als Brücke zwischen der traditionellen Finanzwelt und der Welt der virtuellen Vermögenswerte”, erklärt Lily Zhang, Chief Financial Officer von Huobi Tech.

                              Es handelt sich hier auch ohne den chinesischen Heimatmarkt um ein attraktives Geschäftsfeld. Der Markt für Krypto-Asset-Management hatte im Jahr 2020 ein Volumen von rund 670 Millionen US-Dollar und könnte laut den Analysten von Allied Market Research bis 2030 auf 9,36 Milliarden US-Dollar anwachsen. 

                              Im August 2020 erhielt Huobi von Hongkongs Marktaufsicht SFC die Genehmigung, Beratungen zu Wertpapieren und Vermögensverwaltung durchzuführen. Im vergangenen Dezember wurde die US-Tochtergesellschaft von Huobi Tech, Huobi Trust US, von der Financial Institutions Division des Nevada Department of Business and Industry lizenziert.

                              Dieses Jahr veröffentlichte das Unternehmen ein Krypto-Asset-Management-Portfolio über die Tochtergesellschaft Huobi Asset Management. Das Angebot umfasst Bitcoin- und Ethereum-Tracker-Fonds sowie einen Multi-Asset-Fonds, der eine Kombination verschiedener Anlageklassen beinhaltet, darunter Aktien, festverzinsliche Wertpapiere und Krypto-Assets.

                              NFT als Türöffner für die breite Masse

                              Die Huobi Group hat zudem am 1. November einen eigenen Marktplatz für Non-Fungible Tokens (NFTs) eröffnet. Ein NFT ist ein Echtheitszertifikat für jede digitale Datei. Wer ein NFT kauft, kauft einen Token, beziehungsweise ein Objekt, das damit verknüpft ist. Das kann digitale Kunst sein, digitale Sammelkarten, Musik oder virtuelles Land, zum Beispiel innerhalb eines Computerspiels.

                              Das NFT ist auf der Blockchain gespeichert und somit einzigartig authentifiziert und fälschungssicher. Im 1. Quartal des Jahres 2021 wurden bereits zehn Prozent des weltweiten Umsatzes im Kunstmarkt über NFTs erzielt. Im ersten Halbjahr 2021 wurden weltweit NFTs in Höhe von 2,5 Milliarden US-Dollar umgesetzt. “NFTs haben die Augen der Öffentlichkeit für die große Bandbreite an verfügbaren Blockchain-Anwendungen geöffnet”, erklärt Jeff Mei, Direktor der Strategieabteilung bei Huobi. “Das Konzept der NFTs als unveränderlicher Eigentumsnachweis ist äußerst kraftvoll, daher sind wir gespannt, wohin uns dieser NFT-Marktplatz führen wird.”

                              Das Beispiel Huobi zeigt einmal mehr, dass China nicht auf den Finanzplatz Hongkong verzichten kann, weil es sich nicht von internationalen Entwicklungen abhängen lassen will – und diese Geschäfte sind in China nur in Hongkong möglich.

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                                China stuft diplomatische Beziehungen zu Litauen herab

                                China hat seine diplomatischen Beziehungen zu dem EU-Land Litauen herabgestuft. Die Beziehungen würden auf die Geschäftsträger-Ebene heruntergefahren, um Chinas “Souveränität und die grundlegenden Normen der internationalen Beziehungen zu bewahren”, teilte das Außenministerium am Sonntag in Peking mit. Geschäftsträger werden in der diplomatischen Rangordnung unter Botschaftern eingeordnet. Hintergrund ist die Eröffnung eines “Taiwan Vertretungsbüro” in Vilnius am vergangenen Donnerstag (China.Table berichtete).

                                Litauen bedauerte den Schritt. Ministerpräsidentin Ingrida Simonyte betonte aber am Sonntag, Taiwans Repräsentanz habe keinen offiziellen diplomatischen Status. Die Eröffnung hätte niemanden überraschen dürfen. Dass Litauen seine wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zu Taiwan intensivieren wolle, sei im Regierungsprogramm angekündigt worden.

                                Dennoch hatte China aus Protest bereits seinen Botschafter abgezogen, als Litauen im Juli Taiwan die Erlaubnis erteilte, in Vilnius eine Vertretung unter eigenem Namen zu führen. Außerdem stoppte China damals den Schienen-Frachtverkehr nach Litauen und erteilte dem Land fortan keine Einfuhrgenehmigungen mehr für Lebensmittel (China.Table berichtete). China sieht Taiwan als abtrünnige Provinz.

                                Taiwans weltweite Vertretungen haben bislang einen eher informellen Status und werden als Wirtschafts- oder Kulturbüros von Taipeh bezeichnet. Dass es nun zwischen Litauen und Taiwan diplomatische Annäherungen gibt, verärgert Peking darum sehr. Die Annäherung ist auch ein Signal, wie wenig Erfolg China in seiner Osteuropapolitik bisher verbuchen kann. Unter dem sogenannten 17+1 Format, in dem Peking mit den Ländern in Mittel- und Osteuropa die Zusammenarbeit ausbauen wollte, gibt es immer mehr Kritik an Chinas Politik. Vor allem Chinas Umgang mit der Minderheit der Uiguren im Land, Pekings Vorgehen gegen Demokratieaktivisten in Hongkong und Chinas Impfdiplomatie stoßen in den Ländern auf Ablehnung. niw/ck

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                                  Great Wall Motor eröffnet Zentrale in München

                                  Der Autokonzern Great Wall Motor (GWM) hat in München seine neue Europazentrale eröffnet. Damit werde die Stadt zum zentralen Standort für den kontinentaleuropäischen Markt, teilte das Unternehmen mit. “Als einer der erfolgreichsten Automobilhersteller Chinas haben wir bereits in vielen internationalen Märkten erfolgreich Fuß gefasst. Der Start in Europa ist ein wichtiger Meilenstein für Great Wall Motor. Wir haben auch für diesen Markt ehrgeizige Ziele, sagte GWM-Chef Qiao Xianghua. In der Zentrale in der bayerischen Landeshauptstadt sollen ab dem kommenden Jahr rund 300 Angestellte arbeiten.

                                  Den Kunden gegenüber will GWM mit den beiden Automarken Wey und Ora auftreten (China.Table berichtete). Diese hatte der Konzern im September auf der IAA präsentiert. Beide Marken sollen vor allem durch ihre Nutzerorientierung überzeugen. Für Ora und Wey ist je eine App geplant, mit der die Nutzer mit der Marke und ihren Produkten interagieren können. Man wolle ein “Lifestyle-Ökosystem für europäische Nutzer”, das unter anderem einen Ladeservice und einen Wartungs- und Reparaturservice umfasse, teilte GWM mit. “Wir wollen das Auto zu einem emotionalen, intelligenten und bequemen dritten mobilen Raum machen”, sagt Qiao. Die Vernetzung von Fahrzeugen und mobilen Endgeräten wird zunehmend wichtiger (China.Table berichtete). ari

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                                    Xi bei Asean-Gipfel: China strebt keine Hegemonie an

                                    Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hat abermals beteuert, keine Machtpolitik zu betreiben. Die Volksrepublik wolle mit seinen Nachbarn friedlich auskommen, suche niemals Vorherrschaft und schikaniere als großes Land auch nicht kleinere Staaten, versicherte Xi am Montag bei einem virtuellen Treffen mit den Staats- und Regierungschefs der Asean-Staaten. China war, ist und wird immer ein guter Nachbar, guter Freund und guter Partner der Asean sein”, zitierten chinesische Staatsmedien Xi. Anlass für den Gipfel war der 30. Jahrestag der Kooperation Chinas mit dem Staatenverbund.

                                    Xi sagte Medienberichten zufolge, dass China und die Asean-Staaten “die Düsternis des Kalten Krieges abgelegt haben” und gemeinsam die regionale Stabilität aufrechterhalten würden. Xis Rede vorausgegangen waren etliche Auseinandersetzungen Chinas mit den Asean-Mitgliedern Philippinen, Malaysia und Vietnam in Seegebieten, in denen Chinas Territorialansprüche mit denen der Nachbarländer kollidieren. Xi geht mit seiner Rede also auf konkrete Ängste seiner südlichen Nachbarn ein.

                                    Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte betonte den Berichten zufolge, dass er die Auseinandersetzung “verabscheue” und Rechtsstaatlichkeit der einzige Ausweg sei. Duterte verwies auf das internationale Schiedsurteil aus dem Jahr 2016. In diesem in wurde festgestellt, dass Chinas maritimer Anspruch keine Rechtsgrundlage habe. Peking ignoriert den Beschluss allerdings. Das sieht nicht gut aus für die Beziehungen zwischen unseren Nationen, sagte Duterte in Richtung Chinas. Die Philippinen hatten vergangene Woche den Einsatz von drei chinesischen Küstenwachschiffen verurteilt. Diese sollen Wasserwerfer gegen philippinische Nachschubboote gebraucht haben.

                                    Eigentlich gilt Duterte als China-freundlich, seit seiner Amtsübernahme 2016 suchte der umstrittene Staatschef in der Hoffnung auf Investitionen und Handelsgeschäfte immer wieder den Schulterschluss mit Peking. In seiner Rede versprach Xi den Asean-Staaten zudem 1,5 Milliarden US-Dollar Entwicklungshilfe über drei Jahre, um die Pandemie zu bekämpfen und ihre Volkswirtschaften wieder in Schwung zu bringen. China wolle außerdem 150 Millionen Impfdosen spenden. ari

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                                      Bundesbank warnt vor Folgen einer Immobilienkrise

                                      Eine schwere Immobilienkrise in China würde auch die deutsche Wirtschaft treffen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der Bundesbank. Eine entsprechende Simulation zeige, dass von einer solchen Krise spürbare realwirtschaftliche Effekte auf Deutschland und andere Länder ausgehen könnten, schreibt die Bundesbank in ihrem am Montag veröffentlichten Monatsbericht November (Seite 14).

                                      Chinas Import würde der Simulation zufolge um ein Fünftel sinken. Der Exporteur Deutschland könnte das deutlich zu spüren bekommen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) würde allein durch die sinkende Nachfrage aus China um 0,6 Prozent zurückgehen. Die Autoren weisen aber darauf hin, dass ihr Modell die Auswirkungen vermutlich unterschätzt. Schließlich wirken die Ereignisse in China auch auf alle anderen Handelspartner Deutschlands, die dann vermutlich ebenfalls weniger bestellen. “Für einige Volkswirtschaften mit einer höheren Handelsabhängigkeit von China fallen die BIP-Verluste noch größer aus”, heißt es im Bericht. Für Japan liegen die BIP-Einbußen in dem Modell bei fast ein Prozent, für Südkorea sogar bei mehr als zwei Prozent. Für Australien lägen sie bei rund 1,6 Prozent.

                                      In ihrem Szenario orientiert sich die Bundesbank an der Immobilienkrise in den USA zwischen 2006 und 2009. Sie geht unter anderem von einer Halbierung der Wohnungsbauinvestitionen in China aus. Zudem nimmt sie an, dass die chinesischen Häuserpreise um ein Fünftel sinken.

                                      Die Zahlungsschwierigkeiten des chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande hatten zuletzt Befürchtungen vor einer Immobilienkrise in China ausgelöst. Zuletzt hatte sich der Konzern mit überraschenden Zinsrückzahlungen wieder etwas Zeit verschafft (China.Table berichtete). rad

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                                        BYD liefert Elektrobusse an Deutsche Bahn

                                        Der chinesische Technologiekonzern Build Your Dreams (BYD) hat Elektrobusse an die Deutsche Bahn AG in Deutschland geliefert. Die Übergabe der fünf elektrischen 12-Meter-Busse habe in Ettlingen bei Karlsruhe stattgefunden, wie BYD am Montag mitteilte. DB hatte mit BYD im März 2021 einen Rahmenvertrag über die Einführung von Elektrobussen im Jahr 2021 und darüber hinaus geschlossen. Die Elektrobusse wurden von Oosterhoud in den Niederlanden bis zum Zielort gefahren. Sie sollen im Landkreis Karlsruhe eingesetzt werden. Eine Ladung der 422-KWh-Batterie soll BYD zufolge eine Reichweite von rund 400 Kilometern haben. ari

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                                          Warum sinkt Chinas Wachstumsrate so schnell?

                                          von Shang-Jin Wei
                                          Shang-Jin Wei über Chinas Wirtschaft und warum das Wachstum wegen der Covid-Politik nachlässt.
                                          Professor für Finanzen und Wirtschaft an der Columbia Business School und der School of International and Public Affairs der Columbia University.

                                          Anfang 2021 lag die Prognose unter 25 großen internationalen Banken und anderen professionellen Analysten für das chinesische BIP-Wachstum in diesem Jahr bei 8,3 Prozent. Im Gegensatz dazu lag das Wachstumsziel der chinesischen Regierung bei rund sechs Prozent. Wusste die Regierung etwas, das Außenstehende übersehen hatten? Hatte sie vor, etwas zu tun, das sie für wünschenswert hält – obwohl es das Wachstum beeinträchtigen könnte?

                                          Da sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt hat, haben internationale Banken vor kurzem ihre Wachstumsprognosen für China für das Gesamtjahr nach unten korrigiert. Im dritten Quartal betrug das Wachstum nur noch 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr, nach 18,3 beziehungsweise 7,9 Prozent in den ersten beiden Quartalen. Das hohe Wachstum im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr ist größtenteils auf das negative Wachstum im ersten Quartal 2020 zurückzuführen, das durch pandemiebedingte Schließungen verursacht wurde. Das niedrige Wachstum im dritten Quartal gibt Anlass zur Sorge über die Wachstumsaussichten im vierten Quartal und im nächsten Jahr.

                                          Ein Teil des Wachstumsrückgangs ist auf Chinas Null-Toleranz-Politik gegenüber Covid-19 zurückzuführen, die häufigere Abriegelungen als in den meisten anderen Ländern vorsieht. Eine Flut lokaler Covid-Ausbrüche im Sommer hat in mehreren chinesischen Städten zu Schließungen oder Reisebeschränkungen geführt. Diese haben nicht nur das Produktionsvolumen reduziert, sondern auch viele Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor stark beeinträchtigt, gerade als der Tourismus zu boomen begann.

                                          Doch die Pandemie ist nicht der einzige Faktor für die Verlangsamung. Auch die grüne Industriepolitik der Regierung, die strengere Regulierung des Immobiliensektors und auf schwarze Listen gesetzte Online-Plattformen haben das Wachstum gebremst.

                                          Nach ihrer Zusage, den Anstieg der CO2-Emissionen in China vor 2030 zu stoppen und bis 2060 eine Netto-Null-Emission zu erreichen, hat die Regierung die Stromerzeugung in Kohlekraftwerken energisch und oft abrupt reduziert, manchmal um bis zu 20 Prozent. Die daraus resultierenden Stromausfälle unterbrachen die Produktion in den betroffenen Fabriken.

                                          Neue Regeln “Drei rote Linien” wurden verschärft

                                          Darüber hinaus legt die im August 2020 eingeführte und in diesem Jahr verschärfte Politik der “drei roten Linien” Obergrenzen für den Verschuldungsgrad von Bauträgern, den Verschuldungsgrad im Verhältnis zum Fremdkapital, zum Eigenkapital und zur Liquidität fest. Da viele dieser Unternehmen eine oder mehrere der roten Linien nicht einhalten konnten, und Banken und Kapitalmärkte zögern neue Finanzmittel bereitzustellen, müssen sie Vermögenswerte verkaufen, ihre Geschäftstätigkeit reduzieren oder beides.

                                          Evergrande ist vielleicht der bekannteste chinesische Immobilienentwickler, der in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist. Aber er ist nicht der einzige. Darüber hinaus kann ein Abschwung im Immobiliensektor leicht auf Branchen wie Stahl, Zement, Haushaltsgeräte und Möbel übergreifen.

                                          Und schließlich haben die Entscheidungen der Behörden, Online-Bildungsunternehmen auf eine schwarze Liste zu setzen, die Kartellvorschriften zu verschärfen und ein weit gefasstes Datenschutzgesetz zu erlassen, dazu beigetragen, dass sich die Aktienkurse vieler börsennotierter Unternehmen der digitalen Wirtschaft in den letzten zwölf Monaten halbiert haben. Und die sinkenden Aktienbewertungen sind nur die Spitze des Eisbergs, denn viele Digitalfirmen und ihre Zulieferer mussten ihre Ambitionen und Pläne zurückschrauben. Hunderte von Online-Bildungsanbietern haben aufgegeben und ihre Mitarbeiter entlassen.

                                          Die Ziele der Maßnahmen sind vernünftig, aber die Art und Weise, wie sie umgesetzt werden, verschlimmert ihre wirtschaftlichen Kosten. Eine Null-Covid-Strategie war in der Vor-Impf-Phase der Pandemie wohl vernünftig und verhalf China im letzten Jahr zu einer positiven Wirtschaftswachstumsrate. Da jedoch immer wieder neue Varianten auftauchen, werden alle Länder letztendlich lernen müssen, mit dem Coronavirus zu leben. Glücklicherweise werden die Kosten dafür immer überschaubarer, da die Impfquoten und die natürliche Immunität steigen.

                                          Wenn China seine starken Durchführungskapazitäten nutzen will, dann scheint eine allgemeine Covid-19-Impfpflicht durchaus gerechtfertigt zu sein (da Impfverweigerer letztendlich anderen schaden könnten). Andererseits sind regelmäßige Abriegelungen und Grenzschließungen äußerst störend für die Wirtschaft und das Leben der Menschen und keine nachhaltige Strategie in der Pandemiephase nach der Impfung.

                                          Klima – Kosten für Strukturwandel minimieren

                                          Was die grüne Industriepolitik betrifft, so ist die Stromerzeugung der kohlenstoffintensivste Sektor in China. Auf ihn entfallen etwa 40 Prozent der energieverbrauchsbedingten Emissionen des Landes. Die Verringerung der Abhängigkeit von der Kohleverstromung ist daher ein wertvoller Beitrag zu den nationalen und globalen Bemühungen um eine Verringerung der Emissionen. Es gibt jedoch verschiedene Möglichkeiten, den Wandel zu bewältigen.

                                          Chinas eigene Erfahrungen mit Wirtschaftsreformen deuten darauf hin, dass der Einsatz von Preissignalen und Marktkräften die Kosten des Strukturwandels tendenziell minimiert. Insbesondere könnte die Anhebung des chinesischen Kohlenstoffpreises auf ein ausreichend hohes Niveau und die Ankündigung eines vorhersehbaren Preispfades mit ausreichender Vorlaufzeit die Stromerzeuger und -verbraucher in die Lage versetzen, sich besser anzupassen und zurechtzufinden. Auf diese Weise würde die gleiche Menge an Emissionsreduzierungen mit einem wesentlich geringeren Verzicht auf BIP-Wachstum erreicht. Ein solcher Ansatz wäre auch weniger störend für die chinesischen Haushalte – einschließlich vieler Haushalte im Nordosten des Landes, die sich vor einem kalten Winter Sorgen um Heizung und Stromversorgung machen könnten.

                                          Immobiliensektor nicht komplett abwürgen

                                          Ebenso ist die Eindämmung des spekulativen Preisanstiegs bei Immobilien zwar ein wünschenswertes Ziel. Aber eine Beschränkung der Immobilienentwicklung trägt nicht unbedingt dazu bei, dieses Ziel zu erreichen. Angesichts der Tatsache, dass etwa 30 Prozent der chinesischen Wirtschaft mit dem Immobilien- und Bausektor steigt und fällt, könnte ein alternativer Weg die Anpassungsschmerzen abfedern. Die Förderung von erschwinglichem Wohnraum für einkommensschwache Familien und Zuwanderer aus ländlichen Gebieten könnte zum Beispiel die Nachfrage nach Möbeln, Haushaltsgeräten, Stahl und Zement ausgleichen.

                                          Die Einschränkung von außerschulischen Lernprogrammen kann Kindern Zeit für Aktivitäten verschaffen, die Kreativität und sportliche Fähigkeiten fördern, und die finanzielle Belastung für Familien verringern, die sich bisher gezwungen sahen, Online-Bildungsinhalte für ihre Kinder zu kaufen. Es gibt also eine lobenswerte soziale Begründung für die neue Verordnung. Ihre relativ plötzliche Umsetzung schmälert jedoch nicht nur die Gewinne, die Aktienkurse und die Beschäftigung von Online-Bildungsunternehmen, sondern verdeutlicht auch das Risiko abrupter politischer Änderungen in anderen Sektoren, die sich auf die allgemeine Anlegerstimmung auswirken.

                                          China kann das Vertrauen der Investoren wiederherstellen und zu seiner potenziellen Wachstumsrate zurückkehren. Um dies zu erreichen, wird das Land von Reformen profitieren, die sich darauf auswirken, wie neue Vorschriften und Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung diskutiert, geprüft und umgesetzt werden.

                                          Shang-Jin Wei, der ehemalige Chefvolkswirt der Asiatischen Entwicklungsbank, ist Professor für Finanzen und Wirtschaft an der Columbia Business School und der School of International and Public Affairs der Columbia University. Übersetzung: Andreas Hubig.

                                          Copyright: Project Syndicate, 2021.
                                          www.project-syndicate.org

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