es ist nur ein Moment, ein einziger Satz an diesem Donnerstag, aber was haben Worte in der Diplomatie nicht schon alles ausgelöst. “Wir glauben, dass die guten Engel die bösen Kräfte besiegen werden”, sagt Pekings Außenamtssprecherin Hua Chunying und gratuliert Joe Biden zur Amtsübernahme. Die Beziehungen zwischen Amerika und China mögen nun wieder “auf den richtigen Weg” kommen.
Neue Töne, versöhnliche gar? Wohl kaum. Die Weltmächte werden im Widerstreit ihrer Interessen nicht nachgeben. Biden hat längst klar gemacht, dass er die China-Politik seines Vorgängers nicht umzudrehen gedenkt. Und Peking brachte es fertig, nur Sekunden, nachdem der neue US-Präsident am Mittwoch vor dem Capitol die Hand zum Schwur auf die Bibel legte, die Beziehungen mit Sanktionsdrohungen gegen Trumps Außenminister Mike Pompeo anzuheizen.
Nichts Geringeres als “the highest level” an Transparenz hatte Ursula von der Leyen den EU-Parlamentariern zu Beginn ihrer Amtszeit versprochen – gerade, wenn es um Handelsfragen geht. Nun geht es genau darum beim EU-China-Investitionsabkommen CAI.
Doch von der Leyens Kommission lässt nichts mehr vermissen als – Transparenz. Drei Wochen warten die EU-Abgeordneten (und nicht nur sie) auf den Text des Abkommens. Man hätte gern bewertet, wer wen über den Verhandlungstisch zog und was China den Europäern wirklich zugesagt hat. Nun soll das Papier am Freitag veröffentlicht werden, wie Amelie Richter und Marcel Grzanna schreiben. Doch bewerten wird man wenig können. Denn ausgerechnet die detaillierten “Anhänge”, auf die die Fachwelt wartet, werden wohl fehlen.
Das China (wie andere asiatische Länder auch) dem Corona-Virus keine Chance lässt und bei geringsten Anzeichen ganze Städte abriegelt, wissen wir. Frank Sieren geht in Peking und in Shijiazhuang dem Preis nach, den die Betroffenen für diese Strategie bezahlen – gerade jetzt, vor der Reisewelle zum Neujahrsfest.
Ein gesundes Wochenende wünsche ich Ihnen,
Das Investitionsschutzabkommen CAI trägt den Stempel chinesischer Verhandlungskunst. Große Zufriedenheit herrscht deshalb in Peking. “Ausgewogen, hochwertig, gleichermaßen nutzbringend und Win-Win”, lautet dort die offizielle Lesart, die seit Tagen gebetsmühlenartig von Parteifunktionären und Staatsmedien zitiert wird. Und in Europa? Bezweifeln viele Beobachter ein Win-Win. Zwar werden die verbesserten Bedingungen für den Marktzugang europäischer Firmen in China prinzipiell positiv bewertet. Doch zahlreiche Defizite des Deals provozieren in Europa gequältes Lächeln und Kritik.
Im Laufe des heutigen Freitags soll der Text des Abkommens nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden – oder zumindest Teile davon. Denn Brüssel-Beobachter rechnen damit, dass die EU-Kommission die dazugehörigen Anhänge zunächst nicht publizieren wird. In den sogenannten Annexen stehen jedoch entscheidende Details zu den Abmachungen. Derzeit läuft das “legal scrubbing” des gesamten Abkommenstextes: Bei dieser formaljuristischen Prüfung des Papiers können Formulierungen noch geändert werden. Vor allem Vertreter des Europäischen Parlaments drängen darauf, dass auch die Anhänge zeitnah veröffentlicht und übersetzt werden.
Vorboten darauf, dass es das CAI im EU-Parlament – das dem Abkommen zustimmen muss – nicht einfach haben wird, zeigten sich bereits bei der ersten Sitzungswoche des Parlaments nach der Grundsatzeinigung zwischen Brüssel und Peking. In einer fraktionsübergreifenden Resolution zum Vorgehen Chinas in Hongkong bedauern die EU-Abgeordneten eine “überstürzte Einigung” in dem Deal und dass die problematische Menschenrechtslage in Hongkong, der Provinz Xinjiang und Tibet darin nicht ausreichend widergespiegelt sei. “Die EU riskiert ihre Glaubwürdigkeit als globaler Menschenrechtsakteur”, heißt es in dem Absatz, der dem Entschließungsantrag noch im Laufe dieser Woche beigefügt wurde. EU-Kommissarin Helena Dalli, zuständig für Gleichheitspolitik, kündigte bei der Debatte zu Hongkong am Donnerstag im Plenum an, dass das Thema auch auf der Agenda des EU-Außenministertreffens am kommenden Montag stehe.
Und im Europaparlament ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen: Sobald die fertigen Vertragstexte in den Ausschüssen des EU-Parlaments vorlägen, prüften die Parlamentarier genau, welche Kontroll- und Sanktionsmechanismen vorhanden seien, damit “die Bekenntnisse Chinas auch tatsächlich zu einer Verbesserung der Lebensumstände” von Arbeitern und Arbeiterinnen im Land führen, sagte die Vize-Vorsitzende der China-Delegation des Europäischen Parlaments, Evelyne Gebhardt, China.Table. “Kooperation ja, aber nicht um jeden Preis”, betonte die SPD-Politikerin. Auch in den geschlossenen Fraktionssitzungen der politischen Gruppen des EU-Parlaments gab es überwiegend Kritik an dem Abkommen, wie Teilnehmer berichten.
Das Abkommen ist das Ergebnis eines siebenjährigen Tauziehens, währenddessen die Chinesen geschickt ihre Trümpfe ausspielten, um als Gewinner aus den Verhandlungen hervorzugehen. Vom “größten Weihnachtsgeschenk” an Peking spricht Noah Barkin vom German Marshall Fund, einer unabhängigen US-Stiftung zur Förderung transatlantischer Beziehungen.
“Einerseits positiv, in anderen Aspekten enttäuschend”, heißt es aus Wirtschaftskreisen. Zwar gibt es mehr Marktzugang in Branchen wie der Telekommunikation, Gesundheit oder Biotechnologie und die Zusage, dass die Unterstützung für staatliche Unternehmen in China künftig transparenter abläuft. Doch an öffentlichen Ausschreibungen dürfen die Europäer weiterhin nicht teilnehmen, geistiges Eigentum wird nicht besser geschützt als vorher, und die Aussagen zum Schutz von Arbeitern in China sind mehr als schwammig. Zudem seien manche Zugeständnisse für den Marktzugang in Branchen wie der Elektromobilität oder der Finanzindustrie nicht neu, sondern alte Zusagen, die lediglich neu verpackt wurden.
“Ein schlechter Deal ist besser als kein Deal. Die Kritiker sollen sich selbst einmal in diesen Schützengraben legen, wenn es um Verhandlungen mit Chinesen geht”, sagt ein Industrievertreter, der die Verhandlungen über den gesamten Zeitraum begleitet hat. Der Schützengraben steht sinnbildlich für die große Herausforderung, die Verhandlungen mit einem wirtschaftlich robust durch das Corona-Jahr navigierten China bedeuten. Als einzige große Weltwirtschaft vermeldete die Volksrepublik eine wachsende Konjunktur.
Der taiwanische Verhandlungsforscher Liu Birong veröffentlichte 2008 einen Ratgeber mit dem Titel “Die Hohe Schule der Kriegskunst bei Geschäftsverhandlungen”. Übersetzt wurde das Werk ins Deutsche von dem Sinologen Florian Mehring. “Die chinesische Seite hat bei den Verhandlungen mit den Europäern große Geschlossenheit gezeigt und sich damit einen entscheidenden Vorteil verschafft”, sagt Mehring. Während Europa unter Druck gestanden habe, viele Interessen aus den eigenen Reihen zu berücksichtigen, habe Chinas Führung seine Interessen einheitlich verfolgen können.
Mit Zugeständnissen, von denen sich einige wohl als wenig schmerzhaft für China herausstellen dürften, bewegten die Chinesen die Europäer ihrerseits dazu, ihnen die Bühne zu bereiten für einen geostrategischen Erfolg. Trotz lautstarker Kritik am Verhalten Chinas während des Ausbruchs von Covid-19, der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes in Hongkong und der Inhaftierung Hunderttausender Uiguren in sogenannten Umerziehungslagern stärkte Peking seine Position als globale Wirtschaftsmacht, noch ehe die USA unter ihrem neuen Präsidenten Joe Biden hätten einwirken können. Der Abschluss des Investitionsschutzabkommens war das Tüpfelchen auf dem i für Peking, wo bereits der Abschluss des pazifischen Freihandelsabkommens RCEP mit zahlreichen westlichen Verbündeten als Etappensieg gefeiert werden konnte.
“China präsentiert sich in solchen Verhandlungen mit dem Selbstbewusstsein eines Landes, das sich selbst sagt: Jetzt sind wir an der Reihe”, sagt Verhandlungsforscher Mehring. Das Jahrhundert der Demütigung, angefangen mit dem Opiumkrieg im 19. Jahrhundert bis zum Ende des 2. Weltkrieges und darauffolgend eine jahrzehntelange Rolle als Randfigur im ökonomischen Weltschach, ist in Chinas DNA verankert. “Chinesen sind nachtragend. Die haben die Vergangenheit nicht vergessen. Nach diesen Erfahrungen sind sie extrem misstrauisch”, so Mehring.
Dennoch würden es die Chinesen in solchen Verhandlungen unbedingt vermeiden, das Gegenüber zu demütigen. Auch der Verhandlungspartner soll etwas in der Hand haben, an das er sich klammern kann, auch wenn es weniger ist als man selbst beansprucht.
Es ist aber auch davon auszugehen, dass Peking längst nicht alle Trümpfe ausgespielt hat. Einer davon besorgt die Europäer besonders. Seit Montag gelten in der Volksrepublik neue Regeln für Investitionen aus dem Ausland. Die staatliche Entwicklungskommission NDRC behält sich vor alle Investitionen auf ihre Verträglichkeit mit der nationalen Sicherheit zu prüfen. Ähnliche Mechanismen gibt es zwar auch anderswo in der Welt. Auch in Deutschland, wo seit 2012 eine chinesische Investition vom Bundeswirtschaftsministerium untersagt wurde und sich eine Handvoll weiterer chinesischer Interessenten zurückzogen. Dennoch fürchten Beobachter in Europa, dass hart erarbeitete Zugeständnisse des Investitionsschutzabkommens durch die neuen Regeln entwertet werden. Marcel Grzanna/Amelie Richter
22.01.2021, 10:00 Uhr
Vortragsreihe, China Center TU Berlin A decline in Chinese investment into Europe? European Speaker: Margot Schüller Mehr
22.01.2021, 13:00 Uhr
Vortrag, FU Berlin Casting ancient nets: Chinese grid-style social management during the Covid-19 pandemic. Mehr
25.01.2021, 18:00 Uhr
Vortrag, SOAS; University of London Comparisons of a New Sino-US Cold War with the old Soviet (Sino-)US Cold War Mehr
26.01.2021, 19:00-21:00 Uhr
Vortrag, Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW China – Die neue Nummer Eins? Anmeldung
In Chinas Häfen herrscht Mangel an Containern – mit erheblichen Folgen für den deutschen Handel. “Die Situation wird für einige Importeure noch enormen wirtschaftlichen Schäden führen”, sagt Guido Hogenkamp von der Deutschen Im- und Exportgesellschaft in Bocholt (DIG). Das Unternehmen führt unter anderem Gartenmöbel und Küchengeräte aus Fernost ein. Wie jedes knappe Gut werden Transportkapazitäten von China nach Europa nun teurer. “Eine Erhöhung der Frachtraten um das Fünffache können sich nicht alle leisten”, so Hogenkamp.
Wer bei den Reedereien nachfragt, erfährt die Hintergründe der Containerknappheit und die steigen Frachtpreise. Niklas Ohling, Leiter des Bereichs Container Steering bei der Reederei Hapag-Lloyd in Hamburg, sieht die Ursache in der massiv gestiegenen globalen Nachfrage nach Waren aus Asien. Die Reederei habe sogar zahlreiche Schiffe ohne Frachtgut fahren lassen, um ungenutzte Container aus den USA “zu evakuieren und in Asien zu positionieren” – trotz der enormen Kosten, die solche Leerfahrten verursachen.
Das Versandhaus Otto sieht noch weitere Gründe für das Globale Container-Ungleichgewicht. Das Dilemma fing nach Auskunft der Logistik-Abteilung des Hamburger Unternehmens schon nach dem chinesischen Neujahrsfest 2020 an. Das Coronavirus hatte China im Griff, die Arbeiter kehrten nicht in die Fabriken und Verladepunkte zurück. Dadurch legten Containerschiffe mit vielen Wochen Verspätung ab. Kurz danach setzte ein Nachfrageboom aus westlichen Ländern ein. Britische Händler bevorrateten sich kurz vor dem Brexit mit Waren. In Deutschland stieg im Corona-Jahr der Einzelhandelsumsatz um gut fünf Prozent: Die Leute haben sich für das Homeoffice ausgestattet, ihre Wohnungen neu eingerichtet und sich generell im Lockdown mehr Bestellungen gegönnt.
Auch die USA verzeichneten hohe Warennachfrage aus China. “Wir haben einen Anstieg des Warenflusses in die USA um 20 bis 30 Prozent in jedem der Herbstmonate beobachtet”, sagt Peter Tirschwell, Leiter des Forschungsbereichs Schifffahrt und Handel bei dem Analysehaus IHS Markit. “Viele Container stehen nun ungenutzt herum.” Sie warten über das ganze Land verteilt in Logistik-Zentren auf den Weitertransport, der jedoch ausbleibt. “Es herrschen zusätzliche Engpässe durch hohen Krankenstand und strengere Hygienemaßnahmen”, sagt Tirschwell. “Die Be- und Entladung läuft nicht so schnell wie sonst”.
Das führe zu Verspätungen der Schiffe, stellt Lars Jensen fest, der Gründer des Branchenbeobachters SeaIntelligence aus Kopenhagen. Mitte Dezember seien daher rund eine halbe Million Standardcontainer weniger in Asien vorhanden gewesen als üblich. “Eine aggressive Rückführungsstrategie und Neubestellungen hätte dazu führen sollen, dass sich der Bestand bis Ende Januar normalisiert”, so Jensen. Da die Warennachfrage jedoch weiter hoch sei, könne sich das Ungleichgewicht auf eine Million Container erhöhen. Exakte Daten dazu werden zwar erst im März verfügbar, doch derzeit sehe es so aus, als lasse der Ausgleich noch auf sich warten. “Der Zustand wird vermutlich noch die ersten Monate des Jahres anhalten”, glaubt auch Ohling von Hapag-Lloyd.
Die Ökonomin Serena Zhou von dem Finanzhaus Mizuho Securities in Hongkong sieht in Containermangel sogar die aktuelle Obergrenze für den chinesischen Export, der einen ordentlichen Teil zum Wachstum des Landes beiträgt. Kein Wunder, dass die weltweite Branchenvereinigung World Shipping Council verspricht: “Unsere Ozeanriesen kämpfen gegen den Covid-Fracht-Engpass”. Um die “nie dagewesenen Störungen der Lieferkette” aufzulösen setze die Branche alle Hebel in Bewegung. Die Reeder teilen sich bereits über Konkurrenz-Grenzen hinweg die Schiffe, um die Kapazität ganz auszulasten. Auf Englisch kursiert bereits die griffige Phrase vom “Covid Cargo Crunch“.
Der nächste Meilenstein für die Branche ist nun das chinesische Neujahrsfest 2021 am 12. Februar. “Üblicherweise nimmt die Nachfrage nach Containern dann wieder ab“, sagt Ohling. China macht in seiner eigenen Feiertags-Saison zwei Wochen Pause, die Fabriken stehen still. Dementsprechend sinkt der Export. Die Container, die in der Vorweihnachtszeit in die westlichen Länder gewandert sind, haben Zeit, nach Asien zurückzukehren. “Doch in diesem Jahr könnte dieser Effekt schwächer ausfallen.” Durch die Pandemie sei Produktion nachzuholen und zahlreiche Händler wollen ihre leeren Lager auffüllen. Deutsche Händler wie Notebooksbilliger.de konnten vor Weihnachten kaum noch Laptops liefern, weil ihre Bestände fast aufgebraucht waren.
Vermutlich werden die Preise erst in der zweiten Jahreshälfte wieder fallen, sagen Experten wie Jensen und Tirschwell. Aus Sicht des Versandhauses Otto beeinflussen die höheren Frachtraten die Margen für verschiedene Warengruppen sehr unterschiedlich. Für die 20.000 T-Shirts, die in einen Container passen, macht eine Verdreifachung des Transportanteils an den Kosten pro Stück keinen so großen Unterschied. Wenn sich jedoch nur wenige Teile einer günstig angebotenen, aber klobigen Ware im Container befinden, dann wirkt sich das empfindlich aus. Und im Wettbewerb lassen sich solche unerwarteten Erhöhungen kaum an die Kunden weitergeben. Otto selbst habe Frachtkapazitäten zwar langfristig fest gebucht – doch das nützt auch nichts, wenn die Fahrten gar nicht stattfinden.
Die Kosten für den Transport einer Containerladung zu einem gegebenen Zeitpunkt hängen von Angebot und Nachfrage ab. Es lässt sich also kein “aktueller” Preis nennen, dafür gibt es aber einen für jeden Punkt in näheren Zukunft. Die Preisfindung findet an entsprechenden Börsen statt, beispielsweise der Baltic Exchange in London. Der entsprechende Index FBX ist allein im Dezember um 38 Prozent gestiegen und liegt derzeit bei einem neuen Hochstand von etwas über 4000 Dollar pro Vierzig-Fuß-Container. Als normal gelten Werte um 1300 Dollar. Der FBX berechnet das Durchschnittsgebot für 12 wichtige Routen. Auf der Strecke China-USA erreicht der Index bereits 4260 Dollar, in umgekehrter Linie hängt er bei 806 Dollar.
Nachdem die chinesischen Schulen in Peking schon in dieser Woche geschlossen wurden, folgen in der kommenden Woche nun auch die internationalen Schulen. Die Maßnahme wurde beschlossen, nachdem in Daxing, einem Stadtteil im Süden Pekings, unter rund einem Dutzend Fälle auch die britische Mutante des Coronavirus entdeckt wurde. Dieses Virus gilt als viel ansteckender. Die Variante mit der Bezeichnung B.1.1.7 war im September erstmals in England gefunden wurden.
Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass diese britische Mutante in China entdeckt wurde. Shanghai war bereits im Dezember vergangenen Jahres betroffen, ohne dass es zu einem größeren Ausbruch kam. Einen weiteren Fall gab es in der Provinz Guangdong, auch bisher ohne größere Folgen. Bereits am 5. Januar hat das Shenzhener Genetikunternehmen BGI einen Testkit für die britische Mutante entwickelt, der inzwischen in 26 Ländern weltweit benutzt wird.
Dennoch sind die chinesischen Behörden sehr vorsichtig. Die entsprechenden Viertel in Peking wurden abgeriegelt. Schon seit über einer Woche kann man in Peking öffentliche Gebäude und Restaurants nur betreten, wenn man Fieber messen und sich mit einer Gesundheitsapp registrieren lässt. Obwohl im Freien keine Maskenpflicht besteht, tragen die meisten Menschen in Peking nun wieder Masken. Wer fiebersenkende Medikamente in der Apotheke kauft, muss sich registrieren lassen und die Apotheke muss dies binnen zwei Stunden melden. Das gleiche gilt für Kunden mit verdächtigen Symptomen.
Eine andere Maßnahme, die Peking ergreift, ist das Tracking von potenziell Infizierten. Menschen, die sich beispielsweise mit einem bekannten Covid-Fall im selben Restaurant aufgehalten haben, werden kontaktiert und von einem medizinischen Team besucht, das einen Covid-Test durchführt und Proben aus der Wohnung nimmt. Ein großes Autoverkaufszentrum wurde für zwei Wochen komplett geschlossen, nachdem auf Ersatzteilen in der Werkstatt Spuren des Virus gefunden wurden.
Die Zentralregierung hat derweil die Städte landesweit aufgefordert, Massentests vorzubereiten. Städte mit unter fünf Millionen Menschen müssen die Tests jeweils innerhalb von zwei Tagen hinbekommen. Größere Städte bekommen drei bis fünf Tage Zeit. Dies wurde vom Staatsrat beschlossen. Positive Tests müssen innerhalb von zwei Stunden an die Behörden weitergeben werden. Besonders interessant: Die lokalen Behörden sind nun verpflichtet Fälle unverzüglich der Zentralregierung zu melden und in einer öffentlichen Pressekonferenz über den neuesten Stand zu informieren.
Seit Mittwoch wird in Shijiazhuang, eine der bereits abgeriegelten Städte, ein großes Quarantänezentrum errichtet, das bis zu 4.000 Patienten aufnehmen soll. Knapp 3.500 Menschen, zusätzliches medizinische Personal, wurden in die Provinzhauptstadt beordert. Über 1.200 wurden von außerhalb der Provinz rekrutiert. Im Großraum- Shijiazhuang leben etwa elf Millionen Menschen. Lebensmittel werden über Versorgungsstationen verteilt und können entweder online oder offline über das Nachbarschaftskomitee bestellt werden, das auch für die Organisation und Einhaltung des Lockdowns im jeweiligen Wohnblock sorgt. Das macht Polizeipatrouillen im großen Stil unnötig. Quarantäneverweigerer sind – anders als im Westen – eine große Ausnahme.
Shijiazhuang ist die Hauptstadt der Provinz Hebei, die Chinas Hauptstadt Peking umgibt. Die Provinz hat rund 75 Mio. Einwohner und meldete gestern insgesamt 20 Corona-Fälle.
Die Nachrichtenagentur Reuters nennt die jetzigen Maßnahmen der Chinesen einen “organisierten overkill“. Therese Hesketh, Professorin für Globale Gesundheit am University College London (UCL) hingegen bezeichnet das Vorgehen der Behörden als “extrem effizient”. Sie hat die Entwicklungen von Oktober bis Dezember vergangenen Jahres vor Ort beobachtet. Die Reaktionen in chinesischen sozialen Medien fallen ähnlich aus. Es wird zwar Kritik an den Maßnahmen geübt, aber der Konsens ist, dass sie zwar unangenehm, aber notwendig sind, um Schlimmeres zu verhindern. Nach etwa einem halben Jahr relativer Normalität ohne neue Corona-Fälle ist das Vertrauen in die Maßnahmen der Regierung recht hoch und die Bevölkerung ist weniger “lockdown-müde” als beispielsweise in Deutschland.
Für die Regierung wiederum ist es auch eine Kostenrechnung. Sie hält den finanziellen Aufwand der Maßnahmen für gering, im Vergleich zu den Kosten, die entstünden, wenn man die Wirtschaft erneut herunterfahren müsste. Zudem wollen die chinesischen Provinzpolitiker sich auf keinen Fall vorwerfen lassen, dass sie nicht alles unternommen haben, die Lage in den Griff zu bekommen. Das wird der Hauptgrund sein, warum trotz der wenigen Fälle mit so extremen Maßnahmen reagiert wird.
Denn vor allem die bevorstehende Reisewelle zu Chinesisch Neujahr birgt ein immenses Verbreitungsrisiko. Traditionell werden in China während dieser Zeit rund fünf Milliarden einzelne Reisen angetreten. Durch den Lockdown im letzten Moment im vergangenen Jahr gelang es der Regierung, die Reisewelle auf 1,5 Milliarden Reisen zu reduzieren. Dieses Jahr geht die Regierung von deutlich mehr Reisen aus, da zwar von Reisen abgeraten wird, sie aber nicht verboten sind.
Das Timing hat Stirnrunzeln ausgelöst: Praktisch parallel zum Abschluss des Investitionsabkommens mit der EU (CAI) hat China die Regeln für Investitionen im eigenen Land verschärft. Die Regierung in Peking behält sich auch in der seit dem 18. Januar gültigen Neufassung eine Genehmigungspflicht für Firmenübernahmen in fast allen Branchen vor. Gerade gegenüber der EU scheint dieser Kurs dem Geist des Investitionsschutzabkommens zu widersprechen. “Die europäische Wirtschaft macht sich Sorgen um die weiten Gültigkeitsbereiche der neuen Regeln”, sagt Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in Peking.
Die sogenannten “Maßnahmen für die Sicherheitsbewertung ausländischer Investitionen” sind erst in dieser Woche bekannt geworden. Federführend war – noch vor dem Handelsministerium – die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission NDRC und damit das wirtschaftspolitische Zentrum Chinas. Das neue Gesetz fasst im Wesentlichen eine Reihe bestehender Regeln zusammen. Keine der Einzelmaßnahmen ist völlig neu.
Das Gesetz betrifft alle Investitionen, die “die nationale Sicherheit beeinträchtigen oder beeinträchtigen könnten”. Die Regulierung nennt eine Reihe von betroffenen Schlüsselsektoren: Landwirtschaft, Energie, Maschinenbau, Transport, Kultur, IT und Internet, Finanzen “und jede andere wichtige Branche”. Also fällt so ziemlich die gesamte Wirtschaft unter die erweiterten Kontrollen. Betroffen sind sowohl Neugründungen von Tochterfirmen als auch Zukäufe bestehender Unternehmen. Die Investoren müssen “von sich aus” einen Antrag auf Überprüfung stellen. Über diesen entscheidet dann innerhalb von 15 Tagen ein “Arbeitsmechanismus”, der nach Ansicht von Anwälten aus einer permanent einberufenen Kommission bestehen wird. Diese Kommission kann die Investition entweder genehmigen oder ablehnen. Basis der Regulierung ist das Auslandsinvestitionsgesetz von 2019.
Die EU-Kammer stört sich vor allem an fehlenden Einspruchsmöglichkeiten. Es gebe keinen behördlichen oder rechtlichen Vorgang, mit denen sich Entscheidungen über Investitionsvorhaben angreifen lassen. Das Gesetz sehe ausdrücklich vor, dass alle Entscheidungen des zuständigen Komitees endgültig seien. “Das widerspricht dem erklärten Ziel Chinas, sich weiter zu öffnen und berechenbarer zu werden”, sagt Wuttke.
China hat im Verlauf des Handelskriegs mit den USA die Zügel nach und nach angezogen. Auf jede Provokation aus Washington folgte eine entsprechende Vergeltung. Es ist kein Zufall, dass einige Formulierungen der neuen Regeln denen ähneln, mit denen die USA künftig Wirtschaftsakteure aus China kontrollieren wollen. Es galt zudem ohnehin schon immer unausgesprochen, dass keine Übernahmen gegen den Willen der Kommunistischen Partei und ihrer Institutionen möglich sind. Experten sehen daher keinen Kurswechsel, sondern im Gegenteil sogar eine Klarstellung der bestehenden Lage. Bedauerlich ist eher das Ausbleiben echter Reformen hin zu mehr Attraktivität und Offenheit für Investoren. fin
Chinas Nationale Energiebehörde (NEA) hat einen neuen Höchststand bei der Installation neuer Windkraftanlagen für das Jahr 2020 vermeldet. Insgesamt wurden Anlagen mit einer Leistung von 71,7 Gigawatt ans Stromnetz angeschlossen. Das ist eine Verdreifachung der installierten Leistung des Vorjahres und doppelt so viel wie im bisherigen Rekordjahr 2015, schreibt das China Energy Portal. Allein 47 Gigawatt neuer Windkraftanlagen wurden im Dezember 2020 installiert. Unklar ist, ob und wie viele noch nicht ganz fertiggestellte Anlagen ins Jahr 2020 vordatiert wurden, um noch höhere staatliche Subventionen zu erhalten. Für das Jahr 2021 werden die staatlichen Subventionen für Windenergie im Vergleich zum Vorjahr um gut ein Viertel (24,3 Prozent) auf 2,31 Milliarden Yuan (rund 300 Millionen Euro) gesenkt. Neue Onshore-Windprojekte erhalten 2021 zudem keine subventionierten Einspeisetarife mehr.
Die Kürzungen bei den Windkaft-Subventionen spiegeln Chinas neue Ansätze zur Förderung Erneuerbarer Energien wider. Anstatt die etablierte Windindustrie mit Subventionen zu fluten, setzt die Regierung zukünftig verstärkt auf Marktmechanismen. Anfang Februar startet ein Emissionshandelssystem für den Energiemarkt.
Mit der in 2020 installierten Windkraft-Leistung bleibt China Weltmeister beim Ausbau der Windenergie. Das Land hat zwischen 2014 und 2019 fast 40 Prozent der weltweit gebauten Windenergie ans Netz gebracht. Gleichzeitig ist China größter Verbraucher von Kohle und beheimatet die Hälfte der weltweiten Kohlekraftwerkskapazität. Die fossilen Energieträger Kohle, Gas und Erdöl machten 2019 noch immer gut 72 Prozent der chinesischen Stromerzeugung aus. Im September letzten Jahres hatte Xi Jinping verkündet, China wolle vor 2030 den Höhepunkt der CO2-Emissionen erreichen und vor 2060 kohlenstoffneutral werden. nib
WeChat kann schon (fast) alles, aber eigene Shops haben noch gefehlt. Der Tencent-Konzern, dem die universelle Kommunikations-App gehört, will diese Lücke nun schließen – und könnte damit den Handelsplattformen von Konkurrent Alibaba viele kleinere Kunden abspenstig machen. Der Dienst WeChat Mini-Shop (Xiao Shangdian, 小商店) soll dafür demnächst von der Anlauf- in die Phase des Regelbetriebs übergehen. Ziel ist es ausdrücklich, “die Schwelle zum Einstieg in Handelstätigkeit auf kleinem Maßstab zu verringern“, wie aus einer Seite für Entwickler hervorgeht.
In der jüngst wegen Corona abgeriegelten Stadt Shijiazhuang wollen die Behörden nun die neue Shop-Funktion von WeChat gezielt nutzen, um kleine Geschäfte zu digitalisieren – damit die Bürger nicht mehr zum Einkaufen auf die Straße müssen. In China häufen sich zugleich Berichte von Ladeninhabern, die erstmals etwas online anbieten, beispielsweise eine 60-jährige Optikerin aus Guangzhou.
Derzeit tummeln sich viele Klein- und Kleinstanbieter von Waren auf der Plattform Taobao, die zu Alibaba gehört. Doch WeChat zeichnet sich als deutlich benutzerfreundlicher aus. Über eine Milliarde Nutzer haben die App ohnehin installiert und bereits Zahlungswege eröffnet. Weitere Voraussetzungen für die Einrichtung eines eigenen Shops gibt es nicht. Viele chinesische Bürger arbeiten zudem ohnehin lieber mit dem Handy als mit einem PC.
Die Mini-Shops sind eine Unteranwendung der Mini-Programme von Wechat, die einen eigenen Kosmos an kommerziellen Anwendungen geschaffen haben. Tencent hat darauf aufbauend aber eine Oberfläche für Händler vorbereitet, die keine Vorkenntnisse mehr erfordert. Gerade kleine Händler sollen zudem ihren vorhandenen Freundeskreis nutzen können, um Produkte anzupreisen.
Tencent hatte vor 2014 schon einen Vorstoß in den E-Commerce vorgenommen, die Sparte jedoch nach einer Kapitalverflechtung mit den Aktivitäten des großen Anbieters JD.com zusammengelegt. Für komplexere Produktangebote können die Anbieter der Mini-Shops auch künftig auf JD verweisen. Alibaba hat heute in China einen Marktanteil von 50 Prozent. Im Laufe dieses Jahres sollte nun der Marktanteil der Mini-Shops stetig ansteigen. fin
Dass Europa seine Rolle als geopolitischer und geoökonomischer Akteur stärken muss, ist eine Binsenweisheit. Doch wie es dies tun kann, ist weit weniger klar. Hier setzt der Strategiebericht “Konnektivität und die Beziehungen zwischen der EU und Asien” an, den das Europaparlament am Donnerstag mit sehr großer Mehrheit (526 Stimmen dafür, 43 dagegen, 119 Enthaltungen) verabschiedet hat. Die chinesische “Belt and Road”-Initiative hat uns aufgeweckt. Aber die “Konnektivitäts”-Strategie ist nicht einfach eine Antwort auf BRI, sondern eine eigenständige strategische Perspektive, der freilich die Enttäuschung, die es vielerorts über BRI gibt, auch zupass kommt.
Die Abgeordneten verlangen mehr Kohärenz zwischen der europäischen Außen-, Entwicklungs-, Handels- und Sicherheitspolitik. Die Vernetzung liegt eigentlich in den Genen der EU – doch in den Außenbeziehungen war davon bisher wenig zu sehen. Das Parlament macht deshalb eine Reihe von “Governance”-Vorschlägen, in denen es darum geht, dass Brüssel sich besser koordiniert und die europäischen Mitgliedsländer an Bord sind. Die Zivilgesellschaft und Wirtschaftsvertreter müssen eingebunden sein, und natürlich braucht die Strategie genügend Geld.
Ausgangspunkt für unseren Vorstoß war das Dokument “Connecting Europe and Asia”, das EU-Kommission und Europäische Auswärtige Dienst (EAD) im September 2018 veröffentlicht hatten. Das Papier wurde nie populär, noch nicht mal in Brüssel. Konnektivität braucht einen zweiten Atem. Im Kern ging es damals um den Ausbau physischer Infrastruktur: “brick and mortar” – Ziegelsteine und Mörtel. Aber wir müssen weiter gehen. Um den Grundgedanken “Stärke durch Kooperation” zeitgemäß zu realisieren, müssen mehr Dimensionen eine Rolle spielen: Digitalisierung etwa und Kontakte zwischen Menschen über Austauschprogramme. Prioritäten wie Sicherheit, Gesundheit und Standardisierung. Viel stärker als bisher müssen wir mit Partnern kooperieren, die wie wir ein Interesse daran haben, dass Multilateralismus nicht durch Großmachtpolitik erdrückt wird. Die Strategie soll sich an den Oberzielen der EU ausrichten wie dem Green Deal, den Menschenrechten und den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung.
Während das Dokument von 2018 sich vor allem auf Asien konzentrierte, will das EU-Parlament eine globale Strategie. Es benennt eine Reihe von Partnern: Mit Japan besteht bereits eine Konnektivitäts-Partnerschaft, mit Indien laufen Verhandlungen, demnächst auch auf Gipfelebene. Mit der Afrikanischen Union möchten wir eine Partnerschaft möglichst Ende 2021. Auf Südkorea und Australien ruht viel Hoffnung, mit der Asean-Gemeinschaft hat die EU beim letzten Ministertreffen eine gemeinsame Erklärung zu Konnektivität verabschiedet.
Es gibt ein größeres Interesse an Konnektivität, als die EU-Kommission von Ursula von der Leyen bis jetzt realisiert hat. BusinessEurope beispielsweise legt in seiner China-Strategie großes Gewicht auf das Thema. Die von der Juncker-Truppe organisierte Konnektivitäts-Konferenz 2019 stieß auf gigantisches Interesse, 1400 Teilnehmer kamen, ein Viertel davon aus Asien. 2021 soll es aber nun eine neue Konferenz geben, wie die EU-Kommission gerade bekräftigt hat. Unter den EU-Mitgliedsstaaten sind Frankreich, Deutschland und Polen als besonders Interessierte aufgetreten. Die amtierende portugiesische EU-Präsidentschaft legt einen starken Fokus auf digitale Konnektivität und will demnächst das “EllaLink”-Tiefseekabel für hohen Datentransport von und nach Südamerika einweihen, das übrigens mit Nokia-Technologie gebaut worden ist.
Einfach gesagt: Die Betonung dessen, was eine globale europäische Konnektivitäts-Strategie leisten kann, hilft sicher auch dabei, dass man sich in Brüssel, Berlin und Paris nicht allzu sehr an Autonomie-Narrativen berauscht. Für eine geopolitische Kommission, für eine EU, die Weltpolitik anstrebt, ist es gar nicht möglich, auf Konnektivität als zentralen Pfeiler zu verzichten.
Reinhard Bütikofer ist seit 2009 Abgeordneter der Grünen im Europäischen Parlament. Der 67-Jährige ist Vorsitzender der China-Delegation und Mitglied im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten.
es ist nur ein Moment, ein einziger Satz an diesem Donnerstag, aber was haben Worte in der Diplomatie nicht schon alles ausgelöst. “Wir glauben, dass die guten Engel die bösen Kräfte besiegen werden”, sagt Pekings Außenamtssprecherin Hua Chunying und gratuliert Joe Biden zur Amtsübernahme. Die Beziehungen zwischen Amerika und China mögen nun wieder “auf den richtigen Weg” kommen.
Neue Töne, versöhnliche gar? Wohl kaum. Die Weltmächte werden im Widerstreit ihrer Interessen nicht nachgeben. Biden hat längst klar gemacht, dass er die China-Politik seines Vorgängers nicht umzudrehen gedenkt. Und Peking brachte es fertig, nur Sekunden, nachdem der neue US-Präsident am Mittwoch vor dem Capitol die Hand zum Schwur auf die Bibel legte, die Beziehungen mit Sanktionsdrohungen gegen Trumps Außenminister Mike Pompeo anzuheizen.
Nichts Geringeres als “the highest level” an Transparenz hatte Ursula von der Leyen den EU-Parlamentariern zu Beginn ihrer Amtszeit versprochen – gerade, wenn es um Handelsfragen geht. Nun geht es genau darum beim EU-China-Investitionsabkommen CAI.
Doch von der Leyens Kommission lässt nichts mehr vermissen als – Transparenz. Drei Wochen warten die EU-Abgeordneten (und nicht nur sie) auf den Text des Abkommens. Man hätte gern bewertet, wer wen über den Verhandlungstisch zog und was China den Europäern wirklich zugesagt hat. Nun soll das Papier am Freitag veröffentlicht werden, wie Amelie Richter und Marcel Grzanna schreiben. Doch bewerten wird man wenig können. Denn ausgerechnet die detaillierten “Anhänge”, auf die die Fachwelt wartet, werden wohl fehlen.
Das China (wie andere asiatische Länder auch) dem Corona-Virus keine Chance lässt und bei geringsten Anzeichen ganze Städte abriegelt, wissen wir. Frank Sieren geht in Peking und in Shijiazhuang dem Preis nach, den die Betroffenen für diese Strategie bezahlen – gerade jetzt, vor der Reisewelle zum Neujahrsfest.
Ein gesundes Wochenende wünsche ich Ihnen,
Das Investitionsschutzabkommen CAI trägt den Stempel chinesischer Verhandlungskunst. Große Zufriedenheit herrscht deshalb in Peking. “Ausgewogen, hochwertig, gleichermaßen nutzbringend und Win-Win”, lautet dort die offizielle Lesart, die seit Tagen gebetsmühlenartig von Parteifunktionären und Staatsmedien zitiert wird. Und in Europa? Bezweifeln viele Beobachter ein Win-Win. Zwar werden die verbesserten Bedingungen für den Marktzugang europäischer Firmen in China prinzipiell positiv bewertet. Doch zahlreiche Defizite des Deals provozieren in Europa gequältes Lächeln und Kritik.
Im Laufe des heutigen Freitags soll der Text des Abkommens nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden – oder zumindest Teile davon. Denn Brüssel-Beobachter rechnen damit, dass die EU-Kommission die dazugehörigen Anhänge zunächst nicht publizieren wird. In den sogenannten Annexen stehen jedoch entscheidende Details zu den Abmachungen. Derzeit läuft das “legal scrubbing” des gesamten Abkommenstextes: Bei dieser formaljuristischen Prüfung des Papiers können Formulierungen noch geändert werden. Vor allem Vertreter des Europäischen Parlaments drängen darauf, dass auch die Anhänge zeitnah veröffentlicht und übersetzt werden.
Vorboten darauf, dass es das CAI im EU-Parlament – das dem Abkommen zustimmen muss – nicht einfach haben wird, zeigten sich bereits bei der ersten Sitzungswoche des Parlaments nach der Grundsatzeinigung zwischen Brüssel und Peking. In einer fraktionsübergreifenden Resolution zum Vorgehen Chinas in Hongkong bedauern die EU-Abgeordneten eine “überstürzte Einigung” in dem Deal und dass die problematische Menschenrechtslage in Hongkong, der Provinz Xinjiang und Tibet darin nicht ausreichend widergespiegelt sei. “Die EU riskiert ihre Glaubwürdigkeit als globaler Menschenrechtsakteur”, heißt es in dem Absatz, der dem Entschließungsantrag noch im Laufe dieser Woche beigefügt wurde. EU-Kommissarin Helena Dalli, zuständig für Gleichheitspolitik, kündigte bei der Debatte zu Hongkong am Donnerstag im Plenum an, dass das Thema auch auf der Agenda des EU-Außenministertreffens am kommenden Montag stehe.
Und im Europaparlament ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen: Sobald die fertigen Vertragstexte in den Ausschüssen des EU-Parlaments vorlägen, prüften die Parlamentarier genau, welche Kontroll- und Sanktionsmechanismen vorhanden seien, damit “die Bekenntnisse Chinas auch tatsächlich zu einer Verbesserung der Lebensumstände” von Arbeitern und Arbeiterinnen im Land führen, sagte die Vize-Vorsitzende der China-Delegation des Europäischen Parlaments, Evelyne Gebhardt, China.Table. “Kooperation ja, aber nicht um jeden Preis”, betonte die SPD-Politikerin. Auch in den geschlossenen Fraktionssitzungen der politischen Gruppen des EU-Parlaments gab es überwiegend Kritik an dem Abkommen, wie Teilnehmer berichten.
Das Abkommen ist das Ergebnis eines siebenjährigen Tauziehens, währenddessen die Chinesen geschickt ihre Trümpfe ausspielten, um als Gewinner aus den Verhandlungen hervorzugehen. Vom “größten Weihnachtsgeschenk” an Peking spricht Noah Barkin vom German Marshall Fund, einer unabhängigen US-Stiftung zur Förderung transatlantischer Beziehungen.
“Einerseits positiv, in anderen Aspekten enttäuschend”, heißt es aus Wirtschaftskreisen. Zwar gibt es mehr Marktzugang in Branchen wie der Telekommunikation, Gesundheit oder Biotechnologie und die Zusage, dass die Unterstützung für staatliche Unternehmen in China künftig transparenter abläuft. Doch an öffentlichen Ausschreibungen dürfen die Europäer weiterhin nicht teilnehmen, geistiges Eigentum wird nicht besser geschützt als vorher, und die Aussagen zum Schutz von Arbeitern in China sind mehr als schwammig. Zudem seien manche Zugeständnisse für den Marktzugang in Branchen wie der Elektromobilität oder der Finanzindustrie nicht neu, sondern alte Zusagen, die lediglich neu verpackt wurden.
“Ein schlechter Deal ist besser als kein Deal. Die Kritiker sollen sich selbst einmal in diesen Schützengraben legen, wenn es um Verhandlungen mit Chinesen geht”, sagt ein Industrievertreter, der die Verhandlungen über den gesamten Zeitraum begleitet hat. Der Schützengraben steht sinnbildlich für die große Herausforderung, die Verhandlungen mit einem wirtschaftlich robust durch das Corona-Jahr navigierten China bedeuten. Als einzige große Weltwirtschaft vermeldete die Volksrepublik eine wachsende Konjunktur.
Der taiwanische Verhandlungsforscher Liu Birong veröffentlichte 2008 einen Ratgeber mit dem Titel “Die Hohe Schule der Kriegskunst bei Geschäftsverhandlungen”. Übersetzt wurde das Werk ins Deutsche von dem Sinologen Florian Mehring. “Die chinesische Seite hat bei den Verhandlungen mit den Europäern große Geschlossenheit gezeigt und sich damit einen entscheidenden Vorteil verschafft”, sagt Mehring. Während Europa unter Druck gestanden habe, viele Interessen aus den eigenen Reihen zu berücksichtigen, habe Chinas Führung seine Interessen einheitlich verfolgen können.
Mit Zugeständnissen, von denen sich einige wohl als wenig schmerzhaft für China herausstellen dürften, bewegten die Chinesen die Europäer ihrerseits dazu, ihnen die Bühne zu bereiten für einen geostrategischen Erfolg. Trotz lautstarker Kritik am Verhalten Chinas während des Ausbruchs von Covid-19, der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes in Hongkong und der Inhaftierung Hunderttausender Uiguren in sogenannten Umerziehungslagern stärkte Peking seine Position als globale Wirtschaftsmacht, noch ehe die USA unter ihrem neuen Präsidenten Joe Biden hätten einwirken können. Der Abschluss des Investitionsschutzabkommens war das Tüpfelchen auf dem i für Peking, wo bereits der Abschluss des pazifischen Freihandelsabkommens RCEP mit zahlreichen westlichen Verbündeten als Etappensieg gefeiert werden konnte.
“China präsentiert sich in solchen Verhandlungen mit dem Selbstbewusstsein eines Landes, das sich selbst sagt: Jetzt sind wir an der Reihe”, sagt Verhandlungsforscher Mehring. Das Jahrhundert der Demütigung, angefangen mit dem Opiumkrieg im 19. Jahrhundert bis zum Ende des 2. Weltkrieges und darauffolgend eine jahrzehntelange Rolle als Randfigur im ökonomischen Weltschach, ist in Chinas DNA verankert. “Chinesen sind nachtragend. Die haben die Vergangenheit nicht vergessen. Nach diesen Erfahrungen sind sie extrem misstrauisch”, so Mehring.
Dennoch würden es die Chinesen in solchen Verhandlungen unbedingt vermeiden, das Gegenüber zu demütigen. Auch der Verhandlungspartner soll etwas in der Hand haben, an das er sich klammern kann, auch wenn es weniger ist als man selbst beansprucht.
Es ist aber auch davon auszugehen, dass Peking längst nicht alle Trümpfe ausgespielt hat. Einer davon besorgt die Europäer besonders. Seit Montag gelten in der Volksrepublik neue Regeln für Investitionen aus dem Ausland. Die staatliche Entwicklungskommission NDRC behält sich vor alle Investitionen auf ihre Verträglichkeit mit der nationalen Sicherheit zu prüfen. Ähnliche Mechanismen gibt es zwar auch anderswo in der Welt. Auch in Deutschland, wo seit 2012 eine chinesische Investition vom Bundeswirtschaftsministerium untersagt wurde und sich eine Handvoll weiterer chinesischer Interessenten zurückzogen. Dennoch fürchten Beobachter in Europa, dass hart erarbeitete Zugeständnisse des Investitionsschutzabkommens durch die neuen Regeln entwertet werden. Marcel Grzanna/Amelie Richter
22.01.2021, 10:00 Uhr
Vortragsreihe, China Center TU Berlin A decline in Chinese investment into Europe? European Speaker: Margot Schüller Mehr
22.01.2021, 13:00 Uhr
Vortrag, FU Berlin Casting ancient nets: Chinese grid-style social management during the Covid-19 pandemic. Mehr
25.01.2021, 18:00 Uhr
Vortrag, SOAS; University of London Comparisons of a New Sino-US Cold War with the old Soviet (Sino-)US Cold War Mehr
26.01.2021, 19:00-21:00 Uhr
Vortrag, Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW China – Die neue Nummer Eins? Anmeldung
In Chinas Häfen herrscht Mangel an Containern – mit erheblichen Folgen für den deutschen Handel. “Die Situation wird für einige Importeure noch enormen wirtschaftlichen Schäden führen”, sagt Guido Hogenkamp von der Deutschen Im- und Exportgesellschaft in Bocholt (DIG). Das Unternehmen führt unter anderem Gartenmöbel und Küchengeräte aus Fernost ein. Wie jedes knappe Gut werden Transportkapazitäten von China nach Europa nun teurer. “Eine Erhöhung der Frachtraten um das Fünffache können sich nicht alle leisten”, so Hogenkamp.
Wer bei den Reedereien nachfragt, erfährt die Hintergründe der Containerknappheit und die steigen Frachtpreise. Niklas Ohling, Leiter des Bereichs Container Steering bei der Reederei Hapag-Lloyd in Hamburg, sieht die Ursache in der massiv gestiegenen globalen Nachfrage nach Waren aus Asien. Die Reederei habe sogar zahlreiche Schiffe ohne Frachtgut fahren lassen, um ungenutzte Container aus den USA “zu evakuieren und in Asien zu positionieren” – trotz der enormen Kosten, die solche Leerfahrten verursachen.
Das Versandhaus Otto sieht noch weitere Gründe für das Globale Container-Ungleichgewicht. Das Dilemma fing nach Auskunft der Logistik-Abteilung des Hamburger Unternehmens schon nach dem chinesischen Neujahrsfest 2020 an. Das Coronavirus hatte China im Griff, die Arbeiter kehrten nicht in die Fabriken und Verladepunkte zurück. Dadurch legten Containerschiffe mit vielen Wochen Verspätung ab. Kurz danach setzte ein Nachfrageboom aus westlichen Ländern ein. Britische Händler bevorrateten sich kurz vor dem Brexit mit Waren. In Deutschland stieg im Corona-Jahr der Einzelhandelsumsatz um gut fünf Prozent: Die Leute haben sich für das Homeoffice ausgestattet, ihre Wohnungen neu eingerichtet und sich generell im Lockdown mehr Bestellungen gegönnt.
Auch die USA verzeichneten hohe Warennachfrage aus China. “Wir haben einen Anstieg des Warenflusses in die USA um 20 bis 30 Prozent in jedem der Herbstmonate beobachtet”, sagt Peter Tirschwell, Leiter des Forschungsbereichs Schifffahrt und Handel bei dem Analysehaus IHS Markit. “Viele Container stehen nun ungenutzt herum.” Sie warten über das ganze Land verteilt in Logistik-Zentren auf den Weitertransport, der jedoch ausbleibt. “Es herrschen zusätzliche Engpässe durch hohen Krankenstand und strengere Hygienemaßnahmen”, sagt Tirschwell. “Die Be- und Entladung läuft nicht so schnell wie sonst”.
Das führe zu Verspätungen der Schiffe, stellt Lars Jensen fest, der Gründer des Branchenbeobachters SeaIntelligence aus Kopenhagen. Mitte Dezember seien daher rund eine halbe Million Standardcontainer weniger in Asien vorhanden gewesen als üblich. “Eine aggressive Rückführungsstrategie und Neubestellungen hätte dazu führen sollen, dass sich der Bestand bis Ende Januar normalisiert”, so Jensen. Da die Warennachfrage jedoch weiter hoch sei, könne sich das Ungleichgewicht auf eine Million Container erhöhen. Exakte Daten dazu werden zwar erst im März verfügbar, doch derzeit sehe es so aus, als lasse der Ausgleich noch auf sich warten. “Der Zustand wird vermutlich noch die ersten Monate des Jahres anhalten”, glaubt auch Ohling von Hapag-Lloyd.
Die Ökonomin Serena Zhou von dem Finanzhaus Mizuho Securities in Hongkong sieht in Containermangel sogar die aktuelle Obergrenze für den chinesischen Export, der einen ordentlichen Teil zum Wachstum des Landes beiträgt. Kein Wunder, dass die weltweite Branchenvereinigung World Shipping Council verspricht: “Unsere Ozeanriesen kämpfen gegen den Covid-Fracht-Engpass”. Um die “nie dagewesenen Störungen der Lieferkette” aufzulösen setze die Branche alle Hebel in Bewegung. Die Reeder teilen sich bereits über Konkurrenz-Grenzen hinweg die Schiffe, um die Kapazität ganz auszulasten. Auf Englisch kursiert bereits die griffige Phrase vom “Covid Cargo Crunch“.
Der nächste Meilenstein für die Branche ist nun das chinesische Neujahrsfest 2021 am 12. Februar. “Üblicherweise nimmt die Nachfrage nach Containern dann wieder ab“, sagt Ohling. China macht in seiner eigenen Feiertags-Saison zwei Wochen Pause, die Fabriken stehen still. Dementsprechend sinkt der Export. Die Container, die in der Vorweihnachtszeit in die westlichen Länder gewandert sind, haben Zeit, nach Asien zurückzukehren. “Doch in diesem Jahr könnte dieser Effekt schwächer ausfallen.” Durch die Pandemie sei Produktion nachzuholen und zahlreiche Händler wollen ihre leeren Lager auffüllen. Deutsche Händler wie Notebooksbilliger.de konnten vor Weihnachten kaum noch Laptops liefern, weil ihre Bestände fast aufgebraucht waren.
Vermutlich werden die Preise erst in der zweiten Jahreshälfte wieder fallen, sagen Experten wie Jensen und Tirschwell. Aus Sicht des Versandhauses Otto beeinflussen die höheren Frachtraten die Margen für verschiedene Warengruppen sehr unterschiedlich. Für die 20.000 T-Shirts, die in einen Container passen, macht eine Verdreifachung des Transportanteils an den Kosten pro Stück keinen so großen Unterschied. Wenn sich jedoch nur wenige Teile einer günstig angebotenen, aber klobigen Ware im Container befinden, dann wirkt sich das empfindlich aus. Und im Wettbewerb lassen sich solche unerwarteten Erhöhungen kaum an die Kunden weitergeben. Otto selbst habe Frachtkapazitäten zwar langfristig fest gebucht – doch das nützt auch nichts, wenn die Fahrten gar nicht stattfinden.
Die Kosten für den Transport einer Containerladung zu einem gegebenen Zeitpunkt hängen von Angebot und Nachfrage ab. Es lässt sich also kein “aktueller” Preis nennen, dafür gibt es aber einen für jeden Punkt in näheren Zukunft. Die Preisfindung findet an entsprechenden Börsen statt, beispielsweise der Baltic Exchange in London. Der entsprechende Index FBX ist allein im Dezember um 38 Prozent gestiegen und liegt derzeit bei einem neuen Hochstand von etwas über 4000 Dollar pro Vierzig-Fuß-Container. Als normal gelten Werte um 1300 Dollar. Der FBX berechnet das Durchschnittsgebot für 12 wichtige Routen. Auf der Strecke China-USA erreicht der Index bereits 4260 Dollar, in umgekehrter Linie hängt er bei 806 Dollar.
Nachdem die chinesischen Schulen in Peking schon in dieser Woche geschlossen wurden, folgen in der kommenden Woche nun auch die internationalen Schulen. Die Maßnahme wurde beschlossen, nachdem in Daxing, einem Stadtteil im Süden Pekings, unter rund einem Dutzend Fälle auch die britische Mutante des Coronavirus entdeckt wurde. Dieses Virus gilt als viel ansteckender. Die Variante mit der Bezeichnung B.1.1.7 war im September erstmals in England gefunden wurden.
Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass diese britische Mutante in China entdeckt wurde. Shanghai war bereits im Dezember vergangenen Jahres betroffen, ohne dass es zu einem größeren Ausbruch kam. Einen weiteren Fall gab es in der Provinz Guangdong, auch bisher ohne größere Folgen. Bereits am 5. Januar hat das Shenzhener Genetikunternehmen BGI einen Testkit für die britische Mutante entwickelt, der inzwischen in 26 Ländern weltweit benutzt wird.
Dennoch sind die chinesischen Behörden sehr vorsichtig. Die entsprechenden Viertel in Peking wurden abgeriegelt. Schon seit über einer Woche kann man in Peking öffentliche Gebäude und Restaurants nur betreten, wenn man Fieber messen und sich mit einer Gesundheitsapp registrieren lässt. Obwohl im Freien keine Maskenpflicht besteht, tragen die meisten Menschen in Peking nun wieder Masken. Wer fiebersenkende Medikamente in der Apotheke kauft, muss sich registrieren lassen und die Apotheke muss dies binnen zwei Stunden melden. Das gleiche gilt für Kunden mit verdächtigen Symptomen.
Eine andere Maßnahme, die Peking ergreift, ist das Tracking von potenziell Infizierten. Menschen, die sich beispielsweise mit einem bekannten Covid-Fall im selben Restaurant aufgehalten haben, werden kontaktiert und von einem medizinischen Team besucht, das einen Covid-Test durchführt und Proben aus der Wohnung nimmt. Ein großes Autoverkaufszentrum wurde für zwei Wochen komplett geschlossen, nachdem auf Ersatzteilen in der Werkstatt Spuren des Virus gefunden wurden.
Die Zentralregierung hat derweil die Städte landesweit aufgefordert, Massentests vorzubereiten. Städte mit unter fünf Millionen Menschen müssen die Tests jeweils innerhalb von zwei Tagen hinbekommen. Größere Städte bekommen drei bis fünf Tage Zeit. Dies wurde vom Staatsrat beschlossen. Positive Tests müssen innerhalb von zwei Stunden an die Behörden weitergeben werden. Besonders interessant: Die lokalen Behörden sind nun verpflichtet Fälle unverzüglich der Zentralregierung zu melden und in einer öffentlichen Pressekonferenz über den neuesten Stand zu informieren.
Seit Mittwoch wird in Shijiazhuang, eine der bereits abgeriegelten Städte, ein großes Quarantänezentrum errichtet, das bis zu 4.000 Patienten aufnehmen soll. Knapp 3.500 Menschen, zusätzliches medizinische Personal, wurden in die Provinzhauptstadt beordert. Über 1.200 wurden von außerhalb der Provinz rekrutiert. Im Großraum- Shijiazhuang leben etwa elf Millionen Menschen. Lebensmittel werden über Versorgungsstationen verteilt und können entweder online oder offline über das Nachbarschaftskomitee bestellt werden, das auch für die Organisation und Einhaltung des Lockdowns im jeweiligen Wohnblock sorgt. Das macht Polizeipatrouillen im großen Stil unnötig. Quarantäneverweigerer sind – anders als im Westen – eine große Ausnahme.
Shijiazhuang ist die Hauptstadt der Provinz Hebei, die Chinas Hauptstadt Peking umgibt. Die Provinz hat rund 75 Mio. Einwohner und meldete gestern insgesamt 20 Corona-Fälle.
Die Nachrichtenagentur Reuters nennt die jetzigen Maßnahmen der Chinesen einen “organisierten overkill“. Therese Hesketh, Professorin für Globale Gesundheit am University College London (UCL) hingegen bezeichnet das Vorgehen der Behörden als “extrem effizient”. Sie hat die Entwicklungen von Oktober bis Dezember vergangenen Jahres vor Ort beobachtet. Die Reaktionen in chinesischen sozialen Medien fallen ähnlich aus. Es wird zwar Kritik an den Maßnahmen geübt, aber der Konsens ist, dass sie zwar unangenehm, aber notwendig sind, um Schlimmeres zu verhindern. Nach etwa einem halben Jahr relativer Normalität ohne neue Corona-Fälle ist das Vertrauen in die Maßnahmen der Regierung recht hoch und die Bevölkerung ist weniger “lockdown-müde” als beispielsweise in Deutschland.
Für die Regierung wiederum ist es auch eine Kostenrechnung. Sie hält den finanziellen Aufwand der Maßnahmen für gering, im Vergleich zu den Kosten, die entstünden, wenn man die Wirtschaft erneut herunterfahren müsste. Zudem wollen die chinesischen Provinzpolitiker sich auf keinen Fall vorwerfen lassen, dass sie nicht alles unternommen haben, die Lage in den Griff zu bekommen. Das wird der Hauptgrund sein, warum trotz der wenigen Fälle mit so extremen Maßnahmen reagiert wird.
Denn vor allem die bevorstehende Reisewelle zu Chinesisch Neujahr birgt ein immenses Verbreitungsrisiko. Traditionell werden in China während dieser Zeit rund fünf Milliarden einzelne Reisen angetreten. Durch den Lockdown im letzten Moment im vergangenen Jahr gelang es der Regierung, die Reisewelle auf 1,5 Milliarden Reisen zu reduzieren. Dieses Jahr geht die Regierung von deutlich mehr Reisen aus, da zwar von Reisen abgeraten wird, sie aber nicht verboten sind.
Das Timing hat Stirnrunzeln ausgelöst: Praktisch parallel zum Abschluss des Investitionsabkommens mit der EU (CAI) hat China die Regeln für Investitionen im eigenen Land verschärft. Die Regierung in Peking behält sich auch in der seit dem 18. Januar gültigen Neufassung eine Genehmigungspflicht für Firmenübernahmen in fast allen Branchen vor. Gerade gegenüber der EU scheint dieser Kurs dem Geist des Investitionsschutzabkommens zu widersprechen. “Die europäische Wirtschaft macht sich Sorgen um die weiten Gültigkeitsbereiche der neuen Regeln”, sagt Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in Peking.
Die sogenannten “Maßnahmen für die Sicherheitsbewertung ausländischer Investitionen” sind erst in dieser Woche bekannt geworden. Federführend war – noch vor dem Handelsministerium – die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission NDRC und damit das wirtschaftspolitische Zentrum Chinas. Das neue Gesetz fasst im Wesentlichen eine Reihe bestehender Regeln zusammen. Keine der Einzelmaßnahmen ist völlig neu.
Das Gesetz betrifft alle Investitionen, die “die nationale Sicherheit beeinträchtigen oder beeinträchtigen könnten”. Die Regulierung nennt eine Reihe von betroffenen Schlüsselsektoren: Landwirtschaft, Energie, Maschinenbau, Transport, Kultur, IT und Internet, Finanzen “und jede andere wichtige Branche”. Also fällt so ziemlich die gesamte Wirtschaft unter die erweiterten Kontrollen. Betroffen sind sowohl Neugründungen von Tochterfirmen als auch Zukäufe bestehender Unternehmen. Die Investoren müssen “von sich aus” einen Antrag auf Überprüfung stellen. Über diesen entscheidet dann innerhalb von 15 Tagen ein “Arbeitsmechanismus”, der nach Ansicht von Anwälten aus einer permanent einberufenen Kommission bestehen wird. Diese Kommission kann die Investition entweder genehmigen oder ablehnen. Basis der Regulierung ist das Auslandsinvestitionsgesetz von 2019.
Die EU-Kammer stört sich vor allem an fehlenden Einspruchsmöglichkeiten. Es gebe keinen behördlichen oder rechtlichen Vorgang, mit denen sich Entscheidungen über Investitionsvorhaben angreifen lassen. Das Gesetz sehe ausdrücklich vor, dass alle Entscheidungen des zuständigen Komitees endgültig seien. “Das widerspricht dem erklärten Ziel Chinas, sich weiter zu öffnen und berechenbarer zu werden”, sagt Wuttke.
China hat im Verlauf des Handelskriegs mit den USA die Zügel nach und nach angezogen. Auf jede Provokation aus Washington folgte eine entsprechende Vergeltung. Es ist kein Zufall, dass einige Formulierungen der neuen Regeln denen ähneln, mit denen die USA künftig Wirtschaftsakteure aus China kontrollieren wollen. Es galt zudem ohnehin schon immer unausgesprochen, dass keine Übernahmen gegen den Willen der Kommunistischen Partei und ihrer Institutionen möglich sind. Experten sehen daher keinen Kurswechsel, sondern im Gegenteil sogar eine Klarstellung der bestehenden Lage. Bedauerlich ist eher das Ausbleiben echter Reformen hin zu mehr Attraktivität und Offenheit für Investoren. fin
Chinas Nationale Energiebehörde (NEA) hat einen neuen Höchststand bei der Installation neuer Windkraftanlagen für das Jahr 2020 vermeldet. Insgesamt wurden Anlagen mit einer Leistung von 71,7 Gigawatt ans Stromnetz angeschlossen. Das ist eine Verdreifachung der installierten Leistung des Vorjahres und doppelt so viel wie im bisherigen Rekordjahr 2015, schreibt das China Energy Portal. Allein 47 Gigawatt neuer Windkraftanlagen wurden im Dezember 2020 installiert. Unklar ist, ob und wie viele noch nicht ganz fertiggestellte Anlagen ins Jahr 2020 vordatiert wurden, um noch höhere staatliche Subventionen zu erhalten. Für das Jahr 2021 werden die staatlichen Subventionen für Windenergie im Vergleich zum Vorjahr um gut ein Viertel (24,3 Prozent) auf 2,31 Milliarden Yuan (rund 300 Millionen Euro) gesenkt. Neue Onshore-Windprojekte erhalten 2021 zudem keine subventionierten Einspeisetarife mehr.
Die Kürzungen bei den Windkaft-Subventionen spiegeln Chinas neue Ansätze zur Förderung Erneuerbarer Energien wider. Anstatt die etablierte Windindustrie mit Subventionen zu fluten, setzt die Regierung zukünftig verstärkt auf Marktmechanismen. Anfang Februar startet ein Emissionshandelssystem für den Energiemarkt.
Mit der in 2020 installierten Windkraft-Leistung bleibt China Weltmeister beim Ausbau der Windenergie. Das Land hat zwischen 2014 und 2019 fast 40 Prozent der weltweit gebauten Windenergie ans Netz gebracht. Gleichzeitig ist China größter Verbraucher von Kohle und beheimatet die Hälfte der weltweiten Kohlekraftwerkskapazität. Die fossilen Energieträger Kohle, Gas und Erdöl machten 2019 noch immer gut 72 Prozent der chinesischen Stromerzeugung aus. Im September letzten Jahres hatte Xi Jinping verkündet, China wolle vor 2030 den Höhepunkt der CO2-Emissionen erreichen und vor 2060 kohlenstoffneutral werden. nib
WeChat kann schon (fast) alles, aber eigene Shops haben noch gefehlt. Der Tencent-Konzern, dem die universelle Kommunikations-App gehört, will diese Lücke nun schließen – und könnte damit den Handelsplattformen von Konkurrent Alibaba viele kleinere Kunden abspenstig machen. Der Dienst WeChat Mini-Shop (Xiao Shangdian, 小商店) soll dafür demnächst von der Anlauf- in die Phase des Regelbetriebs übergehen. Ziel ist es ausdrücklich, “die Schwelle zum Einstieg in Handelstätigkeit auf kleinem Maßstab zu verringern“, wie aus einer Seite für Entwickler hervorgeht.
In der jüngst wegen Corona abgeriegelten Stadt Shijiazhuang wollen die Behörden nun die neue Shop-Funktion von WeChat gezielt nutzen, um kleine Geschäfte zu digitalisieren – damit die Bürger nicht mehr zum Einkaufen auf die Straße müssen. In China häufen sich zugleich Berichte von Ladeninhabern, die erstmals etwas online anbieten, beispielsweise eine 60-jährige Optikerin aus Guangzhou.
Derzeit tummeln sich viele Klein- und Kleinstanbieter von Waren auf der Plattform Taobao, die zu Alibaba gehört. Doch WeChat zeichnet sich als deutlich benutzerfreundlicher aus. Über eine Milliarde Nutzer haben die App ohnehin installiert und bereits Zahlungswege eröffnet. Weitere Voraussetzungen für die Einrichtung eines eigenen Shops gibt es nicht. Viele chinesische Bürger arbeiten zudem ohnehin lieber mit dem Handy als mit einem PC.
Die Mini-Shops sind eine Unteranwendung der Mini-Programme von Wechat, die einen eigenen Kosmos an kommerziellen Anwendungen geschaffen haben. Tencent hat darauf aufbauend aber eine Oberfläche für Händler vorbereitet, die keine Vorkenntnisse mehr erfordert. Gerade kleine Händler sollen zudem ihren vorhandenen Freundeskreis nutzen können, um Produkte anzupreisen.
Tencent hatte vor 2014 schon einen Vorstoß in den E-Commerce vorgenommen, die Sparte jedoch nach einer Kapitalverflechtung mit den Aktivitäten des großen Anbieters JD.com zusammengelegt. Für komplexere Produktangebote können die Anbieter der Mini-Shops auch künftig auf JD verweisen. Alibaba hat heute in China einen Marktanteil von 50 Prozent. Im Laufe dieses Jahres sollte nun der Marktanteil der Mini-Shops stetig ansteigen. fin
Dass Europa seine Rolle als geopolitischer und geoökonomischer Akteur stärken muss, ist eine Binsenweisheit. Doch wie es dies tun kann, ist weit weniger klar. Hier setzt der Strategiebericht “Konnektivität und die Beziehungen zwischen der EU und Asien” an, den das Europaparlament am Donnerstag mit sehr großer Mehrheit (526 Stimmen dafür, 43 dagegen, 119 Enthaltungen) verabschiedet hat. Die chinesische “Belt and Road”-Initiative hat uns aufgeweckt. Aber die “Konnektivitäts”-Strategie ist nicht einfach eine Antwort auf BRI, sondern eine eigenständige strategische Perspektive, der freilich die Enttäuschung, die es vielerorts über BRI gibt, auch zupass kommt.
Die Abgeordneten verlangen mehr Kohärenz zwischen der europäischen Außen-, Entwicklungs-, Handels- und Sicherheitspolitik. Die Vernetzung liegt eigentlich in den Genen der EU – doch in den Außenbeziehungen war davon bisher wenig zu sehen. Das Parlament macht deshalb eine Reihe von “Governance”-Vorschlägen, in denen es darum geht, dass Brüssel sich besser koordiniert und die europäischen Mitgliedsländer an Bord sind. Die Zivilgesellschaft und Wirtschaftsvertreter müssen eingebunden sein, und natürlich braucht die Strategie genügend Geld.
Ausgangspunkt für unseren Vorstoß war das Dokument “Connecting Europe and Asia”, das EU-Kommission und Europäische Auswärtige Dienst (EAD) im September 2018 veröffentlicht hatten. Das Papier wurde nie populär, noch nicht mal in Brüssel. Konnektivität braucht einen zweiten Atem. Im Kern ging es damals um den Ausbau physischer Infrastruktur: “brick and mortar” – Ziegelsteine und Mörtel. Aber wir müssen weiter gehen. Um den Grundgedanken “Stärke durch Kooperation” zeitgemäß zu realisieren, müssen mehr Dimensionen eine Rolle spielen: Digitalisierung etwa und Kontakte zwischen Menschen über Austauschprogramme. Prioritäten wie Sicherheit, Gesundheit und Standardisierung. Viel stärker als bisher müssen wir mit Partnern kooperieren, die wie wir ein Interesse daran haben, dass Multilateralismus nicht durch Großmachtpolitik erdrückt wird. Die Strategie soll sich an den Oberzielen der EU ausrichten wie dem Green Deal, den Menschenrechten und den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung.
Während das Dokument von 2018 sich vor allem auf Asien konzentrierte, will das EU-Parlament eine globale Strategie. Es benennt eine Reihe von Partnern: Mit Japan besteht bereits eine Konnektivitäts-Partnerschaft, mit Indien laufen Verhandlungen, demnächst auch auf Gipfelebene. Mit der Afrikanischen Union möchten wir eine Partnerschaft möglichst Ende 2021. Auf Südkorea und Australien ruht viel Hoffnung, mit der Asean-Gemeinschaft hat die EU beim letzten Ministertreffen eine gemeinsame Erklärung zu Konnektivität verabschiedet.
Es gibt ein größeres Interesse an Konnektivität, als die EU-Kommission von Ursula von der Leyen bis jetzt realisiert hat. BusinessEurope beispielsweise legt in seiner China-Strategie großes Gewicht auf das Thema. Die von der Juncker-Truppe organisierte Konnektivitäts-Konferenz 2019 stieß auf gigantisches Interesse, 1400 Teilnehmer kamen, ein Viertel davon aus Asien. 2021 soll es aber nun eine neue Konferenz geben, wie die EU-Kommission gerade bekräftigt hat. Unter den EU-Mitgliedsstaaten sind Frankreich, Deutschland und Polen als besonders Interessierte aufgetreten. Die amtierende portugiesische EU-Präsidentschaft legt einen starken Fokus auf digitale Konnektivität und will demnächst das “EllaLink”-Tiefseekabel für hohen Datentransport von und nach Südamerika einweihen, das übrigens mit Nokia-Technologie gebaut worden ist.
Einfach gesagt: Die Betonung dessen, was eine globale europäische Konnektivitäts-Strategie leisten kann, hilft sicher auch dabei, dass man sich in Brüssel, Berlin und Paris nicht allzu sehr an Autonomie-Narrativen berauscht. Für eine geopolitische Kommission, für eine EU, die Weltpolitik anstrebt, ist es gar nicht möglich, auf Konnektivität als zentralen Pfeiler zu verzichten.
Reinhard Bütikofer ist seit 2009 Abgeordneter der Grünen im Europäischen Parlament. Der 67-Jährige ist Vorsitzender der China-Delegation und Mitglied im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten.