der Verkauf eines Anteils des Hamburger Hafens an Cosco brachte einen Kipppunkt in der China-Wahrnehmung. Noch nie war sich die deutsche Öffentlichkeit so einig, dass man mit China vorsichtiger umgehen müsse. Auch im Umgang mit Russland wäre schließlich mehr Vorsicht angebracht gewesen. Für viele Menschen ist die Volksrepublik zwar weiterhin sehr weit weg. Doch sie merken nun auf, wenn von China die Rede ist. Denn die Konsequenzen aus dem Ukraine-Krieg reichen längst in jedes Haus.
Zur kritischen Wahrnehmung Chinas dürfte diese Woche zudem ein offener Brief beitragen, den China.Table exklusiv veröffentlicht hatte. Darin richten sich über 180 Dissidenten, von denen gut die Hälfte auf dem chinesischen Festland lebt, direkt an Olaf Scholz. Ihr Appell: “Fahren Sie in diesen Zeiten nicht nach China.” Noch immer werden in Xinjiang, Tibet und der Inneren Mongolei die Menschenrechte verletzt. Der Diktator Xi habe zu viele Versprechen gebrochen und Drohungen ausgesprochen, sei es in Hongkong oder gegenüber Taiwan, als dass man jetzt zur Tagesordnung übergehen könne. “Daher appellieren wir an das Gewissen der Menschen in Deutschland und auf der ganzen Welt, ihre Stimme zu erheben” schreiben die Unterzeichner, zu denen auch der Schriftsteller Liao Yiwu sowie die früheren Studentenführer Wang Dan und Wu’er Kaixi gehören.
Die Proteste, die Wang und Wui’er 1989 anführten, sind heute undenkbar. Deswegen war es schon eine Sensation, als ein einzelner Mann kurz vor dem Parteitag Protestbanner an der Sitong-Brücke aufhängte. Tatsächlich hat seine Aktion eine Welle von Nachahmern in der ganzen Welt inspiriert.
Die Spuren des Protestes sind weitgehend verschwunden. Doch für einige Tage klebten an Mauern und Masten rund um den Universitäts-Campus in Göttingen Dutzende schwarz-weiße Kopien mit dem Bild eines lächelnd winkenden chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping. Darüber der Schriftzug “Dictator”.
Wer die Initiatoren der Aktion waren, weiß Ray Wong, Hongkonger Exilant und Demokratie-Aktivist, der in Göttingen Politikwissenschaft studiert. Wong genießt schon seit 2018 politisches Asyl in Deutschland. Von hier aus organisiert der 29-jährige einen Teil der Hongkonger Diaspora, die aus dem weltweiten Ausland versucht, Widerstand gegen Pekings Griff auf ihre Heimstadt zu mobilisieren. Oder er unterstützt chinesische Studenten bei regimekritischen Aktionen.
“Ich habe einer kleinen Gruppe chinesischer Studenten dabei geholfen, den Protest zu platzieren, damit sie selbst im Hintergrund bleiben konnte”, sagt Wong. Die Kommilitonen fürchteten, entdeckt und als Dissidenten entlarvt zu werden. Unter einer geschätzt vierstelligen Zahl chinesischer Studenten in Göttingen seien einige, die vom Staat als Spitzel instrumentalisiert würden. Jeder, der Pekings offizielle politische Linie verlässt, müsse deshalb mit Konsequenzen rechnen, beispielsweise dem Abbruch des Studiums und der sofortigen Rückkehr in die Heimat.
Der Zeitpunkt, zu dem die “Dictator”-Flyer auftauchten, war nicht zufällig gewählt. Im Gegenteil war die Aktion motiviert von einem Protest in der Pekinger Innenstadt Tage zuvor. Dort hatte ein Mann wenige Stunden vor Beginn des 20. Parteitages der Kommunistischen Partei große Banner an einer Autobahnbrücke befestigt und Xi als Diktator bezeichnet, der das Volk verrät. Über das Schicksal des Mannes ist seit seiner Festnahme nichts mehr bekannt. Geblieben ist die Bezeichnung Bridge Man, die ihm internationale Medien gegeben haben.
Auch in der Volksrepublik selbst inspirierte Bridge Man geheime Proteste. Das Vice Magazin berichtet über die Versendung von Xi-kritischen Memes in Shanghai über Mobiltelefone von Apple, deren Gerät-zu-Gerät-Verbindungen von den chinesischen Behörden kaum kontrolliert werden können. Auf Dutzenden öffentlichen Toiletten in Peking und Chengdu wurden Parolen entdeckt, die Aktivisten an die Wände gekritzelt hatten. Über private WeChat-Gruppen wurde eine populäre Popschnulze verbreitet, mit dem Titel gū yǒng zhě (孤勇者) – Der einsame und mutige Mann.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich innerhalb der Volksrepublik eine Bewegung etabliert, die die Stabilität des Regimes kurzfristig herausfordern könnte, ist zurzeit dennoch verschwindend gering. Die Überwachung des öffentlichen und des digitalen Raums hat in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen. Die Zensur zerschlägt meist innerhalb weniger Stunden jede Form ziviler Debatten in sozialen Medien und erstickt jeden Funken des Dissens im Keim. Sicherheitsbehörden schüchtern mit Hausbesuchen politische Quertreiber in kürzester Zeit ein.
Damit verlagert sich der Spielraum für möglichen Protest ins Ausland. Weltweit kommt es seit einigen Wochen an Universitäts-Standorten zu Aktionen, die Unzufriedenheit mit der Entwicklung in der Volksrepublik ausdrücken. In englischen Oxford klebten Unbekannte ihre Botschaften in Mandarin und teils in Englisch an Fensterscheiben. Auch dort war das gleiche schwarz-weiß Bild von Xi Jinping zu sehen, das auch die Mauern in Göttingen pflasterte. Im kalifornischen Stanford tauchten Solidaritätsbekundungen mit dem Bridge Man auf. Ähnliche Aktionen folgten an vielen Unis in den USA, Australien, Kanada und Großbritannien, sogar in Japan. “Danke an alle”, richtete der chinesische Menschenrechsanwalt Teng Biao über Twitter aus.
Ob es sich dabei tatsächlich immer um chinesische Studenten handelt oder auch um andere Gruppen, die Chinas autoritäre Staatsform verurteilen, bleibt meist unklar. In den Sozialmedien liefern sich Befürworter und Gegner der Kommunistischen Partei Schlagabtausche darüber, ob die Proteste Relevanz haben oder nicht und ob sie überhaupt von Chinesen initiiert worden sind. Doch sollten es keine Chinesen gewesen sein, stellt sich die Frage, weshalb die Aktivisten auf Basis ihrer demokratischen Bürgerrechte nicht einfach öffentlich demonstrieren. Denn nur wer Angst haben muss vor Konsequenzen, protestiert still und heimlich.
In Australien kam es in den vergangenen Jahren mehrfach zu Aktionen, bei denen sich einheimische Studenten gegen die Herrschaft der Kommunistischen Partei stark machten – anfänglich zur Unterstützung von Hongkonger Kommilitonen. Einer der Organisatoren solcher Proteste in Australien ist Drew Pavlou. Der 23-Jährige hat seitdem mit zahlreichen aufsehenerregenden Aktikonen den Zorn der chinesischen Behörden auf sich gezogen.
Mit Hongkonger Exilanten, tibetisch- oder uigurisch-stämmigen Aktivisten tritt Pavlou inzwischen vor chinesischen Botschaften oder Konsulaten in Erscheinung oder demonstriert in der Innenstadt in London. 2021 wurde das Herren-Endspiel vom Tennisturnier in Wimbledon seinetwegen unterbrochen. Pavlou hatte ein Banner auf die Zuschauerränge geschmuggelt und entrollt, auf dem er fragte: “Wo ist Peng Shuai?” Er spielte damit auf die verschwundene chinesische Tennisspielerin an, die dem ehemaligen Vize-Premierminister Zhang Gaoli zuvor sexuelle Übergriffe vorgeworfen hatte.
“Meine Eltern haben mich gebeten, mit diesen Protesten aufzuhören, weil sie um meine Sicherheit fürchten. Aber ich trage die feste Überzeugung in mir, dass es das Richtige ist, was ich tue”, sagt Pavlou im Gespräch mit China.Table. Den chinesischen Behörden ist Pavlou nicht nur ein Begriff, sondern längst auch ein Dorn im Auge, wie er glaubt. Die chinesische Botschaft in London wirft ihm vor, ihr mit einer Bombe gedroht zu haben. Sie legte der Polizei eine entsprechende E-Mail vor, versendet von einer Adresse, die seinen Namen trug.
Pavlou bestreitet die Vorwürfe. “Es ist so lächerlich zu glauben, ich würde eine Bombendrohung aussprechen und dann auch noch mit meinem echten Namen freundlich grüßen”, sagt er. Dennoch durfte er erst nach vier Wochen das Land verlassen. Allerdings musste er Mitte Oktober bei der Polizei in London erneut vorstellig werden. Der Fall ist immer noch in der Schwebe. Das hielt Pavlou nicht davon ab, seine Follower beim Kurznachrichtendienst Twitter aufzufordern, die Botschaften des Bridge Man weiter zu verbreiten.
Die Frage, ob Proteste außerhalb Chinas überhaupt Relevanz besitzen, beantwortet der Fall der Studentenorganisation Oxford Union. Die lud Pavlou vergangene Woche als Redner in ihren Debattierklub ein. Die britischen Studenten wollten genauer verstehen, weshalb Pavlou sich mit Peking anlegt. Bei der Oxford University, die den Debattierklub gar nicht verantwortet, gingen am Tag zuvor gleich mehrere private Protestschreiben ein, die beklagten, dass der Australier als Redner geladen war. Die Absender waren vermeintliche Sympathisanten Pekings, die so versuchten, Pavlou zu verunglimpfen und dem Debattierklub die Lust auf dessen Rede zu verderben.
Umwelt, Datenschutz, soziale Gerechtigkeit – und jetzt China. Die Bürgerbewegung Campact betrat Ende Oktober mit ihrer Unterschriftenaktion gegen chinesische Einflussnahme Neuland. Erstmals in ihrer 18-jährigen Geschichte mobilisierten die Verantwortlichen der Nichtregierungsorganisation eine Protestaktion, die der deutschen Politik konkret einen wirtschaftlichen Schmusekurs mit den “Despoten” aus Peking vorwarf.
Campact nutzte die mediale Aufmerksamkeit der vergangenen Wochen für das Thema, um ein großes Echo in der Bevölkerung erzielen zu können. Zwar hatten sich nur eine Handvoll Menschen vor dem Bundeskanzleramt postiert, um gegen den Teilverkauf eines Hamburger Hafen-Terminals zu demonstrieren und Olaf Scholz auf einem Plakat die Frage vorzuhalten, ob er eigentlich noch etwas merke. Doch binnen 36 Stunden unterstützten 251.000 Unterzeichner die Petition im Internet.
Campact widme sich vielen Themen und gehe “dort rein, wo es brennt”, erklärt eine Sprecherin. Das Hafen-Geschäft hatte offenbar ausreichend Rauch produziert, um wirksame Dimensionen eines Appells erreichen zu können. “Statt Deutschland in Zukunft noch erpressbarer zu machen, muss Scholz zentrale Infrastruktur gezielt schützen, insbesondere vor dem Zugriff autokratischer Staaten”, warnte die Organisation.
Die Petition blieb zwar erfolglos. Der Verkauf von Anteilen am Betreiber des Hafen-Terminals Tollerort ist beschlossene Sache, wenn auch zu Konditionen, die China weniger Mitsprache gewähren. Doch die zunehmende Sorge in Deutschland vor chinesischem Einfluss nimmt Bundeskanzler Scholz (SPD) als zusätzliches Gepäck mit auf seinen Kurztrip nach Peking, zu dem er am Donnerstag abfliegt.
Für seine Zugeständnisse an China steckt Scholz heftige Kritik ein, weil anderswo der Begriff Zeitenwende weitreichender definiert wird, als er es möglicherweise gemeint hatte. Selbst aus den Reihen des Koalitionspartners FDP kommen Warnungen. “Am Umgang des Kanzlers mit China zeigt sich, dass er keine Lehren aus der verfehlten Russlandpolitik der letzten Jahre gezogen hat. Die Zeitenwende lässt sich nicht auf ein Land beschränken, sondern erfordert, dass wir unsere Abhängigkeit von allen autokratischen Staaten verringern”, sagte die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Renata Alt.
Dass sich das Blatt kurzfristig wendet, scheint eher unwahrscheinlich zu sein. “Ich bin immer wieder erstaunt, wie groß die Skepsis gegenüber China in der deutschen Öffentlichkeit und Wirtschaft ist”, beschreibt der Berlin-Korrespondent der britischen Times, Oliver Moody, auf Twitter den Trend. Noch aber sei das wachsende Bewusstsein für das Problem nicht an den Handelsdaten abzulesen. “Es ist interessant zu sehen, dass (A) in Deutschland weithin erkannt wird, dass eine strategische Falle lauert, und (B) die meisten Wirtschaftsdaten darauf hindeuten, dass das Land in diese Falle reinläuft”, so Moody.
An die Spitze der Laufbewegung hat sich – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – Scholz mit dem Hafen-Deal persönlich gestellt. Dabei ist es nicht nur der Kanzler selbst, der die Abhängigkeit weiter vorantreibt (China.Table berichtete). Viele Unternehmen, Institutionen aus Forschung und Wissenschaft, aber auch Landes- oder Lokalpolitiker drehen das Rad aus Eigeninteresse stetig weiter. Hier ein Sponsoring für einen Professor an einer deutschen Uni oder eine Forschungskooperation, dort große Versprechen für millionenschwere Investitionen veranlassen Verantwortliche auf vielen Ebenen der Gesellschaft zu größerer Annäherung an das Regime.
Unabhängig davon, wie detailliert sich die breite Masse der Unterzeichner der Campact-Petition tatsächlich mit der Kernproblematik des Verkaufs kritischer Infrastruktur an die Volksrepublik befasst, ist die hohe Zahl an Unterzeichnern Ausdruck für eine Entwicklung, die sich seit einigen Jahren in Deutschland abgezeichnet hat. Die Wahrnehmung für Chinas strategische Zukäufe in Europa und speziell in Deutschland – und die damit verbundenen politischen Risiken – hat den emotionalen Mainstream der Bevölkerung erreicht.
Menschen, die sich nie zuvor ernsthaft damit auseinandergesetzt haben, wie und wo China in Deutschlands kritischer Infrastruktur bereits verankert ist, beginnen plötzlich, sich für das Thema zumindest oberflächlich zu interessieren und sich eigene Gedanken zu machen über mögliche Konsequenzen. Auch weil die deutsche Medienlandschaft den Teilverkauf des Tollerort-Terminals prominent auf die Agenda gesetzt hat.
Angesichts des normalen Wahnsinns der täglichen Nachrichtenfülle ist das ein bemerkenswerter Prozess. Denn immer noch ist China für viele Menschen einfach nur sehr weit weg – nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen westlichen Staaten. Jetzt aber scheint die Volksrepublik ein deutliches Stück näher an den deutschen Alltag herangerückt zu sein.
Zwar ist es nicht das erste Mal, dass Übernahmen durch chinesische Investoren für Furore sorgten. Als 2016 der deutsche Robotik-Marktführer Kuka an einen Anbieter aus der Volksrepublik ging, kochte das Thema hoch. Das Bundeswirtschaftsministerium verschärfte das Außenwirtschaftsgesetz und behielt sich strengere Prüfungen von ausländischen Investitionen vor. Doch der Rauch verzog sich, und das große Bild von Chinas industriepolitischer Strategie verschwand wieder in der Nische. Jetzt aber hat die Sorge vor einer wachsenden Abhängigkeit Bevölkerungsteile erreicht, für die Pekings Industriepolitik bislang nicht mehr als langweilige Nachrichten im Wirtschaftsteil bedeuteten.
Denn die Vorzeichen sind 2022 andere als noch vor sechs Jahren. Die öffentliche Meinung zu China ist drastisch kritischer geworden. Der jüngste Transatlantic Trends Report des German Marshall Funds sagt aus, dass von 14 untersuchten Staaten nur in den USA und Kanada ein größerer Bevölkerungsanteil China für einen Rivalen hält als in Deutschland. Und lediglich in Großbritannien ist die Zahl derer, die China für einen Partner halten so klein wie in Deutschland (12 Prozent). Der Berlin Pulse Report der Körber-Siftung fand zudem heraus, dass zwei Drittel der Deutschen bereit sind, die wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu verringern, selbst wenn das zu ökonomischen Einbußen führt.
Die Entdemokratisierung Hongkongs seit 2019, die Beweise für systematische und umfassende Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang und Tibet, das aggressive Auftreten von Wolfskrieger-Diplomaten im Ausland oder die Drohungen gegen Taiwan haben Spuren in Deutschland hinterlassen. Die Wucht dieser Ereignisse wurde jedoch erst potenziert durch die Erkenntnis, wie groß die Abhängigkeit Deutschlands von Rohstoffen aus Russland war. Hätte Putin die Ukraine nicht angegriffen, hätte der Teilverkauf des Hamburger Terminals möglicherweise kaum Beachtung erfahren. Jetzt ist er so etwas wie der Kippmoment für die Wahrnehmung chinesischer Strategien in Deutschland.
Auf den Offenen Brief an Olaf Scholz, den eine große Zahl chinesischer Regimekritiker in China.Table veröffentlich hat, folgte am Mittwoch ein großes Echo in Medien und Politik. Deutschlandfunk, Spiegel Online, Zeit.de, die Stuttgarter Nachrichen und zahlreiche andere Sender und Seiten haben über den Aufruf der Dissidenten berichtet, die Reise abzusagen.
Auch im Kanzleramt wurde das Schreiben sehr genau registriert. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Mittwoch zwar zunächst den Standardsatz der Regierung zu offenen Briefen: Dazu äußere man sich nicht. Wichtiger war, was er hinzufügte: Der Bundeskanzler nehme “wahr und auf”, was “gesagt und geschrieben” werde. Dazu gehöre auch dieser Brief. Scholz “bereitet sich sehr gründlich und umfassend auf diese Reise vor” und sei mit vielen Betroffenen im Gespräch.
Aus Kanzleramtskreisen war zudem die Einschätzung zu hören, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Briefs seien Stimmen, die man sehr ernst nehme. “Wir haben Respekt vor der Auffassung dieser Persönlichkeiten”, hieß es. Anders als die Dissidenten glaube die Bundesregierung aber nicht, dass es besser wäre, in der derzeitigen Situation auf einen Dialog zu verzichten. Man setze darauf, in Gesprächen für die deutsche Position zu werben und werde “auch schwierige Themen deutlich ansprechen”. mkr
Namhafte Menschenrechtsorganisationen fordern von der Bundesregierung eine bessere Durchsetzung der Sorgfaltspflicht im Umgang mit Lieferungen aus Xinjiang. “Die Entscheidung von Kanzler Olaf Scholz, jetzt mit einer Wirtschaftsdelegation nach Peking zu reisen, zeigt, dass für Deutschland weiter Profit vor Menschenrechten steht”, sagte Dolkun Isa, Präsident des Weltkongresses der Uiguren, am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Berlin. Scholz missachte damit den Koalitionsvertrag, der eine stärkere Betonung ethischer Aspekte der Handelspolitik vorsieht. “Viele Länder richten ihre China-Strategie nach der Wiederwahl Xi Jinpings für eine dritte Amtszeit neu aus.”
Auch die anderen Organisationen betonten, jetzt sei “nicht der richtige Zeitpunkt für freundliche Besuche” und einen Normalbetrieb der China-Beziehungen. Auf der Veranstaltung meldeten sich
mit Kritik an der Kanzler-Reise und der leichtfertigen Lieferkettenpolitik deutscher Unternehmen zu Wort. Sie fand in der Bundespressekonferenz (BPK) in Berlin statt. Wie der Verein berichtete, hatte die chinesische Botschaft im Vorfeld Kontakt zum Vorstand der Bundespressekonferenz aufgenommen. Offenbar wollte sie den Verlauf der Veranstaltung mit den Menschenrechtsgruppen beeinflussen. Die BPK lehnte die Einflussnahme klar ab.
Die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) stützten sich bei ihren Forderungen auf Einschätzungen internationaler Gremien, die in China Rechteverletzungen festgestellt haben. Dazu gehört die Internationale Arbeitsorganisation ILO, die Hochkommissarin für Menschenrechte und am Mittwoch noch eine Gruppe von 50 Uno-Staaten, darunter Deutschland, die “schwere und systematische” Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang anprangern. fin
Die deutsche Botschaft in Peking hat mit einem cleveren Online-Beitrag beim Kurznachrichtendienst Weibo des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens gedacht. Die Botschaft nutzte dazu eine Würdigung des Jahrestages der diplomatischen Beziehungen, in deren Rahmen sie an prägende Ereignisse in beiden Ländern aus jedem der vergangenen 50 Jahre erinnert. Für 1989 veröffentlichte sie ein Foto vom Tag des Mauerfalls neben einem komplett schwarzen Bild. Darunter schrieb die deutsche Repräsentanz erklärende Zeilen zum Motiv aus Berlin und weitere sechs geschwärzte Zeilen als Hinweis auf die Zensur in China.
Der Post erhielt knapp 4000 Likes und über 600 Kommentare, von denen einige Deutschland verunglimpften. “Deutsche Beschäftigte im Gesundheitswesen protestieren. Geld für die Unterstützung der Ukraine, aber kein Geld für eine Lohnerhöhung”, hieß es in einem, “Deutschland hat sowohl den 1. als auch den 2. Weltkrieg verloren, wenn der 3. …”, in einem anderen. Manche Kommentare waren mehrdeutig zu lesen: “Die Freundschaft hat Bestand” oder enthielten einen Bezug zu Taiwan: “Glückwunsch zur Wiedervereinigung der deutschen Nation (gut). Hoffentlich mischen sich die G7 nicht weiter ein, wenn wir friedlich vereint sind.”
Die chinesische Regierung arbeitet seit über 30 Jahren hartnäckig daran, das staatlich angeordnete Blutvergießen im Juni 1989 aus dem kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung zu verbannen. Dazu zensiert sie strengstens direkte, aber auch indirekte Hinweise auf die Tragödie und ahndet jede Form der Erinnerung. Nutzer können deshalb unter einem solchen Post keine Kommentare hinterlassen, die eine Erinnerungskultur befürworten. Sie würden sich damit Repressionen der Behörden aussetzen.
Deutschlands neue Botschafterin in Peking, Patricia Flor, hatte in einem Interview mit China.Table vor einigen Wochen erklärt, dass sie Sozialmedien verstärkt als Kommunikationskanal nutzen zu wollen. Mit dem Post hält die Botschaft der chinesischen Regierung weniger Tage vor dem Besuch von Bundskanzler Olaf Scholz den Spiegel vor. grz
Nach der Flucht zahlreicher Mitarbeitender aus dem Werk des Apple-Zulieferers Foxconn in Zhengzhou vervierfacht das Unternehmen die Bonuszahlungen. Pro Tag will es im November an Mitarbeitende des Elektronikbereichs der vom Corona-Lockdown betroffenen Fabrik zusätzlich 400 Yuan (gut 55 Euro) zahlen. Das teilte Foxconn am Dienstag auf WeChat mit. Zunächst hatte der taiwanische Konzern eine Zahlung von 100 Yuan angekündigt. Das konnte den Unmut im Werk über strikte Covid-Maßnahmen aber offenbar nicht ausreichend lindern.
Am Wochenende waren in chinesischen Online-Netzwerken Aufnahmen aufgetaucht, die Zehntausende flüchtende Foxconn-Beschäftigte zeigen sollen (China.Table berichtete). Manche versuchten demnach, zu Fuß über Straßen und Felder in ihre Heimatorte zu gelangen. Die Videos konnten nicht unabhängig verifiziert werden. Als Folge könnte die iPhone-Produktion um bis zu 30 Prozent zurückgehen, weshalb Foxconn offenbar die Fertigung in seiner Fabrik in Shenzhen ausbauen will (China.Table berichtete). Foxconn beschäftigt am Standort Zhengzhou zwischen 200.000 und 300.000 Arbeiterinnen und Arbeiter. Foxconn bestätigte eine kleine Zahl von Infektionen. Die Financial Times berichtete dagegen von mehr als 10.000 Infizierten. rtr/ck
Die Niederlande reagieren auf Berichte (unter anderem in China.Table) über den Betrieb chinesischer Verhörstationen auf europäischem Boden. Außenminister Wopke Hoekstra ordnete an, die ohne Genehmigung betriebenen Polizeibüros mit sofortiger Wirkung zu schließen.
Hoekstra habe dies auch dem chinesischen Botschafter mitgeteilt, berichtet die Nachrichtenagentur ANP. Er werde untersuchen lassen, welche Aktivitäten in den Übersee-Polizeistationen (ÜPS) stattgefunden haben. Ihre Existenz sei “inakzeptabel”. fin
Die vom chinesischen Unternehmen Bytedance betriebene Social-Media-Plattform Tiktok will ihren Angestellten in mehreren Ländern, einschließlich China, erlauben, auf die Benutzerdaten aus der EU, der Schweiz und Großbritannien zuzugreifen. Dies geht aus der neuen Datenschutzrichtlinie des Unternehmens hervor, die am 2. Dezember in Kraft treten soll.
Zu den anderen Ländern und Standorten, in denen europäische Nutzerdaten von TikTok-Mitarbeitern eingesehen werden könnten, gehören demnach Kanada, Brasilien, Israel, die USA und Singapur. Wie der britische “Guardian” am Donnerstag berichtete, will Bytedance die Nutzung der besonders bei Jugendlichen beliebten Video-App durch die Auswertung der Daten “einheitlich, angenehm und sicher” machen. Sie könnten demnach zu einer Verbesserung der Empfehlungs-Algorithmen und einer besseren Erkennung von Fake-Profilen beitragen.
Bereits in der Vergangenheit wurde Tiktok vorgeworfen, Nutzerdaten an chinesische Behörden weiterzugeben und China-kritische Inhalte bewusst zu löschen (China.Table berichtete). Irlands Datenschutzbehörde, die EU-weit für TikTok zuständig ist, hat eine Untersuchung zur “Übertragungen personenbezogener Daten durch TikTok nach China” initiiert. fpe
Zu den Initiatoren gehören unter anderem der Geschichtsprofessor Wang Dan (USA), die Aktivisten Wu’er Kaixi (Taiwan) und Zhou Fengsuo (USA), die 1989 die Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking angeführt hatten, sowie der Dokumentarfilmer Yang Weidong (Deutschland). Zu den namhaften Unterstützern der Aktion zählen der in Berlin lebende Schriftsteller Liao Yiwu, die frühere Studentenführerin Chai Ling oder der Autor und Dichter Chen Maiping, Generalsekretär des unabhängigen chinesischen PEN-Klubs.
Sehr verehrter Herr Bundeskanzler Scholz,
wir sind eine Gruppe ehemaliger chinesischer Studenten, Künstler, Schriftsteller, Dichter und Intellektueller, die seit dem Tiananmen-Massaker in Peking 1989 weltweit gezwungen sind, im Exil zu leben, sowie pflichtbewusste Chinesen, die kürzlich aus Hongkong in andere Teile der Welt verbannt wurden. Mit großer Überraschung haben wir erfahren, dass Sie für November einen Besuch in China geplant haben.
Daher richten wir folgende Fragen an Sie:
1) Die Covid-19-Pandemie: Obwohl es noch keine Erkenntnisse über den Ursprung der weltweiten Pandemie gibt, werden Sie jetzt nach China reisen?
2) Xi Jinpings Diktatur: Auf dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas hat Xi Jinping seine Macht missbraucht und sein Ziel, China zum dritten Mal in Folge zu regieren, verwirklicht. Obwohl Xi nun zu einem regelrechten Diktator geworden ist, werden Sie jetzt nach China reisen?
3) Menschenrechte/Genozid: In ganz China wurden zahlreiche Menschenrechtsverbrechen begangen, einschließlich des Völkermords in den Autonomen Regionen Xinjiang, Tibet und der südlichen Mongolei sowie einer unsinnigen und grausamen Null-Covid Politik, die das Leben der Menschen im ganzen Land erschwert. Obwohl der Unmut der Menschen immer größer wird, werden Sie China besuchen?
4) Die Hongkong-Frage: Die Kommunistische Partei Chinas erklärte, dass die Chinesisch-britische gemeinsame Erklärung zu Hongkong lediglich ein historisches Dokument sei. Xi Jinping hat damit das Versprechen der KPCh gebrochen, dass die Bürger von Hongkong die Region in den nächsten 50 Jahren selbst regieren können, wenn das Prinzip “Ein Land, zwei Systeme” unverändert bliebe. Die Partei hat den Legislativrat von Hongkong manipuliert, damit dieser das berüchtigte Nationale Sicherheitsgesetz verabschiedete und damit zahlreiche Menschen aus Hongkong vertrieb. Obwohl dies verheerende Folgen für China und die Welt hat, werden Sie China besuchen?
5) Die Taiwan-Frage: Die Republik China wurde im Jahr 1911 gegründet und existiert seit über 100 Jahren als unabhängiges Land. Obwohl Xi Jinpings Pläne zur gewaltsamen Vereinigung Taiwans während seiner dritten Amtszeit immer konkreter werden, werden Sie China besuchen?
Uns ist bewusst, dass die oben genannten Fragen überwiegend innenpolitische Angelegenheiten Chinas sind, die weniger mit der Welt und Deutschland zu tun haben. Sie führen während ihres Besuches in China eine Wirtschaftsdelegation an. Aber haben sie als Politiker nicht den Eindruck, dass das heutige China nicht nur ein zentralisierter Staat ist, sondern auch langsam in eine Diktatur nach nationalsozialistischem Vorbild abrutscht?
Das derzeitige Regime von Xi Jinping erlebt durch interne und externe Konflikte sowie öffentliche Missstände eine Krise nach der anderen. Welche Ansichten werden Sie als ein Vertreter der liberalen Demokratien der Welt, der im Begriff ist, ein China unter der Diktatur von Xi Jinping zu besuchen, ihm gegenüber vertreten?
Daher appellieren wir an das Gewissen der Menschen in Deutschland und auf der ganzen Welt, ihre Stimme zu erheben: “Herr Scholz, bitte reisen Sie nicht nach China!”
Wang Dan, Wu’er Kaixi, Zhou Fengsuo, Yang Weidong, Liao Yiwu, Chen Maiping, Wang Longmeng, Guo Zhaohui, Huang Xizhi, Jia Guoqing, Su Xiaokang, Su Yutong, Yan Geling, Hu Ping, Yan Jiaqi, Gao Gao, Wang Juntao, Yang Jianli, Zhang Boli, Xiong Yan, Chen Pokong, Tang Kai, Chai Ling, Feng Congde, Wang Wen, Bai Meng, Xu Li, Ye Qiuli, Meng Jinghui, Shi Hang, Wang Dai, Gong Zexun, Chen Shujun, Huang Xuetao, Chen Li, Shi Meilan, Feng Jianzhong, Mo Li, Fu Zhengming, Wang Guoxing, Wei Jingsheng, Wu Hong, Zhang Guoting, Tie Niu, Li Zhen, Pan Yongzhong, Fei Liangyong, Cheng Binlin, Zhu Hongyi, Shi Kangcheng, Shi Lin, Ran Na, Li Shulan, Ma Yanling, Gao Jian, Li Furong, Fang Zhongning, Qian Ailing, Qin Jin, Ruan Jie, Feifei, Xu Xiang, Lin Ren, Jiang Hao, Yang Lian, Zhang Gang, Wang Ge, Chen Peixi, Zhou Wei, Fang Boge, Maggie Cheung, Shao Guoqiang, Xu Zhiqing, Ma Like, Wang Lingling, Chen Jiefu, Dong Changjun, Xiao Min, Chen Lan, Zhang Yu, Lin Yuxiao, Bai Yun, Sun Yifeng, Zhao Chengmin, Wang Rui, Lu Baixue, Ni Hui, Wang Mingliang, Yin Xiangnan, Fu Bangde, Zhang Jiwei, Lin Guorui, Lin Minshu, Lin Yanan, Jiang Yiyun, Liu Baihong, Ruan Jianan, Lin Zifan, Xia Zhihao, Ji Ruding, Li Zhongbing, Huang Wenlong, Xie Yanwen, Nakano, Fu Zhixiang, Hong Zhenxia, Liu Ziting, Rong Zikang, Lu Zhiying, Fang Yiqiang, Li Yungui, Zheng Yiwen, Lei Jinbao, Wu Meilong, Wu Xinzhen, Wang Meizhu, Guo Fangtian, Li Yahui, Chen Wenting, Cao Minyou, Wang Yiting, Chen Wanxuan, Wu Meiyu, Cai Yiting, Zheng Changmeng, Lin Jia Lun, Huang Likun, Aibayashi, Li Yuquan, Huang Yunhuan, Wu Yunru, Li Zhaofen, Lu Muzhong, Li Chengbai, Fang Zhaoyu, Liu Yihui, Ding Hanzhen, Wu Jiarui, Shu Lupei, Zhou Baizhi, Zhang Ziyu, Zhang Honglun, Zhou Qiongwen, Ni Yifang, Guo Guifei, Yang Peifang, Huang Wenwang, Huang Shengmei, Zheng Liqing, Xu Zhiyun, Zhang Menghan, Li Xiaoai, Wang Enlong, Zhu Zhengting, Deng Shihan, Chen Zhengqian, Wu Junbo, Ruan Xinxue, Weng Huizhu, Wu Sihan, Lin Peiling, Deng Hailai, Chen Yiyi, Li Jianzhi, Wu Shufen, Jin Yaqi, Lai Yiyi, Huang Yulin, Zhang Yihu, Wang Junmin, Zhang Shigang, Mingming Wang, Lei Jin, Zhang Xiaoling, Shi Yang, Wang Junmei, Li Sanmu, Tian Linyuan, Shi Qingnian, Li Geyan, Shi Qing, Huang Peiyu, Gao Ku, Emi Itamoto, Zhao Minkang, Fan Qianfan
der Verkauf eines Anteils des Hamburger Hafens an Cosco brachte einen Kipppunkt in der China-Wahrnehmung. Noch nie war sich die deutsche Öffentlichkeit so einig, dass man mit China vorsichtiger umgehen müsse. Auch im Umgang mit Russland wäre schließlich mehr Vorsicht angebracht gewesen. Für viele Menschen ist die Volksrepublik zwar weiterhin sehr weit weg. Doch sie merken nun auf, wenn von China die Rede ist. Denn die Konsequenzen aus dem Ukraine-Krieg reichen längst in jedes Haus.
Zur kritischen Wahrnehmung Chinas dürfte diese Woche zudem ein offener Brief beitragen, den China.Table exklusiv veröffentlicht hatte. Darin richten sich über 180 Dissidenten, von denen gut die Hälfte auf dem chinesischen Festland lebt, direkt an Olaf Scholz. Ihr Appell: “Fahren Sie in diesen Zeiten nicht nach China.” Noch immer werden in Xinjiang, Tibet und der Inneren Mongolei die Menschenrechte verletzt. Der Diktator Xi habe zu viele Versprechen gebrochen und Drohungen ausgesprochen, sei es in Hongkong oder gegenüber Taiwan, als dass man jetzt zur Tagesordnung übergehen könne. “Daher appellieren wir an das Gewissen der Menschen in Deutschland und auf der ganzen Welt, ihre Stimme zu erheben” schreiben die Unterzeichner, zu denen auch der Schriftsteller Liao Yiwu sowie die früheren Studentenführer Wang Dan und Wu’er Kaixi gehören.
Die Proteste, die Wang und Wui’er 1989 anführten, sind heute undenkbar. Deswegen war es schon eine Sensation, als ein einzelner Mann kurz vor dem Parteitag Protestbanner an der Sitong-Brücke aufhängte. Tatsächlich hat seine Aktion eine Welle von Nachahmern in der ganzen Welt inspiriert.
Die Spuren des Protestes sind weitgehend verschwunden. Doch für einige Tage klebten an Mauern und Masten rund um den Universitäts-Campus in Göttingen Dutzende schwarz-weiße Kopien mit dem Bild eines lächelnd winkenden chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping. Darüber der Schriftzug “Dictator”.
Wer die Initiatoren der Aktion waren, weiß Ray Wong, Hongkonger Exilant und Demokratie-Aktivist, der in Göttingen Politikwissenschaft studiert. Wong genießt schon seit 2018 politisches Asyl in Deutschland. Von hier aus organisiert der 29-jährige einen Teil der Hongkonger Diaspora, die aus dem weltweiten Ausland versucht, Widerstand gegen Pekings Griff auf ihre Heimstadt zu mobilisieren. Oder er unterstützt chinesische Studenten bei regimekritischen Aktionen.
“Ich habe einer kleinen Gruppe chinesischer Studenten dabei geholfen, den Protest zu platzieren, damit sie selbst im Hintergrund bleiben konnte”, sagt Wong. Die Kommilitonen fürchteten, entdeckt und als Dissidenten entlarvt zu werden. Unter einer geschätzt vierstelligen Zahl chinesischer Studenten in Göttingen seien einige, die vom Staat als Spitzel instrumentalisiert würden. Jeder, der Pekings offizielle politische Linie verlässt, müsse deshalb mit Konsequenzen rechnen, beispielsweise dem Abbruch des Studiums und der sofortigen Rückkehr in die Heimat.
Der Zeitpunkt, zu dem die “Dictator”-Flyer auftauchten, war nicht zufällig gewählt. Im Gegenteil war die Aktion motiviert von einem Protest in der Pekinger Innenstadt Tage zuvor. Dort hatte ein Mann wenige Stunden vor Beginn des 20. Parteitages der Kommunistischen Partei große Banner an einer Autobahnbrücke befestigt und Xi als Diktator bezeichnet, der das Volk verrät. Über das Schicksal des Mannes ist seit seiner Festnahme nichts mehr bekannt. Geblieben ist die Bezeichnung Bridge Man, die ihm internationale Medien gegeben haben.
Auch in der Volksrepublik selbst inspirierte Bridge Man geheime Proteste. Das Vice Magazin berichtet über die Versendung von Xi-kritischen Memes in Shanghai über Mobiltelefone von Apple, deren Gerät-zu-Gerät-Verbindungen von den chinesischen Behörden kaum kontrolliert werden können. Auf Dutzenden öffentlichen Toiletten in Peking und Chengdu wurden Parolen entdeckt, die Aktivisten an die Wände gekritzelt hatten. Über private WeChat-Gruppen wurde eine populäre Popschnulze verbreitet, mit dem Titel gū yǒng zhě (孤勇者) – Der einsame und mutige Mann.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich innerhalb der Volksrepublik eine Bewegung etabliert, die die Stabilität des Regimes kurzfristig herausfordern könnte, ist zurzeit dennoch verschwindend gering. Die Überwachung des öffentlichen und des digitalen Raums hat in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen. Die Zensur zerschlägt meist innerhalb weniger Stunden jede Form ziviler Debatten in sozialen Medien und erstickt jeden Funken des Dissens im Keim. Sicherheitsbehörden schüchtern mit Hausbesuchen politische Quertreiber in kürzester Zeit ein.
Damit verlagert sich der Spielraum für möglichen Protest ins Ausland. Weltweit kommt es seit einigen Wochen an Universitäts-Standorten zu Aktionen, die Unzufriedenheit mit der Entwicklung in der Volksrepublik ausdrücken. In englischen Oxford klebten Unbekannte ihre Botschaften in Mandarin und teils in Englisch an Fensterscheiben. Auch dort war das gleiche schwarz-weiß Bild von Xi Jinping zu sehen, das auch die Mauern in Göttingen pflasterte. Im kalifornischen Stanford tauchten Solidaritätsbekundungen mit dem Bridge Man auf. Ähnliche Aktionen folgten an vielen Unis in den USA, Australien, Kanada und Großbritannien, sogar in Japan. “Danke an alle”, richtete der chinesische Menschenrechsanwalt Teng Biao über Twitter aus.
Ob es sich dabei tatsächlich immer um chinesische Studenten handelt oder auch um andere Gruppen, die Chinas autoritäre Staatsform verurteilen, bleibt meist unklar. In den Sozialmedien liefern sich Befürworter und Gegner der Kommunistischen Partei Schlagabtausche darüber, ob die Proteste Relevanz haben oder nicht und ob sie überhaupt von Chinesen initiiert worden sind. Doch sollten es keine Chinesen gewesen sein, stellt sich die Frage, weshalb die Aktivisten auf Basis ihrer demokratischen Bürgerrechte nicht einfach öffentlich demonstrieren. Denn nur wer Angst haben muss vor Konsequenzen, protestiert still und heimlich.
In Australien kam es in den vergangenen Jahren mehrfach zu Aktionen, bei denen sich einheimische Studenten gegen die Herrschaft der Kommunistischen Partei stark machten – anfänglich zur Unterstützung von Hongkonger Kommilitonen. Einer der Organisatoren solcher Proteste in Australien ist Drew Pavlou. Der 23-Jährige hat seitdem mit zahlreichen aufsehenerregenden Aktikonen den Zorn der chinesischen Behörden auf sich gezogen.
Mit Hongkonger Exilanten, tibetisch- oder uigurisch-stämmigen Aktivisten tritt Pavlou inzwischen vor chinesischen Botschaften oder Konsulaten in Erscheinung oder demonstriert in der Innenstadt in London. 2021 wurde das Herren-Endspiel vom Tennisturnier in Wimbledon seinetwegen unterbrochen. Pavlou hatte ein Banner auf die Zuschauerränge geschmuggelt und entrollt, auf dem er fragte: “Wo ist Peng Shuai?” Er spielte damit auf die verschwundene chinesische Tennisspielerin an, die dem ehemaligen Vize-Premierminister Zhang Gaoli zuvor sexuelle Übergriffe vorgeworfen hatte.
“Meine Eltern haben mich gebeten, mit diesen Protesten aufzuhören, weil sie um meine Sicherheit fürchten. Aber ich trage die feste Überzeugung in mir, dass es das Richtige ist, was ich tue”, sagt Pavlou im Gespräch mit China.Table. Den chinesischen Behörden ist Pavlou nicht nur ein Begriff, sondern längst auch ein Dorn im Auge, wie er glaubt. Die chinesische Botschaft in London wirft ihm vor, ihr mit einer Bombe gedroht zu haben. Sie legte der Polizei eine entsprechende E-Mail vor, versendet von einer Adresse, die seinen Namen trug.
Pavlou bestreitet die Vorwürfe. “Es ist so lächerlich zu glauben, ich würde eine Bombendrohung aussprechen und dann auch noch mit meinem echten Namen freundlich grüßen”, sagt er. Dennoch durfte er erst nach vier Wochen das Land verlassen. Allerdings musste er Mitte Oktober bei der Polizei in London erneut vorstellig werden. Der Fall ist immer noch in der Schwebe. Das hielt Pavlou nicht davon ab, seine Follower beim Kurznachrichtendienst Twitter aufzufordern, die Botschaften des Bridge Man weiter zu verbreiten.
Die Frage, ob Proteste außerhalb Chinas überhaupt Relevanz besitzen, beantwortet der Fall der Studentenorganisation Oxford Union. Die lud Pavlou vergangene Woche als Redner in ihren Debattierklub ein. Die britischen Studenten wollten genauer verstehen, weshalb Pavlou sich mit Peking anlegt. Bei der Oxford University, die den Debattierklub gar nicht verantwortet, gingen am Tag zuvor gleich mehrere private Protestschreiben ein, die beklagten, dass der Australier als Redner geladen war. Die Absender waren vermeintliche Sympathisanten Pekings, die so versuchten, Pavlou zu verunglimpfen und dem Debattierklub die Lust auf dessen Rede zu verderben.
Umwelt, Datenschutz, soziale Gerechtigkeit – und jetzt China. Die Bürgerbewegung Campact betrat Ende Oktober mit ihrer Unterschriftenaktion gegen chinesische Einflussnahme Neuland. Erstmals in ihrer 18-jährigen Geschichte mobilisierten die Verantwortlichen der Nichtregierungsorganisation eine Protestaktion, die der deutschen Politik konkret einen wirtschaftlichen Schmusekurs mit den “Despoten” aus Peking vorwarf.
Campact nutzte die mediale Aufmerksamkeit der vergangenen Wochen für das Thema, um ein großes Echo in der Bevölkerung erzielen zu können. Zwar hatten sich nur eine Handvoll Menschen vor dem Bundeskanzleramt postiert, um gegen den Teilverkauf eines Hamburger Hafen-Terminals zu demonstrieren und Olaf Scholz auf einem Plakat die Frage vorzuhalten, ob er eigentlich noch etwas merke. Doch binnen 36 Stunden unterstützten 251.000 Unterzeichner die Petition im Internet.
Campact widme sich vielen Themen und gehe “dort rein, wo es brennt”, erklärt eine Sprecherin. Das Hafen-Geschäft hatte offenbar ausreichend Rauch produziert, um wirksame Dimensionen eines Appells erreichen zu können. “Statt Deutschland in Zukunft noch erpressbarer zu machen, muss Scholz zentrale Infrastruktur gezielt schützen, insbesondere vor dem Zugriff autokratischer Staaten”, warnte die Organisation.
Die Petition blieb zwar erfolglos. Der Verkauf von Anteilen am Betreiber des Hafen-Terminals Tollerort ist beschlossene Sache, wenn auch zu Konditionen, die China weniger Mitsprache gewähren. Doch die zunehmende Sorge in Deutschland vor chinesischem Einfluss nimmt Bundeskanzler Scholz (SPD) als zusätzliches Gepäck mit auf seinen Kurztrip nach Peking, zu dem er am Donnerstag abfliegt.
Für seine Zugeständnisse an China steckt Scholz heftige Kritik ein, weil anderswo der Begriff Zeitenwende weitreichender definiert wird, als er es möglicherweise gemeint hatte. Selbst aus den Reihen des Koalitionspartners FDP kommen Warnungen. “Am Umgang des Kanzlers mit China zeigt sich, dass er keine Lehren aus der verfehlten Russlandpolitik der letzten Jahre gezogen hat. Die Zeitenwende lässt sich nicht auf ein Land beschränken, sondern erfordert, dass wir unsere Abhängigkeit von allen autokratischen Staaten verringern”, sagte die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Renata Alt.
Dass sich das Blatt kurzfristig wendet, scheint eher unwahrscheinlich zu sein. “Ich bin immer wieder erstaunt, wie groß die Skepsis gegenüber China in der deutschen Öffentlichkeit und Wirtschaft ist”, beschreibt der Berlin-Korrespondent der britischen Times, Oliver Moody, auf Twitter den Trend. Noch aber sei das wachsende Bewusstsein für das Problem nicht an den Handelsdaten abzulesen. “Es ist interessant zu sehen, dass (A) in Deutschland weithin erkannt wird, dass eine strategische Falle lauert, und (B) die meisten Wirtschaftsdaten darauf hindeuten, dass das Land in diese Falle reinläuft”, so Moody.
An die Spitze der Laufbewegung hat sich – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – Scholz mit dem Hafen-Deal persönlich gestellt. Dabei ist es nicht nur der Kanzler selbst, der die Abhängigkeit weiter vorantreibt (China.Table berichtete). Viele Unternehmen, Institutionen aus Forschung und Wissenschaft, aber auch Landes- oder Lokalpolitiker drehen das Rad aus Eigeninteresse stetig weiter. Hier ein Sponsoring für einen Professor an einer deutschen Uni oder eine Forschungskooperation, dort große Versprechen für millionenschwere Investitionen veranlassen Verantwortliche auf vielen Ebenen der Gesellschaft zu größerer Annäherung an das Regime.
Unabhängig davon, wie detailliert sich die breite Masse der Unterzeichner der Campact-Petition tatsächlich mit der Kernproblematik des Verkaufs kritischer Infrastruktur an die Volksrepublik befasst, ist die hohe Zahl an Unterzeichnern Ausdruck für eine Entwicklung, die sich seit einigen Jahren in Deutschland abgezeichnet hat. Die Wahrnehmung für Chinas strategische Zukäufe in Europa und speziell in Deutschland – und die damit verbundenen politischen Risiken – hat den emotionalen Mainstream der Bevölkerung erreicht.
Menschen, die sich nie zuvor ernsthaft damit auseinandergesetzt haben, wie und wo China in Deutschlands kritischer Infrastruktur bereits verankert ist, beginnen plötzlich, sich für das Thema zumindest oberflächlich zu interessieren und sich eigene Gedanken zu machen über mögliche Konsequenzen. Auch weil die deutsche Medienlandschaft den Teilverkauf des Tollerort-Terminals prominent auf die Agenda gesetzt hat.
Angesichts des normalen Wahnsinns der täglichen Nachrichtenfülle ist das ein bemerkenswerter Prozess. Denn immer noch ist China für viele Menschen einfach nur sehr weit weg – nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen westlichen Staaten. Jetzt aber scheint die Volksrepublik ein deutliches Stück näher an den deutschen Alltag herangerückt zu sein.
Zwar ist es nicht das erste Mal, dass Übernahmen durch chinesische Investoren für Furore sorgten. Als 2016 der deutsche Robotik-Marktführer Kuka an einen Anbieter aus der Volksrepublik ging, kochte das Thema hoch. Das Bundeswirtschaftsministerium verschärfte das Außenwirtschaftsgesetz und behielt sich strengere Prüfungen von ausländischen Investitionen vor. Doch der Rauch verzog sich, und das große Bild von Chinas industriepolitischer Strategie verschwand wieder in der Nische. Jetzt aber hat die Sorge vor einer wachsenden Abhängigkeit Bevölkerungsteile erreicht, für die Pekings Industriepolitik bislang nicht mehr als langweilige Nachrichten im Wirtschaftsteil bedeuteten.
Denn die Vorzeichen sind 2022 andere als noch vor sechs Jahren. Die öffentliche Meinung zu China ist drastisch kritischer geworden. Der jüngste Transatlantic Trends Report des German Marshall Funds sagt aus, dass von 14 untersuchten Staaten nur in den USA und Kanada ein größerer Bevölkerungsanteil China für einen Rivalen hält als in Deutschland. Und lediglich in Großbritannien ist die Zahl derer, die China für einen Partner halten so klein wie in Deutschland (12 Prozent). Der Berlin Pulse Report der Körber-Siftung fand zudem heraus, dass zwei Drittel der Deutschen bereit sind, die wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu verringern, selbst wenn das zu ökonomischen Einbußen führt.
Die Entdemokratisierung Hongkongs seit 2019, die Beweise für systematische und umfassende Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang und Tibet, das aggressive Auftreten von Wolfskrieger-Diplomaten im Ausland oder die Drohungen gegen Taiwan haben Spuren in Deutschland hinterlassen. Die Wucht dieser Ereignisse wurde jedoch erst potenziert durch die Erkenntnis, wie groß die Abhängigkeit Deutschlands von Rohstoffen aus Russland war. Hätte Putin die Ukraine nicht angegriffen, hätte der Teilverkauf des Hamburger Terminals möglicherweise kaum Beachtung erfahren. Jetzt ist er so etwas wie der Kippmoment für die Wahrnehmung chinesischer Strategien in Deutschland.
Auf den Offenen Brief an Olaf Scholz, den eine große Zahl chinesischer Regimekritiker in China.Table veröffentlich hat, folgte am Mittwoch ein großes Echo in Medien und Politik. Deutschlandfunk, Spiegel Online, Zeit.de, die Stuttgarter Nachrichen und zahlreiche andere Sender und Seiten haben über den Aufruf der Dissidenten berichtet, die Reise abzusagen.
Auch im Kanzleramt wurde das Schreiben sehr genau registriert. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Mittwoch zwar zunächst den Standardsatz der Regierung zu offenen Briefen: Dazu äußere man sich nicht. Wichtiger war, was er hinzufügte: Der Bundeskanzler nehme “wahr und auf”, was “gesagt und geschrieben” werde. Dazu gehöre auch dieser Brief. Scholz “bereitet sich sehr gründlich und umfassend auf diese Reise vor” und sei mit vielen Betroffenen im Gespräch.
Aus Kanzleramtskreisen war zudem die Einschätzung zu hören, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Briefs seien Stimmen, die man sehr ernst nehme. “Wir haben Respekt vor der Auffassung dieser Persönlichkeiten”, hieß es. Anders als die Dissidenten glaube die Bundesregierung aber nicht, dass es besser wäre, in der derzeitigen Situation auf einen Dialog zu verzichten. Man setze darauf, in Gesprächen für die deutsche Position zu werben und werde “auch schwierige Themen deutlich ansprechen”. mkr
Namhafte Menschenrechtsorganisationen fordern von der Bundesregierung eine bessere Durchsetzung der Sorgfaltspflicht im Umgang mit Lieferungen aus Xinjiang. “Die Entscheidung von Kanzler Olaf Scholz, jetzt mit einer Wirtschaftsdelegation nach Peking zu reisen, zeigt, dass für Deutschland weiter Profit vor Menschenrechten steht”, sagte Dolkun Isa, Präsident des Weltkongresses der Uiguren, am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Berlin. Scholz missachte damit den Koalitionsvertrag, der eine stärkere Betonung ethischer Aspekte der Handelspolitik vorsieht. “Viele Länder richten ihre China-Strategie nach der Wiederwahl Xi Jinpings für eine dritte Amtszeit neu aus.”
Auch die anderen Organisationen betonten, jetzt sei “nicht der richtige Zeitpunkt für freundliche Besuche” und einen Normalbetrieb der China-Beziehungen. Auf der Veranstaltung meldeten sich
mit Kritik an der Kanzler-Reise und der leichtfertigen Lieferkettenpolitik deutscher Unternehmen zu Wort. Sie fand in der Bundespressekonferenz (BPK) in Berlin statt. Wie der Verein berichtete, hatte die chinesische Botschaft im Vorfeld Kontakt zum Vorstand der Bundespressekonferenz aufgenommen. Offenbar wollte sie den Verlauf der Veranstaltung mit den Menschenrechtsgruppen beeinflussen. Die BPK lehnte die Einflussnahme klar ab.
Die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) stützten sich bei ihren Forderungen auf Einschätzungen internationaler Gremien, die in China Rechteverletzungen festgestellt haben. Dazu gehört die Internationale Arbeitsorganisation ILO, die Hochkommissarin für Menschenrechte und am Mittwoch noch eine Gruppe von 50 Uno-Staaten, darunter Deutschland, die “schwere und systematische” Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang anprangern. fin
Die deutsche Botschaft in Peking hat mit einem cleveren Online-Beitrag beim Kurznachrichtendienst Weibo des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens gedacht. Die Botschaft nutzte dazu eine Würdigung des Jahrestages der diplomatischen Beziehungen, in deren Rahmen sie an prägende Ereignisse in beiden Ländern aus jedem der vergangenen 50 Jahre erinnert. Für 1989 veröffentlichte sie ein Foto vom Tag des Mauerfalls neben einem komplett schwarzen Bild. Darunter schrieb die deutsche Repräsentanz erklärende Zeilen zum Motiv aus Berlin und weitere sechs geschwärzte Zeilen als Hinweis auf die Zensur in China.
Der Post erhielt knapp 4000 Likes und über 600 Kommentare, von denen einige Deutschland verunglimpften. “Deutsche Beschäftigte im Gesundheitswesen protestieren. Geld für die Unterstützung der Ukraine, aber kein Geld für eine Lohnerhöhung”, hieß es in einem, “Deutschland hat sowohl den 1. als auch den 2. Weltkrieg verloren, wenn der 3. …”, in einem anderen. Manche Kommentare waren mehrdeutig zu lesen: “Die Freundschaft hat Bestand” oder enthielten einen Bezug zu Taiwan: “Glückwunsch zur Wiedervereinigung der deutschen Nation (gut). Hoffentlich mischen sich die G7 nicht weiter ein, wenn wir friedlich vereint sind.”
Die chinesische Regierung arbeitet seit über 30 Jahren hartnäckig daran, das staatlich angeordnete Blutvergießen im Juni 1989 aus dem kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung zu verbannen. Dazu zensiert sie strengstens direkte, aber auch indirekte Hinweise auf die Tragödie und ahndet jede Form der Erinnerung. Nutzer können deshalb unter einem solchen Post keine Kommentare hinterlassen, die eine Erinnerungskultur befürworten. Sie würden sich damit Repressionen der Behörden aussetzen.
Deutschlands neue Botschafterin in Peking, Patricia Flor, hatte in einem Interview mit China.Table vor einigen Wochen erklärt, dass sie Sozialmedien verstärkt als Kommunikationskanal nutzen zu wollen. Mit dem Post hält die Botschaft der chinesischen Regierung weniger Tage vor dem Besuch von Bundskanzler Olaf Scholz den Spiegel vor. grz
Nach der Flucht zahlreicher Mitarbeitender aus dem Werk des Apple-Zulieferers Foxconn in Zhengzhou vervierfacht das Unternehmen die Bonuszahlungen. Pro Tag will es im November an Mitarbeitende des Elektronikbereichs der vom Corona-Lockdown betroffenen Fabrik zusätzlich 400 Yuan (gut 55 Euro) zahlen. Das teilte Foxconn am Dienstag auf WeChat mit. Zunächst hatte der taiwanische Konzern eine Zahlung von 100 Yuan angekündigt. Das konnte den Unmut im Werk über strikte Covid-Maßnahmen aber offenbar nicht ausreichend lindern.
Am Wochenende waren in chinesischen Online-Netzwerken Aufnahmen aufgetaucht, die Zehntausende flüchtende Foxconn-Beschäftigte zeigen sollen (China.Table berichtete). Manche versuchten demnach, zu Fuß über Straßen und Felder in ihre Heimatorte zu gelangen. Die Videos konnten nicht unabhängig verifiziert werden. Als Folge könnte die iPhone-Produktion um bis zu 30 Prozent zurückgehen, weshalb Foxconn offenbar die Fertigung in seiner Fabrik in Shenzhen ausbauen will (China.Table berichtete). Foxconn beschäftigt am Standort Zhengzhou zwischen 200.000 und 300.000 Arbeiterinnen und Arbeiter. Foxconn bestätigte eine kleine Zahl von Infektionen. Die Financial Times berichtete dagegen von mehr als 10.000 Infizierten. rtr/ck
Die Niederlande reagieren auf Berichte (unter anderem in China.Table) über den Betrieb chinesischer Verhörstationen auf europäischem Boden. Außenminister Wopke Hoekstra ordnete an, die ohne Genehmigung betriebenen Polizeibüros mit sofortiger Wirkung zu schließen.
Hoekstra habe dies auch dem chinesischen Botschafter mitgeteilt, berichtet die Nachrichtenagentur ANP. Er werde untersuchen lassen, welche Aktivitäten in den Übersee-Polizeistationen (ÜPS) stattgefunden haben. Ihre Existenz sei “inakzeptabel”. fin
Die vom chinesischen Unternehmen Bytedance betriebene Social-Media-Plattform Tiktok will ihren Angestellten in mehreren Ländern, einschließlich China, erlauben, auf die Benutzerdaten aus der EU, der Schweiz und Großbritannien zuzugreifen. Dies geht aus der neuen Datenschutzrichtlinie des Unternehmens hervor, die am 2. Dezember in Kraft treten soll.
Zu den anderen Ländern und Standorten, in denen europäische Nutzerdaten von TikTok-Mitarbeitern eingesehen werden könnten, gehören demnach Kanada, Brasilien, Israel, die USA und Singapur. Wie der britische “Guardian” am Donnerstag berichtete, will Bytedance die Nutzung der besonders bei Jugendlichen beliebten Video-App durch die Auswertung der Daten “einheitlich, angenehm und sicher” machen. Sie könnten demnach zu einer Verbesserung der Empfehlungs-Algorithmen und einer besseren Erkennung von Fake-Profilen beitragen.
Bereits in der Vergangenheit wurde Tiktok vorgeworfen, Nutzerdaten an chinesische Behörden weiterzugeben und China-kritische Inhalte bewusst zu löschen (China.Table berichtete). Irlands Datenschutzbehörde, die EU-weit für TikTok zuständig ist, hat eine Untersuchung zur “Übertragungen personenbezogener Daten durch TikTok nach China” initiiert. fpe
Zu den Initiatoren gehören unter anderem der Geschichtsprofessor Wang Dan (USA), die Aktivisten Wu’er Kaixi (Taiwan) und Zhou Fengsuo (USA), die 1989 die Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking angeführt hatten, sowie der Dokumentarfilmer Yang Weidong (Deutschland). Zu den namhaften Unterstützern der Aktion zählen der in Berlin lebende Schriftsteller Liao Yiwu, die frühere Studentenführerin Chai Ling oder der Autor und Dichter Chen Maiping, Generalsekretär des unabhängigen chinesischen PEN-Klubs.
Sehr verehrter Herr Bundeskanzler Scholz,
wir sind eine Gruppe ehemaliger chinesischer Studenten, Künstler, Schriftsteller, Dichter und Intellektueller, die seit dem Tiananmen-Massaker in Peking 1989 weltweit gezwungen sind, im Exil zu leben, sowie pflichtbewusste Chinesen, die kürzlich aus Hongkong in andere Teile der Welt verbannt wurden. Mit großer Überraschung haben wir erfahren, dass Sie für November einen Besuch in China geplant haben.
Daher richten wir folgende Fragen an Sie:
1) Die Covid-19-Pandemie: Obwohl es noch keine Erkenntnisse über den Ursprung der weltweiten Pandemie gibt, werden Sie jetzt nach China reisen?
2) Xi Jinpings Diktatur: Auf dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas hat Xi Jinping seine Macht missbraucht und sein Ziel, China zum dritten Mal in Folge zu regieren, verwirklicht. Obwohl Xi nun zu einem regelrechten Diktator geworden ist, werden Sie jetzt nach China reisen?
3) Menschenrechte/Genozid: In ganz China wurden zahlreiche Menschenrechtsverbrechen begangen, einschließlich des Völkermords in den Autonomen Regionen Xinjiang, Tibet und der südlichen Mongolei sowie einer unsinnigen und grausamen Null-Covid Politik, die das Leben der Menschen im ganzen Land erschwert. Obwohl der Unmut der Menschen immer größer wird, werden Sie China besuchen?
4) Die Hongkong-Frage: Die Kommunistische Partei Chinas erklärte, dass die Chinesisch-britische gemeinsame Erklärung zu Hongkong lediglich ein historisches Dokument sei. Xi Jinping hat damit das Versprechen der KPCh gebrochen, dass die Bürger von Hongkong die Region in den nächsten 50 Jahren selbst regieren können, wenn das Prinzip “Ein Land, zwei Systeme” unverändert bliebe. Die Partei hat den Legislativrat von Hongkong manipuliert, damit dieser das berüchtigte Nationale Sicherheitsgesetz verabschiedete und damit zahlreiche Menschen aus Hongkong vertrieb. Obwohl dies verheerende Folgen für China und die Welt hat, werden Sie China besuchen?
5) Die Taiwan-Frage: Die Republik China wurde im Jahr 1911 gegründet und existiert seit über 100 Jahren als unabhängiges Land. Obwohl Xi Jinpings Pläne zur gewaltsamen Vereinigung Taiwans während seiner dritten Amtszeit immer konkreter werden, werden Sie China besuchen?
Uns ist bewusst, dass die oben genannten Fragen überwiegend innenpolitische Angelegenheiten Chinas sind, die weniger mit der Welt und Deutschland zu tun haben. Sie führen während ihres Besuches in China eine Wirtschaftsdelegation an. Aber haben sie als Politiker nicht den Eindruck, dass das heutige China nicht nur ein zentralisierter Staat ist, sondern auch langsam in eine Diktatur nach nationalsozialistischem Vorbild abrutscht?
Das derzeitige Regime von Xi Jinping erlebt durch interne und externe Konflikte sowie öffentliche Missstände eine Krise nach der anderen. Welche Ansichten werden Sie als ein Vertreter der liberalen Demokratien der Welt, der im Begriff ist, ein China unter der Diktatur von Xi Jinping zu besuchen, ihm gegenüber vertreten?
Daher appellieren wir an das Gewissen der Menschen in Deutschland und auf der ganzen Welt, ihre Stimme zu erheben: “Herr Scholz, bitte reisen Sie nicht nach China!”
Wang Dan, Wu’er Kaixi, Zhou Fengsuo, Yang Weidong, Liao Yiwu, Chen Maiping, Wang Longmeng, Guo Zhaohui, Huang Xizhi, Jia Guoqing, Su Xiaokang, Su Yutong, Yan Geling, Hu Ping, Yan Jiaqi, Gao Gao, Wang Juntao, Yang Jianli, Zhang Boli, Xiong Yan, Chen Pokong, Tang Kai, Chai Ling, Feng Congde, Wang Wen, Bai Meng, Xu Li, Ye Qiuli, Meng Jinghui, Shi Hang, Wang Dai, Gong Zexun, Chen Shujun, Huang Xuetao, Chen Li, Shi Meilan, Feng Jianzhong, Mo Li, Fu Zhengming, Wang Guoxing, Wei Jingsheng, Wu Hong, Zhang Guoting, Tie Niu, Li Zhen, Pan Yongzhong, Fei Liangyong, Cheng Binlin, Zhu Hongyi, Shi Kangcheng, Shi Lin, Ran Na, Li Shulan, Ma Yanling, Gao Jian, Li Furong, Fang Zhongning, Qian Ailing, Qin Jin, Ruan Jie, Feifei, Xu Xiang, Lin Ren, Jiang Hao, Yang Lian, Zhang Gang, Wang Ge, Chen Peixi, Zhou Wei, Fang Boge, Maggie Cheung, Shao Guoqiang, Xu Zhiqing, Ma Like, Wang Lingling, Chen Jiefu, Dong Changjun, Xiao Min, Chen Lan, Zhang Yu, Lin Yuxiao, Bai Yun, Sun Yifeng, Zhao Chengmin, Wang Rui, Lu Baixue, Ni Hui, Wang Mingliang, Yin Xiangnan, Fu Bangde, Zhang Jiwei, Lin Guorui, Lin Minshu, Lin Yanan, Jiang Yiyun, Liu Baihong, Ruan Jianan, Lin Zifan, Xia Zhihao, Ji Ruding, Li Zhongbing, Huang Wenlong, Xie Yanwen, Nakano, Fu Zhixiang, Hong Zhenxia, Liu Ziting, Rong Zikang, Lu Zhiying, Fang Yiqiang, Li Yungui, Zheng Yiwen, Lei Jinbao, Wu Meilong, Wu Xinzhen, Wang Meizhu, Guo Fangtian, Li Yahui, Chen Wenting, Cao Minyou, Wang Yiting, Chen Wanxuan, Wu Meiyu, Cai Yiting, Zheng Changmeng, Lin Jia Lun, Huang Likun, Aibayashi, Li Yuquan, Huang Yunhuan, Wu Yunru, Li Zhaofen, Lu Muzhong, Li Chengbai, Fang Zhaoyu, Liu Yihui, Ding Hanzhen, Wu Jiarui, Shu Lupei, Zhou Baizhi, Zhang Ziyu, Zhang Honglun, Zhou Qiongwen, Ni Yifang, Guo Guifei, Yang Peifang, Huang Wenwang, Huang Shengmei, Zheng Liqing, Xu Zhiyun, Zhang Menghan, Li Xiaoai, Wang Enlong, Zhu Zhengting, Deng Shihan, Chen Zhengqian, Wu Junbo, Ruan Xinxue, Weng Huizhu, Wu Sihan, Lin Peiling, Deng Hailai, Chen Yiyi, Li Jianzhi, Wu Shufen, Jin Yaqi, Lai Yiyi, Huang Yulin, Zhang Yihu, Wang Junmin, Zhang Shigang, Mingming Wang, Lei Jin, Zhang Xiaoling, Shi Yang, Wang Junmei, Li Sanmu, Tian Linyuan, Shi Qingnian, Li Geyan, Shi Qing, Huang Peiyu, Gao Ku, Emi Itamoto, Zhao Minkang, Fan Qianfan