Table.Briefing: China

Berichte zu Zwangsarbeit + Vertrauensverlust seit Null-Covid

  • Konkrete Berichte von Zwangsarbeit in Xinjiang
  • Politischer Missbrauch von Corona-Maßnahmen
  • EU fordert Infos zum Verbleib von Kardinal Zen
  • Milliarden Bürger-Daten von Sicherheitsamt abgesaugt
  • Xi Jinpings Gedanken zu “ein Land, zwei Systeme”
  • Papst hofft auf Erneuerung von China-Abkommen
  • Wegen Menschenrechten: Chinas Ansehen in der Welt leidet
  • Ifo sieht gefährliche Rohstoff-Abhängigkeit
  • Portrait: Li Cheng wehrt sich gegen Diskriminierung
Liebe Leserin, lieber Leser,

eine exklusive Umfrage von China.Table beim Marktforschungsinstitut Civey hat gezeigt, dass die Mehrheit von Kundinnen und Kunden Waren aus Zwangsarbeit ablehnen. Die Politik versucht, mit Lieferketten-Gesetzen gegen die Zwangsarbeit vorzugehen, so zum Beispiel Deutschland oder die EU. In den USA ist jüngst ein Einfuhrverbot von Produkten aus Xinjiang in Kraft getreten, da dort davon ausgegangen wird, dass diese unter Zwang von Uiguren hergestellt wurden.

In unserer heutigen Ausgabe geht es nun um die Herstellung jener Waren: Marcel Grzanna hat mit Menschen gesprochen, die in chinesischen Fabriken unter Zwang arbeiten mussten. Wer vom Schicksal von Gulzira Auyelkhan liest, erkennt, wie weit das System reicht: Es geht um willkürliche Verhaftungen, um Stromrechnungen für Mitarbeiter und um Kredite, bei denen Menschen zwar nie das Geld erhalten haben, aber dennoch riesige Schulden abarbeiten müssen. Am Ende bleibt ein kümmerlicher Lohn für viel harte Arbeit: rund 15 Euro im Monat.

Währenddessen sinkt das Ansehen der KP Chinas im eigenen Land: Vor allem seit dem chaotischen Lockdown in Shanghai sinkt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die chinesische Regierung und ihre Null-Covid-Pandemiebekämpfung. An einigen Stellen sollen die Corona-Apps sogar missbraucht worden sein, um Proteste zu verhindern, schreibt unsere Autorin Christiane Kühl. Auch bei den lokalen Kadern steigt der Frust. Bis diese Wunden geheilt sind, könnte es noch eine Weile dauern.

Wir wünschen Ihnen ein gutes Wochenende.

Ihre
Ning Wang
Bild von Ning  Wang

Analyse

Zu Krediten genötigt, zur Arbeit gezwungen

Wer Hunger hatte, durfte sich an gekochtem Reis satt essen – geschmacklos, ohne Beilagen, wenig Nährstoffe. Doch in der Weberei des Textilindustrieparks im Landkreis Yining im Nordwesten Xinjiangs an der Grenze zu Kasachstan bot die Küche auch Alternativen. Gefüllte Teigtaschen zum Beispiel mit Gemüse, dazu leckere Soßen – allerdings nur gegen Bezahlung. Ähnlich wie in der Kantine eines deutschen Unternehmens, könnte man meinen.

Doch die Arbeiterinnen im Industriepark Yining können sich die anständigen Mahlzeiten nicht leisten. Der Lohn, der der ehemaligen Mitarbeiterin Gulzira Auyelkhan seinerzeit zugesagt wurde, betrug 600 Yuan pro Monat, damals rund 75 Euro. Das sind fast 1.000 Yuan weniger als der gesetzlichen Mindestlohn in der Region. Selbst im abgelegenen Yining sind 75 Euro für einen Monat Arbeit sehr dürftig. Auf die Teigtaschen musste Gulzira Auyelkhan deshalb verzichten.

Die Kasachin nähte von morgens bis abends Lammfell-Handschuhe. Sie machte die schlecht bezahlte Arbeit nicht freiwillig. Sie sei von chinesischen Behörden dazu gezwungen worden, sagt sie im Gespräch mit China.Table. Heute lebt sie am Stadtrand von Washington. Die USA gewährten ihr politisches Asyl. Sie gehört zu jenen Geflüchteten, die dem US-Senat später über die Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang öffentlich Auskunft gaben.

Eine Expertenkommission der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) hatte der Volksrepublik China Ende vergangenen Jahres vorgeworfen, durch ein “weit verbreitetes und systematisches” Zwangsarbeitsprogramm gegen internationale Konventionen zu verstoßen. Davon betroffen sind in erster Linie Uiguren und andere muslimische Minderheiten.

Besonders Branchen wie die Textilindustrie, die Landwirtschaft oder die Solarindustrie gelten als Risikosektoren, in denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass Zwangsarbeit in die Wertschöpfung einfließt. Vor allem in Xinjiang sei das Problem markant. Laut IAO-Bericht seien zudem rund 80.000 Uiguren in andere Landesteile deportiert worden, um auch dort für minimale Löhne arbeiten zu müssen.

Auch alte und kranke Frauen wurden rekrutiert

China.Table liegen auch Aussagen von Behördenvertretern vor, die mit der Organisation der Zwangsarbeit befasst waren. “Um der Zwangsarbeit einen Anstrich der Legalität zu verpassen, nötigten die Behörden die Frauen in Yining dazu, einen Kredit bis zu einer Höhe von 10.000 Yuan bei einer örtlichen Bank zu beantragen“, sagt Gulipiyan Hazibek.

Die gelernte Medizinerin hat ebenfalls kasachische Wurzeln, sie wurde als studierte Kraft in den chinesischen Staatsdienst bestellt. 22 Jahre lang arbeitete sie für die chinesische Verwaltung, ehe sie aus gesundheitlichen Gründen als ethnische Kasachin nach Kasachstan ausreisen durfte und die dortige Staatsbürgerschaft annahm.

Zuletzt war sie dafür zuständig, Frauen aus den Dörfern der Region aufzutreiben, um sie für die Arbeit in den Fabriken zu rekrutieren. “Ich musste die Frauen dazu zwingen, mitzukommen. Auch alte Frauen, kranke oder gehandicapte. Wer sich weigerte, musste mit harten Strafen rechnen“, sagt Hazibek im Gespräch mit China.Table. Je nach Leistungsfähigkeit wurden die Frauen für verschiedene Tätigkeiten in der Produktion eingesetzt.

Der Knackpunkt war nun der Kreditvertrag, den die Frauen bereits unterschrieben hatten. Das Geld sei nach der Unterzeichnung der Papiere nie geflossen, sagt Hazibek. Dennoch seien die Frauen verschuldet gewesen, und zwar so hoch, dass eine Rückzahlung fast immer unmöglich war. Um ihre Zwangsanstellung zu rechtfertigen, argumentierten die Behörden, die Frauen müssten die Summe in den örtlichen Fabriken abarbeiten.

Strenge Überwachung auch in den Fabriken

Auch die Handschuh-Näherin Gulzira Auyelkhan sollte ein solches Papier unterschreiben. Im Juli 2017 war sie aus Kasachstan nach Xinjiang eingereist, um in ihrem Heimatdorf ihren kranken Vater zu besuchen. Drei Jahre zuvor hatte sie die Volksrepublik mit ihrem Ehemann und ihren Kindern verlassen, um in Kasachstan ein neues Leben zu beginnen. Damals, 2014, hatte die chinesische Regierung den “Harten Schlag gegen gewaltbereiten Terrorismus” (严厉打击暴力恐怖活动专项行动) begonnen. Die Kampagne richtete sich gegen Uiguren und andere Minderheiten in Xinjiang.

Nach ihrer Ausreise hatte Auyelkhan die kasachische Staatsbürgerschaft angenommen und glaubte deswegen, in Xinjiang sicher zu sein, als sie erstmals wieder dorthin zurückkehrte. Doch sie irrte. Kurz hinter der Grenze nahm man sie fest und internierte sie. “Man warf mir vor, nicht so zu denken, wie die Kommunistische Partei es gerne hätte. Deshalb wurde entschieden, mich umzuerziehen”, sagt sie China.Table. 15 Monate lang steckte man sie in ein Internierungslager.

Als Kasachin hatte sie stets die Hoffnung gehabt, durch internationalen Druck freizukommen. Auch deshalb widersetzte sich Auyelkhan, einen Kreditvertrag zu unterschreiben. Uigurischen Frauen mit chinesischer Staatsbürgerschaft dagegen wurde gedroht, sie lange einzusperren. Der Zwangsarbeit entkam Auyelkhan dennoch nicht. Nach der Zeit im Lager arbeitete sie auf behördliche Anordnung vom 14. Oktober 2018 bis zum 29. Dezember desselben Jahres mindestens zwölf, manchmal 16 Stunden täglich.

Auch während dieser Zeit standen die Frauen unter strenger Überwachung. Die Arbeit in der Fabrik ähnelte sehr der Internierung im Lager. Die Zeit nach der Arbeit verbrachten sie in Gemeinschaftsunterkünften, drei Kilometer von der Fabrik entfernt. Manchmal waren die Arbeitstage derart lang, dass die Frauen direkt in der Fabrik schliefen. Es war ihnen verboten, allein in den Schlafsaal zurückzukehren.

Ihr verdientes Geld floss auf eigens eingerichtete Bankkonten der Arbeiterinnen. Doch Zugriff darauf bekamen sie nicht. Stattdessen wurden Kosten für ihre Unterkunft samt Nebenkosten für Strom automatisch abgebucht. Auch die Pendelei zwischen Unterkunft und Fabrik mussten sie bezahlen, sodass am Ende kaum noch Geld übrig blieb. Die Arbeiterinnen waren der Willkür der Behörden schutzlos ausgesetzt.

Vom versprochenen Verdienst blieb nur ein Bruchteil übrig

Die chinesische Regierung lehnt die Vorwürfe systematischer Zwangsarbeit kategorisch ab und wähnt sich als Opfer einer Schmierkampagne. Erst zu Beginn des Jahres hat das Land zwei UN-Konventionen der IAO gegen Zwangsarbeit unterschrieben. Zur Aufklärung vor Ort wäre chinesische Unterstützung unverzichtbar. Doch es gilt als unwahrscheinlich, dass die Behörden kooperieren werden.

Die IAO beschloss bei ihrer Jahreskonferenz vor wenigen Wochen, eine technische Beratungskommission in die Volksrepublik zu entsenden. Eine Untersuchung der Vorwürfe ist einer solchen Kommission jedoch nicht gestattet. Sie kann lediglich unterstützend auf die Einhaltung von Konventionen dringen. Um das Problem zu bekämpfen, sollen Lieferkettengesetze in Deutschland und Europa oder der Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA) in den USA die Produzenten so stark unter Druck setzen, dass sie das System der Zwangsarbeit einstellen.

Gulzira Auyelkhan wurde am 30. Dezember 2018 freigelassen und fünf Tage später an die kasachische Grenze gebracht, um nach Hause zurückzukehren. Ihr Mann hatte aus Kasachstan heraus politischen Druck organisiert, der schließlich zum Erfolg führte. Als sie freikam, zahlte man ihr für die gesamte Zeit in der Fabrik 250 Yuan aus, etwas mehr als 30 Euro.

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Null-Covid zerstört Vertrauen

Isolationszentrum in Shanghai - die rigide Corona-Politik der Stadt und Willkür sorgen für Vertrauensverlust der Bevölkerung - es kommt vermehrt zu Protesten.
Isolationszentrum in Shanghai

Es war ein ungewöhnlicher Protest. Im Shanghaier Jingan-Distrikt gingen Dutzende weiß gekleidete Pandemiearbeiter, im Volksmund “Große Weiße”, auf die Straße und verlangten ihre nicht gezahlten Löhne: “Gebt uns unser hart verdientes Geld!” skandierten sie; Videos von der Aktion zirkulierten in sozialen Medien. Offiziell bestätigt wurde das Video und die ausgebliebenen Löhne nicht – aber der Protest ist kein Einzelfall. Es gebe immer mehr solche Unruhen von Arbeitern im Zusammenhang mit der Umsetzung der chinesischen Pandemie-Präventionspolitik, schreibt das China Labour Bulletin (CLB), eine Nichtregierungsorganisation für Arbeiterrechte in China mit Sitz in Hongkong.

Seit März zeichnete CLB auf seiner interaktiven Streik-Karte 14 Proteste im Zusammenhang mit dem Coronavirus auf, acht davon im Lockdown-müden Shanghai: “Schlechte Arbeitsbedingungen unter strengen Sperrmaßnahmen führten nicht nur zu Protesten von Ärzten, Krankenschwestern und weiß gekleideten Pandemiearbeitern, sondern auch von Fabrikarbeitern, Taxifahrern und anderen.”

Aber es ist nicht nur das. Die gesamte Ausführung des Shanghaier Lockdowns war teilweise so stümperhaft, dass sie das Selbstverständnis der Shanghaier erschütterte. In vielen Wohnanlagen funktionierten die Essenslieferungen nicht, manche bekamen dringend benötigte Medikamente nicht, und alle mussten dauernd stundenlang vor PCR-Teststationen warten – in ständiger Furcht, bei einem positiven Ergebnis sofort in eines der Isolationszentren gebracht zu werden. CLB berichtet von Protesten “Großer Weißer”, die nach dem Ende ihrer freiwilligen Einsätze nicht wie versprochen die vor der Heimkehr obligatorische Quarantäne im Hotel absitzen durften – sondern dafür wie die positiv Getesteten in eine Isolierstation verfrachtet wurden.

Auch die Unklarheit über die wechselnde Öffnung und Schließung von Wohnquartieren sorgt für Unmut. Mitte Juni etwa postete ein Anwohner den Mini-Protest von Menschen, denen die Öffnung ihres Wohnviertels zugesagt worden war – aber dann nicht erfolgte. Sie traten einfach den Zaun um, der ihr Viertel von der Außenwelt trennte.

Vertrauensverlust und Missbrauch von Covid-Maßnahmen

“In Shanghai ist ein großer Schaden am sozialen Vertrag zwischen Partei und Bürgern entstanden”, sagt Nis Grünberg vom China-Institut Merics. Er nennt ein Beispiel. Zu Beginn der Pandemie seien viele Menschen genervt gewesen von dem Health Code auf dem Smartphone, den man seit langem überall vorzeigen muss. “Aber etwas später ist das dann reibungslos in den Alltag eingeflossen.” Und man habe erkannt, dass digital gestützte Pandemiebekämpfung durchaus sinnvoll sei, so Grünberg zu China.Table. “Doch dieses Vertrauen, dass Maßnahmen sinnvoll sind und dem Gemeinwohl dienen, ist in Shanghai wohl kaputtgegangen – und auch in manchen anderen Städten.”

Es werde lange dauern, bis diese Wunden geheilt seien, glaubt Grünberg. “Für Dienstleister, kleine Läden oder Restaurants ist der Schaden durch den Lockdown enorm groß. Die Menschen brauchen dauernd PCR-Tests für grüne Health Codes, das ist schon sehr anstrengend.” Darüber hinaus sind noch größere Probleme bekannt geworden. “Auch sind schon Missbräuche der Codes zur sozialen Kontrolle bekanntgeworden – Behörden können Bürgern die Mobilität einfach nehmen, indem sie die Codes auf Rot stellen.”

Im Juni zog ein Vorfall aus dem zentralchinesischen Zhengzhou – Provinzhauptstadt Henans – weite Kreise in sozialen Medien. Dort verhinderten die Behörden laut CLB einen Protest von hunderten wütenden Kunden einer lokalen Bank, indem sie ihre Health Codes auf Rot stellten.

Der Vorfall rief sogar Kritik aus ungewöhnlichen Ecken hervor – etwa von Hu Xijin, der sonst als nationalistisches Sprachrohr twitternde Ex-Chefredakteur der Global Times. Manipulationen des Codes beschädigten die Autorität des Code-Systems und würde die Unterstützung der Öffentlichkeit dafür schmälern, schrieb Hu laut New York Times auf Weibo. Der Hashtag habe Mitte Juni mit 280 Millionen Aufrufen zu den meistgesuchten Hashtags gehört.

Null-Covid-Politik: Übergroße Lasten für alle

Die Sache ist noch lange nicht vorbei, weder in Shanghai noch anderswo. Kleine Geschäftsleute kämpfen in diesem Umfeld ums Überleben. Hunderte Shanghaier Kleinunternehmer gingen laut CLB im Juni auf die Straße und forderten Mietbefreiungen von ihrem privaten Vermieter auf einem örtlichen Bekleidungsmarkt. Die Proteste zeigten, dass die staatlichen Maßnahmen zur Linderung einer Pandemie nicht weit genug gehen, um den immensen finanziellen Druck zu lindern, den Arbeitnehmer, Kleinunternehmer und andere Bürger in ganz China verspüren.

Ende Mai hatte Shanghai eine Reihe von rund 50 Maßnahmen angekündigt, um die angeschlagene Wirtschaft anzukurbeln. Doch diese griffen zu kurz, kritisiert CLB. Zum Beispiel gebe es bisher wenig bis gar keine Unterstützung für Arbeitnehmer oder Kleinfirmen. Stattdessen gebe es Anreize zum Autokauf von Neuwagenverkäufe in Shanghai sowie kleine einmalige Zahlungen an Unternehmen in Höhe von 600 Yuan für jeden Mitarbeiter, wenn sie wenige oder gar keine Arbeitnehmer entlassen hatten. Alternativ hatte der chinesische Ex-Chefökonom der Weltbank, Lin Yifu, der Zentralregierung empfohlen, Familien in abgeriegelten Gebieten 1.000 Yuan zu zahlen, um die Bürger zu unterstützen und den Konsum anzukurbeln.

Doch nicht nur die Bürger haben finanzielle Probleme. Berichten zufolge haben auch die Kommunalverwaltungen Schwierigkeiten, die hohen Kosten für die Pandemie-Präventionsmaßnahmen zu stemmen. (China.Table berichtete). Am Ende droht dadurch nach Ansicht des CLB immer die Gefahr, Löhne und Sozialausgaben nicht in vollem Umfang zahlen zu können.

Frust unter lokalen Kadern

Da die Anweisungen von ganz oben kommen, gebe es wegen der Null-Covid-Politik durchaus Frust unter lokalen Kadern, sagt Nis Grünberg. Häufig würden die Funktionäre dann aus Angst, dass Köpfe rollen, zur Über-Implementierung neigen, so der Merics-Forscher. “Man macht also lieber zu viel, als zu wenig.” Das Risiko einer lockereren Herangehensweise sei sehr groß, wenn es damit eben nicht klappt, das Virus zurückzudrängen – wie im Frühjahr in Shanghai gesehen.

Eine so starke Übersensibilisierung auf lokaler Ebene wie derzeit sei selten zu beobachten, sagt Grünberg. “Das führte sogar dazu, dass es eine Anweisung aus Peking gab, dass die Kommunen es mit den Lockdowns nicht übertreiben, sondern auch die Geschäfte und Firmen mitbedenken.” In China seien landesweit einheitliche Regeln noch schwieriger als in Deutschland, meint Grünberg. “Es ist einfach noch viel größer und heterogener.” Die lokalen Null-Covid-Maßnahmen laufen zudem eher im Kampagnen-Stil ab. “Die Regierung gebe eine Priorität aus: ‘Kein Covid’. Und dann geben sie eine Liste an legitimen Eingriffen und Instrumenten heraus. “Aber die Details muss dann die Kommune selbst entwerfen.”

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News

EU-Parlament: Behörden sollen Kardinal Zen freilassen

Das Europaparlament befasst sich in seiner aktuellen Sitzungswoche mit der Verhaftung des römisch-katholischen Kardinals Joseph Zen in Hongkong. Die Abgeordneten werden am Mittwoch mit der EU-Kommission über die aktuelle Lage in Hongkong und die Festnahme des 90 Jahre alten Geistlichen sowie Mitglieder des “612 Humanitarian Relief Fund” Ende Mai debattieren. Aller Voraussicht nach wird das Vorgehen gegen Zen und die weiteren Inhaftierten in einer Resolution am Donnerstag zur Abstimmung kommen. In dieser wird ihre Freilassung gefordert, wie aus einem Entwurf des Papiers hervorgeht.

Kardinal Zen wird vorgeworfen, gegen das Nationale Sicherheitsgesetz verstoßen zu haben, indem er sich mit ausländischen Kräften gegen die nationalen Interessen der Stadt verschworen habeHintergrund für den Vorwurf ist Zens Rolle als Treuhänder des “612 Humanitarian Relief Fund”, der Geld gesammelt hat, um angeklagten Mitgliedern der Hongkonger Protestbewegung rechtlichen Beistand zu finanzieren (China.Table berichtete). Die Abstimmungen des EU-Parlaments stellen den Standpunkt der Abgeordneten dar und geben der Kommission eine Handlungsempfehlung. Sie sind allerdings nicht bindend. ari

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  • Menschenrechte
  • Nationales Sicherheitsgesetz
  • Zivilgesellschaft

Hacker stehlen offenbar Bürgerdaten bei der Polizei

Auf dem Schwarzmarkt für Daten sind persönliche Informationen von rund einer Milliarde chinesischer Bürger aufgetaucht. Zum Preis von zehn Bitcoin (gut 180.000 Euro) bieten die unbekannten Hacker den Daten-Schatz feil. Die Kryptowährungs-Plattform Binance machte das Angebot am Sonntag über Twitter öffentlich. Auf Chinas Sozialmedien sind seit Montag die Suche nach “Datenleck” blockiert.

Besonders heikel ist die angebliche Quelle der Datensätze. Sie sollen aus der Dienststelle des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit (公安部) in Shanghai stammen. Das würde bedeuten: Chinas mächtige Staatssicherheit wurde gehackt. Laut Binance-Chef Zhao Changpeng hat ein Behörden-Programmierer in seinem persönlichen Blog einen Anfängerfehler gemacht, was den Zugriff auf die Server seines Arbeitgebers möglich gemacht habe.

Zu den gestohlenen Daten gehören Name, Adresse, Personalausweisnummer, Geburtsort, Telefonnummer und dergleichen. Die Personalausweisnummer und die Telefonnummer dienen in China der universellen Identifikation zum Beispiel bei Bankgeschäften in der App, beim Online-Kauf von Waren oder Fahrkarten – oder gegenüber den Behörden. Binance selbst verlangt von betroffenen Nutzern daher jetzt eine zusätzliche Authentifizierung. fin

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Xi erläutert seine Sicht auf “ein Land, zwei Systeme”

Staatschef Xi Jinping hat in einer Grundsatzrede in Hongkong zum 25. Jahrestag der Rückgabe (China.Table berichtete) sein Verständnis des Grundsatzes “ein Land, zwei Systeme” dargelegt. Er stellt darin die Arbeitsteilung der zwei Systeme als völlig intakt dar. Auf der einen Seite stehe das sozialistische System mit chinesischen Charakteristiken auf dem Festland, auf der anderen das kapitalistische System, das sich vor der Rückgabe in Hongkong etabliert habe. “Genau so war das Prinzip ursprünglich angelegt”, sagt Xi am Freitag in Hongkong. Eine nicht-wirtschaftliche Dimension war dem Geist seiner Rede zufolge von den Vertragspartnern China und Großbritannien nicht beabsichtigt. Erst mit der Rückkehr ins Mutterland habe die wahre Demokratie in Hongkong begonnen. Vorher sei es fremd beherrscht gewesen.

Das Vorhandensein der zwei Systeme dient Xi zufolge höheren Zwecken: der Souveränität, der Sicherheit und dem Wohlstand des Mutterlandes. Es stehe nicht darüber, sondern sei ein Teil davon. Deshalb müsse die Zentralregierung immer das letzte Wort haben. Innerhalb dieses Rahmens könne die Sonderregion jedoch ein hohes Maß an Autonomie genießen. Es müsse aber stets sichergestellt werden, dass Hongkong von “Patrioten” regiert wird, die diese höheren Ziele im Blick behalten. “Es gibt kein Land auf der Welt, in dem die Menschen es unpatriotischen Kräften erlauben würden, die Macht zu übernehmen.” Die Patrioten sollten dann die “speziellen Vorteile” des Standorts zum Wohle des ganzen Landes ausspielen.

Dem aktuellen Patrioten an der Hongkonger Verwaltungsspitze, John Lee (China.Table berichtete), gibt Xi zum Amtsantritt eine ganze Reihe Aufgaben mit.

  • Die Effizienz der Regierung müsse stark steigen, dafür sei die Verwaltungsspitze persönlich verantwortlich. Dafür sei es vor allem wichtig, dass die Führungspersonen “politische Integrität” zeigen. Ganz Hongkong müsse an einem Strang ziehen, um Harmonie und Stabilität sicherzustellen. Hongkong halte kein weiteres Chaos mehr aus. Das sei wahre Konformität mit “ein Land, zwei Systeme”.
  • Die Wirtschaft müsse wachsen und Hongkong seine Rolle als Finanzzentrum ausfüllen – das sei schließlich der Sinn und der Kern des Prinzips “zwei Systeme”.
  • Im täglichen Leben brauchen die Hongkonger mehr Unterstützung. Sinngemäß fordert Xi, die Stadt müsse wieder sozialer werden. Die Verwaltung solle bezahlbaren Wohnraum bereitstellen, die Ausbildung besser und günstiger machen und für mehr Jobchancen sorgen. Das impliziert, dass die Proteste der Jahre 2014 bis 2020 auch mit Unzufriedenheit der jungen Hongkonger mit den Wirtschaftsbedingungen zu tun hatten.

Schon am Sonntag berief Lee eilfertig eine Kabinettssitzung ein, um die Maßgaben des Staatsführers zu besprechen und ein Handlungsprogramm zu entwerfen.

Xis verkehrt mit seiner Rede die im liberalen Teil der Hongkonger Gesellschaft weit verbreitete Interpretation von “ein Land, zwei Systeme” ins Gegenteil. Dort stehen als entscheidende Systemunterschiede demokratische Wahlen, freie Meinungsäußerung und eine unabhängige Justiz im Vordergrund. Die Volksrepublik hat sich seit Abschluss des Vertrags zwischen Großbritannien und China 1984 so kapitalistisch entwickelt, dass der Unterschied der Wirtschaftssysteme in den Hintergrund gerückt ist.

Als Kernsatz der Sino-British Joint Declaration gilt hier, dass die “Legislative der Sonderverwaltungsregion Hongkong durch Wahlen” bestimmt sein soll. In Anhang I, Absatz 13, legt sie zudem fest, dass folgende Grundrechte erhalten bleiben sollten:

  • fundamentale Freiheitsrechte (freedom of the person),
  • Redefreiheit und Pressefreiheit,
  • Versammlungsfreiheit,
  • Freizügigkeit,
  • Demonstrationsfreiheit und
  • Wissenschaftsfreiheit.

Das Sicherheitsgesetz von 2020, die Unterdrückung der Proteste, die Verfolgung von Politikern des demokratischen Lagers und von Journalisten werden daher von Großbritannien als Vertragsbruch der Joint Declaration gesehen. fin

  • Geopolitik
  • Hongkong
  • Xi Jinping

Papst will neues Abkommen

Papst Franziskus hofft, das umstrittene Abkommen mit der Volksrepublik China zur Einsetzung von Bischöfen erneuern zu können – allerdings gebe es noch Abstimmungsprobleme, sagte Franziskus der Nachrichtenagentur Reuters. “Aber die Vereinbarung ist gut, und ich hoffe, dass sie im Oktober verlängert werden kann”, so der Papst weiter.

Als Verhandler mit Peking sei Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin im Einsatz, erklärte Franziskus. Parolin sei “ein Mann mit hohem diplomatischem Ansehen” und wisse, wie man sich in China bewege. “In Anbetracht einer festgefahrenen Situation muss man das Mögliche suchen, nicht das Ideale, denn Diplomatie ist die Kunst des Möglichen und der Verwirklichung des Möglichen”, so Franziskus.

Das im Oktober 2018 in Kraft getretene vorläufige Abkommen wurde 2020 erstmals um weitere zwei Jahre verlängert. Die Frist läuft im Herbst aus. Die Vereinbarung zwischen Peking und dem Vatikan, deren Wortlaut unter Verschluss gehalten wird, steht in der Kritik, weil sie das Leben katholischer Christen in der Volksrepublik nicht verbesserertr/ari

  • Gesellschaft
  • Kultur
  • Peking
  • Religion

Ansehen im Ausland leidet

Chinas Ansehen im Ausland leidet unter der schlechten Menschenrechtslage in der Volksrepublik. Das ist das Ergebnis einer neuen Umfrage des Pew Research Centre unter knapp 25.000 Menschen in 19 Ländern. In den meisten Ländern haben die negativen Ansichten zu China zugenommen, wie die South China Morning Post berichtet.

Die schlechte Menschenrechtsbilanz der Volksrepublik wird dabei als Hauptursache angeführt. Sie verschlechtert Chinas Ansehen im Ausland stärker als die Sorgen über die chinesische Militärmacht, den wirtschaftlichen Wettbewerb und Chinas Engagement im Land der jeweils Befragten. Fast 80 Prozent der Befragten sagten, Chinas Menschenrechtspolitik sei ein “schweres oder sehr schweres Problem” für ihre Länder. Die zunehmende Militärmacht und die aggressive Wirtschaftspolitik wird von 72 beziehungsweise 66 Prozent als schweres oder sehr schweres Problem angesehen.

Erst Ende Mai gab es ein Datenleak, das Menschenrechtsverletzungen in der Provinz Xinjiang belegt. Die sogenannten Xinjiang Police Files zeigen Folterungen und schlechte Haftbedingungen von Uiguren in Internierungslagern. Sie belegen die unmittelbare Verstrickung des Machtzirkels der Kommunistischen Partei bei der Internierung von zahllosen Uiguren (China.Table berichtete). Auch in Deutschland zeigen sich die Menschen besorgt über die Menschenrechtslage. Über 70 Prozent der Befragten sagen, Deutschland solle chinesische Importe bei Verdacht von Zwangsarbeit verbieten, wie eine von China.Table durchgeführte Umfrage zeigt (China.Table berichtete). nib

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  • Xinjiang
  • Zivilgesellschaft

Ifo: Rohstoff-Abhängigkeit von China verringern

Batterien, Robotik, Erneuerbare Energien: Bei vielen Schlüsseltechnologien ist Deutschland einer Ifo-Studie zufolge von importierten Rohstoffen abhängig – oftmals von einzelnen Lieferländern wie China. “Dringender Handlungsbedarf für krisensichere Lieferketten besteht bei neun kritischen Mineralien“, schlussfolgerte die Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft, Lisandra Flach, aus der am Donnerstag veröffentlichten Untersuchung ihres Wirtschaftsforschungsinstituts. Dies seien

  • Kobalt,
  • Bor,
  • Silizium,
  • Graphit,
  • Magnesium,
  • Lithium,
  • Niob,
  • Seltene Erden und
  • Titan.

“Hier sind mehr Bezugs­quellen nötig, um die Lieferketten widerstandsfähiger zu machen”, sagte die Expertin. Lieferkettenstörungen sind der Studie zufolge bei den genannten Rohstoffen besonders problematisch. Der Grund: alternative Quellen könnten nur langfristig erschlossen werden. Dies sei eine Lektion der jüngsten Versorgungsnotlagen im Zuge der Corona-Pandemie und Krisen wie dem Ukraine-Krieg.

Bei sieben der neun besonders kritischen Rohstoffe ist den Angaben zufolge China einer der größten Anbieter am Weltmarkt – teilweise in marktdominierender Position. Dies spreche für eine schnelle Verstärkung bereits bestehender Handelsbeziehungen zu anderen Ländern, darunter Thailand und Vietnam für die Seltenen Erden, aber auch zu Argentinien, Brasilien, den USA und Australien für andere kritische Rohstoffe. Bei der Mehrheit der in der Studie untersuchten 23 kritischen Rohstoffe seien Maßnahmen für widerstandsfähigere Lieferketten nötig, sagte Außenhandelsexpertin Flach.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sieht Potenzial in einer besseren EU-weiten Abstimmung sowohl bei Strategien für eine bessere Rohstoffverteilung innerhalb der EU als auch in der gemeinsamen Handelspolitik nach außen. “Viele EU-Mitglieder verfügen über Potenziale bei kritischen Rohstoffen”, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. “Hier muss die Erschließung und Verarbeitung von Rohstoffen innerhalb der EU verstärkt ausgebaut werden.” Zusätzlich müsse die EU rasch mit Handels- und Investitionsabkommen den Unternehmen dabei helfen, weltweit neue und nachhaltige Rohstoffquellen zu erschließen. Gerade die Abkommen mit den Mercosur-Ländern in Südamerika, aber auch Indonesien und Indien seien hierfür relevant und sollten rasch abgeschlossen werden. rtr

  • Handel
  • Rohstoffe
  • Seltene Erden

Portrait

Li Cheng – Erfahrungsberichte gegen Diskriminierung

Thema Umweltpolitik an der New York University in Abu Dhabi.
Li Cheng schreibt ihre Bachelorarbeit zum Thema Umweltpolitik an der New York University in Abu Dhabi.

Jeder Mensch ist anders. Keine zwei Personen gleichen sich vollkommen. Und doch stellt unsere Gesellschaft bestimmte Menschen oder Gruppen als “anders” heraus und meint damit: anders als wir. Es ist leicht, Teil der größeren Gruppe zu sein, und es ist schwer, Außenseiter zu sein. Wenn Li Cheng heute über ihre chinesischen Wurzeln spricht, über das Chinesischsein in Deutschland und über die Vorurteile, mit denen sie konfrontiert wird, merkt man ihr diese Last jedoch nicht an. Sie hat ihren Frieden mit dem vermeintlichen “Anderssein” geschlossen.

Cheng ist in der Nähe von Düsseldorf geboren und aufgewachsen, ihre Eltern kamen in den 1980er-Jahren mit der Hoffnung auf bessere Jobs aus Shanghai nach Deutschland. “Sie haben für sich keine Zukunft gesehen in China”, erzählt die 21-Jährige, die mittlerweile in Abu Dhabi studiert. “Damals verdiente man in Deutschland selbst in einer Fabrik den chinesischen Monatslohn an einem einzigen Tag.”

Als Cheng eingeschult wurde, lernte sie, die Antworten zu geben, die von ihr erwartet wurden. Wenn jemand fragte, woher sie kam – und diese Frage kam häufig – antwortete sie: “aus China”. Dabei war sie erst mit sechs Jahren erstmals nach China gereist – es war für sie ein fremdes Land. “Oft wollen Menschen nicht wissen, wo ich geboren bin”, sagt Cheng. “Sie fragen so lange, bis sie wissen, dass meine Eltern aus China kommen.” Über das “Ah”, das häufig auf diese Information folgt, kann sie nur lachen. “Ich weiß eigentlich bis heute nicht, was das bedeuten soll.”

Corona hat die Vorurteile noch verstärkt

Das “Ah” bedeutet wohl, dass die Fragenden in ihrer Vermutung bestätigt wurden. Wie es sich anfühlt, immer wieder aufgrund von Äußerlichkeiten einsortiert zu werden. Diese Erfahrung teilt Cheng mit der chinesischen Community in Deutschland. “Besonders spürbar wurden die Vorurteile zu Beginn der Coronavirus-Pandemie”, sagt sie. “Die Berichterstattung über das Virus war stark auf China fokussiert, immer wieder wurden Chinesinnen und Chinesen und asiatisch aussende Menschen in meinem Freundeskreis diskriminiert.”

Cheng lebte zu der Zeit in Berlin und lernte die aktivistische Szene der Stadt kennen – ließ sich schließlich inspirieren, selbst etwas zu tun. Im vergangenen Jahr gründete sie das ZhongDe Magazin, in dem Autorinnen und Autoren mit chinesisch-deutscher Herkunft über das Chinesischsein schreiben. “Ich wollte aktiv etwas dazu beitragen, unsere Lebensrealität sichtbarer zu machen.” Sie verfasste einen Instagram-Post, fragte, ob jemand Lust hat, mitzumachen. “Dann ging alles ganz schnell. Es meldeten sich mehr als zehn Leute, die schreiben oder anders teilhaben wollten.”

Li Cheng möchte ihre Stimme erheben

Die erste Ausgabe erschien vier Monate später und nahm sich das Thema Familie vor. “Darüber konnte jeder sofort etwas erzählen.” Sie selbst outet sich in ihrem Artikel als “People Pleaser” und schreibt über die Werte, die ihre Eltern ihr vermittelt haben: “In meiner Kindheit war es völlig normal, dass meine Eltern und Großeltern große Opfer brachten und selbstlos handelten, ohne sich je anmerken zu lassen, was für eine große Last das für sie war.” Cheng lernte früh, sich zurückzunehmen, ging jedem Konflikt aus dem Weg und verbog sich, um jedem zu gefallen. “Dieses kulturelle Denken, dass man großzügig zu anderen und sparsam mit sich selbst ist, das musste ich erst einmal reflektieren, um es aufzubrechen.” 

Ein “People Pleaser” möchte sie heute nicht mehr sein. Cheng hat sich fest vorgenommen, ihre Stimme zu erheben – sicher auch in den kommenden Ausgaben ihres ZhongDe-Magazins. Svenja Napp

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  • Gesundheit
  • Kultur

Dessert

Mönche feiern den 87. Geburtstag des Dalai Lama in Kathmandu, Nepal. In China sind Hinweise auf das spirituelle Oberhaupt der Tibeter unterdrückt. Die tibetische Gemeinde in der nepalesischen Hauptstadt darf dagegen ihre Umzüge abhalten, wenn auch unter Bewachung durch Sicherheitskräfte. EU-Botschafterin Nona Deprez hat an den Feierlichkeiten teilgenommen.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
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    In unserer heutigen Ausgabe geht es nun um die Herstellung jener Waren: Marcel Grzanna hat mit Menschen gesprochen, die in chinesischen Fabriken unter Zwang arbeiten mussten. Wer vom Schicksal von Gulzira Auyelkhan liest, erkennt, wie weit das System reicht: Es geht um willkürliche Verhaftungen, um Stromrechnungen für Mitarbeiter und um Kredite, bei denen Menschen zwar nie das Geld erhalten haben, aber dennoch riesige Schulden abarbeiten müssen. Am Ende bleibt ein kümmerlicher Lohn für viel harte Arbeit: rund 15 Euro im Monat.

    Währenddessen sinkt das Ansehen der KP Chinas im eigenen Land: Vor allem seit dem chaotischen Lockdown in Shanghai sinkt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die chinesische Regierung und ihre Null-Covid-Pandemiebekämpfung. An einigen Stellen sollen die Corona-Apps sogar missbraucht worden sein, um Proteste zu verhindern, schreibt unsere Autorin Christiane Kühl. Auch bei den lokalen Kadern steigt der Frust. Bis diese Wunden geheilt sind, könnte es noch eine Weile dauern.

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    Zu Krediten genötigt, zur Arbeit gezwungen

    Wer Hunger hatte, durfte sich an gekochtem Reis satt essen – geschmacklos, ohne Beilagen, wenig Nährstoffe. Doch in der Weberei des Textilindustrieparks im Landkreis Yining im Nordwesten Xinjiangs an der Grenze zu Kasachstan bot die Küche auch Alternativen. Gefüllte Teigtaschen zum Beispiel mit Gemüse, dazu leckere Soßen – allerdings nur gegen Bezahlung. Ähnlich wie in der Kantine eines deutschen Unternehmens, könnte man meinen.

    Doch die Arbeiterinnen im Industriepark Yining können sich die anständigen Mahlzeiten nicht leisten. Der Lohn, der der ehemaligen Mitarbeiterin Gulzira Auyelkhan seinerzeit zugesagt wurde, betrug 600 Yuan pro Monat, damals rund 75 Euro. Das sind fast 1.000 Yuan weniger als der gesetzlichen Mindestlohn in der Region. Selbst im abgelegenen Yining sind 75 Euro für einen Monat Arbeit sehr dürftig. Auf die Teigtaschen musste Gulzira Auyelkhan deshalb verzichten.

    Die Kasachin nähte von morgens bis abends Lammfell-Handschuhe. Sie machte die schlecht bezahlte Arbeit nicht freiwillig. Sie sei von chinesischen Behörden dazu gezwungen worden, sagt sie im Gespräch mit China.Table. Heute lebt sie am Stadtrand von Washington. Die USA gewährten ihr politisches Asyl. Sie gehört zu jenen Geflüchteten, die dem US-Senat später über die Menschenrechtsverbrechen in Xinjiang öffentlich Auskunft gaben.

    Eine Expertenkommission der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) hatte der Volksrepublik China Ende vergangenen Jahres vorgeworfen, durch ein “weit verbreitetes und systematisches” Zwangsarbeitsprogramm gegen internationale Konventionen zu verstoßen. Davon betroffen sind in erster Linie Uiguren und andere muslimische Minderheiten.

    Besonders Branchen wie die Textilindustrie, die Landwirtschaft oder die Solarindustrie gelten als Risikosektoren, in denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass Zwangsarbeit in die Wertschöpfung einfließt. Vor allem in Xinjiang sei das Problem markant. Laut IAO-Bericht seien zudem rund 80.000 Uiguren in andere Landesteile deportiert worden, um auch dort für minimale Löhne arbeiten zu müssen.

    Auch alte und kranke Frauen wurden rekrutiert

    China.Table liegen auch Aussagen von Behördenvertretern vor, die mit der Organisation der Zwangsarbeit befasst waren. “Um der Zwangsarbeit einen Anstrich der Legalität zu verpassen, nötigten die Behörden die Frauen in Yining dazu, einen Kredit bis zu einer Höhe von 10.000 Yuan bei einer örtlichen Bank zu beantragen“, sagt Gulipiyan Hazibek.

    Die gelernte Medizinerin hat ebenfalls kasachische Wurzeln, sie wurde als studierte Kraft in den chinesischen Staatsdienst bestellt. 22 Jahre lang arbeitete sie für die chinesische Verwaltung, ehe sie aus gesundheitlichen Gründen als ethnische Kasachin nach Kasachstan ausreisen durfte und die dortige Staatsbürgerschaft annahm.

    Zuletzt war sie dafür zuständig, Frauen aus den Dörfern der Region aufzutreiben, um sie für die Arbeit in den Fabriken zu rekrutieren. “Ich musste die Frauen dazu zwingen, mitzukommen. Auch alte Frauen, kranke oder gehandicapte. Wer sich weigerte, musste mit harten Strafen rechnen“, sagt Hazibek im Gespräch mit China.Table. Je nach Leistungsfähigkeit wurden die Frauen für verschiedene Tätigkeiten in der Produktion eingesetzt.

    Der Knackpunkt war nun der Kreditvertrag, den die Frauen bereits unterschrieben hatten. Das Geld sei nach der Unterzeichnung der Papiere nie geflossen, sagt Hazibek. Dennoch seien die Frauen verschuldet gewesen, und zwar so hoch, dass eine Rückzahlung fast immer unmöglich war. Um ihre Zwangsanstellung zu rechtfertigen, argumentierten die Behörden, die Frauen müssten die Summe in den örtlichen Fabriken abarbeiten.

    Strenge Überwachung auch in den Fabriken

    Auch die Handschuh-Näherin Gulzira Auyelkhan sollte ein solches Papier unterschreiben. Im Juli 2017 war sie aus Kasachstan nach Xinjiang eingereist, um in ihrem Heimatdorf ihren kranken Vater zu besuchen. Drei Jahre zuvor hatte sie die Volksrepublik mit ihrem Ehemann und ihren Kindern verlassen, um in Kasachstan ein neues Leben zu beginnen. Damals, 2014, hatte die chinesische Regierung den “Harten Schlag gegen gewaltbereiten Terrorismus” (严厉打击暴力恐怖活动专项行动) begonnen. Die Kampagne richtete sich gegen Uiguren und andere Minderheiten in Xinjiang.

    Nach ihrer Ausreise hatte Auyelkhan die kasachische Staatsbürgerschaft angenommen und glaubte deswegen, in Xinjiang sicher zu sein, als sie erstmals wieder dorthin zurückkehrte. Doch sie irrte. Kurz hinter der Grenze nahm man sie fest und internierte sie. “Man warf mir vor, nicht so zu denken, wie die Kommunistische Partei es gerne hätte. Deshalb wurde entschieden, mich umzuerziehen”, sagt sie China.Table. 15 Monate lang steckte man sie in ein Internierungslager.

    Als Kasachin hatte sie stets die Hoffnung gehabt, durch internationalen Druck freizukommen. Auch deshalb widersetzte sich Auyelkhan, einen Kreditvertrag zu unterschreiben. Uigurischen Frauen mit chinesischer Staatsbürgerschaft dagegen wurde gedroht, sie lange einzusperren. Der Zwangsarbeit entkam Auyelkhan dennoch nicht. Nach der Zeit im Lager arbeitete sie auf behördliche Anordnung vom 14. Oktober 2018 bis zum 29. Dezember desselben Jahres mindestens zwölf, manchmal 16 Stunden täglich.

    Auch während dieser Zeit standen die Frauen unter strenger Überwachung. Die Arbeit in der Fabrik ähnelte sehr der Internierung im Lager. Die Zeit nach der Arbeit verbrachten sie in Gemeinschaftsunterkünften, drei Kilometer von der Fabrik entfernt. Manchmal waren die Arbeitstage derart lang, dass die Frauen direkt in der Fabrik schliefen. Es war ihnen verboten, allein in den Schlafsaal zurückzukehren.

    Ihr verdientes Geld floss auf eigens eingerichtete Bankkonten der Arbeiterinnen. Doch Zugriff darauf bekamen sie nicht. Stattdessen wurden Kosten für ihre Unterkunft samt Nebenkosten für Strom automatisch abgebucht. Auch die Pendelei zwischen Unterkunft und Fabrik mussten sie bezahlen, sodass am Ende kaum noch Geld übrig blieb. Die Arbeiterinnen waren der Willkür der Behörden schutzlos ausgesetzt.

    Vom versprochenen Verdienst blieb nur ein Bruchteil übrig

    Die chinesische Regierung lehnt die Vorwürfe systematischer Zwangsarbeit kategorisch ab und wähnt sich als Opfer einer Schmierkampagne. Erst zu Beginn des Jahres hat das Land zwei UN-Konventionen der IAO gegen Zwangsarbeit unterschrieben. Zur Aufklärung vor Ort wäre chinesische Unterstützung unverzichtbar. Doch es gilt als unwahrscheinlich, dass die Behörden kooperieren werden.

    Die IAO beschloss bei ihrer Jahreskonferenz vor wenigen Wochen, eine technische Beratungskommission in die Volksrepublik zu entsenden. Eine Untersuchung der Vorwürfe ist einer solchen Kommission jedoch nicht gestattet. Sie kann lediglich unterstützend auf die Einhaltung von Konventionen dringen. Um das Problem zu bekämpfen, sollen Lieferkettengesetze in Deutschland und Europa oder der Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA) in den USA die Produzenten so stark unter Druck setzen, dass sie das System der Zwangsarbeit einstellen.

    Gulzira Auyelkhan wurde am 30. Dezember 2018 freigelassen und fünf Tage später an die kasachische Grenze gebracht, um nach Hause zurückzukehren. Ihr Mann hatte aus Kasachstan heraus politischen Druck organisiert, der schließlich zum Erfolg führte. Als sie freikam, zahlte man ihr für die gesamte Zeit in der Fabrik 250 Yuan aus, etwas mehr als 30 Euro.

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    Null-Covid zerstört Vertrauen

    Isolationszentrum in Shanghai - die rigide Corona-Politik der Stadt und Willkür sorgen für Vertrauensverlust der Bevölkerung - es kommt vermehrt zu Protesten.
    Isolationszentrum in Shanghai

    Es war ein ungewöhnlicher Protest. Im Shanghaier Jingan-Distrikt gingen Dutzende weiß gekleidete Pandemiearbeiter, im Volksmund “Große Weiße”, auf die Straße und verlangten ihre nicht gezahlten Löhne: “Gebt uns unser hart verdientes Geld!” skandierten sie; Videos von der Aktion zirkulierten in sozialen Medien. Offiziell bestätigt wurde das Video und die ausgebliebenen Löhne nicht – aber der Protest ist kein Einzelfall. Es gebe immer mehr solche Unruhen von Arbeitern im Zusammenhang mit der Umsetzung der chinesischen Pandemie-Präventionspolitik, schreibt das China Labour Bulletin (CLB), eine Nichtregierungsorganisation für Arbeiterrechte in China mit Sitz in Hongkong.

    Seit März zeichnete CLB auf seiner interaktiven Streik-Karte 14 Proteste im Zusammenhang mit dem Coronavirus auf, acht davon im Lockdown-müden Shanghai: “Schlechte Arbeitsbedingungen unter strengen Sperrmaßnahmen führten nicht nur zu Protesten von Ärzten, Krankenschwestern und weiß gekleideten Pandemiearbeitern, sondern auch von Fabrikarbeitern, Taxifahrern und anderen.”

    Aber es ist nicht nur das. Die gesamte Ausführung des Shanghaier Lockdowns war teilweise so stümperhaft, dass sie das Selbstverständnis der Shanghaier erschütterte. In vielen Wohnanlagen funktionierten die Essenslieferungen nicht, manche bekamen dringend benötigte Medikamente nicht, und alle mussten dauernd stundenlang vor PCR-Teststationen warten – in ständiger Furcht, bei einem positiven Ergebnis sofort in eines der Isolationszentren gebracht zu werden. CLB berichtet von Protesten “Großer Weißer”, die nach dem Ende ihrer freiwilligen Einsätze nicht wie versprochen die vor der Heimkehr obligatorische Quarantäne im Hotel absitzen durften – sondern dafür wie die positiv Getesteten in eine Isolierstation verfrachtet wurden.

    Auch die Unklarheit über die wechselnde Öffnung und Schließung von Wohnquartieren sorgt für Unmut. Mitte Juni etwa postete ein Anwohner den Mini-Protest von Menschen, denen die Öffnung ihres Wohnviertels zugesagt worden war – aber dann nicht erfolgte. Sie traten einfach den Zaun um, der ihr Viertel von der Außenwelt trennte.

    Vertrauensverlust und Missbrauch von Covid-Maßnahmen

    “In Shanghai ist ein großer Schaden am sozialen Vertrag zwischen Partei und Bürgern entstanden”, sagt Nis Grünberg vom China-Institut Merics. Er nennt ein Beispiel. Zu Beginn der Pandemie seien viele Menschen genervt gewesen von dem Health Code auf dem Smartphone, den man seit langem überall vorzeigen muss. “Aber etwas später ist das dann reibungslos in den Alltag eingeflossen.” Und man habe erkannt, dass digital gestützte Pandemiebekämpfung durchaus sinnvoll sei, so Grünberg zu China.Table. “Doch dieses Vertrauen, dass Maßnahmen sinnvoll sind und dem Gemeinwohl dienen, ist in Shanghai wohl kaputtgegangen – und auch in manchen anderen Städten.”

    Es werde lange dauern, bis diese Wunden geheilt seien, glaubt Grünberg. “Für Dienstleister, kleine Läden oder Restaurants ist der Schaden durch den Lockdown enorm groß. Die Menschen brauchen dauernd PCR-Tests für grüne Health Codes, das ist schon sehr anstrengend.” Darüber hinaus sind noch größere Probleme bekannt geworden. “Auch sind schon Missbräuche der Codes zur sozialen Kontrolle bekanntgeworden – Behörden können Bürgern die Mobilität einfach nehmen, indem sie die Codes auf Rot stellen.”

    Im Juni zog ein Vorfall aus dem zentralchinesischen Zhengzhou – Provinzhauptstadt Henans – weite Kreise in sozialen Medien. Dort verhinderten die Behörden laut CLB einen Protest von hunderten wütenden Kunden einer lokalen Bank, indem sie ihre Health Codes auf Rot stellten.

    Der Vorfall rief sogar Kritik aus ungewöhnlichen Ecken hervor – etwa von Hu Xijin, der sonst als nationalistisches Sprachrohr twitternde Ex-Chefredakteur der Global Times. Manipulationen des Codes beschädigten die Autorität des Code-Systems und würde die Unterstützung der Öffentlichkeit dafür schmälern, schrieb Hu laut New York Times auf Weibo. Der Hashtag habe Mitte Juni mit 280 Millionen Aufrufen zu den meistgesuchten Hashtags gehört.

    Null-Covid-Politik: Übergroße Lasten für alle

    Die Sache ist noch lange nicht vorbei, weder in Shanghai noch anderswo. Kleine Geschäftsleute kämpfen in diesem Umfeld ums Überleben. Hunderte Shanghaier Kleinunternehmer gingen laut CLB im Juni auf die Straße und forderten Mietbefreiungen von ihrem privaten Vermieter auf einem örtlichen Bekleidungsmarkt. Die Proteste zeigten, dass die staatlichen Maßnahmen zur Linderung einer Pandemie nicht weit genug gehen, um den immensen finanziellen Druck zu lindern, den Arbeitnehmer, Kleinunternehmer und andere Bürger in ganz China verspüren.

    Ende Mai hatte Shanghai eine Reihe von rund 50 Maßnahmen angekündigt, um die angeschlagene Wirtschaft anzukurbeln. Doch diese griffen zu kurz, kritisiert CLB. Zum Beispiel gebe es bisher wenig bis gar keine Unterstützung für Arbeitnehmer oder Kleinfirmen. Stattdessen gebe es Anreize zum Autokauf von Neuwagenverkäufe in Shanghai sowie kleine einmalige Zahlungen an Unternehmen in Höhe von 600 Yuan für jeden Mitarbeiter, wenn sie wenige oder gar keine Arbeitnehmer entlassen hatten. Alternativ hatte der chinesische Ex-Chefökonom der Weltbank, Lin Yifu, der Zentralregierung empfohlen, Familien in abgeriegelten Gebieten 1.000 Yuan zu zahlen, um die Bürger zu unterstützen und den Konsum anzukurbeln.

    Doch nicht nur die Bürger haben finanzielle Probleme. Berichten zufolge haben auch die Kommunalverwaltungen Schwierigkeiten, die hohen Kosten für die Pandemie-Präventionsmaßnahmen zu stemmen. (China.Table berichtete). Am Ende droht dadurch nach Ansicht des CLB immer die Gefahr, Löhne und Sozialausgaben nicht in vollem Umfang zahlen zu können.

    Frust unter lokalen Kadern

    Da die Anweisungen von ganz oben kommen, gebe es wegen der Null-Covid-Politik durchaus Frust unter lokalen Kadern, sagt Nis Grünberg. Häufig würden die Funktionäre dann aus Angst, dass Köpfe rollen, zur Über-Implementierung neigen, so der Merics-Forscher. “Man macht also lieber zu viel, als zu wenig.” Das Risiko einer lockereren Herangehensweise sei sehr groß, wenn es damit eben nicht klappt, das Virus zurückzudrängen – wie im Frühjahr in Shanghai gesehen.

    Eine so starke Übersensibilisierung auf lokaler Ebene wie derzeit sei selten zu beobachten, sagt Grünberg. “Das führte sogar dazu, dass es eine Anweisung aus Peking gab, dass die Kommunen es mit den Lockdowns nicht übertreiben, sondern auch die Geschäfte und Firmen mitbedenken.” In China seien landesweit einheitliche Regeln noch schwieriger als in Deutschland, meint Grünberg. “Es ist einfach noch viel größer und heterogener.” Die lokalen Null-Covid-Maßnahmen laufen zudem eher im Kampagnen-Stil ab. “Die Regierung gebe eine Priorität aus: ‘Kein Covid’. Und dann geben sie eine Liste an legitimen Eingriffen und Instrumenten heraus. “Aber die Details muss dann die Kommune selbst entwerfen.”

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    EU-Parlament: Behörden sollen Kardinal Zen freilassen

    Das Europaparlament befasst sich in seiner aktuellen Sitzungswoche mit der Verhaftung des römisch-katholischen Kardinals Joseph Zen in Hongkong. Die Abgeordneten werden am Mittwoch mit der EU-Kommission über die aktuelle Lage in Hongkong und die Festnahme des 90 Jahre alten Geistlichen sowie Mitglieder des “612 Humanitarian Relief Fund” Ende Mai debattieren. Aller Voraussicht nach wird das Vorgehen gegen Zen und die weiteren Inhaftierten in einer Resolution am Donnerstag zur Abstimmung kommen. In dieser wird ihre Freilassung gefordert, wie aus einem Entwurf des Papiers hervorgeht.

    Kardinal Zen wird vorgeworfen, gegen das Nationale Sicherheitsgesetz verstoßen zu haben, indem er sich mit ausländischen Kräften gegen die nationalen Interessen der Stadt verschworen habeHintergrund für den Vorwurf ist Zens Rolle als Treuhänder des “612 Humanitarian Relief Fund”, der Geld gesammelt hat, um angeklagten Mitgliedern der Hongkonger Protestbewegung rechtlichen Beistand zu finanzieren (China.Table berichtete). Die Abstimmungen des EU-Parlaments stellen den Standpunkt der Abgeordneten dar und geben der Kommission eine Handlungsempfehlung. Sie sind allerdings nicht bindend. ari

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    Hacker stehlen offenbar Bürgerdaten bei der Polizei

    Auf dem Schwarzmarkt für Daten sind persönliche Informationen von rund einer Milliarde chinesischer Bürger aufgetaucht. Zum Preis von zehn Bitcoin (gut 180.000 Euro) bieten die unbekannten Hacker den Daten-Schatz feil. Die Kryptowährungs-Plattform Binance machte das Angebot am Sonntag über Twitter öffentlich. Auf Chinas Sozialmedien sind seit Montag die Suche nach “Datenleck” blockiert.

    Besonders heikel ist die angebliche Quelle der Datensätze. Sie sollen aus der Dienststelle des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit (公安部) in Shanghai stammen. Das würde bedeuten: Chinas mächtige Staatssicherheit wurde gehackt. Laut Binance-Chef Zhao Changpeng hat ein Behörden-Programmierer in seinem persönlichen Blog einen Anfängerfehler gemacht, was den Zugriff auf die Server seines Arbeitgebers möglich gemacht habe.

    Zu den gestohlenen Daten gehören Name, Adresse, Personalausweisnummer, Geburtsort, Telefonnummer und dergleichen. Die Personalausweisnummer und die Telefonnummer dienen in China der universellen Identifikation zum Beispiel bei Bankgeschäften in der App, beim Online-Kauf von Waren oder Fahrkarten – oder gegenüber den Behörden. Binance selbst verlangt von betroffenen Nutzern daher jetzt eine zusätzliche Authentifizierung. fin

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    Xi erläutert seine Sicht auf “ein Land, zwei Systeme”

    Staatschef Xi Jinping hat in einer Grundsatzrede in Hongkong zum 25. Jahrestag der Rückgabe (China.Table berichtete) sein Verständnis des Grundsatzes “ein Land, zwei Systeme” dargelegt. Er stellt darin die Arbeitsteilung der zwei Systeme als völlig intakt dar. Auf der einen Seite stehe das sozialistische System mit chinesischen Charakteristiken auf dem Festland, auf der anderen das kapitalistische System, das sich vor der Rückgabe in Hongkong etabliert habe. “Genau so war das Prinzip ursprünglich angelegt”, sagt Xi am Freitag in Hongkong. Eine nicht-wirtschaftliche Dimension war dem Geist seiner Rede zufolge von den Vertragspartnern China und Großbritannien nicht beabsichtigt. Erst mit der Rückkehr ins Mutterland habe die wahre Demokratie in Hongkong begonnen. Vorher sei es fremd beherrscht gewesen.

    Das Vorhandensein der zwei Systeme dient Xi zufolge höheren Zwecken: der Souveränität, der Sicherheit und dem Wohlstand des Mutterlandes. Es stehe nicht darüber, sondern sei ein Teil davon. Deshalb müsse die Zentralregierung immer das letzte Wort haben. Innerhalb dieses Rahmens könne die Sonderregion jedoch ein hohes Maß an Autonomie genießen. Es müsse aber stets sichergestellt werden, dass Hongkong von “Patrioten” regiert wird, die diese höheren Ziele im Blick behalten. “Es gibt kein Land auf der Welt, in dem die Menschen es unpatriotischen Kräften erlauben würden, die Macht zu übernehmen.” Die Patrioten sollten dann die “speziellen Vorteile” des Standorts zum Wohle des ganzen Landes ausspielen.

    Dem aktuellen Patrioten an der Hongkonger Verwaltungsspitze, John Lee (China.Table berichtete), gibt Xi zum Amtsantritt eine ganze Reihe Aufgaben mit.

    • Die Effizienz der Regierung müsse stark steigen, dafür sei die Verwaltungsspitze persönlich verantwortlich. Dafür sei es vor allem wichtig, dass die Führungspersonen “politische Integrität” zeigen. Ganz Hongkong müsse an einem Strang ziehen, um Harmonie und Stabilität sicherzustellen. Hongkong halte kein weiteres Chaos mehr aus. Das sei wahre Konformität mit “ein Land, zwei Systeme”.
    • Die Wirtschaft müsse wachsen und Hongkong seine Rolle als Finanzzentrum ausfüllen – das sei schließlich der Sinn und der Kern des Prinzips “zwei Systeme”.
    • Im täglichen Leben brauchen die Hongkonger mehr Unterstützung. Sinngemäß fordert Xi, die Stadt müsse wieder sozialer werden. Die Verwaltung solle bezahlbaren Wohnraum bereitstellen, die Ausbildung besser und günstiger machen und für mehr Jobchancen sorgen. Das impliziert, dass die Proteste der Jahre 2014 bis 2020 auch mit Unzufriedenheit der jungen Hongkonger mit den Wirtschaftsbedingungen zu tun hatten.

    Schon am Sonntag berief Lee eilfertig eine Kabinettssitzung ein, um die Maßgaben des Staatsführers zu besprechen und ein Handlungsprogramm zu entwerfen.

    Xis verkehrt mit seiner Rede die im liberalen Teil der Hongkonger Gesellschaft weit verbreitete Interpretation von “ein Land, zwei Systeme” ins Gegenteil. Dort stehen als entscheidende Systemunterschiede demokratische Wahlen, freie Meinungsäußerung und eine unabhängige Justiz im Vordergrund. Die Volksrepublik hat sich seit Abschluss des Vertrags zwischen Großbritannien und China 1984 so kapitalistisch entwickelt, dass der Unterschied der Wirtschaftssysteme in den Hintergrund gerückt ist.

    Als Kernsatz der Sino-British Joint Declaration gilt hier, dass die “Legislative der Sonderverwaltungsregion Hongkong durch Wahlen” bestimmt sein soll. In Anhang I, Absatz 13, legt sie zudem fest, dass folgende Grundrechte erhalten bleiben sollten:

    • fundamentale Freiheitsrechte (freedom of the person),
    • Redefreiheit und Pressefreiheit,
    • Versammlungsfreiheit,
    • Freizügigkeit,
    • Demonstrationsfreiheit und
    • Wissenschaftsfreiheit.

    Das Sicherheitsgesetz von 2020, die Unterdrückung der Proteste, die Verfolgung von Politikern des demokratischen Lagers und von Journalisten werden daher von Großbritannien als Vertragsbruch der Joint Declaration gesehen. fin

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    Papst will neues Abkommen

    Papst Franziskus hofft, das umstrittene Abkommen mit der Volksrepublik China zur Einsetzung von Bischöfen erneuern zu können – allerdings gebe es noch Abstimmungsprobleme, sagte Franziskus der Nachrichtenagentur Reuters. “Aber die Vereinbarung ist gut, und ich hoffe, dass sie im Oktober verlängert werden kann”, so der Papst weiter.

    Als Verhandler mit Peking sei Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin im Einsatz, erklärte Franziskus. Parolin sei “ein Mann mit hohem diplomatischem Ansehen” und wisse, wie man sich in China bewege. “In Anbetracht einer festgefahrenen Situation muss man das Mögliche suchen, nicht das Ideale, denn Diplomatie ist die Kunst des Möglichen und der Verwirklichung des Möglichen”, so Franziskus.

    Das im Oktober 2018 in Kraft getretene vorläufige Abkommen wurde 2020 erstmals um weitere zwei Jahre verlängert. Die Frist läuft im Herbst aus. Die Vereinbarung zwischen Peking und dem Vatikan, deren Wortlaut unter Verschluss gehalten wird, steht in der Kritik, weil sie das Leben katholischer Christen in der Volksrepublik nicht verbesserertr/ari

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    Ansehen im Ausland leidet

    Chinas Ansehen im Ausland leidet unter der schlechten Menschenrechtslage in der Volksrepublik. Das ist das Ergebnis einer neuen Umfrage des Pew Research Centre unter knapp 25.000 Menschen in 19 Ländern. In den meisten Ländern haben die negativen Ansichten zu China zugenommen, wie die South China Morning Post berichtet.

    Die schlechte Menschenrechtsbilanz der Volksrepublik wird dabei als Hauptursache angeführt. Sie verschlechtert Chinas Ansehen im Ausland stärker als die Sorgen über die chinesische Militärmacht, den wirtschaftlichen Wettbewerb und Chinas Engagement im Land der jeweils Befragten. Fast 80 Prozent der Befragten sagten, Chinas Menschenrechtspolitik sei ein “schweres oder sehr schweres Problem” für ihre Länder. Die zunehmende Militärmacht und die aggressive Wirtschaftspolitik wird von 72 beziehungsweise 66 Prozent als schweres oder sehr schweres Problem angesehen.

    Erst Ende Mai gab es ein Datenleak, das Menschenrechtsverletzungen in der Provinz Xinjiang belegt. Die sogenannten Xinjiang Police Files zeigen Folterungen und schlechte Haftbedingungen von Uiguren in Internierungslagern. Sie belegen die unmittelbare Verstrickung des Machtzirkels der Kommunistischen Partei bei der Internierung von zahllosen Uiguren (China.Table berichtete). Auch in Deutschland zeigen sich die Menschen besorgt über die Menschenrechtslage. Über 70 Prozent der Befragten sagen, Deutschland solle chinesische Importe bei Verdacht von Zwangsarbeit verbieten, wie eine von China.Table durchgeführte Umfrage zeigt (China.Table berichtete). nib

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    Ifo: Rohstoff-Abhängigkeit von China verringern

    Batterien, Robotik, Erneuerbare Energien: Bei vielen Schlüsseltechnologien ist Deutschland einer Ifo-Studie zufolge von importierten Rohstoffen abhängig – oftmals von einzelnen Lieferländern wie China. “Dringender Handlungsbedarf für krisensichere Lieferketten besteht bei neun kritischen Mineralien“, schlussfolgerte die Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft, Lisandra Flach, aus der am Donnerstag veröffentlichten Untersuchung ihres Wirtschaftsforschungsinstituts. Dies seien

    • Kobalt,
    • Bor,
    • Silizium,
    • Graphit,
    • Magnesium,
    • Lithium,
    • Niob,
    • Seltene Erden und
    • Titan.

    “Hier sind mehr Bezugs­quellen nötig, um die Lieferketten widerstandsfähiger zu machen”, sagte die Expertin. Lieferkettenstörungen sind der Studie zufolge bei den genannten Rohstoffen besonders problematisch. Der Grund: alternative Quellen könnten nur langfristig erschlossen werden. Dies sei eine Lektion der jüngsten Versorgungsnotlagen im Zuge der Corona-Pandemie und Krisen wie dem Ukraine-Krieg.

    Bei sieben der neun besonders kritischen Rohstoffe ist den Angaben zufolge China einer der größten Anbieter am Weltmarkt – teilweise in marktdominierender Position. Dies spreche für eine schnelle Verstärkung bereits bestehender Handelsbeziehungen zu anderen Ländern, darunter Thailand und Vietnam für die Seltenen Erden, aber auch zu Argentinien, Brasilien, den USA und Australien für andere kritische Rohstoffe. Bei der Mehrheit der in der Studie untersuchten 23 kritischen Rohstoffe seien Maßnahmen für widerstandsfähigere Lieferketten nötig, sagte Außenhandelsexpertin Flach.

    Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sieht Potenzial in einer besseren EU-weiten Abstimmung sowohl bei Strategien für eine bessere Rohstoffverteilung innerhalb der EU als auch in der gemeinsamen Handelspolitik nach außen. “Viele EU-Mitglieder verfügen über Potenziale bei kritischen Rohstoffen”, sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. “Hier muss die Erschließung und Verarbeitung von Rohstoffen innerhalb der EU verstärkt ausgebaut werden.” Zusätzlich müsse die EU rasch mit Handels- und Investitionsabkommen den Unternehmen dabei helfen, weltweit neue und nachhaltige Rohstoffquellen zu erschließen. Gerade die Abkommen mit den Mercosur-Ländern in Südamerika, aber auch Indonesien und Indien seien hierfür relevant und sollten rasch abgeschlossen werden. rtr

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    • Rohstoffe
    • Seltene Erden

    Portrait

    Li Cheng – Erfahrungsberichte gegen Diskriminierung

    Thema Umweltpolitik an der New York University in Abu Dhabi.
    Li Cheng schreibt ihre Bachelorarbeit zum Thema Umweltpolitik an der New York University in Abu Dhabi.

    Jeder Mensch ist anders. Keine zwei Personen gleichen sich vollkommen. Und doch stellt unsere Gesellschaft bestimmte Menschen oder Gruppen als “anders” heraus und meint damit: anders als wir. Es ist leicht, Teil der größeren Gruppe zu sein, und es ist schwer, Außenseiter zu sein. Wenn Li Cheng heute über ihre chinesischen Wurzeln spricht, über das Chinesischsein in Deutschland und über die Vorurteile, mit denen sie konfrontiert wird, merkt man ihr diese Last jedoch nicht an. Sie hat ihren Frieden mit dem vermeintlichen “Anderssein” geschlossen.

    Cheng ist in der Nähe von Düsseldorf geboren und aufgewachsen, ihre Eltern kamen in den 1980er-Jahren mit der Hoffnung auf bessere Jobs aus Shanghai nach Deutschland. “Sie haben für sich keine Zukunft gesehen in China”, erzählt die 21-Jährige, die mittlerweile in Abu Dhabi studiert. “Damals verdiente man in Deutschland selbst in einer Fabrik den chinesischen Monatslohn an einem einzigen Tag.”

    Als Cheng eingeschult wurde, lernte sie, die Antworten zu geben, die von ihr erwartet wurden. Wenn jemand fragte, woher sie kam – und diese Frage kam häufig – antwortete sie: “aus China”. Dabei war sie erst mit sechs Jahren erstmals nach China gereist – es war für sie ein fremdes Land. “Oft wollen Menschen nicht wissen, wo ich geboren bin”, sagt Cheng. “Sie fragen so lange, bis sie wissen, dass meine Eltern aus China kommen.” Über das “Ah”, das häufig auf diese Information folgt, kann sie nur lachen. “Ich weiß eigentlich bis heute nicht, was das bedeuten soll.”

    Corona hat die Vorurteile noch verstärkt

    Das “Ah” bedeutet wohl, dass die Fragenden in ihrer Vermutung bestätigt wurden. Wie es sich anfühlt, immer wieder aufgrund von Äußerlichkeiten einsortiert zu werden. Diese Erfahrung teilt Cheng mit der chinesischen Community in Deutschland. “Besonders spürbar wurden die Vorurteile zu Beginn der Coronavirus-Pandemie”, sagt sie. “Die Berichterstattung über das Virus war stark auf China fokussiert, immer wieder wurden Chinesinnen und Chinesen und asiatisch aussende Menschen in meinem Freundeskreis diskriminiert.”

    Cheng lebte zu der Zeit in Berlin und lernte die aktivistische Szene der Stadt kennen – ließ sich schließlich inspirieren, selbst etwas zu tun. Im vergangenen Jahr gründete sie das ZhongDe Magazin, in dem Autorinnen und Autoren mit chinesisch-deutscher Herkunft über das Chinesischsein schreiben. “Ich wollte aktiv etwas dazu beitragen, unsere Lebensrealität sichtbarer zu machen.” Sie verfasste einen Instagram-Post, fragte, ob jemand Lust hat, mitzumachen. “Dann ging alles ganz schnell. Es meldeten sich mehr als zehn Leute, die schreiben oder anders teilhaben wollten.”

    Li Cheng möchte ihre Stimme erheben

    Die erste Ausgabe erschien vier Monate später und nahm sich das Thema Familie vor. “Darüber konnte jeder sofort etwas erzählen.” Sie selbst outet sich in ihrem Artikel als “People Pleaser” und schreibt über die Werte, die ihre Eltern ihr vermittelt haben: “In meiner Kindheit war es völlig normal, dass meine Eltern und Großeltern große Opfer brachten und selbstlos handelten, ohne sich je anmerken zu lassen, was für eine große Last das für sie war.” Cheng lernte früh, sich zurückzunehmen, ging jedem Konflikt aus dem Weg und verbog sich, um jedem zu gefallen. “Dieses kulturelle Denken, dass man großzügig zu anderen und sparsam mit sich selbst ist, das musste ich erst einmal reflektieren, um es aufzubrechen.” 

    Ein “People Pleaser” möchte sie heute nicht mehr sein. Cheng hat sich fest vorgenommen, ihre Stimme zu erheben – sicher auch in den kommenden Ausgaben ihres ZhongDe-Magazins. Svenja Napp

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    Dessert

    Mönche feiern den 87. Geburtstag des Dalai Lama in Kathmandu, Nepal. In China sind Hinweise auf das spirituelle Oberhaupt der Tibeter unterdrückt. Die tibetische Gemeinde in der nepalesischen Hauptstadt darf dagegen ihre Umzüge abhalten, wenn auch unter Bewachung durch Sicherheitskräfte. EU-Botschafterin Nona Deprez hat an den Feierlichkeiten teilgenommen.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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