der russische Vizeaußenminister Andrej Rudenko ist am Sonntag eilig nach Peking geflogen. Sein Kollege Qin Gang wollte ihn sprechen. Rudenkos Aufgabe war es dann, den großen Verbündeten nach dem Wagner-Aufstand zu beruhigen.
Ein instabiles Russland ist eine Schreckensvorstellung für China. Die beiden Länder teilen nicht nur mehr als viertausend Kilometer Grenze, sondern auch politische Werte als Gegenmodell zu den USA. Ob Rudenkos Erklärungen Qin beruhigt haben? Darüber schweigt das Außenministerium. Sicher ist dagegen: Chinas Interesse an einem schnellen Ende der desaströsen Invasion wird immer größer.
Informationsbeschaffung und Geschäftsberichte von Unternehmen zu prüfen – das gehört zur Kernaufgabe von Beratungsfirmen auch in China. Denn nur so lässt sich bewerten, wie sicher es ist, mit einzelnen Unternehmen Geschäfte zu machen. Doch mit der Verschärfung des sogenannten Anti-Spionagegesetzes können chinesische Behörden jegliche Informationsbeschaffung willkürlich unter Strafe stellen. Einen ersten Vorgeschmack gab es im Mai bereits, als chinesische Behörden die Büros von renommierten internationalen Beratungsfirmen wie Bain & Company sowie der New Yorker Mintz Group durchsuchten.
“Jede Form der Informationsbeschaffung seitens der Unternehmen kann nun als Spionage ausgelegt werden”, sagt der Ex-Journalist Peter Humphrey, der in Shanghai eine Beratungsfirma betrieb und bereits selbst schlimme Erfahrungen mit dem chinesischen Strafrecht machen musste, im Gespräch mit Marcel Grzanna. Am 1. Juli tritt die Verschärfung des Antispionagegesetzes in Kraft.
Schaut man allein auf die Handelsbilanz mit China, sieht es für die deutsche Wirtschaft wahrlich nicht rosig aus. Waren im Wert von 88 Milliarden Euro hat China 2022 an Deutschland mehr verkauft als umgekehrt. Doch lässt sich daraus schließen, dass deutsche Waren in China weniger beliebt sind, als chinesische Waren in Deutschland?
Nein, denn tatsächlich produzieren viele deutsche Unternehmen für den chinesischen Markt in China. Gäbe es neben der Handelsbilanz auch eine Bilanz der Produktion vor Ort, würde sie klar zugunsten der deutschen Industrie ausfallen, analysiert China-Korrespondent Frank Sieren.
Das allerdings spricht nicht gerade für den Standort D. Im Wettbewerb rutscht Deutschland immer weiter ab und auch chinesische Investoren bevorzugen längst andere westliche Länder. Es bleibt also viel zu tun.
Einen erfolgreichen Start in die Woche!
Sie haben aufgrund Ihrer Erfahrung kürzlich als Referent mit EU-Parlamentariern in Brüssel gesprochen. Was haben Sie mit ihrem Besuch erreicht?
Ich konnte einen Brief von einem Häftling aus einem chinesischen Gefängnis vorlegen. Der Verfasser hatte das Schreiben in einem von ihm verpackten Produkt versteckt. Es wurde dann in einem Geschäft in Europa gefunden. Darin stand, dass er und andere zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche arbeiten müssen. Es wurden noch mehrere solcher Briefe gefunden. Mein Besuch in Brüssel sollte helfen, die EU-Gesetzgebung zur Sorgfaltspflicht der Unternehmen bei deren Lieferketten und ein Importverbot für Produkte aus Gefängnisarbeit voranzubringen.
In China gilt ab dem 1. Juli die Novelle des Gesetzes zur Spionageabwehr. Was bedeutet das für die Sorgfaltspflicht der Unternehmen bei deren Lieferketten?
Dieses Gesetz macht die Erfüllung der Sorgfaltspflicht praktisch unmöglich. Jede Form der Informationsbeschaffung seitens der Unternehmen kann nun als Spionage ausgelegt werden, wenn sie von den Ermittlern willkürlich als Bedrohung der nationalen Sicherheit definiert wird. Bislang konnten solche Aktivitäten nur als “illegale Beschaffung persönlicher Informationen” geahndet werden. Das gab dann, wie in meinem Fall, ein paar Jahre Gefängnis. Jetzt drohen in vergleichbaren Fällen lebenslange Haft- oder gar Todesstrafen.
Sie selbst waren mit ihrem Unternehmen Chinawhys viele Jahre sehr erfolgreich in der Informationsbeschaffung im Land tätig. Was genau haben Sie dort getan?
Wir haben Gründungsunterlagen und Jahresabschlüsse von Unternehmen geprüft, die in den meisten Ländern öffentlich zugänglich sind. Dazu die Lebensläufe einzelner Aktionäre, die Eigentumsunterlagen von Unternehmen und Einzelpersonen und alles, was sonst noch online verfügbar war. Wir haben diese Daten kombiniert, um zu beurteilen, ob es sicher war, mit einem bestimmten Unternehmen Geschäfte zu machen, oder ob die Risiken zu hoch waren.
Haben Sie auch nicht-öffentlich zugängliche Informationen gesammelt?
Natürlich. Zum Beispiel haben wir Lastwagen gezählt, die durch Eingangstore von Fabriken gefahren sind, um Produktionsmengen berechnen zu können. Oder wir haben diskret mit Menschen gesprochen, die Informationen besaßen. Zweifellos fällt diese Form der Recherche künftig unter die neue Gesetzeslage.
Was wurde ihrer Frau und Ihnen zum Verhängnis?
Einer unserer Kunden ließ zu, dass unser Ermittlungsbericht über eine bestimmte Person in die Hände dieser Person geriet. Sie war sehr einflussreich und aktivierte mächtige Kontakte, um uns verhaften zu lassen. Die Geheimpolizei beschuldigte uns der Spionage, aber wir wehrten uns und wurden schließlich wegen illegaler Beschaffung persönlicher Informationen angeklagt.
Waren sich ihre Kunden von einst der damals schon existierenden Risiken bewusst?
Einige waren vorsichtig und fragten uns, wie wir Informationen sammeln würden. Sie forderten uns auf, nichts Illegales zu tun. Andere versuchten, uns dazu zu drängen, die Grenzen des Erlaubten zu überschreiten. Aber wir haben immer mit legalen Mitteln gearbeitet. Trotzdem wurden wir verhaftet.
Welche Möglichkeiten bleiben der Branche, um künftig in China zu operieren? Nutzen VPN-Tunnel etwas, um Spuren der eigenen Recherchen zu verwischen?
Ich würde davon abraten, solche technischen Tricks zu nutzen. VPN sind in China illegal. Das würde alles noch schlimmer machen.
Was dann?
Der einzig sichere Weg ist es, Untersuchungen von außerhalb des Landes zu betreiben. Und ich warne davor, Hongkong als Standort zu wählen. Dort ist die Informationsbeschaffung inzwischen auch nicht mehr sicher.
Und was tun die Kunden dieser Dienstleister? Die werden ja mit den beschafften Informationen versorgt.
Wenn man das zu Ende denkt, bedeutet das für sie, dass sie ihre Untersuchungsberichte, zum Beispiel über potenzielle Geschäftspartner, nicht in China speichern sollten. Um auf Nummer sicher zu gehen, müssten die Untersuchungsergebnisse ausschließlich außerhalb Chinas übermittelt und nur außerhalb Chinas und in den Köpfen der Manager gespeichert werden. Das reduzierte Maß an Informationen, das jetzt sicher zur Verfügung steht, wird dazu führen, dass ausländische Unternehmen in Zukunft im Blindflug ihre Geschäfte tätigen werden.
Wie sollen sich die ausländischen Unternehmen unter diesen Umständen gemäß der EU-Gesetzgebung verhalten?
Es ist ein Dilemma. Die Firmen werden einige Projekte aufgeben müssen, um die Regularien der EU-Sorgfaltspflicht nicht zu verletzen. Aber chinesische Unternehmen werden darunter leiden, wenn Geschäftsprojekte gestrichen werden. China könnte dann erkennen, dass dies nicht im Interesse des Landes ist, wenn die einheimischen Unternehmen auch weniger Geld verdienen. Auch der Zugang zu westlichen Technologien wird sich dadurch verringern. Das könnte Druck auf Peking ausüben, im eigenen Interesse eine kommerzielle Sorgfaltspflicht-Prüfung zuzulassen. Aber unter Xi werden sich die Dinge wahrscheinlich nicht auf diese Weise verbessern.
Peter Humphrey ist ehemaliger Reuters-Korrespondent und war 15 Jahre lang als Betrugsermittler in China für westliche Firmen tätig. Derzeit ist er externer Forschungspartner des Fairbank Center for Chinese Studies der Harvard University und Mentor für Familien von Ausländern, die in China zu Unrecht inhaftiert wurden.
Deutschlands wirtschaftliche Abhängigkeit von China ist das ganz große Thema im Zusammenhang mit der entstehenden China-Strategie. Manche Zahlen zur Bewertung der Abhängigkeit sind jedoch schwierig zu bekommen, obwohl sie eigentlich essenziell sind für die Bewertung der deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen.
Ein Beispiel dafür sind die Umsätze deutscher Firmen in China. Sie sind mindestens so wichtig wie die Handelszahlen, dennoch werden sie interessanterweise kaum publiziert und diskutiert. Und das, obwohl sie der Handelsbilanz erst ihren Sinn geben.
Die Handelsbilanz selbst war wie die vergangenen Jahre schon – auch 2022 – negativ und hat mit 88 Milliarden Euro sogar einen Allzeitnegativrekord erreicht. Das bedeutet, die Chinesen haben deutlich mehr nach Deutschland verkauft als die Deutschen nach China. Das liegt nicht hauptsächlich daran, dass deutsche Produkte in China nicht mehr attraktiv wären, sondern vor allem daran, dass die Deutschen sehr viele Produkte in China für den chinesischen Markt herstellen. Zum einen, weil sie von der Politik gezwungen wurden, und zum anderen, weil es günstiger ist, in China zu produzieren. Sie tauchen in der Handelsstatistik höchstens in Form des ein oder anderen Zulieferproduktes auf.
Eine Studie des Mannheimer Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) aus dem Jahr 2020 hat die Umsätze der deutschen Wirtschaft in China bis 2017 erfasst. Demnach haben deutsche Unternehmen 2017 fast gut 330 Milliarden Euro Umsatz in China gemacht. Die Wachstumskurve weist steil nach oben. Im Jahr 2000 waren es nur gut 25 Milliarden.
Gäbe es neben der Handelsbilanz auch eine Bilanz der Produktion vor Ort, dann würde diese klar zugunsten Deutschlands ausfallen.
Der Umsatz von 330 Milliarden Euro durch Produktion vor Ort war 2017 bereits höher als der Handelsumsatz zwischen China und Deutschland 2022, der erstmals die Marke von 300 Milliarden Euro überschritten hat.
Als Faustregel lässt sich also feststellen, dass die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China rund doppelt so hoch ist wie die Handelszahlen auf den ersten Blick vermuten lassen. Oft werden die Gewinne aus diesen China-Umsätzen gleich wieder in China reinvestiert. Sie fließen also nicht nach Deutschland, tauchen aber in den Bilanzen der Firmen auf.
Wenn Politik und Unternehmen fieberhaft nach Alternativen zum chinesischen Markt suchen, sollte es nicht nur darum gehen, das Handelsgeschäft zu kompensieren. Die Zahlen belegen zudem nicht die weit verbreitete These, dass China seinen Markt schließt, während der deutsche Markt seine Tore weit offenlässt.
Und Deutschland wird nicht attraktiver. “Deutschland ist der große Verlierer im Standortwettbewerb”, stellt das ZEW in einer anderen Studie Anfang 2023 fest. Deutschlands Standortfaktoren für Familienunternehmen könnten mit denen an westlichen Spitzenstandorten in Nordamerika, Westeuropa und Skandinavien nicht mithalten.
Im vergangenen Jahr ist Deutschland sogar um vier Plätze abgerutscht. Nun liegt es auf Platz 18 von 21 untersuchten Industriestaaten, einschließlich Japan als einziges Land in Asien. Nur noch Ungarn, Spanien und Italien sind schlechter als Deutschland. Die Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten Jahren chinesische Unternehmen mehr in Deutschland investieren als in der Vergangenheit, ist damit niedrig.
Damit bleibt Deutschland abhängiger von China als China von Deutschland. Denn Handelsströme lassen sich leichter umlenken. Die deutschen Fabriken in China lassen sich hingegen nicht leicht umsiedeln. China diversifiziert derweil bereits eifrig. Der Handel Chinas mit den Asean-Staaten in Südostasien ist im vergangenen Jahr doppelt so stark gewachsen wie der Handel mit Deutschland.
Außenminister Qin Gang hat am Sonntag den russischen Vizeaußenminister Andrej Rudenko in Peking getroffen. Die Führung will sich offenbar ein Bild von der Lage im Nachbarland machen nach der Rebellion des Söldnerführers Jewgeni Prigoschin. Qin habe um das Treffen geben, “um sich mit Rudenko über die chinesisch-russischen Beziehungen sowie internationale und regionale Fragen von gemeinsamem Interesse auszutauschen”, teilte die chinesische Führung mit.
Die chinesische Mitteilung erwähnte den Aufstand mit keinem Wort und gab auch keine Bewertung des Besuchs ab. Anders Russland, das Chinas Solidarität für sich in Anspruch nimmt: “Die chinesische Seite hat ihre Unterstützung für die Führung der Russischen Föderation bei der Stabilisierung der Lage im Land nach den Ereignissen des 24. Juni ausgedrückt”, teilte die Regierung in Moskau laut Reuters mit. China habe sein Interesse bestätigt, den Zusammenhalt und den Wohlstand Russlands zu erhalten.
Rudenko flog am Sonntag eigens von Moskau nach Peking – offenbar, um den Verbündeten zu beruhigen. Für Staatschef Xi Jinping ist ein stabiles Russland wichtiger Teil seiner außenpolitischen Strategie. Deshalb hält er dem Nachbarn die Stange, obwohl die Invasion sich schon vor dem Aufstand zu einem Desaster entwickelt hat.
Der Aufstand der Wagner-Söldner wirkt nun aus Pekinger Sicht in mehrfacher Hinsicht alarmierend:
Xi hat also großes Interesse daran, dass Putin die Lage nach der Ausreise Prigoschins wieder unter Kontrolle bringt. Ebenso groß dürfte das Interesse daran sein, dass Russland den langwierigen Krieg schnell und gesichtswahrend beendet, um seine weitere Schwächung zu verhindern. fin
Nach EU-Angaben haben die Mitgliedsstaaten im vergangenen Jahr dreieinhalb mehr Mittel in Batterietechnik gesteckt als China. “Unsere erste Einschätzung war, dass wir bis zum Ende des Jahrzehnts in der Lage sein sollten, 80 bis 90 Prozent des Batteriebedarfs der europäischen Automobilindustrie zu decken, und das ist immer noch unser Ziel”, sagte Maroš Šefčovič, Vizepräsident der EU-Kommission, gegenüber der “Welt am Sonntag”.
Die neue Fabrik für Kathodenmaterial von BASF in Brandenburg schließe eine entscheidende Lücke in der europäischen Wertschöpfungskette. Derzeit seien etwa 30 große Elektroautofabriken in der EU geplant, sagte Šefčovič. Allerdings habe es bislang an der Produktion von aktivem Kathoden- und Anodenmaterial gefehlt. Er betrachtet es als Chance, dass sich BASF in der Lausitz genau auf diesen Engpass konzentriert. fin
Die staatliche Absicherung von Investitionen deutscher Firmen in China ist deutlich gesunken. “Ohne die Änderung der Deckungspraxis der aktuellen Bundesregierung läge die Höchsthaftung des Bundes für Investitionen in China um etwa fünf Milliarden Euro höher”, hieß es am Freitag in Regierungskreisen in Berlin. Seit dem Amtsantritt von Wirtschaftsminister Robert Habeck seien vier Anträge von Firmen auf Absicherung im Wert von rund 101 Millionen Euro abgelehnt worden. Bei vier weiteren Verträgen im Wert von 544 Millionen Euro sei die Verlängerung verweigert worden.
Neuanträge im Wert von rund vier Milliarden Euro wurden sofort ausgeschlossen, weil sie über der im November 2022 eingeführten Deckelungsgrenze von drei Milliarden Euro pro Unternehmen und Zielstaat lagen, hieß es. Vier weitere Anträge im Wert von 282 Millionen Euro für Projekte in der Provinz Xinjiang seien zurückgestellt worden.
Die Bundesregierung hatte mehrfach betont, dass sie keine Abkoppelung der Firmen von China wolle, aber einen Risikoabbau. Deshalb wurden beispielsweise Gebühren für die staatliche Absicherung von Investitionen in Ländern mit einem “Klumpenrisiko” von 0,5 auf 0,55 Prozent des Investitionsvolumens erhöht.
Die Investitionsgarantien gehen aber schon seit Jahren zurück. Waren es 2012 noch 33 Genehmigungen, so sank die Zahl zum Regierungswechsel 2017 auf 15 und zum Amtsantritt der Ampel-Regierung 2021 auf zwölf. 2023 wurden bisher fünf Anträge genehmigt. rtr
Dreizehnmal in zwei Monaten – so oft ist der Menschenrechtsaktivist Wang Quanzhang zum Umzug gezwungen worden. Er wohne jetzt in einer geborgten Wohnung in einem Pekinger Vorort, in der häufig der Strom abgestellt werde, berichtet er gegenüber AP. Wie die Nachrichtenagentur weiter schreibt, habe ein anderer Anwalt Peking aufgrund der Schikanen verlassen. Ein dritter Anwalt sagte, er sei mehrfach von davor herumlungerten Männern daran gehindert worden, sie zu verlassen. Ein vierter Anwalt und seine Frau seien festgenommen worden sein.
Alle vier sind Mitglieder einer als 709 Anwälte bekannten Gruppe – der Name bezieht sich auf die englische Schreibweise eines Datums, dem 9. Juli 2015. Damals gingen die chinesischen Behörden gegen unabhängige Rechtsberatungen vor und nahmen Hunderte fest. Auch den nun vier betroffenen Anwälten wurden die Zulassungen entzogen. Sie können seitdem nur noch beratend tätig sein. flee
Im Norden Chinas hat das Thermometer schon den dritten Tag in Folge die 40-Grad-Marke überschritten. Deswegen wurde in der Hauptstadt Peking sowie in Teilen der nahe gelegenen Provinzen Hebei, Henan, Shandong, in der Inneren Mongolei und in Tianjin die höchste Hitzewarnstufe ausgerufen.
Am Samstag meldeten staatliche Medien Bodentemperaturen von über 70 Grad in Teilen der Provinz Shandong, die nach Guangdong die bevölkerungsreichste Provinz Chinas und ein wichtiges Gebiet für den Getreideanbau ist. “Die Hitzewelle des vergangenen Jahres lässt die Risiken für Chinas Lebensmittelversorgung und die möglichen Auswirkungen auf die Preise erahnen”, hieß es in einer Einschätzung des Analyseinstituts Capital Economics.
Meteorologen erwarten, dass die Hitzewelle in Nordchina bis Montag abklingt, bevor sie sich im Laufe der Woche wieder verstärken könnte. rtr
Wohlmeinende China-Brückenbauer als Opfer einer Journaille, “die glaubt, fehlendes Wissen und mangelnden Sachverstand durch richtige Haltung kompensieren zu können”. Das ist die Geschichte, die uns Michael Schumann, Vorsitzender der China-Brücke und Vorstandschef des Bundesverbands für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA), auftischt. “Fürsprecher der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit werden diffamiert und ihre Reputation beschädigt”, so Schumann, ganz wie in Heinrich Bölls “Die verlorene Ehre der Katharina Blum”.
Der Rundumschlag gegen die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten zu China entbehrt jeder empirischen Grundlage. Wir können uns glücklich schätzen, einige exzellente und wohlinformierte Journalisten zu haben, die über und/oder in China arbeiten. Dass viele von ihnen Schumanns undifferenzierte Begeisterung für China mitnichten teilen, hängt mit dem real existierenden chinesischen Parteistaat unter Xi zusammen und beruht auf Kenntnis, Sachverstand und eigener Erfahrung.
Natürlich gibt es in einzelnen Fällen schwach recherchierte und argumentierte pekingkritische Geschichten und ärgerliche Stereotype bis hin zu Stigmatisierung mit rassistischen Anklängen. Und natürlich schreiben heute aufgrund der großen Nachfrage auch einige Journalistinnen und Journalisten über China-Themen, die keine lange Erfahrung mit der Thematik haben. Und natürlich finden zu wenig Geschichten über die Diversität der chinesischen Gesellschaft den Weg auf die Titelseiten.
Schumann aber rückt die Thematisierung von Einflussnahme und Unterwanderung durch den chinesischen Parteistaat in die Nähe zum “Deep-State”-Geraune des Querdenkertums. Das ist eine nicht haltbare Charakterisierung der empirischen Forschung zur Einheitsfront und politischen Liaison-Arbeit. Diese dokumentiert diese Versuche nüchtern als Instrument des Machtanspruchs des chinesischen Parteistaats.
Neben dem von Schumann herausgegriffenen Buch “Die lautlose Eroberung” gibt es zahlreiche umfangreiche Studien oder Beiträge zu diesem Thema. Auch das Buch “Spies and Lies” von Alex Joske befasst sich mit der Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit, nicht zuletzt im Bereich von “elite capture”, der Gewinnung und Einbindung von westlichen Funktionseliten für Pekings Zwecke.
Jedem, der sich ernsthaft mit diesen Werken beschäftigt, wird klar, dass diese alles andere als verschwörungstheoretisch sind. Sie leisten im besten Sinne des Wortes Aufklärungsarbeit und machen Vorschläge, wie man den Einflussnahmeversuchen des Parteistaats besser begegnen kann.
Natürlich ist nicht jeder, der sich mit Einflussagenten trifft oder an Einflussnahmeveranstaltungen teilnimmt, gleich Erfüllungsgehilfe des Parteistaats. Doch man muss sich kritische Nachfragen gefallen lassen. Es kommt auf die Art und Weise an. Schumann hofierte den Chef des Center for China and Globalization (CCG) höchst unkritisch. Doch der Vizepräsident des Center, Victor Gao, etwa verbreitet Pläne für eine ethnische Säuberung Taiwans, wenn Peking die Kontrolle über die Insel erlangt hat. Einer solchen Organisation rollt man nicht den roten Teppich aus, wenn man nicht zum Legitimierungsgehilfen solcher Politiken werden will.
Schumann schreibt mit Blick auf die Gründung der China-Brücke, deren Vorsitzender er jetzt ist: “Der Gedanke, dass es einen Kreis von Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik geben könne, die aus eigener Überzeugung heraus – ganz ohne Inzentivierung seitens staatlicher chinesischer Stellen – mehr Gesprächskanäle nach und einen konstruktiveren Umgang mit China befürworten könnten, sprengte schon damals die Vorstellungskraft vieler Medienvertreter”.
Diese Vorstellungskraft lohnt es sich zu testen. Es gibt drei Hauptmotive für Funktionseliten, die den Interessen autoritärer Systeme dienen: Ego, Geld und Überzeugung. Ist es denkbar, dass Überzeugung aus gutem Herzen das bei weitem dominante Motiv ist bei einzelnen? Sicherlich. Beispiel: Matthias Platzeck. Der ehemalige SPD-Chef und Ministerpräsident Brandenburgs verschrieb sich dem deutsch-russischem Brückenbauen aus tiefer Überzeugung. Er wurde dabei zu einer Pro-Kreml-Stimme etwa in seiner Funktion als Vorstand des Deutsch-Russischen Forums. Doch plausible Kandidaten für einen solchen Typus “Überzeugte Brückenbauer rein aus gutem Herzen” gibt es sonst wenige.
Fallen Schumann und seine Mitstreiter in der China-Brücke und dem BWA unter diese Kategorie? Könnte ja sein, dass auch Schumann aus reiner Überzeugung Begeisterung für Xis Konzept einer “Community of Common Destiny for Mankind” verbreitet oder Abhängigkeiten zwischen Deutschland und China mit Abhängigkeiten in der Familie oder einem Fußballteam vergleicht. Aber wahrscheinlich hilft es, dass all dies auch seinen Interessen als Berater für das Chinageschäft dient. Er ist Brückenbauer im Dienste des eigenen Geschäfts.
Der Gründungsvorsitzende der China-Brücke, Hans-Peter Friedrich, schätzte sicher die Aufmerksamkeit, die Peking dem Ex-Minister beim Schwanengesang seiner Karriere entgegenbrachte. Wohl so sehr, dass er treuherzig zu Protokoll gab, dass China keine Diktatur und die China-Brücke das Gleiche wie die Atlantik-Brücke sei, ungeachtet dessen, dass auf der anderen Seite der China-Brücke ein totalitärer Parteistaat steht und dass dies (bei allen Schwächen der US-Demokratie) einen fundamentalen Unterschied darstellt.
Für den chinesischen Parteistaat ist eine solche Blindheit für die Realitäten des Dialogs und Austauschs mit China ein Glücksfall. Der Parteistaat privilegiert im Austausch mit dem Ausland auf chinesischer Seite bewusst eine kleine Zahl von “vertrauenswürdigen” Spielern wie das CCG als handselektierte “Zivilgesellschaft”, wohingegen regimeskeptische Stimmen komplett ausgeschlossen und nicht selten drangsalisiert werden.
Auch will der Parteistaat nach Möglichkeit selbst entscheiden, wer am Dialog auf der deutschen Seite teilnimmt beziehungsweise wer ihn organisiert. Das chinesische NGO-Gesetz kodifiziert diesen Kontrollanspruch. Missliebigen Dialogpartnern werden Visa vorenthalten, oder sie werden gleich mit Sanktionen belegt. So sanktionierte Peking im Frühjahr 2021 unter anderem das Mercator Institute für China-Studien (Merics).
Organisationen wie die China-Brücke und der BWA sind ein Geschenk für den Parteistaat, weil sie bereitwillig nach Pekings Regeln spielen. Dass Pro-Peking-“Brückenbauer” von Journalistinnen kritisch beleuchtet werden, sollte in einer offenen Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein. Mehr Transparenzverpflichtungen könnten und sollten diese Arbeit leichter machen. Wir brauchen mehr investigativen Journalismus zur magischen Verbindung aus Überzeugung, Ego und Geschäft bei deutschen Pro-Peking-Funktionseliten.
Anna Radjuk hat bei Mercedes China den Bereich EVP Industrialization HV Battery übernommen. Zuvor war Radjuk für Daimler im Procurement & Supplier Chain Management tätig.
Mike Groothoff ist seit Juni Senior Manager & Head of MB Sales Planning & Reporting bei Mercedes in China. Für seinen neuen Posten wechselt er von Stuttgart nach Peking.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Ihnen kommen beim Stichwort “rollen” in Verbindung mit China in erster Linie hauchdünne Teigfladen, knusprige Pekingente mit Zwiebel- und Gurkenstreifen in den Sinn, die mit würziger Soße zu schmackhaften Wrap-Röllchen zusammengerollt werden? Bei Mandarin-Muttersprachlern spult sich beim Thema “rollen” (卷 juǎn) seit geraumer Zeit ein ganz anderes Kopfkino ab. In China rollt man nämlich nicht selbst, sondern man wird gerollt – und zwar im harten Konkurrenzkampf im bevölkerungsreichen Riesenreich, in dem begehrte Ressourcen knapp sind, zum Beispiel Plätze an angesehenen Universitäten.
Ursprünglich rückte in diesem Kontext vor einigen Jahren bereits der Neologismus 内卷 nèijuǎn ins chinesische Alltagsvokabular auf. Es handelt sich dabei um die Entlehnung eines Fachbegriffs aus den Sozialwissenschaften zur Beschreibung von Gesellschaften mit begrenzten Ressourcen, in denen ein starker innerer Wettbewerb herrscht. Chinas urbane Bevölkerung griff den Begriff auf und fand damit ein Label für den aktuellen Zeitgeist – das Gefühl, dass sich die Jungen immer mehr abstrampeln müssen, nur um eine geringere Lebensqualität zu erreichen als Vorgängergenerationen, sei es in Bezug auf Bildung, Wohnen oder Heirat.
Das Wort 内卷 nèijuǎn beschreibt also eine Art des um sich selbst kreisenden Wettbewerbs, eine Rolle inwärts gewissermaßen, ganz wie der Begriff nahelegt, der wörtlich “sich nach innen rollen” bedeutet (内 nèi “innen” + 卷 juǎn “rollen / einrollen / aufrollen”). Das Ende vom Lied ist, dass alle mehr leisten müssen für das gleiche Ergebnis. Wie bei einer Bühnenvorstellung, bei der anfangs wenige Zuschauer aufstehen, um einen noch besseren Blick auf die Bühne zu erhaschen, was am Ende dazu führt, dass alle Anwesenden sich von ihren Plätzen erheben müssen, um den gleichen Blick auf das Spektakel zu haben wie zuvor im Sitzen. Mittlerweile hat sich das etwas sperrige 内卷 nèijuǎn zur griffigeren Alltagskurzversion 卷 juǎn abgeschliffen (wie zum Beispiel auch in 卷袖子 juǎn xiùzi “die Ärmel hochrollen / hochkrempeln” oder 卷裤腿 juǎn kùtuǐ “die Hosenbeine hochrollen / hochkrempeln”).
Das Trendwort ist in aller Munde und kann einerseits als Verb gebraucht werden. Beispiel: 被新同事卷 bèi xīn tóngshì juǎn “vom neuen Kollegen / der neuen Kollegin aufgerollt / aufgekrempelt werden” (sprich: in einen Konkurrenzkampf gezogen werden). Andererseits kann es auch in die Rolle eines Adjektivs schlüpfen: 新来的同事太卷了 xīn lái de tóngshì tài juǎn le “der neue Kollege / die neue Kollegin ist total rollig” (will heißen: total auf Konkurrenz gebürstet). In China geraten vor allem städtische Eltern in den rollenden Krempel-Strudel, und zwar im Kampf um bestmögliche Zukunftsperspektiven für den Nachwuchs.
Denn das chinesische Familiengetriebe dreht sich bekanntlich viele Jahre um das erfolgreiche Bestehen der berüchtigten Hochschulaufnahmeprüfung Gaokao (高考 gāokǎo). Und in diesem Zusammenhang gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Roll-Triggerwörtern, die dafür sorgen, dass sich bei konkurrenzgeplagten Mamas und Papas die Fußnägel hochrollen:
Ziel des ganzen Zirkus’ ist übrigens, sich eines Tages aus dem Neijuan-Strudel freizuschwimmen und “an Land zu gehen” (上岸 shàng’àn). Diese weitere Trendvokabel ist das chinesische Pendant zum deutschen “seine Schäfchen ins Trockene bringen” beziehungsweise die Dinge “in trockene Tücher bringen”. Haben es die Küken also erfolgreich in den Stall der Traumuniversität geschafft, können sich auch die Eltern an der Seitenlinie endlich eine Verschnaufpause gönnen. (Zumindest bis sie anfangen, sich über die Karriere und Partnerwahl der flügge Gewordenen Gedanken zu machen und danach den gleichen Zyklus mit den Enkelkindern von vorne zu beginnen…).
Doch mittlerweile haben viele Chinesen genug von der Rangelei um die besten Rangplätze. In Teilen der Gesellschaft hat bereits ein Umdenken eingesetzt. Als Gegenbewegung ist bekanntlich das oft zitierte “Flachliegen” (躺平 tǎngpíng) entstanden, eine Art Verweigerungshaltung, über die auch in deutschsprachigen Medien schon viel berichtet wurde. Ausklingen statt ständiges Aufrollen der Konkurrenz heißt hier die Devise: Lieber in die Bettdecke einrollen, als weiterhin die Rolle des gestressten Erfolgskindes auszufüllen.
Allerdings muss man sich das Liegeleben eines “Tangpingers” auch erst einmal leisten können, was die junge Generation in ein Dilemma bringt. 卷又卷不动,躺又躺不平 (juǎn yòu juǎn bú dòng, tǎng yòu tǎng bù píng) klagen sie im Netz: “keinen Antrieb mehr zum Konkurrieren und nicht in der Lage flachzuliegen”. Die Lösung suchen viele in einer Lebenshaltung im 45-Grad-Winkel, genannt tatsächlich 45度人生 (sìshíwǔ dù rénshēng).
Es ist ein Kompromiss zwischen der vertikalen Strammstehvariante des nèijuǎn-Wettrüstens (im 90-Gradwinkel) und der tǎngpíng-Verweigerungshaltung in der Horizontalen (0 Grad). Aber vielleicht kennt die Work-Life-Balance in Zukunft ja auch noch andere Stellwinkel? Die Suche danach läuft im Reich der Mitte jedenfalls auf Hochtouren.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.
der russische Vizeaußenminister Andrej Rudenko ist am Sonntag eilig nach Peking geflogen. Sein Kollege Qin Gang wollte ihn sprechen. Rudenkos Aufgabe war es dann, den großen Verbündeten nach dem Wagner-Aufstand zu beruhigen.
Ein instabiles Russland ist eine Schreckensvorstellung für China. Die beiden Länder teilen nicht nur mehr als viertausend Kilometer Grenze, sondern auch politische Werte als Gegenmodell zu den USA. Ob Rudenkos Erklärungen Qin beruhigt haben? Darüber schweigt das Außenministerium. Sicher ist dagegen: Chinas Interesse an einem schnellen Ende der desaströsen Invasion wird immer größer.
Informationsbeschaffung und Geschäftsberichte von Unternehmen zu prüfen – das gehört zur Kernaufgabe von Beratungsfirmen auch in China. Denn nur so lässt sich bewerten, wie sicher es ist, mit einzelnen Unternehmen Geschäfte zu machen. Doch mit der Verschärfung des sogenannten Anti-Spionagegesetzes können chinesische Behörden jegliche Informationsbeschaffung willkürlich unter Strafe stellen. Einen ersten Vorgeschmack gab es im Mai bereits, als chinesische Behörden die Büros von renommierten internationalen Beratungsfirmen wie Bain & Company sowie der New Yorker Mintz Group durchsuchten.
“Jede Form der Informationsbeschaffung seitens der Unternehmen kann nun als Spionage ausgelegt werden”, sagt der Ex-Journalist Peter Humphrey, der in Shanghai eine Beratungsfirma betrieb und bereits selbst schlimme Erfahrungen mit dem chinesischen Strafrecht machen musste, im Gespräch mit Marcel Grzanna. Am 1. Juli tritt die Verschärfung des Antispionagegesetzes in Kraft.
Schaut man allein auf die Handelsbilanz mit China, sieht es für die deutsche Wirtschaft wahrlich nicht rosig aus. Waren im Wert von 88 Milliarden Euro hat China 2022 an Deutschland mehr verkauft als umgekehrt. Doch lässt sich daraus schließen, dass deutsche Waren in China weniger beliebt sind, als chinesische Waren in Deutschland?
Nein, denn tatsächlich produzieren viele deutsche Unternehmen für den chinesischen Markt in China. Gäbe es neben der Handelsbilanz auch eine Bilanz der Produktion vor Ort, würde sie klar zugunsten der deutschen Industrie ausfallen, analysiert China-Korrespondent Frank Sieren.
Das allerdings spricht nicht gerade für den Standort D. Im Wettbewerb rutscht Deutschland immer weiter ab und auch chinesische Investoren bevorzugen längst andere westliche Länder. Es bleibt also viel zu tun.
Einen erfolgreichen Start in die Woche!
Sie haben aufgrund Ihrer Erfahrung kürzlich als Referent mit EU-Parlamentariern in Brüssel gesprochen. Was haben Sie mit ihrem Besuch erreicht?
Ich konnte einen Brief von einem Häftling aus einem chinesischen Gefängnis vorlegen. Der Verfasser hatte das Schreiben in einem von ihm verpackten Produkt versteckt. Es wurde dann in einem Geschäft in Europa gefunden. Darin stand, dass er und andere zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche arbeiten müssen. Es wurden noch mehrere solcher Briefe gefunden. Mein Besuch in Brüssel sollte helfen, die EU-Gesetzgebung zur Sorgfaltspflicht der Unternehmen bei deren Lieferketten und ein Importverbot für Produkte aus Gefängnisarbeit voranzubringen.
In China gilt ab dem 1. Juli die Novelle des Gesetzes zur Spionageabwehr. Was bedeutet das für die Sorgfaltspflicht der Unternehmen bei deren Lieferketten?
Dieses Gesetz macht die Erfüllung der Sorgfaltspflicht praktisch unmöglich. Jede Form der Informationsbeschaffung seitens der Unternehmen kann nun als Spionage ausgelegt werden, wenn sie von den Ermittlern willkürlich als Bedrohung der nationalen Sicherheit definiert wird. Bislang konnten solche Aktivitäten nur als “illegale Beschaffung persönlicher Informationen” geahndet werden. Das gab dann, wie in meinem Fall, ein paar Jahre Gefängnis. Jetzt drohen in vergleichbaren Fällen lebenslange Haft- oder gar Todesstrafen.
Sie selbst waren mit ihrem Unternehmen Chinawhys viele Jahre sehr erfolgreich in der Informationsbeschaffung im Land tätig. Was genau haben Sie dort getan?
Wir haben Gründungsunterlagen und Jahresabschlüsse von Unternehmen geprüft, die in den meisten Ländern öffentlich zugänglich sind. Dazu die Lebensläufe einzelner Aktionäre, die Eigentumsunterlagen von Unternehmen und Einzelpersonen und alles, was sonst noch online verfügbar war. Wir haben diese Daten kombiniert, um zu beurteilen, ob es sicher war, mit einem bestimmten Unternehmen Geschäfte zu machen, oder ob die Risiken zu hoch waren.
Haben Sie auch nicht-öffentlich zugängliche Informationen gesammelt?
Natürlich. Zum Beispiel haben wir Lastwagen gezählt, die durch Eingangstore von Fabriken gefahren sind, um Produktionsmengen berechnen zu können. Oder wir haben diskret mit Menschen gesprochen, die Informationen besaßen. Zweifellos fällt diese Form der Recherche künftig unter die neue Gesetzeslage.
Was wurde ihrer Frau und Ihnen zum Verhängnis?
Einer unserer Kunden ließ zu, dass unser Ermittlungsbericht über eine bestimmte Person in die Hände dieser Person geriet. Sie war sehr einflussreich und aktivierte mächtige Kontakte, um uns verhaften zu lassen. Die Geheimpolizei beschuldigte uns der Spionage, aber wir wehrten uns und wurden schließlich wegen illegaler Beschaffung persönlicher Informationen angeklagt.
Waren sich ihre Kunden von einst der damals schon existierenden Risiken bewusst?
Einige waren vorsichtig und fragten uns, wie wir Informationen sammeln würden. Sie forderten uns auf, nichts Illegales zu tun. Andere versuchten, uns dazu zu drängen, die Grenzen des Erlaubten zu überschreiten. Aber wir haben immer mit legalen Mitteln gearbeitet. Trotzdem wurden wir verhaftet.
Welche Möglichkeiten bleiben der Branche, um künftig in China zu operieren? Nutzen VPN-Tunnel etwas, um Spuren der eigenen Recherchen zu verwischen?
Ich würde davon abraten, solche technischen Tricks zu nutzen. VPN sind in China illegal. Das würde alles noch schlimmer machen.
Was dann?
Der einzig sichere Weg ist es, Untersuchungen von außerhalb des Landes zu betreiben. Und ich warne davor, Hongkong als Standort zu wählen. Dort ist die Informationsbeschaffung inzwischen auch nicht mehr sicher.
Und was tun die Kunden dieser Dienstleister? Die werden ja mit den beschafften Informationen versorgt.
Wenn man das zu Ende denkt, bedeutet das für sie, dass sie ihre Untersuchungsberichte, zum Beispiel über potenzielle Geschäftspartner, nicht in China speichern sollten. Um auf Nummer sicher zu gehen, müssten die Untersuchungsergebnisse ausschließlich außerhalb Chinas übermittelt und nur außerhalb Chinas und in den Köpfen der Manager gespeichert werden. Das reduzierte Maß an Informationen, das jetzt sicher zur Verfügung steht, wird dazu führen, dass ausländische Unternehmen in Zukunft im Blindflug ihre Geschäfte tätigen werden.
Wie sollen sich die ausländischen Unternehmen unter diesen Umständen gemäß der EU-Gesetzgebung verhalten?
Es ist ein Dilemma. Die Firmen werden einige Projekte aufgeben müssen, um die Regularien der EU-Sorgfaltspflicht nicht zu verletzen. Aber chinesische Unternehmen werden darunter leiden, wenn Geschäftsprojekte gestrichen werden. China könnte dann erkennen, dass dies nicht im Interesse des Landes ist, wenn die einheimischen Unternehmen auch weniger Geld verdienen. Auch der Zugang zu westlichen Technologien wird sich dadurch verringern. Das könnte Druck auf Peking ausüben, im eigenen Interesse eine kommerzielle Sorgfaltspflicht-Prüfung zuzulassen. Aber unter Xi werden sich die Dinge wahrscheinlich nicht auf diese Weise verbessern.
Peter Humphrey ist ehemaliger Reuters-Korrespondent und war 15 Jahre lang als Betrugsermittler in China für westliche Firmen tätig. Derzeit ist er externer Forschungspartner des Fairbank Center for Chinese Studies der Harvard University und Mentor für Familien von Ausländern, die in China zu Unrecht inhaftiert wurden.
Deutschlands wirtschaftliche Abhängigkeit von China ist das ganz große Thema im Zusammenhang mit der entstehenden China-Strategie. Manche Zahlen zur Bewertung der Abhängigkeit sind jedoch schwierig zu bekommen, obwohl sie eigentlich essenziell sind für die Bewertung der deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen.
Ein Beispiel dafür sind die Umsätze deutscher Firmen in China. Sie sind mindestens so wichtig wie die Handelszahlen, dennoch werden sie interessanterweise kaum publiziert und diskutiert. Und das, obwohl sie der Handelsbilanz erst ihren Sinn geben.
Die Handelsbilanz selbst war wie die vergangenen Jahre schon – auch 2022 – negativ und hat mit 88 Milliarden Euro sogar einen Allzeitnegativrekord erreicht. Das bedeutet, die Chinesen haben deutlich mehr nach Deutschland verkauft als die Deutschen nach China. Das liegt nicht hauptsächlich daran, dass deutsche Produkte in China nicht mehr attraktiv wären, sondern vor allem daran, dass die Deutschen sehr viele Produkte in China für den chinesischen Markt herstellen. Zum einen, weil sie von der Politik gezwungen wurden, und zum anderen, weil es günstiger ist, in China zu produzieren. Sie tauchen in der Handelsstatistik höchstens in Form des ein oder anderen Zulieferproduktes auf.
Eine Studie des Mannheimer Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) aus dem Jahr 2020 hat die Umsätze der deutschen Wirtschaft in China bis 2017 erfasst. Demnach haben deutsche Unternehmen 2017 fast gut 330 Milliarden Euro Umsatz in China gemacht. Die Wachstumskurve weist steil nach oben. Im Jahr 2000 waren es nur gut 25 Milliarden.
Gäbe es neben der Handelsbilanz auch eine Bilanz der Produktion vor Ort, dann würde diese klar zugunsten Deutschlands ausfallen.
Der Umsatz von 330 Milliarden Euro durch Produktion vor Ort war 2017 bereits höher als der Handelsumsatz zwischen China und Deutschland 2022, der erstmals die Marke von 300 Milliarden Euro überschritten hat.
Als Faustregel lässt sich also feststellen, dass die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China rund doppelt so hoch ist wie die Handelszahlen auf den ersten Blick vermuten lassen. Oft werden die Gewinne aus diesen China-Umsätzen gleich wieder in China reinvestiert. Sie fließen also nicht nach Deutschland, tauchen aber in den Bilanzen der Firmen auf.
Wenn Politik und Unternehmen fieberhaft nach Alternativen zum chinesischen Markt suchen, sollte es nicht nur darum gehen, das Handelsgeschäft zu kompensieren. Die Zahlen belegen zudem nicht die weit verbreitete These, dass China seinen Markt schließt, während der deutsche Markt seine Tore weit offenlässt.
Und Deutschland wird nicht attraktiver. “Deutschland ist der große Verlierer im Standortwettbewerb”, stellt das ZEW in einer anderen Studie Anfang 2023 fest. Deutschlands Standortfaktoren für Familienunternehmen könnten mit denen an westlichen Spitzenstandorten in Nordamerika, Westeuropa und Skandinavien nicht mithalten.
Im vergangenen Jahr ist Deutschland sogar um vier Plätze abgerutscht. Nun liegt es auf Platz 18 von 21 untersuchten Industriestaaten, einschließlich Japan als einziges Land in Asien. Nur noch Ungarn, Spanien und Italien sind schlechter als Deutschland. Die Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten Jahren chinesische Unternehmen mehr in Deutschland investieren als in der Vergangenheit, ist damit niedrig.
Damit bleibt Deutschland abhängiger von China als China von Deutschland. Denn Handelsströme lassen sich leichter umlenken. Die deutschen Fabriken in China lassen sich hingegen nicht leicht umsiedeln. China diversifiziert derweil bereits eifrig. Der Handel Chinas mit den Asean-Staaten in Südostasien ist im vergangenen Jahr doppelt so stark gewachsen wie der Handel mit Deutschland.
Außenminister Qin Gang hat am Sonntag den russischen Vizeaußenminister Andrej Rudenko in Peking getroffen. Die Führung will sich offenbar ein Bild von der Lage im Nachbarland machen nach der Rebellion des Söldnerführers Jewgeni Prigoschin. Qin habe um das Treffen geben, “um sich mit Rudenko über die chinesisch-russischen Beziehungen sowie internationale und regionale Fragen von gemeinsamem Interesse auszutauschen”, teilte die chinesische Führung mit.
Die chinesische Mitteilung erwähnte den Aufstand mit keinem Wort und gab auch keine Bewertung des Besuchs ab. Anders Russland, das Chinas Solidarität für sich in Anspruch nimmt: “Die chinesische Seite hat ihre Unterstützung für die Führung der Russischen Föderation bei der Stabilisierung der Lage im Land nach den Ereignissen des 24. Juni ausgedrückt”, teilte die Regierung in Moskau laut Reuters mit. China habe sein Interesse bestätigt, den Zusammenhalt und den Wohlstand Russlands zu erhalten.
Rudenko flog am Sonntag eigens von Moskau nach Peking – offenbar, um den Verbündeten zu beruhigen. Für Staatschef Xi Jinping ist ein stabiles Russland wichtiger Teil seiner außenpolitischen Strategie. Deshalb hält er dem Nachbarn die Stange, obwohl die Invasion sich schon vor dem Aufstand zu einem Desaster entwickelt hat.
Der Aufstand der Wagner-Söldner wirkt nun aus Pekinger Sicht in mehrfacher Hinsicht alarmierend:
Xi hat also großes Interesse daran, dass Putin die Lage nach der Ausreise Prigoschins wieder unter Kontrolle bringt. Ebenso groß dürfte das Interesse daran sein, dass Russland den langwierigen Krieg schnell und gesichtswahrend beendet, um seine weitere Schwächung zu verhindern. fin
Nach EU-Angaben haben die Mitgliedsstaaten im vergangenen Jahr dreieinhalb mehr Mittel in Batterietechnik gesteckt als China. “Unsere erste Einschätzung war, dass wir bis zum Ende des Jahrzehnts in der Lage sein sollten, 80 bis 90 Prozent des Batteriebedarfs der europäischen Automobilindustrie zu decken, und das ist immer noch unser Ziel”, sagte Maroš Šefčovič, Vizepräsident der EU-Kommission, gegenüber der “Welt am Sonntag”.
Die neue Fabrik für Kathodenmaterial von BASF in Brandenburg schließe eine entscheidende Lücke in der europäischen Wertschöpfungskette. Derzeit seien etwa 30 große Elektroautofabriken in der EU geplant, sagte Šefčovič. Allerdings habe es bislang an der Produktion von aktivem Kathoden- und Anodenmaterial gefehlt. Er betrachtet es als Chance, dass sich BASF in der Lausitz genau auf diesen Engpass konzentriert. fin
Die staatliche Absicherung von Investitionen deutscher Firmen in China ist deutlich gesunken. “Ohne die Änderung der Deckungspraxis der aktuellen Bundesregierung läge die Höchsthaftung des Bundes für Investitionen in China um etwa fünf Milliarden Euro höher”, hieß es am Freitag in Regierungskreisen in Berlin. Seit dem Amtsantritt von Wirtschaftsminister Robert Habeck seien vier Anträge von Firmen auf Absicherung im Wert von rund 101 Millionen Euro abgelehnt worden. Bei vier weiteren Verträgen im Wert von 544 Millionen Euro sei die Verlängerung verweigert worden.
Neuanträge im Wert von rund vier Milliarden Euro wurden sofort ausgeschlossen, weil sie über der im November 2022 eingeführten Deckelungsgrenze von drei Milliarden Euro pro Unternehmen und Zielstaat lagen, hieß es. Vier weitere Anträge im Wert von 282 Millionen Euro für Projekte in der Provinz Xinjiang seien zurückgestellt worden.
Die Bundesregierung hatte mehrfach betont, dass sie keine Abkoppelung der Firmen von China wolle, aber einen Risikoabbau. Deshalb wurden beispielsweise Gebühren für die staatliche Absicherung von Investitionen in Ländern mit einem “Klumpenrisiko” von 0,5 auf 0,55 Prozent des Investitionsvolumens erhöht.
Die Investitionsgarantien gehen aber schon seit Jahren zurück. Waren es 2012 noch 33 Genehmigungen, so sank die Zahl zum Regierungswechsel 2017 auf 15 und zum Amtsantritt der Ampel-Regierung 2021 auf zwölf. 2023 wurden bisher fünf Anträge genehmigt. rtr
Dreizehnmal in zwei Monaten – so oft ist der Menschenrechtsaktivist Wang Quanzhang zum Umzug gezwungen worden. Er wohne jetzt in einer geborgten Wohnung in einem Pekinger Vorort, in der häufig der Strom abgestellt werde, berichtet er gegenüber AP. Wie die Nachrichtenagentur weiter schreibt, habe ein anderer Anwalt Peking aufgrund der Schikanen verlassen. Ein dritter Anwalt sagte, er sei mehrfach von davor herumlungerten Männern daran gehindert worden, sie zu verlassen. Ein vierter Anwalt und seine Frau seien festgenommen worden sein.
Alle vier sind Mitglieder einer als 709 Anwälte bekannten Gruppe – der Name bezieht sich auf die englische Schreibweise eines Datums, dem 9. Juli 2015. Damals gingen die chinesischen Behörden gegen unabhängige Rechtsberatungen vor und nahmen Hunderte fest. Auch den nun vier betroffenen Anwälten wurden die Zulassungen entzogen. Sie können seitdem nur noch beratend tätig sein. flee
Im Norden Chinas hat das Thermometer schon den dritten Tag in Folge die 40-Grad-Marke überschritten. Deswegen wurde in der Hauptstadt Peking sowie in Teilen der nahe gelegenen Provinzen Hebei, Henan, Shandong, in der Inneren Mongolei und in Tianjin die höchste Hitzewarnstufe ausgerufen.
Am Samstag meldeten staatliche Medien Bodentemperaturen von über 70 Grad in Teilen der Provinz Shandong, die nach Guangdong die bevölkerungsreichste Provinz Chinas und ein wichtiges Gebiet für den Getreideanbau ist. “Die Hitzewelle des vergangenen Jahres lässt die Risiken für Chinas Lebensmittelversorgung und die möglichen Auswirkungen auf die Preise erahnen”, hieß es in einer Einschätzung des Analyseinstituts Capital Economics.
Meteorologen erwarten, dass die Hitzewelle in Nordchina bis Montag abklingt, bevor sie sich im Laufe der Woche wieder verstärken könnte. rtr
Wohlmeinende China-Brückenbauer als Opfer einer Journaille, “die glaubt, fehlendes Wissen und mangelnden Sachverstand durch richtige Haltung kompensieren zu können”. Das ist die Geschichte, die uns Michael Schumann, Vorsitzender der China-Brücke und Vorstandschef des Bundesverbands für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA), auftischt. “Fürsprecher der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit werden diffamiert und ihre Reputation beschädigt”, so Schumann, ganz wie in Heinrich Bölls “Die verlorene Ehre der Katharina Blum”.
Der Rundumschlag gegen die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten zu China entbehrt jeder empirischen Grundlage. Wir können uns glücklich schätzen, einige exzellente und wohlinformierte Journalisten zu haben, die über und/oder in China arbeiten. Dass viele von ihnen Schumanns undifferenzierte Begeisterung für China mitnichten teilen, hängt mit dem real existierenden chinesischen Parteistaat unter Xi zusammen und beruht auf Kenntnis, Sachverstand und eigener Erfahrung.
Natürlich gibt es in einzelnen Fällen schwach recherchierte und argumentierte pekingkritische Geschichten und ärgerliche Stereotype bis hin zu Stigmatisierung mit rassistischen Anklängen. Und natürlich schreiben heute aufgrund der großen Nachfrage auch einige Journalistinnen und Journalisten über China-Themen, die keine lange Erfahrung mit der Thematik haben. Und natürlich finden zu wenig Geschichten über die Diversität der chinesischen Gesellschaft den Weg auf die Titelseiten.
Schumann aber rückt die Thematisierung von Einflussnahme und Unterwanderung durch den chinesischen Parteistaat in die Nähe zum “Deep-State”-Geraune des Querdenkertums. Das ist eine nicht haltbare Charakterisierung der empirischen Forschung zur Einheitsfront und politischen Liaison-Arbeit. Diese dokumentiert diese Versuche nüchtern als Instrument des Machtanspruchs des chinesischen Parteistaats.
Neben dem von Schumann herausgegriffenen Buch “Die lautlose Eroberung” gibt es zahlreiche umfangreiche Studien oder Beiträge zu diesem Thema. Auch das Buch “Spies and Lies” von Alex Joske befasst sich mit der Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit, nicht zuletzt im Bereich von “elite capture”, der Gewinnung und Einbindung von westlichen Funktionseliten für Pekings Zwecke.
Jedem, der sich ernsthaft mit diesen Werken beschäftigt, wird klar, dass diese alles andere als verschwörungstheoretisch sind. Sie leisten im besten Sinne des Wortes Aufklärungsarbeit und machen Vorschläge, wie man den Einflussnahmeversuchen des Parteistaats besser begegnen kann.
Natürlich ist nicht jeder, der sich mit Einflussagenten trifft oder an Einflussnahmeveranstaltungen teilnimmt, gleich Erfüllungsgehilfe des Parteistaats. Doch man muss sich kritische Nachfragen gefallen lassen. Es kommt auf die Art und Weise an. Schumann hofierte den Chef des Center for China and Globalization (CCG) höchst unkritisch. Doch der Vizepräsident des Center, Victor Gao, etwa verbreitet Pläne für eine ethnische Säuberung Taiwans, wenn Peking die Kontrolle über die Insel erlangt hat. Einer solchen Organisation rollt man nicht den roten Teppich aus, wenn man nicht zum Legitimierungsgehilfen solcher Politiken werden will.
Schumann schreibt mit Blick auf die Gründung der China-Brücke, deren Vorsitzender er jetzt ist: “Der Gedanke, dass es einen Kreis von Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik geben könne, die aus eigener Überzeugung heraus – ganz ohne Inzentivierung seitens staatlicher chinesischer Stellen – mehr Gesprächskanäle nach und einen konstruktiveren Umgang mit China befürworten könnten, sprengte schon damals die Vorstellungskraft vieler Medienvertreter”.
Diese Vorstellungskraft lohnt es sich zu testen. Es gibt drei Hauptmotive für Funktionseliten, die den Interessen autoritärer Systeme dienen: Ego, Geld und Überzeugung. Ist es denkbar, dass Überzeugung aus gutem Herzen das bei weitem dominante Motiv ist bei einzelnen? Sicherlich. Beispiel: Matthias Platzeck. Der ehemalige SPD-Chef und Ministerpräsident Brandenburgs verschrieb sich dem deutsch-russischem Brückenbauen aus tiefer Überzeugung. Er wurde dabei zu einer Pro-Kreml-Stimme etwa in seiner Funktion als Vorstand des Deutsch-Russischen Forums. Doch plausible Kandidaten für einen solchen Typus “Überzeugte Brückenbauer rein aus gutem Herzen” gibt es sonst wenige.
Fallen Schumann und seine Mitstreiter in der China-Brücke und dem BWA unter diese Kategorie? Könnte ja sein, dass auch Schumann aus reiner Überzeugung Begeisterung für Xis Konzept einer “Community of Common Destiny for Mankind” verbreitet oder Abhängigkeiten zwischen Deutschland und China mit Abhängigkeiten in der Familie oder einem Fußballteam vergleicht. Aber wahrscheinlich hilft es, dass all dies auch seinen Interessen als Berater für das Chinageschäft dient. Er ist Brückenbauer im Dienste des eigenen Geschäfts.
Der Gründungsvorsitzende der China-Brücke, Hans-Peter Friedrich, schätzte sicher die Aufmerksamkeit, die Peking dem Ex-Minister beim Schwanengesang seiner Karriere entgegenbrachte. Wohl so sehr, dass er treuherzig zu Protokoll gab, dass China keine Diktatur und die China-Brücke das Gleiche wie die Atlantik-Brücke sei, ungeachtet dessen, dass auf der anderen Seite der China-Brücke ein totalitärer Parteistaat steht und dass dies (bei allen Schwächen der US-Demokratie) einen fundamentalen Unterschied darstellt.
Für den chinesischen Parteistaat ist eine solche Blindheit für die Realitäten des Dialogs und Austauschs mit China ein Glücksfall. Der Parteistaat privilegiert im Austausch mit dem Ausland auf chinesischer Seite bewusst eine kleine Zahl von “vertrauenswürdigen” Spielern wie das CCG als handselektierte “Zivilgesellschaft”, wohingegen regimeskeptische Stimmen komplett ausgeschlossen und nicht selten drangsalisiert werden.
Auch will der Parteistaat nach Möglichkeit selbst entscheiden, wer am Dialog auf der deutschen Seite teilnimmt beziehungsweise wer ihn organisiert. Das chinesische NGO-Gesetz kodifiziert diesen Kontrollanspruch. Missliebigen Dialogpartnern werden Visa vorenthalten, oder sie werden gleich mit Sanktionen belegt. So sanktionierte Peking im Frühjahr 2021 unter anderem das Mercator Institute für China-Studien (Merics).
Organisationen wie die China-Brücke und der BWA sind ein Geschenk für den Parteistaat, weil sie bereitwillig nach Pekings Regeln spielen. Dass Pro-Peking-“Brückenbauer” von Journalistinnen kritisch beleuchtet werden, sollte in einer offenen Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein. Mehr Transparenzverpflichtungen könnten und sollten diese Arbeit leichter machen. Wir brauchen mehr investigativen Journalismus zur magischen Verbindung aus Überzeugung, Ego und Geschäft bei deutschen Pro-Peking-Funktionseliten.
Anna Radjuk hat bei Mercedes China den Bereich EVP Industrialization HV Battery übernommen. Zuvor war Radjuk für Daimler im Procurement & Supplier Chain Management tätig.
Mike Groothoff ist seit Juni Senior Manager & Head of MB Sales Planning & Reporting bei Mercedes in China. Für seinen neuen Posten wechselt er von Stuttgart nach Peking.
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Ihnen kommen beim Stichwort “rollen” in Verbindung mit China in erster Linie hauchdünne Teigfladen, knusprige Pekingente mit Zwiebel- und Gurkenstreifen in den Sinn, die mit würziger Soße zu schmackhaften Wrap-Röllchen zusammengerollt werden? Bei Mandarin-Muttersprachlern spult sich beim Thema “rollen” (卷 juǎn) seit geraumer Zeit ein ganz anderes Kopfkino ab. In China rollt man nämlich nicht selbst, sondern man wird gerollt – und zwar im harten Konkurrenzkampf im bevölkerungsreichen Riesenreich, in dem begehrte Ressourcen knapp sind, zum Beispiel Plätze an angesehenen Universitäten.
Ursprünglich rückte in diesem Kontext vor einigen Jahren bereits der Neologismus 内卷 nèijuǎn ins chinesische Alltagsvokabular auf. Es handelt sich dabei um die Entlehnung eines Fachbegriffs aus den Sozialwissenschaften zur Beschreibung von Gesellschaften mit begrenzten Ressourcen, in denen ein starker innerer Wettbewerb herrscht. Chinas urbane Bevölkerung griff den Begriff auf und fand damit ein Label für den aktuellen Zeitgeist – das Gefühl, dass sich die Jungen immer mehr abstrampeln müssen, nur um eine geringere Lebensqualität zu erreichen als Vorgängergenerationen, sei es in Bezug auf Bildung, Wohnen oder Heirat.
Das Wort 内卷 nèijuǎn beschreibt also eine Art des um sich selbst kreisenden Wettbewerbs, eine Rolle inwärts gewissermaßen, ganz wie der Begriff nahelegt, der wörtlich “sich nach innen rollen” bedeutet (内 nèi “innen” + 卷 juǎn “rollen / einrollen / aufrollen”). Das Ende vom Lied ist, dass alle mehr leisten müssen für das gleiche Ergebnis. Wie bei einer Bühnenvorstellung, bei der anfangs wenige Zuschauer aufstehen, um einen noch besseren Blick auf die Bühne zu erhaschen, was am Ende dazu führt, dass alle Anwesenden sich von ihren Plätzen erheben müssen, um den gleichen Blick auf das Spektakel zu haben wie zuvor im Sitzen. Mittlerweile hat sich das etwas sperrige 内卷 nèijuǎn zur griffigeren Alltagskurzversion 卷 juǎn abgeschliffen (wie zum Beispiel auch in 卷袖子 juǎn xiùzi “die Ärmel hochrollen / hochkrempeln” oder 卷裤腿 juǎn kùtuǐ “die Hosenbeine hochrollen / hochkrempeln”).
Das Trendwort ist in aller Munde und kann einerseits als Verb gebraucht werden. Beispiel: 被新同事卷 bèi xīn tóngshì juǎn “vom neuen Kollegen / der neuen Kollegin aufgerollt / aufgekrempelt werden” (sprich: in einen Konkurrenzkampf gezogen werden). Andererseits kann es auch in die Rolle eines Adjektivs schlüpfen: 新来的同事太卷了 xīn lái de tóngshì tài juǎn le “der neue Kollege / die neue Kollegin ist total rollig” (will heißen: total auf Konkurrenz gebürstet). In China geraten vor allem städtische Eltern in den rollenden Krempel-Strudel, und zwar im Kampf um bestmögliche Zukunftsperspektiven für den Nachwuchs.
Denn das chinesische Familiengetriebe dreht sich bekanntlich viele Jahre um das erfolgreiche Bestehen der berüchtigten Hochschulaufnahmeprüfung Gaokao (高考 gāokǎo). Und in diesem Zusammenhang gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Roll-Triggerwörtern, die dafür sorgen, dass sich bei konkurrenzgeplagten Mamas und Papas die Fußnägel hochrollen:
Ziel des ganzen Zirkus’ ist übrigens, sich eines Tages aus dem Neijuan-Strudel freizuschwimmen und “an Land zu gehen” (上岸 shàng’àn). Diese weitere Trendvokabel ist das chinesische Pendant zum deutschen “seine Schäfchen ins Trockene bringen” beziehungsweise die Dinge “in trockene Tücher bringen”. Haben es die Küken also erfolgreich in den Stall der Traumuniversität geschafft, können sich auch die Eltern an der Seitenlinie endlich eine Verschnaufpause gönnen. (Zumindest bis sie anfangen, sich über die Karriere und Partnerwahl der flügge Gewordenen Gedanken zu machen und danach den gleichen Zyklus mit den Enkelkindern von vorne zu beginnen…).
Doch mittlerweile haben viele Chinesen genug von der Rangelei um die besten Rangplätze. In Teilen der Gesellschaft hat bereits ein Umdenken eingesetzt. Als Gegenbewegung ist bekanntlich das oft zitierte “Flachliegen” (躺平 tǎngpíng) entstanden, eine Art Verweigerungshaltung, über die auch in deutschsprachigen Medien schon viel berichtet wurde. Ausklingen statt ständiges Aufrollen der Konkurrenz heißt hier die Devise: Lieber in die Bettdecke einrollen, als weiterhin die Rolle des gestressten Erfolgskindes auszufüllen.
Allerdings muss man sich das Liegeleben eines “Tangpingers” auch erst einmal leisten können, was die junge Generation in ein Dilemma bringt. 卷又卷不动,躺又躺不平 (juǎn yòu juǎn bú dòng, tǎng yòu tǎng bù píng) klagen sie im Netz: “keinen Antrieb mehr zum Konkurrieren und nicht in der Lage flachzuliegen”. Die Lösung suchen viele in einer Lebenshaltung im 45-Grad-Winkel, genannt tatsächlich 45度人生 (sìshíwǔ dù rénshēng).
Es ist ein Kompromiss zwischen der vertikalen Strammstehvariante des nèijuǎn-Wettrüstens (im 90-Gradwinkel) und der tǎngpíng-Verweigerungshaltung in der Horizontalen (0 Grad). Aber vielleicht kennt die Work-Life-Balance in Zukunft ja auch noch andere Stellwinkel? Die Suche danach läuft im Reich der Mitte jedenfalls auf Hochtouren.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.