Analyse | Energie
Erscheinungsdatum: 14. Oktober 2025

Experiment mit Grenzen: Fliegende Windräder in Xinjiang

In Xinjiang hat China das erste Luftschiff-Windrad mit einem Megawatt Leistung getestet. Technisch visionär, bleibt es wirtschaftlich jedoch vorerst beim Experimentbetrieb.

In der Wüste von Xinjiang hat China ein neues Kapitel in der Energietechnik aufgeschlagen. Vom 19. bis 21. September ließ das Unternehmen SAWES Energy ein riesiges, mit Helium gefülltes Luftschiff aufsteigen - das weltweit erste fliegende Windrad, das eine elektrische Leistung von einem Megawatt erreichte. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua war der Test ein voller Erfolg.

Das Luftschiff misst rund 60 Meter in der Länge sowie 40 Meter in Breite und Höhe. In seinem ringförmigen Tragkörper sind zwölf kleine Windturbinen integriert, die den starken Höhenwind nutzen. Die erzeugte Energie wird über ein kombiniertes Halte- und Stromkabel zum Boden geleitet, wo sie in das Netz eingespeist oder gespeichert werden kann. „Das ist ein wichtiger Schritt, um die Technologie in die reale Anwendung zu bringen“, sagte SAWES-Chef Dun Tianrui chinesischen Medien. Schon 2026 soll die Serienfertigung beginnen. Das Ziel: mobile Windkraftanlagen, die Strom für abgelegene Gebiete und sogar Katastropheneinsätze liefern.

Die Idee, Windkraft in großer Höhe zu nutzen, ist nicht völlig neu. Der Wind weht dort viel stärker und gleichmäßiger als am Boden. In der Theorie lässt sich so zwei- bis dreimal so viel Energie gewinnen. Anders als klassische Windräder benötigen Luftschiffe keinen Turm, kein Fundament und kaum Fläche am Boden. In China gilt das Konzept daher als besonders interessant für entlegene Regionen wie Xinjiang oder Tibet.

Erstmals griff die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) bereits 2016 die Idee in einem Regierungsplan auf. Auch in anderen Ländern wurde mit Windkraft aus der Luft experimentiert, etwa mit Drachen- oder Ballonsystemen in den USA und Europa. Das bekannteste Projekt war Makani, ein von Google finanziertes Start-up, das autonome Fluggeräte zur Stromerzeugung testete, bevor es 2020 eingestellt wurde.

In Europa wird an ähnlichen Konzepten gearbeitet, bislang aber nur im Kilowattmaßstab. Keines dieser Programme hat bisher die Marke von einem Megawatt erreicht, wie nun in Xinjiang.

Technologisch sei das Vorhaben zwar interessant, wirtschaftlich aber weit von der Realität entfernt, so Technologieexperte Martin Geißler, Partner bei Advyce & Company, gegenüber Table.Briefings. Fliegende Windkraftanlagen nutzten die starken Höhenwinde. „In der Praxis wird dieser Vorteil aber durch die deutlich kleinere Rotorfläche wieder aufgezehrt, denn die Energie wächst bei der Windkraft quadratisch mit dem Durchmesser“, so Geißler. In der Praxis gehe es also vor allem um den Materialvorteil: Fliegende Windkraftwerke benötigen keinen Turm, kein Fundament, keine Bodenfläche und viel weniger Stahl.

Zur wirtschaftlichen Perspektive äußert sich Geißler unmissverständlich: „Kurzfristig ist daran überhaupt nichts realistisch. Da sprechen wir bisher über reinen Experimentalbetrieb.“ Niemand wisse zudem, wie stabil der Betrieb wirklich funktioniert. Es gebe weltweit keine Erfahrung mit autonomen Flugkörpern im Dauerbetrieb über Wochen oder Monate. Und auch physikalisch gebe es noch gewaltige Probleme, etwa sogenannte Kreuz- und Wirbelschleppeneffekte. Das sind Luftverwirbelungen, die entstehen, wenn sich die Strömungen mehrerer Flugkörper gegenseitig beeinflussen und dadurch ihre Stabilität gefährden können.

Schon bei stationären Windrädern muss man wegen dieses Effekts gewisse Abstände zwischen den Anlagen einhalten, um Leistungsverluste zu vermeiden. Bei Hunderten Fluggeräten, die sich auch noch bewegen, entstehe ein völlig chaotisches Luftsystem, das sich gegenseitig stört.

Der Versuch in Xinjiang fügt sich dennoch in ein größeres Bild: China dominiert längst die globale Windenergie. Nach Angaben des Global Wind Energy Council (GWEC) installierte das Land 2024 rund 80 Gigawatt neue Windleistung. Das war mehr als der Rest der Welt zusammen.

Zugleich zeigt sich ein bemerkenswerter Experimentierdrang. Während westliche Unternehmen ihre Forschung in der Branche eher zurückfahren, testet China gleich mehrere neue Ansätze gleichzeitig. Dazu gehören schwimmende Offshore-Anlagen, die vor der Küste von Guangdong in mittlerer Wassertiefe betrieben werden, sowie Hochgebirgswindparks in Yunnan und Tibet mit sehr langen Rotorblättern, die auch in dünner Luft noch effizient arbeiten.

Das S1500-Projekt reiht sich in diese Logik ein: ausprobieren, lernen, nachjustieren - auch wenn das Ergebnis zunächst keinen ökonomischen Sinn ergibt. „Die Chinesen testen lieber ein Dutzend Ideen, als sich auf eine zu verlassen“, sagt ein westlicher Branchenkenner. „Das führt dazu, dass sie irgendwann auch die eine finden, die wirklich gut funktioniert.“

Letzte Aktualisierung: 16. Oktober 2025

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