Beim Aufbau leistungsfähiger Rechenzentren, die für die Digitalisierung der Wirtschaft existenziell sind, hinkt Deutschland laut Experten mindestens drei Jahre den USA hinterher. Sollten Weichen jetzt nicht zeitnah gestellt werden, verliert Deutschland auch noch das innereuropäische Standortrennen gegen die skandinavischen Staaten. Davor warnen Markus Keller und Lars Riegel, Autoren einer unveröffentlichten internationalen Rechenzentren-Studie der Unternehmensberatungen Egon Zehnder und Arthur D. Little, die dem CEO.Table vorliegt. Dabei steht die Branche zudem vor zentralen Herausforderungen, darunter der Infrastrukturausbau sowie Führungsqualitäten und mangelndes Spitzenpersonal, heißt es in der Untersuchung.
Der Abstand zu den USA kann sich sogar noch schnell weiter vergrößern, da US-Präsident Donald Trump mit „Stargate“ bereits ein voluminöses Investitionsprogramm für Rechenzentren angeschoben hat. Das Joint Venture zwischen OpenAI, Oracle und Softbank investiert in die KI-Infrastruktur 500 Milliarden US-Dollar. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte darauf mit der Ankündigung von 109 Milliarden Euro in KI-Investitionen in Frankreich reagiert. „Wir sind bereit eigenständig in Deutschland in die Entwicklung der Branche zu investieren", sagt Anna Klaft, Vorstandvorsitzende der German Datacenter Association (GDA) und Vice-President bei Rittal, dem CEO.Table. „Das Kapital ist da. Die nächste Bundesregierung muss aber im Bereich Infrastruktur Geschwindigkeit auf die Straße bringen“, ergänzt Béla Waldhauser, Telehouse-CEO und Vorstandsmitglied beim Climate Neutral Data Centre Pact.
Union und SPD haben in den Koalitionsverhandlungen angesichts des enormen Nachholbedarfs vereinbart, den Rechenzentrumsstandort Deutschland als Leuchtturm Europas aufzubauen. Sie wollen Cluster und 38 regionale und dezentrale Ansiedlungen unterstützen. „Wir holen mindestens eine der europäischen AI-Gigafactories nach Deutschland und treiben Edge-Computing voran“, heißt es dazu in der Ausarbeitung der Koalitionsarbeitsgruppe Digitales. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) signalisierte, eine AI-Gigafactorie im bevölkerungsreichsten Bundesland zu bauen.
„Unsere Industrie braucht konkrete Handlungsempfehlungen von der neuen Bundesregierung. Alle Fakten liegen auf dem Tisch“, sagt Klaft weiter. Um global wettbewerbsfähig zu werden, müsse Deutschland für den Ausbau seiner Rechenzentrumskapazitäten vor allem eine sichere Stromversorgung rund um die Uhr sowie eine Vereinfachung der Genehmigungsverfahren zum Neubau von „Data-Centers“ haben.
Dabei ist die Ausgangslage Deutschlands im internationalen Rennen um leistungsfähige Rechenzentren eigentlich gut. Der zentrale Standort innerhalb Europas, der weltweit größte Internetknoten DE-CIX, hohe Baustandards und relativ gute Latenzzeiten überzeugen. „Davon profitieren Standorte wie Frankfurt am Main sowie Berlin und Düsseldorf“, sagt Klaft (siehe Grafik). Das Wachstum werde aber inzwischen, wie im Rhein-Main-Gebiet, durch fehlende Flächen- und Stromnetzkapazitäten ausgebremst.
Die Branche kritisiert schon seit Jahrzehnten, dass politische Entscheidungsträger in Deutschland dem Auf- und Ausbau von Rechenzentrums-Kapazitäten zu wenig Relevanz beimessen. Deshalb hatte die GDA für die Koalitionsverhandlungen zahlreiche Vorschläge geliefert. „Das Thema Digitalisierung, darunter auch Netzausbau, also Glasfaser- und Mobilfunknetze, kommt bei den Koalitionsverhandlungen aber nur langsam voran. Ohne neue Lösungen wird Deutschland nicht nur für digitale, sondern für alle Industrien unattraktiv“, erklärt Marc-Alexander Straubinger, Investor bei EQT Partners. Beim Glasfaserausbau liegt Deutschland im Vergleich der OECD-Staaten lediglich auf Platz 36 von 38 Mitgliedsländern.
Für die Zukunftsfähigkeit des Hightech-Standorts Deutschland ist das ein schlechtes Zeugnis. Die Ausbaugeschwindigkeit sei hier zu langsam, warnen die Experten Keller und Riegel. Deshalb suchten inzwischen Firmen, darunter „Hyperscaler“ wie Google oder Microsoft, nach Standortalternativen in Europa. Falls Unternehmen keine hohe Latenz benötigten, würden sie die nordischen Staaten präferieren, wo für die Rechenzentren ausreichend Kühlungsmöglichkeiten und niedrige Energiepreise vorhanden seien. „DAX-Konzerne wie Volkswagen oder Mercedes-Benz nutzen schon jetzt Rechenzentren dort, wo es billiger ist“, ergänzt Waldhauser und warnt davor, dass die deutschen Schwergewichte weitere Kapazitäten ins Ausland verlagern könnten.
Eine wichtige Rolle spielt in der internationalen Diskussion auch die Kernenergie, die grundlastfähigen Strom in großen Mengen liefern kann. So will etwa Terrapower, das Kernenergie-Start-up von Ex-Microsoft-Chef Bill Gates, zusammen mit einem der größten Betreiber von Rechenzentren in den USA, Sabey Data Centers (SDC), kleine Atomreaktoren nutzen, um Rechenzentren zu betreiben. Schweden setzt ohnehin auf Kernkraft. Und auch in Deutschland gibt es darüber mittlerweile eine Diskussion, da die Union Atomkraftwerke wiederbeleben will, um den steigenden Strombedarf zu decken.
Klaft und Waldhauser fordern deshalb massive Investitionen in Stromnetzkapazitäten. Dafür sei der Leitungsausbau mit einer Höchstspannung von bis zu 380.000 Volt nötig. „Diese haben wir aktuell nicht und das ganze Genehmigungsverfahren dauert zu lange, wie das Beispiel SuedLink zeigt“, sagt Waldhauser. Wenn die Bürokratie hierzulande viel strenger als der europäische Standard sei, überlegten sich Unternehmen zweimal, ob sie nach Deutschland kommen würden.