Executive Summary
Erscheinungsdatum: 27. Dezember 2024

Deutsche Autobauer wollen 2025 mit Investitionen und geringeren Kosten aus der Krise fahren

Kein anderes deutsches Unternehmen symbolisiert mehr das Wirtschaftswunder als Volkswagen. Der Konzern steht für Aufschwung und Wohlstand. Als am 5. August 1955 in Wolfsburg der millionste Käfer vom Band lief, feierte die ganze Republik. Heute, fast 70 Jahre danach, streicht VW 35.000 Stellen, fährt die jährliche Autoproduktion um über 700.000 Fahrzeuge zurück, kappt Zusatzleistungen sowie Boni. In einem 70-stündigen Verhandlungsmarathon haben sich die IG Metall und das VW-Management noch kurz vor Heiligabend geeinigt.

Die Gewerkschaft spricht nun von einem Weihnachtswunder, weil sie Standortschließungen, betriebsbedingte Kündigungen und Einschnitte beim Monatseinkommen abgewendet hat. CEO Oliver Blume interpretiert den Kompromiss als Grundlage dafür, um Europas größten Autobauer mithilfe von Kostensenkungen fitter für den internationalen Wettbewerb zu machen und verweist in Interviews darauf, dass der Belegschaftsabbau der Schließung von zwei bis drei großen Werken entspreche.

Gerade die drohenden Werksschließungen, über die verhandelt wurden und auf die sich VW-Vorstandsvorsitzender Blume in seinem Resümee jetzt bezieht, hatten auch das politische Berlin im zweiten Rezessionsjahr aufgerüttelt. Volkswagen – der Konzern ist in Deutschland bei den Zulassungen Marktführer – zählt mit den anderen deutschen OEMs BMW und Mercedes-Benz zu einer der wichtigsten Schlüsselindustrien des Landes. Massenentlassungen mit betriebsbedingten Kündigungen bei der deutschen Auto-Ikone hätten die Stimmung im Land vor den Bundestagswahlen nochmals gedrückt, zumal auch in Stuttgart bei der Marke mit dem Stern Konzernchef Ola Källenius ein Sanierungsprogramm mit dem Namen „Next Level Performance" aufgelegt hat, durch das dem Autostandort Deutschland noch weitere Einschnitte drohen könnten. Die Kürzungen des Weihnachtsgeldes und der Fortfall des Jubiläumsgeldes bei den Bayerischen Motorenwerken wirken dagegen schon als Peanuts.

Das sind ungewohnte Nachrichten in einer erfolgsverwöhnten Branche, die jahrelang von Rekord zu Rekord jagte, den deutschen Export ankurbelte und nur Stellen auf- statt abbaute. Jetzt müssen die Hersteller auf Absatzrückgänge bei Verbrennern und E-Autos und auf zu hohen Kosten reagieren. Und dadurch stehen Arbeitsplätze zur Disposition. Mal mehr - und mal weniger.

Heute gibt es in der deutschen Automobilbranche noch 770.000 gut bezahlte Beschäftigte mit einem durchschnittlichen jährlichen Bruttoverdienst von über 80.000 Euro. Vier Millionen Jobs hängen bundesweit vom Auto ab, nahezu jeder zehnte Arbeitsplatz. Das Steueraufkommen, das sich aus dem Verkauf und der Nutzung von KFZ ergibt, liegt laut dem Verband der Autoindustrie (VDA) allein bei 90 Milliarden Euro. Kurzum, werden hierzulande weniger Autos gebaut – und exportiert –, zieht dies das ganze Land nach unten. Vom Imbissbesitzer vor den Werkstoren, den Zulieferern für Komponenten, den Anlagen- und Maschinenbauern bis hin zur Grundstoffindustrie, ohne deren Materialien überhaupt kein Kfz gebaut werden könnte, bekommen fast alle Branchen zeitverzögert die Flaute im Automobilbau zu spüren.

Die Absatzrückgänge sind daher mehr als ein Warnsignal für den Industriestandort. Kanzler Olaf Scholz hatte auch deshalb schon im November zu einem Industriegipfel geladen, bei dem es auch darum ging, wie Deutschland mithilfe der Autoindustrie seine ökonomische Talfahrt stoppt und wieder Richtung Wachstum steuert. Schnell wurde dabei klar, dass unabhängig von Modelloffensiven und innovativen Antrieben die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen stimmen müssen. „Während der internationale Standortwettbewerb immer härter geführt wird, fehlt es in Berlin und Brüssel zu oft an Geschwindigkeit und praxisnahen Konzepten. Die Politik verliert sich in immer mehr Regeln und Auflagen. Und wenn es Hilfen gibt, dann leider oftmals mit maximalen bürokratischen Aufwand. 2025 muss also vor allem auch ein Jahr der politischen Aktion werden. Das gilt sowohl für eine neue Bundesregierung als auch für Brüssel und die neue EU-Kommission", sagt VDA-Präsidentin Hildegard Müller.

Dass die Cheflobbyistin der deutschen Autoindustrie bessere Rahmenbedingungen einfordert, verwundert nicht. Doch steht sie mit ihrer Kritik an der deutschen Politik nicht allein da. Der Leiter des Instituts für Mobilität an der Universität St. Gallen, Professor Andreas Herrmann, wirft der Bundesregierung sogar „Planlosigkeit" statt einer verlässlichen Förderpolitik vor. Es fehle die „große Idee für das Land, für die Automobilindustrie und für Volkswagen". Und der Präsident der Landesvereinigung der Unternehmerverbände NRW, Arndt G. Kirchhoff, argumentiert, dass „nicht die deutsche Automobilindustrie ein Wettbewerbsproblem, hat, sondern die deutschen Standorte schlicht zu teuer sind." Lohnzusatzkosten jenseits der 40 Prozent und die horrenden Strompreise würden Deutschland zum teuersten Standort der Welt machen und eine ganze Branche an die Wand drücken.

Im Tarifkonflikt bei Volkswagen in Wolfsburg war das auch ein zentraler Verhandlungspunkt. Denn im internen und internationalen Vergleich sind die Margen der in Deutschland gefertigten Fahrzeuge der Kernmarke VW mit nur 2,3 Prozent mickrig und liegen weit von der 6,5-Prozent-Zielrendite des Konzerns entfernt. So erreicht allein die tschechische VW-Tochter Skoda bereits seit Jahren eine stabile operative Marge von 8 Prozent. Der französisch-italienische Konzern Stellantis mit Automarken wie Fiat, Peugeot, Opel und Chrysler, liegt zwischen 5,5 und 7 Prozent, Toyota, weltgrößter Autobauer und Benchmark, erwirtschaftet 10,6 Prozent und Tesla erzielte im 3. Quartal für den E-Hersteller eine ungewohnt schlechte operative Marge von 10,8 Prozent. Mit Blick auf diese Vergleichswerte fordert auch VW-Chef Blume deshalb von der Politik g eringere Abgaben, Abbau bürokratischer Hürden, bezahlbare Energie und Sicherheit bei Förderzusagen ein, damit Volkswagen und der Automobilstandort Deutschland wieder von der Stand- auf die Überholspur wechseln könne.

Doch unabhängig von den hohen Produktionskosten sieht Automobilprofessor Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM), bei den deutschen OEMs hausgemachte Probleme, die unbedingt gelöst werden müssen. Den Trend zur Elektromobilität hätten die Hersteller verschlafen und seien damit im wichtigsten Absatzmarkt China, aber auch in den Vereinigten Staaten, ins Hintertreffen geraden. Niemand in den Vorstandsetagen in Wolfsburg, Stuttgart und München habe damit gerechnet, dass vor allem im Reich der Mitte der Technologievorsprung so schnell aufgeholt werden würde. „Peking hat das generalstabsmäßig geplant und eine komplette Wertschöpfungskette von der Rohstoffsicherung über die Batteriefertigung bis zur Autoproduktion aufgebaut. Das zahlt sich jetzt aus", sagt Bratzel.

Und das kommt nicht überraschend. „ Im sicheren Gefühl der Unbesiegbarkeit wurde Chinas Aufstieg zur Automacht übersehen. Man hätte es jedoch nachlesen können. Bereits im Fünfjahresplan von 2010 wurde dieses Ziel ausgegeben", kommentiert der St. Gallener Professor Herrmann. Und während in San Francisco, Shanghai und vielen anderen Städten bereits autonome Taxis unterwegs seien und Oslo ab 2030 mit mehreren 10.000 selbstfahrenden Fahrzeugen die Mobilität neu gestalte, freue man sich hierzulande über fahrerlose Minibusse im Testbetrieb zwischen zwei Haltestellen, so Herrmann weiter.

„Wer teurer ist, muss entsprechend innovativer sein", sagt Bratzel. Und das bedeutet nichts anderes als das die Autobranche massiv für Innovationen tief in die Tasche greifen muss. Was sie aber auch tut: „Um die Transformation zur klimaneutralen Mobilität erfolgreich zu gestalten, investieren deutsche Automobilhersteller und Automobilzulieferer von 2024 bis 2028 etwa 280 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Weitere 130 Milliarden für den Neubau und Umbau von Werken kommen im gleichen Zeitraum hinzu", rechnet VDA-Präsidentin Müller vor. Denn der Anspruch bleibe weltweit weiter führend zu sein.

Die Zahlen hören sich gewaltig an, und bleiben es auch, wenn man die OEMs einzeln betrachtet. Mercedes-Benz steckt dieses Jahr 14 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung und neue Werke. Von 2021 bis 2026 sollen sich die Investments auf rund 60 Milliarden summieren. BMW hat für das kommende Jahr sogar sein ehrgeizigste Projekt aufgelegt. Nach Schätzungen von Branchenkennern – Zahlen nennt der Konzern nicht – sind allein rund zehn Milliarden Euro in die sogenannte „Neue Klasse" geflossen, die die Münchner im Herbst vorstellen werden und mit der sie den Elektromobilitätsmarkt auch mit innovativer Digitaltechnik aufmischen wollen. Und selbst die VW-Group, die trotz aller Krisenberichte auch 2024 wieder einen zweistelligen Milliardengewinn hinlegen wird, hat mit ihren zehn Marken von 2025 bis 2029 ein Investitionsniveau von 165 Milliarden Euro eingeplant.

Ob das alles reicht, ist allerdings ungewiss. Jedenfalls für Autoprofessor Bratzel: „Die Lage für die deutsche Autoindustrie hat sich dramatisch geändert. Sie befindet sich in der größten Transformation ihrer Geschichte. E-Mobilität, autonomes Fahren, software-definierte Fahrzeuge, Klimaneutralität und die Vernetzung sind Themen der Zukunft. Die Herausforderungen verschlingen zig Milliarden, sagt Bratzel. Und das sei angesichts der Standortnachteile und der immer stärker werdenden Konkurrenz aus China nur über eine gemeinsame Kraftanstrengung zu reichen. „Wir brauchen eine Art Deutschlandpakt von Herstellern, Zulieferern, Sozialpartnern und Politik, um den Automobilstandort Deutschland zur alten Stärke zurückzuführen," fordert der Professor.

Thilo Boss

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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