CEO.Talk
Erscheinungsdatum: 27. Dezember 2024

Wie Deep-Tech-Gründerin Sonja Jost die Chemieindustrie grüner machen will

CEO.Table sprach mit der Diplomingenieurin und Vizepräsidentin der IHK Berlin über die deutsche Start-up-Förderung, den Industriestandort Deutschland und die Perspektiven ihrer Firmen.

Frau Jost, Sie sind kurz vor Heiligabend mit einer Wirtschaftsdelegation des Berliner Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner aus den Vereinigten Staaten zurückgekommen. Hat sich die Reise nach Übersee ausgezahlt?

Auf jeden Fall ist sie sehr erkenntnisreich gewesen. Egal mit welchen Politikern und mit welchen Unternehmern ich gesprochen habe, es wurde schnell klar, dass die Förderung von Deep-Tech-Start-ups in den Staaten eine höhere Priorität als bei uns eingeräumt wird. Deep-Tech-Unternehmen brauchen längere Zeit bis sie den Break-even erreichen. Das liegt in der Natur der Sache, weil sie das ausdrückliche Ziel haben, Technologielösungen zur Marktreife zu führen, die auf erheblichen wissenschaftlichen Herausforderungen basieren. Das wird dort, im Ursprungsland des modernen Kapitalismus, von niemanden infrage gestellt.

Heißt das etwa, dass die Bedingungen für Unternehmensgründungen in Deutschland schlechter als in den USA sind?

Die Amerikaner haben verstanden, dass der Staat ohne private Kofinanzierung in innovativen Sektoren für den Erfolg kräftig investieren muss. Chancen werden dort höher als Risiken bewertet. Deswegen sind sie Deutschland und Europa bei Zukunftstechnologien auch in vielen Bereichen voraus und deswegen entstehen dort Konzerne in einer New Economy, die das Wirtschaftswachstum des Landes treiben. Das habe ich in Boston genauso wie in New York gesehen.

Was kritisieren Sie am deutschen Fördersystem? Im September hatte sich die Bundesregierung noch ausdrücklich zur Start-up-Szene bekannt. Im Zukunftsfonds stellt das Land immerhin zehn Milliarden Euro zur Verfügung und hebelt privates Kapital …,

… was sich erstmal toll anhört. Doch der Teufel steckt im Detail. Denn wenn privat nicht investiert wird, dann investiert auch nicht der Staat. Ein Marktversagen kann damit nicht geheilt werden. Zusätzlich scheinen Kompetenzen und Erfahrung bei der Bewertung von Deep-Tech-Investments zu fehlen. Und auch die Ausrichtung ist extrem unklar. Als unsere Investoren, die alle sehr namhaft sind, die verantwortlichen InvestmentmanagerInnen des Zukunftsfonds auf eine potenzielle Kofinanzierung ansprachen, wurde dies mit dem Hinweis abgelehnt, man würde bereits ein Unternehmen in Frankreich mit einem ähnlichen Geschäftsbereich evaluieren. Ein weiterer Versuch wurde abgelehnt, weil in den USA ein Biotech-Start-up Pleite gegangen sei, das irgendwo auf seiner Homepage auch den Slogan Green Chemistry verwendet hatte. Wenn ich daran zurückdenke, kann ich nur mit dem Kopf schütteln.

DexLeChem, ihre erste Gründung in 2013, und DUDECHEM, mit den Sie 2019 gestartet sind, haben überlebt. In beiden Unternehmen sind Sie doch sicher auch gefördert worden. Oder?

DexLeChem ist 2018 profitabel geworden, bevor wir uns auf die Gründung unseres neuen Unternehmens DUDECHEM fokussiert hatten. Um Förderdarlehen von der Investitionsbank Berlin für das wissenschaftliche Spin-off zu erhalten, mussten wir Hauptgesellschafter selbstschuldnerisch bürgen. Sowas wäre in den USA undenkbar gewesen. Während Covid musste ich mir in der Anfangsphase sogar 50.000 Euro von einem Unternehmer leihen, damit ich die Labormiete für DexLeChem an das Land Berlin überhaupt weiterzahlen konnte. Hätte ich keine private Hilfe, hätten wir damals Insolvenz anmelden müssen. Und ich wäre in der Privatinsolvenz gelandet. Der Hintergrund: Das deutsche Fördersystem kennt nur zwei Fälle: Unternehmen, die in Schwierigkeiten sind und Unternehmen, die nicht in Schwierigkeiten sind.

Das bedeutet ...

...wenn der Verlustvortrag 50 Prozent des Eigenkapitals überschreitet, sind Unternehmen in Schwierigkeiten. Für ein Start-up älter als drei Jahre wird es dann kritisch, wenn es sich aus Förderdarlehen finanziert hatte. Denn mit dieser Definition steht und fällt bei uns – obwohl die EU-Richtlinie vielmehr Spielräume gewährt – die staatliche Förderung. Für viele Deep-Tech-Start-ups ist das oftmals das Todesurteil, selbst wenn sie sich in einem innovativen, zukunftsträchtigen Marktumfeld bewegen, das viel Wachstum verspricht. Denn sie bekommen in Deutschland gar keine Unterstützung mehr, egal wie gut und nach Plan sie sich auch entwickelt haben. Deep-Tech-Start-ups werden in Deutschland regelmäßig und systematisch schlechter gestellt als andere Unternehmen. Das ist die bittere Wahrheit.

Wie haben Sie dann mit DUDECHEM, salopp gesprochen, die Kurve gekriegt?

Wir sind wir auf einen Wachstumspfad eingeschwenkt, der die Basis für die nächste Finanzierungsrunde 2025 gelegt hat. Hier haben wir von Anfang an Risikokapital aufgenommen. Dass so aber auch kein neuer Mittelstand, keine neuen Familienunternehmen in Deutschland aufgebaut werden können, das ist allen klar – aber leider von der Politik auch genauso gewollt.

Was ist Ihre Schlussfolgerung daraus? Wir werden einen Bundestagswahlkampf erleben, in dem die Wirtschaft im Mittelpunkt steht und in dem es wieder um Förderung und Investitionen in die Zukunft geht, um den Industriestandort Deutschland zu retten.

Weniger Bürokratie, Entscheider in den Bewilligungsstellen, die auch etwas vom Fach verstehen und Mittel, die ausreichend vorhanden sind, damit sich der Industriestandort Deutschland erneuern kann. Wir haben bei uns eine fanatische Vorstellung davon, dass alles so bleiben muss wie es ist. Wir verstehen nicht, dass Wirtschaft schon immer Evolution gewesen ist. Anpassung und Veränderung. Wenn wir das nicht grundlegend erkennen, schaufeln wir uns das eigene Grab. Zu denken, es gehe darum, das bestehende zu erhalten oder höchsten zu transformieren, ist falsch. Wir müssen immer wieder etwas Neues aufbauen, um den Industriestandort zu sichern. Das ist notwendig für eine politische Stabilität. Schließlich basiert unser gesamtes Wirtschaftssystem darauf.

Was heißt das für die Chemische Industrie und für DUDECHEM? Sie bewegen sich doch auch in einer Old Economy.

Wir verändern die chemische Produktion, machen sie umweltfreundlicher im Kampf gegen den Klimawandel. Das ist das Geschäftsmodell von DUDECHEM. Wir arbeiten Prozesse aus, wie Wirkstoffe und Zwischenprodukte von Medikamenten nachhaltiger hergestellt werden und lassen diese für unsere Kunden in Deutschland und Europa nach unseren Verfahren produzieren. Damit sind wir in den Herstellungskosten mittlerweile sogar günstiger als die Produktion in alten Anlagen in Indien. Wir holen die Fertigung aus Asien zurück – mit innovativen Verfahren. Dabei arbeiten wir eng mit den Anlagenbesitzern zusammen, die für uns im Auftrag produzieren. Die haben mittlerweile 25 bis 30 Prozent Leerstand und sind froh über unsere neuen Aufträge.

Die Chemische Industrie ist hierzulande also kein Auslaufmodell?

Absolut nicht. Deutschland ist neben Japan die drittgrößte Chemienation der Welt. Unsere gesamte Wertschöpfungskette hängt von der chemischen Produktion ab: vom Pkw über Solarpanels bis zu Medikamenten. Gleichzeitig ist die Chemische Industrie einer der größten Umweltverschmutzer in der Welt. Die meisten CO₂-Emissionen entstehen in der Branche in der Produktion. Das zu verbessern, darauf haben wir uns spezialisiert. Wir ändern nicht die Moleküle der Produkte, sondern wir verändern die Art und Weise wie sie hergestellt werden. Das machen wir nachhaltiger und kostengünstiger, indem wir auf Jahrzehnte an Forschungen in Deutschland und in Europa aufbauen. Heute ist die Zeit, vor dem Hintergrund des Klimawandels, für die nächste große Revolution in der Chemieindustrie. Die Frage ist, wer in Deutschland mit dabei sein wird. Wir sind es auf jeden Fall. Thilo Boss

Sonja Jost gilt als Pionierin der Grünen Chemie. Die Diplomingenieurin ist Mitgründerin des Unternehmens DexLeChem (2013) und des Start-ups DUDECHEM (2019), die Maßstäbe in der nachhaltigen Produktion setzen. Sonja Jost hat Patente entwickelt, wie man Medikamente statt auf Erdöl- auf Wasserbasis herstellt.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
Teilen
Kopiert!