Von Thilo Boss
Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein. Wasserstoff kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu. CEO.Table sprach mit dem Vorstandsvorsitzenden der VNG AG, Ulf Heitmüller, über die Wasserstoffperspektiven des Konzerns, dem Vorzeigeprojekt in Bad Lauchstädt, und was eine neue Bundesregierung tun muss, damit der Marktanlauf in Schwung kommt.
Herr Heitmüller, die VNG wandelt sich von einem der größten Erdgasimporteure Deutschlands zu einem grünen Konzern, der eine führende Rolle in der deutschen Wasserstoffwirtschaft spielt. 2025 wollten sie H2-ready sein. Schaffen Sie das?
Ja, wir sind im Zeitplan. Wasserstoff ist eines unserer Kernthemen. Im Reallabor Energiepark Bad Lauchstädt, bei dem die VNG AG als Konsortialführer gemeinsam mit sechs weiteren Projektpartnern zusammenarbeitet, soll schon Ende 2025 der erste grüne Wasserstoff durch das deutsche H2-Kernnetz fließen. Zusammen mit unseren Partnern wollen wir erstmals im industriellen Maßstab darstellen, dass grüner Wasserstoff entlang der gesamten Wertschöpfungskette erzeugt und zum Kunden transportiert werden kann. Zudem setzen wir uns vorbereitend auch schon mit einer Speicherung des Wasserstoffs auseinander.
Ein Reallabor der Energiewende ist aber immer noch nur ein Labor. Wie lange wird es dauern, bis Deutschland eine funktionierende Wasserstoffwirtschaft hat, die das Land klimaneutral werden lässt?
Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, bis 2045 klimaneutral zu sein. Wasserstoff ist dabei neben der erneuerbaren Stromerzeugung ein wichtiger Baustein, sowohl für die stoffliche als auch energetische Nutzung. Der Energiepark Bad Lauchstädt wird europaweit die erste Realisierung eines Clusters sein, in der dies umgesetzt wird. Mit Windkraft wird dort über Elektrolyse grüner Wasserstoff mit einer Kapazität von 30 Megawatt produziert. Dieser wird anschließend über eine 25 Kilometer lange Pipeline zum ersten Ankerkunden, der Total-Raffinerie in Leuna, transportiert und soll perspektivisch auch in einer Salzkaverne gespeichert werden. Der Energiepark ist praktisch das Modell dafür, wie die Wasserstoffwirtschaft umgesetzt werden kann, und liefert nicht nur für uns wertvolle Erkenntnisse. Deshalb stößt das Vorzeigeprojekt international auch auf so viel Interesse.
Den Zeitrahmen haben Sie beschrieben. Die Bundesregierung plant mit einer Kapazität bis 2030 in einer Größenordnung bis 10 G igawatt. Ist das realistisch?
Der Energiepark Bad Lauchstädt wird zeigen, dass die Wertschöpfungskette funktioniert. Aber für die Skalierung müssen alle Beteiligten entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Elektrolyse bis zum Verbraucher für eine kommerzielle Vermarktung zusammengebracht werden. Und hier liegt der Hase im Pfeffer. Man muss mit dem Kunden erstmal einen Vertrag schließen, bevor Produktion und Infrastruktur aufgebaut werden können. Angebot und Nachfrage müssen zusammenfinden. Das ist entscheidend für den Markthochlauf. Im Fall von Bad Lauchstädt hat es funktioniert. Damit sind wir in einer Vorreiterposition. Jetzt muss die flächendeckende Umsetzung folgen.
Was also muss eine neue Bundesregierung dafür tun, damit der Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft Fahrt aufnimmt?
Die grobe Fahrtrichtung ist vorgegeben. Aber es gibt noch einen erheblichen Regelungsbedarf. Ein aktuelles Beispiel: Das Kraftwerkssicherheitsgesetz mit dem Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken, dass die Ampel-Regierung vor dem Bruch der Koalition verabschieden wollte, muss jetzt schnell umgesetzt werden. Das ist mit dem Bau von circa 30 bis 50 Kraftwerken eine große Aufgabe, die Zeit braucht. Hier ist unbedingt regulatorische Sicherheit wichtig, weil wir bei der Realisierung von Zeithorizonten in einer Größenordnung von 20 Jahren sprechen.
Ein zentraler Baustein, damit der Wasserstoff zum Kunden kommt, ist die Infrastruktur, also der Pipelineausbau. Muss hier eine neue Bundesregierung nachjustieren?
Antwort: Das Wasserstoff-Kernnetz ist beschlossen. Genehmigt ist eine Gesamtlänge von mehr als 9.000 Kilometern. Auch wir als VNG sind über unser Tochterunternehmen, den unabhängigen Fernleitungsnetzbetreiber ONTRAS Gastransport, Teil des Beschlusses. Nun stehen wir in den Startlöchern. Im gemeinsamen Kernnetz-Antrag der Fernleitungsnetzbetreiber ist ONTRAS zunächst mit rund 600 Kilometern Wasserstofftransportleitungen in Mitteldeutschland benannt. Davon sind circa 80 Prozent bestehende Erdgasleitungen, die auf Wasserstoff umgestellt werden. Knapp 20 Prozent sollen neu gebaut werden.
Wie hoch ist das Investitionsvolumen der VNG?
Wir investieren im hohen dreistelligen Millionenbereich. Das bedeutet zugleich die größte Einzelinvestition in der VNG-Historie. Aber was wir auch feststellen, ist, dass an wesentlichen Stellen gerade für den Markthochlauf Defizite bestehen. Das beginnt mit Fördermechanismen, die es braucht, damit die Kunden auch in der Lage sind, langfristige Verträge zu unterschreiben. Und es setzt sich fort mit dem Regulierungsrahmen auf der europäischen Ebene und der Definition von erneuerbarem und kohlenstoffarmem Wasserstoff. Die Versorger und Kunden brauchen klare und faire Regularien, die ihnen Gelingensbedingungen für Produktion und Absatz garantieren. Sonst werden sie nicht investieren, weil die Risiken zu hoch sind.
Es gibt grünen und blauen Wasserstoff. Von welchem sprechen Sie?
Grüner Wasserstoff wird über erneuerbare Energien erzeugt. Blauer Wasserstoff wird zum Beispiel mit Erdgas hergestellt, wobei das CO2 in der Produktion abgeschieden und dann über CCS-Verfahren in ausgeförderten Gas- und Öllagerstätten verpresst werden kann. Auch das ist eine klimaschonende Lösung, wofür aber die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen.
Erdgas ist also kein Auslaufmodell?
Erdgas wird im Energiemix noch eine lange Zeit, vor allem für die Absicherung der fluktuierenden erneuerbaren Energien und darüber hinaus in der Industrie, eine wichtige Rolle spielen. Die inländischen Produktionskapazitäten von grünem Wasserstoff werden nicht ausreichen, um Strom, Wärme und den Bedarf in der Industrie bis zur angestrebten Klimaneutralität 2045 zu decken. Deshalb ist es darüber hinaus auch beim Wasserstoff notwendig, auf Importmengen aus verschiedenen Regionen der Welt zurückzugreifen. VNG ist dafür bereits in Gesprächen mit möglichen Lieferanten, beispielsweise aus dem nordafrikanischen Raum und dem Nahen Osten. Zudem wird die Produktion von blauem Wasserstoff unerlässlich für die Versorgungssicherheit im Hochlauf des Wasserstoffmarktes sein. Ein wichtiger Partner hierfür könnte Norwegen sein. Aber wie gesagt: Dafür müssen die Rahmenbedingungen festgelegt werden.
Die VNG investiert auch in Biogasanlagen. Warum?
Biogas und Biomethan sind in der öffentlichen Diskussion unterschätzt. Dabei machen Biogas und Biomethan beispielsweise mehr als sechs Prozent des Bruttostromverbrauchs in Deutschland aus. Das ist kein Kleinkram, sondern eine relevante Größenordnung. In unserer Strategie VNG 2030+ ist Biogas ein Wachstumsthema. Als erneuerbarer Energieträger ist Biogas grundlastfähig, also flexibel einsetzbar, speicherfähig, lokal erzeugbar und jederzeit verfügbar. Heute betreiben wir 42 Anlagen in Nord- und Ostdeutschland und wir wollen mit unserer Biogas-Tochter BALANCE Erneuerbare Energien GmbH weiterhin wachsen.
Ulf Heitmüller steht seit 2016 an der Spitze der VNG AG. Der Diplom-Ingenieur arbeitete zuvor in unterschiedlichen Führungspositionen bei der EnBW, Shell und der BEB.