CEO.Talk
Erscheinungsdatum: 20. Juni 2025

Herr Goetz, wie wird uns Quantencomputing bis 2030 beeinflussen?

Jan Goetz, CEO von IQM, sieht Europa bei Quantencomputern weltweit vorn, warnt aber vor Rückständen bei privaten Investitionen und beim Skalieren. Während Europa mit Spitzenforschung und starken Universitäten glänzt, fehlt es laut Goetz oft am nötigen Ambitionslevel und an großen Kapitalgebern. Damit Europa im Rennen um die Quantum-Vormacht nicht zurückfällt, fordert er mehr Mut, gezielte öffentliche Aufträge und ein stärkeres Zusammenspiel von Forschung, Industrie und Investoren.

Herr Goetz, laut einem aktuellen Bericht der Harvard Kennedy School ist das Rennen um die Führungsrolle noch offen. Warum hat Europa frühzeitig den Bedarf für Investitionen ins Quantencomputing erkannt, während es bei anderen Schlüsseltechnologien hinterherhinkt?

Der Hauptunterschied ist: Quantum Computing kommt direkt aus der Wissenschaft. Seit 2015 in den USA und ab 2018 in Europa haben führende Tech-Universitäten ihre Spinouts gegründet. Dort, wo exzellente Forschung betrieben wird, entstehen heute auch die besten Quantum-Firmen. Hier ist Europa sehr stark aufgestellt: Top-Universitäten, exzellente Programme, starke Forschung. Im Gegensatz dazu sind Cloud und KI reine Skalierungsthemen.

Hat Europa überhaupt das Mindset, einen eigenen Tech-Giganten wie in den USA zu schaffen?

Was Europa oft fehlt, ist das nötige Ambitionslevel. In Europa herrscht eine große Angst vor Failure – in den USA ist das anders: Dort probiert man es, scheitert vielleicht, lernt daraus und startet neu. Hierzulande fürchtet man, für immer gebrandmarkt zu sein, wenn etwas schiefgeht. Diese Angst müssen wir ablegen. Wir brauchen mehr Mut und Ambition, um global führende Firmen aus Europa zu bauen –ohne gegenseitiges Fingerpointing, wenn mal etwas nicht klappt.

Was muss passieren, damit Europa einen eigenen Hyperscaler für Frontier Technologies aufbaut?

Europa hat einen riesigen Markt – größer als die USA zusammengenommen. Das Potenzial ist da. Entscheidend ist, ein passendes Business Modell und klare USPs zu entwickeln, warum ein europäischer Hyperscaler Sinn macht. Mögliche Ansatzpunkte sind zum Beispiel Sovereign Cloud, wo Europa mit Datensouveränität punkten kann, oder die Integration von Quantum AI – denn wir haben Top-Player in Quantum und starke AI-Firmen wie Mistral in Frankreich oder Silo AI in Finnland.

NVIDIA hatte in den 1990er-Jahren wenig Kapital, heute sind sie Weltmarktführer. Sehen Sie Ihr Unternehmen in einer ähnlichen Rolle für Quantum Computing? Ist es das Ziel, die Nummer Eins zu werden?

Ich denke, wir haben das Potenzial, so eine Rolle einzunehmen. Betrachtet man die Zahl der weltweit direkt beim Kunden installierten Systeme, sind wir führend. Unser Ziel ist es nicht, ein Cloud-Hyperscaler zu werden, sondern die besten Quantencomputer der Welt zu bauen und auszuliefern. Die Anwendungen sollen auf unseren Maschinen laufen – und wir wollen, dass alle großen Cloud-Anbieter, die Hyperscaler, unsere Quantencomputer in ihre Clouds integrieren.

Die AI-Giga-Factories sind derzeit ein großes Thema. Sehen Sie Ihr Unternehmen als den Haupt-Quantum-Partner in diesen Giga-Factories in ganz Europa?

Ja, unser Ziel ist es, als Quantum-Partner in diesen Giga-Factories mitzuwirken. Das macht Sinn, und es gibt bereits Vorbilder: In Finnland wird am Lumi-Supercomputer ein Quantencomputer als experimentelle Plattform integriert. Genau diesen Weg sollten auch die neuen AI-Giga-Factories einschlagen.

Führende Experten sind sich dennoch uneins, wann die ersten echten Anwendungsfälle für Quantencomputer kommen. In Deutschland rechnet man meist mit etwa zehn Jahren, in den USA oft mit zwei bis fünf Jahren. Wie positionieren Sie sich in dieser Debatte um den nutzbaren Quantencomputer?

Ich bin optimistischer als die Zehn-Jahres-Prognosen. Es gibt große Fortschritte: So hat Google kürzlich einen Algorithmus vorgestellt, der die Hardware-Anforderungen für das Knacken von RSA-Codes von 20 Millionen auf eine Million Qubits gesenkt hat. Das ist ein enormer Sprung. Quantum Computing entwickelt sich schneller als viele denken.

Sie streben bis 2030 eine bestimmte Qubit-Zahl an – was ist Ihr Ziel für die nächsten fünf Jahre?

Man muss bei Qubit-Announcements aufpassen: Entscheidend ist nicht nur, wie viele Qubits auf dem Chip sind, sondern wie viele davon als logische Qubits nach Fehlerkorrektur wirklich nutzbar sind. Besonders unser Ansatz zur Fehlerkorrektur ist deutlich effizienter als der Surface Code, den beispielsweise Google nutzt. Wir glauben, dass schon mit ein paar hundert logischen Qubits extrem spannende Anwendungen möglich sind – und das erreichen wir deutlich vor 2030.

Wie wird uns Quantum Computing bis 2030 beeinflussen? Wo werden Nutzer Veränderungen spüren?

Für die meisten Menschen bleibt der Quantencomputer unsichtbar, weil er im Hintergrund – etwa in Rechenzentren – arbeitet. Ein Beispiel: Die tägliche Routenplanung auf dem Smartphone könnte durch Quantenalgorithmen optimiert werden. Auch in der personalisierten Medizin wird Quantum Computing helfen, individuellere Therapien zu entwickeln, etwa bei Krebs, indem es Wirkstoffe simuliert, die klassische Computer nicht berechnen können. So kommen wir weg von „One-Size-fits-all“.

Auf der GITEX Europe haben Sie betont, dass Europa bei Investitionen in Quanten dem US-Markt voraus ist, aber bei privaten Initiativen und beim Skalieren hinterherhinkt. Was muss in den nächsten Jahren passieren, damit Europa das Rennen nicht verliert?

Bei Investitionen muss man unterscheiden: Schaut man auf die Zahl der gekauften Quantum Computer für Rechenzentren, liegt Europa tatsächlich vorn. Doch bei privaten Investitionen und Budgets für Quantum-Entwicklung, etwa von Google oder IBM, sind die USA klar stärker. Damit Europa führend bleibt, müssen wir bei Deployments in Rechenzentren tiefer reingehen und gleichzeitig mehr große Investoren gewinnen.

Sehen Sie diese großen Investoren auch in Europa?

Grundsätzlich ja, aber das Kapital ist in Europa viel fragmentierter als in den USA. Beim Fundraising müssen wir oft Konsortien aus mehreren Investoren bilden, um größere Summen zu erreichen. Es ist möglich, aber die USA sind bei den Zahlen weiterhin führend. Europa muss hier aufholen – etwa, indem endlich auch Pensionsfonds in Ländern wie Deutschland investieren dürfen, damit wir wettbewerbsfähig bleiben.

Welche Rolle sollte die Regierung in Deutschland beim Thema Quantum Computing in den nächsten Jahren spielen?

Am effizientesten nutzt die Regierung Steuergeld, indem sie Public Procurement betreibt – also gezielt öffentliche Aufträge für Quantum-Technologien vergibt. Offene Ausschreibungen schaffen Wettbewerb, sorgen dafür, dass sich die beste Technologie durchsetzt, und geben Unternehmen durch konkrete Verträge Planungssicherheit. Mit den Umsätzen aus solchen Aufträgen können Firmen zusätzliches Privatkapital mobilisieren. Reine Forschungsförderung ist weniger effektiv.

Ein weiterer Punkt ist, die Endnutzer stärker einzubinden. Die Regierung kann als Koordinator auftreten und Projekte fördern, in denen Unternehmen wie wir direkt mit großen Industriepartnern – etwa Volkswagen oder Siemens – zusammenarbeiten. Solche von der Regierung unterstützten Initiativen schaffen echtes „Industry Buy-in“.

Was wünschen Sie sich von der Quantum-Szene in den nächsten Jahren?

Wir müssen zeigen, dass Quantum Computing bereits funktioniert und großes Potenzial hat. Die Szene sollte sich stärker öffnen und mit anderen Bereichen vernetzen – es reicht nicht, wenn nur Quantum-Physiker daran arbeiten. Wir brauchen Softwareentwickler, Elektroingenieure, Marketing- und andere Professionals, die gemeinsam an einer echten Industrie bauen.

Jan Goetz ist Quantenphysiker und Mitgründer sowie Co-CEO von IQM Quantum Computers, einem führenden europäischen Unternehmen für Quantencomputer. Er promovierte an der TU München über supraleitende Quantenschaltkreise und war als Marie-Curie Fellow an der Aalto University in Helsinki tätig. Goetz wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem als „Founder of the Year“ vom Handelsblatt 2023, und ist in verschiedenen europäischen Innovationsgremien aktiv.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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