Von Moritz Schularick
Die Verteidigung beherrscht die öffentliche Diskussion. Zwei Fragen stehen dabei im Zentrum der Debatte: Kann Europa die Ukraine aus eigener Kraft unterstützen, wenn die USA ausfallen? Kann sich Europa aus eigener Kraft, also ohne die USA, verteidigen und Russland glaubhaft abschrecken? Die Antwort lautet zweimal ja.
Warum das im Fall der Unterstützung für die Ukraine so ist, zeigt ein Blick auf den Ukraine Support Tracker des Kiel Instituts für Weltwirtschaft. Die militärische Unterstützung der USA für die Ukraine betrug rund 21 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Dies entspricht gerade einmal 0,12 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung der EU. Aus ökonomischer und finanzieller Sicht kann Europa hier ohne größere Probleme einspringen. Eine zusätzliche Unterstützung in diesem Umfang ist finanziell ohne weiteres möglich. Zum Vergleich: Die EU gibt fast dreimal so viel ̶ circa 55 Milliarden Euro ̶ jedes Jahr für die gemeinsame Agrarpolitik aus.
Der Engpass sind reale Produktionskapazitäten in der Verteidigungsindustrie. Sie müssen schnell beseitigen und Kapazitäten aufbauen, sowie die Skalierung von neuen Technologien und die Einbindung der ukrainischen Verteidigungsindustrie in europäische Produktionsketten umsetzen. Das sind die Probleme, nicht Europas begrenzte ökonomische und finanziellen Möglichkeiten.
Auch gemeinsame europäische Anleihen in entsprechendem Umfang wären ohne Risiken für die Stabilität der europäischen Staatsfinanzen möglich. Wer bei diesen Größenordnungen Finanzrisiken an die Wand malt, hat den Ernst der Lage nicht verstanden. Denn die Kosten, die Ukraine nicht zu unterstützen, würden für den deutschen Steuerzahler zehnmal höher sein. Auch das zeigen Schätzungen des Kiel Instituts für Weltwirtschaft.
In Bezug auf Europas Verteidigungsfähigkeit und Abschreckung gegenüber Russland sprechen die Daten ebenfalls eine sehr klare Sprache. Die EU hat, sogar ohne Großbritannien, dreimal so viele Einwohner wie Russland, ein BIP, das neunmal und eine Industrieproduktion, die fünfmal größer ist. Selbst unsere Stahlproduktion ist annähernd dreimal größer als die russische. Die Schlussfolgerung ist klar: wenn Europa zusammensteht, ist es viel stärker.
Es geht jetzt darum, unsere Ressourcen zu bündeln und gezielt einzusetzen. Und zwar schnell. Europas Verteidigungsfähigkeit ist eine Frage des politischen Willens und des gezielten Kapazitätsaufbaus, nicht der ökonomischen Möglichkeiten. Worauf es ankommt, ist ein massives, aber gezieltes Investitionsprogramm in die europäische Sicherheit, das darauf abzielt, die Verteidigungsfähigkeit Europas auch dann sicherzustellen, wenn der Bündnispartner USA ausfällt. Für andere Szenarien zu planen, wäre nach den Ereignissen der letzten Tage gefährlich und fahrlässig.
Aus ökonomischer Sicht gilt es dabei, nicht nur die Kosten, sondern auch den Nutzen dieser Investitionen in unsere Sicherheit ins Auge zu nehmen: Verteidigungsausgaben haben messbare ökonomische Effekte auf das Wachstum. 100 Milliarden zusätzlich würden das BIP um 60 bis 150 Milliarden steigern. Das Wachstum der Sicherheitsindustrien dürfte zudem den Strukturwandel abfedern und Arbeitskräfte aus Branchen wie der Automobilzulieferung oder dem Maschinenbau aufnehmen.
Langfristig fördern Verteidigungsinvestitionen technologische Innovationen mit zivilem Nutzen – Beispiele sind Internet, GPS oder Düsenantrieb. Deutschland kann aktuell eine ganze Generation von Militärtechnologie überspringen, die durch neue Entwicklungen obsolet geworden ist, und direkt in Drohnen- und KI-Technologien investieren, um seinen technologischen Rückstand aufzuholen. In der schwierigen Lage stecken so reale ökonomische Chancen.
Klar ist: Europa muss den Freiheitskampf der Ukraine weiter unterstützen und sich deshalb für den Krieg rüsten, weil wir ihn vermeiden wollen. Europa muss zusammenfinden, seine besten Köpfe und ökonomischen Ressourcen zusammenbringen, um die enormen Herausforderungen zu meistern und seine eklatanten militärischen und technologischen Schwächen zu überwinden. Nur dann wird Europa seine eigene Zukunft in der Hand haben.
Prof. Moritz Schularick ist Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW).