Nachrichtendienste sind wichtige Akteure der Sicherheitspolitik. In Deutschland unterliegen sie strenger politischer Kontrolle sowie kritischer öffentlicher Beobachtung. Doch im krassen Kontrast zu Bedeutung und Öffentlichkeitsanspruch gibt es an deutschen Hochschulen im Unterschied zu anderen europäischen Ländern kaum systematische Forschung und Lehre über Nachrichtendienste. Dabei zeichnet sich nicht erst seit der Zeitenwende ab, dass ein breites Spektrum von Akteuren – von politischen Entscheidungsträgern über Behörden und Medien, von der Wirtschaft bis hin zu NGOs – Zugang zu unabhängiger wissenschaftlicher Expertise benötigt. Innerhalb wie außerhalb Europas sind solche Intelligence Studies an Universitäten und Thinktanks seit langem etabliert.
Deutschland muss seine akademischen Ressourcen im Bereich der Intelligence Studies stärken, um eine kritische und sachkundige Analyse der deutschen Nachrichtendienste und der nachrichtendienstlichen Mittel aus einer unabhängigen wissenschaftlichen Sicht zu gewährleisten. Zuvorderst brauchen wir in Deutschland einen öffentlich zugänglichen Studiengang. Angesichts knapper Mittel und kompetitiver Forschungsförderung könnten dazu auch mehrere Universitäten gemeinsam einen interdisziplinären Studiengang in Intelligence Studies einrichten, der sich aus Lehrteilen der Politikwissenschaft, der Soziologie, der Geschichts- und der Rechtswissenschaft sowie der Psychologie zusammensetzt.
In Großbritannien und den USA bieten renommierte Universitäten wie das King’s College und die Georgetown University im Bereich der Intelligence Studies spezialisierte Studiengänge an. Aber auch europäische Nachbarn wie Frankreich, Österreich, die Niederlande, Spanien und Italien stellen umfangreiche Programme und Forschungseinrichtungen. Diese Forschungseinrichtungen und Studiengänge beschäftigen sich sowohl mit funktionalen Ansätzen, die direkt die Arbeit der Dienste unterstützen, als auch mit kritischen Perspektiven, die Nachrichtendienste aus einer unabhängigen wissenschaftlichen Sicht analysieren.
Intelligence Studies in Deutschland könnten die Tätigkeit der Kontrollinstanzen – der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, der Mitarbeitenden der Abgeordnetenbüros und der Fraktionen, der Medien und auch der behördlichen Fachaufsicht – weiter professionalisieren. Darüber hinaus könnten aber auch deutsche Unternehmen, die immer mehr mit Wirtschaftsspionage, Desinformation, Verschwörungstheorien wie auch Methoden wie Open Source Intelligence konfrontiert sind, von den Intelligence Studies profitieren.
Drittmittelgeber wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Volkswagen Stiftung wie auch politische Stiftungen sollten Forschende gezielt im Bereich der Intelligence Studies unterstützen. Auch internationale Kooperationen im Bereich der Intelligence Studies sollten den Austausch fördern und die Qualität der Forschung verbessern.
Stiftungen, Thinktanks und andere Akademien und Institute sollten sich dem Thema Nachrichtendienste nähern und eigene Stellen zu diesem Thema schaffen und eine Diskussion im öffentlichen Raum anregen. Schließlich sollte auch eine halbjährig erscheinende, deutschsprachige Fachzeitschrift mit Fokus auf Intelligence Studies gegründet werden und bestehende Fachjournale Sonderhefte zu dem Thema herausbringen.
Entscheidend ist, dass Deutschland die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Nachrichtendiensten als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreift und entsprechende Handlungsempfehlungen umsetzt. Nur so kann eine fundierte, kritische und öffentliche Debatte über die Rolle und die Tätigkeiten der Nachrichtendienste geführt werden, die für eine lebendige Demokratie und eine effektive Sicherheitspolitik unerlässlich ist.
Ali Dogan arbeitet bei Ernst Young im Bereich Forensic Integrity Services. Er hat zur Arbeit des Bundesnachrichtendienstes und der irakischen Nachrichtendienste an der Freien Universität Berlin promoviert. Sein Arbeitspapier für die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Baks) zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Nachrichtendiensten finden Sie hier.