Table.Briefing: Bildung

Pandemie-Fehler + ZUM wird 25 + Design Thinking

  • Schulschließungen: aus Fehlern lernen
  • Rezension: Design Thinking für Schulen
  • Sachsen-Anhalts Digitalpakt tritt auf der Stelle
  • Schleswig-Holstein: CDU sorgt sich um Kinder
  • Seit 25 Jahren OER: Was macht die ZUM eigentlich?
Liebe Leserin, lieber Leser,

heute treffen sich die Kultusminister, um sich über die Ausbreitung der Omikron-Variante des Corona-Virus unter Kindern zu informieren und ihre Reaktionen darauf abzustimmen. Es ist jetzt schon absehbar, was sie beschließen werden: die Schulen prinzipiell offenzuhalten – und den Schulen zu überlassen, ob sie lieber Präsenz-, Wechsel- oder Distanzunterricht mit ihren Schülern praktizieren wollen. 

Wir sind einen Schritt weiter gegangen und haben gefragt: Welche Fehler sollten sich nicht wiederholen? Unser neuer Kollege Niklas Prenzel hat mit kundigen Menschen darüber gesprochen, wie Deutschland der Vize-Europameister beim Zusperren von Schulen werden konnte – und was die Pädagogen besser machen wollen, wenn es wieder dazu kommt. 

Wissen Sie, wer die “Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet” ist? Machen Sie sich nichts draus. Denn die meisten wissen nicht, wer dieses ZUM ist und was die eigentlich machen. Gerade Lehrer haben oft keine Ahnung davon – obwohl es ein Ort ist, wo man sich bereits heute Unterrichtsmaterialien in vielen Fächern herunterladen und nutzen kann. Umsonst. Sofie Czilwik gratuliert dem schlafenden Riesen zum Geburtstag.

Ein frohes neues Jahr wünscht Ihnen

Ihr
Christian Füller
Bild von Christian  Füller

Analyse

Schulschließungen: aus Fehlern lernen

Schulschließungen: Aus Fehlern lernen
Das Team von Krisenchat.de: Ist für Jugendliche rund um die Uhr per Chat erreichbar.

Zwei Jahre ist es bald her, dass Deutschlands Schulen von einem auf den anderen Tag schließen mussten und digital wurden, um die erste Welle der Pandemie zu brechen. Lehrer:innen verschickten ihre Arbeitsblätter mal als PDF, mal ausgedruckt per Post. Distanzunterricht war so sehr Neuland, dass ein Wikipedia-Eintrag darüber erst noch verfasst werden musste.

Schulleiter Kornelius Knettel, 40 Jahre, stand damals vor der schwierigen Aufgabe, alle seine Schüler digital zu erreichen. Am Familiengrundschulzentrum Sonnenstraße im Düsseldorfer Bahnhofsviertel lebt die Hälfte der Schüler:innen von Sozialleistungen. Es ist eine “Brennpunktschule“, von denen die neue Bundesregierung bald 8.000 besonders fördern möchte. Doch im Frühjahr 2020 war Knettel auf sich allein gestellt, musste improvisieren. Zwar riefen die Lehrer:innen bei den Schüler:innen an, klingelten an den Türen, dennoch seien 30 bis 40 Prozent der Schüler dem digitalen Unterricht fern und stattdessen im Bett oder vor dem Fernseher geblieben. “Im ersten Lockdown waren wir nicht da. Wir haben nur reagiert”, resümiert er selbstkritisch. 

Deutschland: Vize-Europameister bei Schulschließungen

Der Kampf gegen die Pandemie hat Deutschland zum Vize-Europameister gemacht, wenn es ums Schließen von Schulen geht. Im Schnitt waren sie 36 Wochen ganz bzw. teilweise geschlossen. Sechs außerplanmäßige große Ferien innerhalb von 1,5 Jahren. Manche Schüler:innen nutzten diese gut zum selbstorganisierten Lernen, andere hingegen wurden immer weiter abgehängt. Meist waren es die Kinder aus Akademiker-Elternhäusern, die von der neuen Lernsituation profitiert oder zumindest keinen Schaden genommen haben. Auch deshalb wiederholen Politiker:innen in den vergangenen Wochen mantraartig und ungewohnt einig, dass Schulen nur als letztes Mittel erneut geschlossen werden dürfen. 

Doch hat die ansteckendere Omikron-Variante längst die Zuversicht durchkreuzt, dass die Gesellschaft einen ersehnten postpandemischen Winter und Schulbetrieb erleben wird. Zwar wiederholt sich derzeit nicht das Muster, Schulen zu schnell, zu fortdauernd und zu flächendeckend zu schließen (letzteres verbietet das aktuelle Infektionsschutzgesetz ohnehin). Aber ein Verharren auf einmal verkündeten, politischen Versprechen (Stichwort: Impfpflicht) ist kein erfolgversprechender Weg in der Pandemie, zumal der Schulbetrieb durch sich in Quarantäne befindende Lehrkräfte und Schüler:innen mancherorts bald schon lückenhaft werden könnte.

Lehrer-Präsidentin: Realistische Erwartungen an Distanzunterricht von Schulen stellen

Simone Fleischmann, Präsidentin des bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands, fordert daher, dass Schulschließungen nicht länger kategorisch ausgeschlossen werden können. “Das Virus ist nicht planbar und hält sich weder an die Ferientaktung der Bundesländer, noch die Wünsche der Politiker”, sagt sie. Lehrer, Politiker:innen und Schüler sollten nach 1,5 Jahren Pandemie endlich mit realistischen Erwartungshaltungen an den Distanzunterricht herantreten. “Er wird nie die Effizienz eines Präsenzunterrichts erreichen“, sagt Fleischmann. Die Schocktherapie, mit der Deutschlands Schulen in die Digitalisierung gestoßen wurden, habe die Unterschiede zwischen den Schulen enorm vergrößert. “Die Schulen, die schon vor Corona digital stark waren, sind noch stärker geworden.” Genauso seien die Schwachen schwächer geworden.

Das zeigt auch die aktuelle Studie “Schule digital” der Telekom-Stiftung. Jede zweite Lehrkraft hat in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren eine Fortbildung zum digitalen Unterricht besucht. Doch variieren die Antworten je nach Bundesland stark: bildeten sich in Bayern oder Berlin 66 Prozent fort, waren es in Baden-Württemberg oder Brandenburg lediglich 39 Prozent. Und das bundesweite Problem des schulischen Internetzugangs bleibt bestehen. In jeder zweiten Schule klagen die Lehrkräfte über unzureichendes Internet im Schulgebäude. “Es gibt Schulen im Münchener Süden, die tiptopp mit Geräten ausgestattet sind, aber das WLAN fehlt immer noch“, sagt Fleischmann.

Schulen entscheiden über Schließungen: Rücksicht auf psychische Folgen

Alle Beteiligten haben in den vielen Monaten des schulischen Ausnahmezustands gelernt: Nicht nur die pandemische Lage ist von Schule zu Schule sehr unterschiedlich, auch die Bedingungen für guten digitalen Unterricht. Dass die einzelnen Schulen mehr Autonomie in der Entscheidung über Präsenz- und Distanzunterricht bekommen sollen, hört man dieser Tage von vielen Expert:innen. Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerin Simone Oldenburg (Linke) stellte am Montag ein Drei-Phasen-Modell vor, mit dem das Land auf die Omikron-Variante reagieren will. Schulen haben dabei größere Entscheidungskompetenz.

Je nach Einschränkung des Schulbetriebs durch fehlende Lehrkräfte können die Schulen selbst entscheiden, ob Klassen zu Hause unterrichtet werden oder nicht. “Präsenzunterricht hat in allen Phasen Vorrang”, sagt Oldenburg. Das geht so weit, dass selbst in Phase Drei, wenn schon viele Klassenstufen im Distanzunterricht lernen, der Förderunterricht in Präsenz stattfindet. Die Mehrheit der im Bundeselternrat vertretenen Länder stellt sich bereits hinter das Modell und möchte mit den jeweiligen Bildungsministerien darüber ins Gespräch kommen.

Krisenchat: Täglich mehr als 100 Hilfesuchende

Es ist ein Modell, das auch Melanie Eckert gutheißt. Die Psychologin hat im April 2020 Krisenchat.de gegründet, ein digitales psychologisches Hilfezentrum. Per WhatsApp oder SMS können sich Kinder und Jugendliche von Psycholog:innen beraten lassen. “Der Fokus lag während der Schulschließungen zu oft auf reiner Wissensvermittlung“, sagt Eckert. Häusliche und sexuelle Gewalt seien Tabuthemen, die in der Pandemie aber zugenommen haben.

Verschiedene Studien zeigen eine enorme psychische Belastung, der Kinder und Jugendliche ausgesetzt sind. Fast jedes dritte Kind zeigt laut COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf psychische Auffälligkeiten. Und so beraten die 27 festangestellten und 300 ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen täglich mehr als 100 Hilfesuchende. “Immer, wenn es zu Schulschließungen kam, nahmen die Themen ‘Cybermobbing’ und ‘familiäre Konflikte’ in unseren Beratungen zu“, sagt Eckert. Aber auch wenn die Schulen wieder öffneten, ebbte das Interesse nicht ab. Dann sei es häufiger um soziale Ängste gegangen. 

Als die Düsseldorfer Grundschule nach dem ersten Lockdown wieder öffnen durfte, wusste Schulleiter Knettel, was zu tun ist, um für künftige Schulschließungen vorbereitet zu sein: Er setzte digitales Lernen auf den Lehrplan. Die Stadt hatte in der Zwischenzeit Leihgeräte und eine Lernplattform gestellt. Damit sollten die Schüler nun täglich im Präsenzunterricht arbeiten – und sich beiläufig für neue Schulschließungen wappnen. Als es wieder so weit war, führte die Schule täglich zwei verbindliche Videokonferenzen ein. Die Klassenlehrer:innen waren fünf Stunden durchgehend per Chat erreichbar. “So haben wir nur drei bis vier Prozent der Schüler verloren“, sagt Knettel. Ein weiteres Mal Distanzunterricht? Vorbereitet wäre er; dass es passiert, glaubt er nicht. Im Mai seien Landtagswahlen und die Bildungsministerin wolle alles dafür tun, die Schulen offenzuhalten.

Mehr zum Thema

    • Schulschließungen
    • Simone Fleischmann

    Blogpost

    Design-Thinking-Buch vergisst Schüler und Lehrer

    Ein Gastbeitrag von Tobias Schreiner

    “Innovation kann man lernen” lautet der Untertitel des Sammelbands zu Design Thinking in der Bildung. Die Herausgeber Christoph Meinel, Direktor des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) in Potsdam und Dr. Timm Krohn, CEO der dortigen HPI Academy, in 18 Kapiteln Erfahrungen, Methoden und Reflexionen zum Design Thinking in der Ausbildung aus den unterschiedlichen Perspektiven von 30 Expert:innen des HPI-Netzwerks zusammengestellt haben. Mit dieser fast 500 Seiten fassenden Aufsatzsammlung unterstreicht das HPI den eigenen Anspruch, der “führende Hub im Bereich Design Thinking” europaweit zu sein. 

    Design Thinking als Tranformationstool zur Kultur der Digitalität

    Nun ist Design Thinking keineswegs unumstritten oder alternativlos. Manche kritisieren das Konzept als unscharf oder – mit der Basis menschenzentrierter Gestaltungsprozesse im Hinterkopf – als alten Wein in neuen Schläuchen. Andere bemängeln, dass die Komplexität aktueller Herausforderungen weniger multidisziplinäre Teams, sondern mehr die Fähigkeit zu intrapersonal-interdisziplinärem Denken benötige.

    Dennoch hat sich Design Thinking in den letzten 15 Jahren in vielen Kontexten als Innovationsansatz etabliert. Es hilft, komplexe Probleme anzugehen und Veränderungen zu steuern. Früher fand es nur als Methode für die Entwicklung von Produktinnovation Anwendung. Das HPI erweiterte Design Thinking durch seine Arbeit zu einem kompletten Ansatz für Strategieentwicklung und Transformationsmanagement in einer Kultur der Digitalität.

    Das Bildungswesen: behäbig, konservativ, aus der Zeit gefallen

    Demgegenüber wirkt das Bildungswesen – ganz gleich ob Schule, betriebliche oder universitäre Bildung – oft behäbig, konservativ, fast aus der Zeit gefallen. “Eine Technologie des 21. Jahrhunderts passt nicht mit einer Pädagogik aus dem 20. Jahrhundert und einer Schularchitektur aus dem 19. Jahrhundert zusammen”, brachte PISA-Chef Andreas Schleicher das Problem auf den Punkt. 

    Das vorliegende Buch will nach eigenem Anspruch ein größeres Verständnis für das Potenzial von Design Thinking in der Bildung ermöglichen. Es richtet sich “an Menschen, die in unterschiedlichsten Bildungskontexten arbeiten oder sich für diese interessieren”. 

    Löst es dieses Versprechen ein? Ja und nein: Jede an Bildung interessierte Person wird sicherlich ein, vermutlich mehrere Kapitel des Buches mindestens interessant, womöglich hoch spannend und erkenntnisreich finden; das garantiert die Vielfalt der Themen und Autor:innen. Design-Thinker, so ist zu lesen, würden ein gründlicheres Problembewusstsein entwickeln. Sie verfolgten im Team einen nutzerfokussierten Denk- und Lösungsansatz verfolgen. Am Ende übersteige die Problemlösekraft des Teams die Summe addierten Spezialwissens. Wie das ganz konkret umsetzbar ist, erläutern die einzelnen Kapitel auf zahlreichen Ebenen.

    Viele New-Work-Buzzwords, kein Wort zu den Kosten der Zertifizierung

    Dabei ist die Tonalität durchwegs bestimmt von einer großen Begeisterung für die eigene Arbeit; aber das muss ja nicht negativ sein, sieht man einmal vom offensichtlichen Werbeblock (Kapitel 15: Das Zertifizierungsprogramm für Design-Thinking-Coaches an der HPI Academy) ab, der zwar kein New Work Buzzword weglässt, dafür aber den durchaus stattlichen Kostenbeitrag ausspart. Die 17.500 Euro findet man erst, wenn man auf der Homepage der HPI Academy danach sucht.

    Schuldig bleibt die Sammlung die Einlösung ihres Versprechens, sich an Menschen aus unterschiedlichsten Bildungskontexten zu richten. Wenn von Bildung die Rede ist, von Lernenden und Lehrenden, ist fast ausschließlich der Bereich (post-)akademischer (Aus-)Bildung gemeint, es geht also um Studierende und Professionals. Der Bereich der primären und sekundären (Schul-)Bildung (K12) bleibt außen vor – abgesehen von der gelegentlichen Forderung, sich wandeln zu müssen. Eine Laudatio auf die hauseigene “HPI Schul-Cloud” gibts außerdem.

    Stanfords d.school ist Ideenschmiede für schulische Bildung

    Und das ist sehr schade, unterhält doch die d.school Stanford sogar ein eigenes K12 Lab als kreative Ideenschmiede für den Bereich der schulischen Bildung und es wäre nicht nur interessant, sondern würde auch die potenzielle Leserschaft auch erheblich erweitern, würde man auch über diese Ansätze und Erkenntnisse etwas erfahren.

    Zusammenfassend bietet die vorliegende Sammlung einen interessanten, abwechslungsreichen Einblick in die breit gefächerte Arbeit zum Design Thinking am HPI und dessen internationalem Netzwerk. Für Menschen mit einem beruflichen Schwerpunkt im nichtakademischen Bildungsbereich leider kaum praxisbezogene Anregungen dabei sind.

    Meinel, Christoph / Krohn, Timm (Hrsg): Design Thinking in der Bildung. Innovation kann man lernen. Wiley-VCH, Weinheim, 480 Seiten, € 34,99. Tobias Schreiner ist bayerischer Schulleiter und Vorreiter digitaler Bildung.

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      • Schule

      News

      Infrastruktur-Ausbau in Sachsen-Anhalt stockt trotz Digitalpakt

      Viele Digitalpakt-Projekte in Sachsen-Anhalt sind trotz Bewilligung noch nicht umgesetzt. 652 Projektanträge, die insgesamt 107 Millionen Euro kosten, liegen dem Landesverwaltungsamt vor. Davon sind 104 Millionen Euro bewilligt – ausgezahlt aber erst 1,4 Millionen. Das sagte Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) zur Deutschen Presse-Agentur.  Es scheitert also nicht beim Geld, sondern bei der konkreten Umsetzung der Projekte. “Das größte Problem bereitet mir dabei die Infrastruktur in den Schulen. Wir sehen am Abfluss der Digitalpakt-Mittel, dass es stockt. Es ist ganz wichtig, dass wir innerhalb der Schule WLAN haben”, sagte Feußner. Die damit verbundenen Baumaßnahmen laufen nicht reibungslos. Die CoronavirusPandemie, Liefer- und Materialschwierigkeiten sowie fehlende Kapazitäten bei umsetzenden Firmen verzögern den Infrastruktur-Ausbau an Schulen in Sachsen-Anhalt.

      Die Lieferschwierigkeiten betreffen unter anderem die Ausstattung von Lehrenden und Schüler:innen mit Laptops und Tablets. Von den rund 200.000 Schüler:innen haben laut Feußner bisher 30.000 ein Gerät bekommen. Das sind 15 Prozent. Bei Lehrerinnen und Lehrern sind allerdings schon 80 Prozent mit einem mobilen Endgerät ausgestattet. Die Bildungsministerin sieht eine generelle Verbesserung in den technischen Kompetenzen und Ausstattungen ihrer Schulen. Dazu habe der Umstieg vieler Schulen auf die Lernplattform Moodle sowie das Erarbeiten von medienpädagogischen Konzepten beigetragen.

      Der Digitalpakt Schule fördert die digitale Modernisierung mit 6,5 Milliarden Euro und läuft vorerst bis 2024. Die neue Bundesregierung möchte den Digitalpakt bis 2030 fortsetzen (Bildung.Table berichtete). Enno Eidens

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        • Digitalpakt
        • Sachsen-Anhalt

        Daniel Günther (CDU) macht Wahlkampf mit Bildung

        Am 8. Mai wählt Schleswig-Holstein einen neuen Landtag. Der amtierende Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) will nun Kinder und Jugendliche öffentlichkeitswirksam auf seine Wahlkampfagenda setzen. “Kinder und Jugendliche haben in der Corona-Pandemie auf unglaublich viel verzichten müssen. Ihnen müssen wir hohe Aufmerksamkeit schenken”, sagte er zur Deutschen Presse-Agentur. Die Politik müsse jetzt handeln, um jungen Menschen eine Perspektive zu geben. Die Schulstruktur in Schleswig-Holstein sei bereits sehr gut optimiert – eine erneute Bildungsreform unter Günther wird es also nicht geben. Der Ministerpräsident sagte, dass das Thema digitale Bildung in Schleswig-Holstein durch die Erfahrungen in der Coronavirus-Pandemie an Bedeutung gewonnen habe und zeigte sich zufrieden mit den vielen Schulen in Schleswig-Holstein, die inzwischen über Glasfaser-Anschluss verfügen. Enno Eidens

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          • Bildungsreform
          • Breitband
          • Digitalisierung
          • Schleswig-Holstein

          Makerspace

          ZUM – der stille OER-Riese

          ZUM verteilt OER Materialien.
          Offen und nicht-kommerziell verteilt die ZUM Lernmaterialien (Screenshot).

          25 Jahre ZUM sind auch 25 Jahre Internetgeschichte im deutschen Schulsystem. Und alleine diese Tatsache dürfte so einige überraschen. Die kleine Gruppe von engagierten Lehrer:innen tat sich Mitte der 90er-Jahre zusammen. Sie luden Schulmaterial im Internet hoch, um es mit Kolleg:innen zu teilen. Damals war das Internet noch teuer und nur die wenigsten nutzten es regelmäßig. Und was OER oder Open Educational Resources sind, wusste kaum jemand – dabei hat die ZUM offene Lernmaterialien irgendwie miterfunden.

          “Die ZUM war damals ihrer Zeit zehn oder fünfzehn Jahre voraus”, sagt Medienpädagoge und OER-Experte Jöran Muuß-Merholz. Das World Wide Web als Lern- und Lehrhilfe zu verstehen, wie es auf der Homepage heißt, war vor 25 Jahren in einer Zeit von Overheadprojektoren und selbstgemalten Arbeitsblättern eine vorausschauende Idee. Zumal kaum eine Schule damals überhaupt Zugang zum Internet hatte. Doch die “Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet”, wie sich die Gruppe aus Lehrer:innen damals taufte, erkannte das Potenzial der Online-Vernetzung für die Schule und das Lernen.

          Und auch wenn der Name der Initiative nach Vintage klingt, hat sich der eingetragene Verein im Gegensatz zu einigen kurzlebigen Bildungsstartups bis heute gehalten – ohne große Geldgeber, getragen von ehrenamtlicher Arbeit. “Wir verstehen uns weiterhin als Pioniere im Internet”, sagt Klaus Dautel. “Wir sind ein kreativer Anbieter und erstellen nicht nur Unterrichtsmaterial, sondern bieten eine Plattform, die Schüler und Lehrer gemeinsam nutzen können, um Unterrichtsprozesse zu entwickeln.”

          Bildungswiki und Datenbank: kostenfreie Lerninhalte mit Qualität

          Von 2004 bis 2021 pflegte das ZUM ein Bildungswiki, das zwar seinen Betrieb einstellen musste, aber lange als Referenz für freie Lernmaterialien mit Creative Commons-Lizenz galt. Dafür gewann das Wiki im Jahr 2016 den OER-Award. Es verstand sich als offene Plattform für alle Interessierten, für unterschiedliche Fächer und für zahlreiche Themen. Doch das ZUM-Wiki wurde zu undynamisch für die heutigen Anforderungen im Netz.

          Deshalb gibt es die besten Inhalte aus dem Wiki nun bei ZUM-Unterrichten in neuen interaktiveren Darstellungsformen. Für insgesamt neun Fächer, darunter Chemie, Deutsch oder Ethik, können Lehrerinnen und Lehrer aus dem deutschsprachigen Raum, Lernmaterial kostenlos nutzen. Und, – so die Idee der Mitmach-Plattform – die Lehrkräfte können ihre eigenen Materialien mit anderen teilen. Vorausgesetzt, sie erfüllen die ZUM-Richtlinien, sprich, die Arbeitsblätter und Lernmaterialien erfüllen didaktische Standards.

          Jöran Muuß-Merholz: “ZUM stellt ihr Licht unter den Scheffel”

          Damit hat ZUM schon längst das geschafft, worüber sich bis heute sämtliche Kulturminister:innen und Bildungsinitiativen den Kopf zerbrechen: Wie schaffen wir es, das Bildungssystem zu digitalisieren, Lizenzen und Daten zu schützen, Qualitätsregeln zu beachten und dabei trotzdem den Überblick über all die Angebote zu behalten? “Wir fühlen uns weiterhin als Pioniere im Internet”, sagt Klaus Dautel. “Wir verstehen uns als kreativer Anbieter und erstellen nicht nur Unterrichtsmaterial, sondern bieten eine Plattform, die Schüler und Lehrer gemeinsam nutzen können, um Unterrichtsprozesse zu entwickeln.”

          Doch laut und bunt ist die ZUM-Truppe nicht. Die Homepage ist weit entfernt davon, was man heute unter modernem Webdesign versteht. Mokka-gelber Header, ein Logo, das auch die Älteren sehr an die eigene Schulzeit erinnert. Dafür aber: übersichtlich, schnell verständlich und umfangreich

          Die ZUM-Mitglieder hätten schon immer “ihr Licht unter den Scheffel gestellt”, sagt OER-Experte Jöran Muuß-Merholz. Er hat sie auf etlichen Barcamps oder Bildungskonferenzen erlebt. ZUM ist eben mehr Sein als Schein. Andere Bildungs-Initiativen bezahlen PR-Experten. Die ZUM-Mitglieder überlegen lieber, wie sie Unterrichtsangebote noch besser für ihre Kolleg:innen und deren Schüler:innen bereitstellen können.

          Jedes Startup ist nach drei Monaten lauter als die ZUM

          Dass ZUM keine Marke, sondern vor allem Inhalt ist, hat natürlich Vorteile. Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Qualität der zur Verfügung gestellten Materialien und Unterrichtsideen. Trotzdem findet Jöran Muuß-Merholz, dass der ZUM-Verein sich mit starkem Selbstbewusstsein in die Bildungslandschaft einmischen kann. Jedes zweite Bildungsstartup mit Instagram-Kampagne und Hochglanz-Website trete nach drei Monaten lauter auf, als die ZUM nach 25 Jahren.

          ZUM sei ein “stiller Riese“, sagt Muuß-Merholz. “Ich bin mir sicher: Würde man den Lehrern heimlich über die Schulter, könnte man feststellen, dass viele das ZUM-Material bereits verwendet haben. Ohne sich dessen vielleicht bewusst zu sein.”

          Wie das Internet, so entwickelt sich auch ZUM weiter. Bald bekommt der Verein eine neue Homepage, die dynamischer und aufgeräumter wirkt. Ein strahlendes Blau ersetzt das matte Gelb und der Blick der Userinnen und User fällt direkt auf das, worauf der Verein stolz sein kann: “Die Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet e.V. fördert die Digitalisierung von Schule und Lehrinhalten seit 1997.”

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            • OER
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              • Sachsen-Anhalts Digitalpakt tritt auf der Stelle
              • Schleswig-Holstein: CDU sorgt sich um Kinder
              • Seit 25 Jahren OER: Was macht die ZUM eigentlich?
              Liebe Leserin, lieber Leser,

              heute treffen sich die Kultusminister, um sich über die Ausbreitung der Omikron-Variante des Corona-Virus unter Kindern zu informieren und ihre Reaktionen darauf abzustimmen. Es ist jetzt schon absehbar, was sie beschließen werden: die Schulen prinzipiell offenzuhalten – und den Schulen zu überlassen, ob sie lieber Präsenz-, Wechsel- oder Distanzunterricht mit ihren Schülern praktizieren wollen. 

              Wir sind einen Schritt weiter gegangen und haben gefragt: Welche Fehler sollten sich nicht wiederholen? Unser neuer Kollege Niklas Prenzel hat mit kundigen Menschen darüber gesprochen, wie Deutschland der Vize-Europameister beim Zusperren von Schulen werden konnte – und was die Pädagogen besser machen wollen, wenn es wieder dazu kommt. 

              Wissen Sie, wer die “Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet” ist? Machen Sie sich nichts draus. Denn die meisten wissen nicht, wer dieses ZUM ist und was die eigentlich machen. Gerade Lehrer haben oft keine Ahnung davon – obwohl es ein Ort ist, wo man sich bereits heute Unterrichtsmaterialien in vielen Fächern herunterladen und nutzen kann. Umsonst. Sofie Czilwik gratuliert dem schlafenden Riesen zum Geburtstag.

              Ein frohes neues Jahr wünscht Ihnen

              Ihr
              Christian Füller
              Bild von Christian  Füller

              Analyse

              Schulschließungen: aus Fehlern lernen

              Schulschließungen: Aus Fehlern lernen
              Das Team von Krisenchat.de: Ist für Jugendliche rund um die Uhr per Chat erreichbar.

              Zwei Jahre ist es bald her, dass Deutschlands Schulen von einem auf den anderen Tag schließen mussten und digital wurden, um die erste Welle der Pandemie zu brechen. Lehrer:innen verschickten ihre Arbeitsblätter mal als PDF, mal ausgedruckt per Post. Distanzunterricht war so sehr Neuland, dass ein Wikipedia-Eintrag darüber erst noch verfasst werden musste.

              Schulleiter Kornelius Knettel, 40 Jahre, stand damals vor der schwierigen Aufgabe, alle seine Schüler digital zu erreichen. Am Familiengrundschulzentrum Sonnenstraße im Düsseldorfer Bahnhofsviertel lebt die Hälfte der Schüler:innen von Sozialleistungen. Es ist eine “Brennpunktschule“, von denen die neue Bundesregierung bald 8.000 besonders fördern möchte. Doch im Frühjahr 2020 war Knettel auf sich allein gestellt, musste improvisieren. Zwar riefen die Lehrer:innen bei den Schüler:innen an, klingelten an den Türen, dennoch seien 30 bis 40 Prozent der Schüler dem digitalen Unterricht fern und stattdessen im Bett oder vor dem Fernseher geblieben. “Im ersten Lockdown waren wir nicht da. Wir haben nur reagiert”, resümiert er selbstkritisch. 

              Deutschland: Vize-Europameister bei Schulschließungen

              Der Kampf gegen die Pandemie hat Deutschland zum Vize-Europameister gemacht, wenn es ums Schließen von Schulen geht. Im Schnitt waren sie 36 Wochen ganz bzw. teilweise geschlossen. Sechs außerplanmäßige große Ferien innerhalb von 1,5 Jahren. Manche Schüler:innen nutzten diese gut zum selbstorganisierten Lernen, andere hingegen wurden immer weiter abgehängt. Meist waren es die Kinder aus Akademiker-Elternhäusern, die von der neuen Lernsituation profitiert oder zumindest keinen Schaden genommen haben. Auch deshalb wiederholen Politiker:innen in den vergangenen Wochen mantraartig und ungewohnt einig, dass Schulen nur als letztes Mittel erneut geschlossen werden dürfen. 

              Doch hat die ansteckendere Omikron-Variante längst die Zuversicht durchkreuzt, dass die Gesellschaft einen ersehnten postpandemischen Winter und Schulbetrieb erleben wird. Zwar wiederholt sich derzeit nicht das Muster, Schulen zu schnell, zu fortdauernd und zu flächendeckend zu schließen (letzteres verbietet das aktuelle Infektionsschutzgesetz ohnehin). Aber ein Verharren auf einmal verkündeten, politischen Versprechen (Stichwort: Impfpflicht) ist kein erfolgversprechender Weg in der Pandemie, zumal der Schulbetrieb durch sich in Quarantäne befindende Lehrkräfte und Schüler:innen mancherorts bald schon lückenhaft werden könnte.

              Lehrer-Präsidentin: Realistische Erwartungen an Distanzunterricht von Schulen stellen

              Simone Fleischmann, Präsidentin des bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands, fordert daher, dass Schulschließungen nicht länger kategorisch ausgeschlossen werden können. “Das Virus ist nicht planbar und hält sich weder an die Ferientaktung der Bundesländer, noch die Wünsche der Politiker”, sagt sie. Lehrer, Politiker:innen und Schüler sollten nach 1,5 Jahren Pandemie endlich mit realistischen Erwartungshaltungen an den Distanzunterricht herantreten. “Er wird nie die Effizienz eines Präsenzunterrichts erreichen“, sagt Fleischmann. Die Schocktherapie, mit der Deutschlands Schulen in die Digitalisierung gestoßen wurden, habe die Unterschiede zwischen den Schulen enorm vergrößert. “Die Schulen, die schon vor Corona digital stark waren, sind noch stärker geworden.” Genauso seien die Schwachen schwächer geworden.

              Das zeigt auch die aktuelle Studie “Schule digital” der Telekom-Stiftung. Jede zweite Lehrkraft hat in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren eine Fortbildung zum digitalen Unterricht besucht. Doch variieren die Antworten je nach Bundesland stark: bildeten sich in Bayern oder Berlin 66 Prozent fort, waren es in Baden-Württemberg oder Brandenburg lediglich 39 Prozent. Und das bundesweite Problem des schulischen Internetzugangs bleibt bestehen. In jeder zweiten Schule klagen die Lehrkräfte über unzureichendes Internet im Schulgebäude. “Es gibt Schulen im Münchener Süden, die tiptopp mit Geräten ausgestattet sind, aber das WLAN fehlt immer noch“, sagt Fleischmann.

              Schulen entscheiden über Schließungen: Rücksicht auf psychische Folgen

              Alle Beteiligten haben in den vielen Monaten des schulischen Ausnahmezustands gelernt: Nicht nur die pandemische Lage ist von Schule zu Schule sehr unterschiedlich, auch die Bedingungen für guten digitalen Unterricht. Dass die einzelnen Schulen mehr Autonomie in der Entscheidung über Präsenz- und Distanzunterricht bekommen sollen, hört man dieser Tage von vielen Expert:innen. Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerin Simone Oldenburg (Linke) stellte am Montag ein Drei-Phasen-Modell vor, mit dem das Land auf die Omikron-Variante reagieren will. Schulen haben dabei größere Entscheidungskompetenz.

              Je nach Einschränkung des Schulbetriebs durch fehlende Lehrkräfte können die Schulen selbst entscheiden, ob Klassen zu Hause unterrichtet werden oder nicht. “Präsenzunterricht hat in allen Phasen Vorrang”, sagt Oldenburg. Das geht so weit, dass selbst in Phase Drei, wenn schon viele Klassenstufen im Distanzunterricht lernen, der Förderunterricht in Präsenz stattfindet. Die Mehrheit der im Bundeselternrat vertretenen Länder stellt sich bereits hinter das Modell und möchte mit den jeweiligen Bildungsministerien darüber ins Gespräch kommen.

              Krisenchat: Täglich mehr als 100 Hilfesuchende

              Es ist ein Modell, das auch Melanie Eckert gutheißt. Die Psychologin hat im April 2020 Krisenchat.de gegründet, ein digitales psychologisches Hilfezentrum. Per WhatsApp oder SMS können sich Kinder und Jugendliche von Psycholog:innen beraten lassen. “Der Fokus lag während der Schulschließungen zu oft auf reiner Wissensvermittlung“, sagt Eckert. Häusliche und sexuelle Gewalt seien Tabuthemen, die in der Pandemie aber zugenommen haben.

              Verschiedene Studien zeigen eine enorme psychische Belastung, der Kinder und Jugendliche ausgesetzt sind. Fast jedes dritte Kind zeigt laut COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf psychische Auffälligkeiten. Und so beraten die 27 festangestellten und 300 ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen täglich mehr als 100 Hilfesuchende. “Immer, wenn es zu Schulschließungen kam, nahmen die Themen ‘Cybermobbing’ und ‘familiäre Konflikte’ in unseren Beratungen zu“, sagt Eckert. Aber auch wenn die Schulen wieder öffneten, ebbte das Interesse nicht ab. Dann sei es häufiger um soziale Ängste gegangen. 

              Als die Düsseldorfer Grundschule nach dem ersten Lockdown wieder öffnen durfte, wusste Schulleiter Knettel, was zu tun ist, um für künftige Schulschließungen vorbereitet zu sein: Er setzte digitales Lernen auf den Lehrplan. Die Stadt hatte in der Zwischenzeit Leihgeräte und eine Lernplattform gestellt. Damit sollten die Schüler nun täglich im Präsenzunterricht arbeiten – und sich beiläufig für neue Schulschließungen wappnen. Als es wieder so weit war, führte die Schule täglich zwei verbindliche Videokonferenzen ein. Die Klassenlehrer:innen waren fünf Stunden durchgehend per Chat erreichbar. “So haben wir nur drei bis vier Prozent der Schüler verloren“, sagt Knettel. Ein weiteres Mal Distanzunterricht? Vorbereitet wäre er; dass es passiert, glaubt er nicht. Im Mai seien Landtagswahlen und die Bildungsministerin wolle alles dafür tun, die Schulen offenzuhalten.

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                • Schulschließungen
                • Simone Fleischmann

                Blogpost

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                Ein Gastbeitrag von Tobias Schreiner

                “Innovation kann man lernen” lautet der Untertitel des Sammelbands zu Design Thinking in der Bildung. Die Herausgeber Christoph Meinel, Direktor des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) in Potsdam und Dr. Timm Krohn, CEO der dortigen HPI Academy, in 18 Kapiteln Erfahrungen, Methoden und Reflexionen zum Design Thinking in der Ausbildung aus den unterschiedlichen Perspektiven von 30 Expert:innen des HPI-Netzwerks zusammengestellt haben. Mit dieser fast 500 Seiten fassenden Aufsatzsammlung unterstreicht das HPI den eigenen Anspruch, der “führende Hub im Bereich Design Thinking” europaweit zu sein. 

                Design Thinking als Tranformationstool zur Kultur der Digitalität

                Nun ist Design Thinking keineswegs unumstritten oder alternativlos. Manche kritisieren das Konzept als unscharf oder – mit der Basis menschenzentrierter Gestaltungsprozesse im Hinterkopf – als alten Wein in neuen Schläuchen. Andere bemängeln, dass die Komplexität aktueller Herausforderungen weniger multidisziplinäre Teams, sondern mehr die Fähigkeit zu intrapersonal-interdisziplinärem Denken benötige.

                Dennoch hat sich Design Thinking in den letzten 15 Jahren in vielen Kontexten als Innovationsansatz etabliert. Es hilft, komplexe Probleme anzugehen und Veränderungen zu steuern. Früher fand es nur als Methode für die Entwicklung von Produktinnovation Anwendung. Das HPI erweiterte Design Thinking durch seine Arbeit zu einem kompletten Ansatz für Strategieentwicklung und Transformationsmanagement in einer Kultur der Digitalität.

                Das Bildungswesen: behäbig, konservativ, aus der Zeit gefallen

                Demgegenüber wirkt das Bildungswesen – ganz gleich ob Schule, betriebliche oder universitäre Bildung – oft behäbig, konservativ, fast aus der Zeit gefallen. “Eine Technologie des 21. Jahrhunderts passt nicht mit einer Pädagogik aus dem 20. Jahrhundert und einer Schularchitektur aus dem 19. Jahrhundert zusammen”, brachte PISA-Chef Andreas Schleicher das Problem auf den Punkt. 

                Das vorliegende Buch will nach eigenem Anspruch ein größeres Verständnis für das Potenzial von Design Thinking in der Bildung ermöglichen. Es richtet sich “an Menschen, die in unterschiedlichsten Bildungskontexten arbeiten oder sich für diese interessieren”. 

                Löst es dieses Versprechen ein? Ja und nein: Jede an Bildung interessierte Person wird sicherlich ein, vermutlich mehrere Kapitel des Buches mindestens interessant, womöglich hoch spannend und erkenntnisreich finden; das garantiert die Vielfalt der Themen und Autor:innen. Design-Thinker, so ist zu lesen, würden ein gründlicheres Problembewusstsein entwickeln. Sie verfolgten im Team einen nutzerfokussierten Denk- und Lösungsansatz verfolgen. Am Ende übersteige die Problemlösekraft des Teams die Summe addierten Spezialwissens. Wie das ganz konkret umsetzbar ist, erläutern die einzelnen Kapitel auf zahlreichen Ebenen.

                Viele New-Work-Buzzwords, kein Wort zu den Kosten der Zertifizierung

                Dabei ist die Tonalität durchwegs bestimmt von einer großen Begeisterung für die eigene Arbeit; aber das muss ja nicht negativ sein, sieht man einmal vom offensichtlichen Werbeblock (Kapitel 15: Das Zertifizierungsprogramm für Design-Thinking-Coaches an der HPI Academy) ab, der zwar kein New Work Buzzword weglässt, dafür aber den durchaus stattlichen Kostenbeitrag ausspart. Die 17.500 Euro findet man erst, wenn man auf der Homepage der HPI Academy danach sucht.

                Schuldig bleibt die Sammlung die Einlösung ihres Versprechens, sich an Menschen aus unterschiedlichsten Bildungskontexten zu richten. Wenn von Bildung die Rede ist, von Lernenden und Lehrenden, ist fast ausschließlich der Bereich (post-)akademischer (Aus-)Bildung gemeint, es geht also um Studierende und Professionals. Der Bereich der primären und sekundären (Schul-)Bildung (K12) bleibt außen vor – abgesehen von der gelegentlichen Forderung, sich wandeln zu müssen. Eine Laudatio auf die hauseigene “HPI Schul-Cloud” gibts außerdem.

                Stanfords d.school ist Ideenschmiede für schulische Bildung

                Und das ist sehr schade, unterhält doch die d.school Stanford sogar ein eigenes K12 Lab als kreative Ideenschmiede für den Bereich der schulischen Bildung und es wäre nicht nur interessant, sondern würde auch die potenzielle Leserschaft auch erheblich erweitern, würde man auch über diese Ansätze und Erkenntnisse etwas erfahren.

                Zusammenfassend bietet die vorliegende Sammlung einen interessanten, abwechslungsreichen Einblick in die breit gefächerte Arbeit zum Design Thinking am HPI und dessen internationalem Netzwerk. Für Menschen mit einem beruflichen Schwerpunkt im nichtakademischen Bildungsbereich leider kaum praxisbezogene Anregungen dabei sind.

                Meinel, Christoph / Krohn, Timm (Hrsg): Design Thinking in der Bildung. Innovation kann man lernen. Wiley-VCH, Weinheim, 480 Seiten, € 34,99. Tobias Schreiner ist bayerischer Schulleiter und Vorreiter digitaler Bildung.

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                  • Schule

                  News

                  Infrastruktur-Ausbau in Sachsen-Anhalt stockt trotz Digitalpakt

                  Viele Digitalpakt-Projekte in Sachsen-Anhalt sind trotz Bewilligung noch nicht umgesetzt. 652 Projektanträge, die insgesamt 107 Millionen Euro kosten, liegen dem Landesverwaltungsamt vor. Davon sind 104 Millionen Euro bewilligt – ausgezahlt aber erst 1,4 Millionen. Das sagte Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) zur Deutschen Presse-Agentur.  Es scheitert also nicht beim Geld, sondern bei der konkreten Umsetzung der Projekte. “Das größte Problem bereitet mir dabei die Infrastruktur in den Schulen. Wir sehen am Abfluss der Digitalpakt-Mittel, dass es stockt. Es ist ganz wichtig, dass wir innerhalb der Schule WLAN haben”, sagte Feußner. Die damit verbundenen Baumaßnahmen laufen nicht reibungslos. Die CoronavirusPandemie, Liefer- und Materialschwierigkeiten sowie fehlende Kapazitäten bei umsetzenden Firmen verzögern den Infrastruktur-Ausbau an Schulen in Sachsen-Anhalt.

                  Die Lieferschwierigkeiten betreffen unter anderem die Ausstattung von Lehrenden und Schüler:innen mit Laptops und Tablets. Von den rund 200.000 Schüler:innen haben laut Feußner bisher 30.000 ein Gerät bekommen. Das sind 15 Prozent. Bei Lehrerinnen und Lehrern sind allerdings schon 80 Prozent mit einem mobilen Endgerät ausgestattet. Die Bildungsministerin sieht eine generelle Verbesserung in den technischen Kompetenzen und Ausstattungen ihrer Schulen. Dazu habe der Umstieg vieler Schulen auf die Lernplattform Moodle sowie das Erarbeiten von medienpädagogischen Konzepten beigetragen.

                  Der Digitalpakt Schule fördert die digitale Modernisierung mit 6,5 Milliarden Euro und läuft vorerst bis 2024. Die neue Bundesregierung möchte den Digitalpakt bis 2030 fortsetzen (Bildung.Table berichtete). Enno Eidens

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                    • Sachsen-Anhalt

                    Daniel Günther (CDU) macht Wahlkampf mit Bildung

                    Am 8. Mai wählt Schleswig-Holstein einen neuen Landtag. Der amtierende Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) will nun Kinder und Jugendliche öffentlichkeitswirksam auf seine Wahlkampfagenda setzen. “Kinder und Jugendliche haben in der Corona-Pandemie auf unglaublich viel verzichten müssen. Ihnen müssen wir hohe Aufmerksamkeit schenken”, sagte er zur Deutschen Presse-Agentur. Die Politik müsse jetzt handeln, um jungen Menschen eine Perspektive zu geben. Die Schulstruktur in Schleswig-Holstein sei bereits sehr gut optimiert – eine erneute Bildungsreform unter Günther wird es also nicht geben. Der Ministerpräsident sagte, dass das Thema digitale Bildung in Schleswig-Holstein durch die Erfahrungen in der Coronavirus-Pandemie an Bedeutung gewonnen habe und zeigte sich zufrieden mit den vielen Schulen in Schleswig-Holstein, die inzwischen über Glasfaser-Anschluss verfügen. Enno Eidens

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                      • Schleswig-Holstein

                      Makerspace

                      ZUM – der stille OER-Riese

                      ZUM verteilt OER Materialien.
                      Offen und nicht-kommerziell verteilt die ZUM Lernmaterialien (Screenshot).

                      25 Jahre ZUM sind auch 25 Jahre Internetgeschichte im deutschen Schulsystem. Und alleine diese Tatsache dürfte so einige überraschen. Die kleine Gruppe von engagierten Lehrer:innen tat sich Mitte der 90er-Jahre zusammen. Sie luden Schulmaterial im Internet hoch, um es mit Kolleg:innen zu teilen. Damals war das Internet noch teuer und nur die wenigsten nutzten es regelmäßig. Und was OER oder Open Educational Resources sind, wusste kaum jemand – dabei hat die ZUM offene Lernmaterialien irgendwie miterfunden.

                      “Die ZUM war damals ihrer Zeit zehn oder fünfzehn Jahre voraus”, sagt Medienpädagoge und OER-Experte Jöran Muuß-Merholz. Das World Wide Web als Lern- und Lehrhilfe zu verstehen, wie es auf der Homepage heißt, war vor 25 Jahren in einer Zeit von Overheadprojektoren und selbstgemalten Arbeitsblättern eine vorausschauende Idee. Zumal kaum eine Schule damals überhaupt Zugang zum Internet hatte. Doch die “Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet”, wie sich die Gruppe aus Lehrer:innen damals taufte, erkannte das Potenzial der Online-Vernetzung für die Schule und das Lernen.

                      Und auch wenn der Name der Initiative nach Vintage klingt, hat sich der eingetragene Verein im Gegensatz zu einigen kurzlebigen Bildungsstartups bis heute gehalten – ohne große Geldgeber, getragen von ehrenamtlicher Arbeit. “Wir verstehen uns weiterhin als Pioniere im Internet”, sagt Klaus Dautel. “Wir sind ein kreativer Anbieter und erstellen nicht nur Unterrichtsmaterial, sondern bieten eine Plattform, die Schüler und Lehrer gemeinsam nutzen können, um Unterrichtsprozesse zu entwickeln.”

                      Bildungswiki und Datenbank: kostenfreie Lerninhalte mit Qualität

                      Von 2004 bis 2021 pflegte das ZUM ein Bildungswiki, das zwar seinen Betrieb einstellen musste, aber lange als Referenz für freie Lernmaterialien mit Creative Commons-Lizenz galt. Dafür gewann das Wiki im Jahr 2016 den OER-Award. Es verstand sich als offene Plattform für alle Interessierten, für unterschiedliche Fächer und für zahlreiche Themen. Doch das ZUM-Wiki wurde zu undynamisch für die heutigen Anforderungen im Netz.

                      Deshalb gibt es die besten Inhalte aus dem Wiki nun bei ZUM-Unterrichten in neuen interaktiveren Darstellungsformen. Für insgesamt neun Fächer, darunter Chemie, Deutsch oder Ethik, können Lehrerinnen und Lehrer aus dem deutschsprachigen Raum, Lernmaterial kostenlos nutzen. Und, – so die Idee der Mitmach-Plattform – die Lehrkräfte können ihre eigenen Materialien mit anderen teilen. Vorausgesetzt, sie erfüllen die ZUM-Richtlinien, sprich, die Arbeitsblätter und Lernmaterialien erfüllen didaktische Standards.

                      Jöran Muuß-Merholz: “ZUM stellt ihr Licht unter den Scheffel”

                      Damit hat ZUM schon längst das geschafft, worüber sich bis heute sämtliche Kulturminister:innen und Bildungsinitiativen den Kopf zerbrechen: Wie schaffen wir es, das Bildungssystem zu digitalisieren, Lizenzen und Daten zu schützen, Qualitätsregeln zu beachten und dabei trotzdem den Überblick über all die Angebote zu behalten? “Wir fühlen uns weiterhin als Pioniere im Internet”, sagt Klaus Dautel. “Wir verstehen uns als kreativer Anbieter und erstellen nicht nur Unterrichtsmaterial, sondern bieten eine Plattform, die Schüler und Lehrer gemeinsam nutzen können, um Unterrichtsprozesse zu entwickeln.”

                      Doch laut und bunt ist die ZUM-Truppe nicht. Die Homepage ist weit entfernt davon, was man heute unter modernem Webdesign versteht. Mokka-gelber Header, ein Logo, das auch die Älteren sehr an die eigene Schulzeit erinnert. Dafür aber: übersichtlich, schnell verständlich und umfangreich

                      Die ZUM-Mitglieder hätten schon immer “ihr Licht unter den Scheffel gestellt”, sagt OER-Experte Jöran Muuß-Merholz. Er hat sie auf etlichen Barcamps oder Bildungskonferenzen erlebt. ZUM ist eben mehr Sein als Schein. Andere Bildungs-Initiativen bezahlen PR-Experten. Die ZUM-Mitglieder überlegen lieber, wie sie Unterrichtsangebote noch besser für ihre Kolleg:innen und deren Schüler:innen bereitstellen können.

                      Jedes Startup ist nach drei Monaten lauter als die ZUM

                      Dass ZUM keine Marke, sondern vor allem Inhalt ist, hat natürlich Vorteile. Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Qualität der zur Verfügung gestellten Materialien und Unterrichtsideen. Trotzdem findet Jöran Muuß-Merholz, dass der ZUM-Verein sich mit starkem Selbstbewusstsein in die Bildungslandschaft einmischen kann. Jedes zweite Bildungsstartup mit Instagram-Kampagne und Hochglanz-Website trete nach drei Monaten lauter auf, als die ZUM nach 25 Jahren.

                      ZUM sei ein “stiller Riese“, sagt Muuß-Merholz. “Ich bin mir sicher: Würde man den Lehrern heimlich über die Schulter, könnte man feststellen, dass viele das ZUM-Material bereits verwendet haben. Ohne sich dessen vielleicht bewusst zu sein.”

                      Wie das Internet, so entwickelt sich auch ZUM weiter. Bald bekommt der Verein eine neue Homepage, die dynamischer und aufgeräumter wirkt. Ein strahlendes Blau ersetzt das matte Gelb und der Blick der Userinnen und User fällt direkt auf das, worauf der Verein stolz sein kann: “Die Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet e.V. fördert die Digitalisierung von Schule und Lehrinhalten seit 1997.”

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