normalerweise stirbt die Hoffnung zuletzt. Bei den digitalen Irrungen und Wirrungen von Bund und Ländern stirbt die Hoffnung als erstes. Jetzt sind auch die digitalen Kompetenzzentren für die Lehrerfortbildung gescheitert. Also, ganz kaputt sind sie noch nicht. Aber es ist ein kleiner Skandal, dass die Kanzlerin zusammen mit Saskia Esken im September 2020 mit den Kultusministerinnen eine bessere und schnellere Lehrerfortbildung beschließt – und im September 2021 ist das Projekt immer noch nicht auf den Gleisen. Und dennoch, das ist das Gute, sprießt schon neue Hoffnung. Wir haben uns zwei schuleigene Selbstlernplattformen von Lehrern für Lehrer angeschaut. Gute Schulen und engagierte Lehrkäfte sind die Motoren der Digitalisierung.
Eine Neuwahl bringt nicht immer gleich eine neue Regierung. Aber es hat Konsequenzen für Abgeordnete, die es nicht mehr schaffen. Margit Stumpp von Bündnis 90/Die Grünen ist eine von ihnen. Ein Verlust für den Bundestag und für die digitale Bildung.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat gerade eine großartige neue digitale Bildungsoffensive gestartet. Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) sprach von einem digitalen Quantensprung. Lesen Sie selbst, mit welchem Geld dieses eigentlich so wunderbare Land seine Technikoffensive bezahlt. Robert Saar hat es recherchiert.
Die zwischen Kultusministern und der Kanzlerin anvisierten Kompetenzzentren für einfache und wissenschaftsbasierte Lehrerfortbildungen stehen in den Sternen. Die konkreten Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern sind an einem toten Punkt angelangt. “Zur Finanzierung konnte bisher keine Einigkeit erzielt werden,” bestätigte eine Sprecherin des Bundesbildungsministeriums auf Anfrage von Bildung.Table. Das bedeutet, dass dem Staat eines der wichtigsten Vorhaben für die Digitalisierung der Schule nicht gelingt, nämlich die 800.000 deutschen Lehrer möglichst schnell auf den neuesten Stand zu bringen. Gleichwohl stehen die Zentren in den Wahlprogrammen von CDU und SPD.
Bund und Länder sollten zusammen eine halbe Milliarde Euro investieren, damit es nicht nur Tablets und Laptops an den Schulen gibt, sondern die Lehrkräfte in der Arbeit mit ihnen geschult werden. Das Bildungsministerium teilte mit, der Bund dürfe sein Geld nur in die Forschungsförderung stecken, und “die Länder in den Auf- und Ausbau von Kompetenzzentren.” Beim informellen “Nationalen Bildungsforum” in Wittenberg über den Stand der föderalen Beziehungen wurde nun bekannt, dass die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern inzwischen auf Eis gelegt ist. Denn die Länder zieren sich, ihren 250-Millionen-Euro-Anteil zu dem wichtigen Vorhaben beizutragen. Der Bund wiederum habe zu bedenken gegeben, dass es ohne echtes finanzielles Engagement der Länder keinen Sinn mache, in neue Strukturen der Lehrerfortbildung zu investieren.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die als Antreiberin bei dem Thema gilt, sagte im September vergangenen Jahres, die Kompetenzzentren sollten die “pädagogischen und technologischen Kompetenzen bündeln.” Kanzlerin Angela Merkel ließ damals mitteilen, die Zentren “sollen Schulen vor Ort dabei unterstützen, Medienkonzepte und digitale Schulentwicklungspläne zu erstellen.” Darauf wird man nun wohl Jahre warten müssen.
Die Lehrerfortbildung gilt als die Achillesferse der Digitalisierung des deutschen Bildungswesens. Corona hat das Problem offenbart – und verschärft. Nur ein Bruchteil der deutschen Lehrkräfte ist bereits firm im Umgang mit Endgeräten, digitalen Applikationen und veränderten didaktischen Formaten. Weil die staatliche Lehrerfortbildung aber so langsam und bürokratisch ist, sprießen immer mehr private Initiativen von Lehrern für Lehrer aus dem Boden.
Dass Kompetenzzentren eine sinnvolle Methode sein könnten, sieht man am Beispiel Niedersachsens. Dort gibt es bereits ein Dutzend solcher Einrichtungen, in denen sich Schulen passgenaue Fortbildungen organisieren können sollen. In Niedersachsen haben dies in den Jahren 2020/21 bisher über 80.000 Lehrkräfte getan. Das bedeutet, dass das Bundesland damit rechnerisch jede seiner 68.000 Lehrkräfte erreicht hat. Vor allem die Angebote in vier zivilgesellschaftlichen Organisationen mit Kompetenzzentren gelten als besonders niederschwellige Angebote. Allerdings ist es mit einer einmaligen Lehrerfortbildung meist nicht getan.
Allerdings waren die Kompetenzzentren in Niedersachsen offenbar nicht so gut, dass sie die Entstehung des derzeit erfolgreichsten digitalen Fortbildungsangebots für Lehrkräfte überflüssig machten. In der Waldschule Hatten in Cloppenburg startete der Lehrer Andreas Hofmann vor zehn Jahren einen schulinternen Fortbildungskurs – aus dem die “Mobile Schule” entstanden ist, ein Konglomerat an Formaten der Lehrerfortbildung, die inzwischen Zehntausende Lehrer angezogen haben dürfte. Aus der “Molol”, der “Mobilen Schule Oldenburg”, entstanden während der Pandemie – kostenlose – Online-Angebote mit Tausenden von Teilnehmern. Daneben gibt es ein Gratis-Einsteigerformat und eine kommerzielle “Mobile Schule Flatrate,” bei der Schulen Fortbildungslizenzen erwerben können.
Mit Hofmann, der den Lehrerberuf seit zwei Jahren ruhen lässt, kooperieren aus ganz Deutschland Lehrer:innen als Vortragende und Lehrerinstitute – als Auftraggeber. Kommende Woche wird es die Mobile Schule München geben, es werden 500 Teilnehmer:innen erwartet. In Karlsruhe ist ein erfolgreicher Ableger namens WES4.0 entstanden. Nächstes Jahr im Juni soll in Hannover die Mutter aller großen selbstorganisierten Fortbildungen, die Molol, nach zwei Jahren Pause wieder in Präsenz stattfinden. “Ich will, dass Mobile Schule das Angebot wird, dass deutschlandweit für gute digitale Lehrerfortbildung steht,” sagt der jetzige Unternehmer Hofmann. Die Konkurrenz der Kompetenzzentren schreckt ihn nicht. “Wenn die staatlichen Strukturen besser werden, dann ist das doch wunderbar.” Die Landesinstitute seien erste Anlaufstelle für Fortbildungen, die Mobile Schule sei eine länderübergreifende Ergänzung.
Inzwischen entstehen bereits weitere neue Formate von Lehrerfortbildungen: schuleigene Selbstlernangebote für Lehrer. Ausgerechnet an Hofmanns alter Schule in Hatten wurde gerade eine Plattform namens “Sofa” gestartet. Das Akronym steht für “selbstorganisiertes Fortbildungsangebot” und wortwörtlich für Sofa. Denn “die Kolleg:innen sollen sich zu Hause vom Sofa aus anschauen können, wie zum Beispiel die digitale Mappe ‘Notability’ funktioniert,” berichtet Judith Exner. Die Deutsch- und Geschichtslehrerin koordiniert in der Schulleitung der Waldschule die digitale Schulentwicklung. Dazu gehört, “in kleinen Portionen das ganze Kollegium mitzunehmen.” Die Lehrer:innen finden im Sofa “die Schatzkiste der digitalen Materialien, die wir in Jahren zusammen gesammelt haben.”
Die Waldschule ist nicht die einzige, die auf dem Trip ist. Jan Vedder (Berenbostel) und Marcus von Amsberg (Hamburg) haben gerade ein ganz ähnliches Projekt online gehen lassen. Es sind Selbstlernkurse für Lehrer:innen, die Vedder und von Amsberg vom “Studypoint-Teacher” aus anbieten. Die Idee ist exakt die gleiche wie an der Waldschule – nur dass Studypoint von jeder Schule als bereits fertige Schatzkiste gebucht werden kann. Es gibt dort “einen sorgsam kuratierten Grundbestand von Methoden und Tools, mit denen wir viele Jahre lang gute Erfahrung gesammelt haben,” erzählt von Amsberg. “Wer das kann, besitzt eine Basis, um seinen Unterricht umzustellen.” (Siehe Didaktik & Tools in dieser Ausgabe)
Fragt man die niedersächsische Lehrerin Exner, ob sie schon mal eines der Kompetenzzentren ihres Landes genutzt hat, muss sie nachdenken. Das sei schon lange her, sagt sie. Woran liegt es, dass einer der digitalen Vorreiter wie die Waldschule auf die – grundsätzlich sinnvollen – Landesangebote kaum zurückgreift? Weil sich längst ein eigenes Ökosystem von Lehrfortbildungen jenseits des Staats zu entwickeln beginnt. Kaum vorstellbar, wie sich das ändern soll. Bund und Länder hatten mitten in der Pandemie Kompetenzzentren als Nonplusultra angekündigt. Ein Jahr später liegt in den Schubladen von BMBF und Kultusministerkonferenz ein hochkomplexer Entwurf, den kaum jemand versteht – und für den es beim Geld keine Einigung gibt.
In NRW setzt das Bildungsministerium zur selbst proklamierten “digitalen Aufholjagd” an. Aus Töpfen des Bundes, Landes und der EU fließen zwischen 2020 und 2025 knapp zwei Milliarden Euro in Digitalisierung, rechnete das Ministerium aus. Nun kündigte Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) an, Schülerinnen und Schüler aus belasteten Verhältnissen besonders zu unterstützen und allein dafür 184 Millionen Euro ausgeben zu wollen. Das EU-Geld stammt zum größten Teil aus der Recovery Assistance for Cohesion and the Territories of Europe, der Wiederaufbauhilfe für die Kohäsion und die europäischen Territorien.
Die Aufholjagd heißt offiziell “Digitalstrategie Schule NRW”. Sie wird allerdings nur zu etwa einem Viertel vom Land selbst bezahlt. Aus drei Handlungsfeldern setzt sich die Strategie zusammen, mit der NRW in die digitale Zukunft springen und Versäumtes aufholen möchte. So sollen, erstens, Schulen und Unterricht weiterentwickelt und der Fokus auf pädagogische und didaktische Chancen von Digitalisierung gelegt werden. Zweitens, sollen Lehrkräfte unterstützt und qualifiziert werden. Drittens soll der Zugang zu digitalen Medien und Infrastruktur geschaffen und sichergestellt werden.
Die Situation in Schulen während Corona, insbesondere zu Zeiten des Fernunterrichts, war besonders schwer für Kinder an besonders belasteten Schulen. Sei es, weil deren Eltern viel arbeiten mussten oder eine andere Muttersprache sprechen. Die EU unterstützt gezielt stark benachteiligte Regionen als Reaktion auf Corona. Dieses Geld soll vor allem an die Ärmsten der Armen gehen. NRW investiert nun mithilfe dieser Fördermittel 184 Millionen Euro in digitale Endgeräte. Insgesamt erhält das Land aus Brüssel 112 Millionen Euro. Aus dem React-EU-Fonds werden unter anderem Armentafeln in Bulgarien und Portugal bezahlt. Auch in NRW erfolge die Verteilung auf “Grundlage sozialer Faktoren“. Das heißt, die Endgeräte gehen an 370.000 Schülerinnen und Schüler in den Problemregionen des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes.
“Die digitale Teilhabe von heute sichert morgen die Bildungschancen unserer Kinder und Jugendlichen”, sagte Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung. Der Verband Bildung und Erziehung sieht in der angekündigten Anschaffung jedoch nur eine überfällige Maßnahme. Es sei höchste Zeit, sagte der VBE-Landesvorsitzende Stefan Behlau, “dass eigentlich Selbstverständliches nicht nur mittels einer theoretischen Strategie, sondern auch durch praktische Umsetzung und Unterstützung selbstverständlich wird.”
Eine digitalaffine Lehrerin lobte gegenüber Bildung.Table einerseits die Zielsetzung der neuen Geräteoffensive. Die Geräte seien ein Segen für digitalaffine Schulen. Schulträger machten sich plötzlich Gedanken über 1:1-Ausstattungen – das sei vor kurzem noch undenkbar gewesen. Andererseits gebe es grundsätzliche strukturelle Probleme: “Die Wahrheit ist auch, dass fantasielose Schul-ITs in den Rathäusern aus den ausgegebenen Geräten ´closed shops´ machen. Tablets dürfen nicht mit dem Drucker verbunden werden, eine Installation von Apps wird verhindert oder bei zentraler Verwaltung ´verschleppt´ und einige Lehrer:innen dürfen die Geräte nicht mit nach Hause nehmen. Das ist dann kein Ausstattungs-, sondern ein Ausschaltungsprogramm.” Robert Saar
Mit den “Vergleichsarbeiten” (Vera) erheben die Bundesländer unabhängig voneinander den Lernstand ihrer Schülerinnen und Schüler. An Erhebung, föderaler Umsetzung und grundlegender Konzeption gibt es seit längerem massive Kritik. Nun zeigt eine Klage, wie intransparent und kompliziert die Vera-Daten in Hessen erhoben und verarbeitet werden.
Bildung.Table berichtete bereits über die versteckten Daten der Coronavirus-Lernlücke und die Arbeit der Open Knowledge Foundation (OKF). Die Organisation veröffentlicht und analysiert auf wo-ist-vera.de alle von den Bundesländern bereitgestellten Daten. Es fehlen: Bayern, Bremen, Hessen und Sachsen – Niedersachsen erhebt seit dem Schuljahr 2019/20 keine Vera-Daten mehr. Mit einer Klage gegen das Bundesland Hessen will die OKF die Herausgabe der Daten erzwingen. Die Verfahrensdokumente geben nun ersten Aufschluss über das hessische Vera-Wirrwarr. Hessens Kultusminister weiß offenbar über seine eigenen Vergleichsarbeiten nicht Bescheid.
Das Hessische Kultusministerium gab an, dass die Hessische Lehrkräfteakademie verantwortlich für die Vera-Erhebung sei. Die wiederum habe allerdings die Universität Jena beauftragt, welche an den hessischen Schulen die Daten erhebt. “Unklar ist, wieso Hessen eine Forschungseinrichtung in Thüringen beauftragt. Unklar ist auch, welche Daten am Ende in Hessen selbst landen,” sagt Maximilian Voigt von der OKF. Er wartet (Stand, 28. September, 15:30 Uhr) noch auf eine Antwort der Hessischen Lehrkräfteakademie. Die Vergleichsarbeiten sind wichtig, weil sie sowohl den Lehrkräften in der dritten und der achten Klasse den Lernstand ihrer Schüler rückmelden – als auch für bundesweite Lernstandserhebungen genutzt werden könnten. Das aber haben die Kultusminister per Beschluss für unmöglich erklärt. Sie wollen verhindern, dass Vera-Rankings erstellt werden.
Die Kultusminister bestehen darauf, dass die Daten nicht zum bundesweiten Vergleich dienen, sondern nur innerhalb der Länder verwendet werden dürfen. In der deutschen Bildungs-Szene wird allerdings grundlegender diskutiert. Bei einer Tagung des “Nationalen Bildungsforums” in Wittenberg forderten renommierte Forscher, die Vera-Daten wieder zu einem verlässlichen Instrument der Lernstandserhebung zu machen. Das gehe am besten, wenn man Vera digital erhebe und auswerte. Wie berichtet gibt es in Schleswig-Holstein ein Projekt zusammen mit Bettermarks, das Lernstandserhebungen wie Vera digital auswertet. Es gibt aber auch kritische Stimmen. Der Schulleiter und frühere Vera-Beauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Timo Off aus Nortorf, fordert: “Vera gehört zerschlagen”. Enno Eidens
Die Staatsministerin für Digitales Dorothee Bär (CSU) hat bei ihr abgeschrieben, um das Vorzeigeprojekt einer “Bundeszentrale für digitale Aufklärung” zu gründen. Darüber hat sich Margit Stumpp (Bündnis 90/Die Grünen) ein bisschen geärgert. Denn, erstens, hat Bär am Ende gar kein Geld für die Zentrale bekommen. Und, zweitens, war ihr, Stumpps, Antrag für eine “Bundeszentrale für digitale und Medienbildung” im Bundestag von der Großen Koalition zuvor abgelehnt worden. Stumpp lästerte, Dorothee Bär könne nicht mal richtig abschreiben. “Bei ihr ist ja auch nur eine dünne Webseite draus geworden”, sagte sie Bildung.Table. Sie habe sich mit einem Schlagwort eines Themas bemächtigt. “Als sie gemerkt hat, wie schlecht Bildungsministerin Karliczek aufgestellt ist, ist sie sofort in die Lücke gesprungen”, so Stumpp zu Netzpolitik.
Was Stumpp nun wohl noch ein bisschen mehr ärgert ist, dass sie nach nur einer Legislatur aus dem Bundestag fliegt, und das, obwohl die grüne Fraktion viel größer geworden ist. Damit verliert nicht nur die grüne Partei, sondern der Bundestag insgesamt eine seiner profiliertesten digitalen Bildungspolitikerinnen. Margit Stumpp, Berufsschullehrerin, IT-Fachfrau und bildungspolitische Sprecherin der Fraktion, hatte es nur auf Platz 20 der Landesliste in Baden-Württemberg geschafft. Platz 18 kam noch mit in den Bundestag, den Wahlkreis Aalen/Heidenheim konnte sie direkt nicht gewinnen. Zuvor war sie bei einer Delegiertenkonferenz um zwei Stimmen von einer Kandidatin der Grünen Jugend geschlagen worden. “Ich hätte die Bürger:innen der Ostalb gerne weiterhin im Bundestag vertreten. Aber so ist Demokratie”, schrieb sie.
Die Grünen haben offenbar ein besonderes Talent, gute Bildungspolitiker aus dem Bundestag zu vergraulen. Vor Margit Stumpp war ihr Vorgänger, der Bildungsexperte Özcan Mutlu, nach nur einer Legislatur wieder aus dem Hohen Haus entfernt worden. Mutlu war ein bisschen zu laut und, wie viele mutmaßen, auch ein bisschen zu sehr Kanake für die Berliner Grünen. Stumpp hingegen war wahrscheinlich ein bisschen zu leise. Aber sie gab sich auch nicht gerade bequem. Während Ministerpräsident Winfried Kretschmann und die Landesgrünen inzwischen die Lordsiegelbewahrer des Bildungsföderalismus sind, hat Stumpp sich stets dafür ausgesprochen, die Bildungsbremse des Kooperationsverbots wieder zu lösen. Auf Deutsch: mit dem Bund besser zu kooperieren – weil sonst gerade bei der digitalen Bildung kein Fortkommen möglich ist, jedenfalls nicht für alle Bundesländer. Margit Stumpp steht politisch für digitale Bildung, Chancengleichheit – und eine starke Zivilgesellschaft. Das wird sie, wohl vorerst zum letzten Mal, kommenden Mittwoch auf einem virtuellen Podium der Stiftung Bildung vertreten. Da geht es darum, ob der Bund bundesweit agierende Bildungs-Stiftungen fördern sollte. Stumpp ist dafür. cif
Was musste sich Saskia Esken alles anhören! Von Frauenhassern, vom politischen Gegner, aber auch von Parteifreunden. Ihr Vorgänger im Parteivorsitz der SPD, Sigmar Gabriel, zählte sie an, als Esken 2019 den Silvester-Einsatz der sächsischen Polizei in Leipzig kritisierte. Sie solle sich erst mal kundig machen, ehe sie schlaumeiere, schrieb Gabriel über seine Nach-Nachfolgerin.
Für Saskia Christina Esken, geborene Hofer, gilt der Satz: Viel Feind viel Ehr. Erst 2013 kam die 60-Jährige in den Bundestag – und hat seitdem einen kometenhaften Aufstieg genommen. Zunächst krempelte sie fast im Alleingang die digitale Bildungspolitik des Bundes um, dann eroberte sie die SPD. Nun steht sie vor einem Triumph. Die Sozialdemokratie schafft aller Wahrscheinlichkeit nach etwas, was ihr und Esken niemand zugetraut hätte: Die SPD wird die neue Bundesregierung anführen. Sollte Esken dann Bildungsministerin werden?
Sie könnte es auf jeden Fall. Was die in Stuttgart geborene und am Rande des Schwarzwaldes lebende Politikerin in der Bildung bewegt hat, stellt in den Schatten, was die 17 Bildungsminister:innen in Bund und Ländern geschafft haben. Die abgebrochene Studentin, Teilzeit-Kellnerin und Informatikerin hat eine Reihe von strategischen Entscheidungen gefällt – und ist dabei ihrer Zeit meistens voraus, manchmal zu weit. Esken hat wesentlich die Strategie des Bundes bei “open education resources” (kurz: OER) geprägt. Ihr Engagement für diese offenen Lehrmaterialien hat Strukturen geschaffen – und wütende Proteste ausgelöst. Der Vorsitzende des Verbands der Bildungsmedien (kurz: der Schulbuchverlage) Ilas Körner-Wellershaus wütete, Esken habe gar nicht verstanden, wie ein Schulbuch produziert wird. Aber es half alles nichts: Es gibt inzwischen beachtliche Zuschüsse für OER vonseiten des Bundes. Daraus ist unter anderem eine bundesweite Plattform namens “Wir lernen online” entstanden, mit der der Bund, genaugenommen Esken, schneller war als alle 16 Kultusminister zusammen. Die Länder-Plattform Mundo ging während der Pandemie, obwohl seit Jahren vorbereitet, erst Monate nach Eskens Portal online.
Anders als die meisten Länderminister kennt sich die Informatikerin in der digitalen Bildung exzellent aus. Sie weiß etwa, wie wichtig ein bundesweites “Single Sign On” wäre, damit Schüler:innen endlich alle pädagogischen Plattformen nutzen können, die es in Deutschland gibt – egal, woher sie kommen. Die Kultusminister planen so etwas zwar, aber das wird, erstens, noch lange auf sich warten lassen, und, zweitens, wissen die Minister meist nicht, wozu so ein zentraler digitaler Schülerausweis gut sein soll. Die Bildungspolitikerin Esken weiß das. Und sie ist sich auch bewusst, dass es endlich zu klaren Absprachen mit den Datenschützern kommen muss. Sie sei “mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber und seinen Länderkollegen in einem intensiven Gespräch, was machbar wäre,” sagte Esken im Interview mit dem Tagesspiegel.
Die SPD-Vorsitzende ähnelt in ihrem Vorgehen durchaus der Kanzlerin. Sie schart kluge Leute um sich, völlig unprätentiös, um zuzuhören und gemeinsam nachzudenken. Und sie beherrscht die Grundaxiome digitaler Bildung. “Ich sehe Bildung nicht als Mittel zum Zweck für mehr Digitalisierung, sondern als Mittel für die Emanzipation von Menschen, und zwar über die ganze Biografie hinweg,” sagte Esken im Oktober vor einem Kreis von Lehrer:innen, Schulleiter:innen und Digitalist:innen. “Bildung basiert auch weiterhin auf Beziehung, und deshalb wollen wir auch keine Beziehungen durch KI ersetzen. Wenn wir KI oder Learning Analytics nutzen, dann dafür, die Lehrkräfte dabei zu unterstützen, Lernende optimal und individualisiert beim Lernen zu begleiten.”
Das kam bei den Leuten gut an, auch bei den KI-Fans, die eigentlich anderer Meinung sind und gerne stärker auf die Tube drücken würden. Aber sie merken: Wenn Saskia Esken spricht, dann sind das nicht wild durcheinandergewürfelte Textbausteine und Buzzwords, sondern das hat Hand und Fuß. Vielleicht ist das auch der Grund, warum Merkel und Esken zu einer Art Tandem beim Vorantreiben digitaler Bildung geworden sind. Nicht jede der Ideen, die die beiden zusammen mit den Kultusministern entwickelt haben, sind heute bereits Realität. Fatalerweise sind zum Beispiel die neuen Kompetenzzentren für Lehrerfortbildung immer noch nur Papiere in der Schublade (Siehe Kompetenzzentren). Aber das ist dann nicht die Schuld der Sozialdemokratin, sondern die des dysfunktionalen Griffs der Kultusminister nach dem Geldbeutel des Bundes.
Was Esken und Merkel grundsätzlich unterscheidet: Die Stuttgarterin sagt Sätze, die scharf wie Rasierklingen sind. Das “betreute Regieren” der Bildungsministerin müsste ein Ende haben, sagte Esken über Anja Karliczek. “Seit mehr als drei Jahren warten wir darauf, dass Frau Karliczek die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zum Aufbau einer digitalen Bildungsplattform umsetzt. Nicht einmal die Pandemie, die uns allen deutlich vor Augen geführt hat, wie wichtig digitales Lernen ist, konnte die Ministerin zu entschlossenem Handeln ermutigen.” Wie es aussieht, behält Esken Recht.
Diese Chuzpe ist es freilich, die Esken ausgerechnet da, wo sie sich zu Hause fühlt, schwere Probleme bereitet: im Internet. Kompetente und scharfzüngige Politikerinnen liebt das Netz nicht nur nicht, die macht sie zuweilen auch fertig. Die begeisterte Twitter-Nutzerin warnte einmal die Fluggesellschaft Air Berlin vor der US-amerikanischen Hetzplattform Breitbart: “@airberlin, Eure Werbung erscheint bei einer Neonazi-Website. Das kann nicht gewollt sein, oder?” Daraufhin brach eine Lawine über sie herein. Die Parlamentarierin musste sich als “widerliche Denunziantin”, als “behindert” und “Linksfaschistin” beschimpfen lassen. Der Strom wollte nicht mehr abreißen. Damals, 2017, begegnete man nicht einer gebrochenen, aber sehr nachdenklichen Bundestagsabgeordneten in ihrem Büro. Sie fühle sich “wie bei einer Schwarmattacke auf meinen Twitteraccount,” sagte sie – und tat sich schwer, von den Konsequenzen zu erzählen, die sie zog. “Ich habe etwas gemacht, was ich noch nie getan habe: Ich habe rund 50 besonders destruktive Twitter-Profile blockiert, damit ich mit den konstruktiven Kommentatoren im Dialog bleiben kann.” Allein, das nutzte nichts. Es waren einfach zu viele. Christian Füller
Dass die Lehrerinnen und Lehrer sich genau die Fortbildungen und Gebrauchsanweisungen, die sie brauchen, gezielt aussuchen und gegebenenfalls immer wieder anschauen können. Jan Vedder und ich geben seit vielen Jahren Fortbildungen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man auf interessierte Lehrer trifft, die sich begeistern lassen – dass aber am Ende doch oft nicht so viel hängenbleibt. Das hängt häufig an der Knöpfchenkunde, wie ich es mal nennen möchte. Also welche konkreten kleinen Handgriffe man an den Endgeräten vornehmen und wie man die Buttons innerhalb einer App einstellen muss. Das kann man in Präsenz nicht wirklich alles im Detail zeigen. Sonst würde es den Rahmen so einer Fortbildung sprengen. Deswegen haben wir uns die Frage gestellt, wie man das individualisieren und nachhaltiger machen kann. Wir haben uns ein Wochenende eingeschlossen und überlegt, wie man Selbstlernkurse so gestaltet, dass sie Lernen in der Digitalität auf eine Weise in Schulen bringt, hinter der wir stehen können. Dabei ist Studypoint entstanden.
Sie müssen in passgenauen Modulen aufgebaut sein. Zum Beispiel braucht es einen Hands-on-Teil, bei dem sehr kleinschrittig erklärt wird, wie eine Anwendung oder eine Methode technisch funktioniert, etwa eine App. Es braucht aber auch Module, die zeigen, wie man das gewinnbringend und ganz konkret in den jeweiligen Unterricht und das jeweilige Fach einbetten kann. Zugleich muss es Bezüge zur dahinter stehenden Theorie geben, die viele Lehrkräfte kennenlernen wollen.
Und, ganz wichtig, in jedem der Kurse muss es ein Modul geben, das “Machen” heißt. Die Lehrkräfte müssen das wirklich selbst anwenden. Nur vom Zugucken und Ideensammeln wird es nicht wirksam. Deswegen haben wir in jedem Kurs Arbeitsaufträge, um Dinge konkret auszuprobieren – und sie dann auf einer digitalen Pinnwand zu kommentieren und mit anderen zu teilen und zu diskutieren.
Dazu gibt es auch ein FAQ, in dem wir aus der Praxis jene Stolpersteine ansprechen, die ganz häufig nachgefragt werden. Unser Ansatz ist also nicht, 20.000 Kurse zu haben, wie auf mancher Lehrerfortbildungsseite eines Lehrerinstituts. Wir bieten eine sorgsam kuratierten Grundbestand von Methoden und Tools, mit denen wir viele Jahre lang gute Erfahrung gesammelt haben. Wer das kann, besitzt eine Basis, um seinen Unterricht umzustellen und braucht danach erstmal keine Fortbildung mehr.
Das sind die üblichen Voraussetzungen in einer Schule wie WLan und Endgeräte – wobei: Studypoint dürften viele Lehrer:innen von zu Hause aus nutzen. Der Witz ist, dass nicht jeder Kollege einzelne Kurse kaufen soll, sondern dass der ganzen Schule eine Plattform zur Verfügung gestellt wird, die alles Wichtige enthält. Die Schule selbst kann dann nach ihrem pädagogischen Fahrplan und individuell nach den Bedürfnissen der Lehrer:innen Kurse freischalten. Im Gegensatz zu Portalen, wo man einzelne Lehrerfortbildungen bucht, bekommt die Schule eine eigene Instanz für Studypoint und einen Admin-Zugang. Dann können die Kolleg:innen dort eingepflegt werden.
Der große Vorteil ist, dass Lehrkräfte nicht gleich mit einem riesigen Angebot erschlagen werden. Sie sollen Schritt für Schritt etwa erst den Tablet-Grundlagenkurs belegen und danach, zum Beispiel, kollaboratives Arbeiten mit Flinga üben. Nach unserer Erfahrung ist es wichtig, dass die Kolleg:innen nicht Angst vor der unglaublichen Vielfalt bekommen, sondern sie sollen den Nutzen jeder Lektion spüren. Zum Beispiel hat der Kurs BigBlue Button im Lockdown vielen Lehrkräften geradezu existenziell geholfen – weil die sich da angucken konnten, wie eine gute Videokonferenz technisch und didaktisch funktioniert. Wir haben damals erst mal nur zwei Kurse freigeschaltet und dann Stück für Stück mehr. Wenn man so will, haben wir auf diese Weise das Kollegium an die Hand genommen. Das soll Studypoint jetzt für jede Schule möglich machen. Für die Lehrer bedeutet das: Sie können die Module von Anfang bis Ende als einen großen Kurs durcharbeiten – oder es als Nachschlagewerk nutzen und zielgenau nur das belegen, was sie brauchen.
Jan Vedder und ich halten die einzelnen Kurse schon seit Jahren immer wieder als Fortbildung. Auch der Plan, daraus eine Plattform zu machen, ist vor Corona entstanden. Während der Pandemie und auch jetzt, wo der Fortbildungsbedarf so deutlich geworden ist, ist das Tool natürlich viel relevanter geworden, als wir uns das hätten vorstellen können.
Ich glaube, es gibt zwei Vorteile. Erstens, die Verständlichkeit. Jan und ich bekommen durchgängig Rückmeldung der Marke “Ah, endlich verstehe ich, wie das funktioniert!” Niemand muss sich schämen, eine dumme Frage zu stellen – er spult zurück oder lässt es einfach noch mal laufen. Dieses Fortbildungsprogramm nimmt die Einsteiger und Ängstlichen mit, die ohne Vorwissen sind. Trotzdem gibt es so viele Inhalte, Hintergründe und Unterrichtsbeispiele, dass auch Kollegen profitieren, die schon viel Erfahrung haben. Zweiter Vorteil: die Schulen bekommen in ihrer Studypoint-Instanz die Möglichkeit, selber Kurse zu erstellen. Im Gegensatz zu manchem komplexen Moodle-Kurs ist die Plattform so einfach programmiert, dass über Learning-Slides Lehrer sehr einfach ihre Kurse einstellen können. Im Prinzip ist es aufgebaut wie PowerPoint, wo man Folien zusammenstellen, Text schreiben und Videos einbetten kann. Das lernt man in fünf Minuten – und dann können Schulen in ihrer eigenen Fortbildungsinhalte einpflegen.
Marcus von Amsberg ist mit voller Stelle Lehrer und didaktischer Leiter an der Stadtteilschule Niendorf. Er ist – als angemeldete Nebentätigkeit – Geschäftsführer von ivi-education, zu der Studypoint-Teacher gehört.
29. September 2021, 07:45 bis 17:00 Uhr
Barcamp: OERcamp
Das “Open Educational Resources Camp” ist eine Veranstaltung für Personen aus allen Bildungsbereichen. Vormittags finden die OER-Workshops für Pro-/PoliGenius Schulen statt und nachmittags werden im Barcamp verschiedenste Sessions, von Schulentwicklung über Tipps für ein zufriedenes Lehrerkollegium bis hin zu Podcasts und Sex-OERs vorgestellt. Barcamp-typisch kommen die Sessions von den Teilnehmenden selbst. Ab 20:15 Uhr gibt es ein Abendprogramm. Kostenlose Anmeldung erforderlich. Infos & Anmeldung
1. Oktober 2021, 10:30 Uhr
Buchvorstellung: “Die flexible Oberstufe”
“Den Bildungsstandort Deutschland zukunftsfähig zu machen” lautet das Ziel der Initiative “Die flexible Oberstufe”. Dazu wird am Freitag das gleichnamige Buch “Die flexible Oberstufe: Wie Schulen Freiräume schaffen und nutzen können”, im Haus der Bundespressekonferenz (Raum 1-4) vorgestellt. Die Buchvorstellung kann auch online verfolgt werden. Anmeldung erforderlich. Infos & Livestream
04. bis 24. Oktober 2021
Workshops/ Veranstaltungen: Zweite Code Week Bonn-Rhein-Sieg
Die Code Week soll Kindern und Jugendlichen in mehr als 50 Veranstaltungen aufzeigen, wie interessant das Programmieren von Apps, Spielen etc. sein kann. Vor allem der Umweltschutz soll mit digitalen Lösungen thematisiert werden. Anmeldung erforderlich. Infos und Anmeldung
normalerweise stirbt die Hoffnung zuletzt. Bei den digitalen Irrungen und Wirrungen von Bund und Ländern stirbt die Hoffnung als erstes. Jetzt sind auch die digitalen Kompetenzzentren für die Lehrerfortbildung gescheitert. Also, ganz kaputt sind sie noch nicht. Aber es ist ein kleiner Skandal, dass die Kanzlerin zusammen mit Saskia Esken im September 2020 mit den Kultusministerinnen eine bessere und schnellere Lehrerfortbildung beschließt – und im September 2021 ist das Projekt immer noch nicht auf den Gleisen. Und dennoch, das ist das Gute, sprießt schon neue Hoffnung. Wir haben uns zwei schuleigene Selbstlernplattformen von Lehrern für Lehrer angeschaut. Gute Schulen und engagierte Lehrkäfte sind die Motoren der Digitalisierung.
Eine Neuwahl bringt nicht immer gleich eine neue Regierung. Aber es hat Konsequenzen für Abgeordnete, die es nicht mehr schaffen. Margit Stumpp von Bündnis 90/Die Grünen ist eine von ihnen. Ein Verlust für den Bundestag und für die digitale Bildung.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat gerade eine großartige neue digitale Bildungsoffensive gestartet. Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) sprach von einem digitalen Quantensprung. Lesen Sie selbst, mit welchem Geld dieses eigentlich so wunderbare Land seine Technikoffensive bezahlt. Robert Saar hat es recherchiert.
Die zwischen Kultusministern und der Kanzlerin anvisierten Kompetenzzentren für einfache und wissenschaftsbasierte Lehrerfortbildungen stehen in den Sternen. Die konkreten Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern sind an einem toten Punkt angelangt. “Zur Finanzierung konnte bisher keine Einigkeit erzielt werden,” bestätigte eine Sprecherin des Bundesbildungsministeriums auf Anfrage von Bildung.Table. Das bedeutet, dass dem Staat eines der wichtigsten Vorhaben für die Digitalisierung der Schule nicht gelingt, nämlich die 800.000 deutschen Lehrer möglichst schnell auf den neuesten Stand zu bringen. Gleichwohl stehen die Zentren in den Wahlprogrammen von CDU und SPD.
Bund und Länder sollten zusammen eine halbe Milliarde Euro investieren, damit es nicht nur Tablets und Laptops an den Schulen gibt, sondern die Lehrkräfte in der Arbeit mit ihnen geschult werden. Das Bildungsministerium teilte mit, der Bund dürfe sein Geld nur in die Forschungsförderung stecken, und “die Länder in den Auf- und Ausbau von Kompetenzzentren.” Beim informellen “Nationalen Bildungsforum” in Wittenberg über den Stand der föderalen Beziehungen wurde nun bekannt, dass die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern inzwischen auf Eis gelegt ist. Denn die Länder zieren sich, ihren 250-Millionen-Euro-Anteil zu dem wichtigen Vorhaben beizutragen. Der Bund wiederum habe zu bedenken gegeben, dass es ohne echtes finanzielles Engagement der Länder keinen Sinn mache, in neue Strukturen der Lehrerfortbildung zu investieren.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die als Antreiberin bei dem Thema gilt, sagte im September vergangenen Jahres, die Kompetenzzentren sollten die “pädagogischen und technologischen Kompetenzen bündeln.” Kanzlerin Angela Merkel ließ damals mitteilen, die Zentren “sollen Schulen vor Ort dabei unterstützen, Medienkonzepte und digitale Schulentwicklungspläne zu erstellen.” Darauf wird man nun wohl Jahre warten müssen.
Die Lehrerfortbildung gilt als die Achillesferse der Digitalisierung des deutschen Bildungswesens. Corona hat das Problem offenbart – und verschärft. Nur ein Bruchteil der deutschen Lehrkräfte ist bereits firm im Umgang mit Endgeräten, digitalen Applikationen und veränderten didaktischen Formaten. Weil die staatliche Lehrerfortbildung aber so langsam und bürokratisch ist, sprießen immer mehr private Initiativen von Lehrern für Lehrer aus dem Boden.
Dass Kompetenzzentren eine sinnvolle Methode sein könnten, sieht man am Beispiel Niedersachsens. Dort gibt es bereits ein Dutzend solcher Einrichtungen, in denen sich Schulen passgenaue Fortbildungen organisieren können sollen. In Niedersachsen haben dies in den Jahren 2020/21 bisher über 80.000 Lehrkräfte getan. Das bedeutet, dass das Bundesland damit rechnerisch jede seiner 68.000 Lehrkräfte erreicht hat. Vor allem die Angebote in vier zivilgesellschaftlichen Organisationen mit Kompetenzzentren gelten als besonders niederschwellige Angebote. Allerdings ist es mit einer einmaligen Lehrerfortbildung meist nicht getan.
Allerdings waren die Kompetenzzentren in Niedersachsen offenbar nicht so gut, dass sie die Entstehung des derzeit erfolgreichsten digitalen Fortbildungsangebots für Lehrkräfte überflüssig machten. In der Waldschule Hatten in Cloppenburg startete der Lehrer Andreas Hofmann vor zehn Jahren einen schulinternen Fortbildungskurs – aus dem die “Mobile Schule” entstanden ist, ein Konglomerat an Formaten der Lehrerfortbildung, die inzwischen Zehntausende Lehrer angezogen haben dürfte. Aus der “Molol”, der “Mobilen Schule Oldenburg”, entstanden während der Pandemie – kostenlose – Online-Angebote mit Tausenden von Teilnehmern. Daneben gibt es ein Gratis-Einsteigerformat und eine kommerzielle “Mobile Schule Flatrate,” bei der Schulen Fortbildungslizenzen erwerben können.
Mit Hofmann, der den Lehrerberuf seit zwei Jahren ruhen lässt, kooperieren aus ganz Deutschland Lehrer:innen als Vortragende und Lehrerinstitute – als Auftraggeber. Kommende Woche wird es die Mobile Schule München geben, es werden 500 Teilnehmer:innen erwartet. In Karlsruhe ist ein erfolgreicher Ableger namens WES4.0 entstanden. Nächstes Jahr im Juni soll in Hannover die Mutter aller großen selbstorganisierten Fortbildungen, die Molol, nach zwei Jahren Pause wieder in Präsenz stattfinden. “Ich will, dass Mobile Schule das Angebot wird, dass deutschlandweit für gute digitale Lehrerfortbildung steht,” sagt der jetzige Unternehmer Hofmann. Die Konkurrenz der Kompetenzzentren schreckt ihn nicht. “Wenn die staatlichen Strukturen besser werden, dann ist das doch wunderbar.” Die Landesinstitute seien erste Anlaufstelle für Fortbildungen, die Mobile Schule sei eine länderübergreifende Ergänzung.
Inzwischen entstehen bereits weitere neue Formate von Lehrerfortbildungen: schuleigene Selbstlernangebote für Lehrer. Ausgerechnet an Hofmanns alter Schule in Hatten wurde gerade eine Plattform namens “Sofa” gestartet. Das Akronym steht für “selbstorganisiertes Fortbildungsangebot” und wortwörtlich für Sofa. Denn “die Kolleg:innen sollen sich zu Hause vom Sofa aus anschauen können, wie zum Beispiel die digitale Mappe ‘Notability’ funktioniert,” berichtet Judith Exner. Die Deutsch- und Geschichtslehrerin koordiniert in der Schulleitung der Waldschule die digitale Schulentwicklung. Dazu gehört, “in kleinen Portionen das ganze Kollegium mitzunehmen.” Die Lehrer:innen finden im Sofa “die Schatzkiste der digitalen Materialien, die wir in Jahren zusammen gesammelt haben.”
Die Waldschule ist nicht die einzige, die auf dem Trip ist. Jan Vedder (Berenbostel) und Marcus von Amsberg (Hamburg) haben gerade ein ganz ähnliches Projekt online gehen lassen. Es sind Selbstlernkurse für Lehrer:innen, die Vedder und von Amsberg vom “Studypoint-Teacher” aus anbieten. Die Idee ist exakt die gleiche wie an der Waldschule – nur dass Studypoint von jeder Schule als bereits fertige Schatzkiste gebucht werden kann. Es gibt dort “einen sorgsam kuratierten Grundbestand von Methoden und Tools, mit denen wir viele Jahre lang gute Erfahrung gesammelt haben,” erzählt von Amsberg. “Wer das kann, besitzt eine Basis, um seinen Unterricht umzustellen.” (Siehe Didaktik & Tools in dieser Ausgabe)
Fragt man die niedersächsische Lehrerin Exner, ob sie schon mal eines der Kompetenzzentren ihres Landes genutzt hat, muss sie nachdenken. Das sei schon lange her, sagt sie. Woran liegt es, dass einer der digitalen Vorreiter wie die Waldschule auf die – grundsätzlich sinnvollen – Landesangebote kaum zurückgreift? Weil sich längst ein eigenes Ökosystem von Lehrfortbildungen jenseits des Staats zu entwickeln beginnt. Kaum vorstellbar, wie sich das ändern soll. Bund und Länder hatten mitten in der Pandemie Kompetenzzentren als Nonplusultra angekündigt. Ein Jahr später liegt in den Schubladen von BMBF und Kultusministerkonferenz ein hochkomplexer Entwurf, den kaum jemand versteht – und für den es beim Geld keine Einigung gibt.
In NRW setzt das Bildungsministerium zur selbst proklamierten “digitalen Aufholjagd” an. Aus Töpfen des Bundes, Landes und der EU fließen zwischen 2020 und 2025 knapp zwei Milliarden Euro in Digitalisierung, rechnete das Ministerium aus. Nun kündigte Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) an, Schülerinnen und Schüler aus belasteten Verhältnissen besonders zu unterstützen und allein dafür 184 Millionen Euro ausgeben zu wollen. Das EU-Geld stammt zum größten Teil aus der Recovery Assistance for Cohesion and the Territories of Europe, der Wiederaufbauhilfe für die Kohäsion und die europäischen Territorien.
Die Aufholjagd heißt offiziell “Digitalstrategie Schule NRW”. Sie wird allerdings nur zu etwa einem Viertel vom Land selbst bezahlt. Aus drei Handlungsfeldern setzt sich die Strategie zusammen, mit der NRW in die digitale Zukunft springen und Versäumtes aufholen möchte. So sollen, erstens, Schulen und Unterricht weiterentwickelt und der Fokus auf pädagogische und didaktische Chancen von Digitalisierung gelegt werden. Zweitens, sollen Lehrkräfte unterstützt und qualifiziert werden. Drittens soll der Zugang zu digitalen Medien und Infrastruktur geschaffen und sichergestellt werden.
Die Situation in Schulen während Corona, insbesondere zu Zeiten des Fernunterrichts, war besonders schwer für Kinder an besonders belasteten Schulen. Sei es, weil deren Eltern viel arbeiten mussten oder eine andere Muttersprache sprechen. Die EU unterstützt gezielt stark benachteiligte Regionen als Reaktion auf Corona. Dieses Geld soll vor allem an die Ärmsten der Armen gehen. NRW investiert nun mithilfe dieser Fördermittel 184 Millionen Euro in digitale Endgeräte. Insgesamt erhält das Land aus Brüssel 112 Millionen Euro. Aus dem React-EU-Fonds werden unter anderem Armentafeln in Bulgarien und Portugal bezahlt. Auch in NRW erfolge die Verteilung auf “Grundlage sozialer Faktoren“. Das heißt, die Endgeräte gehen an 370.000 Schülerinnen und Schüler in den Problemregionen des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes.
“Die digitale Teilhabe von heute sichert morgen die Bildungschancen unserer Kinder und Jugendlichen”, sagte Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung. Der Verband Bildung und Erziehung sieht in der angekündigten Anschaffung jedoch nur eine überfällige Maßnahme. Es sei höchste Zeit, sagte der VBE-Landesvorsitzende Stefan Behlau, “dass eigentlich Selbstverständliches nicht nur mittels einer theoretischen Strategie, sondern auch durch praktische Umsetzung und Unterstützung selbstverständlich wird.”
Eine digitalaffine Lehrerin lobte gegenüber Bildung.Table einerseits die Zielsetzung der neuen Geräteoffensive. Die Geräte seien ein Segen für digitalaffine Schulen. Schulträger machten sich plötzlich Gedanken über 1:1-Ausstattungen – das sei vor kurzem noch undenkbar gewesen. Andererseits gebe es grundsätzliche strukturelle Probleme: “Die Wahrheit ist auch, dass fantasielose Schul-ITs in den Rathäusern aus den ausgegebenen Geräten ´closed shops´ machen. Tablets dürfen nicht mit dem Drucker verbunden werden, eine Installation von Apps wird verhindert oder bei zentraler Verwaltung ´verschleppt´ und einige Lehrer:innen dürfen die Geräte nicht mit nach Hause nehmen. Das ist dann kein Ausstattungs-, sondern ein Ausschaltungsprogramm.” Robert Saar
Mit den “Vergleichsarbeiten” (Vera) erheben die Bundesländer unabhängig voneinander den Lernstand ihrer Schülerinnen und Schüler. An Erhebung, föderaler Umsetzung und grundlegender Konzeption gibt es seit längerem massive Kritik. Nun zeigt eine Klage, wie intransparent und kompliziert die Vera-Daten in Hessen erhoben und verarbeitet werden.
Bildung.Table berichtete bereits über die versteckten Daten der Coronavirus-Lernlücke und die Arbeit der Open Knowledge Foundation (OKF). Die Organisation veröffentlicht und analysiert auf wo-ist-vera.de alle von den Bundesländern bereitgestellten Daten. Es fehlen: Bayern, Bremen, Hessen und Sachsen – Niedersachsen erhebt seit dem Schuljahr 2019/20 keine Vera-Daten mehr. Mit einer Klage gegen das Bundesland Hessen will die OKF die Herausgabe der Daten erzwingen. Die Verfahrensdokumente geben nun ersten Aufschluss über das hessische Vera-Wirrwarr. Hessens Kultusminister weiß offenbar über seine eigenen Vergleichsarbeiten nicht Bescheid.
Das Hessische Kultusministerium gab an, dass die Hessische Lehrkräfteakademie verantwortlich für die Vera-Erhebung sei. Die wiederum habe allerdings die Universität Jena beauftragt, welche an den hessischen Schulen die Daten erhebt. “Unklar ist, wieso Hessen eine Forschungseinrichtung in Thüringen beauftragt. Unklar ist auch, welche Daten am Ende in Hessen selbst landen,” sagt Maximilian Voigt von der OKF. Er wartet (Stand, 28. September, 15:30 Uhr) noch auf eine Antwort der Hessischen Lehrkräfteakademie. Die Vergleichsarbeiten sind wichtig, weil sie sowohl den Lehrkräften in der dritten und der achten Klasse den Lernstand ihrer Schüler rückmelden – als auch für bundesweite Lernstandserhebungen genutzt werden könnten. Das aber haben die Kultusminister per Beschluss für unmöglich erklärt. Sie wollen verhindern, dass Vera-Rankings erstellt werden.
Die Kultusminister bestehen darauf, dass die Daten nicht zum bundesweiten Vergleich dienen, sondern nur innerhalb der Länder verwendet werden dürfen. In der deutschen Bildungs-Szene wird allerdings grundlegender diskutiert. Bei einer Tagung des “Nationalen Bildungsforums” in Wittenberg forderten renommierte Forscher, die Vera-Daten wieder zu einem verlässlichen Instrument der Lernstandserhebung zu machen. Das gehe am besten, wenn man Vera digital erhebe und auswerte. Wie berichtet gibt es in Schleswig-Holstein ein Projekt zusammen mit Bettermarks, das Lernstandserhebungen wie Vera digital auswertet. Es gibt aber auch kritische Stimmen. Der Schulleiter und frühere Vera-Beauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Timo Off aus Nortorf, fordert: “Vera gehört zerschlagen”. Enno Eidens
Die Staatsministerin für Digitales Dorothee Bär (CSU) hat bei ihr abgeschrieben, um das Vorzeigeprojekt einer “Bundeszentrale für digitale Aufklärung” zu gründen. Darüber hat sich Margit Stumpp (Bündnis 90/Die Grünen) ein bisschen geärgert. Denn, erstens, hat Bär am Ende gar kein Geld für die Zentrale bekommen. Und, zweitens, war ihr, Stumpps, Antrag für eine “Bundeszentrale für digitale und Medienbildung” im Bundestag von der Großen Koalition zuvor abgelehnt worden. Stumpp lästerte, Dorothee Bär könne nicht mal richtig abschreiben. “Bei ihr ist ja auch nur eine dünne Webseite draus geworden”, sagte sie Bildung.Table. Sie habe sich mit einem Schlagwort eines Themas bemächtigt. “Als sie gemerkt hat, wie schlecht Bildungsministerin Karliczek aufgestellt ist, ist sie sofort in die Lücke gesprungen”, so Stumpp zu Netzpolitik.
Was Stumpp nun wohl noch ein bisschen mehr ärgert ist, dass sie nach nur einer Legislatur aus dem Bundestag fliegt, und das, obwohl die grüne Fraktion viel größer geworden ist. Damit verliert nicht nur die grüne Partei, sondern der Bundestag insgesamt eine seiner profiliertesten digitalen Bildungspolitikerinnen. Margit Stumpp, Berufsschullehrerin, IT-Fachfrau und bildungspolitische Sprecherin der Fraktion, hatte es nur auf Platz 20 der Landesliste in Baden-Württemberg geschafft. Platz 18 kam noch mit in den Bundestag, den Wahlkreis Aalen/Heidenheim konnte sie direkt nicht gewinnen. Zuvor war sie bei einer Delegiertenkonferenz um zwei Stimmen von einer Kandidatin der Grünen Jugend geschlagen worden. “Ich hätte die Bürger:innen der Ostalb gerne weiterhin im Bundestag vertreten. Aber so ist Demokratie”, schrieb sie.
Die Grünen haben offenbar ein besonderes Talent, gute Bildungspolitiker aus dem Bundestag zu vergraulen. Vor Margit Stumpp war ihr Vorgänger, der Bildungsexperte Özcan Mutlu, nach nur einer Legislatur wieder aus dem Hohen Haus entfernt worden. Mutlu war ein bisschen zu laut und, wie viele mutmaßen, auch ein bisschen zu sehr Kanake für die Berliner Grünen. Stumpp hingegen war wahrscheinlich ein bisschen zu leise. Aber sie gab sich auch nicht gerade bequem. Während Ministerpräsident Winfried Kretschmann und die Landesgrünen inzwischen die Lordsiegelbewahrer des Bildungsföderalismus sind, hat Stumpp sich stets dafür ausgesprochen, die Bildungsbremse des Kooperationsverbots wieder zu lösen. Auf Deutsch: mit dem Bund besser zu kooperieren – weil sonst gerade bei der digitalen Bildung kein Fortkommen möglich ist, jedenfalls nicht für alle Bundesländer. Margit Stumpp steht politisch für digitale Bildung, Chancengleichheit – und eine starke Zivilgesellschaft. Das wird sie, wohl vorerst zum letzten Mal, kommenden Mittwoch auf einem virtuellen Podium der Stiftung Bildung vertreten. Da geht es darum, ob der Bund bundesweit agierende Bildungs-Stiftungen fördern sollte. Stumpp ist dafür. cif
Was musste sich Saskia Esken alles anhören! Von Frauenhassern, vom politischen Gegner, aber auch von Parteifreunden. Ihr Vorgänger im Parteivorsitz der SPD, Sigmar Gabriel, zählte sie an, als Esken 2019 den Silvester-Einsatz der sächsischen Polizei in Leipzig kritisierte. Sie solle sich erst mal kundig machen, ehe sie schlaumeiere, schrieb Gabriel über seine Nach-Nachfolgerin.
Für Saskia Christina Esken, geborene Hofer, gilt der Satz: Viel Feind viel Ehr. Erst 2013 kam die 60-Jährige in den Bundestag – und hat seitdem einen kometenhaften Aufstieg genommen. Zunächst krempelte sie fast im Alleingang die digitale Bildungspolitik des Bundes um, dann eroberte sie die SPD. Nun steht sie vor einem Triumph. Die Sozialdemokratie schafft aller Wahrscheinlichkeit nach etwas, was ihr und Esken niemand zugetraut hätte: Die SPD wird die neue Bundesregierung anführen. Sollte Esken dann Bildungsministerin werden?
Sie könnte es auf jeden Fall. Was die in Stuttgart geborene und am Rande des Schwarzwaldes lebende Politikerin in der Bildung bewegt hat, stellt in den Schatten, was die 17 Bildungsminister:innen in Bund und Ländern geschafft haben. Die abgebrochene Studentin, Teilzeit-Kellnerin und Informatikerin hat eine Reihe von strategischen Entscheidungen gefällt – und ist dabei ihrer Zeit meistens voraus, manchmal zu weit. Esken hat wesentlich die Strategie des Bundes bei “open education resources” (kurz: OER) geprägt. Ihr Engagement für diese offenen Lehrmaterialien hat Strukturen geschaffen – und wütende Proteste ausgelöst. Der Vorsitzende des Verbands der Bildungsmedien (kurz: der Schulbuchverlage) Ilas Körner-Wellershaus wütete, Esken habe gar nicht verstanden, wie ein Schulbuch produziert wird. Aber es half alles nichts: Es gibt inzwischen beachtliche Zuschüsse für OER vonseiten des Bundes. Daraus ist unter anderem eine bundesweite Plattform namens “Wir lernen online” entstanden, mit der der Bund, genaugenommen Esken, schneller war als alle 16 Kultusminister zusammen. Die Länder-Plattform Mundo ging während der Pandemie, obwohl seit Jahren vorbereitet, erst Monate nach Eskens Portal online.
Anders als die meisten Länderminister kennt sich die Informatikerin in der digitalen Bildung exzellent aus. Sie weiß etwa, wie wichtig ein bundesweites “Single Sign On” wäre, damit Schüler:innen endlich alle pädagogischen Plattformen nutzen können, die es in Deutschland gibt – egal, woher sie kommen. Die Kultusminister planen so etwas zwar, aber das wird, erstens, noch lange auf sich warten lassen, und, zweitens, wissen die Minister meist nicht, wozu so ein zentraler digitaler Schülerausweis gut sein soll. Die Bildungspolitikerin Esken weiß das. Und sie ist sich auch bewusst, dass es endlich zu klaren Absprachen mit den Datenschützern kommen muss. Sie sei “mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber und seinen Länderkollegen in einem intensiven Gespräch, was machbar wäre,” sagte Esken im Interview mit dem Tagesspiegel.
Die SPD-Vorsitzende ähnelt in ihrem Vorgehen durchaus der Kanzlerin. Sie schart kluge Leute um sich, völlig unprätentiös, um zuzuhören und gemeinsam nachzudenken. Und sie beherrscht die Grundaxiome digitaler Bildung. “Ich sehe Bildung nicht als Mittel zum Zweck für mehr Digitalisierung, sondern als Mittel für die Emanzipation von Menschen, und zwar über die ganze Biografie hinweg,” sagte Esken im Oktober vor einem Kreis von Lehrer:innen, Schulleiter:innen und Digitalist:innen. “Bildung basiert auch weiterhin auf Beziehung, und deshalb wollen wir auch keine Beziehungen durch KI ersetzen. Wenn wir KI oder Learning Analytics nutzen, dann dafür, die Lehrkräfte dabei zu unterstützen, Lernende optimal und individualisiert beim Lernen zu begleiten.”
Das kam bei den Leuten gut an, auch bei den KI-Fans, die eigentlich anderer Meinung sind und gerne stärker auf die Tube drücken würden. Aber sie merken: Wenn Saskia Esken spricht, dann sind das nicht wild durcheinandergewürfelte Textbausteine und Buzzwords, sondern das hat Hand und Fuß. Vielleicht ist das auch der Grund, warum Merkel und Esken zu einer Art Tandem beim Vorantreiben digitaler Bildung geworden sind. Nicht jede der Ideen, die die beiden zusammen mit den Kultusministern entwickelt haben, sind heute bereits Realität. Fatalerweise sind zum Beispiel die neuen Kompetenzzentren für Lehrerfortbildung immer noch nur Papiere in der Schublade (Siehe Kompetenzzentren). Aber das ist dann nicht die Schuld der Sozialdemokratin, sondern die des dysfunktionalen Griffs der Kultusminister nach dem Geldbeutel des Bundes.
Was Esken und Merkel grundsätzlich unterscheidet: Die Stuttgarterin sagt Sätze, die scharf wie Rasierklingen sind. Das “betreute Regieren” der Bildungsministerin müsste ein Ende haben, sagte Esken über Anja Karliczek. “Seit mehr als drei Jahren warten wir darauf, dass Frau Karliczek die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zum Aufbau einer digitalen Bildungsplattform umsetzt. Nicht einmal die Pandemie, die uns allen deutlich vor Augen geführt hat, wie wichtig digitales Lernen ist, konnte die Ministerin zu entschlossenem Handeln ermutigen.” Wie es aussieht, behält Esken Recht.
Diese Chuzpe ist es freilich, die Esken ausgerechnet da, wo sie sich zu Hause fühlt, schwere Probleme bereitet: im Internet. Kompetente und scharfzüngige Politikerinnen liebt das Netz nicht nur nicht, die macht sie zuweilen auch fertig. Die begeisterte Twitter-Nutzerin warnte einmal die Fluggesellschaft Air Berlin vor der US-amerikanischen Hetzplattform Breitbart: “@airberlin, Eure Werbung erscheint bei einer Neonazi-Website. Das kann nicht gewollt sein, oder?” Daraufhin brach eine Lawine über sie herein. Die Parlamentarierin musste sich als “widerliche Denunziantin”, als “behindert” und “Linksfaschistin” beschimpfen lassen. Der Strom wollte nicht mehr abreißen. Damals, 2017, begegnete man nicht einer gebrochenen, aber sehr nachdenklichen Bundestagsabgeordneten in ihrem Büro. Sie fühle sich “wie bei einer Schwarmattacke auf meinen Twitteraccount,” sagte sie – und tat sich schwer, von den Konsequenzen zu erzählen, die sie zog. “Ich habe etwas gemacht, was ich noch nie getan habe: Ich habe rund 50 besonders destruktive Twitter-Profile blockiert, damit ich mit den konstruktiven Kommentatoren im Dialog bleiben kann.” Allein, das nutzte nichts. Es waren einfach zu viele. Christian Füller
Dass die Lehrerinnen und Lehrer sich genau die Fortbildungen und Gebrauchsanweisungen, die sie brauchen, gezielt aussuchen und gegebenenfalls immer wieder anschauen können. Jan Vedder und ich geben seit vielen Jahren Fortbildungen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man auf interessierte Lehrer trifft, die sich begeistern lassen – dass aber am Ende doch oft nicht so viel hängenbleibt. Das hängt häufig an der Knöpfchenkunde, wie ich es mal nennen möchte. Also welche konkreten kleinen Handgriffe man an den Endgeräten vornehmen und wie man die Buttons innerhalb einer App einstellen muss. Das kann man in Präsenz nicht wirklich alles im Detail zeigen. Sonst würde es den Rahmen so einer Fortbildung sprengen. Deswegen haben wir uns die Frage gestellt, wie man das individualisieren und nachhaltiger machen kann. Wir haben uns ein Wochenende eingeschlossen und überlegt, wie man Selbstlernkurse so gestaltet, dass sie Lernen in der Digitalität auf eine Weise in Schulen bringt, hinter der wir stehen können. Dabei ist Studypoint entstanden.
Sie müssen in passgenauen Modulen aufgebaut sein. Zum Beispiel braucht es einen Hands-on-Teil, bei dem sehr kleinschrittig erklärt wird, wie eine Anwendung oder eine Methode technisch funktioniert, etwa eine App. Es braucht aber auch Module, die zeigen, wie man das gewinnbringend und ganz konkret in den jeweiligen Unterricht und das jeweilige Fach einbetten kann. Zugleich muss es Bezüge zur dahinter stehenden Theorie geben, die viele Lehrkräfte kennenlernen wollen.
Und, ganz wichtig, in jedem der Kurse muss es ein Modul geben, das “Machen” heißt. Die Lehrkräfte müssen das wirklich selbst anwenden. Nur vom Zugucken und Ideensammeln wird es nicht wirksam. Deswegen haben wir in jedem Kurs Arbeitsaufträge, um Dinge konkret auszuprobieren – und sie dann auf einer digitalen Pinnwand zu kommentieren und mit anderen zu teilen und zu diskutieren.
Dazu gibt es auch ein FAQ, in dem wir aus der Praxis jene Stolpersteine ansprechen, die ganz häufig nachgefragt werden. Unser Ansatz ist also nicht, 20.000 Kurse zu haben, wie auf mancher Lehrerfortbildungsseite eines Lehrerinstituts. Wir bieten eine sorgsam kuratierten Grundbestand von Methoden und Tools, mit denen wir viele Jahre lang gute Erfahrung gesammelt haben. Wer das kann, besitzt eine Basis, um seinen Unterricht umzustellen und braucht danach erstmal keine Fortbildung mehr.
Das sind die üblichen Voraussetzungen in einer Schule wie WLan und Endgeräte – wobei: Studypoint dürften viele Lehrer:innen von zu Hause aus nutzen. Der Witz ist, dass nicht jeder Kollege einzelne Kurse kaufen soll, sondern dass der ganzen Schule eine Plattform zur Verfügung gestellt wird, die alles Wichtige enthält. Die Schule selbst kann dann nach ihrem pädagogischen Fahrplan und individuell nach den Bedürfnissen der Lehrer:innen Kurse freischalten. Im Gegensatz zu Portalen, wo man einzelne Lehrerfortbildungen bucht, bekommt die Schule eine eigene Instanz für Studypoint und einen Admin-Zugang. Dann können die Kolleg:innen dort eingepflegt werden.
Der große Vorteil ist, dass Lehrkräfte nicht gleich mit einem riesigen Angebot erschlagen werden. Sie sollen Schritt für Schritt etwa erst den Tablet-Grundlagenkurs belegen und danach, zum Beispiel, kollaboratives Arbeiten mit Flinga üben. Nach unserer Erfahrung ist es wichtig, dass die Kolleg:innen nicht Angst vor der unglaublichen Vielfalt bekommen, sondern sie sollen den Nutzen jeder Lektion spüren. Zum Beispiel hat der Kurs BigBlue Button im Lockdown vielen Lehrkräften geradezu existenziell geholfen – weil die sich da angucken konnten, wie eine gute Videokonferenz technisch und didaktisch funktioniert. Wir haben damals erst mal nur zwei Kurse freigeschaltet und dann Stück für Stück mehr. Wenn man so will, haben wir auf diese Weise das Kollegium an die Hand genommen. Das soll Studypoint jetzt für jede Schule möglich machen. Für die Lehrer bedeutet das: Sie können die Module von Anfang bis Ende als einen großen Kurs durcharbeiten – oder es als Nachschlagewerk nutzen und zielgenau nur das belegen, was sie brauchen.
Jan Vedder und ich halten die einzelnen Kurse schon seit Jahren immer wieder als Fortbildung. Auch der Plan, daraus eine Plattform zu machen, ist vor Corona entstanden. Während der Pandemie und auch jetzt, wo der Fortbildungsbedarf so deutlich geworden ist, ist das Tool natürlich viel relevanter geworden, als wir uns das hätten vorstellen können.
Ich glaube, es gibt zwei Vorteile. Erstens, die Verständlichkeit. Jan und ich bekommen durchgängig Rückmeldung der Marke “Ah, endlich verstehe ich, wie das funktioniert!” Niemand muss sich schämen, eine dumme Frage zu stellen – er spult zurück oder lässt es einfach noch mal laufen. Dieses Fortbildungsprogramm nimmt die Einsteiger und Ängstlichen mit, die ohne Vorwissen sind. Trotzdem gibt es so viele Inhalte, Hintergründe und Unterrichtsbeispiele, dass auch Kollegen profitieren, die schon viel Erfahrung haben. Zweiter Vorteil: die Schulen bekommen in ihrer Studypoint-Instanz die Möglichkeit, selber Kurse zu erstellen. Im Gegensatz zu manchem komplexen Moodle-Kurs ist die Plattform so einfach programmiert, dass über Learning-Slides Lehrer sehr einfach ihre Kurse einstellen können. Im Prinzip ist es aufgebaut wie PowerPoint, wo man Folien zusammenstellen, Text schreiben und Videos einbetten kann. Das lernt man in fünf Minuten – und dann können Schulen in ihrer eigenen Fortbildungsinhalte einpflegen.
Marcus von Amsberg ist mit voller Stelle Lehrer und didaktischer Leiter an der Stadtteilschule Niendorf. Er ist – als angemeldete Nebentätigkeit – Geschäftsführer von ivi-education, zu der Studypoint-Teacher gehört.
29. September 2021, 07:45 bis 17:00 Uhr
Barcamp: OERcamp
Das “Open Educational Resources Camp” ist eine Veranstaltung für Personen aus allen Bildungsbereichen. Vormittags finden die OER-Workshops für Pro-/PoliGenius Schulen statt und nachmittags werden im Barcamp verschiedenste Sessions, von Schulentwicklung über Tipps für ein zufriedenes Lehrerkollegium bis hin zu Podcasts und Sex-OERs vorgestellt. Barcamp-typisch kommen die Sessions von den Teilnehmenden selbst. Ab 20:15 Uhr gibt es ein Abendprogramm. Kostenlose Anmeldung erforderlich. Infos & Anmeldung
1. Oktober 2021, 10:30 Uhr
Buchvorstellung: “Die flexible Oberstufe”
“Den Bildungsstandort Deutschland zukunftsfähig zu machen” lautet das Ziel der Initiative “Die flexible Oberstufe”. Dazu wird am Freitag das gleichnamige Buch “Die flexible Oberstufe: Wie Schulen Freiräume schaffen und nutzen können”, im Haus der Bundespressekonferenz (Raum 1-4) vorgestellt. Die Buchvorstellung kann auch online verfolgt werden. Anmeldung erforderlich. Infos & Livestream
04. bis 24. Oktober 2021
Workshops/ Veranstaltungen: Zweite Code Week Bonn-Rhein-Sieg
Die Code Week soll Kindern und Jugendlichen in mehr als 50 Veranstaltungen aufzeigen, wie interessant das Programmieren von Apps, Spielen etc. sein kann. Vor allem der Umweltschutz soll mit digitalen Lösungen thematisiert werden. Anmeldung erforderlich. Infos und Anmeldung