der Berg kreißte und gebar viel Politlyrik – und einen Stuhlkreis. Die Digitalisierung der Gesellschaft und vor allem der Bildungseinrichtungen stand ganz oben auf der Prioritätenliste der Ampel. Fast in jedem Statement kamen Modernisierung und Digitalisierung zu ihrem Recht. Wer sich nun in die Lektüre des Koalitionsvertrags von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wirft, der zuckt immer wieder zusammen, was sich diese Koalition alles traut. Aber ausgerechnet in der Bildung für eine digitale Welt nur Buzzwords aufzuschreiben, ist zu wenig – gerade wenn das Kleingedruckte und die Fußnoten fehlen. Stattdessen: Arbeitsgruppen, Fachbeiräte, Bildungsgipfel.
Bildung.Table stellt Ihnen zum Wochenende zusammen, was Sie zum Kapitel, pardon: Abschnittchen, digitale Bildung wissen müssen: Lehrer und Schulleiter, Startups und Schulbuchverleger sagen, was sie jetzt brauchen. Wir schauen in den Maschinenraum des Digitalpakt 2.0: wir sprechen mit dem Verhandler Oliver Kaczmarek (SPD), dokumentieren die wenigen wichtigen Passagen und fragen Niedersachsens Digitalstaatssekretär Stefan Muhle (CDU), was er von dem 175 Seiten langen Papier hält. Ein Bildungsgipfel, so viel sei verraten, ist für ihn die Arbeitsgrundlage der Ampel nicht.
Bleiben Sie gesund!
Es ist erst ein paar Tage her, da setzte die parlamentarische Geschäftsführerin der FDP, Bettina Stark-Watzinger, einen pointierten Tweet ab. “In Zahlen sind für den Digitalpakt Schule bis Ende Juni genau 0 Euro (In Worten: Null) nach Thüringen abgeflossen”, schrieb sie. Inzwischen ist klar, dass Stark-Watzinger bald Bundesbildungsministerin ist – und bald wieder solche Tweets über Bildung absetzen kann. Denn in der Geschäftsgrundlage für ihre Arbeit, dem neuen Koalitionsvertrag, fehlt genau das, was die einzige Frau unter den FDP-Minister:innen so scharfzüngig aufs Korn genommen hatte. Dort ist weder berechnet noch durchbuchstabiert, wie der Bund die Abwicklung des Digitalpakts zwischen Ländern und Kommunen effizienter machen könnte.
Was im Koalitionsvertrag über Digitalisierung der Bildung steht, sieht prima aus – auf den ersten Blick: Der Digitalpakt wird verstetigt, steht da. Den Mittelabruf will die Ampel “beschleunigen und entbürokratisieren.” Dazu gehöre auch die Neuanschaffung von Hardware und die Gerätewartung. Die Koalition werde zudem die Erstellung von “Positivlisten datenschutzkonformer, digitaler Lehr- und Lernmittel unterstützen.” Alle von Bildung.Table befragten Lehrer, Schulleiter und Fachleute begrüßten dies. Ohne Ausnahme. Was aber fehlt: wie sollen diese richtigen Ziele eigentlich erreicht werden? Wie sieht das Kleingedruckte aus? Das können die befragten Verhandler bisher nicht beantworten. Zudem gibt es Verschiebebahnhöfe und ungeklärten Interpretationsbedarf.
Beispiel “dauerhafte Unterstützung bei der Digitalisierung des Bildungswesens”: Die Verstetigung des Digitalpakts Schule gilt als das Prunkstück der rot-grün-gelben Koalition. Schaut man nun in die geplante Ausführung, tauchen erste Fragezeichen auf. Wie hoch ist der Dauer-Digitalpakt eigentlich dotiert? Fehlanzeige. Das sei noch nicht durchgerechnet, sagt ein Koalitionär. Und was bedeutet eigentlich dauerhaft? Eine Verlängerung des Digitalpakts um fünf Jahre steht im Vertrag. Das ist nicht schlecht – aber kann man das dauerhaft nennen?
Nun muss man wissen: Einen dauerhaften Digitalpakt könnte die Ampel ohnehin nicht allein beschließen. Dafür wäre eine Verfassungsänderung nötig. Nur, warum nimmt die Koalition dann nicht die ausgestreckte Hand der Union an? Niedersachsens Digitalstaatssekretär Stefan Muhle (CDU), genau wie der Ex-Innenminister Thomas de Maizière (CDU), haben weit reichende Angebote gemacht. De Maizière sprach von einer großen Staatsreform zugunsten der digitalen Bildung – und verknüpfte sie mit einer sehr konkreten Ausgestaltung neuer Länder-Schulträger-Beziehungen.
Beispiel “den Mittelabruf beschleunigen und entbürokratisieren”: Das ist vielleicht das wichtigste Unterziel der Koalition. Nur ist die Langsamkeit des Digitalpakts ja kein Betriebsunfall, sondern sein Wesensmerkmal. Das bedeutet, die Mittel in Thüringen stocken nicht etwa, weil das doofe Thüringen Fehler macht. Nein, das Bundesland schafft an, baut Schulen um und gibt Geld aus – nur eben vorfinanziert aus eigenen Töpfen. Das aber können (und wollen) die Stark-Watzingers von Berlin aus nicht sehen – weil ihre Steuerungsdokumente in Wahrheit blind für den Fortschritt sind. Die selbsternannte Fortschrittskoalition hat bislang keine Regeln für den Digitalpakt-Fortschritt vorgelegt. Sorgt sie nun dafür, dass die Mechanismen sich ändern? Schafft sie die lähmendsten bürokratischen Regeln ab? Wir wissen es auch nach vier Wochen Gesprächen über einen Koalitionsvertrag nicht.
“Bund, Länder und Kommunen identifizieren noch im ersten Halbjahr 2022 gemeinsam Vorschläge für kurzfristige Lösungen”, steht im Koalitionsvertrag. Das bedeutet im Klartext: Die Koalition erwartet, dass andere das Kernstück ihrer digitalen Bildungsreform zu Ende verhandeln. Allein, warum sollten sich plötzlich jene einigen, die sich bisher bei der Ausführung des Pakts gegenseitig keinen einzigen Fußbreit Erfolgs gönnen: die drei Beteiligten der Digitalisierung – Bund, Länder und Gemeinden?
Beispiel “Positivlisten datenschutzkonformer Lernmittel”: Auch hier liegen die Koalitionäre goldrichtig. In den Schulen und den Kommunen wartet man sehnlichst darauf, was Thüringens Datenschutzbeauftragter Lutz Hasse gerade in Kleinform zur Verfügung gestellt hat. Aber auch hier gilt: Wer die Koalitionsverhandler, die nun vier Wochen lang dicht gehalten haben wie eine Thermoskanne, nach der Umsetzung fragt, der wird überrascht: aus der Kanne kommt nun viel Unausgegorenes. Man könne froh sein, sagt einer der Verhandler, dass die Positivlisten nun im Koalitionsvertrag stehen. Oliver Kaczmarek (SPD), der mit am Verhandlungstisch saß, sagte Bildung.Table im Interview: “Wir müssen den Prozess jetzt ganz neu definieren und aufsetzen.”
Bob Blume, Lehrer und Influencer, legte gegenüber Bildung.Table den Finger in die Wunde: “Diese Positivliste, das wäre natürlich ein großer Wurf! Wie das gewährleistet werden kann, das ist mir allerdings schleierhaft.” Auch hier stellt sich die Frage: wie kann eine neue Regierungskonstellation so weitreichende Veränderungen wie eine Whitelist ankündigen – ohne geklärt zu haben, wie das umsetzbar sein soll? Niedersachsen zum Beispiel hat dazu einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht.
Was sagen die Betroffenen und Akteure zu dem Papier? Sie sind fast alle voll des Lobes und geben der Ampel auch einen Vertrauensvorschuss. Aber sie merken doch so freundlich wie der Vorsitzende des “Bundesverbandes Digitale Souveränität”, Peter Ganten, an: “Jetzt wird es auf Umsetzung und Ausgestaltung ankommen.” Der Lehrer, Gamer und Fortbildner Simon Maria Hassemer sagt Bildung.Table: “Die Pläne der Ampel zum Digitalpakt Schule sind sehr gut” – und hakt sogleich nach: “Natürlich fragt man sich immer, wie das eine oder andere konkret umgesetzt werden soll.”
Lehrer und Schulleiter eint vor allem die soziale Frage in der Bildung. “Die digitale Lernmittelfreiheit müsste jedoch nicht nur für bedürftige Schüler:innen gegeben sein, sondern sollte alle Kinder und Jugendlichen umfassen”, sagt der bayerische Schulleiter Tobias Schreiner, der den Koalitionsvertrag grundsätzlich gut findet: “Insgesamt treffen die Ankündigungen die bestehenden Bedürfnisse sehr gut und sind aus Sicht der Schule auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.” Auch Netzlehrer Bob Blume findet es sehr wichtig, dass jene “Schüler:innen die digitalen Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, die sich dies nicht leisten können.”
Stephan Bayer, CEO des Startups Sofatutor, schlägt in die gleiche Kerbe. “Wir brauchen Lernmittelfreiheit und Zugang zu digitalen Medien für alle Schüler:innen – egal, ob bedürftig oder nicht”, sagte er Bildung.Table. Aber Bayer geht noch einen Schritt weiter. Er fordert gleichberechtigten Zugang für die digitalen Bildungsanbieter. Es brauche eigene, gut dotierte “Budgets für digitale Tools” auf der einen Seite und auf der anderen “rechtssichere Handlungsspielräume für Schulen.”
Bei den Budgets ist Bayer ganz nah bei der größten Konkurrenz: den Schulbuchverlagen. “Wenn wir uns anschauen, was mit Technologie möglich ist, aber gleichzeitig denken, dass der Topf für Bildungsmedien so bleiben kann, wie er jetzt ist”, warnte der Vorstandsvorsitzende des Cornelsen-Verlags, Mark van Mierle. “Das ist nicht zielführend, denn dann funktioniert die digitale Transformation des Lernens nicht.” Der Niederländer und vormalige Manager von “Elsevier” sagte, für ein Land wie Deutschland seien gute digitale Bildung und ein offener innovativer Markt überlebenswichtig: “Ich bin mir ganz sicher, dass der Topf für Bildungsmedien viel größer sein müsste.”
Gastbeitrag von Stefan Muhle
Egal aus welchem Blickwinkel oder mit welchem besonderen Interesse man den Koalitionsvertrag der selbsternannten Fortschrittsregierung und die Pläne zum Digitalpakt liest – es fällt auf, dass die Ampel mehr diskutieren und Möglichkeiten zum Dialog bieten möchte. Sie sollen beispielsweise “Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag eingesetzt” werden. Und auch ein “Bildungsgipfel” wollen die Koalitionäre einberufen. Aber: Fehlen uns tatsächlich Gelegenheiten für Diskussionen? Ich meine: nein! Was uns fehlt sind Entscheidungen! Schnelle, klare und mutige Entscheidungen. Für Schulen gilt das ganz besonders.
Deutschland ist in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem aus zwei Gründen ein überwiegend analoges Land geblieben: zum einen hat der Staat und sein Apparat das Digitale und insbesondere seine Bedeutung für die Zukunft nicht verstanden und sich deshalb auch nicht gekümmert. Zum anderen nehmen uns die föderalen und behördlichen Strukturen in unserem Land jede Möglichkeit einer dringend notwendigen Tempoverschärfung. Daraus erwächst eine Komplexität, die Entscheidungen und ihre Tragweite unüberschaubar machen, die selbst erfahrene PolitikerInnen zögern lassen, auch gegen Widerstände Entscheidungen zu treffen. Und es erwächst letztlich eine Absicherungsmentalität, die ganze Apparate lähmt.
Die Komplexität lässt sich nicht durch Diskutieren auflösen. Die vorgesehene Einsetzung einer “Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Kommunen”, um die “Bildungszusammenarbeit” zu strukturieren und zu verbessern, lässt nur Zeit von der Uhr laufen, die wir nicht mehr haben. Auch das Arbeitsziel, “noch im ersten Halbjahr 2022 … Vorschläge für kurzfristige Lösungen” zu identifizieren, um den Mittelabfluss im Digitalpakt Schule zu beschleunigen, ist mehr Verlegenheit und Ratlosigkeit geschuldet als Ausdruck von mutigem Entscheidungswillen.
Der Digitalpakt zeigt im Übrigen deutlich das Dilemma im Kontext von Föderalismus, Digitalisierung und Bildung. Im Frühjahr 2019, nach jahrelanger Diskussion, hat der Bundesrat dem Digitalpakt Schule zugestimmt. Der Digitalpakt, ohnehin ein Etikettenschwindel, weil es mehr Selbstverständlichkeiten sind, die man dort fördert, kommt seitdem nicht in Gang. Jahrgang für Jahrgang verlässt unsere Schulen, ohne dass diese den jungen Menschen eine angemessene Lernumgebung bieten und digitale Kompetenzen vermitteln konnten. Das wird sich auch durch die Analyse in einer neuen “Arbeitsgruppe” nicht ändern. Hier hilft nur eine Systemumkehr.
Der digital inkompetente Staat ist zum Nadelöhr für zügige, fachlich kompetente und unkomplizierte Prozesse und Abläufe geworden. Wo es möglich ist, sollte man dieses Nadelöhr umgehen. Im Fall des Digitalpaktes hieße das: die Schulen bekommen klare Vorgaben mittels Whitelist, was sie mit den Geldern machen können und schon morgen das Budget, das ihnen zusteht. Die korrekte Verwendung lässt sich auch nach Abschluss aller Maßnahmen prüfen. Fertig. Nur wenn staatliche Ebenen bereit sind, sich gegenseitig zu vertrauen; nur wenn Ministerialbeamte bereit sind, Beamten im Schuldienst zu vertrauen; wenn wir das Subsidiaritätsprinzip mit Leben füllen und auf die fachliche Kompetenz vor Ort in den Schulen setzen – werden wir den Schulen gerecht. Und Digitalisierungsprozesse dramatisch beschleunigen können.
Ein gutes Signal sendet der Koalitionsvertrag in den Zeilen 252 folgende. Hier deutet die Ampel an, dass sich die Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik mit Blick auf die föderalen Strukturen erhöhen ließe. Zum Beispiel könnte das durch “transparentere und effizientere Verteilung der Aufgaben” geschehen. Dabei wird der Bildungsbereich explizit genannt. Aber auch hier wieder: sie wollen all dies diskutieren, gelabelt als “Föderalismusdialog“. Wir brauchen dringend eine Neujustierung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich. Das müssen allerdings Parallelprozesse sein: einerseits die Systemumkehr beim Digitalpakt wie beschrieben jetzt und gleichzeitig die langfristig wirkende Überarbeitung der föderalen Aufgabenverteilung.
Hellhörig werden sollte jeder in Politik und Verwaltung, wenn eine Maßnahme wie der Digitalpakt zum besseren Verständnis und zur stärkeren Inanspruchnahme offensichtlich ein “Service- und Beratungsangebot” braucht. Dann nämlich ist die Maßnahme als solche schlecht gemacht. So wird aus jeder im Kern guten Idee ein elendes Bürokratiemonster, mit dem wir Abläufe maximal kompliziert machen und Ressourcen verschwenden – auf allen Ebenen. Und der Frust bei allen Beteiligten kommt noch gratis dazu. Deshalb hätte ich gerne im Koalitionsvertrag gelesen, dass in der Bildung ab jetzt vom Schüler, von der Lehrerin oder der Schulleitung aus gedacht wird. Das wäre ein Novum. Und auch hier die nötige Systemumkehr.
“Kinder verdienen beste Bildung.” Dieser Satz steht in Zeile 3112 des Ampelkoalitionsvertrages. Eine als Fortschrittsregierung bezeichnet werden wollende neue Mehrheit müsste eigentlich den politischen Mut aufbringen, es bei diesem Satz zu belassen. Denn er ist in Worten das Beste, was allen an Schule Beteiligten zugesagt werden kann. Schreibt man dann doch weiter, darf man später nicht formulieren, dass man “einen Digitalpakt 2.0 für Schulen mit einer Laufzeit bis 2030 auf den Weg bringen” wird. Denn solche Sätze schränken das Versprechen auf beste Bildung schon wieder drastisch ein.
Wer den Vier-Wörter-Satz dann doch ergänzt, der hätte zum Beispiel schreiben müssen: “Kinder verdienen beste Bildung. Dazu gehört für uns, dass Schülerinnen und Schüler zeitgemäß lernen können, dass ihre Lehrerinnen und Lehrer von berufsfremden Aufgaben wie der Wartung und Instandhaltung von Schul-IT vollständig entlastet sind und Schulleitungen mit klaren datenschutzrechtlichen Vorgaben in Form von Whitelists schnelle Entscheidungen für den digitalen Schulalltag treffen können.”
Herr Kaczmarek, die Ampelkoalition will und wird den Digitalpakt Schule dauerhaft stellen. Kann man denn eine Neuauflage und Verlängerung des Pakts schon dauerhaft nennen?
Wenn wir den Digitalpakt bis 2030 verlängern und mit neuen Schwerpunkten versehen, dann sind das ab jetzt noch neun Jahre Sicherheit und Planbarkeit. Für Schulen und Schulträger ist das, glaube ich, eine langfristige Perspektive. Es gibt übrigens auch die Möglichkeit, nach 2030 die Dinge neu zu bewerten – und eine veränderte Vereinbarung zu schließen. Die kleineren Ergänzungen des Digitalpakts für Endgeräte während der Corona-Pandemie zum Beispiel sind viel besser und schneller bei den Schulen angekommen.
Na ja, der IT-Administratoren-Pakt läuft in den Ländern überhaupt nicht und auch bei den Lehrergeräten weigert sich mindestens ein Kommunalverband mitzumachen.
Wir müssen daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Das heißt, es muss eine Arbeitsgruppe aus Bundesländern und Kommunen geben, die alle Bund-Länder-Vereinbarungen so bewertet und gängig macht, dass das Geld schneller vom Deutschen Bundestag über die Länder in den Schulen landet. Also da, wo wir die Mittel brauchen. Das ist unsere Aufgabe, und das haben wir uns auch vorgenommen.
Was dem Digitalpakt geschadet hat, ist der dauernde Kompetenzstreit zwischen den Ländern und den Schulträgern. Was wird sich da ändern?
Stimmt, der Digitalpakt war zu Beginn von Bund und Ländern viel zu umständlich geplant. Es hat zu lange gedauert, bis die Schulen tatsächlich auch das Geld in Anspruch nehmen konnten. Corona hat das dann erheblich beschleunigt. Wir wollen als Koalition frühzeitig alle Beteiligten an einen Tisch holen. Bund, Länder und Kommunen sollen Verfahren entwickeln, die schneller gehen.
Sie verschieben damit eine Antwort, die Sie selbst nicht geben konnten, auf andere Gremien.
Das mag sich nicht nach einem großen Wurf anhören. Aber das ist, glaube ich, das, was wir jetzt tun müssen. Es wird am Ende das sein, was auch nachhaltig wirkt: nämlich alle an einen Tisch holen und frühzeitig dafür zu sorgen, dass die Bund-Länder-Vereinbarungen zum Digitalpakt so gestaltet werden, dass die Mittel schneller abfließen. Daran haben wir alle ein Interesse: Bund, Länder Kommunen und die Koalitionsfraktionen.
Ich war gerade bei einer Fortbildung für Lehrer und eine der sehnsüchtigst erwarteten Änderungen dort wie an den Schulen sind Positivlisten. Auf denen soll draufstehen, welches Tool datenschutzfreundlich ist – und welches nicht. Wie kommen die Schulen zu diesen Listen?
Wichtig ist, dass wir jetzt endlich Prozesse, Strukturen und Akteure finden, damit wir zu Positivlisten kommen. Wir wollen endlich auch die “Open Educational Resources”-Strategie auf den Weg bringen. Die stand schon im letzten Koalitionsvertrag drin, ohne dass die Ministerin das konsequent umgesetzt hätte. Wir müssen den Prozess jetzt ganz neu definieren und aufsetzen. Am Ende werden dann Positivlisten in geeigneter Form bei den Schulen ankommen – und zwar datenschutzrechtlich abgesichert.
Auch die Kompetenzzentren der Lehrerfortbildung sind alte Bekannte. Warum sollten die Länder da jetzt plötzlich mitmachen?
Wir wollten deutlich zu machen, es geht auch um Lehrerinnen und Lehrer und deren Unterstützung. Wenn wir digitales Lernen vorantreiben wollen, müssen wir da besser werden. Wir wollen die guten Beispiele besser miteinander vernetzen und damit möglichst auch Doppelarbeit vermeiden. Dann können wir dafür sorgen, dass Lehrerin und Lehrer sicher unter anderem auf Fortbildungsmodule zugreifen können.
Im Koalitionsvertrag der wahrscheinlich nächsten Bundesregierung nähern sich Grüne, FDP und SPD der Digitalisierung mit viel Platz – aber ausgerechnet die digitale Bildung wird vergleichsweise knapp angehandelt. “Zugleich verändert die Digitalisierung die Art und Weise wie wir wirtschaften, arbeiten und miteinander kommunizieren”, heißt es einleitend. Doch es gibt große Pläne, um das “Potenzial der Digitalisierung in Staat und Gesellschaft” besser zu nutzen. Dazu gehören Investitionen in Infrastruktur (u.a. Glasfaser und Mobilfunk) und digitale Schlüsseltechnologien (Startups, aufgepasst!) sowie eine modernisierte Verwaltung. Die Ampelkoalition will umfassend in die Modernisierung Deutschlands investieren und erwähnt dabei speziell Klimaschutz, Digitalisierung, Forschung – und Bildung. Doch was genau steht im Koalitionsvertrag zum Thema Digitalisierung der Bildung? Lesen Sie hier alle relevanten Ausschnitte im wörtlichen Zitat. ee
Der Föderalismus ist eine Grundsäule der Bundesrepublik. Um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen, braucht es Klarheit bei den Aufgaben und der Finanzierung. Wir streben eine engere, zielgenauere und verbindliche Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen an. Dazu werden wir gemeinsam mit Kommunen und Ländern einen Föderalismusdialog zur transparenteren und effizienteren Verteilung der Aufgaben, insbesondere zu den Themen Katastrophen- und Bevölkerungsschutz, Bildung und Innere Sicherheit sowie zur Nutzung der Möglichkeiten der Digitalisierung, führen.
Wir wollen allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft beste Bildungschancen bieten, Teilhabe und Aufstieg ermöglichen und durch inklusive Bildung sichern. Dazu stärken wir die frühkindliche Bildung, legen den Digitalpakt 2.0 auf und machen das BAföG elternunabhängiger und bauen es für die Förderung der beruflichen Weiterbildung aus. (…)
Gemeinsam mit den Ländern werden wir die öffentlichen Bildungsausgaben deutlich steigern und dafür sorgen, dass die Unterstützung dauerhaft dort ankommt, wo sie am dringendsten gebraucht wird. Mit einer Stärkung der frühkindlichen Bildung, besseren Startchancen in sozial benachteiligten Schulen, einem Digitalpakt 2.0 und einem grundlegend reformierten BAföG legen wir den Grundstein für ein Jahrzehnt der Bildungschancen.
Wir streben eine engere, zielgenauere und verbindliche Kooperation aller Ebenen an (Kooperationsgebot). Die örtliche Umsetzungskraft der Schulträger, die Kultushoheit der Länder und das unterstützende Potenzial des Bundes wollen wir dafür zu neuer Stärke vereinen und eine neue Kultur in der Bildungszusammenarbeit begründen. Wir wollen gemeinsam darauf hinwirken, dass jedes Kind die gleiche Chance auf Entwicklung und Verwirklichung hat. Dazu werden wir einen Bildungsgipfel einberufen, auf dem sich Bund, Länder, Kommunen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft über neue Formen der Zusammenarbeit und gemeinsame ambitionierte Bildungsziele verständigen. Wir werden eine Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Kommunen einsetzen, die die Zusammenarbeit strukturiert und verbessert und das Erreichen der Ziele sichert. Gemeinsam mit den Ländern wollen wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, gemeinsam gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen und Qualität, Leistungsfähigkeit und Weiterentwicklung des Bildungswesens zu stärken. Soweit erforderlich, bieten wir Gespräche über eine Grundgesetzänderung an.
Wir wollen Länder und Kommunen dauerhaft bei der Digitalisierung des Bildungswesens unterstützen. Den Mittelabruf beim Digitalpakt Schule werden wir beschleunigen und entbürokratisieren. Bund, Länder und Kommunen identifizieren noch im ersten Halbjahr 2022 gemeinsam Vorschläge für kurzfristige Lösungen und vereinbaren Umsetzungsschritte. Zur Unterstützung vor Ort werden wir Service-, Beratungs- und Vernetzungsangebote schaffen. Gemeinsam mit den Ländern werden wir einen Digitalpakt 2.0 für Schulen mit einer Laufzeit bis 2030 auf den Weg bringen, der einen verbesserten Mittelabfluss und die gemeinsam analysierten Bedarfe abbildet.
Dieser Digitalpakt wird auch die nachhaltige Neuanschaffung von Hardware, den Austausch veralteter Technik sowie die Gerätewartung und Administration umfassen. Die digitale Lernmittelfreiheit werden wir für bedürftige Schülerinnen und Schüler weiter fördern. Gemeinsam mit den Ländern werden wir die Einrichtung, den Betrieb und die Vernetzung von Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung fördern und eine zentrale Anlaufstelle für das Lernen und Lehren in der digitalen Welt schaffen. Wir werden gemeinsam mit den Ländern digitale Programmstrukturen und Plattformen für Open Educational Ressources (OER), die Entwicklung intelligenter, auch lizenzfreier Lehr- und Lernsoftware sowie die Erstellung von Positivlisten datenschutzkonformer, digitaler Lehr- und Lernmittel unterstützen.
Bund und Länder richten eine gemeinsame Koordinierungsstelle Lehrkräftefortbildung ein, die bundesweit Fort- und Weiterbildungsangebote vernetzt, die Qualifikation von Schulleitungen unterstützt, den Austausch ermöglicht sowie die arbeitsteilige Erstellung von Fortbildungsmaterialien organisiert und fördert. Die Qualitätsoffensive Lehrerbildung entwickeln wir weiter mit neuen Schwerpunkten zu digitaler Bildung, zur dritten Phase der Lehrerbildung und bundesweiter Qualitätsentwicklung des Seiten- und Quereinstiegs, u. a. für das Berufsschullehramt. Wir wollen die Anerkennung ausländischer Qualifikationen im Lehramt beschleunigen und vereinfachen, Auslandserfahrungen von Lehramtsstudierenden und Lehrkräften unterstützen und beim beruflichen Werdegang stärker berücksichtigen.
der Berg kreißte und gebar viel Politlyrik – und einen Stuhlkreis. Die Digitalisierung der Gesellschaft und vor allem der Bildungseinrichtungen stand ganz oben auf der Prioritätenliste der Ampel. Fast in jedem Statement kamen Modernisierung und Digitalisierung zu ihrem Recht. Wer sich nun in die Lektüre des Koalitionsvertrags von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wirft, der zuckt immer wieder zusammen, was sich diese Koalition alles traut. Aber ausgerechnet in der Bildung für eine digitale Welt nur Buzzwords aufzuschreiben, ist zu wenig – gerade wenn das Kleingedruckte und die Fußnoten fehlen. Stattdessen: Arbeitsgruppen, Fachbeiräte, Bildungsgipfel.
Bildung.Table stellt Ihnen zum Wochenende zusammen, was Sie zum Kapitel, pardon: Abschnittchen, digitale Bildung wissen müssen: Lehrer und Schulleiter, Startups und Schulbuchverleger sagen, was sie jetzt brauchen. Wir schauen in den Maschinenraum des Digitalpakt 2.0: wir sprechen mit dem Verhandler Oliver Kaczmarek (SPD), dokumentieren die wenigen wichtigen Passagen und fragen Niedersachsens Digitalstaatssekretär Stefan Muhle (CDU), was er von dem 175 Seiten langen Papier hält. Ein Bildungsgipfel, so viel sei verraten, ist für ihn die Arbeitsgrundlage der Ampel nicht.
Bleiben Sie gesund!
Es ist erst ein paar Tage her, da setzte die parlamentarische Geschäftsführerin der FDP, Bettina Stark-Watzinger, einen pointierten Tweet ab. “In Zahlen sind für den Digitalpakt Schule bis Ende Juni genau 0 Euro (In Worten: Null) nach Thüringen abgeflossen”, schrieb sie. Inzwischen ist klar, dass Stark-Watzinger bald Bundesbildungsministerin ist – und bald wieder solche Tweets über Bildung absetzen kann. Denn in der Geschäftsgrundlage für ihre Arbeit, dem neuen Koalitionsvertrag, fehlt genau das, was die einzige Frau unter den FDP-Minister:innen so scharfzüngig aufs Korn genommen hatte. Dort ist weder berechnet noch durchbuchstabiert, wie der Bund die Abwicklung des Digitalpakts zwischen Ländern und Kommunen effizienter machen könnte.
Was im Koalitionsvertrag über Digitalisierung der Bildung steht, sieht prima aus – auf den ersten Blick: Der Digitalpakt wird verstetigt, steht da. Den Mittelabruf will die Ampel “beschleunigen und entbürokratisieren.” Dazu gehöre auch die Neuanschaffung von Hardware und die Gerätewartung. Die Koalition werde zudem die Erstellung von “Positivlisten datenschutzkonformer, digitaler Lehr- und Lernmittel unterstützen.” Alle von Bildung.Table befragten Lehrer, Schulleiter und Fachleute begrüßten dies. Ohne Ausnahme. Was aber fehlt: wie sollen diese richtigen Ziele eigentlich erreicht werden? Wie sieht das Kleingedruckte aus? Das können die befragten Verhandler bisher nicht beantworten. Zudem gibt es Verschiebebahnhöfe und ungeklärten Interpretationsbedarf.
Beispiel “dauerhafte Unterstützung bei der Digitalisierung des Bildungswesens”: Die Verstetigung des Digitalpakts Schule gilt als das Prunkstück der rot-grün-gelben Koalition. Schaut man nun in die geplante Ausführung, tauchen erste Fragezeichen auf. Wie hoch ist der Dauer-Digitalpakt eigentlich dotiert? Fehlanzeige. Das sei noch nicht durchgerechnet, sagt ein Koalitionär. Und was bedeutet eigentlich dauerhaft? Eine Verlängerung des Digitalpakts um fünf Jahre steht im Vertrag. Das ist nicht schlecht – aber kann man das dauerhaft nennen?
Nun muss man wissen: Einen dauerhaften Digitalpakt könnte die Ampel ohnehin nicht allein beschließen. Dafür wäre eine Verfassungsänderung nötig. Nur, warum nimmt die Koalition dann nicht die ausgestreckte Hand der Union an? Niedersachsens Digitalstaatssekretär Stefan Muhle (CDU), genau wie der Ex-Innenminister Thomas de Maizière (CDU), haben weit reichende Angebote gemacht. De Maizière sprach von einer großen Staatsreform zugunsten der digitalen Bildung – und verknüpfte sie mit einer sehr konkreten Ausgestaltung neuer Länder-Schulträger-Beziehungen.
Beispiel “den Mittelabruf beschleunigen und entbürokratisieren”: Das ist vielleicht das wichtigste Unterziel der Koalition. Nur ist die Langsamkeit des Digitalpakts ja kein Betriebsunfall, sondern sein Wesensmerkmal. Das bedeutet, die Mittel in Thüringen stocken nicht etwa, weil das doofe Thüringen Fehler macht. Nein, das Bundesland schafft an, baut Schulen um und gibt Geld aus – nur eben vorfinanziert aus eigenen Töpfen. Das aber können (und wollen) die Stark-Watzingers von Berlin aus nicht sehen – weil ihre Steuerungsdokumente in Wahrheit blind für den Fortschritt sind. Die selbsternannte Fortschrittskoalition hat bislang keine Regeln für den Digitalpakt-Fortschritt vorgelegt. Sorgt sie nun dafür, dass die Mechanismen sich ändern? Schafft sie die lähmendsten bürokratischen Regeln ab? Wir wissen es auch nach vier Wochen Gesprächen über einen Koalitionsvertrag nicht.
“Bund, Länder und Kommunen identifizieren noch im ersten Halbjahr 2022 gemeinsam Vorschläge für kurzfristige Lösungen”, steht im Koalitionsvertrag. Das bedeutet im Klartext: Die Koalition erwartet, dass andere das Kernstück ihrer digitalen Bildungsreform zu Ende verhandeln. Allein, warum sollten sich plötzlich jene einigen, die sich bisher bei der Ausführung des Pakts gegenseitig keinen einzigen Fußbreit Erfolgs gönnen: die drei Beteiligten der Digitalisierung – Bund, Länder und Gemeinden?
Beispiel “Positivlisten datenschutzkonformer Lernmittel”: Auch hier liegen die Koalitionäre goldrichtig. In den Schulen und den Kommunen wartet man sehnlichst darauf, was Thüringens Datenschutzbeauftragter Lutz Hasse gerade in Kleinform zur Verfügung gestellt hat. Aber auch hier gilt: Wer die Koalitionsverhandler, die nun vier Wochen lang dicht gehalten haben wie eine Thermoskanne, nach der Umsetzung fragt, der wird überrascht: aus der Kanne kommt nun viel Unausgegorenes. Man könne froh sein, sagt einer der Verhandler, dass die Positivlisten nun im Koalitionsvertrag stehen. Oliver Kaczmarek (SPD), der mit am Verhandlungstisch saß, sagte Bildung.Table im Interview: “Wir müssen den Prozess jetzt ganz neu definieren und aufsetzen.”
Bob Blume, Lehrer und Influencer, legte gegenüber Bildung.Table den Finger in die Wunde: “Diese Positivliste, das wäre natürlich ein großer Wurf! Wie das gewährleistet werden kann, das ist mir allerdings schleierhaft.” Auch hier stellt sich die Frage: wie kann eine neue Regierungskonstellation so weitreichende Veränderungen wie eine Whitelist ankündigen – ohne geklärt zu haben, wie das umsetzbar sein soll? Niedersachsen zum Beispiel hat dazu einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht.
Was sagen die Betroffenen und Akteure zu dem Papier? Sie sind fast alle voll des Lobes und geben der Ampel auch einen Vertrauensvorschuss. Aber sie merken doch so freundlich wie der Vorsitzende des “Bundesverbandes Digitale Souveränität”, Peter Ganten, an: “Jetzt wird es auf Umsetzung und Ausgestaltung ankommen.” Der Lehrer, Gamer und Fortbildner Simon Maria Hassemer sagt Bildung.Table: “Die Pläne der Ampel zum Digitalpakt Schule sind sehr gut” – und hakt sogleich nach: “Natürlich fragt man sich immer, wie das eine oder andere konkret umgesetzt werden soll.”
Lehrer und Schulleiter eint vor allem die soziale Frage in der Bildung. “Die digitale Lernmittelfreiheit müsste jedoch nicht nur für bedürftige Schüler:innen gegeben sein, sondern sollte alle Kinder und Jugendlichen umfassen”, sagt der bayerische Schulleiter Tobias Schreiner, der den Koalitionsvertrag grundsätzlich gut findet: “Insgesamt treffen die Ankündigungen die bestehenden Bedürfnisse sehr gut und sind aus Sicht der Schule auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.” Auch Netzlehrer Bob Blume findet es sehr wichtig, dass jene “Schüler:innen die digitalen Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, die sich dies nicht leisten können.”
Stephan Bayer, CEO des Startups Sofatutor, schlägt in die gleiche Kerbe. “Wir brauchen Lernmittelfreiheit und Zugang zu digitalen Medien für alle Schüler:innen – egal, ob bedürftig oder nicht”, sagte er Bildung.Table. Aber Bayer geht noch einen Schritt weiter. Er fordert gleichberechtigten Zugang für die digitalen Bildungsanbieter. Es brauche eigene, gut dotierte “Budgets für digitale Tools” auf der einen Seite und auf der anderen “rechtssichere Handlungsspielräume für Schulen.”
Bei den Budgets ist Bayer ganz nah bei der größten Konkurrenz: den Schulbuchverlagen. “Wenn wir uns anschauen, was mit Technologie möglich ist, aber gleichzeitig denken, dass der Topf für Bildungsmedien so bleiben kann, wie er jetzt ist”, warnte der Vorstandsvorsitzende des Cornelsen-Verlags, Mark van Mierle. “Das ist nicht zielführend, denn dann funktioniert die digitale Transformation des Lernens nicht.” Der Niederländer und vormalige Manager von “Elsevier” sagte, für ein Land wie Deutschland seien gute digitale Bildung und ein offener innovativer Markt überlebenswichtig: “Ich bin mir ganz sicher, dass der Topf für Bildungsmedien viel größer sein müsste.”
Gastbeitrag von Stefan Muhle
Egal aus welchem Blickwinkel oder mit welchem besonderen Interesse man den Koalitionsvertrag der selbsternannten Fortschrittsregierung und die Pläne zum Digitalpakt liest – es fällt auf, dass die Ampel mehr diskutieren und Möglichkeiten zum Dialog bieten möchte. Sie sollen beispielsweise “Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag eingesetzt” werden. Und auch ein “Bildungsgipfel” wollen die Koalitionäre einberufen. Aber: Fehlen uns tatsächlich Gelegenheiten für Diskussionen? Ich meine: nein! Was uns fehlt sind Entscheidungen! Schnelle, klare und mutige Entscheidungen. Für Schulen gilt das ganz besonders.
Deutschland ist in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem aus zwei Gründen ein überwiegend analoges Land geblieben: zum einen hat der Staat und sein Apparat das Digitale und insbesondere seine Bedeutung für die Zukunft nicht verstanden und sich deshalb auch nicht gekümmert. Zum anderen nehmen uns die föderalen und behördlichen Strukturen in unserem Land jede Möglichkeit einer dringend notwendigen Tempoverschärfung. Daraus erwächst eine Komplexität, die Entscheidungen und ihre Tragweite unüberschaubar machen, die selbst erfahrene PolitikerInnen zögern lassen, auch gegen Widerstände Entscheidungen zu treffen. Und es erwächst letztlich eine Absicherungsmentalität, die ganze Apparate lähmt.
Die Komplexität lässt sich nicht durch Diskutieren auflösen. Die vorgesehene Einsetzung einer “Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Kommunen”, um die “Bildungszusammenarbeit” zu strukturieren und zu verbessern, lässt nur Zeit von der Uhr laufen, die wir nicht mehr haben. Auch das Arbeitsziel, “noch im ersten Halbjahr 2022 … Vorschläge für kurzfristige Lösungen” zu identifizieren, um den Mittelabfluss im Digitalpakt Schule zu beschleunigen, ist mehr Verlegenheit und Ratlosigkeit geschuldet als Ausdruck von mutigem Entscheidungswillen.
Der Digitalpakt zeigt im Übrigen deutlich das Dilemma im Kontext von Föderalismus, Digitalisierung und Bildung. Im Frühjahr 2019, nach jahrelanger Diskussion, hat der Bundesrat dem Digitalpakt Schule zugestimmt. Der Digitalpakt, ohnehin ein Etikettenschwindel, weil es mehr Selbstverständlichkeiten sind, die man dort fördert, kommt seitdem nicht in Gang. Jahrgang für Jahrgang verlässt unsere Schulen, ohne dass diese den jungen Menschen eine angemessene Lernumgebung bieten und digitale Kompetenzen vermitteln konnten. Das wird sich auch durch die Analyse in einer neuen “Arbeitsgruppe” nicht ändern. Hier hilft nur eine Systemumkehr.
Der digital inkompetente Staat ist zum Nadelöhr für zügige, fachlich kompetente und unkomplizierte Prozesse und Abläufe geworden. Wo es möglich ist, sollte man dieses Nadelöhr umgehen. Im Fall des Digitalpaktes hieße das: die Schulen bekommen klare Vorgaben mittels Whitelist, was sie mit den Geldern machen können und schon morgen das Budget, das ihnen zusteht. Die korrekte Verwendung lässt sich auch nach Abschluss aller Maßnahmen prüfen. Fertig. Nur wenn staatliche Ebenen bereit sind, sich gegenseitig zu vertrauen; nur wenn Ministerialbeamte bereit sind, Beamten im Schuldienst zu vertrauen; wenn wir das Subsidiaritätsprinzip mit Leben füllen und auf die fachliche Kompetenz vor Ort in den Schulen setzen – werden wir den Schulen gerecht. Und Digitalisierungsprozesse dramatisch beschleunigen können.
Ein gutes Signal sendet der Koalitionsvertrag in den Zeilen 252 folgende. Hier deutet die Ampel an, dass sich die Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik mit Blick auf die föderalen Strukturen erhöhen ließe. Zum Beispiel könnte das durch “transparentere und effizientere Verteilung der Aufgaben” geschehen. Dabei wird der Bildungsbereich explizit genannt. Aber auch hier wieder: sie wollen all dies diskutieren, gelabelt als “Föderalismusdialog“. Wir brauchen dringend eine Neujustierung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich. Das müssen allerdings Parallelprozesse sein: einerseits die Systemumkehr beim Digitalpakt wie beschrieben jetzt und gleichzeitig die langfristig wirkende Überarbeitung der föderalen Aufgabenverteilung.
Hellhörig werden sollte jeder in Politik und Verwaltung, wenn eine Maßnahme wie der Digitalpakt zum besseren Verständnis und zur stärkeren Inanspruchnahme offensichtlich ein “Service- und Beratungsangebot” braucht. Dann nämlich ist die Maßnahme als solche schlecht gemacht. So wird aus jeder im Kern guten Idee ein elendes Bürokratiemonster, mit dem wir Abläufe maximal kompliziert machen und Ressourcen verschwenden – auf allen Ebenen. Und der Frust bei allen Beteiligten kommt noch gratis dazu. Deshalb hätte ich gerne im Koalitionsvertrag gelesen, dass in der Bildung ab jetzt vom Schüler, von der Lehrerin oder der Schulleitung aus gedacht wird. Das wäre ein Novum. Und auch hier die nötige Systemumkehr.
“Kinder verdienen beste Bildung.” Dieser Satz steht in Zeile 3112 des Ampelkoalitionsvertrages. Eine als Fortschrittsregierung bezeichnet werden wollende neue Mehrheit müsste eigentlich den politischen Mut aufbringen, es bei diesem Satz zu belassen. Denn er ist in Worten das Beste, was allen an Schule Beteiligten zugesagt werden kann. Schreibt man dann doch weiter, darf man später nicht formulieren, dass man “einen Digitalpakt 2.0 für Schulen mit einer Laufzeit bis 2030 auf den Weg bringen” wird. Denn solche Sätze schränken das Versprechen auf beste Bildung schon wieder drastisch ein.
Wer den Vier-Wörter-Satz dann doch ergänzt, der hätte zum Beispiel schreiben müssen: “Kinder verdienen beste Bildung. Dazu gehört für uns, dass Schülerinnen und Schüler zeitgemäß lernen können, dass ihre Lehrerinnen und Lehrer von berufsfremden Aufgaben wie der Wartung und Instandhaltung von Schul-IT vollständig entlastet sind und Schulleitungen mit klaren datenschutzrechtlichen Vorgaben in Form von Whitelists schnelle Entscheidungen für den digitalen Schulalltag treffen können.”
Herr Kaczmarek, die Ampelkoalition will und wird den Digitalpakt Schule dauerhaft stellen. Kann man denn eine Neuauflage und Verlängerung des Pakts schon dauerhaft nennen?
Wenn wir den Digitalpakt bis 2030 verlängern und mit neuen Schwerpunkten versehen, dann sind das ab jetzt noch neun Jahre Sicherheit und Planbarkeit. Für Schulen und Schulträger ist das, glaube ich, eine langfristige Perspektive. Es gibt übrigens auch die Möglichkeit, nach 2030 die Dinge neu zu bewerten – und eine veränderte Vereinbarung zu schließen. Die kleineren Ergänzungen des Digitalpakts für Endgeräte während der Corona-Pandemie zum Beispiel sind viel besser und schneller bei den Schulen angekommen.
Na ja, der IT-Administratoren-Pakt läuft in den Ländern überhaupt nicht und auch bei den Lehrergeräten weigert sich mindestens ein Kommunalverband mitzumachen.
Wir müssen daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Das heißt, es muss eine Arbeitsgruppe aus Bundesländern und Kommunen geben, die alle Bund-Länder-Vereinbarungen so bewertet und gängig macht, dass das Geld schneller vom Deutschen Bundestag über die Länder in den Schulen landet. Also da, wo wir die Mittel brauchen. Das ist unsere Aufgabe, und das haben wir uns auch vorgenommen.
Was dem Digitalpakt geschadet hat, ist der dauernde Kompetenzstreit zwischen den Ländern und den Schulträgern. Was wird sich da ändern?
Stimmt, der Digitalpakt war zu Beginn von Bund und Ländern viel zu umständlich geplant. Es hat zu lange gedauert, bis die Schulen tatsächlich auch das Geld in Anspruch nehmen konnten. Corona hat das dann erheblich beschleunigt. Wir wollen als Koalition frühzeitig alle Beteiligten an einen Tisch holen. Bund, Länder und Kommunen sollen Verfahren entwickeln, die schneller gehen.
Sie verschieben damit eine Antwort, die Sie selbst nicht geben konnten, auf andere Gremien.
Das mag sich nicht nach einem großen Wurf anhören. Aber das ist, glaube ich, das, was wir jetzt tun müssen. Es wird am Ende das sein, was auch nachhaltig wirkt: nämlich alle an einen Tisch holen und frühzeitig dafür zu sorgen, dass die Bund-Länder-Vereinbarungen zum Digitalpakt so gestaltet werden, dass die Mittel schneller abfließen. Daran haben wir alle ein Interesse: Bund, Länder Kommunen und die Koalitionsfraktionen.
Ich war gerade bei einer Fortbildung für Lehrer und eine der sehnsüchtigst erwarteten Änderungen dort wie an den Schulen sind Positivlisten. Auf denen soll draufstehen, welches Tool datenschutzfreundlich ist – und welches nicht. Wie kommen die Schulen zu diesen Listen?
Wichtig ist, dass wir jetzt endlich Prozesse, Strukturen und Akteure finden, damit wir zu Positivlisten kommen. Wir wollen endlich auch die “Open Educational Resources”-Strategie auf den Weg bringen. Die stand schon im letzten Koalitionsvertrag drin, ohne dass die Ministerin das konsequent umgesetzt hätte. Wir müssen den Prozess jetzt ganz neu definieren und aufsetzen. Am Ende werden dann Positivlisten in geeigneter Form bei den Schulen ankommen – und zwar datenschutzrechtlich abgesichert.
Auch die Kompetenzzentren der Lehrerfortbildung sind alte Bekannte. Warum sollten die Länder da jetzt plötzlich mitmachen?
Wir wollten deutlich zu machen, es geht auch um Lehrerinnen und Lehrer und deren Unterstützung. Wenn wir digitales Lernen vorantreiben wollen, müssen wir da besser werden. Wir wollen die guten Beispiele besser miteinander vernetzen und damit möglichst auch Doppelarbeit vermeiden. Dann können wir dafür sorgen, dass Lehrerin und Lehrer sicher unter anderem auf Fortbildungsmodule zugreifen können.
Im Koalitionsvertrag der wahrscheinlich nächsten Bundesregierung nähern sich Grüne, FDP und SPD der Digitalisierung mit viel Platz – aber ausgerechnet die digitale Bildung wird vergleichsweise knapp angehandelt. “Zugleich verändert die Digitalisierung die Art und Weise wie wir wirtschaften, arbeiten und miteinander kommunizieren”, heißt es einleitend. Doch es gibt große Pläne, um das “Potenzial der Digitalisierung in Staat und Gesellschaft” besser zu nutzen. Dazu gehören Investitionen in Infrastruktur (u.a. Glasfaser und Mobilfunk) und digitale Schlüsseltechnologien (Startups, aufgepasst!) sowie eine modernisierte Verwaltung. Die Ampelkoalition will umfassend in die Modernisierung Deutschlands investieren und erwähnt dabei speziell Klimaschutz, Digitalisierung, Forschung – und Bildung. Doch was genau steht im Koalitionsvertrag zum Thema Digitalisierung der Bildung? Lesen Sie hier alle relevanten Ausschnitte im wörtlichen Zitat. ee
Der Föderalismus ist eine Grundsäule der Bundesrepublik. Um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen, braucht es Klarheit bei den Aufgaben und der Finanzierung. Wir streben eine engere, zielgenauere und verbindliche Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen an. Dazu werden wir gemeinsam mit Kommunen und Ländern einen Föderalismusdialog zur transparenteren und effizienteren Verteilung der Aufgaben, insbesondere zu den Themen Katastrophen- und Bevölkerungsschutz, Bildung und Innere Sicherheit sowie zur Nutzung der Möglichkeiten der Digitalisierung, führen.
Wir wollen allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft beste Bildungschancen bieten, Teilhabe und Aufstieg ermöglichen und durch inklusive Bildung sichern. Dazu stärken wir die frühkindliche Bildung, legen den Digitalpakt 2.0 auf und machen das BAföG elternunabhängiger und bauen es für die Förderung der beruflichen Weiterbildung aus. (…)
Gemeinsam mit den Ländern werden wir die öffentlichen Bildungsausgaben deutlich steigern und dafür sorgen, dass die Unterstützung dauerhaft dort ankommt, wo sie am dringendsten gebraucht wird. Mit einer Stärkung der frühkindlichen Bildung, besseren Startchancen in sozial benachteiligten Schulen, einem Digitalpakt 2.0 und einem grundlegend reformierten BAföG legen wir den Grundstein für ein Jahrzehnt der Bildungschancen.
Wir streben eine engere, zielgenauere und verbindliche Kooperation aller Ebenen an (Kooperationsgebot). Die örtliche Umsetzungskraft der Schulträger, die Kultushoheit der Länder und das unterstützende Potenzial des Bundes wollen wir dafür zu neuer Stärke vereinen und eine neue Kultur in der Bildungszusammenarbeit begründen. Wir wollen gemeinsam darauf hinwirken, dass jedes Kind die gleiche Chance auf Entwicklung und Verwirklichung hat. Dazu werden wir einen Bildungsgipfel einberufen, auf dem sich Bund, Länder, Kommunen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft über neue Formen der Zusammenarbeit und gemeinsame ambitionierte Bildungsziele verständigen. Wir werden eine Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Kommunen einsetzen, die die Zusammenarbeit strukturiert und verbessert und das Erreichen der Ziele sichert. Gemeinsam mit den Ländern wollen wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, gemeinsam gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen und Qualität, Leistungsfähigkeit und Weiterentwicklung des Bildungswesens zu stärken. Soweit erforderlich, bieten wir Gespräche über eine Grundgesetzänderung an.
Wir wollen Länder und Kommunen dauerhaft bei der Digitalisierung des Bildungswesens unterstützen. Den Mittelabruf beim Digitalpakt Schule werden wir beschleunigen und entbürokratisieren. Bund, Länder und Kommunen identifizieren noch im ersten Halbjahr 2022 gemeinsam Vorschläge für kurzfristige Lösungen und vereinbaren Umsetzungsschritte. Zur Unterstützung vor Ort werden wir Service-, Beratungs- und Vernetzungsangebote schaffen. Gemeinsam mit den Ländern werden wir einen Digitalpakt 2.0 für Schulen mit einer Laufzeit bis 2030 auf den Weg bringen, der einen verbesserten Mittelabfluss und die gemeinsam analysierten Bedarfe abbildet.
Dieser Digitalpakt wird auch die nachhaltige Neuanschaffung von Hardware, den Austausch veralteter Technik sowie die Gerätewartung und Administration umfassen. Die digitale Lernmittelfreiheit werden wir für bedürftige Schülerinnen und Schüler weiter fördern. Gemeinsam mit den Ländern werden wir die Einrichtung, den Betrieb und die Vernetzung von Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung fördern und eine zentrale Anlaufstelle für das Lernen und Lehren in der digitalen Welt schaffen. Wir werden gemeinsam mit den Ländern digitale Programmstrukturen und Plattformen für Open Educational Ressources (OER), die Entwicklung intelligenter, auch lizenzfreier Lehr- und Lernsoftware sowie die Erstellung von Positivlisten datenschutzkonformer, digitaler Lehr- und Lernmittel unterstützen.
Bund und Länder richten eine gemeinsame Koordinierungsstelle Lehrkräftefortbildung ein, die bundesweit Fort- und Weiterbildungsangebote vernetzt, die Qualifikation von Schulleitungen unterstützt, den Austausch ermöglicht sowie die arbeitsteilige Erstellung von Fortbildungsmaterialien organisiert und fördert. Die Qualitätsoffensive Lehrerbildung entwickeln wir weiter mit neuen Schwerpunkten zu digitaler Bildung, zur dritten Phase der Lehrerbildung und bundesweiter Qualitätsentwicklung des Seiten- und Quereinstiegs, u. a. für das Berufsschullehramt. Wir wollen die Anerkennung ausländischer Qualifikationen im Lehramt beschleunigen und vereinfachen, Auslandserfahrungen von Lehramtsstudierenden und Lehrkräften unterstützen und beim beruflichen Werdegang stärker berücksichtigen.