Mit dem Bildungsgipfel wollte Bettina Stark-Watzinger eine neue Ära der Kooperation mit Ländern und Kommunen einläuten. Doch das Gros der Länder-Minister hat nach Informationen von Table.Media die Einladung aus Berlin ausgeschlagen. Moritz Baumann und ich haben uns umgehört, warum die Bundesländer die Berliner Koalition auflaufen lassen.
Die Ziele des Gipfels seien unklar, das Format – eine dreistündige Vormittagsveranstaltung – sei “ein Witz”, Ergebnisse nicht abzusehen. Das BMBF wittert derweil politische Taktik, besonders der Unionsseite.
Wie ein Witz klingt auch die Antwort von Stark-Watzingers grüner Ministerkollegin Lisa Paus auf die psychische Krise vieler junger Menschen. Paus will extra fortgebildete Sozialpädagogen an exakt 100 Schulen schicken – bundesweit gibt es 40.000 allgemein- und berufsbildende Schulen. Dabei schätzt eine interministerielle Arbeitsgruppe den Anteil der Jugendlichen mit depressiven Anzeichen als besonders hoch ein. Eine neue Studie deutet auf viele einsame Schüler hin. Christian Füller hat mit Schulleitern und Experten gesprochen.
Das nächste reguläre Briefing erhalten Sie am kommenden Mittwoch.
In einem Monat will Bettina Stark-Watzinger den Bildungsgipfel in Berlin eröffnen. Es soll der langersehnte Auftakt sein: für eine “neue Kultur der Zusammenarbeit” zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Mit “hochrangigen Spitzengesprächen”, so steht es in der Einladung. Doch es droht ein mittelschweres Fiasko.
Nach Informationen von Table.Media haben alle CDU- und CSU-Schulminister die Einladung aus Berlin ausgeschlagen. Die meisten B-Länder – darunter Hessen und Schleswig-Holstein – schicken nicht einmal ihre Staatssekretäre. Niemand habe Lust, Deko für eine Showveranstaltung zu sein, heißt es. Das Politikportal Pioneer berichtete heute Vormittag zuerst über die Welle an Absagen.
Einen Monat vor dem Gipfel zeichnet sich ab: Stark-Watzinger hat Mühe, die Länder zu substantiellen Gesprächen zu bewegen. An den großen Wurf am 14. März glaubt kaum jemand, nicht einmal in den Reihen der Koalition – aus verschiedenen Gründen.
Ziele: Das ist das Kernproblem. Niemand, weder Verbände noch Ministerien, wissen, was die Bundesbildungsministerin mit dem vermeintlichen Spitzentreffen erreichen will. Aus Kreisen der Länder heißt es übereinstimmend, dass sie bei der Planung des Gipfels nicht beteiligt waren – nicht beim Format, nicht bei der Zielsetzung, nicht beim Programm. Das bestätigen auch Verbände und Kommunen. Offenbar war die Vorbereitung des Gipfels ein BMBF-Solospiel. Kein gutes Omen für eine neue Kultur der Zusammenarbeit.
Format: Der Bildungsgipfel, der es sogar in den Ampel-Koalitionsvertrag geschafft hat, findet nicht im Kanzleramt statt; auch nicht im Bundesbildungsministerium – sondern in einem Kongresszentrum, am Rande der bifo-Fachtagung, auf der Deutschlands Bildungsforscher miteinander fachsimpeln. Es sind lediglich drei Stunden geplant. Stark-Watzinger eröffnet. Danach: ein Impulsvortrag und zwei Panel-Diskussionen (zum Ablauf). Das Programm sei “ein Witz”, heißt es aus einem unionsgeführten Ministerium. Das BMBF betont, wie wichtig ein “enger und systematischer Austausch mit der Wissenschaft” sei.
Ergebnis: Eine gemeinsame Erklärung – ein Bekenntnis zur neuen Zusammenarbeit – ist nicht geplant. Normaler Gipfelmodus wäre, dass die Teilnehmer schon Wochen und Monate vor der Veranstaltung an einem gemeinsamen Papier feilen, um Formulierungen ringen, erste Blockaden auflösen. Damit die Minister vor den Kameras glänzen können. Nichts davon hat stattgefunden.
Einladung: Letzter Punkt, die Etikette: Die Einladung zum Gipfel hat nicht etwa, wie es protokollarisch zu erwarten gewesen wäre, Bettina Stark-Watzinger persönlich verschickt – von Minister zu Minister. Sie hat ihren parlamentarischen Staatssekretär Jens Brandenburg vorgeschickt. Eine Kleinigkeit, die jedoch registriert wurde. Ob dem Auswärtigen Amt ein solcher Fauxpas unterlaufen wäre? Unwahrscheinlich.
Lesen Sie auch: Stark-Watzingers Worte – und ihre Taten (eine Bilanz)
Die Bundesländer lassen die Koalition offenbar auflaufen. Dabei betonen Fachleute: Es braucht angesichts der Bildungskrise, in die Deutschland gerade schlittert, ein starkes politisches Signal. Ein nationaler Bildungsgipfel könnte ein Momentum kreieren – mitten in der Zeitenwende, mitten im Energiekrieg mit Russland. “Die Hütte brennt.” Das war das Fazit des Bildungssoziologen und Bestsellerautors Aladin El-Mafaalani vor wenigen Monaten bei Markus Lanz. Ist das angekommen?
Allmählich sickert die Dringlichkeit bis in die politische Spitze durch. In den Ländern ist Bildung neuerdings Chefsache: Markus Söder hat ein Wahlkampfthema entdeckt, Reiner Haseloff lädt zum Krisengipfel in die Staatskanzlei. Im Bund ist das anders. Der Kanzler schweigt. Bislang.
Einen Monat vor der Veranstaltung dämpft die Bildungsministerin von Schleswig-Holstein und CDU-Vize Karin Prien die Erwartungen. Sie spricht von einem “Bildungsgipfelchen”. “Die Art der Veranstaltung und das Format eignen sich leider überhaupt nicht, um Lösungen für die Herausforderungen in unserem Bildungssystem zu vereinbaren”, sagte sie der Hauptstadtredaktion von Pioneer.
KMK-Präsidentin Astrid-Sabine Busse sendet dagegen versöhnliche Zeichen ans BMBF: “Die Teilnahme der Senatorin ist eingeplant”, teilt ein Sprecher mit. Auch der Hamburger Schulsenator Ties Rabe, Koordinator der A-Länder, reist nach Berlin. Wer nicht kommt:
Ein einsamer Bildungsgipfel? Das BMBF hat eine andere Lesart: Für die beiden geplanten Panel-Diskussionen hätten alle eingeladenen Teilnehmer, darunter die KMK-Präsidentin, Spitzenvertreter der Kommunen, Bundesschülerkonferenz und Bundeselternrat, zugesagt. Einzige Ausnahme: der hessische Kultusminister, Alexander Lorz, Koordinator der B-Länder. Zufall? In Berlin wittert man Taktik.
“Die Unionsseite hat einen Vertreter fest zugesagt. Sollte sie jetzt politisch taktieren, offenbart das ein Desinteresse an neuen Formen der Bildungszusammenarbeit“, erklärt der Sprecher von Stark-Watzinger gegenüber Table.Media.
Weiter ist zu vernehmen, dass die Ministerin den Gipfel als einen Auftakt sieht – mit dem klaren Ziel, einen längerfristigen Dialog zu initiieren. Hier könnte auch die Arbeitsgruppe aus Bund, Länder und Kommunen ins Spiel kommen, die im Koalitionsvertrag angekündigt ist, sich aber seit einem Jahr in der Warteschleife befindet (lesen Sie hier die Analyse).
Die Verbände knüpfen an dieses Versprechen an – mit klarer Botschaft: “Der Bildungsgipfel darf keine einmalige Veranstaltung bleiben, sondern muss mit einem Bildungsrat und einer Bund-Länder-Kommission begleitet werden”, sagt die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Elke Hannack. Chancengerechtigkeit, Lehrermangel, Ausbildungskrise: Das alles lasse sich nicht an einem Vormittag bearbeiten.
Die GEW-Vorsitzende Maike Finnern nimmt am Gipfel im März teil, ebenso Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des VBE. Finnern sagt: “Das Format kann nur ein Auftakt für einen weiteren Prozess sein, in dem wir neue Finanz- und Organisationsstrukturen erarbeiten.” Es brauche eine bessere Zusammenarbeit, einen nationalen Bildungsrat, Staatsverträge – zum Beispiel zum Thema Lehrkräfteausbildung. “All das müssen wir diskutieren”, sagt Finnern. Und das, in nur drei Stunden. Mindestens die Rede von Bettina Stark-Watzinger muss also sitzen – und den richtigen Ton treffen. Moritz Baumann/Anna Parrisius
Die Familienministerin des Bundes, Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), will mit neuen schnell ausgebildeten Krisenhelfern der psychologischen Corona-Krise von Kindern und Jugendlichen entgegentreten. Mit einem Budget von zehn Millionen Euro sollen sogenannte “Mental Health Coaches” an 100 Schulen entsandt werden. “Für das Programm werden sozialpädagogische Fachkräfte gezielt in Mental Health und Mental First Aid fortgebildet”, sagte eine Sprecherin der Bundesfamilienministerin zu Table.Media. Das Programm soll im kommenden Schuljahr starten. Wichtige Details zu dem Programm konnte das Familienministerium allerdings auch nach zwei Monaten Planungsphase nicht nennen. (Bildung.Table berichtete.)
Schulleiter und Experten reagierten gegenüber Table.Media reserviert bis wütend auf Paus’ Programm. “100 Mental Health Coaches sind ein Hohn angesichts der psychischen Verstimmungen, unter denen die Schülerinnen und Schüler seit Corona leiden”, sagte etwa der bundesweit bekannte Schulleiter Gert Mengel aus Rostock. “Das ist ja weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein”, kritisierte Stefan Hemler von der Initiative ProtectTheKids. “Wo bleibt der Bildungswumms, wenn es um die Gesundheit von Kindern geht?”
Der Professor für Intensivpädagogik der Fliedner-Fachhochschule Düsseldorf, Menno Baumann, sagte zu Table.Media: “Ich habe den Eindruck, dass man in Anbetracht der multiplen Krisen der letzten Jahre Belastungen nur quantitativ feststellt – und damit die Institutionalisierung psychosozialer Entwicklungsprobleme immer weiter vorantreibt.”
In der Tat scheint mit jedem Tag die psychische Verstimmung der Kinder nach Corona größer zu werden. Erst gestern stellte das der Regierung nahestehende “Progressive Zentrum” eine Studie vor, wonach das Einsamkeitsempfinden junger Menschen immer größer werde. 56 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Coronapandemie sie einsamer gemacht habe. 75 Prozent geben an, dass sie keine gute Strategie gegen Einsamkeit haben. Mit anderen Worten: Sie brauchen Hilfe.
In dem Bericht einer interministeriellen Arbeitsgruppe wird gar davon gesprochen, dass sich bei 75 Prozent der Jugendlichen depressive Anzeichen verstärkt hätten. Die AG beruft sich dabei auf neuere Studien – wie etwa der des Bundesinstituts für Bevölkerungsentwicklung oder die Copsy-Studie. Dabei hatte die Leiterin der COPSY-Längsschnittstudie, Ulrike Ravens-Sieberer vom Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf, zuletzt Entwarnung gegeben. Den Anteil an psychisch auffälligen Kindern und Jugendlichen bezifferte Ravens-Sieberer zuletzt im Januar im Ärzteblatt auf 28,5 Prozent. Sie schrieb: “Die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen konnte diesem Belastungserleben gute Ressourcen entgegensetzen.”
Die interministerielle Arbeitsgruppe um Familienministerin Lisa Paus beschreitet anscheinend einen anderen Weg. Sie referiert fast durchgehend Maximalwerte der Belastung. Je größer die Zahl der Unglücklichen, Depressiven und Suizidgefährdeten unter Jugendlichen wird, umso kleiner scheinen allerdings Hilfsbereitschaft und Entschlossenheit der Bildungspolitik zu werden. Vom Mental-Health-Programm der Regierung sollen demnach nur 100 Schulen profitieren – von insgesamt rund 40.000 allgemein- und berufsbildenden Schulen in Deutschland. Das entspräche einem Anteil von 0,25 Prozent der Schulen.
Eine Sprecherin betonte gegenüber Table.Media, der Bund erforsche mit den Mental Health Coaches Modellprojekte, “mit denen bei neu auftretenden Bedarfen Maßnahmen erprobt und etabliert werden können.” Die Länder sollten diese neuen Methoden, als etwa Mental Health Coaches, in die Regelfinanzierung übernehmen.
Diese Strategie wirft gleich zwei Fragezeichen auf. Erstens liegt in der Tat die originäre Zuständigkeit für Schulen bei den Ländern. Diese haben allerdings bisher wenig Engagement gezeigt, Schülerinnen und Schülern jenseits rhetorischer Klagen echte Hilfen zukommen zu lassen.
Zweitens widersprechen die Experten der Ansicht, es gehe hier um bisher nicht gekannte psychische Phänomene und neue Methoden ihrer Behandlung. Es gebe einen soliden “qualitativen Forschungsstand bezüglich der Dynamiken der Familien in Krisensituationen”, sagte Menno Baumann von der Flieder-Hochschule. Es gehe darum, die Ressourcen von Familien als primäre Sozialisationsinstanz zu stärken. “Wenn die Bundesregierung von 73 Prozent psychisch beeinträchtigten Kinder und Jugendlichen ausgeht, dann kann ja wohl nicht ausschließlich Psychotherapie die Antwort sein, sondern die Familie.”
Ähnlich reagierte Gert Mengel, der an seiner Schule eine ganze Reihe von präventiven Maßnahmen ergriffen hat, die bundesweit Schlagzeilen machten. Es gebe wöchentlich einen pädagogischen Rat von Sozialarbeitern, Schulseelsorgern, Förderpädagogen und Schulleitung an der Don-Bosco-Schule in Rostock. Der Rat bespreche die Krisenfälle und stelle Kontakt zu Schulbegleitern her. “Wir sind dicht dran an den Sorgen der Kinder und Familien.” Mengel forderte einen Kulturwandel der Schulen. “Die Kinder, die krank sind, müssen jetzt in diesem kranken Schulsystem ständig Klausuren nachholen – das ist das Kardinalproblem”, sagte Mengel.
Stefan Hemler von ProtectTheKids, einer Initiative, die sich seit Corona für den gesundheitlichen Schutz von Kindern einsetzt, moniert die Konzeptlosigkeit des Kinderschutzes an Schulen. “Wir setzen an den Schulen die Gesundheit von Schülerinnen und Lehrerinnen aufs Spiel.” Man müsse sich drei Jahre nach Pandemie fragen, wie man für mehr Gesundheit in der Schulfamilie sorgen könne. Dazu gehöre die Luftqualität, die mit dem Einbau raumlufttechnischer Anlagen verbessert werden könne. Auch die Digitalisierung könne kranken Schülern und Lehrern helfen. “Ein kluger Hybrid-Unterricht ist überfällig, um Lehrende und Lernende zu schützen. Er muss zu einer Selbstverständlichkeiten werden.”
Mit dem Bildungsgipfel wollte Bettina Stark-Watzinger eine neue Ära der Kooperation mit Ländern und Kommunen einläuten. Doch das Gros der Länder-Minister hat nach Informationen von Table.Media die Einladung aus Berlin ausgeschlagen. Moritz Baumann und ich haben uns umgehört, warum die Bundesländer die Berliner Koalition auflaufen lassen.
Die Ziele des Gipfels seien unklar, das Format – eine dreistündige Vormittagsveranstaltung – sei “ein Witz”, Ergebnisse nicht abzusehen. Das BMBF wittert derweil politische Taktik, besonders der Unionsseite.
Wie ein Witz klingt auch die Antwort von Stark-Watzingers grüner Ministerkollegin Lisa Paus auf die psychische Krise vieler junger Menschen. Paus will extra fortgebildete Sozialpädagogen an exakt 100 Schulen schicken – bundesweit gibt es 40.000 allgemein- und berufsbildende Schulen. Dabei schätzt eine interministerielle Arbeitsgruppe den Anteil der Jugendlichen mit depressiven Anzeichen als besonders hoch ein. Eine neue Studie deutet auf viele einsame Schüler hin. Christian Füller hat mit Schulleitern und Experten gesprochen.
Das nächste reguläre Briefing erhalten Sie am kommenden Mittwoch.
In einem Monat will Bettina Stark-Watzinger den Bildungsgipfel in Berlin eröffnen. Es soll der langersehnte Auftakt sein: für eine “neue Kultur der Zusammenarbeit” zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Mit “hochrangigen Spitzengesprächen”, so steht es in der Einladung. Doch es droht ein mittelschweres Fiasko.
Nach Informationen von Table.Media haben alle CDU- und CSU-Schulminister die Einladung aus Berlin ausgeschlagen. Die meisten B-Länder – darunter Hessen und Schleswig-Holstein – schicken nicht einmal ihre Staatssekretäre. Niemand habe Lust, Deko für eine Showveranstaltung zu sein, heißt es. Das Politikportal Pioneer berichtete heute Vormittag zuerst über die Welle an Absagen.
Einen Monat vor dem Gipfel zeichnet sich ab: Stark-Watzinger hat Mühe, die Länder zu substantiellen Gesprächen zu bewegen. An den großen Wurf am 14. März glaubt kaum jemand, nicht einmal in den Reihen der Koalition – aus verschiedenen Gründen.
Ziele: Das ist das Kernproblem. Niemand, weder Verbände noch Ministerien, wissen, was die Bundesbildungsministerin mit dem vermeintlichen Spitzentreffen erreichen will. Aus Kreisen der Länder heißt es übereinstimmend, dass sie bei der Planung des Gipfels nicht beteiligt waren – nicht beim Format, nicht bei der Zielsetzung, nicht beim Programm. Das bestätigen auch Verbände und Kommunen. Offenbar war die Vorbereitung des Gipfels ein BMBF-Solospiel. Kein gutes Omen für eine neue Kultur der Zusammenarbeit.
Format: Der Bildungsgipfel, der es sogar in den Ampel-Koalitionsvertrag geschafft hat, findet nicht im Kanzleramt statt; auch nicht im Bundesbildungsministerium – sondern in einem Kongresszentrum, am Rande der bifo-Fachtagung, auf der Deutschlands Bildungsforscher miteinander fachsimpeln. Es sind lediglich drei Stunden geplant. Stark-Watzinger eröffnet. Danach: ein Impulsvortrag und zwei Panel-Diskussionen (zum Ablauf). Das Programm sei “ein Witz”, heißt es aus einem unionsgeführten Ministerium. Das BMBF betont, wie wichtig ein “enger und systematischer Austausch mit der Wissenschaft” sei.
Ergebnis: Eine gemeinsame Erklärung – ein Bekenntnis zur neuen Zusammenarbeit – ist nicht geplant. Normaler Gipfelmodus wäre, dass die Teilnehmer schon Wochen und Monate vor der Veranstaltung an einem gemeinsamen Papier feilen, um Formulierungen ringen, erste Blockaden auflösen. Damit die Minister vor den Kameras glänzen können. Nichts davon hat stattgefunden.
Einladung: Letzter Punkt, die Etikette: Die Einladung zum Gipfel hat nicht etwa, wie es protokollarisch zu erwarten gewesen wäre, Bettina Stark-Watzinger persönlich verschickt – von Minister zu Minister. Sie hat ihren parlamentarischen Staatssekretär Jens Brandenburg vorgeschickt. Eine Kleinigkeit, die jedoch registriert wurde. Ob dem Auswärtigen Amt ein solcher Fauxpas unterlaufen wäre? Unwahrscheinlich.
Lesen Sie auch: Stark-Watzingers Worte – und ihre Taten (eine Bilanz)
Die Bundesländer lassen die Koalition offenbar auflaufen. Dabei betonen Fachleute: Es braucht angesichts der Bildungskrise, in die Deutschland gerade schlittert, ein starkes politisches Signal. Ein nationaler Bildungsgipfel könnte ein Momentum kreieren – mitten in der Zeitenwende, mitten im Energiekrieg mit Russland. “Die Hütte brennt.” Das war das Fazit des Bildungssoziologen und Bestsellerautors Aladin El-Mafaalani vor wenigen Monaten bei Markus Lanz. Ist das angekommen?
Allmählich sickert die Dringlichkeit bis in die politische Spitze durch. In den Ländern ist Bildung neuerdings Chefsache: Markus Söder hat ein Wahlkampfthema entdeckt, Reiner Haseloff lädt zum Krisengipfel in die Staatskanzlei. Im Bund ist das anders. Der Kanzler schweigt. Bislang.
Einen Monat vor der Veranstaltung dämpft die Bildungsministerin von Schleswig-Holstein und CDU-Vize Karin Prien die Erwartungen. Sie spricht von einem “Bildungsgipfelchen”. “Die Art der Veranstaltung und das Format eignen sich leider überhaupt nicht, um Lösungen für die Herausforderungen in unserem Bildungssystem zu vereinbaren”, sagte sie der Hauptstadtredaktion von Pioneer.
KMK-Präsidentin Astrid-Sabine Busse sendet dagegen versöhnliche Zeichen ans BMBF: “Die Teilnahme der Senatorin ist eingeplant”, teilt ein Sprecher mit. Auch der Hamburger Schulsenator Ties Rabe, Koordinator der A-Länder, reist nach Berlin. Wer nicht kommt:
Ein einsamer Bildungsgipfel? Das BMBF hat eine andere Lesart: Für die beiden geplanten Panel-Diskussionen hätten alle eingeladenen Teilnehmer, darunter die KMK-Präsidentin, Spitzenvertreter der Kommunen, Bundesschülerkonferenz und Bundeselternrat, zugesagt. Einzige Ausnahme: der hessische Kultusminister, Alexander Lorz, Koordinator der B-Länder. Zufall? In Berlin wittert man Taktik.
“Die Unionsseite hat einen Vertreter fest zugesagt. Sollte sie jetzt politisch taktieren, offenbart das ein Desinteresse an neuen Formen der Bildungszusammenarbeit“, erklärt der Sprecher von Stark-Watzinger gegenüber Table.Media.
Weiter ist zu vernehmen, dass die Ministerin den Gipfel als einen Auftakt sieht – mit dem klaren Ziel, einen längerfristigen Dialog zu initiieren. Hier könnte auch die Arbeitsgruppe aus Bund, Länder und Kommunen ins Spiel kommen, die im Koalitionsvertrag angekündigt ist, sich aber seit einem Jahr in der Warteschleife befindet (lesen Sie hier die Analyse).
Die Verbände knüpfen an dieses Versprechen an – mit klarer Botschaft: “Der Bildungsgipfel darf keine einmalige Veranstaltung bleiben, sondern muss mit einem Bildungsrat und einer Bund-Länder-Kommission begleitet werden”, sagt die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Elke Hannack. Chancengerechtigkeit, Lehrermangel, Ausbildungskrise: Das alles lasse sich nicht an einem Vormittag bearbeiten.
Die GEW-Vorsitzende Maike Finnern nimmt am Gipfel im März teil, ebenso Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des VBE. Finnern sagt: “Das Format kann nur ein Auftakt für einen weiteren Prozess sein, in dem wir neue Finanz- und Organisationsstrukturen erarbeiten.” Es brauche eine bessere Zusammenarbeit, einen nationalen Bildungsrat, Staatsverträge – zum Beispiel zum Thema Lehrkräfteausbildung. “All das müssen wir diskutieren”, sagt Finnern. Und das, in nur drei Stunden. Mindestens die Rede von Bettina Stark-Watzinger muss also sitzen – und den richtigen Ton treffen. Moritz Baumann/Anna Parrisius
Die Familienministerin des Bundes, Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), will mit neuen schnell ausgebildeten Krisenhelfern der psychologischen Corona-Krise von Kindern und Jugendlichen entgegentreten. Mit einem Budget von zehn Millionen Euro sollen sogenannte “Mental Health Coaches” an 100 Schulen entsandt werden. “Für das Programm werden sozialpädagogische Fachkräfte gezielt in Mental Health und Mental First Aid fortgebildet”, sagte eine Sprecherin der Bundesfamilienministerin zu Table.Media. Das Programm soll im kommenden Schuljahr starten. Wichtige Details zu dem Programm konnte das Familienministerium allerdings auch nach zwei Monaten Planungsphase nicht nennen. (Bildung.Table berichtete.)
Schulleiter und Experten reagierten gegenüber Table.Media reserviert bis wütend auf Paus’ Programm. “100 Mental Health Coaches sind ein Hohn angesichts der psychischen Verstimmungen, unter denen die Schülerinnen und Schüler seit Corona leiden”, sagte etwa der bundesweit bekannte Schulleiter Gert Mengel aus Rostock. “Das ist ja weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein”, kritisierte Stefan Hemler von der Initiative ProtectTheKids. “Wo bleibt der Bildungswumms, wenn es um die Gesundheit von Kindern geht?”
Der Professor für Intensivpädagogik der Fliedner-Fachhochschule Düsseldorf, Menno Baumann, sagte zu Table.Media: “Ich habe den Eindruck, dass man in Anbetracht der multiplen Krisen der letzten Jahre Belastungen nur quantitativ feststellt – und damit die Institutionalisierung psychosozialer Entwicklungsprobleme immer weiter vorantreibt.”
In der Tat scheint mit jedem Tag die psychische Verstimmung der Kinder nach Corona größer zu werden. Erst gestern stellte das der Regierung nahestehende “Progressive Zentrum” eine Studie vor, wonach das Einsamkeitsempfinden junger Menschen immer größer werde. 56 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Coronapandemie sie einsamer gemacht habe. 75 Prozent geben an, dass sie keine gute Strategie gegen Einsamkeit haben. Mit anderen Worten: Sie brauchen Hilfe.
In dem Bericht einer interministeriellen Arbeitsgruppe wird gar davon gesprochen, dass sich bei 75 Prozent der Jugendlichen depressive Anzeichen verstärkt hätten. Die AG beruft sich dabei auf neuere Studien – wie etwa der des Bundesinstituts für Bevölkerungsentwicklung oder die Copsy-Studie. Dabei hatte die Leiterin der COPSY-Längsschnittstudie, Ulrike Ravens-Sieberer vom Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf, zuletzt Entwarnung gegeben. Den Anteil an psychisch auffälligen Kindern und Jugendlichen bezifferte Ravens-Sieberer zuletzt im Januar im Ärzteblatt auf 28,5 Prozent. Sie schrieb: “Die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen konnte diesem Belastungserleben gute Ressourcen entgegensetzen.”
Die interministerielle Arbeitsgruppe um Familienministerin Lisa Paus beschreitet anscheinend einen anderen Weg. Sie referiert fast durchgehend Maximalwerte der Belastung. Je größer die Zahl der Unglücklichen, Depressiven und Suizidgefährdeten unter Jugendlichen wird, umso kleiner scheinen allerdings Hilfsbereitschaft und Entschlossenheit der Bildungspolitik zu werden. Vom Mental-Health-Programm der Regierung sollen demnach nur 100 Schulen profitieren – von insgesamt rund 40.000 allgemein- und berufsbildenden Schulen in Deutschland. Das entspräche einem Anteil von 0,25 Prozent der Schulen.
Eine Sprecherin betonte gegenüber Table.Media, der Bund erforsche mit den Mental Health Coaches Modellprojekte, “mit denen bei neu auftretenden Bedarfen Maßnahmen erprobt und etabliert werden können.” Die Länder sollten diese neuen Methoden, als etwa Mental Health Coaches, in die Regelfinanzierung übernehmen.
Diese Strategie wirft gleich zwei Fragezeichen auf. Erstens liegt in der Tat die originäre Zuständigkeit für Schulen bei den Ländern. Diese haben allerdings bisher wenig Engagement gezeigt, Schülerinnen und Schülern jenseits rhetorischer Klagen echte Hilfen zukommen zu lassen.
Zweitens widersprechen die Experten der Ansicht, es gehe hier um bisher nicht gekannte psychische Phänomene und neue Methoden ihrer Behandlung. Es gebe einen soliden “qualitativen Forschungsstand bezüglich der Dynamiken der Familien in Krisensituationen”, sagte Menno Baumann von der Flieder-Hochschule. Es gehe darum, die Ressourcen von Familien als primäre Sozialisationsinstanz zu stärken. “Wenn die Bundesregierung von 73 Prozent psychisch beeinträchtigten Kinder und Jugendlichen ausgeht, dann kann ja wohl nicht ausschließlich Psychotherapie die Antwort sein, sondern die Familie.”
Ähnlich reagierte Gert Mengel, der an seiner Schule eine ganze Reihe von präventiven Maßnahmen ergriffen hat, die bundesweit Schlagzeilen machten. Es gebe wöchentlich einen pädagogischen Rat von Sozialarbeitern, Schulseelsorgern, Förderpädagogen und Schulleitung an der Don-Bosco-Schule in Rostock. Der Rat bespreche die Krisenfälle und stelle Kontakt zu Schulbegleitern her. “Wir sind dicht dran an den Sorgen der Kinder und Familien.” Mengel forderte einen Kulturwandel der Schulen. “Die Kinder, die krank sind, müssen jetzt in diesem kranken Schulsystem ständig Klausuren nachholen – das ist das Kardinalproblem”, sagte Mengel.
Stefan Hemler von ProtectTheKids, einer Initiative, die sich seit Corona für den gesundheitlichen Schutz von Kindern einsetzt, moniert die Konzeptlosigkeit des Kinderschutzes an Schulen. “Wir setzen an den Schulen die Gesundheit von Schülerinnen und Lehrerinnen aufs Spiel.” Man müsse sich drei Jahre nach Pandemie fragen, wie man für mehr Gesundheit in der Schulfamilie sorgen könne. Dazu gehöre die Luftqualität, die mit dem Einbau raumlufttechnischer Anlagen verbessert werden könne. Auch die Digitalisierung könne kranken Schülern und Lehrern helfen. “Ein kluger Hybrid-Unterricht ist überfällig, um Lehrende und Lernende zu schützen. Er muss zu einer Selbstverständlichkeiten werden.”