Table.Briefing: Bildung

Bildungsbericht zum Lehrermangel + Christiane Zangs über Fehler im Digitalpakt

  • Nationaler Bildungsbericht: Wie valide sind die Prognosen zum Lehrermangel?
  • Städtetags-Expertin Christiane Zangs im Interview über die Fehlsteuerung im Digitalpakt und die Forderungen der Kommunen an Bund und Länder
Liebe Leserin, lieber Leser,

der Nationale Bildungsbericht ist so etwas wie das Fieberthermometer für die Bildungsrepublik. Alle zwei Jahre zeigt es an, wie es Schülern, Lehrern und Schulen geht. Heute Mittag stellen ihn die Verfasser in Berlin vor. Das entscheidende Thema könnte nicht aktueller sein: der Mangel an Lehrkräften.

Doch wie ungeschminkt sind die Prognosen des Berichtes wirklich, welches Signal geben sie der Öffentlichkeit? Zahlen und Statistiken des Papiers, die Bildung.Table vorab einsehen konnte, lassen in Expertenkreisen Zweifel daran aufkommen, ob die Politik richtige Schlüsse aus dem Bildungsbericht ziehen kann. So wurden alarmierende Prognosen des renommiertesten Zeugen des Lehrermangels bei den Berechnungen offenbar nicht berücksichtigt.  

Eine andere Bilanz wird heute und morgen in Bonn gezogen. Schulleiter, Lehrer und Bildungsbeamte aus Bund, Ländern und Kommunen beugen sich über den Digitalpakt. Sie wollen herausfinden, wo bürokratische Hürden sind – und wie man den digitalen Wandel ein bisschen beschleunigen kann. Christiane Zangs, Beigeordnete der Stadt Neuss und beim Städtetag für Bildung zuständig, hat uns bereits heute gesagt, wo es hakt. 

Wenn Sie einen interessanten Schulleiter und einen Förderer von Start-ups kennenlernen wollen, dann kommen Sie heute um 11:30 Uhr in den LiveTalk von Bildung.Table. Gert Mengel und Tobias Himmerich haben Good News für Sie. Hier gehts zur kostenlosen Anmeldung.

Ihr
Christian Füller
Bild von Christian  Füller

Analyse

Nationaler Bildungsbericht: Wie viele Lehrer fehlen wirklich?

Man sieht eine Grafik zum Angebot und Neueinstellungen von Lehrkräfte, aus einer Analyse des Nationalen Bildungsberichts zum Lehrermangel
Der Nationale Bildungsbericht sieht ab 2029 sogar einen Überschuss beim Angebot von Junglehrern.

Das wichtigste Barometer für den Stand der Bildungspolitik, der sogenannte “Nationale Bildungsbericht”, unterschätzt systemisch den Lehrermangel. Das liegt nach Informationen von Bildung.Table aus Wissenschaftskreisen daran, dass in die Statistiken für den Bericht entscheidende Annahmen nicht eingeflossen sind. So kommt es, dass die Bedarfslücke von Lehrern für das Jahr 2025 nach Ansicht der Kritiker des Berichts um rund 25.000 Pädagogen zu gering eingeschätzt wird. Die Versorgung mit Pädagogen für das Jahr 2030 taxiert der Bericht sogar um 60.000 Lehrpersonen günstiger, als er mutmaßlich sein wird.

Das Papier liegt der Table-Redaktion in Teilen vor. Der Lehrermangel ist momentan die große Schwachstelle des Schulsystems. Die Autoren stellen den Bericht am heutigen Donnerstag in der Bundespressekonferenz offiziell vor. 

Der Nationale Bildungsbericht erscheint alle zwei Jahre, ein Konsortium von Forschungsinstituten verantwortet ihn. Jeder Bericht hat einen eigenen Schwerpunkt. So lag der Fokus im Jahr 2020 auf der digitalen Bildung. Der Schwerpunkt der Ausgabe 2022 hätte treffender nicht gewählt werden können: die Versorgung der Schulen mit Lehrkräften, ihre Aus- und Fortbildung.

Schon jetzt werben sich die Länder gegenseitig die Pädagogen ab, es ist ein regelrechtes Wettrennen um Verbeamtungen entstanden. Der Bildungsökonom Klaus Klemm hält der Bildungsrepublik seit Beginn der 2000er Jahre den Spiegel vor, weil sie über viele Jahre zu wenig Lehrer ausgebildet und zu wenig Junglehrer eingestellt habe. Die Kultusminister ignorieren die Berechnungen von Klemm aber seit langem. 

Lehrermangel um 60.000 Personen unterschätzt

Umso überraschender ist nun, dass die Autoren des Nationalen Bildungsberichts ganz ähnlich verfahren. Die Forscher sind zwar unabhängig, prognostizieren das Defizit an Lehrkräften bis 2030 aber auf Grundlage der Zahlen der Kultusminister. Danach sollen am Ende des Jahrzehnts lediglich 17.300 Lehrer fehlen. Klaus Klemm hingegen geht davon aus, dass 2030 bereits 81.000 Lehrkräfte zu wenig in den Klassenzimmern stehen.

Diese Zahlen werden in den Statistiken des Berichts überraschenderweise nicht genannt. Auch die neueren Prognosen bis 2035 des emeritierten Bildungsökonomen der Uni Duisburg-Essen fehlen in den Grafiken des Papiers. Waren die – laut Klemm – fehlenden 127.000 bis 159.000 Lehrkräfte den Wissenschaftlern des Bildungsberichts zu dramatisch?

Verfasst haben das Dokument Forschende des “Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation”, des “Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe” und vier anderer Einrichtungen. Ihnen werfen Bildungswissenschaftler, die nicht genannt werden wollen, nun vor, der Öffentlichkeit ein zu positives Bild zu suggerieren. Der Bildungsbericht dürfe sich nicht nur auf Prognosen der Kultusminister stützen.

Hälfte aller Lehrkräfte in Teilzeit

Dabei müssen schon die geringeren Zahlen aufrütteln, die der Nationale Bildungsbericht ab heute Mittag sichtbar machen wird. Die Zahl der Lehrkräfte ist danach zwischen 2010 und 2020 nur um 25.000 Personen gestiegen. Das würde einem Zuwachs von nur drei Prozent entsprechen – und das, obwohl sich schon lange ein eklatanter Lehrkräftemangel abzeichnet. Fast die Hälfte aller Lehrkräfte arbeitete 2020 in Teilzeit, heißt es in dem Papier. 40 Prozent der Lehrkräfte waren im Jahr 2020 im Alter von 50 Jahren oder darüber.

Jedes Unternehmen und jede staatliche Verwaltung würde bei einer derartigen Unterversorgung mit Fachkräften sofort Notmaßnahmen einleiten. Einzelne Bundesländer planen inzwischen auch tiefe Eingriffe. Allerdings weiten sie dabei die Zahl qualifizierten Lehrpersonals nicht etwa aus, sondern wollen die Stundentafel für Schüler kürzen. Berlin zum Beispiel diskutiert offen darüber, ob man die Lernzeit der Schüler einschränken soll. (Bildung.Table berichtete.) 

30 bis 40 Prozent der Lehrerfortbildungen fallen aus 

Dass man mit Lehrermangel und Problemen in der Lehrerfortbildung problembewusst umgehen muss, konnte man bei der “Gesellschaft für Bildungsverwaltung” am vergangenen Wochenende erleben. Bei einer Tagung der Gesellschaft zeigte etwa der Potsdamer Bildungsforscher Dirk Richter, dass in einem der größten Bundesländer ein Drittel der Lehrerfortbildungen schlicht ausfällt. Richter führte dies am Beispiel einer Studie für die GEW Baden-Württemberg aus. Der zuständige Beamte aus dem Stuttgarter “Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung“, Michael Kilper, gestand bei dem Treffen ein, dass während der Pandemie sogar vier von zehn Lehrerfortbildungen nicht stattfanden.  

Bildungsverwalter, Lehrerfortbildungen, KMK
Große Ausfälle bei Lehrerfortbildungen. Grafik: Britta Weppner

Ähnlich konsequent war der Lagebericht für die Bildungsverwalter, den Olaf Köller über den Lehrermangel hielt. Der Direktor des “Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik” in Kiel rechnete den Fachleuten in den Kultusministerien vor, dass allein in den Fächern des mathematisch-naturwissenschaftlichen und IT-Bereichs bis 2030 fast 40.000 Lehrkräfte fehlen. In Mathematik fehlen 15.000 Lehrer, in Biologie 10.000. In diesen beiden Fächern sind laut Köller durch das Angebot an Nachwuchs aus den Lehramtsstudiengängen nur mehr etwa 40 Prozent des Bedarfs zu decken. 

Köller warnte bei der Tagung der Bildungsverwalter davor, dass sowohl die Demografie (weniger Lehramtsstudierende in den kommenden Jahren) als auch die Flucht aus dem Kriegsland Ukraine die Situation weiter verschärfen dürfte. Köller, der auch Sprecher der “Ständigen wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz” ist, schlug radikale Maßnahmen vor. Man solle die Sprachbarrieren für ausländische Lehrkräfte senken und Lehramtsstudiengänge mit nur einem Fach erlauben. Diese beiden Hürden erschweren gerade die Einbeziehung vieler ukrainischer Lehrkräfte in den deutschen Schulbetrieb.  Mit Niklas Prenzel

  • Bildungspolitik
  • Klaus Klemm

“Die Kommunen können den digitalen Wandel nicht allein bezahlen” 

Auf dem Foto sieht man Christiane Zangs, Vorsitzende des Schul- und Bildungsausschusses beim Städtetag: Sie spricht über den digitalen Wandel für Kommunen im Rahmen des Digitalpakts
Christiane Zangs, Vorsitzende des Schul- und Bildungsausschusses beim Städtetag. (Foto: Detlef Ilgner)

Warum funktioniert der Digitalpakt nicht, Frau Zangs?

Ich glaube, wir sprechen zu wenig miteinander. Bund und Länder müssten den Bedarf vor Ort viel besser mit uns abstimmen. Wir sind stets am Ende der Nahrungskette.

Klingt nach Freier Wildbahn.

Wir sind es leid, dass man uns Kommunen immer Geld vor die Füße wirft – und uns dann vorhält, wir seien zu dusselig, um es auszugeben. Erst heißt es, kauft, macht und tut. Und nach kürzester Zeit erklären Bund und Länder: “Ja also, am Geld scheitert es nicht!” 

Sind die Kommunen überfordert, die gigantischen Zuschüsse sinnvoll einzusetzen?

Nein, aber der Prozess muss stimmen. Was richtig ist: Wir haben durch den Digitalpakt so viel Geld in unsere Schulverwaltungsämter bekommen, wie wir es für digitale Medien noch nie ausgegeben haben. Der Prozess läuft stets ähnlich ab. Wir erfahren, dass es Geld vom Bund geben soll. Bis die Länder uns aber die exakten Förderrichtlinien an die Hand geben, vergeht viel Zeit. Erst dann können wir mit der Umsetzung beginnen, nämlich Planung und Auftragsvergaben, Konfiguration und Ausgabe der Medien. Das sind große Herausforderungen – bei den neuen Volumina.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Wir in Neuss haben uns sehr früh entschlossen, für alle insgesamt rund 1.000 Unterrichtsräume Präsentationstechnik anzuschaffen. Wir wollen aber solche Fragen nicht von oben herab entscheiden, sondern im Gespräch mit unseren Schulen. Entscheidend ist hierbei, was pädagogisch sinnvoll ist. Wir sind mit den zuständigen Lehrer:innen buchstäblich von Klassenraum zu Klassenraum gegangen. Um auszuloten, welche Präsentationstechnik überhaupt eine Zukunft hat. Und wie die Lehrkräfte damit Unterricht gut gestalten können. Erst danach kommen Vergabeverordnung und Ausschreibung ins Spiel. 

Spezialisierte Kanzlei für Digitalpakt beauftragt

Und dann wird es zum zweiten Mal kompliziert?

Genau. Bei unserer Ausschreibung für Präsentationstechnik drohten Konkurrentenklagen – obwohl wir zuvor ein darauf spezialisiertes Rechtsanwaltsbüro zurate gezogen hatten. 

Was passierte? 

Dass wir zweimal eine Ausschreibung aufgehoben haben – was zweimal eine jeweils dreimonatige Verzögerung bedeutete…

… und dazu führt, dass der Digitalpakt insgesamt nicht zum Erfolg werden kann?

Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Bis Anfang 2025 können alle Kommunen das Geld verausgaben – und das werden sie auch tun. Wenn Bund und Länder uns vorwerfen, die Kommunen können das Geld jetzt nicht ausgeben, dann fühlen wir uns nicht fair behandelt. Wir benötigen den von vorneherein geplanten zeitlichen Rahmen. 

Aber sie beschreiben ja selbst, wie kompliziert die Prozesse waren. 

Ja, aber die operativen Herausforderungen ballten sich eben alle bei uns, den Schulträgern. Wir sollten das Geld – wegen Corona und Homeschooling – schnell ausgeben. Am wichtigsten ist aber, dass in unserem Drei-Ebenensystem von Bund, Ländern und Kommunen besser kommuniziert wird.

Vor allem das Verhältnis zwischen den Kommunen und den Ländern scheint ungeklärt. Was würden Sie sich da wünschen? 

Wir fordern vom Land NRW seit langem vehement eine Reform der Schulfinanzierung. Die Trennung nach inneren und äußeren Schulangelegenheiten trägt den bildungspolitischen Herausforderungen nicht mehr Rechnung. Nicht nur wegen der Digitalisierung, sondern beispielsweise auch wegen der offenen Ganztagsschule. Das betrifft alle Bundesländer gleichermaßen.

Was heißt das?

Ich bin nicht der Meinung, dass es Aufgabe allein der Kommunen ist, ihre Schüler mit digitalen Endgeräten wie Tablets und Laptops auszustatten. Bisher waren Schulträger verantwortlich für Gebäude, Mobiliar und Schulbücher. Wir sind doch aber längst an dem Punkt, an dem Schulbücher eine andere Rolle spielen als bisher. Die Kinder müssen nicht mehr mit einem Rucksack voller Schulbücher durch die Gegend rennen. Unsere technikaffinen Kinder brauchen die bestmögliche Verzahnung zwischen analogem und digitalem Lernen. 

Neue finanzielle Grundlage für Kommunen schaffen

Aber was hat das mit den Ländern zu tun, Frau Zangs?

Dass die Kommunen diesen grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel nicht allein bezahlen können. Die Medienkompetenz ist nach Lesen, Schreiben und Rechnen die vierte Kulturtechnik. Wenn wir das wirklich anerkennen, dann dürfen die Kommunen damit nicht allein gelassen werden.

Aber der Bund hält doch milliardenschwere Zuschüsse für Sie bereit.

Ja, und dafür sind wir dankbar, der Digitalpakt Schule war ein wichtiger Schritt. Die Öffnung des Artikels 104c des Grundgesetzes hat eine wichtige Anschubfinanzierung möglich gemacht. Nur reicht bei einer derart grundsätzlichen Umwälzung keine einmalige Finanzspritze für Investitionskosten. Die laufenden Kosten können ja nicht über den Digitalpakt Schule gegenfinanziert werden. Und das ist auch keine Frage zwischen Bund und Kommunen, sondern zwischen Ländern und Kommunen. Wir brauchen eine neue finanzielle Grundlage mit den Ländern – und dazu die Hilfe des Bundes.

Kann man das einheitlich für ganz Deutschland regeln – oder macht das jedes Bundesland für sich?

Das muss jedes Bundesland gesondert umsetzen.

Was ist bei Ihnen in NRW besonders wichtig?

Dass die Bildungspauschale neu berechnet wird. Das Schulgesetz muss neu geschrieben werden, weil sich so viel verändert hat und weil die Regierung vieles bisher immer wieder nur per Erlass verfügt hatte. Es muss ein dauerhaft tragfähiges Finanzierungskonzept geben – durch ein Gesetz. Wir können zeitgemäßes Lernen in der Digitalität nicht von der Kassenlage der Kommunen bestimmen lassen. 

Aus dem Urlaub heraus 500 Tablets bestellt

Sollten die Medienentwicklungspläne weg? 

Wir sollten uns schon im Klaren darüber sein, wohin wir mit der Digitalisierung unserer Schulen pädagogisch wollen. Aber man muss das Rad nicht immer neu erfinden, sondern kann auch von den Erfahrungen anderer lernen. 

Würde es helfen, wenn der Bund grundsätzlich für die Digitalisierung der Schulen zuständig wäre?

Es würde Ländern und Kommunen helfen, wenn es eine dauerhafte, verlässliche Finanzierung auch durch den Bund gäbe. Die Digitalisierung denkt ja nicht in Förderprogrammen oder in föderalen Strukturen.

Was ist ihr ultimativer Vorschlag für einen unkomplizierten Digitalpakt?

Direkte Kommunikation. Ich habe einmal aus dem Urlaub heraus 500 Tablets bestellt. Da war ich auf einer Berghütte und hatte Angst, dass meinem Lieferanten die Endgeräte ausgehen. Deswegen hab ich angerufen und gesagt: “Liefert uns schon mal diese Geräte, der Bestellschein kommt später.” 

  • Bürokratie
  • Digitales Lernen
  • Digitalpakt
  • Kommunen
  • Nationaler Bildungsbericht: Wie valide sind die Prognosen zum Lehrermangel?
  • Städtetags-Expertin Christiane Zangs im Interview über die Fehlsteuerung im Digitalpakt und die Forderungen der Kommunen an Bund und Länder
Liebe Leserin, lieber Leser,

der Nationale Bildungsbericht ist so etwas wie das Fieberthermometer für die Bildungsrepublik. Alle zwei Jahre zeigt es an, wie es Schülern, Lehrern und Schulen geht. Heute Mittag stellen ihn die Verfasser in Berlin vor. Das entscheidende Thema könnte nicht aktueller sein: der Mangel an Lehrkräften.

Doch wie ungeschminkt sind die Prognosen des Berichtes wirklich, welches Signal geben sie der Öffentlichkeit? Zahlen und Statistiken des Papiers, die Bildung.Table vorab einsehen konnte, lassen in Expertenkreisen Zweifel daran aufkommen, ob die Politik richtige Schlüsse aus dem Bildungsbericht ziehen kann. So wurden alarmierende Prognosen des renommiertesten Zeugen des Lehrermangels bei den Berechnungen offenbar nicht berücksichtigt.  

Eine andere Bilanz wird heute und morgen in Bonn gezogen. Schulleiter, Lehrer und Bildungsbeamte aus Bund, Ländern und Kommunen beugen sich über den Digitalpakt. Sie wollen herausfinden, wo bürokratische Hürden sind – und wie man den digitalen Wandel ein bisschen beschleunigen kann. Christiane Zangs, Beigeordnete der Stadt Neuss und beim Städtetag für Bildung zuständig, hat uns bereits heute gesagt, wo es hakt. 

Wenn Sie einen interessanten Schulleiter und einen Förderer von Start-ups kennenlernen wollen, dann kommen Sie heute um 11:30 Uhr in den LiveTalk von Bildung.Table. Gert Mengel und Tobias Himmerich haben Good News für Sie. Hier gehts zur kostenlosen Anmeldung.

Ihr
Christian Füller
Bild von Christian  Füller

Analyse

Nationaler Bildungsbericht: Wie viele Lehrer fehlen wirklich?

Man sieht eine Grafik zum Angebot und Neueinstellungen von Lehrkräfte, aus einer Analyse des Nationalen Bildungsberichts zum Lehrermangel
Der Nationale Bildungsbericht sieht ab 2029 sogar einen Überschuss beim Angebot von Junglehrern.

Das wichtigste Barometer für den Stand der Bildungspolitik, der sogenannte “Nationale Bildungsbericht”, unterschätzt systemisch den Lehrermangel. Das liegt nach Informationen von Bildung.Table aus Wissenschaftskreisen daran, dass in die Statistiken für den Bericht entscheidende Annahmen nicht eingeflossen sind. So kommt es, dass die Bedarfslücke von Lehrern für das Jahr 2025 nach Ansicht der Kritiker des Berichts um rund 25.000 Pädagogen zu gering eingeschätzt wird. Die Versorgung mit Pädagogen für das Jahr 2030 taxiert der Bericht sogar um 60.000 Lehrpersonen günstiger, als er mutmaßlich sein wird.

Das Papier liegt der Table-Redaktion in Teilen vor. Der Lehrermangel ist momentan die große Schwachstelle des Schulsystems. Die Autoren stellen den Bericht am heutigen Donnerstag in der Bundespressekonferenz offiziell vor. 

Der Nationale Bildungsbericht erscheint alle zwei Jahre, ein Konsortium von Forschungsinstituten verantwortet ihn. Jeder Bericht hat einen eigenen Schwerpunkt. So lag der Fokus im Jahr 2020 auf der digitalen Bildung. Der Schwerpunkt der Ausgabe 2022 hätte treffender nicht gewählt werden können: die Versorgung der Schulen mit Lehrkräften, ihre Aus- und Fortbildung.

Schon jetzt werben sich die Länder gegenseitig die Pädagogen ab, es ist ein regelrechtes Wettrennen um Verbeamtungen entstanden. Der Bildungsökonom Klaus Klemm hält der Bildungsrepublik seit Beginn der 2000er Jahre den Spiegel vor, weil sie über viele Jahre zu wenig Lehrer ausgebildet und zu wenig Junglehrer eingestellt habe. Die Kultusminister ignorieren die Berechnungen von Klemm aber seit langem. 

Lehrermangel um 60.000 Personen unterschätzt

Umso überraschender ist nun, dass die Autoren des Nationalen Bildungsberichts ganz ähnlich verfahren. Die Forscher sind zwar unabhängig, prognostizieren das Defizit an Lehrkräften bis 2030 aber auf Grundlage der Zahlen der Kultusminister. Danach sollen am Ende des Jahrzehnts lediglich 17.300 Lehrer fehlen. Klaus Klemm hingegen geht davon aus, dass 2030 bereits 81.000 Lehrkräfte zu wenig in den Klassenzimmern stehen.

Diese Zahlen werden in den Statistiken des Berichts überraschenderweise nicht genannt. Auch die neueren Prognosen bis 2035 des emeritierten Bildungsökonomen der Uni Duisburg-Essen fehlen in den Grafiken des Papiers. Waren die – laut Klemm – fehlenden 127.000 bis 159.000 Lehrkräfte den Wissenschaftlern des Bildungsberichts zu dramatisch?

Verfasst haben das Dokument Forschende des “Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation”, des “Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe” und vier anderer Einrichtungen. Ihnen werfen Bildungswissenschaftler, die nicht genannt werden wollen, nun vor, der Öffentlichkeit ein zu positives Bild zu suggerieren. Der Bildungsbericht dürfe sich nicht nur auf Prognosen der Kultusminister stützen.

Hälfte aller Lehrkräfte in Teilzeit

Dabei müssen schon die geringeren Zahlen aufrütteln, die der Nationale Bildungsbericht ab heute Mittag sichtbar machen wird. Die Zahl der Lehrkräfte ist danach zwischen 2010 und 2020 nur um 25.000 Personen gestiegen. Das würde einem Zuwachs von nur drei Prozent entsprechen – und das, obwohl sich schon lange ein eklatanter Lehrkräftemangel abzeichnet. Fast die Hälfte aller Lehrkräfte arbeitete 2020 in Teilzeit, heißt es in dem Papier. 40 Prozent der Lehrkräfte waren im Jahr 2020 im Alter von 50 Jahren oder darüber.

Jedes Unternehmen und jede staatliche Verwaltung würde bei einer derartigen Unterversorgung mit Fachkräften sofort Notmaßnahmen einleiten. Einzelne Bundesländer planen inzwischen auch tiefe Eingriffe. Allerdings weiten sie dabei die Zahl qualifizierten Lehrpersonals nicht etwa aus, sondern wollen die Stundentafel für Schüler kürzen. Berlin zum Beispiel diskutiert offen darüber, ob man die Lernzeit der Schüler einschränken soll. (Bildung.Table berichtete.) 

30 bis 40 Prozent der Lehrerfortbildungen fallen aus 

Dass man mit Lehrermangel und Problemen in der Lehrerfortbildung problembewusst umgehen muss, konnte man bei der “Gesellschaft für Bildungsverwaltung” am vergangenen Wochenende erleben. Bei einer Tagung der Gesellschaft zeigte etwa der Potsdamer Bildungsforscher Dirk Richter, dass in einem der größten Bundesländer ein Drittel der Lehrerfortbildungen schlicht ausfällt. Richter führte dies am Beispiel einer Studie für die GEW Baden-Württemberg aus. Der zuständige Beamte aus dem Stuttgarter “Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung“, Michael Kilper, gestand bei dem Treffen ein, dass während der Pandemie sogar vier von zehn Lehrerfortbildungen nicht stattfanden.  

Bildungsverwalter, Lehrerfortbildungen, KMK
Große Ausfälle bei Lehrerfortbildungen. Grafik: Britta Weppner

Ähnlich konsequent war der Lagebericht für die Bildungsverwalter, den Olaf Köller über den Lehrermangel hielt. Der Direktor des “Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik” in Kiel rechnete den Fachleuten in den Kultusministerien vor, dass allein in den Fächern des mathematisch-naturwissenschaftlichen und IT-Bereichs bis 2030 fast 40.000 Lehrkräfte fehlen. In Mathematik fehlen 15.000 Lehrer, in Biologie 10.000. In diesen beiden Fächern sind laut Köller durch das Angebot an Nachwuchs aus den Lehramtsstudiengängen nur mehr etwa 40 Prozent des Bedarfs zu decken. 

Köller warnte bei der Tagung der Bildungsverwalter davor, dass sowohl die Demografie (weniger Lehramtsstudierende in den kommenden Jahren) als auch die Flucht aus dem Kriegsland Ukraine die Situation weiter verschärfen dürfte. Köller, der auch Sprecher der “Ständigen wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz” ist, schlug radikale Maßnahmen vor. Man solle die Sprachbarrieren für ausländische Lehrkräfte senken und Lehramtsstudiengänge mit nur einem Fach erlauben. Diese beiden Hürden erschweren gerade die Einbeziehung vieler ukrainischer Lehrkräfte in den deutschen Schulbetrieb.  Mit Niklas Prenzel

  • Bildungspolitik
  • Klaus Klemm

“Die Kommunen können den digitalen Wandel nicht allein bezahlen” 

Auf dem Foto sieht man Christiane Zangs, Vorsitzende des Schul- und Bildungsausschusses beim Städtetag: Sie spricht über den digitalen Wandel für Kommunen im Rahmen des Digitalpakts
Christiane Zangs, Vorsitzende des Schul- und Bildungsausschusses beim Städtetag. (Foto: Detlef Ilgner)

Warum funktioniert der Digitalpakt nicht, Frau Zangs?

Ich glaube, wir sprechen zu wenig miteinander. Bund und Länder müssten den Bedarf vor Ort viel besser mit uns abstimmen. Wir sind stets am Ende der Nahrungskette.

Klingt nach Freier Wildbahn.

Wir sind es leid, dass man uns Kommunen immer Geld vor die Füße wirft – und uns dann vorhält, wir seien zu dusselig, um es auszugeben. Erst heißt es, kauft, macht und tut. Und nach kürzester Zeit erklären Bund und Länder: “Ja also, am Geld scheitert es nicht!” 

Sind die Kommunen überfordert, die gigantischen Zuschüsse sinnvoll einzusetzen?

Nein, aber der Prozess muss stimmen. Was richtig ist: Wir haben durch den Digitalpakt so viel Geld in unsere Schulverwaltungsämter bekommen, wie wir es für digitale Medien noch nie ausgegeben haben. Der Prozess läuft stets ähnlich ab. Wir erfahren, dass es Geld vom Bund geben soll. Bis die Länder uns aber die exakten Förderrichtlinien an die Hand geben, vergeht viel Zeit. Erst dann können wir mit der Umsetzung beginnen, nämlich Planung und Auftragsvergaben, Konfiguration und Ausgabe der Medien. Das sind große Herausforderungen – bei den neuen Volumina.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Wir in Neuss haben uns sehr früh entschlossen, für alle insgesamt rund 1.000 Unterrichtsräume Präsentationstechnik anzuschaffen. Wir wollen aber solche Fragen nicht von oben herab entscheiden, sondern im Gespräch mit unseren Schulen. Entscheidend ist hierbei, was pädagogisch sinnvoll ist. Wir sind mit den zuständigen Lehrer:innen buchstäblich von Klassenraum zu Klassenraum gegangen. Um auszuloten, welche Präsentationstechnik überhaupt eine Zukunft hat. Und wie die Lehrkräfte damit Unterricht gut gestalten können. Erst danach kommen Vergabeverordnung und Ausschreibung ins Spiel. 

Spezialisierte Kanzlei für Digitalpakt beauftragt

Und dann wird es zum zweiten Mal kompliziert?

Genau. Bei unserer Ausschreibung für Präsentationstechnik drohten Konkurrentenklagen – obwohl wir zuvor ein darauf spezialisiertes Rechtsanwaltsbüro zurate gezogen hatten. 

Was passierte? 

Dass wir zweimal eine Ausschreibung aufgehoben haben – was zweimal eine jeweils dreimonatige Verzögerung bedeutete…

… und dazu führt, dass der Digitalpakt insgesamt nicht zum Erfolg werden kann?

Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Bis Anfang 2025 können alle Kommunen das Geld verausgaben – und das werden sie auch tun. Wenn Bund und Länder uns vorwerfen, die Kommunen können das Geld jetzt nicht ausgeben, dann fühlen wir uns nicht fair behandelt. Wir benötigen den von vorneherein geplanten zeitlichen Rahmen. 

Aber sie beschreiben ja selbst, wie kompliziert die Prozesse waren. 

Ja, aber die operativen Herausforderungen ballten sich eben alle bei uns, den Schulträgern. Wir sollten das Geld – wegen Corona und Homeschooling – schnell ausgeben. Am wichtigsten ist aber, dass in unserem Drei-Ebenensystem von Bund, Ländern und Kommunen besser kommuniziert wird.

Vor allem das Verhältnis zwischen den Kommunen und den Ländern scheint ungeklärt. Was würden Sie sich da wünschen? 

Wir fordern vom Land NRW seit langem vehement eine Reform der Schulfinanzierung. Die Trennung nach inneren und äußeren Schulangelegenheiten trägt den bildungspolitischen Herausforderungen nicht mehr Rechnung. Nicht nur wegen der Digitalisierung, sondern beispielsweise auch wegen der offenen Ganztagsschule. Das betrifft alle Bundesländer gleichermaßen.

Was heißt das?

Ich bin nicht der Meinung, dass es Aufgabe allein der Kommunen ist, ihre Schüler mit digitalen Endgeräten wie Tablets und Laptops auszustatten. Bisher waren Schulträger verantwortlich für Gebäude, Mobiliar und Schulbücher. Wir sind doch aber längst an dem Punkt, an dem Schulbücher eine andere Rolle spielen als bisher. Die Kinder müssen nicht mehr mit einem Rucksack voller Schulbücher durch die Gegend rennen. Unsere technikaffinen Kinder brauchen die bestmögliche Verzahnung zwischen analogem und digitalem Lernen. 

Neue finanzielle Grundlage für Kommunen schaffen

Aber was hat das mit den Ländern zu tun, Frau Zangs?

Dass die Kommunen diesen grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel nicht allein bezahlen können. Die Medienkompetenz ist nach Lesen, Schreiben und Rechnen die vierte Kulturtechnik. Wenn wir das wirklich anerkennen, dann dürfen die Kommunen damit nicht allein gelassen werden.

Aber der Bund hält doch milliardenschwere Zuschüsse für Sie bereit.

Ja, und dafür sind wir dankbar, der Digitalpakt Schule war ein wichtiger Schritt. Die Öffnung des Artikels 104c des Grundgesetzes hat eine wichtige Anschubfinanzierung möglich gemacht. Nur reicht bei einer derart grundsätzlichen Umwälzung keine einmalige Finanzspritze für Investitionskosten. Die laufenden Kosten können ja nicht über den Digitalpakt Schule gegenfinanziert werden. Und das ist auch keine Frage zwischen Bund und Kommunen, sondern zwischen Ländern und Kommunen. Wir brauchen eine neue finanzielle Grundlage mit den Ländern – und dazu die Hilfe des Bundes.

Kann man das einheitlich für ganz Deutschland regeln – oder macht das jedes Bundesland für sich?

Das muss jedes Bundesland gesondert umsetzen.

Was ist bei Ihnen in NRW besonders wichtig?

Dass die Bildungspauschale neu berechnet wird. Das Schulgesetz muss neu geschrieben werden, weil sich so viel verändert hat und weil die Regierung vieles bisher immer wieder nur per Erlass verfügt hatte. Es muss ein dauerhaft tragfähiges Finanzierungskonzept geben – durch ein Gesetz. Wir können zeitgemäßes Lernen in der Digitalität nicht von der Kassenlage der Kommunen bestimmen lassen. 

Aus dem Urlaub heraus 500 Tablets bestellt

Sollten die Medienentwicklungspläne weg? 

Wir sollten uns schon im Klaren darüber sein, wohin wir mit der Digitalisierung unserer Schulen pädagogisch wollen. Aber man muss das Rad nicht immer neu erfinden, sondern kann auch von den Erfahrungen anderer lernen. 

Würde es helfen, wenn der Bund grundsätzlich für die Digitalisierung der Schulen zuständig wäre?

Es würde Ländern und Kommunen helfen, wenn es eine dauerhafte, verlässliche Finanzierung auch durch den Bund gäbe. Die Digitalisierung denkt ja nicht in Förderprogrammen oder in föderalen Strukturen.

Was ist ihr ultimativer Vorschlag für einen unkomplizierten Digitalpakt?

Direkte Kommunikation. Ich habe einmal aus dem Urlaub heraus 500 Tablets bestellt. Da war ich auf einer Berghütte und hatte Angst, dass meinem Lieferanten die Endgeräte ausgehen. Deswegen hab ich angerufen und gesagt: “Liefert uns schon mal diese Geräte, der Bestellschein kommt später.” 

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