Von Stefan Münzner
Während sich die geopolitische Weltlage spätestens seit der zweiten Amtseinführung von Donald Trump in atemberaubender Geschwindigkeit verändert, zermürbten sich die politischen Protagonisten in Deutschland monatelang im Kampf um die Deutungshoheit und nannten dies Wahlkampf. Wo die besten Ideen und Argumente im Mittelpunkt stehen sollten, wo eigentlich große Antworten auf große Fragen notwendig gewesen wären, ging es bis zuletzt teils grotesk inhaltslos fast nur um Personen, Koalitionen, Testosteron – und Migration.
Die Rente war ebenso nicht wirklich ein Thema wie die Pflege. Bildung, Wohnen, Digitalisierung, Umwelt- Klimaschutz und viele andere Themen, die so wichtig für die Zukunft unseres Landes sind, kamen allenfalls am Rande vor. Und selbst bei den beiden dominierenden Themen des Wahlkampfes, Migration und Wirtschaft, ging es mehr um allgemeine Vorschläge und weniger um konkrete Konzepte. Von den wirtschaftspolitischen Vorschlägen bleiben vage ein Made-in-Germany-Bonus und steuerliche Ansätze im Gedächtnis, die Bürokratie soll wohl auch zurückgefahren werden. Aber wie wo was genau, davon blieb kaum etwas hängen. Gleiches gilt für die äußere und innere Sicherheit und damit auch für die „migrationsnahen Themen“. Zwar waren sich alle einig, dass etwas passieren soll, aber was genau, darüber wurde leider fast nicht gestritten und das Wenige mit Hochdruck zerredet. Diese Gräben müssen jetzt mühsam geschlossen werden.
Angezettelt hat diesen Unterbietungswettbewerb ausgerechnet meine SPD, die in einer besorgniserregenden Selbstüberschätzung Friedrich Merz früh als ebenso diabolischen wie einfältigen Widersacher ausgemacht hat. Lange vor dem Platzen der Ampel war die Linie klar: Hier die schlauen Politprofis, da der politisch unerfahrene und geradezu bösartige Büttel des Großkapitals aus der Provinz. Von dieser Fixierung konnte sich die SPD bis zuletzt nicht lösen, wohl auch, um die eigene Verantwortung für den Zustand unseres Landes ausblenden zu können.
Politisch genutzt hat das zum einen der AfD, für die jede politische Verächtlichmachung innerhalb der politischen Mitte ein Konjunkturprogramm darstellt, und zum anderen Friedrich Merz, der die Polarisierung nutzen konnte und nach anfänglicher Unsicherheit spätestens mit seiner Reaktion auf die Bluttat von Aschaffenburg an Tritt und Profil gewonnen hat. Seine höchst risikovolle Strategie, dem hilflosen Argumentieren wenigstens einen Entschließungsantrag im Bundestag entgegenzusetzen und dabei auch die Zustimmung der AfD in Kauf zu nehmen, dürfte einen noch höheren Höhenflug der selbsternannten Alternative verhindert haben. Die Ergebnisse insbesondere in Ostdeutschland lassen es einem schon jetzt kalt den Rücken herunterlaufen.
Politisch geschadet hat es vor allem der SPD, die sich in einem mit viel Haltung aufgeladenen Klein-Klein gegen Friedrich Merz verzettelt hat und der am Ende außer einem erhobenen Zeigefinger nicht viel eingefallen ist. Wenn Olaf Scholz im Quadrell die SPD als Partei der Handwerker bezeichnet, weil August Bebel und Friedrich Ebert im vorletzten Jahrhundert auch Handwerker waren, sagt das leider auch viel über die eigenwillige Weltsicht vieler Funktionäre aus.
Den größten Schaden aber hat wohl unsere Demokratie selbst davongetragen. Es ist schon erstaunlich, mit wie viel erschrockener Aufmerksamkeit man einerseits nach Amerika blickt und wie zielstrebig man andererseits den Amerikanern auf ihrem Weg zu einem gespaltenen und hochpolarisierten Land folgt, in dem keiner mehr dem anderen glaubt. Trump ist gleichzeitig Katalysator und Symptom für einen Populismus, der sich an Chaos und Missgunst nährt und überall nur das Schlechte sieht. Er ist aber nicht die Ursache dafür, die Wurzeln reichen weiter zurück, haben sich auch in unseren (deutschen wie europäischen) Fundamenten ausgebreitet und bereits beträchtliche Risse verursacht.
Bei Markus Söder bin ich mir nicht so sicher und gespannt auf die Rolle, die er in den nächsten Wochen und Monaten spielen wird. Aber ich nehme es Friedrich Merz und seinen Leuten ab, dass sie es gut meinen und zusammenführen statt spalten wollen. Das ist gleichzeitig meine Erwartung an die nächste Regierung und vor allem auch an meine eigene Partei. Statt immer nur reflexartig draufzuhauen und sich im politischen Framing zu verirren, müssen wir wieder dahinkommen, der anderen Seite, und ja, sogar der AfD, zuzuhören und darüber nachzudenken, wo sie auch recht haben könnten. Es bleibt schon noch genug zum Kritisieren und Streiten übrig. Vielleicht kann die nächste Regierung so zeigen, dass es besser geht. Und vielleicht wiederholt er sich dann beim nächsten Mal nicht, der schlimmste Wahlkampf aller Zeiten.
Stefan Münzner ist SPD-Mitglied und war von 2011 bis 2018 beim Seeheimer Kreis beschäftigt. Heute begleitet er als Unternehmensberater IT- und Digitalunternehmen bei ihren Aktivitäten im öffentlichen Sektor.